Sanft hob er ihr Kinn an. Ihre traurigen Augen, die in den letzten Wochen so viel Leid gesehen hatten, sie schauten ihn an. Hatte sie eben richtig gehört? Sie konnte es gar nicht so recht glauben. Ihm tat es leid? Und sie konnten über alles reden? Bedeutete das etwa, er hatte ihr verziehen? Sie schien sichtlich verwirrt darüber. Aber offensichtlich war heute alles möglich, da das Schicksal scheinbar mit freudigen Überraschungen nur so um sich warf.
Endlich kehrte auch ihr Lächeln wieder zurück und sie war so dankbar dafür, dass die Götter es zugelassen hatten, sie wieder zusammenzuführen. „Ich bin auch so unglaublich froh, dich wiederzusehen. Du hast mir so gefehlt. Ich dachte, ich hätte dich für immer verloren.“ Nun konnte sie sich wirklich nicht mehr zurückhalten, sie umschloss ihn mit ihren Armen und drückte sich fest an ihn. Die Tränen wollten wieder rollen, aber diesmal vor Glück. Am liebsten hätte sie ihn nie wieder losgelassen. Nie wieder! Doch auch sie wusste, dass er Verpflichtungen hatte. Er hatte ja auch bereits schon erwähnt, dass ihnen nicht viel Zeit blieb.
Langsam lockerte sie wieder ihre Umarmung. „Wir können uns wiedersehen. Du kannst mich besuchen, wenn du willst. Ich bin bei einer sehr netten Frau untergekommen, die mir geholfen hat, als ich es am nötigsten brauchte. Sie führt ein Lupanar in der Subura, das „Aedes iste Laetitia“. Ich arbeite dort und verdiene jetzt mein eigenes Geld. Iich auch ein einiges Zimmer, nur für mich allein. Frag einfach nach Sibel.“
Zur gleichen Zeit in der Taberna
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Elias nickte nachdenklich. Es war wohl am besten, wenn man auf den „Kollegen“ wartete, der aus unerfindlichen Gründen, wie von der Tarantel gestochen, nach draußen geeilt war. Bevor er noch etwas hinzufügen konnte, öffnete sich wieder die Tür. Doch es war nicht wie erwartet der Fremde. Nein, Ashraf der Bäcker kam hereingestürzt, ganz aufgelöst, als sei ihm ein Unglück widerfahren.
Natürlich hatte sein Aufschrei für Unruhe bei den Männern gesorgt. Besonders die, deren Freunde oder Familienmitglieder Opfer der Razzia geworden waren. Selbst Elias blickte erschrocken drein, doch er sammelte sich recht schnell wieder. „Beruhigt euch, Brüder!“
Seltsamerweise erhielt er Unterstützung von Narseh. Ausgerechnet Narseh, der gelegentlich doch sehr hitzköpfig sein konnte.
„Narseh hat recht,“ entgegnete Elias. „Wir sollten nicht jedes Mal in Panik verfallen, sobald ein Urbaner in Trans Tiberim auftaucht.“ Doch dann meldete sich ein älterer Mann zu Wort, der bisher geschwiegen hatte. Wegen der drohenden Gefahr aber konnte er nicht mehr länger seinen Mund halten. „Du hast gut reden, Bruder! Aus deiner Familie wurde niemand verhaftet!“ Das Getuschel unter den Männern wurde nun noch lauter. Von den meisten erhielt er ein zustimmendes Kopfnicken. Elias aber versuchte seine Brüder zu besänftigen. „Ich weiß, es ist schwer, wenn die Liebsten verschleppt wurden und man in der Ungewissheit leben muss, ob sie noch leben oder tot sind. Wir werden sie in unsere Gebete miteinschließen. Aber es nützt nichts, wenn wir bei jeder Kleinigkeit in Panik verfallen. Damit machen wir sie nur auf uns aufmerksam!“ Schließlich reichte er auch dem Bäcker einen Bächer Wein. „Hier nimm einen Schluck, Bruder.“
[Blockierte Grafik: http://s1.directupload.net/images/140914/o5ayno8p.gif] | Ashraf
Ashraf, noch ganz außer Atem, nahm den Becher gerne und trank. Dann bemerkte er endlich die Fremden, die ebenso wie er mit Wein versorgt worden waren. Erst dachte er sich nichts dabei, glaubte, es handele sich um Helfer für die Taberna. Doch dann fiel ihm auf, dass auch sie noch immer ihre Mäntel trugen… genauso wie jener Urbaner draußen.
„Aber wisst ihr was komisch ist?“, begann er, als er sich sicher war, dass diese Männer zu dem Urbaner gehörten. „Der Kerl da draußen trug gar keine Uniform… nur einen Mantel!“ So wie diese vier Fremden!
[Blockierte Grafik: http://s14.directupload.net/images/140909/92ffy7yt.gif] | Evander
Evander hatte sich ruhig verhalten, nachdem Elias, diese Fremden mit Wein versorg hatte. Ihm gefiel die ganze Sache überhaupt nicht. Sie stank zum Himmel! Am meisten aber ärgerte ihn, dass sein Freund Elias so fahrlässig war. Doch wenigstens gab es andere, die nicht so blind waren, wie er. Es freute ihn umso mehr, dass sich Narseh auf seine Seite geschlagen hatte. Der Perser war nicht so verweichlicht, wie manch anderer Bruder. Er konnte, wenn es hart auf hart kam, sich auch wehren.
Spätestens nach Ashrafs letzter Bemerkung aber, wusste Evander, dass es nun keine Zeit mehr zu vertrödeln gab. „Ja, komm! Lass uns die Frauen in Sicherheit bringen. In der Küche wird sich sicher auch ein Messer finden,“ flüsterte er und schob sich unbemerkt nach hinten, zur Küche zu. Von dort aus konnten sie sich später auch unbemerkt aus der Taberna hinausschleichen.