Beiträge von Eginhard

    Ins Gespräch vertieft, gerieten Luca und Eginhard in eine halb blockierte Straße. Ein Wagen lud Amphoren aus und das passte den Passanten nicht. Natürlich passte es ihnen nicht, immerhin war damit die Straße halb blockiert. Dann ging alles ganz schnell. Das Klirren einer Amphore, der Schrei einer Frau. Dann stolperte eine blonde Frau in blauer Kleidung gegen den friesen und seinen Gesprächspartner und fiel. Ihr Aufschlag auf den Boden wäre sehr hart gewesen, hätte Eginhard sie nicht am Arm festhalten können. "Alles in Ordnung?" fragte er höflich.


    Die Situation wurde währenddessen zunehmend unkontrollierbarer. Es gab ein ziemliches Geschubse in der Menschenmenge. Eginhard gefiel das nicht. Also versuchte er, Ordnung zu schaffen. "Ruhe! Keiner rührt sich!" brüllte er und wartete auf die Reaktionen der Menschen. Vielleicht kamen sie ja zur Besinnung.

    Luca schien schmerzliche Erinnerungen mit seiner Heimat zu verbinden. Vielleicht war er vertrieben worden. Oder verschleppt. Eginhard wusste es nicht, aber er würde da auch nicht nachbohren. Sein Vater hatte ihm immer gesagt, dass ein Fürst seine Leute nicht bedrängen sollte, über ihre Sorgen und ihren Schmerz zu sprechen. Wenn sie von sich aus auf ihn zukamen, sollte er ihnen Rat geben, wenn es ihm möglich war. Aber man sollte niemandem seinen Rat aufzwingen. Daran hielt er sich.


    Die Erzählung von Luca's Heimat kam ihm irgendwie vertraut vor, und andererseits auch wieder fremd. Berge, die kannte er nicht von zu Hause. Auch Wölfe und Bären kannte er nur vom Hörensagen. Aus seiner Heimat kannte er nur weites, flaches Land, Sanddünen und das sich ständig ändernde Watt auf der einen und die hohe See auf der anderen Seite der Inseln.


    Auf die Frage, warum er hier war, dachte Eginhard kurz nach, ob und wie viel er von seinen wahren Beweggründen erzählen sollte. Dann antwortete er. "Meine Familie, wir waren schon immer fasziniert von Rom und seiner Kultur. Das trifft ganz besonders auf meinen Vater zu, aber auch auf mich. Vor allem die römische Technik hat es uns angetan. Sie beherrschen das Wasser auf eine Art, wie es uns nicht gelingt. Die See beherrschen sie zwar nicht, aber vielleicht kann man ja aus dem Wissen der Römer und unserem Wissen etwas Nützliches gewinnen?" Er ging langsam in Richtung Tiber, während er sprach. "Mein vater hatte mir deshalb einen Lehrer gekauft, einen griechischen Sklaven, der mich unterrichtete in Latein, Philosophie und Mathematik. Und Technik." Selbstverständlich gehörte auch Griechisch dazu, aber das schien Eginhard nicht erwähnenswert. Es sollte recht logisch sein, dass ein Grieche auch Griechisch unterrichtet. "Seit ich fünf Jahre alt war, erhielt ich diesen Unterricht. Priamos war ein strenger, aber sehr guter Lehrer. Natürlich wurde mir auch all das beigebracht, was ich als künftiger Fürst wissen muss. Also Kampf mit Schwert, Axt und Lanze. Kriegsführung. Und Diplomatie. Auch wenn das nicht heißt, dass ich deshalb der nächste Fürst werde, dazu muss ich gewählt werden." Er lächelte kurz. "Aber das ist eine andere Geschichte. Zurück zu deiner Frage. Mein Vater hat mir Geld für eine Reise nach Rom gegeben, damit ich hier lerne, was man nicht allein durch Bücher lernen kann. Und um, wenn möglich, ein paar nützliche Kontakte zu gründen. Sollten wir unser Gebiet vergrößern wollen, dann können wir es nicht gebrauchen, dass unsere Nachbarn von Rom Hilfe bekommen. Obwohl ich persönlich lieber mit Worten erobere als mit Schwertern. Aber das hat noch Zeit."

    Aufmerksam hörte er der Beschreibung zu, wie er zu den Tiberbrücken kam. Das klang zwar erstmal gar nicht so kompliziert, aber trotz seines in der Natur guten Orientierungssinns war sich Eginhard nicht sicher, ob er den Weg wirklich finden würde. Er musste schmunzeln, als Luca sagte, ihm sei die Stadt etwas zu groß. Ihm ging es da auch nicht anders. Es hätte ihn ja brennend interessiert, wie man so eine Stadt versorgt, aber das war jetzt nicht der Zeitpunkt, über die Verwaltung von Großstädten zu philosophieren. Zumal beide vermutlich wenig kompetent auf diesem Gebiet waren.


    Eginhard merkte, dass Luca etwas ernster wurde, als es um seine Heimat ging. "Dalmatien? Nie gehört," erwiderte er und machte eine entschuldigende Geste. "Aber dass es am Meer ist, das hört sich schön an. Ich komme auch von einem Land am Meer. Aus Friesland. Weit im Norden, jenseits der Alpen. Ein Land des ständigen Wandels. Mein Vater herrscht über eine recht große Insel. Sie besteht aus Dünen, also nur von Gras bewachsener Sand. Jeden Winter toben schwere Stürme und die See nagt an unserem Eiland, aber gleichzeitig wächst die Insel auch. Im Westen nagt die See, im Osten kommt neues Land hinzu. Doch passt man nicht auf, steht das Dorf an der falschen Stelle und die See bricht durch die Dünen und holt sich alles. Andererseits gibt sie uns auch Fisch und Salz. Und viel fruchtbares Land, wenn man es der See abtrotzen kann."


    Er überlegte kurz, wie er die friesische Lebensweise am treffensten beschreiben konnte. "Am besten beschreibt uns eines unserer Gesetze, wie wir leben. Uta skilu wi Frisa use lond halda mit thrium tauwon, mith tha spada and mith there bera and mith there forke; ac skilu wi use lond were mith egge and mith orde, and mith tha bruna skelde, with thena stapa helm and with thene rada skeld an with thet unriuchte herskipi." Als er das Gesetz auf Friesisch vortrug, schwang großer Stolz in seiner Stimme mit. Denn die Gesetze waren alt und eine stolze Tradition freier Friesen sprach daraus.


    Natürlich verstand Luca kein Friesisch. Und Eginhard war zunächst gar nicht aufgefallen, dass er das Gesetz gar nicht auf Latein, sondern ganz natürlich auf Friesisch rezitiert hatte, doch der fragende Gesichtsausdruck seines Gesprächspartners ließ ihn erkennen, dass er wohl kein Latein gesprochen hatte. Er lächelte entschuldigend. "Verzeih, da bin ich wohl ins Friesische gefallen. Das Gesetz bedeutet in etwa, dass wir Friesen unser Land halten sollen mit Spaten, Bahre und Forke. Und dass wir unser Land verteidigen sollen mit Schwert und Speer und dem braunen Schild, wider den hohen Helm und den roten Schild und die ungerechte Herrschaft." Dass der letzte Teil durchaus als Drohung gegen Rom verstanden werden konnte, war ihm klar.


    "Sag, was für ein Menschenschlag seid ihr Dalmater? Und wie sieht es bei euch so aus?"

    Das Lachen des Dalmaten sorgte dafür, dass auch Eginhard etwas gelöster wurde. Er lachte zwar nicht mit, aber diesmal zeigte er ein echtes Lächeln. Und irgendwie beruhigte es ihn, dass er nicht der einzige war, der sich in Rom verlief.


    Ihm fiel die Ehrfurcht in Luca's Augen auf, als er bei seiner Vorstellung erwähnte, dass er ein Fürstensohn war, aber das war er gewohnt. Luca's Latein war gebrochen, was darauf schließen ließ, dass er kein Römer war, ja nicht einmal in einer römischen Stadt aufgewachsen. Sein selbstbewusstsein ließ darauf schließen, dass er frei war oder zumindest den größten Teil seines Lebens frei gelebt hatte. Und seine Freundlichkeit schien ehrlich, nicht erzwungen zu sein. Es war wohl die Art des Dalmaten. Und das machte ihn sympathisch.


    Nachdem sich Luca vorgestellt hatte, streckte Eginhard seine rechte Hand aus. "Freut mich, dich kennen zu lernen, Luca." Er lächelte erfreut und wartete auf einen kräftigen Händedruck.


    "Transtiberim, das ist ein Stadtteil. Auf der anderen Seite des Tiber. Über die... die Pons... ich komme nicht mehr auf den Namen der Brücke." Eginhard lachte kurz. "Normalerweise bin ich nicht so vergesslich, aber hier sind einfach zu viele Eindrücke, um sich alles zu merken. Was für eine unglaubliche Stadt!" Er zeigte sogar ein wenig Begeisterung. Das kam bei ihm eher selten vor.


    "Aber sag, du kommst nicht von hier, oder?" Von wo Luca stammte, konnte Eginhard nicht sagen. Er wusste aber mit ziemlicher Sicherheit, dass Luca kein Germane war. Erstens war der Name nicht Germanisch und zweitens passte sein Akzent auch nicht. Kelte war er vermutlich auch nicht, aber Eginhard wollte sich darauf nicht festlegen. Er kannte zu wenige Kelten, um das mit Sicherheit sagen zu können.

    Eginhard fiel der ähnlich groß wie er selbst geratene Mann interessanterweise erst auf, als dieser sich räusperte. Das Latein war nicht das eines Römers, aber seine Worte ließen darauf deuten, dass er sich hier auskannte. Im Gegensatz zu Eginhard.


    "Ähm, ja, das kannst du in der Tat," antwortete Eginhard in seinem zwar fließenden Latein, das aber doch einen germanischen Akzent hatte, so dass die Aussprache härter war als die der Römer. "Wie es aussieht, habe ich mich verlaufen."
    Er lächelte, auch wenn seine Augen zeigten, dass es kein echtes Lächeln war, sondern reine Höflichkeit. Es war ihm schon ein wenig peinlich, sich verlaufen zu haben. Andererseits, dachte er sich, konnte er ja auch nichts dafür, dass die Römer ihre Städte so überdimensioniert bauen mussten. Also war es nicht seine Schuld, dass er sich verlaufen hatte.
    "Du weißt nicht zufällig, in welcher Richtung der Tiber liegt? Oder noch besser, Transtiberim." Dann fiel ihm wieder die nötigste Etikette ein. Es war sehr unhöflich, sich nicht vorzustellen. "Ich bin übrigens Eginhard, Sohn des Fürsten Eginhard."


    Er fragte sich, was diese Bulle um den Hals des Fremden bedeutete, aber noch äußerte er seine Frage nicht. Vielleicht war das ja das Erkennungszeichen irgendeiner Einheit. Und er wollte nicht dumm wirken.

    Eginhard hatte sich die Stadt Rom ansehen wollen. Und so, wie er es von den anderen Städten des Imperium Romanum kannte, die er bislang bereist hatte, hielt er den Markt für eine gute Idee. Märkte offenbarten recht gut den Charakter einer Stadt. Die erste Lektion, die er lernte, war, dass es mehr als nur einen Markt in Rom gab. Die zweite Lektion war, dass das Warenangebot überwältigend war. Rom beherrschte in der Tat die ganze Welt. Oder zumindest wurde es von Händlern aus aller Welt besucht. Er war beeindruckt, auch wenn er es nicht zeigte. Statt dessen feilschte er hier und da mit einem Händler, kaufte sich eine Kleinigkeit zu essen. Und überlegte, ob er vielleicht ortsübliche Kleidung kaufen sollte. Seine friesische Kleidung, eine dicht gewebte, langärmelige Wolltunika, eine lange, dicke Wollhose, Wollsocken und hohe, dicke Lederstiefel, all das war doch ziemlich warm hier. Immerhin hatte er seinen Umhang nicht angezogen. Waffen trug er auch nicht, außer einem Messer, das im Steifel versteckt war. Man konnte ja nie wissen.


    Inzwischen hatte er genug gesehen. Er musste nur wieder nach Transtiberim finden. Wie war noch gleich der Weg? Durch diese via? Oder doch die andere? Wo war noch gleich der Tiber? Man sah ja gar nichts vor lauter Gebäuden. So stand er da, fühlte sich erstmals in seinem Leben ein wenig hilflos, auch wenn er sich das nicht anmerken ließ. Er ging ein paar Schritte, bis er nicht mehr mitten im Gedrängel war. Er überragte fast alle und hatte so einen gewissen Überblick. Und er versuchte, sich zu orientieren. Wenn es wenigstens nicht bewölkt wäre. Aber diese Gunst erwiesen ihm die Götter nicht. Er musste es sich selbst eingestehen. Er hatte sich verlaufen. Und das war auch für jeden, der ihn sah, offensichtlich.

    Eginhard war zusammen mit seinem Begleiter Edzard - nach einigen Fragen nach dem Weg - am Haus eines einstigen Kriegers aus seiner Sippe, der sich in der Classis das Bürgerrecht verdient hatte, angekommen. Wenngleich Ucko, der nun Marcus Servitius Arius hieß, römischer Bürger war, galt immer noch seine alte Gefolgschaft gegenüber dem Fürsten Eginhard, dessen Sohn nun vor der Tür stand.


    Eginhard junior war abgesessen und stützte sich auf seine Reiterlanze, als er darauf wartete, dass der Sklave seinen Herrn informieren würde, wer da stand. Nach einiger Zeit kam ein älterer Mann in Tunika an die Tür. Er betrachtete kurz die beiden Friesen, dann schlich sich ein Lächeln auf sein Gesicht. "Eginhard, Sohn des Eginhard! Das hätte ich ja nie gedacht! Was macht dein Vater denn so, Junge?" Er sprach Latein, aber das war kein großes Problem für Eginhard.


    "Er sorgt immer noch für Frieden und gute Handelserträge. Und trotzt noch immer der See. Darf ich reinkommen? Und mein Begleiter Edzard auch? Und wo können wir unsere Pferde abstellen?" Eginhards Latein klang zwar nicht ganz so römisch wie das des alten Mannes, aber die Begrüßung sprach dafür, dass er das richtige Haus gefunden hatte.


    "Aber natürlich dürft ihr reinkommen! Um die Pferde kümmert sich mein Sklave. Jetzt erzähl' doch mal, wie war die Reise? Was treibt dich überhaupt hierher?"


    Sie gingen ins Haus. "Die Reise war ganz in Ordnung. In den Alpen haben wir uns gegen ein paar Banditen wehren müssen, aber die sind jetzt kein Problem mehr."


    "Der Irre hat sie gnadenlos verfolgt, bis er auch den letzten aufgespießt hatte," sagte Edzard mit seiner rauen, ruhigen Stimme auf Friesisch.


    Mit dem Irren war natürlich Eginhard gemeint, der das mit einem finsterenm Blick quittierte. "Niemand greift mich ungestraft an."


    "Gnadenlos isser."


    "Und wenn schon!" Eginhard wandte sich wieder seinem Gastgeber zu, der seine Stirn leicht runzelte. "Der Grund, weshalb ich hier bin, ist, dass ich Rom und seine Kultur besser kennenlernen will. Die Kultur, vor allem die Technik, fasziniert mich. Sie beherrschen das Wasser! Das ist doch großartig! Sie beherrschen das Wasser!"


    "Das stimmt. Und jetzt sucht ihr eine Bleibe? Bitte, nehmt meine Gastfreundschaft an. Ich freue mich, den Sohn meines alten Freundes und seinen Begleiter zu beherbergen. Möchtet ihr etwas essen? Brot? Wein? Einen Eintopf?"


    Eginhard nickte. "Gerne. Und vielen Dank. Ich möchte dir aber nicht allzu lange zur Last fallen. Ich will nur ein wenig die Stadt erkundigen und mir dann ein wenig geld verdienen. Ich habe gehört, dass man auf der anderen Seite keine Waffen tragen darf?"


    Arius nickte. "Das stimmt."


    "Hmm... zählt eine Axt auch als Waffe?"


    "Hängt von den Beamten ab. In den Händen eines Hünen wie dir, gilt sie wahrscheinlich als Waffe."


    "Na gut, dann muss es ohne Axt gehen. Aber erstmal wäre ich dankbar für ein Bett und etwas Brot und Eintopf."


    Arius zeigte Eginhard sein Gästezimmer und sorgte dafür, dass er verpflegt wurde. Edzard machte sich erst einmal auf den Weg in den Stall, um sich um die Pferde zu kümmern. Als er zurück kam, war Eginhard schon am schlafen.


    Sim-Off:

    kursiv = Friesisch

    Salve, ich, Eginhard, Sohn eines recht unbedeutenden Fürsten der Friesen, möchte die Warft der Familie verlassen und in Rom mehr über die Kultur der Römer lernen. Das römische Bürgerrecht besitze ich nicht, bin ich jedoch ein freier Friese.


    Kurz zusammengefasst:


    Name: Eginhard
    Stand: Peregrinus
    Wohnort: Roma