Beiträge von Iunia Sibel

    Mit Evanders zornigem Blick im Nacken und den missbilligenden Mienen der Männer, die nun jeden ihrer Schritte beobachteten, beschleunigte sie ihren Gang. Als jedoch unmittelbar vor ihr die Tavernentür aufgestoßen wurde und ein paar Männer eintraten, blieb sie schlagartig stehen und musterte die Hereinkommenden argwöhnisch. Anfangs hatte sie gefürchtet, sie hätte es hier mit einigen Freunden der bereits Anwesenden zu tun, die ihr am Ende noch Böses wollten. Doch diese hier schienen aus einem ganz anderen Grund hier zu sein. Schließlich blickte sie in das Antlitz ihres Anführers, der sie unvermindert anstarrte und dem es sichtlich schwer zu fallen schien, sein Augenmerk von ihr zu lösen, gerade so als habe er einen Geist erblickt. Doch auch Beroe ging es von diesem Augenblick an nicht anders.Bei diesem Anblick wurde sie in ihren Grundfesten erschüttert. Er ist es, er ist es wirklich, war ihr erster Gedanke. Doch wo war das vertraute Schwarz seiner Uniform geblieben? Und warum sagte er nichts? Wenn er es tatsächlich war, dann hätte er sie doch ansprechen müssen! Oder war dies gar ein Trugbild? Ihre Gedanken schienen ihr nur einen bösen Streich spielen zu wollen. Sie bildete sich das alles nur ein. Nur ein Trugbild, weiter nichts! Wieso sollte er hierher zurückkommen, in diesem Aufzug und in Begleitung dieser Männer? Dennoch entwich ein zarter sehnsuchtsvoller Hauch ihrer Kehle, als ob vielleicht doch noch eine Chance bestehen könne... „Aulus…“ Ihre traurigen Augen bekamen einen feuchten Glanz.
    Doch dann lösten sich seine Blicke von ihr und er wandte sich dem eigentlichen Grund seines Besuchs zu. Nun schien es sich doch zu bestätigen, dass alles nur Einbildung gewesen war. Auch wenn ihr die Stimme vertraut vorkam. Doch dieser Mann war nicht der, für den sie ihn irrtümlich gehalten hatte. Ihre Augen und nun auch noch ihre Ohren hatten sie genarrt, weil sie sehen und hören wollten, was aber nicht war, mehr nicht.


    Hinter ihr drang eine Stimme hervor, die an die Fremden gerichtet war. „Die Taberna ist geschlossen, das sieht man doch, oder?!“„Was wollt ihr von Mirjam?“, fragte eine andere Stimme misstrauisch. Indessen versuchte sich Beroe an den Fremden vorbeizuschieben, um eilig zur Tür hinauszustürzen. In diesem Haus war sie nicht mehr willkommen. Dies war ein anderes Leben, welches sie nun endgültig hinter sich gelassen hatte.


    Natürlich fiel ihr draußen nicht auf, dass die Tür der Taberna beobachtet wurde. Schnellen Schrittes versuchte sie, nur noch von hier Weg zu kommen. Doch sie kam nur bis zur nächsten Straßenecke. Dort blieb sie stehen und begann hemmungslos zu heulen.

    Die letzten Tage in den schützenden Wänden des Lupanars hatten der Lykierin gut getan. Ausreichend gutes Essen und Trinken, die Möglichkeit, sich täglich zu reinigen und viel Schlaf hatten Beroe schnell wieder zu Kräften kommen lassen. Wären da nicht ihre Alpträume gewesen, die sie des Nachts immer heimsuchten…


    Zumindest körperlich fit, verließ sie an diesem Morgen das "Aedes iste Laetitia", um ein wenig durch die Straßen des Viertels zu spazieren. Kaum zu glauben, dass sie wenige Tage zuvor noch im Staub der Straße um ihr Überleben bangen musste. Nun war sie ansehnlich gekleidet, hatte ein wenig Schminke aufgetragen und sich die Haare zu einer hübschen Frisur gesteckt. Ja, Beroe war endlich wieder auf der Glücksseite des Lebens angelangt. In wenigen Tagen schon würde sie wieder ihre Arbeit aufnehmen und dann ordentliches Geld verdienen, welches dann auch nur ihr allein gehörte. Dann müsste sie niemals wieder mehr die Sorge plagen, verhungern zu müssen. Dann konnte sie sich auch alles kaufen, wonach es ihr Herz gelüstete: Kleider, Schmuck, Schuhe und wieder Kleider und noch mehr Schmuck und Schuhe, bis ihre Truhe davon bersten würde. Ein schöner Gedanke, so fand sie. Doch was waren all diese schönen Dinge, wenn ihr Herz schwer war? Wie sollte sie jemals wieder wirklich glücklich werden, wenn ER nicht mehr da war? „Aulus!“, manchmal rief sie nachts seinen Namen, jedoch erwiderte niemand ihr Rufen in der Stille der Nacht.


    Tief in ihren Gedanken verwoben, achtete sie nicht mehr darauf, wohin ihr Weg sie brachte. Erst als sie recht unsanft von einem Rüpel angerempelt wurde, der sich im vorbeirennen zwar für seine Missetat entschuldigt hatte, sie aber trotzdem schier zu Fall gebracht hatte, erwachte die Lykierin wieder aus ihrem Tagtraum und konnte gerade noch so dem Rempler nachschauen, bevor er wieder in der Masse der Passanten untertauchte. Wenig später bekam sie es auch am eigenen Leibe zu spüren, warum jener wohl auf der Flucht war. Ein von Schweiß triefender Fettklops und drei seiner Männer, deren Aussehen auf nichts Gutes schließen ließ, hatten die Verfolgung aufgenommen. Japsend versuchte der Fette das Tempo mithalten zu können. Natürlich nahmen er und seine drei Schergen genauso wenig Rücksicht auf die Passanten, wie es zuvor der Verfolgte getan hatte.
    Der Fettwanst hatte sie schließlich seitlich getroffen. Der Aufprall war diesmal so heftig gewesen, dass Beroe zunächst ins Schleudern geriet und letztendlich stürzte. Da lag sie nun, im wqhrsten Sinne des Wortes zurückgekehrt in den Staub und Unrat der Straße. Leise fluchend rappelte sie sich schnell wieder auf und sah an sich herab. Oh nein, das schöne neue Kleid! Glücklicherweise hatte es den Sturz überlebt, doch schmutzig war es geworden. Da half es auch wenig, es mit hektisch anmutenden Handbewegungen reinigen zu wollen.


    Schmollend setzte sie ihren Weg fort und schwor sich, sofern sie einen von diesen Rüpeln noch einmal zu Gesicht bekommen sollte, ihnen eine ordentliche Standpauke zu halten. Jedoch, so fürchtete sie, würde Fortuna es ganz bestimmt nicht so weit kommen lassen.
    Nach einer Weile hatte sie die Gegend um den Circus erreicht. Viele Menschen kamen ihr entgegen, die offenbar auf dem Nachhauseweg waren. Kurzerhand entschloss sie sich dazu, mit dem Strom zu laufen, statt gegen ihn. Das war wesentlich einfacher und man wurde nicht noch einmal angerempelt.
    Als sie so vor sich her trottete und ihre Blicke schweifen ließ, erkannte sie plötzlich diesen unverschämten Kerl wieder, der ihr den ersten Rempler verpasst hatte. Wenn das nicht die Gelegenheit war, ihrer Wut Luft zu machen! Sie beschleunigte ihre Schritte, um näher an den Mann heranzukommen. Schließlich war sie direkt hinter ihm und packte ihn an der Schulter. „He du! Du dämlicher Kerl! Sieh an, was du vorhin angerichtet hast, als du mich angerempelt hast!“, rief sie und erregte dabei hoffentlich nicht nur seine Aufmerksamkeit, sondern auch der der vorbeilaufenden Passanten.

    Beroe schloss die Tür hinter sich. Dieses kleine Zimmer war ihr Reich, ihr Refugium, in das sie sich nach getaner Arbeit zurückziehen konnte. Nichts von der Welt da draußen drang hier hinein, wenn sie es nicht wollte. Hier fand sie Ruhe und Entspannung. Glückseligkeit… Zumeist genoss sie das Alleinsein, doch nachts, wenn es bereits ruhig im Haus geworden war und der Schlaf sich noch immer nicht einstellen wollte, da übermannte sie manchmal die Einsamkeit. Dann saß sie alleine in ihrem Bett mit all ihren Erinnerungen. Immer wieder sah sie sein Gesicht vor sich. Die starken maskulinen Züge, seine wundervollen braunen Augen, das dunkelbraune Haar, welches immer kurzgeschnitten war. Sie sehnte sich nach seinen Berührungen, nach seinem Duft, seiner Stimme. War sie damals glücklicher gewesen, als heute? Zwar hatte sie damals in Armut und in Furcht gelebt, doch sie hatte geliebt und diese Liebe war erwidert worden. Doch nun hatte sich alles geändert. Nichts, absolut gar nichts war ihr von ihm geblieben. Nur die Erinnerungen…


    Wenn die Müdigkeit sie dann schließlich doch überfiel und ihr die Augen zufielen, sank sie langsam in einen unruhigen Schlaf, der meist bis zum frühen Morgen anhielt. Dann begann wieder ein neuer Tag in ihrem neuen Leben, der stets mit Hoffnung beseelt war, dass irgendwann das Glück zu ihr zurückkehren würde.

    Einige Tage später, nach Evanders und Elias Besuch in der ehemaligen Taberna, hatte sich Sarah, Elias´ jüngere Schwester, mit einem Korb voller Lebensmittel auf den Weg zu den beiden Wirtsleuten gemacht. Ihr Bruder und dessen Freund hatten sich bei ihrem Besuch ein Bild von der desolaten Lage machen können, in der die beiden seit jener schicksalhaften Nacht vor einigen Wochen steckten. Noch am selben Tag hatten sich noch einige andere Männer der christlichen Gemeinde eingefunden, um die Taberna gemeinsam wieder auf Vordermann zu bringen. Simon und Mirjam sollten wenigstens wieder eine Existenzgrundlage haben, um ihr weiteres Leben einigermaßen bestreiten zu können. So wurde in der Taberna Trümmer beseitigt, gehämmert und gesägt, getüncht und geputzt. Nach und nach wurden aus dem Chaos, welches die Urbaner hinterlassen hatten, wieder ein ansehnlicher Schankraum und eine saubere Küche.


    Simon, der zwar anfangs nicht sehr aufgeschlossen gegenüber den Christianern war, hatte scheinbar seine Meinung geändert. Während seiner Zeit im Carcer waren es ausgerechnet die Christianer gewesen, die ihm trotz aller Brutalitäten, die man ihm angetan hatte, immer wieder Mut zugesprochen hatten. Eigens für ihn hatten sie nun eine einfache Kline mitten in den Schankraum gestellt, von wo aus er alle Arbeiten mit verfolgen konnte.


    Auch Mirjam schien durch diese unerwartete Hilfsaktion wieder neuen Mut schöpfen zu können, dennoch gab es etwas, was sie immer noch bedrückte - ihre Tochter Rachel. Doch in Gegenwart ihres Mannes traute sie sich nicht, darüber zu sprechen, schließlich hatte er ja damals Rachel verstoßen. Doch was Mirjam nicht ahnte, war dass er seine Tochter in jedem seiner Gebete mit bedachte.


    Sarah und Mirjam waren in der Küche verschwunden und bereiteten für die Männer einen großen Topf Puls vor. Sarah hatte frisches Gemüse und ein Stück Hammelfleisch vom Markt mitgebracht. Nun waren die beiden Frauen in ihrem Element. Lange hatte die Küche kein so fröhliches Geschnatter oder gar Gelächter gehört, wie an diesem Tag. So war es nicht verwunderlich, dass sie das Klopfen an der Tür nicht gehört hatten.
    Draußen im Schankraum jedoch verstummten die arbeitenden Männer, die sich zuvor ausgelassen miteinander unterhalten hatten. Alle Augen waren zur Tür gerichtet. Elias war es dann, der sie einen Spalt weit öffnete, um hinauszulugen. „Wer bist du? Und was willst du hier? Die Taberna ist geschlossen.“


    „Salve, ich bin Beroe. Ist Mirjam da?“, antwortete die Lykierin. Nachdem sie im Lupanar wieder zu Kräften gekommen war und ihr erstes Geld verdient hatte, war ihr erster Weg die kleine Taberna im Trans Tiberim gewesen. Elias blickte die Frau einen Moment lang forschend an. Schließlich ließ er sie ein. „Mirjam ist in der Küche.“ Die anderen Männer sahen der auffallend gut gekleideten Frau nach, die zielstrebig die Küche ansteuerte.


    „Mirjam…“ Beroe blieb im Türrahmen stehen und beobachtete die beiden Frauen. Sobald sie das Erscheinen der Lykierin wahrgenommen hatten, hielten sie in ihrem Tun inne und starrten die Frau in der Tür an. „Beroe!“, rief Mirjam entgeistert aus. Die Wirtin schien bereits in der Beroes Mimik lesen zu können, dass sie keineswegs mit guten Nachrichten kam. „Mirjam, es tut mir so leid, dass ich nicht früher kommen konnte“, begann Beroe. Sie fürchtete sich davor, Mirjam mit der bitteren Wahrheit konfrontieren zu müssen. „Hast du Neuigkeiten von Rachel? Geht es ihr gut? Ist sie gesund?“ Im Grund wusste Mirjam bereits die Antwort. Ihre Augen wurden feucht. Ein Zittern um ihre Mundpartie stellte sich ein. „Rachel und ich… wir waren bei dieser Versammlung… dann waren plötzlich überall die Urbaner. Sie haben uns verhaftet und in den Carcer gesteckt…“ Beroe brachte es nicht über sich, weiter zu sprechen, doch Mirjams fordernder Blick ließ ihr keine andere Wahl. Die Wirtin war inzwischen auf Beroe zugegangen. „Was ist mit meinem Kind? Ist sie noch am Leben?“
    „Sie hatten uns getrennt eingesperrt. Bis vor ein paar Tagen war ich im Carcer. Als sie mich frei ließen, sagten sie mir, Rachel sei…“ Beroe biss sich auf ihre Lippen. Am liebsten hätte es nicht ausgesprochen. „Ja…?!“ Mirjam begann die Lykierin zu schütteln, als wolle sie so die fehlenden Worte aus ihr herausbekommen. „Mirjam, Rachel ist gestorben.“ Tränen rannen inzwischen an ihren Wangen herab. Mirjam hingegen schien plötzlich wie versteinert zu sein. Ihre Augen waren weit aufgerissen und ihr Mund schien einen stummen Schrei ausstoßen zu wollen. Sarah trat neben die Wirtin und legte ihre Arme tröstend um sie. „Du solltest jetzt besser gehen!“, meinte sie, an Beroe gewandt. Die Lykierin nickte erschüttert und wollte sich zum Gehen umwenden, bevor sie jedoch einen Schritt vor den anderen setzten wollte, stellte sich ihr Evander in den Weg. Er, wie auch die anderen Männer, hatten das Gespräch mit angehört.
    „Soso, bis vor ein paar Tagen warst du also selbst noch im Carcer, ja?! Und dann haben sie dich in die diese feinen Klamotten gesteckt und dich laufen lassen.“ Unter den Männern bahnte sich ein unterschwelliges Murmeln an. „Lass sie, Evander!“, mahnte ihn ein Mann, dessen Name Phillipos lautete. „Wieso?“, entgegnete Evander. „Du bist doch die kleine Hure, die hier gearbeitet hat? Was haben sie dir gezahlt, damit du uns verrätst, hmm?“ Evander rückte der Lupa noch dichter auf die Pelle und packte sie schließlich an ihrem Arm.
    Beroes Trauer war nun voll der Angst gewichen. Hilfesuchend sah sie in die Gesichter der Männer, die sie mit verschlossener Miene anstarrten. „Mir hat niemand etwas gezahlt und ich habe auch niemand verraten. Hast du nicht gehört, sie hatten mich selbst für viele lange Wochen gesperrt. Das müsst ihr mir glauben!“, erklärte sich Beroe. Doch diese Antwort wollte Evander nicht einfach so gelten lassen? „Du lügst doch! Wie kommt es dann, dass du so gut gekleidet bist? Die Fummel müssen doch furchtbar teuer gewesen sein!“ Wieder zerrte er sie an ihrem Arm, so dass es Beroe weh tat. „Ich habe in einem Lupanar Arbeit gefunden. Die Kleider hat man mir überlassen,“ antwortete sie verzweifelt mit verzerrtem Gesicht.
    „Evander!“ mahnte diesmal eine andere, weitaus respekteinflössendere Stimme, die es schließlich bewirkte, dass Evander von Beroe abließ. „Dreckige Hure! Ich werde dich im Auge behalten.“ Beroes Herz wollte sich überschlagen. Als der Mann sie endlich losgelassen hatte, wollte sie sich an ihm vorbeischieben. Nur schnell weg hier, dachte sie sich. Doch sie kam nicht weit…

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    „Ich kann’s immer noch nicht glauben, dass Bruder Ioannis nicht mehr unter uns weilen soll,“ entgegnete Evander bedrückt. Zusammen mit Elias, seinem Freund und Mitbruder lief er durch die Straßen seines Viertels, um sich nach Neuigkeiten umzuhören. „Ja, er war ein so guter Mensch.“
    Evanders Fäuste ballten sich unmerklich. Er hasste es, einfach nur untätig herumzusitzen und zu warten, bis wieder ein Trupp Urbaner die Tiberbrücke überquerte um seine Leute aufzumischen. Wenigstens hatte der Rat dem Vorschlag zugestimmt, dass täglich ein paar Männer auf der Straße Patrouille liefen. Doch wenn es nach Evander gegangen wäre, hätte er noch viel mehr getan!
    „Und ich sage dir, wir sind verraten worden! Irgendjemand hat seine Klappe nicht halten können. Und wenn ich den in die Finger kriege, dann…“ Elias blieb abrupt stehen und sah seinen Freund beschwörend an. „Daran solltest du nicht einmal denken, Evander! Glaub mir, Rachegedanken bringen uns nicht weiter, sondern verursachen nur noch mehr Leid.“ Evander betrachtete seinen Freund, dann entspannte sich sein Körper wieder. „Du hast recht, Bruder, Rache bringt uns nicht weiter.“
    Die beiden setzten ihren Weg weiter fort und liefen eine ganze Weile still nebeneinander her. Doch in Evanders Kopf schienen sich die Gedanken weiter fort zu spinnen.
    „Ich habe gehört, dass an dem Abend, an dem die Razzia stattgefunden hat, ein paar Urbaner im ‚Silbernen Stern‘ gesehen worden sein sollen. Die sollen sich ganz angeregt mit dem Wirt und dieser Schickse, die bei ihm gearbeitet hat, unterhalten haben. Vielleicht sollten wir denen mal einen Besuch abstatten,“ platze es plötzlich aus Evander heraus. Elias zögerte einen Moment. Er kannte seinen Freund und wusste um seine Ungeduld. „Ich kenne Simon, den Wirt. Er wurde damals auch verhaftet. Im Gefängnis haben sie ihn zum Krüppel gemacht. Aber wir sollten ihm wirklich einen Besuch abstatten, um zu sehen, wie es ihm geht. Vielleicht können er und Mirjam unsere Hilfe gebrauchen.“, meinte schließlich milde lächelnd.
    Die beiden schlugen den Weg zur ehemaligen Taberna ein, die von außen inzwischen ziemlich heruntergekommen und verlassen wirkte. Doch im Inneren und in der Wohnung über ihr hausten noch immer der Wirt und seine Frau.

    Auch Beroe hatte sich für diesen Abend zurecht gemacht. Es war ihr erstes Auftreten im Lupanar. Ein wenig aufgeregt war sie gewesen, als sie die Tunika aus einem durchsichtigen Stoff überzog. Dieser ‚Hauch aus Nichts‘ sollte besonders die Reize der Lykierin hervorheben, ohne aber zu vulgär zu wirken. Ein wenig Schminke sorgte dafür, dass die Blasse aus ihrem Gesicht verschwand und ihre Lippen voll wirkten. Doch auch hier galt das Gebot, dass weniger oft mehr war.
    So verließ sie schließlich ihr Zimmer und schritt die Treppe herunter, gerade noch rechtzeitig, wie sich zeigte, denn die Gäste des heutigen Abends waren bereits eingetroffen und betraten nun das Atrium. Schließlich begab sich die Lykierin zu ihren Kolleginnen, die es sich bereits auf einigen Klinen bequem gemacht hatten, und wartete ab, was nun geschah.

    Sie wusste, Morrigan hatte recht. Es war töricht, sich nicht erst ein paar Tage zu schonen. Auch wenn sich Beroe nun schon besser fühlte und ein weitaus besseres Bild abgab, als noch wenige Stunden zuvor. Viel Schlaf und Ruhe würden ihr helfen, bald wieder auf die Beine zu kommen. Sie nickte ihrer Gönnerin freundlich zu und musste beinahe mit den Tränen kämpfen, als Morrigan von ihrem eigenen Reich sprach. Ein eigenes Zimmer!


    Greta, eine der Frauen, die gerade eben noch über ihr Erstaunen gelacht hatte, nahm sie bei der Hand und führte sie zu ihrem Zimmer. Sie war so unglaublich nett zu ihr, so dass sich Beroe, nachdem sie schließlich alleine in ihrem Zimmer saß, fragen musste, ob dies alles tatsächlich Wirklichkeit oder aber nur ein Traum war.

    Seitdem die Nachricht von der Hinrichtung des Christianerpredigers Ioannis die Runde im Trans Tiberim gemacht hatte, herrschte eine sehr angespannte Stimmung in der dortigen Christengemeinde. Offenbar hatte die Staatsmacht einmal mehr ein Exempel statuieren wollen, als sie ihn und einige seiner Getreuen, die vor etlichen Wochen bei einer Razzia festgenommen worden waren, entlang der Via Apia kreuzigen ließ. Die Botschaft war eindeutig gewesen, für alle, die jener östlichen Sekte angehörten: Rom würde jede noch so kleine Bemühung sofort im Keim ersticken, die in irgendeiner Weise nach Missionierung roch. Die Mehrheit der Gläubigen war sich darüber einig, dass dies die schärfsten Maßnahmen gegen sie seit Jahren waren und dass dies nur der Anfang einer noch viel schlimmeren Hetzkampagne war. Schlimme Zeiten würden über die Brüder und Schwestern im Glauben hereinbrechen. Große Angst, Fassungslosigkeit und auch Pessimismus machte sich daher unter ihnen breit. Manche sahen darin auch eine Prüfung, wie stark ihr Glaube wirklich war. Andere mussten resigniert feststellen, dass ihre Furcht größer war, als der Glaube an den gekreuzigten Gott aus Iudäa. Doch die, die glauben konnten, rutschten noch enger zusammen, halfen einander und trösteten jene, die zu zweifeln begannen. Gegenseitig bestärkten sie sich in ihren geheimen nächtlichen Treffen. Einige Männer hatten sich als Wächter angeboten, die die Augen und Ohren auf den Straßen des Trans Tiberims aufhalten sollten, um die Anderen im Notfall zu warnen….


    Wie durch ein Wunder war Simon den Henkersknechten entgangen. Nach einer wochenlangen Haft in der man ihn mehrmals der Folter unterzogen hatte, war der Wirt des 'Silbernen Sterns' einfach laufen gelassen worden. Der Kerker hatte ihn um Jahre altern lassen. Kaum noch zum Laufen fähig, hatte er es mit letzter Kraft zu der Insula im Trans Tiberim geschafft. Dort fristete er nun ein Schattendasein. Nie wieder würde er in seiner Taberna arbeiten können. Dafür hatte man im Carcer gesorgt.
    Mirjam, seine Frau, pflegte ihn. Sie hatte Gott gedankt, als er ihn lebend zu ihr zurückgeschickt hatte. Doch allabendlich sandte sie noch immer ihre Gebete zu ihm, damit er auch noch ihre Tochter nach Hause sandte.

    Plötzlich errötete Beroe, als die beiden anderen Frauen, die sich bislang eher zurückgehalten hatten, zu lachen begannen. Hatte sie etwa gerade etwas Falsches gesagt? Verschämt sah sie sich nachden beiden um. Die beiden wirkten sehr entspannt und sahen gepflegt aus. Solche Frauen standen nicht unter der Fuchtel eines unbarmherzigen Zuhälters, der ihnen das Letzte abforderte.
    Schließlich visierte sie aber dann wieder Morrigan an. Das Mädchen, dem sie eigentlich ihr Hiersein zu verdanken hatte, war inzwischen mit einem kleinen Paket zurückgekehrt. Vorsichtig, als sei etwas besonders Wertvolles darin, packte die junge Sklavin es aus. Beroe erkannte von ihrer Warte aus einen roten Stoff, welcher sich recht schnell als sehr elegante Tunika entpuppte.Anschließend konnte sie staunend miterleben, wie harmonisch, ja fast freundschaftlich das Miteinander zwischen Morrigan und der kleinen Sklavin war. Beroe war einfach nur noch sprachlos. Sollte sie, nach allem was sie an schrecklichen Dingen erlebt hatte, endlich einmal so etwas wie Glück gefunden haben? Ausgerechnet sie, deren bisheriges Leben ein einziges Trauerspiel gewesen war! Doch allmählich begann sie zu realisieren, dass ihr von nun an hellere Tage bevorstehen würden. Schließlich begann ihr Morrigan auch zu erläutern, wie ein solches Leben möglich war und Beroe hörte ihr gespanntt zu. Alle, die sie hier tätig waren, profitierten von ihrer eigenen Arbeit und konnten sich ein solches Leben leisten, weil sie alle zusammen standen. Und sie waren frei darin, selbst zu entscheiden… weil sie alle selbst einmal in Unfreiheit gelebt hatten. Hier war der Traum eines jeden Sklaven wahr geworden. Jenes sagenumwobene Land, in dem alle Sklaven frei und gleich waren, es existierte wirklich – ausgerechnet mitten in Rom!


    Morrigan kam auf sie zu und reichte ihr ihre Hand, um sie willkommen zu heißen. Beroe zögerte nicht lange und ergriff sie. Eine neue Familie! Allerdings keine familia, wie sie sie von der Villa Auria her kannte. Im Gesicht der Lykierin begann sich endlich ein zaghaftes Lächeln zu manifestieren. Vorsichtig stieg sie aus dem Wasser. Sie fühlte sich wie neu geboren und in gewisser Weise war es ja auch so. Sie genoss es, wie die beiden Frauen, die kurz zuvor noch über sie gelacht hatten, sie nun abtrockneten und sie anschließend mit einem duftenden Öl einrieben. Beroe musste sich vorkommen, wie eine dieser feinen Damen, die täglich die Thermen in Rom besuchten. Genau das, was sie sich doch immer gewünscht hatte. Und wieder schweiften ihre Gedanken ab, hin zu Avianus und ihr zweites Aufeinandertreffen, vor so langer Zeit.


    Schritt für Schritt war aus dem Häufchen Elend, das vor wenigen Stunden noch im Staub der Straße gesessen hatte eine junge hübsche und gutgekleidete Frau geworden. Beroe musste nur an sich herabschauen, um erkennen zu können, dass sie nicht wie damals bei Silanus wie eine billige Straßenhure aussah. Geduldig ließ sie sich nun auch noch frisieren. Sie konnte es kaum erwarten, sich in einem Spiegel zu sehen.
    „Du bist so gut zu mir! Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken kann. Sag, wann kann ich anfangen?“ Beroe spürte plötzlich den Drang, etwas tun zu wollen. Sie wollte endlich wieder etwas Geld in der Tasche haben. Nicht etwa um sich besondere Dinge leisten zu können. Nein, es gab da etwas, was sie unbedingt noch erledigen musste, etwas was ihr bewusst geworden war, nachdem man sie aus dem Carcer entlassen hatte…

    Das warme Wasser sorgte für Entspannung. Es öffnete die Poren der Haut und lockerte die Muskeln. So erschien es der Lykierin, der es bis dahin noch nie vergönnt war, in einem solchen Becken zu baden, als wollte all der Ballast von ihren Schultern und der Schmutz und der Unrat der letzten Wochen von ihr abfallen. Doch nicht nur die Annehmlichkeiten des Bades und der herbeigebrachten Speisen und Getränke waren es, die Beroe ein Wohlbehagen bescherten. Auch Morrigans Ausführungen über die Art und Weise, wie dieses Etablissement geführt wurde und welchen Stellenwert es anscheinend genoss, bei den reicheren und behobeneren Römern, ließ sie erstaunen. Eigentlich konnte sie es gar nicht wirklich glauben. Ein Betrieb dieser Art und alle Frauen, die ihre Dienste hier anboten, sollten dies ganz freiwillig tun? Das war geradezu revolutionär!
    „Du meinst, alle die hier arbeiten sind frei und dürfen ihren Verdienst auch behalten?“ , fragte sie sicherheitshalber noch einmal nach. Ihre Skepsis konnte die dabei freilich kaum verbergen. Irgendwo musste doch bei dieser Sache ein Haken sein. Vielleicht war es dieser ehemalige Gladiator, von dem Morrigan gesprochen hatte. Vielleicht musste man ihm einen Teil seines Verdienstes abtreten… und den Rest musste man wahrscheinlich dafür aufwenden, hier wohnen zu dürfen, so dass man am Ende wohl doch wieder mittellos war und es auch blieb.
    Wenn das Leben auf der Straße Beroe eines gelehrt hatte, dann war es, erst einmal misstrauisch gegen alles und jeden zu sein. Die Blauäugigkeit, mit der sie damals nach Rom gekommen war, hatte sie schnell wieder verloren. Man bekam nichts geschenkt. Alles, was nötig war zu überleben, musste man selbst aufbringen. Dennoch hatte sie es niemals bereut aus der Villa der Aurier geflohen zu sein. Denn nach dem Tod ihrer Domina hätte sie und die anderen Sklaven sicher nichts Gutes erwartet…


    Beore überlegte einen Moment, nachdem ihre Gedanken kurz abgeschweift waren. Die Frage ihrer Wohltäterin war gar nicht so leicht zu beantworten. Bisher hatte sich niemand darum geschert, ob sie etwas wollte oder nicht und Beroe selbst wusste es mit Sicherheit am wenigsten. Im Hause der Auria hatte sie es einfach über sich ergehen lassen, wenn die Gelüste des jungen Herrn sie als sein nächstes Opfer auserkoren hatte. Und auch später unter Silanus` Gewalt hatte sie ihren Körper verkauft, weil sie es musste. Offenbar aber schien ihr Gegenüber ihr Zögern richtig zu deuten: Die Überwältigung des freien Willens war einfach zu groß und zu ungewohnt, um sofort mit einer Antwort herauszuplatzen. Und so empfand es Beroe als sehr großmütig, als Morrigan ihr andeutete, dass sie auch einer anderen Beschäftigung nachgehen konnte und trotzdem fürs Erste hier bleiben konnte, wenn sie dies wünschte.
    „Ich glaube, ich werde es tun können,“ antwortete sie schließlich, nachdem sie lange, sehr lange überlegt hatte. Auch an Avianus hatte sie dabei wieder denken müssen, dem sie sie doch vor langer Zeit versprochen hatte, nur noch für ihn da zu sein. Bei dem Gedanken an ihn wurde ihr Herz schwer. Sie liebte ihn doch noch immer, auch wenn er sich nun von ihr abgewendet hatte und unerreichbar für sie war. „Ich weiß, wie man einen Mann umgarnt und ihn glücklich machen kann. Dabei sind mir vielerlei Spielarten bekannt.“ Ab und an hatte dies auch schon ihr Leben gerettet, wobei sie von ihrer Arbeit auf der Straße auch anderes gewohnt war. Hier hatte nur die 'schnelle Nummer' für wenig Geld gezählt. „Und du kannst dich auf mich verlassen. Ich werde immer ehrlich zu dir sein.“ Daraufhin nahm auch sie einen Schluck von dem Wein, der zuerst die Geschmacksknospen in ihrem Mund entzückte und dann wohlig die Kehle hinunter rann.

    Zitat

    Original von Morrigan


    ...
    „Greif zu, und dann erzähl mir wo du herkommst und was du vorher so gemacht hast.“ sagte Morrigan schließlich. Zum einen wollte sie wissen, mit wem sie es zu tun hatte und zum andere wollte sie wissen, wie viel Erfahrung die Frau hier vor ihr schon hatte, damit sie abschätzen konnte wie viel man ihr noch beibringen müsste und was...


    Beroe war ihr gefolgt. Ihre Wohltäterin hatte sie bei der Hand genommen und gemeinsam waren sie zu dem nahegelegenen Lupanar gegangen, welches von außen doch recht unscheinbar wirkte. Allerdings änderte sich das schlagartig, als sie das Innere betraten. Das "Aedes iste Laetitia" war keine billige Absteige und meilenweit von dem entfernt, was die Lykierin bisher gewohnt war. Alles war sauber und ordentlich und auch das Atrium, in das sie geführt wurde war mit der Hingabe zum Detail eingerichtet worden. Mit offenem Mund sah sie sich erst einmal staunend um und konnte es einfach noch immer nicht glauben.
    Dann fiel ihr Blick auf die Anwesenden, bei denen es sich zweifelsohne um die Belegschaft des Etablissements handeln musste. Ein wenig unbeholfen nickte sie den Frauen zu, während die Verwalterin bereits an zwei der Frauen Anweisungen gab, ihrem Neuzugang ein Bad einzulassen. Ein Bad – nur für mich, dachte sie. Nein, das kann doch nicht sein! Sicher nur ein alter schäbiger Bottich. Ein wenig ungläubig sah sie den beiden Frauen nach, als sich diese sofort auf den Weg machten.
    Ein gutaussehender junger Mann erhielt den Auftrag, in der Culina einen Imbiss zu richten. Noch ehe sie sich darüber wundern konnte, wurde sie weiter mitgezogen, vorbei an den einzelnen Zimmern, in die sie einen flüchtigen Blick werfen konnte. Schließlich stand Beroe inmitten des Balneums. Auch hier hatte man nicht an der Ausstattung gespart: Der Boden war mit Mosaiken verziert war und an dessen Wänden erkannte man anmutige Fresken aus der römischen Mythologie. Statt des erwarteten Bottichs fand sich dort ein beachtliches Becken, welches mit warmem Wasser gefüllt war das ungefähr bis zur Brust reichte, sobald man hineingestiegen war. Um das Becken herum standen einige Klinen.
    Der Duft eines verführerischen Öls drang in Beroes Nase, als man sie entkleidete. Sie sog ihn ein und schloss dabei die Augen. Wenig später tauchte sie in das angenehm warme Wasser ein. Sofort tauchte sie einmal kurz unter. Ach, wie herrlich war das denn!


    Inzwischen war auch der junge Mann mit einem Tablett voller Leckereien erschienen und stellte es auf einem kleinen Tischchen in Beckenrandnähe ab. Ihre Wohltäterin hatte es sich bereits auf einer Kline bequem gemacht und beobachtete sie. Sie ermunterte sie, doch zuzugreifen, was die Lykierin dann auch tat. Auch wenn der Hunger groß war, versuchte sie langsam zu essen und nichts zu überstürzen. Schließlich hatte ihr Körper die letzten Wochen auf Sparflamme gelebt.
    „Ich komme ursprünglich aus Myra. Das ist eine Stadt in Lykien. Aber durch ein großes Unglück geriet ich als Kind in Sklaverei,“ begann sie schließlich. Irgendwie spürte sie wohl, dass sie der Frau vertrauen konnte, obwohl sie noch nicht einmal ihren Namen kannte. Deshalb wahrscheinlich erzählte sie ganz ungehemmt weiter. „Man brachte mich in den Süden Italias, wo ich fast mein halbes Leben in einer Villa in Misenum verbrachte. Meine Domina und mein Dominus dort waren streng und es war nicht immer einfach. Doch die Folgen des Bürgerkriegs brachten mir schließlich die Freiheit und ich beschloss, nach Rom zu gehen, weil ich ja sonst niemanden mehr hatte.“ Beroe ließ doch lieber die Umstände ihrer „Befreiung“ etwas im Dunkeln, denn im Grunde war sie ja trotzallem noch immer eine geflohene Sklavin. „Als ich hier ankam, merkte ich recht schnell, dass es für eine Frau wie mich nicht sehr einfach sein würde, den Lebensunterhalt zu verdienen und so geriet ich an einen sehr gewalttätigen Bordellbesitzer, der mich wie seine Sklavin behandelte. Ich musste für ihn auf der Straße anschaffen gehen…“ Aber zum Glück hatte es damals Avianus gegeben, der sie von Silanus befreite und ihr die Aussicht auf ein besseres Leben geschenkt hatte. Voller Sehnsucht versuchten ihre Gedanken abzudriften, bis sie sich eingestehen musste, dass es den jungen Pretorianer für sie nicht mehr gab. Er war gegangen und nicht mehr zurückgekehrt, vielleicht sogar tot. Und wenn nicht, dann hatte er sie längst vergessen.
    „Vor etlichen Wochen dann wurde ich von den Urbanern aufgegriffen und landete im Carcer. Erst gestern haben sie mich laufen lassen und nun bin ich hier.“

    Aber diese Frau war anders, ganz anders, als man es in diesem Metier gewohnt war. Gutmütig war wohl das richtige Wort, um es zu umschreiben. Spätestens als sie sich neben sie kauerte, glaubte Beroe zu spüren, dass sie es gut mit ihr meinte. Die letzten Wochen waren die schlimmsten in ihrem Leben gewesen. Sie war durch den Tartaros gegangen und ihm letztlich nur durch Verrat entkommen. Ausgerechnet an dem einzigen Menschen, dem sie so viel bedeutet hatte und den sie noch immer liebte von ganzem Herzen liebte, hatte sie sich in solch infamer Weise schuldig gemacht! Warum also um alles in der Welt sollte es jetzt jemand mit ihr gut meinen? Dabei sehnte sich ihre verletzte Seele doch nach etwas Menschlichkeit.


    „Beroe…“ antwortete sie nach einer Weile. Die Lykierin schien sich nun doch auf ihre Helferin einlassen zu wollen. „So haben mich die Römer genannt. Aber mein richtiger Name ist Sibel.“ Beroe ergriff die Hand der Frau und richtete sich ebenfalls auf, bis sie in all ihrem Elend vor ihr stand. Abgemagert, schmutzig und auch ihre Tunika hatte wahrlich bessere Tage gesehen. Doch dieser triste Anblick schien ihr Gegenüber von ihrem Vorhaben nicht abschrecken zu wollen. Sie schickte das Mädchen mit einigen Münzen los, um eine neue Tunika für sie zu besorgen. Dann wandte sich die Frau wieder zu ihr. Ihre Worte, die sie an sie richtete, waren wie heilender Balsam. Ein Bad, etwas zu essen, neue Kleidung und etwas Ruhe. Das klang zu verlockend. Sie fragte sich, ob sie träumte oder bereits vor Hunger halluzinierte. Aber nein, die Frau stand tatsächlich vor ihr und stellte ihr eine Frage, die eigentlich nur eine rhetorische sein konnte.
    „Ja, gerne!“, hörte sie sich sagen.Die Lykierin musste mit den Tränen kämpfen. Nach allem was sie erlebt hatte, war diese Wendung so unglaublich, fast surreal.

    Selbst im Nachhinein hatte es sich die Lykierin nicht erklären können, weshalb der Zwerg nicht einfach weitergegangen war. Er verweilte noch einen Moment bei ihr. Seine überheblich anmutende Geste schien mehr eine Art Genugtuung für ihn zu sein. Ganz zu schweigen von seinem Angebot, welches er‚ Beroe unterbreitete: Ein paar Tage Arbeit in der Casa Iulia. Das würde ihr wieder etwas Geld in den leeren Lederbeutel bringen… und vielleicht konnte sie dort in der Culina auch ein wenig Essbares abstauben.
    „Du bist so großzügig! Vielen Dank! Ich werde bestimmt in der Casa Iulia vorbeischauen!“ Endlich wieder erschien ein Lächeln auf ihrem Gesicht. Die Götter hatten sie doch nicht vergessen…oder etwa doch? Kaum war der Zwerg weitergegangen, begannen plötzlich wieder die Zweifel an ihr zu nagen. Casa Iulia… Iulia… Tribunus Iulius… Sie konnte sich natürlich täuschen. Vielleicht war es ja nur ein dummer Zufall und der Tribunus Iulius, mit dem sie erst einen Tag zuvorzu tun hatte, hatte gar nichts mit eben dieser Casa Iulia zu tun. Iulier gab es sicher wie Sand am Meer…


    Als Beroe schließlich noch weiter grübelte, war ihr gar nicht aufgefallen, dass die nette Frau und das Mädchen, die ihr das Gebäck geschenkt hatten, wieder zurückgekommen waren und nun vor ihr standen. Ihr „He du“ brachte die Lykierin schließlich wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Etwas überrascht blinzelte sie die Frau an. „Im Lupanar arbeiten?“ Den halben Morgen hatte sie sdich die Füße platt gelaufen und war von Lupanar zu Lupanar gezogen, um nach Arbeit zu fragen. Überall hatte man ihr gesagt, sie sei nicht gut genug, zu hässlich, zu abgemagert. Und als sie nun hier saß, kam sozusagen das Lupanar zu ihr. „Du hast wirklich Arbeit für mich… und nicht nur für ein paar Tage? Gehört dir das Lupanar etwa?“ Noch wollte sie vorsichtig sein. Erst einmal hören, was die Frau so erzählte, bevor sie vielleicht wieder an jemanden wie Silanus geriet.

    Anfangs fand das Häufchen Elend, welches am Straßenrand saß und bittend ihre Hand hob kaum Beachtung. Fast schon resignierend sank die Hand langsam wieder nach einer Weile. Es war schon schlimm genug, überhaupt hier sitzen zu müssen und auf ein Almosen zu hoffen. Alles schien sich gegen Beroe verschworen zu haben. Die Lykierin begann sich schon einzureden, all ihr Unglück sei darauf zurückzuführen, weil sie ihr Versprechen gegenüber Avianus gebrochen hatte. Wenn ein Leben wie dieses der Lohn für ihren Verrat war, dann war sie einem großer großen Täuschung aufgesessen. Wäre sie doch besser im Carcer verrottet! Dabei wünschte sie sich nichts sehnlicheres, als dass Avianus hier plötzlich vorbeikäme und sie noch ein letztes Mal rettete. Aber diesem Tag kam er nicht vorbei, um sicher auch an keinem anderen Tag mehr.
    Stattdessen blieben aber eine Frau und ein Mädchen bei ihr stehen, die kurz zuvor die nahe Bäckerei verlassen hatten. Die Frau reichte ihr ein verführerisch duftendes Gebäck, welches sie eben gerade erst gekauft haben musste. „Danke, Herrin,“ erwiderte sie auf diese freundliche Geste. Beroe sah auf zu ihr und für einen kurzen Moment glaubte sie, die Frau irgendwann schon einmal gesehen zu haben. Doch bevor sie diesen Gedankenfaden weiter spinnen konnte, näherte sich ihr ein kleinwüchsiger Mann – ein Sklave wahrscheinlich. Der Zwerg, der aufgrund seines Aussehens tagein tagaus wohl auch viel Spott einzustecken hatte, blieb bei ihr stehen und gab ihr eine Münze. Auch wenn es sich „nur“ um ein Stück Gebäck und ein As handelte, was er ihr die beiden Fremden zugesteckt hatten, war sie doch sehr dankbar dafür. „Danke… vielen Dank! Vielleicht kann ich es eines Tages wieder gut machen,… in welcher Form auch immer, “bedankte sie sich bei ihren beiden Wohltätern.

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    Notdürftig hatte sie sich ihr Gesicht an einem Brunnen abgewaschen, so dass wenigstens der gröbste Schmutz weg war. Allerdings machte die abgemagerte und ungepflegt wirkende Frau in ihrem roten Kleid nicht wirklich viel her. Im Grunde passte ihr die Tunika gar nicht mehr richtig. Und auch ihre Haare hätten eigentlich einer intensiven Pflege bedurft. In ihren Augen spiegelte sich große Trauer und Hoffnungslosigkeit. Dennoch hatte sich Beroe bereits am frühen Morgen auf den Weg gemacht, auf der Suche nach Arbeit und vielleicht einem Stückchen Brot gegen das nicht enden wollende Magengrummeln.
    Ihr erstes Ziel waren die bekannten Plätze, an denen sie früher schon gearbeitet hatte. Jedoch schien das Glück an diesem Tag nicht mit ihr zu sein. Wer wollte auch schon etwas mit einer solchen traurigen Gestalt wie ihr zu tun haben, die in jeglicher Weise auf den Hund gekommen war? Mal abgesehen von ihrem Äußerlichen war wohl die Angst ihrer potentiellen Kunden vor etwaigen ansteckenden Krankheiten doch viel zu groß.


    Ihre letzte Hoffnung waren dann noch einige Lupanare, von denen es Dutzende in der Subura gab. Nicht aber etwa die feinen überteuerten Etablissements, die ihre Kundschaft meist in der oberen Mittelklasse fand. Nein, es waren die einfachen Freudenhäuser gewesen, an deren Türen sie sich anbot und. Dort wo man für ein kurzes Vergnügen und wenig Geld mit einer Lupa in einer schmuddeligen stickigen Zelle verschwinden konnte. Aber auch dort wollte sie niemand haben.


    Vor Erschöpfung und Hunger sank sie an einer Häuserwand nieder. In der Hoffnung, dass ihr vielleicht jemand etwas zusteckte, hob sie ihre Hand und begann zu betteln.

    Als das Tor sich hinter ihr schloss, stand sie endgültig vor dem Nichts. Es gab niemand mehr, der ihr helfen konnte, keinen Ort, wohin sie hätte gehen können. Nichts. Wie betäubt setzte sie einen Schritt vor den anderen und begann ziellos loszulaufen. In ihrem jämmerlichen Aufzug erregte sie die Aufmerksamkeit einiger Passanten, die sich angewidert und Nase rümpfend nach ihr umdrehten. Beroe aber schien das nicht zu wahrzunehmen. Doch irgendwann meldeten sich die grundlegendsten Bedürfnisse, die sie innehalten ließ: Durst, Hunger und wundgelaufene Füße.
    Mit letzter Kraft schleppte sie sich zu einem Brunnen. Hastig trank sie von dem fließenden Wasser und wusch dann ihre Füße. Neben dem Brunnen blieb sie schließlich sitzen und grübelte über die Hoffnungslosigkeit ihres Seins nach. Wohin sollte sie nur gehen? Zu Simon und Mirjam, um ihnen vom Tod ihrer Tochter zu berichten? Zu Silanus, um voller Reue wieder zu ihm zurückzukehren und sich schlimmstenfalls töten zu lassen? Zu Avianus, den sie vor einigen Stunden erst verraten und kompromittiert hatte?


    Noch bevor die Sonne untergegangen war, hatte sich Beroe auf den Weg zum Aventin gemacht. Es waren viele Monate vergangen, seitdem sie zum letzten Mal diesen Weg eingeschlagen hatte. Doch die engen Straßen und dunklen Ecken waren ihr noch wohlvertraut. Je weiter sie sich der Casa Ogulnia näherte, umso größer wuchs ihre Angst. Sie erwartete von Silanus keine Gnade, nicht nachdem was geschehen war. Sollte er sie doch töten. Oder falls er sie doch leben ließ, würde sie wieder für ihn arbeiten. Sie war eben eine Lupa und würde es auch immer bleiben. Ganz gleich, was andere sagten.


    Vor ihr erschien langsam die Casa. Das Haus war, seitdem sie zum letzten Mal hier gewesen war, noch weiter heruntergekommen. In einem Teil des Daches klaffte ein großes Loch. Alle Fenster waren mit Brettern verbarrikadiert. Nur an der Tür schienen einige Bretter entfernt worden zu sein, damit man sich trotzdem Einlass verschaffen konnte.
    Bevor Beroe die Casa betrat, sah sie sich noch einmal verstohlen um. Doch von den wenigen Leuten, die um diese Zeit noch unterwegs waren, nahm niemand Notiz von ihr.
    Im Innern des Hauses herrschte Chaos. Dem Schmutz und den Spinnenweben nach zu urteilen, war die Casa war seit längerer Zeit nicht mehr bewohnt gewesen. Außerdem hatte hier jemand ganze Arbeit geleistet und alles, was noch einigermaßen heil gewesen war, zertrümmert. Beroe sah sich um und hoffte, doch noch etwas Brauchbares zu finden. Aber in der einstigen Culina waren keine Vorräte mehr versteckt. In dem Raum, in dem einst das Bett gestanden hatte, fand sie unter den Trümmern der Möbel eine ihrer alten Tuniken, die ihr Silanus einst gekauft hatte. Erschöpft ließ sie sich nieder und schlief ein, als die Müdigkeit ihren Hunger endlich besiegt hatte.


    Die ersten Strahlen des neuen Morgens weckten sie. Silanus war nicht mehr da und hier konnte sie auch nicht bleiben. Bevor sie zum letzten Mal die Casa Ogulnia verließ, streifte sie ihre zerrissene alte Tunika ab, die immer noch nach Carcer roch und kleidete sich mit jener Tunika aus rotem Stoff, die wenig Zweifel offen ließen, welcher Tätigkeit ihre Trägerin nachging.

    Beroe starrte ins Nichts. Wie tief konnte man denn noch sinken? In dem Moment, als sie Avianus´ Namen über ihre Lippen gebracht hatte, hatte sie nicht nur ihn verraten. Nein, sie hatte all das, was sie für ihn empfunden hatte, verraten… nur um dann aus diesem finsteren Loch herauskriechen zu können und um dann feststellen zu müssen, dass es nichts mehr gab da draussen. Sie verabscheute sich selbst dafür. Dennoch riss die erschrocken die Augen auf, als der Tribun nach der Wache rief. Zu tief saß ihre Angst und zu groß war ihr Misstrauen gegen jeden.


    Ein junger Urbaner erschien daraufhin. Beroes Herz schlug schneller und schneller. Doch der Tribun hielt Wort und ließ sie tatsächlich gehen. Gänzlich verwundert sah sie sich um, ob sie nicht doch einer Finte aufsaß. Aber nein, sie durfte wirklich gehen. Zögerlich erhob sie sich, weil es noch immer nicht richtig glauben konnte. „ Äh, vale“, entgegnete sie verhalten und folgte dem jungen Soldaten, der sie zum Hintertor brachte und dort entließ.


    Sim-Off:

    Klar doch! :D Macht's gut, und danke für den Fisch!:wink: