Vor Maro waren bereits einige interessante und beeindruckende Reden gehalten worden und nun lag es an ihm sie zu überbieten und sich dabei möglichst nicht zu blamieren.
Ein so eindrucksvolles Requisit wie der Decimer hatte er leider nicht zur Hand, es würde so gehen müssen. Maro würde sie nur Kraft seiner Worte überzeugen müssen.
Neidlos erkannte er an, dass die vorangegangenen Reden vortrefflich gewesen waren. Allerdings war während des Zuhörens auch Maros Ehrgeiz erwacht.
Er stand auf, erwies dem Kaiser und dem Konsul angemessene Reverence und wandte sich der Menge und den Schiedsrichtern zu, die Beine plötzlich wie Butter, die auf einem Teller in der Sonne weich geworden war.
Maro atmete tief durch, spannte seinen Körper und seine Beine an wie auf dem Exerzierplatz um sich zu stabilisieren. Kurz besann er sich noch einmal seiner ganzen Rede. Die einstudierte Routine gab ihm Sicherheit und Maro begann zu reden. Zunächst laut und schneidend um die Aufmerksamkeit der Leute wieder zu gewinnen, deren Konzentration nach dem Vorrangegangenen schon etwas nachgelassen haben mochte:
„Vielen Dank. Nun denn Quiriten, bevor es nun daran geht die edle Medea vor diesem Gericht zu verteidigen, möchte ich noch einmal betonen, was der ehrenwerte Konsul zu Beginn schon einmal erwähnt hatte. Die Stadt Rom und ihr Reich, das sich über so große Teile der bekannten Welt erstreckt, mag wohl auf soliden Steinblöcken und stabilen Säulen aus Marmor ruhen.
Mit ihrem Antlitz kann sich keine Siedlung, keine Stadt auf dem Erdkreise messen. Doch ist es das Gemeinwesen, welches diese Mauern und Gebäude Schützen, das die Seele Roms ausmacht. Und sowie die steinernen Gebäude der Stadt auf heiligem Grund stehen, so ruht das römische Gemeinwesen ebenfalls auf einigen festen und, man kann sicher behaupten, ungemein prächtigen Säulen.
Die erste Säule nun ist offensichtlich das römische Schwert. Scharf und von herausragender Qualität schneiden die Soldaten Roms, zu denen ich selbst die Ehre habe zu gehören, durch die Reihen unserer Feinde. Dem Schwerte Roms konnte noch keine Macht der Welt widerstehen. So viel, Quiriten, ist klar.
Doch was ist nun die andere Säule auf der das römische Gemeinwesen ruht? Nun, es ist natürlich die Rede. Jene Rede, die freie Männer in den Versammlungen des Volkes zur Beratung des Staates halten. Durch die Kunst der Rede – und der Konsul hat völlig Recht: Es ist die höchste aller Künste – ist das römische Volk in der Lage jene kühnen Pläne, die zur Errichtung eines so großen Reiches geführt haben überhaupt erst zu ersinnen.
Das Schwert ist wertlos ohne den Kopf, der die Bewegungen, Streiche und Stiche vorher denkt. Und durch die Rede denkt der Staat.
Deshalb, Quiriten, leistet der Konsul mit seinen Bemühungen um die Kunst der Rede einen elementaren Beitrag zum Erhalt unseres großen Gemeinwesens, so viel ist gewiss, und das ganze römische Volk sollte dankbar sein für diese wichtigen Mühen.“
Das sollte ihnen gefallen. Nun aber genug Pirouetten gedreht. Maro sollte so langsam zum Fall der Medea kommen.
„So bin ich auch auf das äußerste geehrt Teil dieses Werkes des Konsuls zu sein und mit meiner Rede eben nicht nur wie es angekündigt wurde Medea sondern auch die Redekunst selbst zu verteidigen.
Mögen die Götter mir dabei beistehen.Also, Quiriten, Medea. Ihr alle werdet die Geschichte dieser unglückseligen Frau kennen und gerade wurde sie noch einmal dargelegt, sodass die Fakten rein und klar vor uns liegen. Und da kommen wir, liebe Mitbürger zu einigen erstaunlichen Schlussfolgerungen.
Beschäftigen wir uns zunächst einmal mit Iason König von Korinth, den man hier die Klage führen lässt, denn um die Taten der edlen Medea zu verstehen ist es notwendig zu wissen wo die Ursache für jene schrecklichen Ereignisse liegen, die zu jener Zeit geschahen.
Es kam also dazu, dass jener Iason auszog um das Goldene Vlies aus Kolchis zu… holen. Als eine Aufgabe, die er erfüllen musste um seinen Anspruch auf die Stadt Korinth zu wahren. Sicherlich eine schwere Aufgabe, doch sieht man sich andere Helden der Hellenen an, dann erkennt man schnell, das Iason nicht in deren illustre Gesellschaft gehört.
Entsinnt euch Quiriten doch einmal des göttlichen Herkules. Kennt ihr die Anzahl der für sterbliche unlösbaren Aufgaben, die er auferlegt bekam von seinem niederträchtigen Verwandten.
Es waren deren zwölf, werte Richter, eine unlösbarer, als die andere. Wohingegen unserer ach so tapferer Iason genau eine Aufgabe gestellt bekam um zu seinem Ziel zu gelangen. Das macht ihn wohl genau ein Zwölftel so ruhmreich wie den göttlichen Herkules.
Genaugenommen, Quiriten muss er sich aber selbst diesen Ruhm noch mit seinen nicht minder edlen Gefährten teilen, die Ihm bei der Fahrt nach Kolchis die Hand halten sollten. Oh was würde der listenreiche Odysseus über so einen Helden hönisch lachen.
Oh, und edel war auch Iasons Aufgabe selbst, Den heiligsten Besitz von Kolchis zu stehlen, das goldene Vlies. Iason, der Dieb in der Nacht. Es fehlte ihm von Anfang an an der römischsten aller Tugenden, der Virtus.
Bedenkt man dies alles, Quiriten, bleibt von dem Helden Iason nicht viel übrig. Und trotzdem haben es die Götter eingerichtet, dass sich die edle Medea in diesen Mann verliebte und zur Helfershelferin seiner Schandtaten wurde.
Nun, allen Respekt den Göttern, aber sie hatten es auch eingerichtet, dass sich Pasiphae in ein Rindvieh verliebte. Scheinbar ein gern gewählter Scherz der Götter.
Dies alles müssen wir wissen, wenn wir die Umstände der schrecklichen Taten der Medea beurteilen, dies rückt alles ins rechte Licht.
Als nun Iason wie ein geiler Bock an den Saturnalien – verzeiht, edle Zuhörer die schmutzigen Worte, doch schmutzige Wahrheiten bedürfen manchmal schmutziger Worte um sie in all ihren Facetten begreifbar zu machen – mit der Tochter des Kreon schändlichen Ehebruch beging, sah sich Medea in einer verzweifelten Situation, aus der offenbar nicht einmal die guten Götter sie befreien konnte.
Als Söhne des Iason, König von Korinth hatten die Kinder Medeas einen besseren Anspruch auf den Thron Korinths, das sie älter und von edlerer Abkunft waren. Niemals hätte die Tochter König Kreons einen Nachfahren der Medea auf dem Thron Korinths geduldet.
Vielmehr hätte sie, wie Barbaren es nun einmal tun, alles getan um Platz für ihre eigenen Welpen zu schaffen.Zweifellos wären Medeas Söhne von einem grausigen Schicksal ereilt worden, herbeigeführt von den süßen Händen der Glauke.
Nach alle, was wir wissen hätte unser großer Held Iason auch noch dabei geholfen, die… überzähligen Prätendenten zu… beseitigen um den Weg frei zu machen, für den Wurf seiner ehebrecherischen Verbindung.
Sehen wir also genauer hin, Quiriten, hat Medea trotz der Schändlichkeit ihrer Tat weitaus weiser gehandelt, als es zuerst den Anschein hatte, indem sie ihre totgeweihten Söhne einem grausigen, wahrscheinlich von Folterungen begleiteten Tod ersparte.
Oh, nur die Götter wissen wie tief der Hass einer betrogenen Frau und wie hoch der Mut einer sich sorgenden Mutter ist. Lassen wir uns nicht blenden von den lügnerischen Heldengeschichten eines Iasons sondern blicken mit schonungsloser Klarheit auf die Tatsachen und Beweise.
Die edle Medea ist mag wohl drastisch und vollkommen unrömisch – wären die Söhne Römer gewesen hätten man sie mit Feuer und Schwert mit aller Virtus um ihr Erbe kämpfen lassen müssen - gehandelt haben, doch nur um schlimmeres zu verhindern. Vielen Dank, Quiriten.“
Damit beendete Maro seine kleine Rede und hoffte, dass sie den Kampfrichtern zusagen mochte. Er hatte sein Bestes getan. Eine ungeheure Anspannung fiel von ihm ab und ersetzte sich nach den angemessenen Respektsbezeugungen vor den Richtern mit genauso wackligen Knien, wie vorhin, als er aufgestanden war.