Beiträge von Iunia Sibel

    Alles hatte schnell gehen müssen. Kaum war Avianus von seinem Dienst zurück, verschwand er schnell in die Thermen. Zuvor hatte er Sibel aber noch die frohe Botschaft verkündet, den heutigen Abend in der Casa Iunia zu verbringen. Sie hatte sich doch schon so auf ihn gefreut. Und nun kam er mit dieser Botschaft an, Seneca sei überraschen nach Rom gekommen. All ihre Befürchtungen, die sie wegen dieser unausweichlichen Begegnung hatten, waren nun zum Greifen nahe.
    Trotz allem hatte sie eine ihrer besten Tuniken übergestreift und die „guten“ Sandalen angezogen. Die Bernsteinkette, die Avianus ihr geschenkt hatte legte sie ebenfalls an. Schnell noch hatte sie sich die Haare zu einem Dutt zusammengemacht. Dann machten sie sich auch schon auf den Weg.
    Mit gemischten Gefühlen hatte sie die Casa betreten und hatte gar kein Auge für die hübsche Inneneinrichtung. Gemeinsam mit Avianus hatte sie schließlich das Atrium betreten, um dort auf seinen Vetter zu warten. Auch wenn zum Nachdenken nicht viel Zeit geblieben war, weil alles so schnell gehen musste, war sie schrecklich angespannt. Das konnte sie auch kaum verbergen. „Soll ich nicht lieber erst mal draußen warten?“,meinte sie plötzlich. Seine Beschwichtigungen wollten bei ihr nicht wirklich fruchten. „Ich könnt dann ja später… oder vielleicht auch…“ gar nicht hereinkommen. Sibel verstummte, denn sie hatte nahende Schritte gehört.

    Neugierig… Was immer das auch heißen mochte. Avianus‘ Antwort trug nicht wirklich viel dazu bei, Sibels Bedenken komplett zu zerstreuen. Das beunruhigte sie. Allerdings versuchte sie, sich nichts davon anmerken zu lassen. Doch immerzu musste sie daran denken, was Avianus tun würde, wenn sich sein Verwandter gegen sie aussprach. Wegen ihr würde er wohl kaum ein Zerwürfnis mit seiner Familie in Kauf nehmen.
    Erst als die Sprache auf Morrigan kam, konnte sie ihre Zweifel zumindest für einen Augenblick zur Seite schieben. Vielleicht würde sie das dann auch auf andere Gedanken bringen. Außerdem freute sie sich immer, wenn sie die Perserin besuchen konnte. Und dass Avianus sie nun von der glücklichen Wendung ihres Schicksals informieren wollte, freute sie noch mehr. Hoffentlich blieb alles so, dachte sie bei sich. Noch einmal eine Trennung von ihm konnte sie nicht verkraften. Plötzlich bekam alles wieder einen fahlen Beigeschmack, als würde alles wieder auf der Kippe stehen. Hätte er sie erst gefragt, ob es ihr etwas ausmachte, einen Abend allein zu bleiben, nachdem er von Seneca angefangen hatte, hätte sie wohl anders reagiert. Doch nun war es zu spät und sie wollte ihm deswegen auch nicht zur Last fallen.
    So folgte sie ihm nun, nachdem mehr oder weniger alles geklärt war, hinaus. Seine Führung durchs Lager ,das gemeinsame Essen später und der Abend danach ließen sie ihre Bedenken kurzzeitig vergessen. Doch sie waren noch lange nicht aus der Welt geschafft...

    Glücklicherweise ließ er es bei dem Thema bewenden und bestand nicht darauf, sie gleich jetzt zum Haus seiner Verwandten zu schleppen. Doch bevor er sie nun durchs Lager führte, fielen ihm noch ein paar weitere Dinge ein, die er Sibel noch mitteilen wollte.
    „Seneca, ja an den Namen erinnere ich mich.“ Wie lange war das schon her? Es war zu der Zeit, als sie sich heimlich trafen. Damals hatte er ihr von einem Verwandten namens Seneca erzahlt. Und auch, dass er ihn über sie eingeweiht hatte. Wenn sie ehrlich war, hatte sie damals nie daran geglaubt, diesem Seneca vielleicht einmal zu begegnen. Nun aber war die Chance, ihn einmal zu treffen, sprunghaft angestiegen. „Wie steht er eigentlich zu uns?“ Eigentlich konnte sie nicht so recht daran glauben, dass er ihre Beziehung zueinander gutheißen konnte.


    „Es wäre schön, wenn du Morrigan benachrichtigen könntest. Ich habe ihr so viel zu verdanken. Meinst du, ich könnte sie auch einmal besuchen?“ Die arme Morrigan! Ihr war so viel Schlimmes widerfahren. Hoffentlich fand auch sie irgendwann einmal denjenigen, der sie richtig glücklich machte. Vielleicht würde sie ihm beim Briefeschreiben über die Schulter schauen, wenn er das zuließ. Dann konnte dies vielleicht auch gleich ihre erste Lektion im Schreiben sein.


    Dann war da noch etwas. Er begann ganz behutsam, wohl um ihre Freude nicht zu sehr zu schmälern. Es ging um den Abend vor seinen freien Tagen. Sibel hörte ihm ruhig zu und war deswegen auch nicht enttäuscht. Schließlich ging es ja nur um einen einzigen Abend und natüerlich hatte sie Verständnis dafür, dass er gegenüber seinen Männern auch Verpflichtungen hatte. „Aber das ist doch kein Problem! Geh ruhig mit ihnen aus. Nur weil ich jetzt hier bin musst du dich deswegen nicht zurückhalten.“ Sie fand es ja schon irgendwie süß, dass er sich darüber Gedanken machte, ob es sie störte, wenn er mal einen Abend nicht bei ihr sein konnte.

    Sibel hatte sich so etwas bereits gedacht. Normalerweise gingen hier im Lager die Damen ja auch nicht ein und aus. „Ach das macht nichts. Ich wollte sowieso schon immer mal in die Thermen.“ Einmal hatte sie mit der Domina Auria die Thermen besuchen dürfen. Damals war sie knapp dreizehn Jahre alt gewesen und schrecklich ungeschickt. Als sie die Domina mit ihrem Lieblingsöl einreiben sollte, hatte sie die Phiole mit dem teuren Öl fallen lassen. Das hatte ihr eine Ohrfeige eingebracht und den Entschluss, sie zukünftig daheim zu lassen. Sein Vorschlag allerdings, sie mit in die Casa Iunia zu nehmen, nahm sie eher mit gemischten Gefühlen auf. Würde er seine Verwandten über sie aufklären? Und was noch wichtiger war, wie würden sie darauf reagieren? Sibel fürchtete sich vor dieser Konfrontation, auch wenn sie dies Avianus gegenüber nicht erwähnte. Sie wusste aber auch, dass es sich wahrscheinlich nicht ewig aufschieben lassen konnte. Sie hoffte nur, dass die Konsequenz daraus nicht das Ende ihrer Beziehung bedeutete.


    Fast nebenbei erwähnte Avianus dann die freien Tage, die er demnächst haben würde. Sie begann zu strahlen, als sie das hörte. Eine paar ganze Tage nur mit ihm! Sie träumte davon, mit ihm etwas zu unternehmen. Vielleicht konnten sie ja auch gemeinsam die Stadt verlassen. Sie wusste kaum noch, wie es draußen auf dem Land war oder wie schön die Sonnenuntergänge am Meer sein konnten. Natürlich aber würde sie ihn darum nie bitten. Sie hatte nie gelernt, Bedürfnisse zu haben oder sie sogar vor einem anderen zu äußern. Im Grunde reichte es ihr eigentlich schon, mit ihm zusammen zu sein. Und auch für ihn schien dies im Moment das schönste zu sein, was ihm passieren konnte.
    Er begann, sie im Nacken zu küssen, und es schien, als wolle er damit seine Frage selbst beantworten. Er war völlig verrückt nach ihr und auch sie erlebte dieses kribbelnde Gefühl im Bauch, als er sie küsste. Dann aber schien er sich selbst zur Räson zu rufen. Sie hatten ja nun alle Zeit der Welt… fast.
    „Ja, wenn du willst, kannst du mir gerne das Lager etwas genauer zeigen. Schließlich muss ich mich hier ja nun auch zurechtfinden. Und später kann ich für uns noch etwas leckeres kochen,“ schlug sie vor.

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    „Ja, genau der!“, erwiderte Sarah. Im Nachhinein erinnerte sie sich nun auch, dass sie den Perser schon früher zusammen mit Evander gesehen hatte. Womöglich hatte er ihn auch dazu angestiftet, Gegenwehr zu leisten, als die Urbaner damals in die Taberna gekommen waren. Armer Evander! Was aus ihm in der Zwischenzeit geworden war? Es war kein Geheimnis, dass die Urbaner mit Unruhestiftern nicht gerade zimperlich umgingen.


    Der Centurio dankte und versicherte ihr, sich um den Perser zu kümmern. War es das schon, war ihr erster Gedanke. In gewisser Weise wäre das für sie eine Erleichterung gewesen, denn obwohl sie bisher nur den Anstifter ans Messer geliefert hatte, konnte so trotzdem vielleicht noch das Schlimmste abgewendet werden.
    Der Centurio aber wollte sich damit noch nicht zufrieden geben. Er fragte weiter und Sarah sah sich gezwungen, noch mehr zu erzählen.
    „Narseh findet ihr in seinem Haus oder in seiner Werkstatt. Aber er misstraut jedem Römer, selbst dann, wenn er sich zu unserem Glauben bekennt. Er und seine Mitstreiter wollen versuchen, an Waffen zu kommen. An Messer und Dolche. Und Narseh sprach auch davon, dass er versuchen wolle, an Schwerter zu kommen. Außerdem suchen sie noch nach mehr Unterstützern, die genauso denken, wie sie.. Nächste Woche wollen sie sich wieder treffen.“

    Sibel wollte es ihm auf irgendeine Weise danken, denn niemals zuvor hatte sich jemand so für sie eingesetzt. Andere hätten sicher nicht wegen einer Sklavin so viel riskiert, wie es Avianus getan hatte. Vor Varus hatte er sich zu ihr bekannt und um sie gekämpft. Ohne mit der Wimper zu zucken, hatte er 500 Sesterzen sie gezahlt, um sie bei sich haben zu können. Also musste sich irgendetwas finden, was sie ihm zurückgeben konnte. Vorerst aber wollte sich der Iunier mit ihrem Lächeln zufrieden geben. „Öfter lächeln…oder sogar lachen…hmm ja, das könnte ich,“ meinte sie nachdenklich begann dann aber zu grinsen. Ihr war bewusst, vieles war geschehen, was sich nicht einfach so beiseiteschieben ließ. Doch sie war zuversichtlich, wieder die zu werden, die sie war, als sie sich kennengelernt hatten. Voller Erwartungen und voller Träume. Nun war sie bei dem Menschen, der sie jeden Tag aufs Neue glücklich machte, weil er einfach da war.


    Dann nahm er sie wieder bei der Hand, um seine kleine Führung durch seine Habitatio fortzusetzen. Zunächst ließ er sie einen Blick in sein Arbeitszimmer werfen, dann wies er auf zwei Lagerräume hin. Sie hatte sich wirklich nicht getäuscht! Seine Unterkunft war groß! Vielleicht nicht so groß, wie der Platz, der ihm in der Casa seiner Familie zur Verfügung stehen mochte, doch weitaus größer, als sie es je für möglich gehalten hatte. Und das war noch lange nicht alles!


    Schließlich führte er sie in den Wohnbereich. Sogleich fiel ihr die Feuerstelle ins Auge. Aber auch eine Kline. Ansonsten war der Raum noch etwas spärlich und auch recht nüchtern eingerichtet. Mit der Zeit, so nahm sie sich vor, würde sie hier ihre Akzente setzen und somit ihr neues Heim etwas wohnlicher zu gestalten.


    Dann aber wies er sie auf zwei weitere Türen hin: Das Cubiculum und eine kleine Kammer… von der er dachte, sie könne sie haben? Mit einem fragenden Blick schaute Sibel ihn an. Wollte er sie denn nicht auch nachts bei sich haben? Nein, sie hätte deswegen bestimmt nicht protestiert. Sie hätte es hingenommen. Doch dann führte er seinen Satz zu Ende und sie sah, dass ihre Befürchtungen unbegründet waren. „Wenn du mich in deinem Bett haben willst, dann muss ich ja auch nicht da rein,“ entgegnete sie grinsend und küsste ihn keck auf die Backe.
    „Aber eine Frage hätte ich doch noch, Dominus,“ begann sie kichernd. „Wo kann ich mich denn waschen?“ Es war ja ausgeschlossen, dass sie als Frau die Lagerthermen betrat.

    Morrigan wusste also bereits darüber Bescheid! Manchmal erstaunte die Perserin sie immer wieder. Doch sie kannte ja nicht wahren Gründe für ihr Interesse, wenn es um Varus ging.
    „Unerfüllte Liebe. Aha… ich wusste gar nicht, dass…“ Sie wusste so einiges nicht. Das aber war nicht verwunderlich, denn Varus hatte sich ihr gegenüber nie richtig geöffnet. Vielleicht weil sie die wahre Liebe in ihrem Leben gefunden hatte. Doch was nützte die wahre Liebe, wenn man sie mit dem, den man liebte, nicht gemeinsam ausleben konnte?


    Schließlich gingen sie gemeinsam. Und auf dem Weg zur Casa Helvetia berichtete ihr Beroe, wie ihre letzten Tage gewesen waren, seit ihrem letzten Besuch. Natürlich hatte sie nicht unerwähnt gelassen, wie sehr sie ihren Geliebten vermisste.
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    Bevor Sarah begann, trank sie zunächst einen Schluck. Nicht etwa, dass die Posca sie gesprächiger gemacht hätte. Es war nur der Versuch, die Anspannung, die in ihr herrschte, etwas zu mildern.


    „Es geht um Narseh,“ begann sie. „Du weißt sicher noch, der Perser aus der Taberna.“ Sie stockte kurz , hielt dabei aber weiter Augenkontakt.


    „Ich sah also, wie er sich heute mit einigen Brüdern traf. Ich folgte ihnen, bis zur Werkstatt des Persers. Sie verschwanden ins Innere, doch es gelang mir, sie zu belauschen. Sie planen etwas! Sie planen etwas Schlimmes!“ Sarahs Stimme klang sehr besorgt. Nun da sie darüber sprach und ihr wieder bewusst wurde, in welcher Gefahr die Gemeinde schwebte, empfand sie ihr Hiersein wieder als gerechtfertigt. Das Gute vom Schlechten trennen. Genau das erhoffte sie sich von dem Centurio. Leuten wie Narseh und alle, die mit ihm gemeinsame Sache machten und dadurch das Überleben aller Gemeindemitglieder gefährdeten, musste Einhalt geboten werden. Deshalb war sie jetzt hier. Diese Einsicht gab ihr das Vertrauen wieder zurück, welches sie zuvor verloren geglaubt hatte.

    Noch schien alles wie ein Traum für Sibel zu sein, als sie sich Hand in Hand ihren Weg zur Castra bahnten. Sie fürchtete, plötzlich aufwachen zu können, um dann festzustellen zu müssen, dass dies alles nur ein Produkt ihrer Phantasie gewesen war. Ein Wunschdenken nur. Doch es war alles real, was sie gerade erlebte. Und das brachte ihre Gefühlswelt ganz durcheinander. Sie konnte dem Glück, welches sich in ihr ausbreiten wollte, noch nicht richtig trauen. Immer musste sie an das zurückdenken, was hinter ihr lag. Viele schmerzliche Dinge, die ihr immerzu die Tränen in die Augen treiben wollten.


    Endlich hatten sie die Castra erreicht. Gute und schlechte Erinnerungen mischten sich hier. Sibel dachte an die Zeit zurück, an der sie sich hier in den nahegelegenen Horti Lolliani immer trafen. Damals hatten sie beide die allerschlechtesten Voraussetzungen, ein Liebespaar zu bleiben. Ihre Liebe aber hatte obsiegt. Und im Nachhinein erinnerte man sich sowieso nur noch an die schönen Dinge, die einem widerfahren waren.


    Avianus löste sich von ihr, bevor sie gemeinsam durch das Tor schritten. Sie hatte dafür Verständnis, denn hier drinnen war sie offiziell nicht seine Geliebte, sondern seine Sklavin. Dennoch waren es gemischte Gefühle, die sie begleiteten, als sie weiter ins Innere vordrangen. Während er voran schritt, folgte sie ihm mit gesenktem Blick, allein darum, um den Blicken der Soldaten ausweichen zu können. Sicherlich gab es hier den einen oder anderen, der sie vielleicht noch mit dem „Aedes iste Letitia“ in Verbindung bringen konnte. Nur wenn Avianus ihr etwas erklärte oder ihr etwas zeigte, hob sie ihre Augen.

    Schließlich standen sie vor seiner Habitatio. Er öffnete und hielt ihr die Tür auf. Noch etwas zögerlich trat Sibel ein und sah sich um. Sie bemerkte dabei sofort, wie viel Platz ihm zur Verfügung stand. Dass dabei seine Unterkunft noch nicht voll möbliert war, störte sie nicht weiter. „Es ist sehr groß,“ stellte sie fest. „Und schön.“ Endlich hatte sie ihr Lächeln wieder gefunden, jetzt da es tatsächlich begann, sich real anzufühlen.
    Seine Hände strichen ihr sanft über die Wange. Diesen Augenblick hatte sie so sehr herbeigesehnt. „Ich kann es auch noch nicht richtig glauben. Als du heute in der Casa erschienen bist, hätte ich nicht im Traum daran gedacht, dass mein Tag hier bei dir enden wird. Ich weiß gar nicht, wie ich dir das jemals danken kann.“

    Es würde wahrscheinlich noch Tage brauchen, bis sie sich wirklich richtig bewusst wurde, dass ihr Schicksal nun endlich eine Wendung in die richtige Richtung gemacht hatte. Nun, als der ungeliebte Anhänger vor ihr auf der Tischplatte lag, fühlte sich vieles plötzlich leichter an. Wie lange hatte sie auf diesen einen Augenblick gewartet? Nun war er endlich gekommen. So unerwartet und leise.
    Als sie ihm zunickte, wirkte sie immer noch etwas verstört. Dann schritten sie gemeinsam hinaus.
    Bevor sie allerdings endgültig die Casa Helvetia verließ, packte sie ihre Habseligkeiten in einen Stoffsack. Es war nicht wirklich viel, was sie besaß: Ein paar Tuniken, die sie sich von ihrem Lohn geleistet hatte und noch ein paar Sandalen, deren Leder kaum Gebrauchspuren aufwiesen. Und dann noch die Geschenke von Avianus, die er ihr zu den letzten Saturnalien mitgebracht hatte.
    Dann gingen sie und sie konnte diesen Teil ihres Lebens endlich hinter sich lassen.

    Nun half wirklich nur noch hoffen. Inzwischen wäre sie zu allem bereit gewesen. Selbst zu dem Schlimmsten. Unverständnis spiegelte sich in Varus Augen. Etwas kaum Hörbares formten seine Lippen. Sie verstand nicht. Sie glaubte, ein weiteres Nein hinnehmen zu müssen.


    Varus hatte sich inzwischen wieder Avianus zugewandt. Er schlug einen geschäftsmäßigen Ton an, sehr distanziert. Beroe verstand erst nicht die Bedeutung der Worte. Und als er sich plötzlich erhob und sie stehen ließ, war es immer noch schwer zu verstehen, was gerade hier vor sich gegangen war. Er hatte eine Summe genannt. 500 Sesterzen. In Beroes Gesicht lag Fassungslosigkeit. Sie begriff immer noch nicht. Irgendwann nahm sie Avianus ‚Danke‘ wahr, dem es nicht anderes in diesem Moment zu gehen schien. Nur langsam sickerte die Erkenntnis in ihren Kopf, was gerade passiert war. Fast zeitgleich trafen sich ihre Blicke. Avianus lächelte während sie noch ungläubig den Kopf schüttelte. Doch es war wahr! Varus hatte sie gehen lassen. Nun endlich realisierte sie es auch.


    Inzwischen hatte sich Avianus erhoben und trat ihr nun entgegen. Seine Hände umfassten ihr Gesicht, dann küsste er sie, während sie ihn umarmte. Nun konnte sie sich nicht länger zurückhalten. Ein riesiger Stein war von ihrem Herzen gefallen. Sie klammerte ich an ihn und ließ ihren Tränen freien Lauf. Diesmal aber waren es Freudentränen. So stand sie eine ganze Weile bei ihm und genoss die Nähe, sie so lange hatte entbehren müssen.


    Bevor sie gingen, würde sie noch ihre Habseligkeiten packen müssen. Doch zunächst entledigte sie sich dem Band mit dem Anhänger, auf dem vermerkt war, dass sie das Eigentum eines gewissen Tiberius Helvetius Varus sei und nun klirrend auf der Tischplatte landete.

    Offenbar hatten die Götter heute Besseres zu tun, als sich um die Belange von irgendwelchen unwichtigen Sklavinnen zu kümmern. Die erlösenden Worte kamen Varus nicht über die Lippen. Stattdessen unterbreitete er Avianus einen Vorschlag, der vielleicht für manch einen, der ihre Situation nicht kannte, sogar gut erschien. Beroe aber wusste, dass diese Lösung wieder nur eine Notlösung war, die bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit nicht mehr funktionierte und nur noch Schlimmeres mit sich nachzog. So wie etwa das Zimmer in Trans Tiberim, welches Avianus ihr gemietet hatte, bevor er nach Germanien musste. Damals schien dies auch eine gute Lösung zu sein. Doch dann kam alles anders.


    Während Avianus einen letzten Versuch startete, den Helvetius doch noch davon zu überzeugen, dass er Beroe am glücklichsten machen würde, wenn er sie nun ziehen ließ, spürte Beroe ein plötzliches Unwohlsein in sich aufkommen. Der Gedanke, wieder nur hingehalten zu werden und vielleicht eines Tages Avianus zu verlieren, war unerträglich für sie. Sie wusste nicht, was sie tun würde, oder besser gesagt, was sie sich antun würde, wenn auch dieser Versuch scheiterte.
    Doch der Helvetier konnte sich (noch) nicht umstimmen lassen. Zunächst wollte er hören, was die Lykierin wollte und wieder stellte er ihr die gleiche Frage, diesmal nur unter dem Aspekt der möglichen Freilassung, wenn sie denn bei ihm bliebe.
    Beroes Herz schlug wie wild. Für sie war die Antwort klar. Denn sie wusste, dass es nur diese eine Lösung für sie gab, die sie und ihn glücklich machte und alle Unsicherheiten mit einem Schlag aus dem Weg räumte.
    „Dein Angebot ist großzügig, Varus. Aber ich entscheide mich für den Mann, den ich liebe. Ich möchte mit Avianus gehen. Auch wenn ich dann vielleicht nicht gleich in den Genuss der Freiheit komme. Doch ich sagte ja bereits, es wäre für mich in Ordnung, nicht frei zu sein, wenn ich dafür dann bei ihm sein könnte. Bitte versteh mich. Seitdem wir uns lieben, gab es immer wieder Hürden, die sich uns in den Weg stellten und immer musste ich bangen, ihn zu verlieren. Deshalb möchte ich mit ihm gehen. Bitte Varus, lass mich gehen.“

    Schluchzend wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht. Beroe wusste, dass sie am Ende ihre Kräfte angekommen war. Noch mehr würde sie nicht ertragen können. So richtete sie an Stoßgebet an die Götter und hoffte, wenigstens einer mochte Mitleid mit ihr haben und Varus zur Vernunft bringen!


    In all der Zeit, da sie bei Varus gewesen war, hatte sie sein wahres Wesen nicht wirklich ergründen können, denn er verhielt sich ihr gegenüber zwar immer freundlich doch wahrte er stets eine Distanz ihr gegenüber. Schon damals im Lupanar hatte sie sich nicht hundertprozentig sicher sein können, ob er es nur gut mit ihr meinte oder in ihr einfach nur eine leichte Beute sah. Eine flüchtige Sklavin, die man mit einer gefälschten Urkunde zu seinem Eigentum machen konnte und die vielleicht irgendwann Geld brachte. Vielleicht war das ja auch jetzt so. Vielleicht versuchte er Avianus so viel wie möglich abzuluchsen. Aber warum das alles? Was lag ihm an ihr? Wenn er in ihr nur eine ganz normale Sklavin sah, hätte er doch jede andere haben können. Was also war es, was ihn davon abhielt, sie einfach und ohne Umschweife an den Iunier zu verkaufen? Vielleicht würde sie es noch herausfinden.
    Daher haftete sie nun gespannt ihren Blick auf Varus und wartete darauf, wie er sich nun äußern würde. Avianus gab ihm derweil die Antwort, die eigentlich klar auf der Hand gelegen hatte. Ohne eine Regung nahm sie seine Worte in sich auf. ‚Als Sklavin wäre Sibel weder meine Frau noch eine Angehörige. Und Sklaven zu halten ist den Centurionen durchaus gestattet.‘ Als Sklavin… natürlich als Sklavin. Hatte sie ihm nicht selbst gesagt, sie wünschte, sie wäre seine Sklavin? Und auch Varus gegenüber hatte sie soeben bekräftigt, dass es für sie keine Rolle spielte, frei zu sein oder nicht. Denn dann und nur dann konnte sie bei ihm sein. Jeden Tag. Jede Nacht.
    Nein, Beroe dachte keinen Moment daran, dies könnte auch nur irgendetwas an ihrer Beziehung ändern. Nur von außen betrachtet wäre sie seine Sklavin. Von innen aber würde sie seine Königin sein.

    Wie ein begossener Pudel trat sie näher und suchte nach einem Platz, um sich zu setzen. Es war nur noch ein kleiner Hocker übrig, der ihr allerdings nicht sehr vertrauenswürdig erschien. Sie hatte heute schon genug Chaos verursacht! Deshalb nahm sie am Boden Platz.
    Spätestens jetzt hatte Varus begriffen dass hier etwas sehr Seltsames vorging. Er verlangte, die Wahrheit zu hören. Doch zumindest das, was Beroe belauscht hatte, war doch die Wahrheit! Dennoch erklärte sich Avianus ein weiteres Mal. Und diesmal ließ er keinen Zweifel daran, dass er nur Gutes im Schilde führte. Bei seinen letzten Worten suchte er den Blickkontakt zu ihr und forderte sie förmlich dazu auf, das zu sagen, was sie zu sagen bereit war… oder was sie glaubte, sagen zu können.
    Sie nickte und erhob sich wieder. „Es stimmt was er sagt. Wir kennen uns bereits aus Misenum. Doch erst hier in Rom haben wir uns wirklich kennen und auch lieben gelernt. Er hat immer versucht, mich zu beschützen und mir zu helfen. Aber dann musste er weg und ich geriet in Schwierigkeiten. Als ich Morrigan traf, dachte ich, ich hätte ihn für immer verloren. Aber dann traf ich ihn wieder und wir waren beide so glücklich darüber.“ Eine Träne rann plötzlich an Beroes Wange herab. „Erinnerst du dich, an das was ich dir gesagt habe, Varus? Dass es jemanden gibt, den ich liebe und mit dem ich am liebsten für immer zusammenbleiben möchte?“ Ihr Blick ging kurz zu Avianus hinüber. „Ich weiß, dass ich nicht standesgemäß bin, um seine Frau zu werden. Aber ich liebe ihn trotzdem und wenn ich bei ihm sein kann, dann ist es egal, ob ich frei bin oder nicht. Ob ich mit ihm verheiratet bin, oder nicht. Er ist es, den ich liebe! Ihm gehört mein Herz und ich bitte dich inständig, lass mich mit ihm gehen. Ich weiß nicht, was ich dir dafür anbieten kann, denn ich habe nichts, außer mich…“ Beroes Stimme versagte, denn ihre Tränen übermannten sie.

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    Verräterin! Wenn sie hier fertig war, würde sie sich niergends mehr blicken lassen können, ohne dabei kein schlechtes Gewissen zu haben. Die Tür schloss sich hinter ihr. Nun gab es wirklich kein Zurück mehr. Der Centurio nahm an einem Tisch Platz. Sie trat näher, zog es aber vor, weiterhin stehen zu bleiben. Warum eigentlich? Glaubte sie etwa, so besser fliehen zu können? Dort draußen vor der Tür warteten hunderte von Urbanern auf sie, wenn sie fliehen sollte. Die würden nicht lange mit ihr fackeln.
    „Äh ja, es gibt Neuigkeiten.“ Ihre Anspannung hatte sie wohl kaum vor dem Centurio verbergen können. Er hatte aber Verständnis dafür und versuchte, auf seine Weise die Situation aufzulockern. Etwas zu trinken war gut!
    „Ja, bitte.“ Ein wenig Posca oder verdünnter Wein war vielleicht wirklich hilfreich. „Ich habe heute die Zusammenkunft einiger unserer Brüder belauscht,“ begann sie, zwar etwas zögerlich, doch es schien so, als habe sie sich wieder fassen können und war nun bereit, ihre Aussage zu machen.

    [Blockierte Grafik: http://s14.directupload.net/images/141021/e4ctfnz5.jpg] | Sarah


    Der Centurio war, wie auch damals in der Taberna schon, sehr freundlich im Umgang mit ihr. Damit hatte er sie schon einmal für seine Seite gewinnen können. Denn im Gegensatz zu vielen anderen seiner Kollegen gebärdete er sich nicht als furchteinflößender Choleriker, der seinen Gegnern kaum mehr Luft zum atmen ließ.


    Dennoch trat sie immer noch leicht verunsichert ein, als er ihr die Tür zu seiner Unterkunft aufhielt. Im Inneren sah sie sich erst einmal um, bevor sie sich irgendwohin setzte. Der Centurio sollte am besten vorangehen. Sie würde ihm folgen. Vielleicht würde dann auch das seltsame Gefühl im Magen verschwinden. Sie versuchte, an etwas anderes zu denken. Das half meistens, wenn sie zu sehr angespannt war. Dummerweise wollte ihr aber im rechten Moment nicht anderes einfallen. Sie sah immer nur die Gesichter ihrer Familie und ihrer Freunde vor sich. Alle hatten sie den gleichen vorwurfsvollen Ausdruck. Sarah musste nicht lang darüber nachsinnen, was alle von ihr denken würden, käme heraus, was sie hier gerade machte. Sie kannte die Antwort: Steinigen werden sie dich! Bis knapp zum Hals eingegraben in der Erde, damit du dich nicht mehr rühren kannst. Dann werfen sie Steine auf dich. Bis du tot bist! Verräterin!

    Zitat

    Original von Morrigan


    „Sibel!“ rief Morrigan freudig aus und schon wurde die junge Frau umarmt und in das Zimmer geschoben. „Es ist schön dich zu sehen...“ Doch schon wurde Morrigans Gesichtsausdruck ernst, denn sie beide also weder sie noch Sibel waren ja in der Lagen mal eben einen Freundschaftsbesuch zu machen, also musste etwas vorgefallen sein. „Was ist passiert?“ fragte sie also und schon Sibel gerade so weit von sich weg damit sie sehen könnte, ob sie zumindest körperlich in guter Verfassungen war.


    Auch Beroe war sehr erfreut darüber, als sie eintrat und die Perserin wieder sah. Sie entgegnete die Umarmung und war in diesem Moment froh, endlich wieder an einem vertrauten Ort zu sein.
    Doch Morrigans Gesicht nahm recht bald wieder einen ernten Ausdruck an. Schließlich bedurfte es einen triftigen Grund, wenn sie die Perserin hier besucht. Und den gab es auch!
    „Varus schickt mich,“ begann sie. „Er hat mir aufgetragen, dich zu ihm zu bringen. Ich unterrichtete ihn davon, dass du vor einigen Tagen in der Casa warst…“ Ob die Lykierin ihr auch von seinem Gemütszustand berichten sollte? Auch wenn er sie selbst nicht ins Vertrauen gezogen hatte, war es vielleicht für Morrigan wichtig, darüber Bescheid zu wissen.
    „Er schien sehr betrübt zu sein, als ich heute bei ihm war. Schuld daran, ist wohl ein Brief, den er erhalten hat. Aber er hat mich nicht eingeweiht, was ihn so bedrückt.“

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    Für Sarah wurden die wenigen Minuten des Wartens zu ewigen Stunden. Doch endlich, der Centurio öffnete und erschien an der Tür. Sie vernahm die Stimmen der beiden Männer, wie sie miteinander sprachen. Von dem Punkt, an dem der Miles sie zurückgelassen hatte, konnte sie nur den Rücken desselben erkennen. Doch dann begann er wild mit seiner Hand herumzufuchteln, als wolle er sie herbeizitieren. Sarah trat näher und schließlich erkannte auch sie das bekannte Gesicht des Centurios wieder. „Salve Centurio Iunius Avianus,“ brachte sie mit belegter Stimme heraus. „Ich habe ein paar wichtige Informationen für dich,“ fuhr sie fort und hoffte, der Centurio mochte sein Versprechen nicht vergessen haben.

    [Blockierte Grafik: http://s14.directupload.net/images/141021/e4ctfnz5.jpg] | Sarah


    Schweigend war Sarah dem Urbaner gefolgt, der sie immer tiefer hinein ins Innere der Castra brachte. Von hier gab es kein Zurück mehr, war ihr Gedanke, der sie auf dem ganzen Weg ständig begleitete.
    Endlich stoppte der Soldat und bat sie hier zu warten, dann ließ er sie stehen und ging, um nach dem Centurio zu schauen. Voller Anspannung sah sich Sarah nach allen Seiten um. Doch die Lagergasse war wie leer gefegt. Keine Menschenseele war zu sehen. Nach Feierabend schienen die Soldaten wohl anderen Beschäftigungen nachzugehen.
    Ein Instinkt, tief in ihrem Inneren mahnte sie ständig, dass sie ja eigentlich gar nicht hier sein dürfe. Doch sie war trotzdem gekommen...

    [Blockierte Grafik: http://s14.directupload.net/images/141021/e4ctfnz5.jpg] | Sarah


    „Ja, den Optio!“ bekräftigte sie ihr Vorhaben, auf die wiederholte Frage des Urbaners hin. Ein Moment verging, der unendlich zu sein schien. Im Hintergrund hörte sie eine andere mahnende Stimme, die auf den Urbaner einzureden versuchte. Doch ihn ließ das vorerst kalt. Stattdessen nannte er ihr den Namen, der ihr aus der Anspannung heraus plötzlich entfallen war - Iunius Avianus.
    „Äh ja, genau den,“ entgegnete sie ihm und wurde daraufhin schließlich, allen Unkenrufen zum Trotz, doch noch eingelassen.


    Mulmig war wohl die beste Umschreibung für das Gefühl, das sie gerade empfand, nachdem der Soldat sie hereingebeten hatte und ein zweiter, dessen warnende Stimme sie eben noch im Hintergrund gehört hatte, ihr entgegenkam. Nun war sie gefangen und saß in der Falle, war ihr erster Gedanke. Aber nein, versuchte sie sich gleich darauf selbst einzureden, sie war hier, um ihre Pflicht zu tun. Sie hatte einen Auftrag und den musste sie nun ausführen.
    Doch selbst die beiden Urbaner schienen sich weiter uneins darüber zu sein, ob sie überhaupt hier sein sollte. Vielleicht hatte der zweite Urbaner ja recht und es war tatsächlich ein Unsinn, dass sie hier war. Wäre es nicht besser gewesen, alles noch einmal in Ruhe zu überdenken? Und dann? Dann wäre es vielleicht schon zu spät gewesen!


    Letztendlich war es dann so, dass man sie doch noch zum Optio brachte, der wie es schien, inzwischen zu einem Centurio geworden war. Dankend ging sie mit dem Urbaner mit, ohne dem anderen noch eines Blickes zu würdigen.