Beiträge von Iunia Sibel

    Die Soldaten hatten wenig Rücksicht genommen, als sie Rachel und Beroe die Ketten anlegten. Niemand half der Verletzten beim Aufstehen, die vor Schmerzen schrie, als man sie fort zerrte. Beroe versuchte, sie zu stützen, so gut es eben ging. Jedoch erwiesen sich die Ketten dabei als sehr hinderlich. Sie redete der Freundin gut zu, sie solle durchhalten, sicher seien sie bald da. Dabei hatte Beroe selbst keine Vorstellungen davon, wie weit es zur Castra eigentlich war.


    Neben den beiden Frauen hatten die Urbaner auch Ioannis, den Prediger und einige andere Männer und Frauen aus seinem Umfeld festgenommen. Einige der Frauen jammerten und weinten.
    Beroe hingegen hatte keine Tränen mehr. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, Rachel mit sich zu schleppen, da sie kaum noch selbständig gehen konnte. So kam ihr auch gar nicht der Gedanke, zu hinterfragen, was mit ihnen geschehen würde. Wie lange man sie einsperrte und ob sie je wieder heil den Carcer verlassen konnten.


    Langsam verließen Beroe die Kräfte. Ihre Beine knickten ein, als sie wegen der Ketten erneut stolperte. Mitsamt der Freundin fiel sie zu Boden und versuchte sich erfolglos wieder aufzurichten. Sie wusste, dass sie keine Hilfe zu erwarten hatte. Als sie dennoch hilfesuchend nach oben blickte, erkannte sie den netten Urbaner wieder, der ihnen seine Hilfe angeboten hatte. Doch seitdem hatte sich ihre Situation grundlegend geändert.

    Der Urbaner stand inzwischen wieder auf seinen Füßen und hatte sich über sie gebeugt. Er schlug sie so fest, dass ihre Wange wie Feuer brannte. Um weiteren Schlägen auszuweichen hob Beroe schützend ihre Hände vor sich. Doch es folgten keine Schläge mehr. Stattdessen packte er sie bei den Haaren und zog sie mit sich. Beroe schrie, jammerte und bettelte, er möge doch von ihr ablassen. Der Urbaner aber war gnadenlos. Auf den Knien rutschte sie hinter ihm her und versuchte immer wieder aufzustehen, was allerdings fas unmöglich war. Schließlich stieß er sie zu Boden, wo sie neben Rachel liegen blieb um leise wimmerte.
    „Was ist passiert, Beroe“, fragte ihre Freundin besorgt und sah dann zu dem Wachsoldaten nach oben, der mehr als wütend aussah und seinen Männern befahl, sie mit zu Castra zu nehmen. „Aber du hast uns doch versprochen, dass wir gehen dürfen, wenn…“ , begann Rachel entrüstet zu protestieren, dann aber verstummte sie. Sie sah zu ihrer Freundin hinüber und sie verstand. So warteten die beiden Frauen, bis man sie von hier wegbrachte.

    Beroe hatte es fast schob geschafft. Auch wenn die Knie schmerzten, versuchte sie sich aufzuraffen. Doch dann spürte sie die Hand des Urbaners, dem ihr Tritt ins Unterleib wohl weniger zu schaffen gemacht hatte, als ihr lieb sein konnte. Er griff nach ihrem Knöchel und zog sie zurück. Wieder stürzte sie und schrie vor Schmerz auf. Mit dem freien Fuß versuchte sie nach hinten zu treten.
    „Lass mich, du Schwein!“, rief sie ihm zu. Sein wutverzerrtes Gesicht ließ vermuten, dass er nichts Gutes im Schilde führte, sollte sie ihm in die Hände fallen.
    Der Urbaner jedoch erwies sich als stärker und konnte sich erfolgreich ihrem Widerstand erwehren. Die Lykierin kämpfte mit letzter Kraft. Sie schlug noch um sich, als sie bereits direkt vor ihm lag, auch wenn es aussichtslos war. Zitternd vor Wut aber auch vor Angst, gab sie schließlich auf. Der Schmutz in ihrem Gesicht hatte sich mit den herabrinnenden Tränen auf ihren Wangen vermischt. Ihre aufgerissenen Augen musterten den Urbaner und jede seiner Bewegungen. Sie machte sich keine Illusionen, dass er sie jetzt noch immer einfach so gehen lassen würde.

    Der Urbaner trat ganz nah an sie heran. Sie spürte seinen Atem auf ihrer Haut. Ungestüm betatschten seine Hände ihren Körper. Gierig zerrte er an ihrer Tunika und begann sie nach oben zu schieben, damit er sich das nehmen konnte, was ihm seiner Meinung nach zustand. Beroe ließ alles über sich ergehen. Sie versuchte, alles aus ihren Gedanken zu verdrängen was ihr wichtig war – Avianus, das Versprechen, welches sie ihm gegeben hatte und gerade zum zweiten Mal brach, eine bessere Zukunft, die mit jedem weiteren Atemzug in unerreichbare Ferne rückte. „Du musst das nicht tun, Beroe!“ hatte ihr Rachel zugeflüstert und dies echote nun in ihrem Kopf.
    Sie musste das nicht tun, sagte sie zu sich selbst. Im gleichen Augenblick rammte sie dem Urbaner mit voller Wucht ihren Oberschenkel zwischen die Beine. Dies sollte genügen, um sich aus seinen Klauen zu befreien.


    Jetzt musste alles schnell gehen. Sie rannte, so schnell sie konnte. Beinahe hätte sie es geschafft. Dort vorne kauerte noch immer Rachel auf dem Boden. Zusammen mit ihr musste sie sich nun schleunigst aus dem Staub machen. Doch ihre offene Tunika machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Sie stolperte und fiel der Länge nach hin. Ihre aufgeschlagenen Knie bluteten. Aber das war nun völlig unwichtig. Sie musste hier weg!

    Beroe sah nicht gerade erfreut aus, als er nicht voll und ganz auf ihren „Preis“ eingehen wollte. Ihr Widerwille wuchs, dennoch entschied sie, mit ihm zu gehen.
    „Gut, dann lass uns gehen.“ Sie ging voran, suchte einen geeigneten Platz, der etwas abseits vom Geschehen war und wo sie ungestört waren.
    Schließlich fand sie einen. Sie öffnete ihre Tunika, so dass er einen Blick auf ihren Körper werfen konnte. „Bitte, bedien dich!“ Gleichgültig bot sie sich an und versuchte, seinem Blick auszuweichen.

    Ihr wurde fast übel, als er ihr antwortete. Sie sollte für ihrer beider Freiheit arbeiten, ansonsten würde er sie beide mit in die Castra nehmen und einsperren. Sie traute dem Kerl sogar zu, dass er sich irgendwelche Anschuldigungen gegen sie aus den Fingern sog, nur um ihnen zu schaden. Wieder einmal fühlte sie sich in die Ecke gedrängt, so dass es keinen Ausweg für sie gab.
    Ihr Blick ging noch einmal hinunter zu der Freundin, die sich vor Schmerzen am Boden zusammengekrümmt hatte. „Du musst das nicht tun, Beroe“, flüsterte sie. Doch die Lykierin schüttelte nur kurz ihren Kopf und wandte sich wieder dem Urbaner zu. „Na gut, du wirst uns aber wirklich dafür gehen lassen und sorgst dafür, dass sie von einem Arzt behandelt wird!“, antwortete sie ihm schließlich.

    Mit einem entgeisternden Blick musterte Beroe ihre Freundin. Mit ihrem Geständnis hatte sie sie gerade direkt in den Kerker der Castra verfrachtet. Diesen Urbanern war es doch ganz gleich, ob es nun verboten oder erlaubt war, Christ zu sein. Wie sie erwartet hatte, dauerte es nicht lange, bis schließlich der Urbaner sich eine plausible Geschichte ausgedacht hatte, weshalb er sie beide festnehmen konnte. Und schließlich, was wohl Beroe am meisten traf, hatte Rachel sie soeben als Lügnerin entlarvt.
    Die Röte schoss in Beroes Wangen. Sie wusste nichts mehr darauf zu sagen. Am besten sagte sie auch gar nichts mehr.
    Und Rachel? Sie vermied es, Beroe auch nur anzusehen. Sie sah darin für sich ein Prüfung, der sie sich stellen musste. Wie stark war ihr Glaube und wie weit würde sie dafür gehen?


    Doch Beroe horchte auf, als der Urbaner scheinbar doch Gnade vor Recht walten lassen wollte. Allerdings war ihr ziemlich schnell klar, dass er das nicht umsonst tun würde und worauf der Urbaner letztlich abzielte. Natürlich wollte sie nicht den Kerker der Castra von innen erleben, aber sie hatte es auch satt, sich ständig ausbeuten zu lassen. Sie hatte doch Avianus versprochen, damit aufzuhören. Vor ein paar Stunden erst hatte sie es getan, weil sie das Geld brauchte. Danach hatte sie sich schrecklich gefühlt. Nun hing ihre Freiheit davon ab, weil sie sich schon wieder selbst in Schwierigkeiten gebracht hatte.
    „Was.. was sollen wir dir denn bieten?“, fragte sie schließlich eingeschüchtert.

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    Mirjam


    Mirjam starrte ins Gesicht des jungen Römers. Ob sie in diesem Augenblick seine Verzweiflung erkannte? Genauso wenig wie sie, war auch er nicht der Retter in der Not. Auch ihr flehender Blick, das Jammern und Schluchzen hatte nicht geholfen. Er löste sich aus ihrem Griff und ließ sie zurück. Sein Dank wirkte auf sie wie ein Hohn. Ein Tritt, der sie zurück in ihr Elend schleuderte. Die Münzen, die er zurückließ, würde sie nicht anrühren. Stattdessen schaute sie ihm jammernd nach und verfiel dann wieder in ihr unverständliches Kauderwelsch.
    Dann war er fort.

    Beroe war sich nicht sicher, ob der Urbaner ihr glaubte. Er drückte sich so seltsam aus… Allerdings wenn sie jetzt einknickte und ihre eigene Geschichte zum einstürzen brachte, war alles aus. Vor allem aber war es wichtig, dass Rachel sich ruhig verhielt.
    Aber als ob der Urbaner ihre Gedanken lesen konnte, traf sie seine nächste Frage mit voller Wucht. Jetzt durfte sie sich unter gar keinen Umständen etwas anmerken lassen.
    „Nein, wie kommst du drauf? Wieso sollten wir Christen sein? Nur weil diese zwei Knalltüten und hierher gebracht haben?“ Beroe versuchte ihn mit allen Mittel vom Gegenteil zu überzeugen.
    „Und außerdem… wenn eine von uns Christin wäre, was aber, wie ich ja schon sagte, nicht der Fall ist… dann wäre doch auch nichts dabei. Ist doch nicht verboten, soviel ich weiß… Oder?“ Die Lykierin wirkte etwas fahrig und versuchte dies mit einem Grinsen wieder wettzumachen.
    „Ich… ich bin Christin…“ hauchte Rachel neben ihr plötzlich. Das Grinsen verschwand sofort aus Beroes Gesicht.

    Das war ungeheuerlich, was ihr Rachel soeben gebeichtet hatte. Beroe stand der Schrecken noch im Gesicht. Erst recht als plötzlich der Urbaner vor ihnen stand und sie zu allem Übel auch noch ansprach.Jetzt hieß es nur, einen kühlen Kopf zu behalten. Sie hoffte nur, ihre Freundin würde nicht den Drang verspüren, ihre „Neuigkeiten“ auch mit dem Urbaner zu teilen, sonst würde es vielleicht doch noch schlimm für sie ausgehen.


    Bevor Rachel also etwas einwenden konnte, erhob sich Beroe ganz selbstbewusst, um ihm zu antworten. Sie versuchte dabei so locker wie möglich zu wirken. „Ja, das stimmt. Diese zwei Kerle haben uns einfach mit hierher geschleppt… und wie´s aussieht, haben sie sich aus dem Staub gemacht.“ Nicht im Traum dachte sie daran, dass der Urbaner vielleicht diese Situation ausnutzen könnte.

    Natürlich hatte sie keine Antwort auf ihre Frage erwartet. Dass sie dennoch kam, überraschte sie. Rasch sah sich Beroe nach dem Soldaten um, der ihr geantwortet hatte. Offenbar hatte er hier etwas zu sagen. Sie musterte ihn kritisch, als er seinen hilfsbereiten Kollegen zu sich rief.


    Rachel hatte sich seufzend auf den Boden gesetzt. In ihren Augen standen Tränen vor Schmerzen. Und vielleicht war es auch noch etwas anderes, das sie bedrückte. Die Lykierin setzte sich neben sie und umarmte sie. „Du wirst sehen, es wird alles gut, Rache.l“ Beroe versuchte sie aufzumuntern. Sie war sich ganz sicher, dass man sie gehen lassen würde.
    „Ich kann nicht mehr so weitermachen, Beroe,“ entgegnete Rachel leise und wischte sich die Tränen aus ihrem Gesicht. Ihre Freundin verstand nicht so recht, auf was sie hinaus wollte. Sicher, ihr war aufgefallen, dass sich Rachel verändert hatte. Alleine schon die Tatsache, dass sie hierhergekommen war, hätte Beroe auffallen müssen.
    „Wie meinst du das?“, fragte sie schließlich.
    „Nie wieder werde ich meinen Körper für Geld verkaufen, Beroe. Ich habe erkannt, dass es etwas Wichtigeres in meinem Leben gibt und dass ich mich ändern muss.“ Rachels Antwort verwirrte sie nur noch mehr. Es war natürlich gut, wenn sie eine andere Möglichkeit gefunden hatte, ihren Lebensunterhalt zu sichern, aber dass was sie sagte klang einfach nur seltsam. „Dann gibt es jemanden, der für sich sorgt?“, fragte sie vorsichtig nach.
    Rachel nickte. „Ja. Ich bin eine von ihnen, Beroe.“ Ein ungläubiger Blick blieb an Rachel hängen. Hatte sie eben richtig gehört? „Du bist eine von denen? Eine… Christin?“ Beroe versuchte so leise wie möglich zu reden, wer wusste schon, welche Ohren mithörten.
    Und dann stand plötzlich dieser Urbaner vor ihnen…

    „In den Kerker?“, rief Beroe bestürzt. Sie hatte sich doch gar nichts zuschulden kommen lassen. Und dennoch war es ganz offensichtlich, dass sie mal wieder in irgendetwas hineingerutscht war, denn wie der Urbaner ja richtig bemerkte, war sie ja auch in diesem Keller gewesen.
    „Weil... wir sind Lupae. Wir sind mit den beiden Männern mitgegangen. Deshalb…“, versuchte sie zu erklären.Im Grunde stimmte das ja fast. Sie war einfach nur mit den anderen mitgegangen, ohne vorher zu hinterfragen, was dort geschah. Sie war sich sicher, hätte sie ihm die Wahrheit gesagt, er hätte ihr wahrscheinlich nicht geglaubt.
    Beroe hatte nicht genug Zeit, um sich länger zu fragen, ob sie richtig gehandelt hatte. Denn plötzlich rückte wieder dieser eine Urbaner in ihr Blickfeld, der diesmal noch wütender und noch bedrohlicher wirkte, obwohl er gerade aus dem Keller nach oben gebracht und abgeführt wurde. Beroe sah ihm noch kurz nach. Seine Drohungen beeindruckten sie nicht wirklich. „Verhaften sich die Urbaner nun gegenseitig?,“ meinte sie nur.

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    Mirjam


    Jammernd verfiel die Frau wieder in ein unverständliches Gemurmel. Sie hatte sich von ihm abgewandt, vielleicht aus Scham, damit er ihr Elend, was doch ganz offensichtlich war, nicht sah. Der Kummer fraß sie auf. Dabei konnte sie nicht länger die Kraft aufbringen, sich auch noch um den Verbleib der Lykierin zu kümmern. Die Last war schwer genug, die ihr aufgebürdet worden war.


    Doch die Fragen des jungen Mannes wollten nicht abreißen. Doch diesmal beantwortete sie sie lediglich mit einem Kopfschütteln. Sie hatte ihm doch schon alles berichtet, was vorgefallen war und alles gesagt, was sie wusste. Es gab nichts mehr, womit sie ihm hätte weiterhelfen können.


    Mirjam war es natürlich nicht verborgen geblieben, dass er begonnen hatte in seinem Geldbeutel herumzukramen, um ein einige Münzen herauszufischen. Noch einmal wandte sie sich zu ihm um, trat auf ihn zu, ergriff ihn an seinen beiden Oberarmen und beschwor ihn. „Bitte, behalte dein Geld. Wenn du etwas für mich tun willst, dann sorge dafür, dass sie meinen Mann wieder gehen lassen. Du hast doch die Macht. dir werden sie glauben, dass er unschuldig ist. Bitte!“ Sie galubte fest daran, dass Avianus ihre letzte Hoffnung war.

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    Mirjam


    In all ihrer Kümmernis hatte Mirjam gar nicht mehr an diejenige gedacht, weswegen der junge Mann eigentlich hergekommen war. Das lag wohl zum einen daran, dass ihre traumatischen Erlebnisse sie immer noch zu sehr mitnahmen, zum anderen aber lag es wohl auch daran, dass sich die Lykierin an jenem Abend klammheimlich aus Mirjams Blickwinkel verabschiedet hatte. Sie hätte auch nur mutmaßen können, was mit Beroe geschehen war. Doch bei einem war sie sich ziemlich sicher gewesen.
    „Deine Freundin hat sich für diese Leute nicht interessiert, wenn du das meinst,“ erwiderte die Wirtin nach einiger Zeit. Sie sprach jetzt etwas ruhiger und besonnener. „Beroe hatte angefangen, bei uns in der Schankstube zu arbeiten. Wahrscheinlich ging ihr langsam das Geld aus… ich weiß es nicht. Aber mir und meinem Mann konnte das nur recht sein,“ begann sie. „An jenem Abend hatte sie, wie die Tage zuvor, in der Schankstube bedient. Sie kümmerte sich nicht darum, was die Leute zu besprechen hatten. Sie machte nur ihre Arbeit. Als dann die Urbaner hier waren und sich an den Leuten störten, die sich um diesen Rabbi versammelt hatten, war sie es, die sie sogar beschwichtigte.“ Doch es gab noch etwas, was Mirjam bisher noch gar nicht erwähnt hatte, vielleicht weil sie es selbst nicht wahrhaben wollte. „Aber an dem Abend… da kam auch meine Tochter in die Taberna. Sie hatte sich zu diesen Leuten gesetzt. Als sich die Situation zuspitzte hat Beroe sie bedrängt mit ihr zu verschwinden. Aber sie wollte nicht. Mein Mann hat sie schließlich der Taberna verwiesen… Mein armes Kind… was ist nur mit ihr geschehen?“ Mirjam stürzte wieder in ihren Kummer. Ihr Leben war nur noch ein einziger Trümmerhaufen: Der Mann verhaftet, die Tochter hatte sich einer gefährlichen Sekte angeschlossen, die Taberna geschlossen, ihre Existenz war zerstört. Alles was ihr jemals wichtig gewesen war, war dahin.

    Man konnte die Erleichterung in Beroes Gesicht wahrnehmen, als dieser Widerling endlich verschwunden war und nur noch sein netter Kollege sich um sie kümmerte. Er half Rachel, wieder auf die Beine zu kommen, die aber trotzdem noch furchtbare Schmerzen haben musste.
    „Vielen Dank, dass du uns hilfst“, entgegnete ihm Beroe. Sie stützte nun ihre Freundin von der anderen Seite, so dass sich wenigstens auf diese Weise langsam fortbewegen konnte.
    Trotzallem stellten sich ihr aber immer noch einige wichtige Fragen, deren Antworten sie wohl bereits schon erahnen konnte. Aber genau dass bereitete ihr ja einige Kopfschmerzen. „Aber sag mal, wo bringt ihr uns denn jetzt hin? Könnt ihr uns nicht einfach laufen lassen? Wir haben doch mit denen nichts zu tun.“ Vielleicht ging ja der Großmut des Soldaten soweit, dass er sie einfach so davonkommen ließ. Schließlich gehörte ja wenigstens Beroe nicht zu diesen Leuten.

    Ein kleines Zucken um Beroes Mundwinkel war kurzzeitig zu erkennen, als sich der zweite Urbaner, der wesentlich einsichtiger war, zu ihnen wandte und das Problem mit „Manius“ lösen wollte. Der versuchte sich zwar wieder einzumischen, doch zum Glück setzte sich der andere durch.
    Rachel, die mit schmerzverzerrtem Gesicht am Boden kauerte, nickte nur, als er sie fragte, ob sie mit Hilfe gehen könnte. „Ich kann es versuchen…“ schob sie noch nach. Doch schon wieder schrie der andere um sich herum und entrüstete sich. Er beschimpfte sie wüst als Christenabschaum.
    Da regte sich etwas in Beroe. Seit sie in dieser Stadt war, hatte sie sicher schon viel schlimmere Situationen erlebt… und überlebt. Auch wenn der nette Urbaner wieder Partei für die beiden Frauen ergriff, konnte sie sich dennoch nicht zurückhalten. Auch wenn das, was sie sagen wollte... nun ja... ganz knapp an der Wahrheit vorbei ging.
    „Äh Christen… wir .. wir sind keine Christen! Ehrlich nicht! Wir… wir sind Lupae. Wir haben nur zwei Kerle hierher begleitet und hatten ja keine Ahnung, wohin die uns schleppen… Stimmt´s Rachel?“
    Rachel schwieg nur. Spätestens nach diesem Abend hatte sie für sich eine Entscheidung getroffen. Nein, sie war keine Lupa mehr. Sie schaffte es sogar nicht einmal mehr Beroe anzusehen.

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    Mirjam


    Der Besuch des Prätorianers hatte bei Mirjam erneut eine tiefe Wunde aufgerissen, die grade erst dabei gewesen war, ansatzweise zu heilen. Nun war sie wieder tränenüberströmt und drohte, in ihrem Kummer noch tiefer zu versinken. Als er sie mit Nachdruck weiter befragte, brachte sie anfangs nur ein jammerndes Klagen in einer für ihn unverständlichen Sprache hervor. Doch er hatte ihr die Worte bereits in den Mund gelegt.
    „Urbaner… Es waren Urbaner." Und plötzlich kehrten die unliebsamen Erinnerungen an jenen Abend langsam wieder zurück.
    „An dem Tag war ein neuer Gast angekommen… aus irgendeiner östlichen Provinz. . Er war ein Rabbi… ein Gelehrter und er hatte eine Menge Leute um sich geschart…. weil er so anders war.“ Nie im Leben hätte sie damals geahnt, dass ausgerechnet dieser friedfertige Mann so viel Unglück über sie bringen sollte. „Am Abend dann in der Taverne kamen noch mehr, um ihn zu sehen und mit ihm zu sprechen. Zufälligerweise kehrten auch ein paar Urbaner ein, die eigentlich nur etwas Trinken und essen wollten. Aber irgendwie kam es zum Streit, weil sie sich an der Versammlung um den Fremden störten. Simon mein Mann hatte sich mit ihnen angelegt und schließlich gingen die Soldaten dann… nur um ein paar Stunden später wieder zu kommen, um ihn mitzunehmen,“ erinnerte sie sich schluchzend. Über das Warum hatte sie sich auch immer wieder den Kopf zerbrochen, denn sie hatten doch nichts getan, was gegen die Gesetzte der Römer war.
    „Die Soldaten warfen ihm vor, Christen Unterschlupf zu gewähren…. wir wussten doch davon gar nichts… wir sind keine Christen!“, beteuerte sie und war nur noch ein einziges Nervenbündel.

    ´Hast du was auf den Ohren?´, war Beroes einziger Gedanke, ob der Ignoranz des Urbaners, der doch eigentlich selbst hätte erkennen müssen, dass die junge Frau am Boden so schwer verletzt war. Natürlich hielt sie sich zurück mit irgendwelchen Bemerkungen, die ihre Lage noch verschlimmern konnten. Wieder versuchte sie, Rachel beim Aufstehen zu helfen, denn tragen konnte sie sie nur schwerlich.
    Doch dann erschien ein weiterer Uniformierter, der den Eindruck machte, etwas einsichtiger zu sein, als sein Kollege. „Bitte, meine Freundin hier, sie ist so schwer verletzt. Sie kann nicht aufstehen… und folglich können wir auch nichthinüber zu den Anderen gehen,“ appellierte sie an die beiden Urbaner.

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    Mirjam


    Zögerlich öffnete sich die Tür und heraus trat eine beklagenswerte Gestalt, die einen vollkommen verwahrlosten und verwirrten Eindruck machte. Anfangs verharrte sie noch an der Tür, um schneller die Flucht ergreifen zu können. Auch wenn dieser Eindringling einen friedlichen Eindruck machte, so war doch ihr Vertrauen in Männer, die in Uniformen daher kamen, zutiefst gestört.


    Ihre Frage, die eigentlich darauf ausgerichtet war, den Fremden wieder zum gehen zu bewegen, wurde nur mit einer Gegenfrage beantwortet. War es denn nicht offensichtlich, was hier geschehen war? Die Wirtin beantwortete seine Frage mit einem irren Lachen, welches zwangsläufig in ein markerschütterndes Heulen münden musste. „Sie haben meinen Mann mitgenommen und fast alle verhaftet, die nicht rechtzeitig das Weite gesucht hatten…“ begann sie zu schluchzen.
    Als der Prätorianer die Lykierin erwähnte, verstummte sie abrupt. Ihre verheulten Augen musterten sein Gesicht. Endlich schien sie sich dunkel an ihn erinnern zu können. Es mussten bereits Wochen, nein bestimmt schon Monate vergangen sein, seit er hier gewesen war.


    „Beroe? Ich habe keine Ahnung, wo sie steckt. Zum letzten Mal sah ich sie, als sie mit diesem Gast nach oben auf …“ Mirjam verstummte. Wenn sie sich recht erinnerte, war der junge Mann etwas mehr für die Lykierin gewesen, als nur ein Wohltäter, der ihr damals geholfen hatte.
    „Der Gast... er hatte darauf bestanden... Normalerweise haben wir so etwas nicht in unserem Haus geduldet… Aber... sie war ja nicht mal Jüdin… und da haben wir… es zugelassen,“ fügte sie noch rechtfertigend hinzu. Und selbst wenn sie es verhindert hätten, hätte das nichts daran geändert, was danach geschehen war. Ihre Augen füllten sich wieder mit Tränen, wenn sie an diesen Abend dachte, an dem all ihr Unglück seinen Anfang genommen hatte.

    http://imageshack.us/a/img28/5536/e9dg.gif Mit regungsloser Mine hörte sich Ionnis an, was man ihm vorwarf. Er widersprach nicht. Es mochte schon sein, dass unter den Menschen, die extra gekommen waren, um ihn zu sehen, auch Römer dabei gewesen waren. Doch niemals hätte er oder einer seiner Helfer jemanden abgewiesen, der auf der Suche nach Hoffnung und Erlösung war. Gott war für alle da, ganz gleich ob freie Römer, Sklaven oder Peregrine nach ihm fragten.
    „Wenn dem so ist, musst du deine Pflicht tun,“ antwortete er schließlich und ließ sich widerstandslos abführen.




    „Ich werde dich hier nicht zurücklassen, Rachel!“ Auf gar keinen Fall wollte sie ohne ihre Freundin gehen. Beroe hatte ihr viel zu verdanken. Da konnte sie sie nicht einfach in der Ungewissheit zurücklassen. Noch einmal versuchte sie die Freundin zu stützen, damit sie auf die Beine kommen konnte. Aber Rachel hatte nicht die Kraft dazu. Die Schmerzen waren zu stark.
    Ohne darauf zu achten, was um sie herum in der Zwischenzeit geschah, stand plötzlich dieser Urbaner vor ihnen, der sie auch prompt ansprach. Beroe sah zu ihm auf und hoffte, er würde Verständnis für sie beide haben. „Meine Freundin kann nicht aufstehen. Ihre Schmerzen sind zu stark.“