Auch der letzte Rest Anspannung fiel nun endgültig von Sibel ab. Sie hatte den Optio zum Schmunzeln gebracht und so glaubte sie nun, sie habe vor ihm nichts mehr zu befürchten. Zufrieden saß er nun vor ihr und hörte ihr weiter zu. Wahrscheinlich war es ihr überstürztes Verhalten gewesen, was ihn so belustigt hatte. Aber auch die Tatsache, dass sie seinem Centurio gehörte. Sibel konnte sich sehr gut vorstellen, dass der Optio genau wusste, zu welchen Diensten sein Centurio seine Sklavin noch heranzog. Vielleicht war er deshalb sogar auch etwas neidisch auf Avianus. Von Anfang an hatte sie ja damit gerechnet, innerhalb der Castra für Aufsehen zu sorgen, denn nicht jeder Soldat hier konnte seine ganz private Sklavin halten.
Natürlich hatte sie keine Ahnung davon, dass es ganz anders war. Dass der Optio sie wiedererkannt hatte und das er sie dadurch durchschaut hatte. Und dennoch hätte er sie nicht der Lüge bezichtigen können, denn sie war ja ganz offiziell Avianus' Sklavin. Allein schon in ihrem Interesse hatte Sibel sich vorgenommen, in der Öffentlichkeit oder gegenüber einem der Soldaten keinen Zweifel daran aufkommen zu lassen, das es nicht so war. Bei dem Optio schien das ja schon mal ganz gut zu klappen, dachte sie sich. Inzwischen wurde er auch etwas gesprächiger und redete davon, wie viel Glück sie beide doch gehabt hatten.
„Ja. das finde ich auch,“ antwortete Sibel grinsend. Sie selbst konnte ihr Glück immer noch kaum fassen! Und ja, sie beide hätten es nicht besser erwischen können.
Sie nahm den Stoff, der ihr der Optio reichte. Danach begann er, seinen Gürtel zu lösen. Offenbar wollte er nun doch ihr Angebot annehmen, was Sibels Gewissen natürlich endgültig beruhigte, denn nun konnte sie ihr Missgeschick wieder gut machen.
Doch dann schien plötzlich irgendetwas anders zu sein. Er begann plötzlich solche seltsamen Bemerkungen zu machen, dass der Centurio ein außergewöhnlicher Mann sei und er auf sie sicher einen nachhaltigen Eindruck mache. Dann zog er sich die nasse Tunika über den Kopf und trat ganz nah an sie heran. Das Grinsen war ihr längst vergangen. Böse Erinnerungen kamen wieder auf. Das letzte Mal, als sie sich gewehrt hatte, war sie anschließend im Carcer gelandet. Mit einem ängstlichen Ausdruck im Gesicht machte sie einen Schritt zurück, da sie jeden Augenblick damit rechnete, von ihm angefasst zu werden. Noch musterte er sie genau und sog dabei ihren Geruch auf. Ob sie losschreien sollte oder lieber darum betteln sollte, damit er ihr nichts antat?
Doch wie es schien, hatte sich der Germanicus nur einen Scherz mit ihr erlaubt. Denn nicht sie war es, was er sich ausborgen wollte. Es war lediglich ein alter Mantel, nach dem er verlangte. Ihr fiel ein Stein vom Herzen und allmählich stellte sich auch wieder ihr Lächeln ein. „Ah ein Mantel, ja natürlich!“ schnell verschwand sie hinter einer Tür und kam wenig später mit einem wollenen Mantel zurück, den sie ihm reichte. „Bis morgen… deine Tunika. Sie wird bestimmt bis morgen fertig sein,“ versicherte sie ihm.
Plötzlich wurde sie durch ein Klopfen an der Tür aufgeschreckt. Das war der erdenklich ungünstigste Augenblick, wenn man sie hier mit dem halbnackten Optio erwischte. "Es hat geklopft," bemerkte sie folgerichtig. Niemand durfte den Optio hier so sehen! "Du musst hier verschwinden! Sofort!", meinte sie nur, als sie bereits zu Tür schritt und diese nur einen Spalt weit öffnete.
"Der Centurio ist nicht da!", meinte sie resolut. "Aber du kannst mir die Nachricht gerne überreichen. Ich bin seine Sklavin und werde sie ihm dann aushändigen, sobald er wieder da ist."