Beiträge von Iunia Sibel

    Ganz gleich, wie sie reagiert hätte, stets wäre sie die Verliererin gewesen. Sie hatte von Anfang an keine Chance. So ließ sie schluchzend die Beschimpfungen über sich ergehen, während ihre Tränen unablässig die Wangen benetzten, bis sie sich an ihrem Kinn sammelten, größere Tröpfen bildeten und dann vom Stoff ihrer Tunika aufgesogen wurden, nachdem sie zu schwer geworden waren und sich unwiderruflich der Schwerkraft beugen mussten.
    „Ich habe nicht…“ versuchte sie immer wieder zu widersprechen, jedoch ließ ihr der Optio keine Möglichkeit, sich noch weiter zu rechtfertigen. Für ihn war sie Sache glasklar.
    Schließlich ließ sie jämmerlich heulend den Kopf hängen und schlug sich die Hände vors Gesicht. Dies war der Tartaros, aus dem es kein Entkommen mehr gab. Je mehr sie versuchte, sich aus seinen Fängen herauszuwinden umso verfahrener wurde ihre Situation. Sie konnte nicht mehr. Sie hatte keine Kraft mehr. Ihr Kopf schmerzte furchtbar und ihre Kehle schien ausgetrocknet zu sein. Es sollte einfach nur noch aufhören, damit sie sich wieder in ihre Zelle verkriechen konnte und dort wieder eins werden konnte, mit dem Gemäuer.


    Dann sprach der Tribun ein Machtwort. In der plötzlich aufkommenden Stille sah Beroe langsam wieder auf. Ihre Augen waren ganz verquollen. Schiefend wischte sie sich wieder die Tränen fort, als er zu ihr sprach und ihr mit einer „schönen“ Strafe drohte. Aber was konnte denn noch schlimmer sein, als das, was sie bisher erlebt hatte? Dennoch ließ sie diese Drohung nicht gleichgültig, denn sie ahnte, mit welcher Kreativität man daran gehen würde, diese Strafe zu vollstrecken.
    Doch dann, wie aus heiterem Himmel, schlug der Tribun einen Deal vor. Beroe traute ihren Ohren nicht. Sie schaute ganz ungläubig drein. Das war bestimmt wieder nur ein mieser Trick, um sie noch tiefer in die Scheiße zu reiten. „Einen Deal?“ Ihr Misstrauen wuchs und wuchs. Gerade eben noch hatte er mit schwerer Strafe gedroht und nun wollte er sie freilassen, wenn… ja was wenn? Er fuhr fort und nannte seine Bedingung. Eine einzige Frage sollte sie ihm beantworten… wahrheitsgetreu. Und so wie er sich ihr gegenüber gab, hatte er genügend Möglichkeiten, um nachzuprüfen, ob sie auch die Wahrheit sagte. Er kam noch näher an sie heran, dann schickte er seine beiden Begleiter hinaus. Beroe sah ihnen noch nach und war in gewisser Weise erleichtert, vorerst einmal den Optio los zu sein.
    Der Tribun sah ihr in die Augen und stellte seine Frage. Er fragte nach Aulus. Die Augen der Lykierin weiteten sich. Aulus? Woher wusste er von Aulus? Sie war völlig von der Rolle gewesen, als sie in höchster Not seinen Namen geflüstert hatte. Und der Tribun musste das mitbekommen haben! Nun wollte er seinen ganzen Namen hören. Als Beroe nicht sofort antwortete, wiederholte er seine Frage noch einmal. Um sein Angebot noch einmal zu bekräftigen, deutete er zur Tür. Ebenso wanderten Beroes Augen vom Tribun hin zur Tür. Es war so einfach. Sie musste nur seinen Namen preisgeben. Was hatte sie denn noch zu verlieren? Sollte der Iunier doch mit den Konsequenzen klar kommen. Schließlich hatte er sich nicht um sie gekümmert und sie hier vergammeln lassen. Andererseit aber sie hatte es ihm doch versprochen, Stillschweigen zu bewahren. Und sie liebte ihn doch noch immer…
    „Aulus Iunius Avianus,“ sagte sie endlich mit tonloser Stimme. „Er ist… er war mein… Geliebter.“

    Ihre verheulten Augen sahen kurz auf und erblickten dieses fiese Grinsen im Gesicht des Soldaten, bevor er ihr wieder lautstark Paroli bot. Warum auch war Beroe so naiv gewesen, zu glauben, er würde die Aussage einer dreckigen verlausten Hure für bare Münze nehmen, erst recht nicht, wenn sie einen der Seinen beschuldigte. Und Beroe selbst spürte, wie ihr langsam die Kräfte schwanden. Wenn dieser Kerl so weitermachte, dann war sie schon bald an einem Punkt angekommen, an dem sie fast alles gestehen würde, in der Hoffnung, dass dann alles vorbei sein würde.


    Auch wenn sie schon geglaubt hatte, der Tribun, der in seiner Art weitaus angenehmer war, eben weniger aufbrausend und gemein als der Optio, sah sie sich schon bald sehr getäuscht. Er versuchte ebenso nur, sie dazu zu bringen, noch mehr Informationen preiszugeben und noch mehr Namen zu verraten. Aber sie hatte ihm doch alles gesagt! Jeden einzelnen Menschen, mit dem sie zu tun gehabt hatte, hatte sie doch bereits schon genannt. Außer einem…
    „Ich schwöre, es gibt sonst niemanden!“ schluchzte sie verzweifelt. Was, wenn sie ihn doch verriet, wenn sie nicht weiter standhalten konnte? Eine Katastrophe würde über ihn hereinbrechen. Die Mäuler wurde man sich über ihn zerreißen. Und er? Er würde sich endgültig von ihr abwenden! Aber… hatte er das nicht längst schon getan? Wieso war er in all den Wochen nicht einmal hier gewesen! Bestimmt war er längst zurück aus Germanien! Beroe versuchte diese Gedanken beiseite zu schieben, was aber angesichts ihrer Lage immer aussichtsloser wurde.


    Genau an diesem Punkt mischte sich wieder der Optio ein, dessen aggressive Stimme sie bereits mehr als hasste. Seine Anspielungen auf das Schicksal des Predigers ließen sie nur an das Schlimmste denken. Sie erwiderte nichts darauf. Lediglich das blanke Entsetzen stand ihr in ihrem Gesicht geschrieben. Beroe konnte sich lebhaft vorstellen, was sie mit diesem Mann angestellt hatten, der doch so gütig und freundlich gewesen war. Doch als der Soldat schließlich Rachel ins Spiel brachte, konnte sie nicht länger schweigen. Rachel war entlassen worden? Sie bewahren hier keine Leichen auf? Der Optio hatte sichtlich Freude daran, sie mit seinen Anspielungen gänzlich zu verwirren. Doch alleine der Gedanke, dass ihre Freundin tot war, trieb ihr erneut die Tränen in die Augen. „Rachel ist… tot?“ Die Stimme droht ihr zu versagen.


    Aber auch der Tribun ließ nicht locker. Er gestand ihr kaum Zeit zu, sich wieder zu sammeln, sondern bohrte unablässig weiter und das, was er sagte, ließ auch Beroe weiter grübeln. Genau, warum hatten sich Simon und Mirjam nicht nach ihr und Rachel erkundigt. Rachel war doch ihre Tochter gewesen… auch wenn Simon sie geächtet hatte. Und überhaupt, warum war niemand sonst hier gewesen für sie, der sich nach ihnen erkundigt hatte!
    Beroe konnte nicht mehr. Sie heulte und jammerte und schien gar nicht mehr zu hören, was der Tribun von ihr wollte. „Aulus, hilf mir doch endlich!“, wimmerte sie leise vor sich hin, auch wenn sie wusste, dass es aussichtslos war. Für sie würde kein strahlender Retter durch diese Tür schreiten und sie befreien.
    Der Optio hatte es auf den Punkt gebracht. Niemand schien sie zu vermissen. Auch ihr geliebter Aulus nicht. Sie würde hier drinnen verrecken und das, was von ihr übrig blieb, würde man auf einen Müllhaufen werfen oder verbrennen. Warum also wieder frei sein?
    Diesen Drang nach Freiheit, den sie ihr Leben lang verspürt hatte und der sie damals in Misenum hatte fliehen lassen – erschien endgültig verflogen zu sein. Wie glücklich war sie damals gewesen, als sie nach ihrer langen beschwerlichen Reise endlich Rom erreicht hatte. Damals hatte sie noch nicht wissen können, was sie alles hier erwarten würde. War dieser Drang tatsächlich versiegt?


    „Ich sage die Wahrheit…“ brachte sie schließlich, einem letzten Aufbäumen gleich, heraus. Dabei spielte der Optio doch nur mit ihr. Es machte ihm Spaß, sie so zu sehen, was sie unternehmen würde, um ihr Schicksal doch noch in eine andere Bahn zu lenken. Es ergötze ihn, sie aus der Fassung zu bringen und sei es auch nur mit Gesten oder der „zufälligen“ Berührung seiner Sandale an ihrem Unterschenkel, so dass sie sich so verschreckte und beinahe drohte, hinterrücks von ihrem Schemel zu fallen. Und dann diese absurden Fragen, die wenn man sie sich langsam auf der Zunge vergehen ließ, nur in eine einzige Richtung gingen.
    „Was ich zu bieten habe?“ echote sie sichtlich verwundert. Nichts! So verdreckt, verlaust und übelriechend wie sie war, hatte sie Roma nichts mehr zu bieten. Niemand würde auch nur einen Quadrans für sie zahlen wollen.


    „Das habe ich zu bieten: Verdrecktes Fleisch!“, entgegnete sie nach einer Weile überraschend. Beroe hatte ihre zerschlissene Tunika, die im Grunde nur noch ein einziger großer Fetzen war, nach unten gerissen, so dass ihr ausgemergelter verschmutzter Oberkörper zum Vorschein kam. Selbst einem hartgesottenen Soldaten, wie der Optio bestimmt einer war, verging bei diesem Anblick mit Sicherheit jede Art von Lust.

    Beroe zuckte erschrocken zusammen. Das scharfe Echo des Soldaten auf ihre Schilderung tat ein Übriges. Eingeschüchtert suchte sie nach Worten. Dabei war doch diese Situation für sie keinesfalls neu gewesen. Sie fühlte sich zurückversetzt an ein längst vergangenes Leben. An ein Leben in Unfreiheit… damals in der Villa Auria in Misenum… an die Schimpftiraden ihrer Domina, wenn ihr ein Missgeschick passiert war... und an die Schläge…


    „Aber Herr,… ich …ich habe doch niemals behauptet, …Christianerin zu sein!“ stammelte sie mit weinerlicher Stimme. „Bitte, das musst du mir glauben…“ Was der Optio aber mit Sicherheit nicht tat. Wie viel war denn ihr Wort schon wert? Absolut gar nichts!


    Indessen begann er langsam aber kühl berechnend, sie zu umrunden und schaffte es dadurch, sie noch weiter zu verunsichern. Sie musste sich wie ein Tier fühlen, das man in die Enge getrieben hatte und das nun nur noch darauf wartete, bis endlich der finale aber alles entscheidende Zugriff erfolgte. Und als er schließlich hinter ihr stand, sie an den Schultern packte und sich mit seinem Kopf ihrem Ohr näherte, schrie sie erschrocken auf und begann schrecklich vor Angst zu zittern. Er ergoss einen weiteren Wortschwall über sie - bedrohlich und furchteinflößend. Flehend, nein bettelnd war ihr Blick, den sie ihm zuwarf, als er sich vor ihr breitbeinig postierte, um keinen Zweifel an seiner Dominanz über sie zu lassen.


    „Aber ich habe doch die Wahrheit gesagt!“ schluchzte Beroe. „Ich kann doch nichts sagen was nicht stimmt! Ich schwöre, ich habe mich ihm nicht angeboten und ich wollte ihn auch nicht austricksen. Ich wollte doch nur… meine Freundin,… sie war doch verletzt und brauchte dringend Hilfe!“ Die Tränen rannen der Lykierin inzwischen an den Wangen herab und dieses Zittern… dieses schreckliche Zittern vor Angst wollte einfach nicht aufhören.


    Doch dann mischte sich auch noch der Tribun ein, der sich, seitdem sie in den Verhörraum geführt worden war, nur passiv an der Befragung beteiligt hatte. Im Gegensatz zu dem Optio erweckte er weniger den Anschein so hart und unnachgiebig zu sein. Dennoch verlangte er nach Namen. Wenn sie ihm Namen nennen konnte, dann kam sie hier raus.
    Beroe versuchte sich zu beruhigen. Sie wollte den Strohhalm, den man ihr anbot, ergreifen. Schniefend wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht. Sie musste sich wieder konzentrieren. Was hatte er gleich noch gesagt? Welche Namen wollte er haben?
    „Namen? Ja… Namen… natürlich!“ Was hätte sie jetzt für einen Becher Posca gegeben. Ihre Kehle war wie ausgetrocknet. Schon lange hatte sie nicht mehr so viel gesprochen.


    „Ich habe für einen Mann namens Silanus gearbeitet. Ihm gehört das Magnum Momentum. Aber vor einiger Zeit habe ich mich von ihm getrennt und bin ins Trans Tiberim gezogen. Dort habe ich bei Simon und Mirjam gewohnt. Das sind die Eltern meiner Freundin Rachel… mit der ich auf dieser Versammlung war. Später habe ich auch noch in ihrer Taberna gearbeitet. Die Taberna heißt „Zum silbernen Stern“. Gelegentlich bin ich auch mit den Gästen in meine Kammer gegangen, wenn sie dafür bezahlen wollten… mein letzter Kunde… ich weiß nicht wie er hieß. Er gehörte zu den Gefolgsleuten eines Gastes, der einen feinen Mantel trug und der großzügig Essen und Geränke für seine Männer bestellte. Ich glaube, er hat erwähnt, er wohne in der Nachbarschaft, was ich ein wenig seltsam fand… Danach bin ich runter zur Straße und ich traf auf Rachel…. Einige Tage zuvor war ein Gast aus Lykien eingetroffen. Das weiß ich so genau, weil er auch aus Myra kam, so wie ich. Sein Name war Ioannis und wie ich später erfuhr, war er so eine Art Prediger. Er hatte auch auf der Versammlung gesprochen.“ Dann zögerte sie eine Weile. Ganz bestimmt nicht würde sie auch nur ansatzweise einen Satz über Avianus verlieren. Auch wenn er sie wohl vergessen hatte oder sich nicht traute, nach ihr zu fragen, so wollte sie ihn hier nicht auch noch mit involvieren. „Es gibt niemand, der auf mich wartet. Meine Familie ist tot. Ich habe niemanden mehr. Nur meine Freundin Rachel…“
    Wieder stockte sie und überlegte, ob sie ihn nach Rachel fragen konnte. Er musste doch wissen, ob sie noch hier war. „… was ist eigentlich mit Rachel? Geht…geht es ihr gut?“

    Der Soldat hatte sie in einen der Verhörräume geführt. Von diesem Ort hatte sie nur vage Vorstellungen, was hier drinnen mit ihr geschehen sollte. Aus den Erzählungen von anderen Gefangenen hatte sie von recht drakonischen Verhörmethoden gehört, die angewandt wurden. Doch seltsamerweise bleib sie auf dem Weg dorthin sehr ruhig. Nur eine weitere Station auf ihrem Weg zum ersehnten Ende. Ausgerechnet jetzt musste sie an Avianus denken. Wenn sie ihn doch nur noch einmal sehen könnte. Aber er hatte sie bestimmt schon längst vergessen oder womöglich war er gar nicht mehr auf dieser Welt. Welchen Sinn hatte dann noch ihr Leben?


    Der Soldat setzte sie auf einen Schemel. Der Tribun und ein weiterer Soldat hatten sich ebenfalls eingefunden. Beroe hielt noch immer ihren Blick gesenkt. Auf Andere mochte sie vielleicht abwesend wirken, doch sie wartete nur, bis ihre Befragung endlich begann.
    Darauf musste sie sich nicht allzu lange gedulden. Der Soldat, der nach ihr den Raum betreten hatte, baute sich vor ihr auf und ein Schwall von Worten kam aus seinem Mund. Ihr ausdrucksloser Blick ging nach oben, um dem Mann besser folgen zu können.
    „Mein Name ist Beroe, ich bin Lykierin und nein, ich besitze nicht das Bürgerrecht,“ begann sie zögerlich. „Ja, ich habe als Lupa gearbeitet aber zu den Christianern gehöre ich nicht. Es stimmt, ich war auf ihrer Versammlung, weil ich eine Freundin begleitet habe.“ Ihr Blick wanderte über die Gesichter der drei Männer. Sie fragte sich, ob sie ihr glauben mochten.
    „Ich weiß nicht, vor wie vielen Wochen das war… aber es war irgendwo im Trans Tiberim. Dort wohnte und arbeitete ich in einer Taberna. Nach meinem letzten Kunden… ich bin runter zur Straße und traf dort meine Freundin und sie fragte mich, ob ich mitkommen wollte. Ich ging mit, weil ich nicht allein sein wollte.“ Sie erinnerte sich wieder ganz genau, was in ihr vorgegangen war und wie aufgewühlt sie an diesem Abend gewesen war.
    „Wir gingen zu einem Haus in dessen Untergeschoss diese Versammlung stattfand. Dann plötzlich kam Panik auf, als die Stadtwache den Keller stürmte. Meine Freundin wurde fast totgetrampelt und ich wurde niedergeschlagen. Das Nächste, an was ich mich erinnern kann, ist als sie uns nach oben gebracht hatten. Da meine Freundin schwer verletzt war, bat ich einen der Urbaner uns zu helfen. Er wollte uns tatsächlich laufen lassen, wenn wir ihm dafür etwas bieten. Ich bin dann mit ihm gegangen… aber als er dann anfing, mich anzufassen, da wollte ich das nicht mehr… ich wollte, dass er aufhört und dann habe mich gewehrt und wollte davonlaufen.“ Beroe hatte alles wiedergegeben, woran sie sich noch erinnern konnte. Besonders an den letzten Teil ihrer Geschichte hatte sie schmerzliche Erinnerungen. Durch ihre Weigerung hatte sie sich und Rachel ins Unglück gestürzt.

    Mutig also! Nein, ganz sicher nicht mutig. Einem Häufchen Elend gleich stand Beroe vor dem Tribun und ließ den Spott über sich ergehen, wie sie es schon unzählige Male in ihrem Leben getan hatte. Mit jedem weiteren Wort, welches aus seinem Mund kam, senkte sie ihren Blick tiefer. Es war ganz allein ihre Schuld, weshalb sie und ihre Freundin Rachel vor einer gefühlten Ewigkeit hierhergebracht worden waren. Ob Rachel auch noch hier im Carcer war, ob sie irgendwo in einer Zelle genauso wie sie selbst dahinvegetierte oder ob sie überhaupt noch am Leben war, wusste sie nicht. Vor Wochen schon hatte sie damit aufgehört, die Waschen danach zu fragen. Stattdessen war sie immer stiller geworden und hatte sich in sich selbst und ihre Erinnerungen zurückgezogen. Dass sie nun hier so im Mittelpunkt stand war ihr mehr als unangenehm. Doch es sollte noch schlimmer kommen. Und das sollte etwas heißen! Denn was war wohl noch schlimmer, als hier drin zu vermodern?!


    Eine Aussage machen? Sie sah erschrocken auf. Sie wollte keine Aussage machen! Eigentlich wollte sie nur, dass man sie in Frieden ließ. Warum nur hatte sie nicht einfach ihren Mund gehalten! Sie hätte diesem Kerl sonst was erzählen können. Dann hätte er nicht weiter nachgefragt und wäre wieder zur Tagesordnung übergegangen. Aber wenn es drauf ankam hatte sie noch nie richtig gut lügen können.


    Einer der Uniformierten packte sie schließlich am Arm und zog sie nach draußen. Die Tür ihrer Zelle schloss sich wieder. Ein Blick zurück, in dem seltsamerweise eine Art Sehnsucht lag. Doch dafür blieb wenig Zeit. Das Zerren an ihrem Arm ließ ihre Augen wieder nach vorne gehen. Beroe war nun auf dem Weg zum Verhör.

    Ein Raunen ging durch die Zelle, als zum ersten Mal die Christen Erwähnung fanden. Und da dieses Wort aus dem Mund der Lykierin gekommen war, bestätigte dies nur die Vorurteile, die die Mitgefangenen gegen diese sonderbare Frau hatten. „Das ist ja wirklich das Letzte! In einer Zelle mit der?! Pah“, sprach eine der Frauen aus, was die anderen vielleicht nur dachten.
    Doch Beroe selbst hatte bereits seit Wochen keinen Versuch mehr unternommen, jemanden vom Gegenteil zu beweisen. Dass sie gar keine Christin war, dass sie da in irgendeine dumme Sache hineingerutscht war, dass sie vorher ihr Geld als Lupa verdient hatte und nicht im Traum daran gedacht hatte, sich den Christen und ihren seltsamen Bräuchen anzuschließen.


    Nein, Beroe widersprach nicht. Eigentlich hatte sie gehofft, der Besucher würde es dabei belassen und sich anderen, viel wichtigeren Dingen widmen. Stattdessen aber hakte er nach, denn wenn jemand hier drinnen saß, dann sicher nicht nur, weil er Christ war. Das wussten natürlich auch die anderen Frauen. Von Minute zu Minute wuchs ihr Interesse, Beroes Geheimnis zu ergründen. Weswegen saß die Irre eigentlich ein? Am Ende hatte sie vielleicht bei einem dieser widerlichen Rituale mitgemacht, bei denen diese Fehlgeleiteten sogar nicht davor zurückschreckten und Menschenfleisch aßen. In der Tat, es kursierten die wildesten und schauderhaftesten Gerüchte um diese Sektierer. Was letztlich aber dann doch der Wahrheit entsprach, interessierte nur die Wenigsten. Denn letztendlich war es nur der verletzte Stolz eines Mannes, der Grund dafür war, dass sie hier einsaß und womöglich hier auch zugrunde ging.


    Viele Augen lasteten auf der Lykierin. Einfach zu viele, die sie noch weiter verunsicherten. Aber wenn sie mit der Sprache herausrückte, vielleicht würde die Zeit im Kerker dann ein Ende haben. Für einen Moment lang hielt sich dieser Hoffnungsfunke, doch er erlosch gleich wieder. Denn Beroe hatte es sich vor langer Zeit schon abgewöhnt, zuversichtlich zu sein. Alles in ihrem Leben war schief gegangen. Wirklich alles. Also spielte es dann eigentlich auch keine Rolle mehr, was passierte, wenn sie mit auf die Fragerei dieses Mannes einging.
    „Ich habe mich bei der Verhaftung widersetzt. Einer der Urbaner… er wusste, dass ich eine Lupa bin. Da wollte er mich vergewaltigen und ich habe ich mich dagegen gewehrt“, antwortete sie stumpfsinnig. Das war alles. Das ganze Geheimnis. Verständlicherweise erhielten danach die Erwartungen ihres Umfeldes, welches auf eine spektakuläre Geschichte gehofft hatte, einen ordentlichen Dämpfer, so dass nun alle Spannung auf den Mann an der Türschwelle lag.

    Krachend wurde die Zellentür aufgerissen. Der Schein einer Fackel drang in die Dunkelheit des Verlieses ein. Einige der Frauen wichen ängstlich zurück, andere verharrten gleichgültig und glotzten nur in die Leere.
    Diesmal war es nicht einer der Wärter, der dort an der Tür auftauchte. Dennoch war das Mistrauen der Frauen nicht geringer als sonst. Es bedeutete meistens nichts Gutes, wenn das geschah. Und dass es wohl diesmal nicht anders sein würde bestätigte schon der ungerührte Ton des Mannes, der einschüchternd genug war, um einige der Frauen zu verunsichern. So dauerte es gar nicht lange, bis eine der Frauen antworte:
    „Ada, Herr“, antwortete eine blonde junge Frau, die der Tür am nächsten stand. „Ich habe ein Laib Brot gestohlen… für meine Kinder… nur für meine Kinder, Herr!“, fügte sie jammernd hinzu.
    „Phila… wegen Betrug!“, antwortete die Nächste, eine hagere Frau jenseits der Vierzig, in einer sehr gleichgültigen Weise. Nach und nach meldeten sich noch weitere Frauen, die man wegen kleinerer Vergehen aber auch wegen Mord eingesperrt hatte.


    Als die Reihe schließlich an Beroe kam, schwieg sie. Wieder hatte sie sich in ihre Ecke verzogen und versuchte so unauffällig wie möglich zu sein. Doch eine der Frauen lenkte die Aufmerksamkeit des „Besuchers“ auf sie. „Da ist noch eine, aber die hat ´ne Schraube locker. Die völlig neben der Spur!“
    Die anderen Frauen traten zur Seite, so dass der Fingerzeig der Frau direkt auf Beroe wies. Als hätte man sie bei etwas Verbotenem erwischt, zuckte die Lykierin zusammen. Sie saß hier in der Falle. Es gab keinen Ausweg. Alle blickten sie auf sie. Sie spürte wieder dieses schreckliche Gefühl, eine Mischung aus Angst und Hoffnungslosigkeit, welches sie in der Vergangenheit schon oft bedrängt hatte. Aber sie wusste auch, dass sie sich ihrem Schicksal nicht entziehen konnte.
    Langsam erhob sie sich und trat näher zu Tür. Ihr ängstlicher Blick streifte ihre Mitgefangenen und fiel schließlich auf den Mann, der dort an der Schwelle zu ihrer Zelle stand. „Beroe“, antwortete sie. „Ich war bei einer Versammlung der Christianer und wurde bei einer Razzia festgenommen.“ Dass sie dabei damals gegenüber einem der Urbaner tätlich geworden war, erwähnte sie nicht.

    Tag um Tag, Woche um Woche verging. Wie lange die Lykierin nun schon in dieser Zelle saß konnte weder sie noch ihre Mitgefangenen beantworten. Wahrscheinlich wussten das nicht einmal ihre Wärter so genau. Keine der Frauen, die sie zu Beginn ihrer Haft hier angetroffen hatte, war noch hier. Alle hatte man sie nacheinander geholt. Manche hatte man unter großem Geschrei hinaus zerren müssen. Andere waren freiwillig mitgegangen und nicht wieder zurückgekehrt. Nur sie, Beroe hatte man scheinbar vergessen. Wie es schien, war sie dazu verdammt, in diesem Loch zu verrotten.
    Die Lykierin hatte es sich zu Eigen gemacht, sich in einer Ecke der Zelle zu verkriechen, sobald die Tür geöffnet wurde. Dann wurde sie Eins mit den grobbehauenen Steinen der Zellenmauer. Mit ihren neuen Zellengenossinnen sprach sie kaum ein Wort nur ihre wirren Blicke trafen sie manchmal weswegen sie sie längst für verrückt erklärt hatten.
    Da sie kaum noch Nahrung zu sich nahm, war sie stark abgemagert. Hätte sie sich bei Tageslicht sehen können, hätte sie sich wahrscheinlich selbst nicht mehr erkannt, denn sie war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Ihr dunkles Haar war stumpf und ungepflegt, ihr Körper starrte vor Dreck. Der Stoff, der einst ihre Tunika gewesen war, hing in Fetzen an ihr herab.
    Zu Anfang dachte sie noch oft an Avianus, der ganz bestimmt nach seiner Rückkehr aus Germanien nach ihr suchen würde. Doch nach den vielen Wochen in der Dunkelheit schwand ihre Hoffnung auf ein Minimum. Inzwischen dachte sie nur noch an den Tod, den sie für einen guten Freund gehalten hatte. Doch selbst der schien sie vergessen zu haben…

    Beroes Frage war unbeantwortet geblieben. Der Wärter hatte sie einfach ignoriert und war weiter gegangen. Selbst ihr Rütteln an der Tür hatte nichts geholfen. Die Ungewissheit war eine schlimmere Strafe, als das Eingesperrtsein.
    „Beroe, komm und iss!“, mahnte schließlich eine der anderen Frauen. Auch wenn die Ration beileibe kein Festmahl war, stürzten sich die Frauen auf den Klecks Puls, den man ihnen lieblos auf einen Teller geklatscht hatte. Gierig schnappten die Finger nach der geschmacklosen Masse, die allerdings sehr sättigend war, und führten den Getreidebrei zu ihren Mündern.


    Die Lykierin hatte nichts gegessen. Sie hatte sich, nachdem sie sich von der Tür abgewandt hatte, in ihre Ecke verkrochen und machte sich Vorwürfe. Warum nur hatte sie sich diesem Urbaner verweigert? Aus verletztem Stolz oder eher aus schlechtem Gewissen, weil sie doch Avianus versprochen hatte, nie wieder als Lupa zu arbeiten. Avianus… seitdem sie hier festsaß hatten sich ihre Gedanken um alle mögliche gedreht, nur nicht um ihn. Er war so weit weg. Unerreichbar. Vielleicht hatte er sie längst vergessen. Ihr ungutes Gefühl, welches sie empfunden hatte, als er sie vor etlichen Wochen verlassen hatte, bevor er nach Germanien aufgebrochen war, schien sich nun zu bestätigen. Schlimmer hätte es wahrlich nicht kommen können. Wieder einmal bewahrheiteten sich die Vorhaltungen, die ihr ihre einstige Domina immer wieder gemacht hatte, wenn ihr, der Sklavin, wieder einmal ein Ungeschick widerfahren war. Beroe zog wohl wirklich das Unheil magisch an und riss alle mit sich, die sich in ihrer Nähe aufhielten... Wie gut, dass Avianus ihr noch rechtzeitig entkommen konnte.


    Tage und Nächte vergingen. Wie viele es waren, war schwerlich zu beantworten, denn im Dunkel der Zelle verlor man rasch sein Zeitgefühl und stumpfte mit der Zeit ab. Wen kümmerte es schon, wie lange man hier drinnen war? Eingesperrt und dem Vergessen werden preisgegeben. Doch eines Tages, das war allen gewiss, öffnete sich für jeden die Zellentür. Und tatsächlich, eines Tages öffnete sich die Zellentür unerwartet. Unruhe entstand unter den Frauen. Einige schrien und jammerten als sie die Lupa, die ihren Freier getötet hatte, hinaus zerrten. Die Lupa hatte sich nicht einmal zur Wehr gesetzt. Sie war freiwillig mit den Männern mitgegangen, obwohl sie wusste, dass da draußen nur noch ein grausamer Tod auf sie wartete. Beroe hatte dies alles still in ihre Ecke mitverfolgt. Vielleicht, so dachte sie, war der Tod ja doch ein guter Freund…

    „Na siehste!“, kommentierte die Gefangene die Großzügigkeit der Wache. Gerade mal halbvoll hatte der Geizkragen die Kanne gefüllt. Aber besser als gar nichts! Hastig nahm sie ihm das Gefäß aus der Hand und reichte es Beroe weiter.


    „Danke!“ Beroes Stimme klang müde. Sie trank ein wenig von dem Wasser und aß noch etwas von dem trockenen Brot. Irgendwann fielen ihr schließlich die Augen zu und sie schlief ein. Niemand hatte genau sagen können, wie lang sie geschlafen hatte. Da in der Zelle fast vollkommene Dunkelheit herrschte, wusste niemand von den Insassen, ob es noch Tag oder bereits Nacht war. Doch es mussten bereits Stunden, wenn nicht sogar Tage vergangen sein, seitdem man sie hier eingesperrt hatte. Immer mehr quälte sie die Frage nach dem Verbleib ihrer Freundin. Als schließlich das Essen an die Gefangenen ausgeteilt wurde, näherte sie sich der Tür, um die Gelegenheit zu nutzen und die Wache nach Rachel zu fragen. „Hallo, bitte! Kannst du mir sagen, wie es meiner Freundin geht? Rachel - die Frau mit dem gebrochenen Bein. Geht es ihr gut?“ Die anderen Frauen nahmen ihre Ration entgegen. Beroe war es gleich, ob sie etwas abbekam oder nicht. Die Sorge um ihre Freundin vertrieb all ihren Hunger.

    „Was heißt hier sparsam“, rief die Stimme aus dem Zelleninneren. „Ihr habt uns noch die Neue hier rein gesteckt. Wie soll man da sparsam sein?! Na los, hab dich nicht so. Nur ein kleines bisschen!“ Diesmal verzichtete die Frau darauf, mit der Kanne Radau zu machen. Genau wie die anderen ihrer Zellengenossinen, war auch sie bereits eine Weile hier und wusste sie in etwa, wie sehr sie die Geduld der Wärter strapazieren konnten. Ob sie letztlich damit erfolgreich war, hing alleine von der diensthabenden Wache ab.
    Inzwischen aber schien sich die Lykierin bereits damit abzufinden, dass es eben kein Wasser mehr gab. Es war nicht das erste Mal, dass sie Verzicht üben musste. Fast ihr ganzes Leben hatte aus Verzicht bestanden. Was machte also da schon ein paar Tropfen Wasser aus? „Lass nur!“ meinte Beroe beschwichtigend. Sie wollte nicht auch noch Schuld daran sein, dass die Frauen noch Ärger bekamen.

    Als es wieder still geworden war, ließ sich Beroe dennoch zu einer weiteren Frage hinreißen, denn im Grund war es genau das, was sie auch für sich selbst in Erfahrung bringen wollte, nämlich was mit ihr jetzt geschehen würde. „Und was jetzt? Was machen die jetzt mit dir?“ wollte sie von der Lupa wissen, schließlich war ja Mord, aus welchen Beweggründen auch immer, kein Pappenstiehl. Unter den anderen Frauen, die soeben noch lachten, herrschte eine bedrückende Ruhe.
    „Die wollen mich an die Löwen verfüttern, weil der Drecksack irgendwas Wichtiges war, keine Ahnung!“ In der Stimme der Lupa klang keinerlei Furcht mit. Entweder hatte sie noch nicht realisiert, was ihr noch bevorstand oder sie war bereits darüber hinweg. Beroe aber kam nicht umhin deswegen laut zu Seufzen. Ihr war bewusst, in welcher ausweglosen Situation auch sie sich befand. Diesmal würde ihr niemand helfen.
    Sie zwang sich, nicht länger darüber nachzudenken, sonst würden sie ihre Ängste noch in den Wahnsinn treiben. Wieder biss sie ein Stück von dem Brot ab und kaute lustlos darauf herum. „Habt ihr noch etwas Wasser, ich bin so durstig.“ Das trockene Brot war ohne Wasser unmöglich hinunterzuschlucken. Alles was jedoch die Lykierin zu hören bekam, war das Geräusch einer leeren metallenen Kanne, die scheppernd zu Boden ging. Dach dann erhob sich eine der Frauen und trat an die Zellentür. „He Wärter! Wir brauchen noch mehr Wasser! Sonst verdursten wir hier noch!“, rief sie, was bei dem anderen Frauen wieder Gelächter hervorbrachte. Um ihrer Forderung noch ein wenig Nachdruck zu verleihen schlug sie mir der leeren Kanne gegen die Tür.

    Offenbar hatte das Fauchen Wirkung gezeigt, denn Beroe verstummte augenblicklich und wich zurück. Sie wischte ihre Tränen ab und setzte sich in eine freie Ecke. Der Boden war hart und kalt. Wenn sie doch wenigstens etwas Stroh gehabt hätte!
    Eine ganze Weile saß sie still in der Dunkelheit der Zelle und hörte nur das Atmen der anderen Frauen. Gelegentlich nahm sie ein Flüsterten wahr, doch sie versuchte erst gar nicht zu verstehen, worüber die Frauen flüsterten. Höchstwahrscheinlich ging es um sie. Besser wenn sie sich ruhig verhielt und die anderen in Ruhe ließ. Vielleicht würde man sie dann auch nicht behelligen.
    Doch dann rutschte eine der Frauen zu ihr hinüber, die ihr ein Stück Brot reichte, das wohl von der letzten Essensausgabe übrig geblieben war. „Hier, hast bestimmt Hunger.“ Beroe nahm das Stück Brot. Es war hart und schmeckte nicht besonders. Dennoch begann sie, einen Bissen davon zu kauen.
    „Weswegen haben sie dich eingesperrt.?“, fragte schließlich die Lupa, diesmal allerdings in einem weitaus weniger aggressiven Ton. Die Lykierin schluckte den Bissen hinunter. Ein wenig Wasser zum Spülen wäre jetzt gut gewesen, aber es gab kein Wasser.
    „Die Urbaner haben ein Christennest ausgehoben. Da waren wir dabei, meine Freundin und ich. Aber eigentlich…“ Die Lupa unterbrach sie, so dass sie ihren Satz nicht beenden konnte. “Gehörst du etwa zu diesem Christianergesocks?“ Ihre Worte klangen scharf und bedrohlich. Sie schüchternen Beroe noch mehr ein. „Nein, nein, wir sind keine Christen,“ entgegnete sie schnell. Ihre nächsten Worte musste sie mit Bedacht wählen, wenn sie nicht hier auch noch Ärger haben wollte. So erzählte sie einfach das, was sie dem Urbaner gegenüber zuvor schon zum Besten gegeben hatte. „Eigentlich sind wir mit zwei Kerlen mitgegangen, die uns gut bezahlt hatten… Wir hatten ja keine Ahnung!“ Ein Moment lang herrschte Stille. „Dann bist du auch ´ne Lupa. Für wen arbeitest du?“, fragte die andere weiter. Mit dieser Frage hatte Beroe nicht gerechnet. Sie schluckte erst einmal, bevor sie Antwort gab. „Früher haben wir für Silanus gearbeitet, aber seit einiger Zeit sind wir in Trans Tiberim unterwegs und arbeiten dort auf eigene Rechnung.“ Wieder war alles still, bis die Andere die Stille durchbrach. „Silanus, aha. Hab schon lange nichts mehr von ihm gehört. Weißt du, warum ich hier bin?“ Die Art der Fragestellung ließ auf nichts Gutes hoffen und dass es offenbar still um Silanus geworden war, war zwar einerseits für die Lykierin beruhigend, andererseits nützte ihr das gerade recht wenig. „Nein,weiß ich nicht. Weshalb bist du hier?“, fragte Beroe schließlich. Die anderen Frauen begannen zu kichern noch ehe die Lupa ihr antwortete. „Weißt du wie man unliebsame Kerle los wird? Solche, die meinen, sie müssten dich nicht bezahlen aber dich dafür ständig verprügeln? Ich hab dem Schwein ein Messer in die Leistengegend gerammt. Er hat geschrien wie ein Stück Vieh auf der Schlachtbank und ist dann auch so verblutet wie eins.“ Beroe schauderte es bei der Vorstellung, die anderen Frauen aber lachten nur.


    *Räusper* Ich spiele eine solche Rolle! :D


    Und ich habe mich im letzten Jahr, als ich wieder eingestiegen bin, ganz bewusst dafür entschieden, denn "Großkopferte" gibt es hier im IR genug. Mal ganz ehrlich, welche Chancen hatten Frauen denn in der Antike, die keinerlei Protektion durch eine Familie oder Institution hatten? Gar keine! Bei einem Überangebot an Sklaven, das es zu unserer bespielten Zeit immer noch gab, hatte es eine ungelernte Kraft damals sicher genauso schwer, wie heute, einen einträglichen und erfüllenden Arbeitsplatz zu bekommen. Tja, dann bleibt nicht mehr viel...
    Aber auch nach dem Rest des "gemeinen Volkes" muss man lange suchen. Vereinzelt gibt es aber solche IDs, wie z.B. Susina Alpina, die eine Hebamme spielt. Und eigentlich müsste es noch viel mehr von solchen "Normalos" geben, denn solche IDs hauchen diesem Spiel Leben ein.


    Ich kann alle Spieler verstehen, die hier mitmachen, um eine Karriere im Militär oder in der Politik anstreben. Doch neben all dem "High Score"-Denken ist dies aber immer auch noch eine historische Simulation, in der, wie halt auch im echten Leben, es auch mal Niederlagen geben muss.
    Den Bürgerkrieg habe ich leider nur lesend mitverfolgt und bin erst danach wieder eingestiegen. Ich finde, im IR ist im Grunde genau das Gleiche passiert, wie in es wohl auch in einem RL- Bürgerkriegsland passieren würde. Ein Teil der Verlierer "sattelt" noch rechzeitig um, bevor ihr Regime in Scherben liegt. Ein anderer Teil sucht das Weite. Nur die Wenigsten werden werden zu dem Stehen, woran sie vorher geglaubt haben und tragen auch die Konsequenzen. Und genau an dieser Stelle muss auch ich Serapio ein ganz großes Lob aussprechen, weil er der einzige Spieler hier war, der das durchgezogen hat, ohne Rücksicht auf Verluste. Diese Verluste bedeuten für seinen Char die Isolation von seiner Familie, den Verlust seiner ehemaligen Freunde und Liebschaften (die sich inzwischen mit dem neuen Regime angefreundet haben) und vor allem aber auch den Verlust seines Ansehens und seiner Ämter! Das ist in meinen Augen ein wirklich vorbildliches Rollenspiel, in dem das Streben nach Macht und Ehre in den Hintergund tritt. :dafuer:


    Zitat

    Original von Numerius Duccius Marsus



    Also ich bin damals 2007/08 als Peregrinus in Mogontiacum eingestiegen und letztlich von einem damals schon sehr aktiven und hilfsbereiten Spieler angesprochen worden, ob ich an den Duccii Interesse hätte. Ohne dessen Unterstützung wäre mir der Start im IR (auch in der WiSim) wohl weeeeesentlich schwerer gefallen. Ich darf also wohl behaupten, einen solche IR-Tutor von Beginn an an meiner Seite gehabt zu haben, was mir außerordentlich geholfen hat.


    Valas Vorschlag kann ich auch nur unterschreiben! :app: Das sollte man sich wirklich überlegen, denn ab und an schafft es doch noch ein "boody beginner" ins IR.
    Ich spreche aus Erfahrung, am Anfang braucht mehr sehr viel Geduld, um wirklich ins Spiel zu kommen. Wenn sich dann keiner um einen kümmert, verliert man schnell wieder das Interesse.
    Was Marsus anspricht, ist für vielie Neulinge so wichtig. Gerade dann, wenn man Peregrinus startet und noch nicht wirklich einen Plan hat. Als Sklave bekommt man evtl. eine Bindung zur Besitzerfamilie. Aber die Peregrinen müssen sich tatsächlich durchboxen. Vielen geht dabei verständlicherweise nach ein paar Wochen die Puste aus, wenn keiner da ist, der einen "an die Hand nimmt" oder vielleicht einen kleinen Spielmpuls gibt. Was die Duccier, und insbesondere damals Lando in Germania aufgebaut haben, ist sehr bemerkenswert!


    Zitat

    Original von Aulus Tiberius Verus
    Kurzer Einwurf:


    Warum macht das IR nicht aktiv Werbung in der Rollenspiel-Community? Dort Draußen gibt es genug Spieler, die vielleicht noch nichts vom IR wissen. Ein einfaches Partnerschaftssystem könnte das IR viral verbreiten?


    Neue Mitglieder zu rekrutieren, ist vielleicht das einzige, was auf lange Sicht, Verluste ausgleicht?


    Diesen Vorschlag finde ich auch sehr gut! :dafuer: Ich bin damals auch nur auf Überwegen auf´s IR gestoßen. Das war echt reiner Zufall. :D


    Zum Thema Frauen-IDs gab es hier schon so viele Diskussionen, dass man sie gar nicht mehr zählen kann. Meiner Meinung nach gibt es für das IR hierzu keine Alternative. Die Römer waren nun mal eine patriarchalische Gesellschaft und daran lässt sich auch nichts rütteln. Also entscheiden wir uns hier nun für die Lockerung der Frauenrechte, öffentliche Ämter (wie z.B. Senator) zu begleiten,dann machen hieraus kurz oder lang ein Disneyland oder wir behalten alles bei, so wie es einigermaßen "authentisch" war und bleiben weiter ein Forenrollenspiel mit dem Anspruch "historisch" zu sein. Ich wäre für Letzeres, denn genau das war für mich damals der Grund ins IR einzusteigen - das Leben im alten Rom zu simulieren, mit allen Höhen und Tiefen. Das war´s doch eigentlich, was wir hier alle einmal wollten, oder?

    Der Rest des Weges war die reinste Tortur gewesen. Doch dank des wackeren jungen Mannes, der Rachel bis hin zur Castra getragen hatte, war es zu keinen Zwischenfällen mehr gekommen, die den Zorn des brutalen Urbaners herausgefordert hätte.
    Endlich hatte der Zug aus Urbanern und Gefangenen die Castra erreicht. Wehmütig erinnerte sich Beroe daran, wie sie nicht weit von hier auf Avianus gewartet hatte. Avianus… noch immer war er so weit fort von hier. Unerreichbar für sie. Ihre Hoffnungen schwanden, ihn jemals wieder zu sehen.


    Schließlich führte man die Gefangenen in den Carcer. Ein widerlicher Geruch aus feuchtem Gemäuer, Fäkalien und Erbrochenem schlug ihnen entgegen. Dort pferchte man sie unter Jammern und Schreien in mehreren Zellen zusammen. Dabei wurde jedoch wenig Rücksicht genommen, ob Familien oder Freunde auseinandergerissen wurden. So geschah es auch, dass Beroe von ihrer Freundin getrennt wurde. Vergeblich protestierte sie, schrie nach ihrer Freundin und bettelte letztendlich darum, dass man sie zusammenlegte.


    Die Lykierin landete in einer Zelle, in der sich bereits einige Frauen befanden. Frauen, die man wegen unbedeutenden Delikten eingesperrt hatte, weil sie etwa ein Stück Brot gestohlen hatten oder auf dem Markt betrogen hatten. Eine jedoch, die in der Zelle das Sagen hatte, stach davon heraus. Die Frau mittleren Alters, eine Lupa, hatte einen ihrer Freier umgebracht, weil der gewalttätig geworden war, als sie sich ihm nicht fügen wollte. Sie sprach nicht viel, doch jede der Insassen hatte vor ihr Respekt.
    „Halt endlich deine verdammte Klappe und such dir´n Platz zum Schlafen!“, fauchte sie Beroe an, die selbst, nachdem man die Zellentür hinter ihr geschlossen hatte, noch immer nach Rachel schrie.

    Der junge Mann, ein griechischer Sklave, der wohl in diesem Augenblick für sich wahrhaftig entdeckt hatte, was es hieß Christ zu sein, zeigte sich recht unbeeindruckt von den Drohungen des gewalttätigen Urbaners. Mit dieser Art von Menschen hatte er schon oft zu tun gehabt. Und selbst wenn er ihn später noch foltern sollte, würde er dies auch noch ohne Protest über sich ergehen lassen.
    Der junge Mann fackelte nicht lange und packte an. Er half der verletzten Frau auf, die eigentlich gar nicht so schwer war. „Ich trage dich, Schwester,“ wisperte er ihr freundlich zu und gab ihr damit wieder ein wenig Hoffnung. Rachel legte ihre Arme um seinen Hals, damit er sie besser halten konnte.


    Beroe lag noch immer am Boden. Langsam rappelte sie sich wieder auf. Sie spürte bereits das auffordernde Zerren an ihrem Eisenring, den sie nun um ihren Hals tragen musste. Es ging weiter. Der Schmerz in ihrem Gesicht wollte einfach nicht abebben. sie hatte das Gefühl, ihr ganzer Kopf würde nur noch heiß pulsieren. Der Soldat hatte sie direkt auf die Wange getroffen. Ihr Auge war zum Glück unverletzt geblieben. Doch eine Platzwunde konnte sie nun auf ihrer Wange ertasten. Blut klebte an ihren Fingern und offenbar hatte auch ein Backenzahn der Gewalt nicht standgehalten.

    Beroe hatte die Faust kommen sehen. Bevor sie ihr jedoch hätte ausweichen können, wurde bereits ihr Gesicht zur Seite geschleudert. Einem heftigen Schlag folgte ein brennender Schmerz und der Geschmack von Blut in ihrem Mund. Beroe fiel nach hinten und landete schließlich auf bem Boden. Den Schrei der Freundin, die vor Schmerzen aufschrie, als ein weiterer Fausthieb sie mitten in den Bauch traf, nahm sie nur schemenhaft war. Dann, wenig später zerrte der Kerl an ihr herum. Sie spürte das raue Eisen, das er ihr um den Hals gelegt hatte. Schreckliche Erinnerungen von damals, als ihr Leben sich radikal geändert hatte, suchten sie heim. Für einen Moment glaubte sie wieder das kleine Mädchen zu sein, das man gerade an den Sklavenhändler verschachert hatte. Doch sie merkte recht bald, dass sie an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit war.
    Der Soldat zerrte an der Kette, die an ihrem Halsring befestigt war. Das Gefühl des Erstickens befiel sie. Rachel schrie nur noch. Genauso musste es im Tartaros zugehen!
    Doch dann trat einer der Gefangenen, der direkt hinter den beiden Frauen hergelaufen war an den Soldanten heran und fasste sich ein Herz. „Herr, ich könnte die Verletzte doch tragen. Umso schneller kommen wir an unser Ziel.“ Der junge Mann hatte eine unterwürfige Haltung eingenommen und traute sich nicht, dem Soldaten direkt anzusehen.

    Da der Zug der Gefangenen durch die beiden Frauen ins Stocken geraten war, geschah das, was geschehen musste. Der Urbaner, den Beroe verschmäht hatte und der den Zug anführte, kam auf sie zu, um seine Befehle, die eindeutig waren, zu wiederholen. Inzwischen hätte Beroe wohl alles Mögliche dafür getan, um den Soldaten umzustimmen. Sie hatte aber ihre Chance vertan.
    Der Einzige, der vielleicht ein wenig Verständnis für sie hatte, wurde weggeschickt. Dafür stellte man ihnen einen Hünen als Bewacher zu Seite, der bereits durch sein Aussehen signalisierte, dass er für gewöhnlich kurzen Prozess machte. Er schrie auf Rachel ein und schien sie treten zu wollen. Rachel hatte zu weinen begonnen. Ihre Schmerzen mussten unerträglich sein.
    „Sie kann nicht aufstehen. Ihr Bein ist gebrochen und sie hat Schmerzen.“, antwortete Beroe für ihre Freundin. Ihre Stimme klang resigniert. „Bitte, es ist meine Schuld, dass wir hier sind. Wenn du jemanden prügeln musst, dann prügle mich. Aber sie wird nicht ohne Hilfe laufen können.“ Die Lykierin sah dem Soldaten direkt in die Augen. In diesme Augenblick hatte sie keine Furcht mehr. Sie meinte es ernst und sie rechnete nicht damit, dass der Urbaner nachgab.

    Niemand half ihnen. Auch Manius nicht, der nette Urbaner, der lieber seinen Befehlen folgte. Er bat sie nur, schnell aufzustehen. Vielleicht weil er doch ein schlechtes Gewissen hatte.
    Rachel stöhnte vor Schmerzen und auch Beroe war völlig erschöpft. Die beiden waren aneinander gekettet. Wenn die eine nicht mehr weiter konnte, dann gelang dies der anderen auch nicht mehr.
    Trotzdem versuchte Beroe aufzustehen. Es gelang ihr auch schließlich. Doch es gelang ih nicht mehr, auch noch ihre Freundin aufzurichten. „Komm, du musst aufstehen, Rachel!“, flehte sie ihre Freundin an. Ihre Freundin aber schaffte es nicht mehr.


    Offenbar waren einige der Gefangenen, die hinter ihnen her gelaufen waren, geflohen. Aber es nützte ihnen nichts. Aneinandergekettet hatten sie keine Chance.