Beiträge von Iunia Sibel

    Auch der letzte Rest Anspannung fiel nun endgültig von Sibel ab. Sie hatte den Optio zum Schmunzeln gebracht und so glaubte sie nun, sie habe vor ihm nichts mehr zu befürchten. Zufrieden saß er nun vor ihr und hörte ihr weiter zu. Wahrscheinlich war es ihr überstürztes Verhalten gewesen, was ihn so belustigt hatte. Aber auch die Tatsache, dass sie seinem Centurio gehörte. Sibel konnte sich sehr gut vorstellen, dass der Optio genau wusste, zu welchen Diensten sein Centurio seine Sklavin noch heranzog. Vielleicht war er deshalb sogar auch etwas neidisch auf Avianus. Von Anfang an hatte sie ja damit gerechnet, innerhalb der Castra für Aufsehen zu sorgen, denn nicht jeder Soldat hier konnte seine ganz private Sklavin halten.
    Natürlich hatte sie keine Ahnung davon, dass es ganz anders war. Dass der Optio sie wiedererkannt hatte und das er sie dadurch durchschaut hatte. Und dennoch hätte er sie nicht der Lüge bezichtigen können, denn sie war ja ganz offiziell Avianus' Sklavin. Allein schon in ihrem Interesse hatte Sibel sich vorgenommen, in der Öffentlichkeit oder gegenüber einem der Soldaten keinen Zweifel daran aufkommen zu lassen, das es nicht so war. Bei dem Optio schien das ja schon mal ganz gut zu klappen, dachte sie sich. Inzwischen wurde er auch etwas gesprächiger und redete davon, wie viel Glück sie beide doch gehabt hatten.


    „Ja. das finde ich auch,“ antwortete Sibel grinsend. Sie selbst konnte ihr Glück immer noch kaum fassen! Und ja, sie beide hätten es nicht besser erwischen können.
    Sie nahm den Stoff, der ihr der Optio reichte. Danach begann er, seinen Gürtel zu lösen. Offenbar wollte er nun doch ihr Angebot annehmen, was Sibels Gewissen natürlich endgültig beruhigte, denn nun konnte sie ihr Missgeschick wieder gut machen.
    Doch dann schien plötzlich irgendetwas anders zu sein. Er begann plötzlich solche seltsamen Bemerkungen zu machen, dass der Centurio ein außergewöhnlicher Mann sei und er auf sie sicher einen nachhaltigen Eindruck mache. Dann zog er sich die nasse Tunika über den Kopf und trat ganz nah an sie heran. Das Grinsen war ihr längst vergangen. Böse Erinnerungen kamen wieder auf. Das letzte Mal, als sie sich gewehrt hatte, war sie anschließend im Carcer gelandet. Mit einem ängstlichen Ausdruck im Gesicht machte sie einen Schritt zurück, da sie jeden Augenblick damit rechnete, von ihm angefasst zu werden. Noch musterte er sie genau und sog dabei ihren Geruch auf. Ob sie losschreien sollte oder lieber darum betteln sollte, damit er ihr nichts antat?
    Doch wie es schien, hatte sich der Germanicus nur einen Scherz mit ihr erlaubt. Denn nicht sie war es, was er sich ausborgen wollte. Es war lediglich ein alter Mantel, nach dem er verlangte. Ihr fiel ein Stein vom Herzen und allmählich stellte sich auch wieder ihr Lächeln ein. „Ah ein Mantel, ja natürlich!“ schnell verschwand sie hinter einer Tür und kam wenig später mit einem wollenen Mantel zurück, den sie ihm reichte. „Bis morgen… deine Tunika. Sie wird bestimmt bis morgen fertig sein,“ versicherte sie ihm.


    Plötzlich wurde sie durch ein Klopfen an der Tür aufgeschreckt. Das war der erdenklich ungünstigste Augenblick, wenn man sie hier mit dem halbnackten Optio erwischte. "Es hat geklopft," bemerkte sie folgerichtig. Niemand durfte den Optio hier so sehen! "Du musst hier verschwinden! Sofort!", meinte sie nur, als sie bereits zu Tür schritt und diese nur einen Spalt weit öffnete.
    "Der Centurio ist nicht da!", meinte sie resolut. "Aber du kannst mir die Nachricht gerne überreichen. Ich bin seine Sklavin und werde sie ihm dann aushändigen, sobald er wieder da ist."

    Corinna schluchzte in einem fort. Sie saß kauernd neben Sibel und hatte Malachi Platz gemacht. Ihr war erst jetzt bewusst geworden, dass der Sklave keineswegs alleine das Balneum betreten hatte. Sie erkannte nun auch seinen Dominus, den Sohn der Domina Axilla, der sich etwas abseits aufhielt und Zeuge dessen wurde, was sein Sklave nun vollbrachte.


    Sibel war hinuntergeglitten. Für einen Augenblick lang dachte sie darüber nach, wie es wäre, für immer hier unten zu bleiben. Die Welt von hier aus zu erleben, war weniger qualvoll. Denn das Wasser schuf eine natürliche Distanz zu den Dingen. Von hier aus war es weitaus erträglicher.
    Noch waren ihre Lungen voller Luft, doch sie spürte bereits den Drang, wieder atmen zu wollen. Statt aber wieder an die Oberfläche zurückzukehren, blieb sie an diesem wundersamen Ort, der ihr mehr und mehr vertraut wurde.
    Sie hatte ihren Mund geöffnet und ließ das Wasser in ihre Lungen strömen. Zunächst war es noch ungewohnt und sie wollte sich auch schon dagegen sträuben. Dann aber akzeptierte sie es für sich und alles um sie herum begann dunkel zu werden…


    Jammernd beobachtete Corinna nun die Handgriffe Malachis. Sie betete, ganz gleich zu welchem Gott, sie hoffte und bangte, der Sklave möge Erfolg haben! Indessen flößte Malachi ihr neuen Atem ein, auf dass sie selbst wieder atmete.
    Die ganze Sache erreichte schließlich ihren Höhepunkt, als auch noch Avianus ins Balneum geeilt kam, angetrieben von den Schreien und dem Tumult, der von hier ausging. Für die Sklavin war es wohl das Schlimmste, ihm in die Augen blicken zu müssen und jammernd seine Frage mit einem Nicken zu beantworten, denn auch die Anstrengungen Malachis schienen keinen Erfolg zu haben.


    Doch dann plötzlich, es ging ein Aufbäumen durch Sibels Körper. Als habe eine höhere Macht Einfluss genommen. Ein Schwall Wasser verließ ihren Mund und sie begann heftig zu husten.
    Als Sibel die Augen aufschlug, blickte sie in das fremde Gesicht eines Mannes, der sich über sie gebeugt hatte. Alles wiederholt sich wieder…

    Welch ein Glück! Es kam auch sofort Hilfe. Die Sklavin,deren Name im Übrigen Corinna lautete, versuchte noch immer, nur durch bloßes Rütteln der Lykierin wieder Leben einzuflößen und geriet allmählich in Panik, da ihre Bemühungen nicht fruchten wollten. Sie sich bereits am nächsten Kreuz baumeln.
    Umso größer lasteten nun ihre Hoffnungen auf dem Sklaven, der soeben eingetreten war und dessen Stimme sie vernommen hatten. „Schnell! So hilf mir doch, sonst stirbt sie!“ rief Corinna und befürchtete, dass es fast schon zu spät war. „Sie hat ein Bad genommen und ist untergetaucht. Aber dann kam sie nicht mehr hoch,“ versuchte Corinna sich aufgelöst zu erklären. „Mach, dass sie wieder atmet! Bitte!“, flehte die Skavin.

    Nachdem nun Sibel untergetaucht war, um ihre Frage unbeantwortet zu lassen, wurde es der Sklavin zu bunt. Weshalb sollte sie noch länger hier im Becken bleiben und die Launen dieser Sklavin zu ertragen? So wendete sie sich ab und stieg wieder aus dem Becken heraus und schenkte der Untergetauchten so gut wie keine Beachtung mehr. Mit einem Handtuch trocknete sie sich noch ab und wollte bereits gehen. Doch dann beschlich sie eine seltsame Ahnung. Avianus‘ Sklavin war scheinbar immer noch unter Wasser. Wenn sie so lange die Luft anhalten konnte, dann alle Achtung! Dann aber riskierte sie doch lieber noch einmal einen Blick über den Beckenrand.


    „He du! Wie lange willst du noch da unten bleiben?!“ Es folgte keine Reaktion. Die Frau dort im Becken bewegte sie auch gar nicht. Nun bekam die Sklavin doch Angst. Wenn dieser Frau etwas geschah, während sie bei ihr war, würde das auf sie zurückfallen!
    Die Sklavin, die sich der Folgen bewusst geworden war, die ihr drohen konnten, sprang direkt von Rand ins Becken. Auch sie tauchte unter und versuchte, Sibel zum Auftauchen zu bewegen. Doch was sie dort unten vorfand, war ein scheinbar lebloser Körper. Nur mit viel Mühe konnte sie Sibel wieder über Wasser ziehen und noch mehr Kraft und Anstrengung hatte es sie gekostet, sie aus dem Becken herauszuziehen.
    Mit letzter Kraft versuchte sie Sibel zu schütteln, damit sie wieder atme. Doch diesen Gefallen tat sie ihr nicht. So blieb ihr nur eins übrig, um Hilfe zu schreien!

    Alles, was Sibel ihm angeboten hatte, lehnte er kategorisch ab. Selbst das Waschen der Tunika. Natürlich hätte sie nicht hier und jetzt den Waschzuber herausgeholt und vor ihm mit waschen und schruppen begonnen. Zumal sie gar nicht wusste, ob und wo es einen solchen Zuber überhaupt in der Habitatio gab. In diesen Dingen hatte Avianus eine ganz eigene Ordnung entwickelt, die sie allerdings noch nicht völlig durchschaut hatte. Aber das war ja auch erst ihr zweiter Tag. Und gerade jetzt hoffte sie, dass noch viele folgen mochten.


    Immerhin nahm er aber dann doch den angebotenen Stuhl in Anspruch und setzte sich. Irrte sie sich, oder hatte sie auf seinem Antlitz ein Schmunzeln entdecken können? Dann war es vielleicht doch nicht so schlimm und das alles hätte auch kein böses Nachspiel für sie. Was ja schon an sich sehr beruhigend gewesen wäre. Aber auch so war inzwischen ein Teil ihrer Nervosität abgefallen und sie zappelte nicht mehr so aufgeregt vor ihm herum, wie ein aufgescheuchtes Huhn.


    Er nannte ihr dann auch seinen Namen, denn schließlich war es ja ganz gut zu wissen, wen sie nass gemacht hatte. Aber natürlich wollte auch er den Namen der Übeltäterin erfahren und, was ja noch wichtiger war, was sie hier eigentlich machte.
    „Schön dich kennenzulernen, Optio Germanicus. Vielleicht nicht unbedingt unter diesen Umständen… aber…. schön. Ich bin übrigens Sibel,“ entgegnete sie ihm lächelnd. Aber wie hatte er sie gerade bezeichnet, als dienstbaren Geist? So hatte das ihr gegenüber noch niemand ausgedrückt. „Äh was? Ah ja, ich bin seine Sklavin, wenn du das meinst. Und heute ist erst mein zweiter Tag hier,“ fügte sie fast entschuldigend mit einem Schulterzucken noch hinzu. Aber wenn sie eines aus der Sache gelernt hatte, dann dass sie zukünftig zuerst aus der Habitation heraustrat und dann das Schmutzwasser wegkippte. Wenn sie dann noch darauf achtete, dass sich niemand unmittelbar im Gefahrenbereich aufhielt, konnte eigentlich nichts mehr schief gehen.
    „Und du bist ganz sicher, dass ich deine Tunika nicht waschen soll? Wenn sie trocken ist, musst du sie auch gar nicht hier abholen kommen. Ich würde sie dir dann vorbei bringen.“

    Sibel lag auf dem Wasser. Sie bewegte sich kaum uns balancierte ihren Körper so, dass er nicht unterging. Das hatte sie früher als Kind auch schon gemacht, wenn auch nicht immer ganz freiwillig.. Damals als sie noch die Spielgefährtin für die Kinder ihrer Herrschaft gewesen war. ‚Tot spielen‘, hatte der junge Aurius, der damals noch ein Knabe war, das Spiel genannt. Von Anfang an hatte sie dieses Spiel nicht mitspielen wollen. Wahrscheinlich weil es sie auf so schmerzliche Weise an ihr eigenes Schicksal erinnerte. ‚Tot spielen‘ hatte so etwas erschreckend Reales für sie gehabt. Diejenigen, die damals die Schiffskatastrophe nicht überlebt hatten und tot im Wasser schwammen, spielten nicht tot. Sie waren es.


    Nach einer Weile der Stille, war es dann die Sklavin, die das Wort an Sibel richtete. Auch wenn sie vorhin nicht im Atrium zugegen gewesen war, hatte sie dennoch mitbekommen, dass etwas vorgefallen war. Nicht jeden Tag schrie jemand im Atrium herum. Wie überall tratschten die Sklaven auch in dieser Casa. Und die Sklavin hoffte darauf, nun noch ein wenig mehr über die Fremde zu erfahren. Sie hatte sie bereits die ganze Zeit über beobachtet. Bislang aber hatte ihr noch der Mut gefehlt, weiter nachzuhaken. Doch nach einiger Zeit traute sie sich etwas mehr zu. „Wessen Sklavin bist du eigentlich?“
    „Die von Iunius Avianus,“ antwortete Sibel gleichgültig und versuchte dabei weiter die Balance zu halten. Doch das gelang ihr nicht. Sibel ließ wieder ihre Füße zu Boden sinken.
    „Und warum hast du so geschrien, vorhin im Atrium?“ Es gab vieles, was die Sklavin nicht verstand. Diese seltsame Beziehung, die der Iunier zu seiner Sklavin pflegte, zum Beispiel. Oder weshalb sie eigentlich hier war und nicht bei ihrem Herrn, so wie es sich für eine gute Sklavin gehörte.
    Die Fragerei der Sklavin begann Sibel lästig zu werden. Statt zu antworten, hielt sie die Luft an und tauchte unter. Hier unten, unter Wasser, hatte alles einen anderen Klang. Alles war viel dumpfer. Wie es wohl war, für immer hier unten zu bleiben?

    Darling, stop confusing me
    With your wishful thinking
    Hopeful embraces
    Don't you understand?


    I have to go through this, I belong to here
    Where no one cares and no one loves
    No light, no air to live in
    A place called Hate, The City of Fear


    I play dead, it stops the hurting
    I play dead and the hurt stops


    It's sometimes just like sleeping
    Curling up inside my private tortures
    I nestle into pain
    Hug suffering, caress every ache


    I play dead, it stops the hurting...


    "Play dead" von Björk Gudmundsdóttir
    aus ihrem Album „Debut“, 1993



    Sibel betrat den kleinen Raum, in dessen Mitte sich ein mit warmem Wasser gefülltes Becken befand. Die Wände des Balneums waren mit Abbildern mythologischer Szenen ausgestattet und ein passendes Mosaik dazu schmückte en Fußboden. Dafür aber hatte die Lykierin gerade keine Augen. Auch der feine aromatische Duft nach Lavendel, der ihre Nase umschmeichelte und von einem Badezusatz herrührte, hatte sie nicht entzücken können.


    Eine Sklavin erwartete sie bereits dort und wollte ihr beim entkleiden helfen. Sibel war es aber peinlich, sich von ihr bedienen zu lassen. Eine Sklavin, die sich von einer Sklavin bedienen lässt? Nein, das war es nicht, was sie wollte! „Danke, das geht schon.“ Zuerst legte sie die Bernsteinkette ab, dann streifte sie die Tunika ab. Zum Schluss öffnete sie ihr Haar, das mit Nadeln zusammen gehalten waren.
    Um sich nicht völlig überflüssig vorzukommen, nahm die Sklavin schließlich die Kleidung Sibels und verwahrte sie in einem Regalfach, das speziell für die Aufbewahrung solcher Gegenstände gedacht war.


    Vorsichtig stieg Sibel schließlich ins Wasser und ließ sich ganz hinein gleiten. Die Wärme fühlte sich gut an und auch die Leichtigkeit, die das Wasser ihrem Körper verlieh. Ruhig und nahezu bewegungslos lag sie auf dem Wasser und starrte die Decke an. Ihre Aufmerksamkeit kehrte erst wieder zurück, als auch die Sklavin zu ihr ins Wasser stieg. „Soll ich dich waschen, Domina?“, fragte sie Sibel.
    Die Lykierin versuchte, wieder einen festen Stand im Becken zu erlangen. „Nenn mich nicht so! Ich bin keine „Domina“. Ich bin nicht mehr oder weniger als du selbst.“ Die Sklavin, die es eigentlich nur gut gemeint hatte, wich zurück und beobachtete Sibel einen Moment lang. „Du willst damit sagen, du bist auch nur eine Sklavin? Und was willst du dann hier?“ Die letzte Frage der Sklavin hatte einen leicht vorwurfsvollen Klang, den Sibel natürlich nicht überhört hatte.
    „Das frage ich mich auch,“ antwortete sie und schwieg dann.

    Ihre Mutlosigkeit und ihr in sich selbst gekehrt sein, ließen sie dort stehen bleiben, wohin Avianus sie geführt hatte. Seneca war bereits gegangen. Wer hätte ihm das verübeln können. Dieser Abend war gründlich daneben gegangen! Irgendwie aber hatte sie es bereits schon vorher gewusst, dass es ein großer Fehler sein würde, hierher zu kommen. Im Grunde hatte das, was hier und heute gesagt worden war, ja offen auf der Hand gelegen. Sie selbst hatte es ja auch immer gewusst, dass sie nicht diejenige war, die er irgendwann einmal als seine Frau bezeichnen konnte. Es dann heute aber aus seinem Munde zu hören, war dann doch etwas anderes. Es schmerzte so sehr. So sehr sie ihn auch noch immer liebte, sie wünschte sich nun, sie hätten sich niemals getroffen.


    Ihm war natürlich sofort aufgefallen, dass sie anders war, als sonst. So ernst und traurig, so ganz ohne Hoffnung war sie bisher nur selten gewesen. Damals vielleicht, als sie noch vor Silanus ausgeliefert war. Und auch als er sie fragte, was sie wolle, hatte er für sie doch schon alles geregelt. Er hatte Sklaven geschickt, die ein Bad für sie bereiten sollten, Sie sollte sich entspannen und auf ihn warten.


    „Nichts, alles Bestens,“ antwortete sie ihm ohne auch nur aufzusehen und ihm ins Gesicht zu blicken. „Wenn du willst, natürlich.“ Die Frage war doch nicht, was sie wollte, sondern was er wollte? Dass sie es für ihn nicht sein konnte, hatte er ja nun mehr als deutlich gemacht. Doch was wollte er? Das war die Frage!


    Wortlos folgte sie schließlich dem Sklaven, der sie zum Balneum brachte.

    Unter normalen Umständen hätte es sicher sehr verlockend geklungen, was Avianus ihr nun alles vorschlug: Ein gemeinsames Essen, ein entspannendes Bad in einem privaten Balneum, in das sonst niemand fremdes Zutritt hatte und um alles musste man sich nicht selbst kümmern. Nein, das würden andere für sie tun. Einen Moment lang das Leben von einem anderen Blickwinkel aus sehen. Allerdings konnte sie sich darüber nicht wirklich begeistern. Ihm zuliebe aber willigte sie ein. Sie hatte ihm heute Abend schon genug Kummer bereitet. Denn zweifellos war ihr bewusst, wie schwer es auch für ihn gewesen sein musste. Er hatte erkannt, welchen Preis er zu zahlen hatte, wenn er sie nicht los ließ. Und er würde sie los lassen. Irgendwann schon!


    „Gut, dann bleiben wir hier,“ meinte sie nickend und kam ihm entgegen, um wieder zurück ins Haus zu gehen. Er nahm sie bei der Hand und sie ließ sich führen. Spätestens als sie wieder über die Schwelle schritt, wurde ihr bewusst, dass im Atrium ja auch noch sein Vetter wartete. Nach ihrem Auftritt heute, hatte sie mit Sicherheit einen bleibenden Eindruck bei Seneca hinterlassen. Im Prinzip war das ja aber jetzt auch nicht mehr wirklich wichtig. Aber selbst das konnte ihr das schlechte Gewissen, das sie hatte, nicht völlig nehmen.

    Er war ihr natürlich hinaus gefolgt. Nur wenig später stand er ebenso wie sie auf der Straße. Dennoch hielt er Abstand zu ihr. Er kam nicht, wie er es vielleicht sonst getan hätte, um sie in den Arm zu nehmen und sie zu trösten. Stattdessen versuchte er, sie davon zu überzeugen, dass sie doch noch alle Zeit der Welt hätten. Doch was änderte das schon? Ob sie nun ging oder erst in einigen Jahren? Was machte das für einen Unterschied? War es denn nicht viel grausamer, den ultimativen Punkt noch weiter hinauszuschieben, mit dem Wissen, dass sie ihm allein durch ihre Anwesenheit schadete? Hatten sie dafür all die Jahre so hart gekämpft, um sich nun am Rande des Abgrunds wieder zu finden? Ein Abgrund, der sich ganz plötzlich zwischen ihnen aufgetan hatte? Von dem sie gestern noch gar nichts geahnt hatten, dass es ihn gab. Oder sollte man nicht besser sagen, den sie bis dahin erfolgreich verdrängt hatten.


    Sibel wusste nicht, was sie noch sagen oder denken sollte. Ihr kam sogar der Gedanke, völlig überreagiert zu haben. Aber es hatte doch so weh getan, wie sie über sie gesprochen hatten, als säße sie gar nicht daneben, sondern sei weit, weit fort.
    Doch vielleicht hatte Avianus ja recht damit, nach Hause zu gehen oder auch hier die Nacht zu verbringen, um vorher in Ruhe noch einmal unter vier Augen darüber zu reden. Auch wenn dies an dem Grundproblem nichts ändern würde.
    „Ja gut,“ meinte sie schließlich, nachdem sie sich wieder etwas beruhigt hatte. „Lass uns gehen, ganz gleich wohin…. Irgendwohin wo du willst, oder lass uns auch hier bleiben.“ Es war schließlich egal, wo sie miteinander redeten und im schlimmsten Fall ihrer Liebe den Todesstoß versetzten.

    „Bitte, tritt doch ein,“ forderte sie den Soldaten noch einmal auf. Wenigstens kam er ihrem Angebot dann auch nach, wenn auch etwas zögerlich. Derweil suchte sie noch immer völlig aufgelöst nach einem Tuch oder etwa ähnlichem, womit er sich abtrocknen konnte. „Der Centurio ist gerade nicht hier!“, rief sie aus irgendeiner Ecke, während sie noch weiter suchte. In einem der Lagerräume, die scheinbar eine nicht versiegen wollende Quelle von allerhand nützlichem und nutzlosem Zeug war, wurde sie schließlich fündig. Endlich kam sie zu ihm zurück, mit einem Stück Stoff in der Hand, das in einem anderen Leben einmal eine verschlissene Tunika gewesen sein musste. Aber ganz egal, wozu der Stoff einmal gedient hatte. Hauptsache er war jetzt nützlich. Deshalb reichte sie ihm schnell ihr Fundstück.


    Der Soldat war richtig sauer. Und das zu Recht! Seine skeptischen Blicke galten natürlich ihr, aber auch dem Inneren der Habitatio.
    „Bitte. fühl dich doch wie zu Hause! Kann ich dir etwas zu trinken bringen?“ Sie bot ihm einen Stuhl an, der im Eingangsbereich der Habitatio stand. „Ich werde dir natürlich deine Kleidung waschen,“ versprach sie, um ihn etwas zu besänftigen. „Das ist ja das Mindeste, was ich für dich tun kann.“ Natürlich war es dann allerdings notwendig, dass er sich zuerst der nassen Sachen entledigte. Das schien dem Soldaten aber nicht ganz klar zu sein. Ihn interessierte zunächst, was sie hier machte. Als ob das nicht offensichtlich war! Leerer Eimer, Schmutzwasser… nach was sah das denn aus?
    „Ich habe geputzt!“, stellte sie fest. „Sieht man das nicht?“

    „Ich habe mich geirrt,sagte sie leise, nachdem ihr Blick für eine ganze Weile auf Avianus geruht hatte. Sie kannte die Antwort auf seine Frage und eigentlich wusste er sie doch auch. Er würde nie aufhören können, ein Iunius zu sein. Das war sein Leben. Er war jung, eifrig und aufstrebend und er hatte die besten Voraussetzungen, noch vieles im Leben zu erreichen.Das hatte man ihm ja auch schon von höherer Stelle bescheinigt. Darum konnte nur diese eine Antwort die Richtige sein. Dieser Erkenntnis konnte sie nicht mehr länger entziehen, auch wenn es ihr das Herz brach und in ihr etwas sterben ließ.


    „Ich brauche frische Luft. Bitte entschuldige mich. – Aulus Iunius Seneca, es hat mich gefreut, dich kennenzulernen.“ Fluchtartig verließ sie die Sitzgruppe. Ein Sklave, der ihr entgegenkam, warf ihr nur einen fragenden Blick zu. Sibel aber ließ sich davon nicht beirren. Sie lief zur Tür und ließ sich vom Ianitor öffnen.
    Vor der Casa blieb sie zunächst stehen und rang nach Atem, als stünde sie kurz vor dem Erstickungstod.
    Der Abend war schön. Ein lauer Frühsommerabend, der vielversprechend hätte sein können. Nicht aber für sie...

    Langsam bröckelte auch der letzte Rest der Fassade, die sie sich aufgebaut hatte. Die Fassade, die ihr vorgegaukelt hatte, alles könnte von nun an besser werden. Sie presste ihre Lippen fest aufeinander, um nicht schreien zu müssen. Wie hatte sie nur so naiv sein können.
    Der Gedanke, im rechten Moment fortzugehen formte sich zusehends, je länger sie darüber sprachen, zu einem Entschluss. Avianus war ohne sie besser dran. Eigentlich stand sie ihm doch jetzt schon im Weg. Langsam und unmerklich löste sich ihre Hand von seiner.
    Jedes Wort, das zu ihr vordrang, war wie ein Stich, der unendlich schmerzte. Jahrelang
    hatte man sie gezwungen, stillzuhalten und alles ohne Widerworte zu erdulden, wie ein starres Möbelstück. Nun aber war der Punkt erreicht, an dem genug einfach genug war, an dem nichts mehr ging. Sibel kapitulierte schließlich vor ihrem eigenen Wunschdenken und erhob sich von ihrem Platz. „Bitte… bitte hört auf! Ich…“, rief sie schluchzend. Sie hatte ich inzwischen den beiden Iuniern wieder zugewandt. „Ich werde noch solange bei dir bleiben, wie du mich bei dir behalten willst. Aber dann werde ich gehen. Ich werde weder zwischen dir und deiner Familie noch deinen Zukunftsplänen stehen. Vergiss mich einfach. Lass mich einfach zu einer netten Erinnerung werden, der du hoffentlich nie nachtrauern wirst. Denn du siehst doch selbst, es ist das Beste für uns, wenn ich dann gehe.“

    Was als Aufmunterung gedacht war, schoss ganz knapp am Ziel vorbei, denn Sibel konnte sich nicht darauf freuen, eines Tages freigelassen zu werden. Auch wenn das völlig verrückt klang. Den Tag ihrer Freilassung setzte sie mit dem Ende ihrer Zeit in der Castra gleich. Dann gäbe es wieder etwas, was sie trennte.
    Aber auch die darauffolgende Diskussion der beiden, bei der es ja im Grunde um sie ging, und das, was man tun konnte, damit sie besser ins Konzept von Avianus‘ Familie passte, fiel ähnlich ernüchternd aus. Eigentlich hatte sie von Anfang an die Antwort gekannt. Auch wenn zwischendurch so etwas wie Hoffnung mitgeschwungen hatte. Doch es war einfach lächerlich, sich Hoffnungen zu machen, es gäbe so etwas, wie ein Hintertürchen in diesem Spiel. Letztendlich musste sie sich einmal mehr eingestehen, dass sie niemals die Richtige für ihn sein könnte, ohne ihm dabei im Wege zu stehen.


    Irgendwann hatte sie ihren Blick abgewandt. Nur ihre Hand, die seine noch immer hielt, verband sie in diesem Moment noch miteinander. Ihre Augen fixierten irgendeine Ecke im Atrium, an der sie sich festhalten konnte, denn es war einfach so schmerzhaft, weiter zuzuhören. Eine Träne rann an ihrer Wange herab, dann noch eine. Vielleicht war es besser, endgültig aus seinem Leben zu verschwinden. Für immer. Dann ersparte sie ihm viel Kopfzerbrechen. Und eines Tages, wenn sie dann tatsächlich nicht mehr tragbar war, ersparte sie ihm auch noch sein schlechtes Gewissen, sie fort schicken zu müssen.

    Selbst Avianus‘ Freude schien plötzlich ein wenig getrübt zu sein, nachdem sie Seneca die Umstände ihres Kennenlernens geschildert hatte. Offenbar hatte er ihm nicht alles über sie erzählt, was sie eigentlich gut nachvollziehen konnte. Doch die Frage war nun, wie sein Vetter diese Neuigkeiten aufnehmen würde.
    Avianus versuchte sich und sein damaliges Handeln noch zu erklären. „Wenn ich ihm damals nicht entwischt wäre, hätte er mich wahrscheinlich ausgeliefert“, fügte sie noch hinzu. „Aber das Schicksal wollte es, dass wir uns ein zweites Mal über den Weg liefen. Ich fand ihn in einer Gasse, auf dem Boden liegend, weil ihn jemand niedergeschlagen hatte. Er hatte am Kopf geblutet.“ Und sie hatte ihm geholfen, obwohl er eigentlich nicht auf ihrer Seite gestanden hatte. Sibels Hand suchte die seine und drückte sie. Sie wäre keineswegs überrascht gewesen, wenn er nun seine Meinung über sie noch einmal überdachte. Doch was lastete schlimmer: Eine Frau, die als Kind in die Sklaverei verschleppt wurde und floh, nachdem alle, die sie ihr Eigentum hätten nenne können, tot waren? Oder eine Frau, die sich mit der Arbeit in einem Lupanar über Wasser gehalten hatte und unter widrigen Umständen in die Sklaverei geraten war?


    Avianus‘ Vetter hatte einen großen Schluck Wein genommen, bevor er zu sprechen begann. Das war für ihn sicher ein starker Tobak, der erst einmal verdaut werden musste. Dennoch fiel das, was er sagte, doch recht milde aus. Er ließ es außen vor, ob er ihre Beziehung gutheißen sollte oder nicht. Jedoch machte er sich Gedanken darüber, wie ihre Beziehung tatsächlich auch eine Zukunft haben konnte. Er sprach von der Verbesserung ihres Standes.
    „Ich würde alles in Kauf nehmen, um bei ihm zu bleiben, auch wenn ich dafür nicht frei sein kann.“ Die Möglichkeit, einmal mehr als nur seine Geliebt zu sein, hatte sie sich zwar heimlich gewünscht, die Möglichkeit dies zu realisieren jedoch nie wirklich in Betracht gezogen.

    Sibel hatte ich bereits schon wieder umgewandt, um die letzten Spuren ihrer Putzaktion zu beseitigen. Doch plötzlich hörte sie ein Prusten, dann eine Stimme, die eindeutig vom Eingang der Habitatio herrührte. Erschrocken blieb sie auf der Stelle stehen, ließ den Eimer fallen, der ja inzwischen zum Glück leer war und fuhr dann entsetzt um. Schnell trat sie zur Tür und entdeckte dort ihr Opfer.
    Der arme Tropf hatte so ziemlich die ganze Ladung abbekommen und triefte nun von ihrem Schmutzwasser. Mit seinem Schal trocknete er sich notdürftig sein Gesicht. Man konnte beobachten, wie sie ganz plötzlich weiß um die Nase wurde. Gleich am zweiten Tag begann sie schon damit, wieder in Schwierigkeiten zu geraten. Avianus würde begeistert sein! Sie sah sich bereits wieder im Carcer sitzen. Wie nannte man das noch? Widerstand gegen die Staatsgewalt?
    „Oh bitte, das… das tut mir furchtbar leid! Das... das wollte ich nicht! Wirklich!“, begann sie zu stammeln. Was sollte sie denn jetzt machen?
    Ein Tuch! Sie brauchte ein Tuch, um ihm beim Säubern zu helfen. Aber nicht hier draußen!
    „Aber bitte, komm doch herein.“ Hier draußen konnte sie ihn ja unmöglich stehen lassen, so nass und schmutzig, wie er war.

    Mit Avianus Hand im Rücken, der sie sanft zu seinem Vetter hin schob, blieb ihr eigentlich gar keine Wahl mehr, um still und leise im Hintergrund zu verharren. Also machte sie einen Schritt auf Seneca zu. „Es ist ein lykischer Name. Meine Familie stammte aus Myra,“ bemerkte sie schüchtern. Sie würde wohl noch einen Moment brauchen, bis auch bei ihr das Eis gebrochen war. Zumindest begegnete ihr Avianus‘ Vetter nicht mit Ablehnung. Ganz im Gegenteil, er war sehr freundlich zu ihr, obwohl er über ihre Vergangenheit informiert war.


    Wieder schob Avianus sie weiter, hin zu einer Sitzgruppe. Nachdem er auf einem Sessel Platz nahm, tat sie es ihm gleich, wenn auch zögerlich. Kaum saß sie neben ihm, gab er Senecas Frage an sie weiter. „Ähm, ja auch etwas Wein und vielleicht ein paar Häppchen, bitte… Danke!“
    Avianus tat sein Bestes, damit ihre Anspannung von ihr abfiel. Sie spürte, wie glücklich er war, weil er seinen Vetter da war, aber auch weil sie da war. Um ihm das nicht madig zu machen, versuchte sie, sich noch mehr Mühe zu geben und einfach sie selbst zu sein. So als gäbe es keine Unterschiede und keine Barrieren, die zwischen ihnen standen. Und auch Seneca genoss sichtlich seine und ihre Anwesenheit. Natürlich war er neugierig. Avianus hatte ihm wohl einiges über sie berichtet, doch mit Sicherheit nicht alles. Seneca ermunterte sie schließlich, etwas über sich zu erzählen. Zögerlich begann sie:
    „Aulus… Avianus und ich.. wir kennen uns bereits aus Misenum. Ich diente damals im Haus seines Freundes. Die letzten Tage des Bürgerkrieges brachten mir sozusagen die Freiheit. Meine Domina hatte sich das Leben genommen. Ihr Sohn war bereits gefallen und ihr Gatte, weil er ein Anhänger Salinators war, war im Gefängnis gestorben. Ich bin einfach gegangen. Wir sind alle einfach gegangen. Und als ich schließlich in Rom ankam, war es ausgerechnet Avianus, auf den ich zuerst traf.“ Was er davon halten machte, dass sie damals in gewisser Weise geflohen war.

    Sibel war am Morgen mit einem Lächeln aufgewacht. Neben ihr lag immer noch der schlafende Avianus. Sein gleichmäßiger Atem ließ seine Brust in einem immer gleichen Rhythmus anheben und wieder senken. Sanft küsste sie ihn auf die Wange. Sie musste sich erst einmal kneifen, um festzustellen, dass dies kein Traum war. Denn sie konnte es immer noch gar nicht richtig fassen, dass es von nun an jeden Morgen so wäre.


    Später dann, nachdem sie aufgestanden waren, ein kleines gemeinsames Frühstück eingenommen hatten und er dann gegangen war, blieb sie allein in der Habitatio zurück.
    Sie wusch sich notdürftig mit dem Wasser, welches sie zuvor an einem Brunnen geholt hatte, dann zog sie sich eine einfache Tunika über und überlegt, was sie heute, am Tag 2 nach Varus , tun könnte.
    Als sie so da saß und ihr Blick die Räumlichkeiten streifte, fasste sie den Entschluss, es könnte doch vielleicht eine gute Idee sein, alles zu putzen und anschließend das eine oder andere im Wohnbereich anders zu arrangieren.


    Um putzen zu können, bedurfte es natürlich auch einiger Utensilien. Ein Eimer und ein Besen, eventuell auch eine Bürste, machten sich gut. Vielleicht auch ein Schwamm oder ein Lappen. Nachdem Sibel eine kleine Expedition zu den Lagerräumen gestartet hatte, war sie dort auch recht bald fündig geworden. Der Eimer war schnell mit Wasser gefüllt. Doch zunächst fegte sie erst einmal alle Räume aus und wischte den Staub.
    Um etwas Frischluft in die fensterlosen Räume zu bringen, öffnete sie alle Türen. Jetzt, am Morgen war die Luft frisch noch nicht zu sehr von der Sonne aufgeheizt.
    Schließlich begann sie, den Fußboden zu schruppen. Dass diese Arbeit sie auf die Knie zwang, machte ihr wenig aus. Im Grunde tat sie das ja auch für sich, damit sie es danach wohnlicher hatte. Und irgendjemand musste die Arbeit ja schließlich auch machen.


    So vergingen einige Stunden, bis sie endlich zufrieden das Resultat ihrer Arbeit bewundern konnte. Lediglich der Eimer mit dem Schmutzwasser störte noch die Harmonie. Doch dem konnte Abhilfe geschafft werden! Sie nahm also den Eimer, ging damit zur Tür und schüttete ihn achtlos aus. Da sie vom Sonnenlicht geblendet worden war, hatte sie natürlich nicht erkennen können, ob sie mit dem schmutzigen Nass irrtümlicherweise jemanden getroffen hatte…

    Avianus hatte ihr nicht mehr antworten können. Und selbst wenn er es hätte noch tun können, dann hätte er sie wohl kaum hinausgeschickt. So blieb ihr nichts anderes übrig, als zu bleiben.
    Die Schritte näherten sich und so dauerte es nicht mehr lange, bis endlich ein gut gekleideter Mann erschien, der ein paar Jahre älter sein mochte, als Avianus. Wenn man die Lykierin in diesem Moment sah,hätte man meinen können, sie habe gerade einen Geist gesehen. Ihre Anspannung hatte soeben ihren Höhepunkt erreicht. Und das obwohl sie gerade Zeugin eines freudigen Wiedersehens wurde. Die beiden Iunier fielen sich zur Begrüßung freundschaftlich in die Arme. Als sie sich nach einer Weile wieder trennten, fiel der Blick des älteren Iuniers auf sie. Er fixierte sie, wenn auch lachend. Und trotzdem fühlte sie sich gerade nicht wirklich wohl in ihrer Haut. Vielleicht sollte sie etwas sagen? Irgendwas. Aber genau bei diesem Punkt stellte sich ihr eine wichtige Frage. Wie hätte sie ihn denn eigentlich ansprechen sollen? Einfach nur Seneca oder gar Dominus? Sie war sich nicht sicher. Aber vielleicht konnte sie ja ein wenig lächeln. Wenigstens ein bisschen. Langsam entspannten sich ihre Züge und ein sehr dünnes Lächeln zeichnete sich darauf ab.
    Sie wollte schon antworten, als er nach ihrem Namen fragte. Avianus jedoch kam ihr zuvor. „Ja, genau Sibel“, fügte sie dennoch unsicher hinzu, um dann ihr Lächeln noch ein klein wenig zu intensivieren.

    Beroe wunderte sich schon, wie sie scheinbar befreit über alles reden konnte, was ihr zuvor schwergefallen war. Das musste am Opium liegen! Opium machte alles leichter, selbst dann wenn die Lebensumstände doch sehr bescheiden waren. Vielleicht sollte sie öfter hierher kommen.
    Doch bevor sie noch mehr aus dem Nähkästchen ausplaudern konnte, wurde ihre Aufmerksamkeit plötzlich auf einen jener Männer gelenkt, der bis vor kurzem mit seinen Freunden noch in einer Nische gesessen hatte und sich nun vor ihnen aufbaute. Ganz verdutzt schaute sie den Mann an, als er sie ansprach. Offenbar kannte er sie noch von früher, als sie im Lupanar gearbeitet hatte. Normalerweise wäre ihr das furchtbar peinlich gewesen. Zumal der Kerl auch nun noch ihre Begleiterinnen belästigte. Doch das Opium verlieh ihr an diesem Abend eine gewisse Selbstsicherheit, von der sie niemals zu träumen gewagt hätte. Sie erhob sich uns lachte den Kerl an. „Tut mir leid, Süßer. Aber ich arbeite nicht mehr dort …. Und lass gefälligst meine Freundinnen in Ruhe, du Dreckskerl! Verzieht euch, sonst… sonst…“
    Mist, jetzt hatte Beroe den Faden verloren. Zu gerne hätte sie ihm weiter Paroli geboten. Doch zu ihrem Erstaunen sprang Varia in die Presche. Ausgerechnet Varia, der normalerweise so ziemlich alles egal war und die sich um niemanden kümmerte. Nun schob sie ihre beiden Freundinnen in eine Nische, fals es doch noch prenzliger werden sollte. Nein, Angst hatte Beroe eigentlich keine. Sie fühlte sich unheimlich leicht und eigentlich wollte sie gerne noch einmal die Pfeife probieren…