Beiträge von Lucius Decimus Albinus

    Albinus hatte den Bürgerkrieg aus der Ferne aufmerksam verfolgt und war einigermaßen im Bilde bezüglich des Kriegsverlaufes und der Konfliktparteien. Eine Niederlage war da natürlich auch ganz in seinem Sinne. Bislang schien der Krieg allerdings noch in weiter Ferne zu sein und die persönliche Lebensführung berührte er nur indirekt, daher war der Rat seiner Tante Seiana besonders geeignet, ihn in große Unruhe zu versetzen.


    Hältst du dies wirklich für möglich? Einige alte Senatorenfamilien die aus Angst vor Status- und Einflußverlust sogar zum Äußersten bereit sind, zum Mord an dem Kaiser, mögen zwar durchaus einige erfahrene Feldherren in ihren Reihen haben und in den Provinzen einige Anhänger gewinnen, aber Rom selbst anzugreifen scheint nahezu undenkbar.

    Albinus nahm Seianas Ausführungen leicht überrascht aber doch ziemlich gefasst zur Kenntnis. Es war kein Wunder, dass sein Bruder dabei bevorzugt wurde, schließlich war er von ihnen beiden besser für die Verwaltung von Betrieben geeignet und Albinus war immerhin schon, wie Seiana zurecht erwähnte, in der Schola ausreichend beschäftigt.


    Ich bin mit dieser Aufteilung durchaus einverstanden, schließlich ist mein Bruder von uns beiden der, der den Ethos des anständigen, tüchtigen Kaufmannes verkörpert. Ich würde mich offen gesagt darauf beschränken, die Oberaufsicht über den Betrieb zu führen und bei Bedarf die Details fähigen und vertrauenswürdigen Verwaltern überlassen.

    Albinus wunderte sich, dass Dexter offensichtlich auch von Seiana gebeten wurde, zu erscheinen.


    "Ja, ich dachte, es hätte etwas mit meiner neuen Stelle in der Schola zu tun, aber da sie dich auch rufen ließ, muß es wohl einen ganz anderen Grund haben."


    Ohne auf eine Antwort seitens Dexter zu warten, trat er gemeinsam mit seinem Bruder in Seianas Räumlichkeiten ein.


    "Salve, Tante Seiana! Ich kam sofort her, nachdem ich meine Arbeit beendet hatte. Ich werde einen Schluck Wein nehmen, ich denke dafür ist es schon spät genug."


    Mit diesen Worten nahm Albinus am Schreibtisch Platz und wartete gespannt darauf, was Seiana zu berichten hatte.

    Nachdem Albinus seine Arbeit beendet hatte machte er sich auf den Weg um Decima Seiana in ihren Räumlichkeiten einen Besuch abzustatten. Er hatte sie noch nicht oft gesehen seit sie wieder in der Casa wohnte und hatte auch keine Ahnung aus welchen Gründen sie wieder einzog. Das war für ihn aber auch nicht von besonderem Interesse, schließlich war die Casa groß genug um sich nicht ständig auf die Füße zu treten und Seiana war eine liebe Verwandte, deren Anwesenheit ihm kein Unbehagen bereitete. Er verfolgte diesen Gedankengang nicht weiter als er an ihre Tür klopfte und darauf wartete, eingelassen zu werden.

    "Teil deiner Domina mit, dass ich mich in Kürze zu ihren Räumlichkeiten begeben werden."


    Albinus fragte sich, was Seiana wohl wichtiges mit ihm zu besprechen hatte. Ging es vielleicht um seine neue Arbeit in der Schola? Er las noch einige Minuten eine Rolle zuende und machte sich dann auf den Weg.

    Albinus sah, dass sein Vater sich redlich bemühte, seinen Ausführungen zu folgen, was diesem jedoch zunehmend schwer fiel, also mußte das Ganze anders aufgezogen werden. Einem eher praktisch veranlagten Menschen bringt man Inhalte nicht dadurch nahe, dass man sie ihm vorträgt sondern indem man ihn selbst probieren lässt und das wollte Albinus nun auch versuchen.


    Ich habe nicht vor, dir hier lange Vorträge zu halten. Du sagst doch dass dir die Praxis fehlt und diesen Mißstand möchte ich versuchen mit dir hier zu beheben. Stell dir also vor, du wärest kürzlich im Senat gewesen und hättest in einer Rede Position beziehen müssen zur Aufhebung der Steuerfreiheit für Patrizier. Das ist ein Thema zu dem man kein tiefgreifendes Detailwissen benötigt, also versuch einfach mal eine Position dazu zu formulieren. Ich gebe dir auch einige Minuten Zeit.

    Albinus sah seinen Vater zufrieden an und begann schließlich mit dem Unterricht. Er hatte sich vorgenommen, ohne große Vorrede gleich zum Wesentlichen zu kommen.


    "Wenn du eine politische Laufbahn anstrebst, dann ist klar, welche Tätigkeiten dabei im Zentrum stehen werden. Ganz oben auf der Liste dieser Tätigkeiten stehen die Reden. Du wirst eine Vielzahl von Reden halten, sei es im Senat, auf dem Forum, vor Gericht oder bei privaten Anlässen. Dein Wert als Politiker wird zu einem nicht geringen Grad an deiner Redekunst gemessen werden. Gute Ideen zu haben allein wird nicht reichen, denn es wird immer Menschen geben, die sich deinen Plänen in den Weg stellen wollen, sei es aus inhaltlich, prinzipiellen oder rein persönlichen Gründen. Die Redekunst dient vor allem auch dazu, sich mit solchen Leuten auseinanderzusetzen. Dabei ist es nebensächlich, genau diese Leute von deiner Position zu überzeugen, viel wichtiger ist es, den Unentschiedenen klarzumachen, dass du im Recht bist und nicht diese Leute. Um dies zu erreichen sind nicht nur ein sicherer Umgang mit der Sprache, ein großer Wortschatz und ein langer Atem wichtig sondern auch Kenntnisse von der Entstehung und dem formalen Aufbau einer Rede und ihrer praktischen Anwendung. Kommen wir also zur ersten Frage: Weißt du aus welchen Teilen eine Rede klassischerweise besteht?"

    Dabei würde es sich grob um die Dissertation des Senators Germanicus Avarus zum Thema Wohnbauarchitektur handeln und um drei oder vier thematisch verwandte Werke. Da du vermutlich jeweils nur für einzelne Kapitel Verwendung hast, wird die Abschrift nicht lange dauern, nur wenige Tage.


    Albinus mußte kurz grinsen als Varus die veraltete Liste auf der Tafel ansprach, ging dann aber gleich zum nächsten Punkt über.


    Ich fürchte, da muß ich dich auch enttäuschen. Ein Großteil der früheren Dozenten hat sich mit Recht, Philosophie, Literatur und Geschichte beschäftigt, Germanicus Avarus war der Einzige der in die von dir angefragte Thematik tieferen Einblick hatte.

    Werke mitzunehmen ist leider nicht gestattet, aber gegen Entrichtung eines kleinen Obolus ist es, sofern es nicht explizit in bestimmten Fällen untersagt ist, natürlich erlaubt, Abschriften von den Scribae anfertigen zu lassen.


    Albinus wies auf eine Tafel an der ihm gegenüberliegenden Wand und erklärte dazu:


    Dies ist eine Auflistung der aktuell in der Schola tätigen Dozenten, sie ist leider jedoch mittlerweile veraltet, denn im Zuge der...


    Albinus machte eine kurze Pause und suchte die passenden Worte.


    ... politischen Ereignisse der letzten Zeit trennte sich die Schola von einigen der Dozenten, so dass sie sich zur Zeit im Prozeß der Rekonstituierung befindet und nur eine "Grundversorgung" anbieten kann.

    Aquädukte waren nun nicht gerade Albinus' Spezialgebiet, aber er versuchte Varus natürlich so gut es ihm möglich war zu beraten.


    Spontan würde ich dir empfehlen, dich im Bereich für Architektur umzusehen, dort findest du maßgebliche Fachliteratur zu den Themen Wohnungsbau und Wasserversorgung, worin auch Aquädukte beschrieben werden. Du wirst dir allerdings die Mühe machen müssen, in verschiedenen Werken nachzuschlagen, um die nötigen Informationen zusammenzutragen. Ein einzelnes großes Werk das ausschließlich von Aquädukten handelt ist mir leider nicht bekannt. Was die Dozenten betrifft ist die Schola in letzter Zeit chronisch unterbesetzt und soweit mir bekannt ist, wird Architektur zur Zeit leider nicht gelehrt.

    Albinus kam soeben von der erfolgreichen Bewerbung bei der Schola Atheniensis nach Hause, als ihn ein Sklave abfing. Sein Vater habe nach ihm geschickt und er solle sich umgehend ins Atrium begeben. Was es wohl wichtiges zu besprechen gab? Albinus hatte keine Ahnung worum es gehen könnte, also ließ er sich überraschen. Bei der Gelegenheit konnte er ja auch gleich von seinem heutigen Erfolg berichten.


    Als er das Atrium betrat, sah er bereits seinen Vater mit seinem Bruder Dexter reden, dabei schien vor allem Ersterer besonders guter Laune zu sein. Nun, dachte sich Albinus, eine erneute Diskussion über Dexters Karrierewunsch war dies also offensichtlich nicht.


    Vater! Verzeih, dass ich so spät eintreffe, aber ich kehrte soeben erst von meinem Gespräch mit Tante Seiana zurück. Ab sofort bin ich der neue curator libris der Schola Atheniensis!


    Albinus machte nun einen ebenso gut gelaunten Eindruck wie sein Vater und war gespannt darauf, was dieser nun berichten würde.

    Der Mann, der soeben sein Officium betrat war ihm bislang unbekannt, vermutlich niemand der häufiger hier war.


    Salve! Ich bin Lucius Decimus Albinus, der curator libris. Ich hoffe, ich kann dir etwas über besagte Literatur sagen. Worum geht es denn konkret?

    Albinus konnte seinem Vater deutlich ansehen, dass er stolz auf ihn war. Das war nicht immer so, denn früher fühlte sich Albinus immer ein wenig fehl am Platze, da er anders als sein Vater kein tüchtiger und bodenständiger Geschäftsmann war sondern dies alles immer von sich schob und anderen überließ, während er sich selbst lieber mit Philosophie, Politik und Literatur beschäftigte. Er würde sicher auch noch wirtschaftlich tätig werden, um neben dem Dienst an der res publica sein Auskommen zu finden, aber wieso sollte er sich selbst darum kümmern, wenn es dafür fähige Verwalter gab? Wie dem auch sei, zunächst einmal würde er eine leitende Stelle in der Schola einnehmen und von dort aus könnte er dann weitersehen.


    Der Posten des curator libris ist derzeit unbesetzt und ich kann mir durchaus vorstellen, dort zu arbeiten. Die Bibliothek der Schola ist mir sehr gut bekannt und so fange ich gleich in leitender Position an.


    Nach einer kurzen Redepause fuhr er fort.



    Mir ist natürlich bekannt, weshalb du gekommen bist. Womit möchtest du denn anfangen?

    Das Officium wurde mittlerweile wieder etwas auf Vordermann gebracht und machte nun einen einigermaßen präsentablen Eindruck. Albinus würde es noch etwas mehr seinen Bedürfnissen anpassen, aber fürs Erste mußte genügen, dass Staub und Spinnweben entfernt wurden und er in der Lage war, hier seine Arbeit zu verrichten. Diese ließ auch nicht lange auf sich warten, denn es klopfte an der Tür. Wer das wohl sein mochte?


    Herein!

    Albinus öffnete die Tür zu seinem neuen Officium und wie er erwartet hatte, machte das Büro den Eindruck, als sei es schon eine Weile nicht mehr besetzt gewesen. Nachdem er sich durch einige Spinnweben gekämpft hatte, gelangte er auch an einen großzügig bemessenen Schreibtisch, der jedoch eine fingerdicke Staubschicht angesetzt hatte.


    Hier muß aber mal ordentlich durchgewischt werden, sagte Albinus halblaut zu sich selbst. Er würde sobald wie möglich einen Sklaven damit beauftragen, vorher konnte er hier nicht arbeiten. Erst einmal schaute er sich jedoch um, was das Büro noch so zu bieten hatte und zeigte sich recht zufrieden. Natürlich nicht so prächtig wie das Officium Seianas, aber doch eins, das sich einigermaßen herrichten ließe. Dies war auch notwendig, schließlich wollte er hier demnächst viel Zeit verbringen.

    Albinus erwiderte die Umarmung seines Vaters. Er war froh, endlich bewiesen zu haben, dass er mit seinen Studien nicht nur sinnlos die Zeit totschlug sondern auch konkrete Ergebnisse erzielte, die ihn in seiner staatsbürgerlichen Existenz voranbrachten. Mit diesem Diplom dürfte er die Position in der Schola schon fast in der Tasche haben. Die Sesterzen wären da gar nicht mehr nötig gewesen, doch bedankte sich Albinus natürlich bei seinem Vater und überlegte sich, wen er einladen sollte. Er traf sich gelegentlich mit Gleichgesinnten, um zu diskutieren und das eine oder andere Glas Wein zu trinken. Wenn man mit dem Begriff locker umging, konnte man sie als Freunde bezeichnen, doch ob er ihnen wirklich so nahe stand, wußte Albinus selber auch nicht.


    Ich danke dir, Vater. Ich wüßte auch schon, wen ich einladen könnte, aber damit werde ich noch warten, bis ich meine Position in der Schola sicher habe. Mit dieser Auszeichnung dürfte das aber, so hoffe ich, deutlich leichter werden.

    Albinus erwiderte Seianas Lächeln, das er so von ihr bislang nicht kannte.


    "Ich bin dir zu Dank verpflichtet und hoffe, dass ich der Schola in der Position des curator libris von Nutzen sein kann. Eine konkrete Frage habe ich allerdings gerade nicht."

    Albinus zeigte sich etwas angespannt als er mit seinen Ausführungen endete. Er konnte an den Gesichtszügen seiner Tante nicht ablesen, wie sie reagieren würde, doch sie kam, wie er gehofft hatte, schnell auf den Punkt indem sie ihm sagte, dass sie ihn in der Position des curator libris für geeignet hielt.


    Natürlich, ich habe mich über den Aufgabenbereich des curator libris bereits im Vorfeld eingehend informiert und würde mich gerne den genannten Aufgaben widmen. Umso mehr da die Schola einen neuen curator libris dringend nötig hat.


    Albinus war nun bereits deutlich entspannter, er sagte sich, dass der Rest nur noch Formsache sein wird. Wenn er nach Hause kam würde er gleich allen die gute Neuigkeit mitteilen.