Andächtig trat Titus zum Podest, als er vom Consul dazu aufgefordert wurde, ließ seinen Blick zunächst durch die marmorgetäfelte Halle schweifen und nahm einen tiefen Atemzug, als wäre er bemüht den Geist dieses göttlichen Gebildes in sich aufzusaugen. Seine Magenverstimmungen hielten seit der Rede auf der Rostra ununterbrochen an und auch nach dieser vermochte er nicht jene Souveränität verspüren, die zweifellos den erfahrenen Senatoren in der Kurie zum Vorteil bei der freien Rede gereichte. Gleichwohl fühlte er sich inmitten der heiligen Hallen wie elektrisiert, imaginierte gar göttlichen Beistand und konnte sich zumindest der geistigen Unterstützung seines treuen Weggefährten und Freundes Glaucus sicher sein, was dem Jüngling zumindest oberflächlich zur Verdrängung größter Nervosität gereichte.
»Patres Conscripti! Ehrenwerte Senatoren!«, begann Titus einleitend, wie es bei Kandidaturreden Usus war. Im Gegensatz zu seiner Rede auf der Rostra hatte er an diesem Tage eine Vorsprache vorbereitet, die weit mehr seinem persönlichen Werdegang, seiner Ausbildung und seinem geplanten Schaffen und Wirken gewidmet und weniger dem Pakt und der Bekanntmachung mit dem gemeinen Volk anheimgestellt war. Hatte er sich auf der Rostra noch hinsichtlich seiner Verbindungen zum Hause Flavia bedeckt gehalten, beabsichtigte er dies nun vor den Senatoren in den Vordergrund zu stellen, um vielleicht auf diese Weise seinem staubigen Namen wiewohl seiner niederen Herkunft einen Schimmer von Ehrwürdigkeit und Honorigkeit zu verleihen.
»Ich bin Titus Torquatus aus der Gens Fabia, Sohn des Cnaeus Fabius Torquatus, der dem einen oder anderen von euch als Procurator a memoria auf dem Palatin bekannt sein mag, sowie Enkel des Quintus Fabius Vibulanus, der sich als Präfekt der 22. Legion in Ägypten verdient gemacht hat. Eine Ahnenreihe, die zweifellos eine aussichtsreiche ritterliche Karriere präjudiziert. Gleichwohl stehe ich heute vor euch, um mich für das Amt eines Vigintivirs in der senatorischen Laufbahn zu bewerben.«
Titus pausierte kurz, sich sehr wohl bewusst über die Skepsis, die seine Herkunft bei manchem Senator hervorrufen würde. Er war ein Homo Novus, ein Emporkömmling, dem traditionell die Beschreitung des Cursus Honorum – obgleich dies in den vergangenen Dekaden keine Novität mehr war – verwehrt wurde. Doch er gedachte auch nicht diesen Fakt zu verschleiern und damit die Senatorenschaft zu brüskieren.
»Ich würde lügen und die Unterstützung, die ich erfahren habe mit Füßen treten, wenn ich behaupten würde, dass die Gelegenheit, hier und heute vor euch zu sprechen, meinem bloßen Talent oder meinem außergewöhnlichen Wirken zu verdanken ist. Nein, mein Dank gilt vor allem dem ehrenwerten Consular und Pontifex Manius Flavius Gracchus, der mir nicht nur als sein Tiro Fori die Anforderungen der Ämterlaufbahn näher brachte und mir einen Einblick in die Verantwortlichkeiten eines Senators gewährte, sondern mich auch persönlich bei unserem Caesar Augustus für eine Erhebung in den Ordo Senatorius empfahl.«
Titus‘ suchender Blick streifte durch die Reihen der Senatoren, doch er konnte seinen Lehrmeister nicht ausfindig machen. Die Masse an Zuhörern verwob sich vor seinem inneren Auge zu einem weiß-gräulichen Schleier, obgleich ihn dadurch selbst kritische Blicke der Einzelnen nicht in seinem Redefluss behindern konnten.
»Keineswegs möchte ich jedoch den Eindruck erwecken, dass meine Vorsprache hier und heute lediglich auf günstigen Bekanntschaften und einflussreichen Unterstützern beruht. Nein – sehr wohl bin ich voller Zuversicht und Vertrauen, dass ich das Talent und die Fähigkeiten besitze, um dem Gemeinwesen zuträglich zu sein und einen Beitrag zum Wohle unseres Staatswesens leisten zu können. Aufgrund der Verpflichtungen meines Vaters in Ägypten, absolvierte ich meine Ausbildung am namhaften Museion von Alexandria. Neben der Unterweisung in Ethik, Rhetorik und Grammatik lag ein besonderer Schwerpunkt meiner Studien im Rechtswesen. So absolvierte ich einen Cursus Iuris, um die erforderliche Judiz für eine praktische anwaltliche Tätigkeit sowie der theoretischen Auseinandersetzung mit unseren Gesetzen jetzt und in Zukunft zu erwerben. Dies ist auch gleichsam der Grund dafür, dass ich mich – so ihr mich erwählt – insbesondere für eine Verwendung als einer der Tresviri Capitales empfehlen möchte.«
Titus pausierte ein weites Mal und machte einen Schritt auf dem Podest.
»Als Tresvir gedenke ich den Fokus meiner Amtszeit auf die Bekämpfung der Kriminalität in den Straßen Roms zu legen, mit allen Mitteln die dieses Amt gewährt und selbstredend in engem Einvernehmen mit unserer Stadtpolizei und den höheren Magistraten. Die Attentate auf Senator Ovidius und den ambitionierten Iulius Caesoninus haben offenkundig werden lassen, wie tief das Gräuel in unserer Stadt verwurzelt ist und dass niemand, gleich Bauer oder Consul, von einem hinterhältigen Angriff auf sein Leben gefeit ist. Ich möchte mich dafür verwenden, Licht in diese Schattenwelt zu bringen und bin gewappnet mit dem Eifer, selbst durch die Straßen zu streifen und die Ursache für die lodernde Gewalt zu ergründen, das Dickicht der Kriminalität zu entwirren und die Gesetzeslosen mit aller Härte unseres Gesetzes zu verfolgen.«
Dass Titus, nicht zuletzt im Vertrauen auf Flavius Gracchus‘ Einschätzung zu den neuerlichen Attentaten, hinter all dem die Christianerbrut vermutete und darob auch gerade einen Kampf gegen diese zu führen gedachte, behielt er an dieser Stelle für sich. Zu undurchsichtig war das Geflecht der Sekte und zu dünn auch die Beweislage, weswegen lose Anschuldigungen ihm in dieser Situation kaum zum Vorteil gereichen würden.
»Verehrte Senatoren, noch stehe ich am Anfang meiner Laufbahn und ich bin nicht derart vermessen zu glauben, dass ich alleinig diese große Herausforderung bewältigen könnte, doch ich verspreche euch, dass ich voller Tatendrang und Ehrgeiz auf das Bevorstehende blicke. Daher bitte ich euch, für mich zu stimmen und mir die Möglichkeit zu geben, mich dem Amte als würdig und dem Gemeinwesen als nützlich zu erweisen.«
Damit beendete Titus seine Rede und verschränkte seine Arme, mit denen er zuvor gelegentlich ausladend, aber keineswegs theatralisch seinen Vortrag untermalt hatte.