Beiträge von Arwid

    Wohlwollend warf er einen Blick zu Ygrid, die seinen Wünschen entsprochen hatte. Sie war wohl doch nicht die die kleine Wildkatze, für die ihr Bruder sie hielt. Anschließend lenkte er erfreut seinen Blick auf Thula, die seine Einladung angenommen hatte. "Dann bis heute Abend!" Daraufhin wandte er sich um und ließ die beiden Frauen alleine.


    ~~~ Am Abend ~~~


    Einige der Frauen hatten über den Tag Reisig und Holz gesammelt. Noch bevor es zu dämmern begann, hatte man eine Feuerstelle gebaut und ein Feuer entzündet. Die Frauen hatten eine Art Grütze gekocht, die dem römischen Puls recht nahekam. Die beiden Wildschweine waren gehäutet und ausgenommen worden und brutzelten nun schon eine ganze Weile über dem Feuer. Ein verführerischer Duft legte sich über das Lager. Nach und nach kamen alle zusammen und nahmen rund um das Feuer Platz. Direkt neben Arwid war ein Platz freigelassen worden. Hier konnte sich Thula niederlassen, sobald sie kam. Arwid hatte Wichtiges zu bereden mit seinen Männern. Nachdem was ihm Einar und Marwig berichtet hatten, musste jetzt ihr weiteres Vorgehen besprochen werden. Der Germane hatte im Grunde schon genaue Vorstellungen, in wie weit sich dies mit denen seiner Männer deckten, sollte sich noch zeigen.
    Während des Essens berichteten Einar und Marwig den Männern was sie alles erkundet hatten. Eine Diskussion, wie sie vorgehen sollten, blieb nicht lange aus. Teils wurde recht laut und derb gestritten.
    Sollten zuerst die römischen Gutshöfe in der Nähe überfallen werden? Die, die unter ihnen in erster Linie auf Profit aus waren, pochten darauf. Einigen anderen war es wichtig, zuerst unter den Einheimischen Verbündete zu suchen, um somit noch mehr Männer zu finden, die an ihrer Seite kämpften. Dieser Schweinebauer, von denen die Späher gesprochen hatten, konnte ein guter Anfang sein. Denn er konnte sie mit frischem Fleisch versorgen.
    Arwid verfolgte lange schweigend die Diskussion. Letztendlich ergriff er das Wort. „Ihr habt recht! Wir brauchen noch mehr Männer! Thorbrand, nimm dir morgen zwei Männer und reite mit ihnen in dieses Dorf. Wir anderen werden Morgen den Schweinebauer aufsuchen. Dann werden wir weitersehen.“ Schon seit sie Mogontiacum verlassen hatten, ließ ihm ein Gedanke keine Ruhe. Wo war das römische Militär? Außer den verschärften Kontrollen am Stadttor, war nichts davon zu spüren, dass sie hier waren. Sie hatten so gut wie unbehelligt den Rhenus überqueren können. Ob dies an den Gerüchten lag, die er in Mogontiacum aufgeschnappt hatte? Vielleicht konnte ihm Thula eine Antwort darauf geben.
    Er wandte sich an seinen Gast und bot ihr an, doch etwas mehr vom Met zu kosten. "Und, hat dir das Wildschwein gemundet?" Dann reichte er ihr einen vollen Becher mit dem Honiggebräu.

    Nach dem Gespräch mit Einar und Marwig trat Arwid hinaus. Zufrieden konnte er feststellen, dass ihre provisorischen Behausungen fast alle fertig waren. Ebenso erfreute es ihn, dass es Einar gelungen war, seine Schwester dazu zu bringen, sich der römischen Sklavin anzunehmen, die sie mitgebracht hatten. Ygrid und Thula hatten sich augenscheinlich beim Bau einer der Hütten beteiligt. Wie es aussah, beschnupperten sie sich gerade. Gemächlichen Schrittes ging er zu den beiden Frauen. "Wie ich sehe, habt ihr beiden euch bereits bekanntgemacht. Ygrid wird dir von nun an zur Seite stehen. Wenn du etwas benötigst, wende dich an sie." Ihm war zwar bekannt, dass Einars Schwester kein Latein sprach. Aber die beiden würden es schon schaffen, miteinanderauszukommen.


    "Ich würde mich übrigens freuen, wenn du heute Abend mein Gast wärst. Wie ich gerade hörte, ist es meinen Männern gelungen, zwei Wildschweine zu töten." Eine willkommene Abwechslung zu dem üblichen Kleinvieh, welches in letzter Zeit auf ihren Grillspießen gelandet war. Vor allem aber eine weitere Gelegenheit, Thula nochmals zu befragen. Met und Bier würden vielleicht ihr Übriges tun, um ihre Zunge zu lockern.

    Kurz nachdem Thula die Hütte verlassen hatte, traten Einar und Marwig ein. Die beiden hatten kurz nach ihrer Ankunft in den Auenwäldern die Umgebung zu Pferd erkundet. Die beiden hatten einiges zu berichten, was ihren Anführer mit Sicherheit sehr interessierte.
    Arwid hatte sich etwas vom selbstgebrauten Bier bringen lassen, das er nun seinen beiden Männern anbieten konnte. Gemeinsam saßen sie da und tranken erst einmal. Er war schon ganz gespannt darauf, zu erfahren, was die beiden gesehen hatten. "Auf unserem Erkundungsritt haben wir ein Dorf in südwestlicher Richtung entdeckt, dann kamen wir noch an dem Hof eines Schweinebauers vorbei, der nur wenige Leuga in westlicher Richtung liegt. Noch etwas weiter im Hinterland haben wir einen römischen Gutshof, der auf eine Anhöhe gelegen ist, gesehen. Etwa drei oder vier Leuga nördlich von uns gibt es ein römisches Militärlager. Die Leute die wir trafen, nannten es Buconica." Marwig wandte sich an Einar, der bisher geschwiegen hatte. Vielleicht konnte er noch einige Anmerkungen anfügen.
    "Aufgrund dieses Militärlagers in unmittelbarer Nähe, sollten wir uns sehr vorsichtig und vor allen Dingen besonnen verhalten. Und was den Schweinebauer angeht, sollten wir ihm einen Besuch abstatten. Man hat uns gesagt, der Mann sei Germane. Vielleicht kann er uns ja unterstützen. Um ehrlich zu sein, ein Schweinsbraten wäre eine willkommene Abwechslung gegenüber dem mageren und zähen Zeug, was wir in letzter Zeit gejagt haben." Arwid nickte bedächtig. "Da stimme ich dir zu Einar! Ich finde, das sollten wir heute Abend in gemeinsamer Runde besprechen!" Arwid nahm noch einen großen Schluck, bevor er den beiden berichtete, was er und Ygrid alles erlebt hatten."Auf dem Weg nach Mogontiacum haben wir Othmar aufgegabelt. Eigentlich war noch ein anderer Mann mit ihm unterwegs. Ein junger Hitzkopf namens Neidhart. Allerdings hat er uns in kurz vor der Abreise aus der Stadt wieder verlassen." Arwid verstand immer noch nicht, weshalb er nicht mit ihnen gekommen war.
    "Und was ist mit diesem Weibstück, das ihr mitgebracht habt?" Einar war sie sofort aufgefallen, da sie ganz und gar nicht zu ihnen passte. "Du meinst Thula? Sie ist eine Sklavin, die wir in Mogontiacum entführt haben. Othmar hatte beobachtet, wie sie aus der Castra kam. Wahrscheinlich war sie die Sklavin eines der höhocht nicht sehr kooperativeren Offiziere. Wir dachten, vielleicht könnten wir durch sie an einige Informationen kommen. Allerdings ist sie im Augenblick nicht sehr kooperativ. Aber das kann sich noch ändern. Ich werde sie im Auge behalten und sie bei nächster Gelegenheit noch weiter befragen." Arwid war in dieser Hinsicht sehr optimistisch. Wenn die Sklavin erst einmal den Geschmack von Freiheit genossen hatte, würde alles ein Kinderspiel sein. "Ach Einar, könntest du Ygrid bitten, sich um unseren Gast zu kümmern? Sie soll sie möglichst nicht aus den Augen lassen!" Thula hatte zwar versrochen, nicht fliehen zu wollen, jedoch tat er sich schwer, ihr zu vertrauen. Das lag nicht zwangsläufig an ihr, sondern an der Tatsache, dass er glaubte, nur sich selbst wirklich vertrauen zu können. Einar nickte. Er würde gleich seiner Schwester Bescheid sagen.

    Thulas Frage ließ er unbeantwortet. Bei Zeiten, wenn zwischen ihnen das Vertrauen gewachsen war und er sichergehen konnte, wo genau sie stand, wollte er ihr mehr über sich erzählen. Sollte sie sich nur ihre Gedanken machen, wenn sie wollte. Denn dass tat sie ganz bestimmt. Arwid musste einsehen, dass es ihn noch etwas mehr Überzeugungsarbeit kostete, bis er sie auf seiner Seite hatte.
    "Ich zweifle nicht an, dass du Recht hast, aber bedenke, du könntest ein freies Leben jenseits des Limes führen." Zum Beispiel mit ihm. Denn was war das Grundbedürfnis eines Mannes? Wonach sehnte sich Arwid am meisten? Nach einem Zuhause, wo er leben und eine Familie gründen konnte. Inwieweit Thula dafür die Richtige war, konnte er im Augenblick gar nicht beantworten. Dafür kannte er sie zu wenig. Temperamentvoll war sie. Das gefiel ihm. Aber ansonsten?
    Er hatte offenbar mit seiner Fragerei einen wunden Punkt getroffen. Besser er beließ es dabei. Zu einem späteren Zeitpunkt konnte er noch weiter fragen. Außerdem hatte sie ihm durch ihr Schweigen doch schon einiges unabsichtlich preisgegeben.


    "Man kann einen Riesen auch dann in die Knie zwingen, wenn man ihm lange genug kleine Wunden zugefügt hat.", erklärte er und beließ es aber auch damit. Fürs Erste war das alles, was alles, was er mit seinem Gast besprechen wollte. "Ich denke, das genügt erst einmal. Du kannst nun gehen. Natürlich darfst du dich im Lager frei bewegen. Aber hüte dich davor, fliehen zu wollen. Meine Männer werden Mittel und Wege finden, das zu verhindern." Damit entließ er Thula. Sein Interesse galt nun mehr den beiden Spähern, die die Umgebung bereits erkundet hatten.

    Arwid ließ sich von seinem aufgebrachten Gast nicht reizen. Er konnte sogar ihre Empörung nachvollziehen. Die Umstände ihrer Entführung mussten für sie alles andere als angenehm gewesen sein, dessen war er sich bewusst. Doch sie waren notwendig gewesen. Er musste versuchen, sie von seiner Sache zu überzeugen. Da sich seine Vermutungen bestätigten, wähnte er schon recht bald am Ziel zu sein. Dafür war er sogar bereit, etwas über sich preiszugeben. "Nein, ganz sicher nicht. Ich weiß, was es heißt, Sklave zu sein." Mitfühlend lächelte er ihr zu. Dies gehörte alles zu seiner Strategie. Was ihn allerdings irritierte, war ihr Verhalten, als er ihren Armreif genommen hatte. Dieser Schmuck, denn ganz offensichtlich war er das für sie, hatte eine Bedeutung für sie. Auch ihre Reaktion als er ihr sagte, sie sei jetzt frei, ließ sie vollkommen kalt.
    "Tut mir leid, aber wir können dich nicht gehen lassen! Noch nicht. Wo wolltest du denn auch hingehen? Etwa zurück?" Er hatte ihr die Möglichkeit offeriert, ein neues Leben in Freiheit zu führen und sie lehnte es einfach ab? Ebenso zeigte sie kein Interesse, mit ihm und seinen Leuten zu kooperieren. Keine Frage, hier musste mehr im Spiel sein!
    "Othmar und Neidhart, die beiden Männer, die dich in Mogontiacum angesprochen haben, berichteten mir, du seist aus der Castra herausgekommen. Stimmt das? Dein Dominus ist einer der höheren Offiziere, nicht wahr?" Angesichts der hochwertigen Kleidung die sie trug und dem goldenen Armreif konnte es eigentlich nur so sein. Wieder betrachtete er sie eine Weile schweigend. "Du empfindest etwas für deinen Dominus, stimmts? Obwohl er dich zu seiner Hure gemacht hat? Nein, du versprichst dir etwas davon! So ist es doch, nicht wahr?" Die Stimme des Germanen wirkte weiterhin ruhig, als wäre dies eine ganz normale Unterhaltung. Im Prinzip sollte es auch so sein. Arwid hätte auch andere Mittel anwenden können, wenn dies ein Verhör gewesen wäre.
    "Was wir hier machen? Wir wollen den Besatzern zu verstehen geben, dass sie hier nichts zu suchen haben." Seine persönlichen Gründe ließ er zunächst einmal außen vor.

    Arwid konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als man Thula keifend und zeternd zu ihm brachte. Eine ganze Weile ruhte sein Blick auf ihr, ehe er etwas entgegnete. Dabei musterte er sie von Kopf bis Fuß. Das rotbraune hochgesteckte Haar, die römische Tunika, die ihren schlanken Körper bedeckte, der Mantel, auf dem sie saß und ja, da war noch dieser goldene Armreif, den sie trug. Ihre Kleidung wirkte zwar einfach, jedoch war sie aus hochwertigen Stoffen hergestellt. Arwid fragte sich, wer Thula eigentlich war. Nun es gab nicht viele Möglichkeiten, wenn sie tatsächlich aus der Castra herausspaziert war, so wie es Othmar berichtet hatte. Doch je länger er sie sich anschaute, kam er zur Überzeugung, dass sie wohl doch eher eine Sklavin war. Nachdem sie ihm ihren Namen verriet, war er sich ziemlich sicher. Thula! Ein ungewöhnlicher Name. Lass mich raten, du bist eine Sklavin? Weiterhin ruhten Arwids Blicke auf Thula, um jede ihrer Regungen einzufangen. Vollkommen unerwartet ergriff er dann ihren Arm und streifte ihr den goldenen Armreif ab. Er wog ihn eine Weile in seinen Händen und stellte fest, dass er schwer war. Dann betrachtete er ihn genauer. Er sah noch ziemlich neu aus. Er konnte keinerlei Gebrauchsspuren daran entdecken. Dann fiel ihm die Gravur auf der Innenseite auf. "DOMINUS SUAE ANCILLAE", las er laut vor. Jedoch kam er nicht umhin, sich vorzustellen, wofür sie diesen Armreif erhalten hatte.
    Kurze Zeit später wandte er sich ihr wieder zu. "Ich kann dir versichern, wir wollen dir nichts Böses. Ganz im Gegenteil! Du bist jetzt keine Sklavin mehr! Von heute an bist du frei!" Er strahlte sie an. Diese Ansage musste doch etwas bei ihr bewirken. Vielleicht schloss sie sich ihnen ja auch an. "Du musst uns nur einen Gefallen tun. Glaube mir, es ist nichts Schlimmes!", beschwichtigte er Thula. "Du musst mir nur ein paar Fragen beantworten, mehr nicht! Zum Beispiel, wer ist der Dominus, der dir den Armreif gegeben hat?" Dabei hielt er ihr wieder den Armreif entgegen, damit sie ihn sich wieder nehmen konnte. Er war aus Gold und die einzige Sache von Wert, die sie bei sich trug. Thula konnte ihn verkaufen. Sie sollte nicht denken, dass man sie hier bestahl oder ihr sonst etwas antun wollte.

    Südlich von Mogontiacum mäanderte der Rhenus durch sumpfige und dichte, urwaldähnliche Auenwälder. Der Fluss verlief in vielen Windungen und wechselte dabei häufig sein Bett. Dadurch entstanden Inselchen und Altwasser. Nur Schiffe und Boote mit geringem Tiefgang waren geeignet, um den Hauptkanal zu befahren. In die unwegsamen sumpfigen Flussauen trauten sich nicht sehr viele Menschen hinein, was nicht alleine nur an den kleinen blutgierigen Plagegeistern, den Stechmücken lag, die schlüpften, sobald es wärmer wurde. Nein, dieser Wald schien verwunschen zu sein.


    Der von Ochsen gezogene Wagen war ein ganzes Stück auf der Straße gen Süden gefahren. Aber irgendwann hatte er die Straße verlassen und steuerte direkt auf die Auenwälder des Rhenus zu. Der Weg wurde immer unwegsamer, bis schließlich der Wagen in dem sumpfigen Boden stecken blieb. Von dort aus mussten Arwid und seine Begleiter zu Fuß weiter. Sie hatten die Ochsen abgespannt und trieben sie vor sich her. Von der Ladung nahmen sie so viel mit, wie sie tragen konnten. Die Frau, die sie in Mogontiacum entführt hatten, befreiten sie aus dem Sack, in dem sie bis dahin gesteckt hatte. Auch sie sollte einen Teil der Ladung tragen.
    Einer von Arwids Männern hatte bereits den ganzen Nachmittag am rechten Ufer des Rhenus ausgeharrt, und auf den Anführer gewartet. Ein Kahn stand bereit, der die Ladung und Arwids Begleiter zum anderen Ufer bringen sollte, dort wo bereits die anderen angekommen waren. Bei ihrem Eintreffen am frühen Abend, wurden Ygrid und Arwid freudig begrüßt, Othmar, aber besonders die Frau in der römischen Kleidung, wurden zunächst misstrauisch beäugt.
    Die Männer hatten über Tage damit begonnen, mit Zweigen, Ästen Rinde und was ihnen sonst noch zur Verfügung stand, einfache Hütten zu bauen, die sie hauptsächlich vor der Witterung schützen sollten. Zwei seiner Männer hatten bereits die Umgebung ausgespäht und dabei einiges entdeckt. Es gab sehr viel zu erzählen. Doch zunächst bezogen die Neuankömmlinge ihre Quartiere. Thula brachte man auf Arwids Geheiß in seine Hütte.
    Als sie eintrat, bat er sie, sich zu setzen. Arwid versuchte freundlich zu sein, obwohl sein 'Gast' wahrscheinlich alles andere als froh war, hier zu sein."Möchtest du mir deinen Namen verraten?"

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    Das Fuhrwerk näherte sich wieder dem Stadttor. Arwid kramte die kleine Tonscheibe hervor, die er am Morgen von der Torwache erhalten hatte. Damit würde man ihnen wieder ihre Waffen aushändigen.
    Arwid versuchte locker zu bleiben, doch Ygrid konnte man die Anspannung ansehen. Und was war mit Othmar?
    Er saß hinten auf der Wagenfläche und hatte die Ladung wieder mit der Plane zugedeckt. Einige Schweißperlen standen auf seiner Stirn, als das Stadttor immer näher kam. Hoffentlich kamen sie heil aus der Stadt!

    Nachdem Othmar den Sack mit der Frau auf dem Wagen verstaut hatte, war ihm aufgefallen, dass sie nur noch zu dritt waren. Neidhart fehlte! Fragend richtete er seinen Blick an Arwid, der mit den Schultern zuckte. "Er ist nicht mitgekommen. Soll er halt hierbleiben! Wer weiß, wozu es gut ist!" Mit diesen Worten half er Ygrid auf den Wagen und kletterte dann selbst hinauf. Othmar nahm hinten auf dem Wagen Platz. Als der Wagen sich in Bewegung gesetzt hatte, bemerkte er, dass die Frau allmählich wieder zu sich kam. Er hörte ein leises Stöhnen. Er musste sie unbedingt zum Schweigen bringen. Nur wie? Vorsichtig verschob er einige Säcke, die auf ihr lagen. "Sei still und beweg dich nicht, sonst stirbst du! Verstanden?", murmelte er ihr zu. Da Othmar allerdings keine Waffe hatte, mit der er ihr hätte drohen können, pikste er sie leicht mit einem alten rostigen Nagel, den er auf der Ladefläche des Wagens gefunden hatte. Thula konnte ja nicht sehen, dass es kein Messer war. Doch die Wirkung sollte die Gleiche sein.

    Castra? Hatte Arwid eben richtig gehört? Die Frau wohnte in der Castra? In seinem Kopf begann es zu arbeiten und er zog seine Schlüsse. Entweder war sie die Frau eines höheren Offiziers oder eine Sklavin. Allerdings würde sich die Frau eines höheren Offiziers wohl kaum selbst auf den Weg machen, um beim Gemüsehändler einzukaufen. Umso besser, dachte er sich.


    Kaum hatte sie nach seiner Handelsware gefragt, passierte etwas Unerwartetes. Neidhart, dieser unscheinbare Junge, der manchmal ein wenig zu viel plapperte, zauberte plötzlich einen unscheinbaren Jutesack hervor. Er wunderte sich noch, woher er ihn hatte. Aber egal! Doch dann überschlug sich alles. Er stülpte den Sack über den Kopf der Frau, die wahrscheinlich gar nicht wusste, wie ihr geschah. "Bist du irre, Mann?! Doch nicht hier auf den Markt! Wenn uns jemand gesehen hat!" zischte er ihm leise entgegen und schlug geistesgegenwärtig recht unsanft, jedoch nicht zu hart auf den Sack ein, so dass der Körper darin zusammensackte. "Nicht mehr lange und das Vögelchen wäre auch so mit uns geflogen! Los, schafft sie auf den Wagen und dann nichts wie weg hier!"


    Othmar, noch ganz verdattert darüber, was soeben geschehen war, nahm die offenen Enden des Sackes und verknotete sie, dann schwang er sich ihn auf die Schulter und betete zu den Göttern, dass ihn niemand aufhalten würde. Gemeinsam eilten sie dann zu ihrem Wagen, der bereits mit einigen Waren, die sie erstanden hatten, beladen war. Den Sack, indem sich Thula befand, legte er zu den anderen Waren und bedeckte sicherheitshalber alles mit einer Plane. Dann spannten sie den Ochsen an und reihten sich ein, in die anderen Fuhrwerke, die ebenso die Stadt verlassen wollten.

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    Othmar


    Der Ältere sah zu seinem jüngeren Gefährten. Aber von ihm kam nun ausgerechnet nichts, was die Situation hätte retten können. Allerdings hätte es auch wenig Sinn gemacht, die junge Frau nun länger aufzuhalten, außer... „Ja natürlich, aber vielleicht können wir dir ja beim Einkaufen behilflich sein und dir im Anschluss die Einkäufe sogar nach Hause tragen. Das wäre das Mindeste, was wir tun könnten, nachdem wir dich unnötig lange aufgehalten haben. Was meinst du, Neidhart?“ Wieder sah er zu ihm.


    Genau in diesem Moment drang von hinten Arwids Stimme an sie heran. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sie sich hier wieder trafen. „Da seid ihr beiden ja!“ Er trat näher heran und blieb zwischen Othmar und Neidhart stehen. Ygrid, die ihn die ganze Zeit begleitet hatte, blieb zunächst schräg hinter ihm stehen. Arwids Blick fiel nun auch auf Thula, die er zunächst musterte. Die Frau war gut gekleidet. Nichts hätte sofort darauf schließen lassen, dass sie eine Sklavin war. Die Farbe ihrer Haare war vielleicht ein Indiz dafür, dass sie keine Römerin war, sondern hier aus der Gegend stammte. Vielleicht war sie Keltin oder auch Germanin. „Oh, wen habt ihr denn hier? Salve, junge Dame! Ich hoffe, meine beiden Gehilfen haben dich nicht belästigt? Darf ich mich vorstellen? Mein Name lautet Maroboduus. Ich bin Händler aus Colonia Augusta Treverorum. Wir sind gerade zurück aus Germania Magna und nun auf der Durchreise.“

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    Othmar


    Neidhart machte es ihm nicht gerade leicht. Aber der Ältere ließ sich nicht beirren. Er folgte der Frau. Als deren Begleiter sie endlich verließ, sah er seine Chance, sie anzusprechen und sie bei dieser Gelegenheit etwas genauer zu betrachten. Othmar stellte sich ihr direkt in den Weg. Aber was machte Neidhart, dieser Schussel? Beinahe hätte er ihn mit zu Boden gerissen, dann hätten sie beide da gelegen, wo nun nur der Jüngere lag.
    Du junge Frau war zu Recht erschrocken. Doch trotzdem war sie freundlich und hilfsbereit. Neidhart überschüttete sie sogleich wieder mit seinem Wortschwall.
    „Oh, wir müssen uns entschuldigen! Neidhart steh auf, Junge! Keine Sorge, ihm geht es gut, Nicht war?“, rief er seinem Gefährten tadelnd zu. Schnell war er wieder auf den Füßen. Aber was machte er? Redete weiter auf sie ein! „Du musst meinen jungen Freund entschuldigen. Scheinbar hat er noch nicht so oft so schöne junge Damen wie dich getroffen!“ Othmar wirkte etwas verlegen. Seine Enttäuschung, dass es sich bei der jungen Frau mit Sicherheit nicht um seine Tochter handelte, steckte er gekonnt weg. „Du hast recht, wir sind nicht von hier. Wir äh, sind nur auf der Durchreise. Aber du lebst hier in der Stadt?“ Zugegebenermaßen war dies ein plumper Versuch, sie länger aufzuhalten. Othmar war eben aus der Übung, was Frauen anbelangte. Wahrscheinlich war sie schneller wieder weg, als ihm lieb war.

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    Othmar


    Wahrscheinlich war es nur so eine fixe Idee gewesen, weshalb Othmar den beiden jungen Leuten folgte. Dabei achtete er darauf, immer einen gewissen Abstand zu ihnen zu halten. Weder die Frau noch der Mann sollten merken, dass sie verfolgt werden.


    Recht schnell fand er sich an seinem ursprünglichen Ausgangspunkt wieder, dem Markt. Um niemandes Aufmerksamkeit zu erregen, gab er sich hier geschäftig. Er ließ seine Blicke über die angebotenen Waren gleiten, wobei er immer wieder versuchte, auch ein Auge auf das Gesicht der Frau zu werfen, was ihm nur selten gelang. Ständig ging ihr Blick von einem zum anderen Stand oder sie drehte sich zu ihrem Begleiter um. Natürlich war es vollkommen abwegig zu glauben, die erstbeste Rothaarige, die ihm über den Weg lief, könnte etwas mit seiner Tochter zu tun haben. Und selbst wenn dem nicht so war, wovon er insgeheim ausging, konnte die Frau vielleicht für Arwid von Nutzen sein. Irgendwo hier auf dem Markt musste er sich mit Ygrid noch aufhalten.

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    Othmar


    „Danke für den Tipp!“, antwortete Othmar dem Centurio und atmete tief aus, als er sich samt seinen Männern endlich entfernte. Er sah zu seinem Gefährten, Man konnte seine Erleichterung deutlich erahnen. „Komm, lass uns gehen!“ Es war sicher das Beste, wenn sie sich jetzt nach einer Taberna umsahen, in der man auch Met ausschenkte. Den konnte er jetzt auf jeden Fall gebrauchen. Er sah noch einmal zum Legionslager hinüber, bevor er weitergehen wollte. Dann aber hielt er doch wieder inne. „Hast du das gesehen, Neidhart? Ich wusste gar nicht, dass die auch Frauen in ihren Lagern haben.“Er deutete hinüber zum Tor, aus dem gerade eine junge rothaarige Frau in Begleitung mit einem jungen Mann herausgekommen war. Aufgefallen war sie ihm eigentlich nur Aufgrund ihrer Haarfarbe, denn sie ähnelte die seiner Frau und seiner Tochter. Für einen Atemzug lang war die Hoffnung in ihm gewachsen, hier etwas über das Verbleiben seine kleine Tochter erfahren zu können, die vor Jahren wahrscheinlich verschleppt worden war. Othmar verwarf den Gedanken gleich wieder. Er war kein Mann der an Zufälle glaubte. Trotzdem war er neugierig geworden. „Komm mit!“, rief er Neidhart zu und lief den beiden nach. Dabei achtete er darauf, immer einen gewissen Abstand zu wahren.

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    Othmar


    Warum wollten diese Römer immer alles so genau wissen? Othmar verstand das nicht. Dennoch gab er sich freimütig und beantwortete die Fragen des Centurios. Neidhart war ihm zuvorgekommen und überschüttete den Mann einmal wieder mit seinem Redeschwall. Othmar fand dies eigentlich sehr amüsant, doch er hütete sich, zu grinsen.„Äh, ja richtig. Mein Name ist Sigurd, ich bin Chatte und komme von jenseits des Limes, aus dem freien Germanien – oder Germania magna, je nachdem, wie es dir lieber ist.“ Bis auf den Namen hatte er die Wahrheit gesagt. „Ich habe meinen Freund Gerwin unterwegs kennengelernt, da wir den gleichen Weg hatten. Auch ich suche hier mein Glück. Allerdings nicht beim Militär. Ich bin Handwerker, verstehst du? Ich mache Schuhe und andere Sachen aus Leder. Morgen werde ich versuchen, hier in der Stadt eine Anstellung zu finden.“ Ob er das tatsächlich auch umsetzen würde, stand immer noch in den Sternen. Othmar war immer noch unentschieden. Außerdem war da ja auch noch Arwid, von dem er nicht recht wusste, was er von ihm halten sollte. Seine Ansichten waren ziemlich radikal. Allerdings konnte er ihn auch auf eine gewisse Weise verstehen.

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    Othmar



    Othmars Aufmerksamkeit wurde kurz auf das Haupttor gelenkt, als es sich plötzlich öffnete und einige Legionäre samt ihres Centurios herausmarschierten. Das Geschrei des Centurios war kaum zu überhören. Einen kurzen Moment beobachtete er die Soldaten, dann aber lenkte er seine Gedanken wieder zurück zu seinen Zukunftsabsichten. Sollte er hier in der Stadt bleiben, sich eine Arbeit suchen und irgendwann vielleicht wieder eine Frau, mit der er dann wieder Kinder haben könnte? Wieder Frau und Kinder zu haben, das klang so unwirklich. Theoretisch war er noch nicht zu alt, um sie aufwachsen zu sehen. Er hatte gut und gerne noch viele Jahre vor sich, wenn nichts dazwischenkam. Ganz unerwartet aber wurde er aus seinen Gedanken herausgerissen. Das Geschrei des Centurios galt nun ihm. Er stand ihm gegenüber und sah ihn zunächst ziemlich verdutzt an, bevor er ihm hätte antworten können.
    „Ich äh,“ begann er, jedoch konnte er nicht beenden, was er sagen wollte, da mittendrin eine ihm wohlbekannte Stimme erschallte, die er bereits vermisst hatte. Neidhart stand plötzlich direkt neben ihm und schickte sich an, für ihn zu antworten. Dabei hatte er sich eine hanebüchene Geschichte ausgedacht, die er dem Centurio auftischte. Ihn selbst nannte er Sigurd. Othmar ließ sich nichts anmerken uns spielte Neidharts Spiel mit. „Gerwin, da bist du ja! Ich habe sich schon überall gesucht!“
    Gerwin war der erstbeste Name, der Othmar eingefallen war. Gerwin – so hieß ein alter Freund aus Kindertagen, den er seit ewiger Zeit nicht mehr gesehen hatte. „Ich war tatsächlich nur auf der Suche nach meinem Freund, Centurio. Wir sind erst vor wenigen Stunden hier angekommen und ich kenne mich hier überhaupt nicht aus. Dummerweise haben wir uns im Gedränge auf dem Markt verloren. Ich bin einfach weitergegangen und plötzlich stand ich hier. Ehrlich gesagt, war ich etwas fasziniert, als ich deine Männer sah,“ versuchte nun auch Othmar eine vernünftige Erklärung für sein Hiersein zu finden.

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    Othmar


    Othmar zog es vom Markttreiben weg. Ihn interessierten nicht die bunten exotischen Waren aus fremden Ländern. An einer Garküche hatte er sich eine Wurst und einen Becher Posca gegönnt und durchstreifte nun die Gassen der Stadt. Seinem Augenmerk galten in erster Linie die beeindruckenden Gebäude der Stadt, die zunächst nur wenige Schritte von der Markthalle entfernt lagen. Unübersehbar war das römischen Verwaltungsgebäude, die Curia. Etwas weiter entfernt hatte er später den Palast des Statthalters entdeckt.


    In der Stadt gab es auch Tempel und Kultstätten für Götter, die im wohlbekannt waren. Aber auch andere, fremde Gottheiten, von denen er bis dahin noch nie etwas gehört hatte. Aber Othmar war nicht der Tempel wegen nach Mogontiacum gekommen. Daher sah er sich weiter um und erreichte bald die Thermen. Er selbst hatte bisher noch nie eine von innen gesehen und es hätte ihn sicher gereizt, die Thermen einmal zu besuchen. Jedoch hatte er dafür keine Zeit.


    Letztendlich gelangte er bei seinem Spaziergang in Sichtweites des Legionslagers, das von einer steinernen Mauer mit Wachttürmen umgeben war. Mit einem gewissen Abstand beobachtete er das Treiben am Haupttor, welches das Lager mit der Stadt verband. Einen kurzen Moment nur dachte er darüber nach, ob es nicht doch klug wäre, sich bei der Ala zu verpflichten, so wie es Arwid der Wache am Tor gesagt hatte. Aber er verwarf ganz schnell wieder diesen Gedanken. Das Militär und er würden in diesem Leben keine Freunde mehr werden. Das war ganz sicher! Seine Zukunft musste irgendwo anders liegen. Fragte sich nur wo!

    Nachdem sie ihren Wagen abgestellt hatten und die Tiere versorgt waren, begaben sich die Vier auf den Markt. Dort versuchten sie zunächst die Felle gegen Proviant und uns sonstige nützliche Waren einzutauschen. Dann später konnten Othmar und Neidhart ihrer Wege gehen. Bis zum Abend sollten sie wieder zurück sein, damit sie wieder gemeinsam die Stadt verlassen konnten.


    Arwid und "seine Frau" Ygrid hingegen blieben noch etwas länger auf dem Markt, denn dort verbreiteten sich Neuigkeiten bekanntlich besonders schnell. Außerdem hatte er den Eindruck, dass die junge Frau an seiner Seite Gefallen gefunden hatte an dem bunten Treiben der Stadt.