Beiträge von Aglaia

    Es hatte gewiss Vorteile, die Königin der Provinz zu sein. Aglaia hatte viele Sklaven und Diener, eigene Räumlichkeiten, jede Menge Freiheiten, et cetera, et cetera. Aber nichts desto trotz war dies hier die Provinz, und all die Freiheit nützte nur wenig, wenn sie sich nicht entsprechend ablenken konnte. Ihr fehlte ein wenig der Zeitvertreib, die Unterhaltung. Diese Germanen waren langweilig, und die Stadt bot kaum Abwechslung. Es gab eine Therme, aber die war kaum ein Hort der Gerüchte. Überhaupt hatte Aglaia Zweifel daran, dass sich hier alle regelmäßig wuschen.


    Aber was könnte man ändern? Es gab ein Theater, aber keine wirklichen Schauspieler. Vielleicht, wenn man welche kommen ließe? Regelmäßige Theateraufführungen wären zumindest ein wenig Kurzweil. Aglaia hatte auch etwas von einer Gladiatorenschule gehört, aber noch keine einzige Aufführung auch nur ansatzweise gesehen. Bei so vielen Tieren in den Wäldern Germaniens müsste aber doch wenigstens ein Bär für eine Tierhatz aufzutreiben sein?
    Aglaia überlegte, als unvermittelterweise ein paar Arme um sie gelegt wurden und ein Kuss in ihren Nacken gedrückt wurde. Natürlich erschreckte Aglaia sich, dennoch zuckte sie nicht einmal. Körperbeherrschung war das A und O einer guten Kurtisane. Stattdessen schmiegte sie sich in die Umarmung und ließ ein wohliges Seufzen hören. “Ich wusste gar nicht, dass du solche Sehnsucht nach mir hast“, säuselte sie mit halb geschlossenen Augen, ohne sich umzudrehen.

    Das. War. Ungeheuerlich.


    Aglaia tauschte einen reichlich verwirrten Blick mit der Kaiserin aus, als Vinicius Masse sich von der Feier verabschiedete, noch ehe sie überhaupt so richtig begonnen hatte. Das hier war der Legat der Provinz, der eingeladen hatte, und als Ehrengast war die Kaiserin Roms höchstselbst anwesend! Abgesehen davon hatte Aglaia mehrere Tage mit den Vorbereitungen hierfür verbracht, und alles, was dieser... dieser... Kulturbarbar mit römischem Namen dazu beitragen konnte, war eine Entschuldigung, er müsse zurück in sein dusseliges Lager? War Livianus nicht der Chef dieser Legion?
    Oh, Vinicius Massa hatte sich gerade eben keine Freundin geschaffen, soviel war glasklar.


    “Nun, dann muss ich wohl mit einem Massa vorlieb nehmen, anstelle derer zwei“, lächelte sie friedverheißend über diese Kuriosität hinweg.


    So langsam trudelten dann doch Gäste ein. Da verspätete man sich schon vornehm um eine Stunde, um dann festzustellen, dass die Mogontiacer sich noch mehr verspäteten! Sollte Livianus weitere Festlichkeiten wünschen, würde Aglaia dies zukünftig berücksichtigen und die Einladungen wohl so aussprechen, dass der Beginn der Feier 'versehentlich' zwei Stunden vor Beginn der Feier ausgesprochen wurde.


    Kurze Verunsicherung verspürte Aglaia bei der Vorstellung des Prudentiers. Glücklicherweise wurde der ohnehin nur der Augusta vorgestellt, so dass sie nicht in Verlegenheit kam, etwas erwidern zu müssen und sich aufs Lächeln beschränken konnte. Sie hatte nicht gewusst, dass Livianus viel Kontakt zu den Kindern aus erster Ehe seiner verstorbenen Frau gepflegt hatte. Erst recht nicht, dass dieser so eng war, dass Livianus ihn gar als Ziehsohn bezeichnete. Söhne verkomplizierten ihre Stellung im Allgemeinen, da machten Ziehsöhne sicherlich wenig Unterschied. Verwunderlich, dass Livianus nie wirklich davon gesprochen hatte, dass er den Jungen, der ihm offenbar nahe stand, hier wiedersehen würde. Noch so eine interessante Überraschung.


    Irgendwann ließ sich dann auch einmal die eigentliche Führungsschicht Mogontiacums blicken. Zuerst der Procurator für die Provinz, ein bärtiger Zausel, der aber zumindest ein Mindestmaß an Manierlichkeit offenbarte. Trotzdem – dieser Bart! Aglaia würde ja selbst bei Livianus zu gerne das Barbiermesser anlegen, um ihn von seinen Stoppeln zu befreien. Aber hier im Norden schienen die Männer versessen darauf zu sein, ihr Gesicht auch im Sommer vor eventueller Winterkälte zu schützen. Da zupfte frau sich jedes einzelne, ungewollte Härchen am ganzen Körper aus, nur um am Ende des Tages einen Igel zu küssen! Wobei... nein Aglaia wollte lieber nicht näher darüber nachdenken, ob die Damen der Provinz sich regelmäßig die Haare zupfen ließen, oder nicht. Sie sollte aber schnellstens in Erfahrung bringen, ob es in der hiesigen Therme professionelle Haarausreißer gab, oder ob sie sich selbst darum würde kümmern müssen.


    Zurück zum Procurator. Der stellte sich ihr gerade vor und lächelte sie an. Aglaia kannte diese Art der Männer, zu lächeln. Üblicherweise war dieses Lächeln ein erstes Anzeichen dafür, dass eine Hetäre das Interesse geweckt hatte und nun mit dem Spielen anfangen konnte, wenn sie wollte. Nur hatte Aglaia ja schon ihren Mäzen an ihrer Seite und nur mäßig Bedarf am Spiel. Wobei, ein wenig die Marktlage zu prüfen und die Preise zu checken war nie verkehrt. Doch nur gemäßigt.
    “Aglaia“ antwortete sie also und hielt seinem Blick mit leichter Herausforderung in dem ihren Stand, während er einen überraschend korrekten Handkuss zustande brachte: Ohne Berührung, nur mit der Andeutung eines Kusses.
    Natürlich wandte der Procurator sich anschließend auch an den großen Mann der Provinz. Aglaia wand ihren Körper mit seiner Bewegung mit Livianus zu. Eine geschickte, kleine Bewegung, die für einen kurzen Augenblick, kaum mehr als ein Blinzeln lang, den Blick auf ihr Bein bis hinauf zur Hüfte freigab, nur um ebenso schnell das weiche Fell wieder über die Haut gleiten zu lassen und alles sittsam vor Blicken zu verbergen. Völlig unschuldig lächelte Aglaia den Procurator von der Seite an, während sie sich einen Schritt näher an Livianus Seite begab, wie um zu zeigen, dass alles soeben gesehene dem Legaten unterstand.

    Auftritt der Königin!


    Natürlich hatte Aglaia artig gestrahlt und ihrem Liebsten versichert, dass sie sich um die Ausrichtung eines Festes kümmern würde, als dieser sie gebeten hatte. Er hatte ihr auch genug Geld gegeben, und wäre dies hier Rom gewesen und hätte sie etwas mehr als ein paar Tage Zeit gehabt, was hätte sie ihm für ein Fest gegeben! Mit Tänzerinnen mit seidenen Bändern, Jongleuren, wilden Tieren, Gladiatoren, Musik aller Art und tausend Speisen, von denen die Gäste noch Jahre schwärmen würden! Aber hier? Diese Barbaren hatten wohl von Tänzerinnen noch nie gehört, geschweige denn von irgendwelchen Artisten. Die Gladiatoren hier waren bestenfalls zweitklassig und grobschlächtige Typen, die Aglaia nicht im Palast haben wollte, wilde Tiere gab es in den Wäldern zuhauf, aber ein tanzender Bär war anscheinend zu viel verlangt und zu essen kannten diese Zivilisationsflüchtlinge anscheinend nur eine Hand voll Tiere. Vermutlich hatte sie sowohl die Jäger, als auch die Küche vollkommen damit überfordert, als sie in Ermangelung von Pfauen und Seesternen so zumindest doch ein paar Schwäne servieren wollte.
    Kurzum: Die Vorbereitung brachten Aglaia nicht nur einmal an den Rand eines Nervenzusammenbruches. Und doch durfte sie sich nichts anmerken lassen und natürlich kein Wort des Unmutes äußern, denn all dies stand vielleicht einer keifenden Ehefrau zu, aber nicht einer Hetäre. Nein, sie lächelte, spielte die Zuversichtliche und ließ nur dann und wann etwas kleinlaut eine winzige Bemerkung fallen, wie unzivilisiert diese Ödnis doch war.


    Doch wenigstens hatte sie ein wundervolles Kleid für den heutigen Abend! Oh, diesen Hinterwäldlern würden die Augen ausfallen! Livianus vermutlich auch, aber da musste der gute durch. Wenn sie sich schon mit viel zu haarigen Menschen und alten Bartzauseln anfreunden musste, musste er damit Leben, dass Aglaia der Hälfte von ihnen mit ihrem Auftritt einen Herzinfarkt bescheren würde.
    Ihr Kleid war aus hauchfeiner, hellblauer Seide, so fein, dass es im rechten Licht nur wenig Phantasie bedurfte, sich ihren Körper darunter vorzustellen. Anstelle von auffälligen Stickereien oder Perlen war dieses Schmuckstück mit tiefrotem Pelz verbrämt. So war ihr üppiger Ausschnitt in einen flauschigen Rahmen gefasst, ebenso natürlich der Kleidersaum. Auf der rechten Seite lief der Pelz bis fast zu ihrer Hüfte nach oben und gab so preis, dass das Kleid hier einen sehr, sehr langen Schlitz hatte. Bei einer ausladenden Bewegung würde sich so eine Menge perlenweißes Bein freigelegt werden – aber nur, wenn Aglaia wollte.
    Dazu war ihr Haar in feinen Korkenzieherlocken nach oben aufgetürmt und mit versteckten Nadeln gehalten, so dass ihr langer Hals ebenfalls zur Bewunderung frei lag. Das Ganze wurde abgerundet durch passende, helle Schuhe und einen schmalen, ebenfalls pelzbesetzten Gürtel.


    Mit ordentlicher Verspätung also betrat Aglaia den Saal. Sie erwartete, ihren Geliebten im Gespräch mit den Honorationen der Stadt anzutreffen und eine große Menge, die sich ihr beim Öffnen der Tür zuwenden würde!
    Aber da war... nichts. Wie vom Donner gerührt blieb Aglaia auf der Türschwelle stehen und sah auf das kärgliche Schauspiel hinab. Da stand Livianus mit der Kaiserin und zwei einsamen Militärgestalten. Wo war die Abordnung der Staat, wo die Decuriones? Wo waren die Gesandten von umliegenden Gemeinden, ja, vielleicht sogar befreundeter Stämme? Wo war die Priesterschaft dieses verlassenen Ortes? Wo die verdammten Handwerksmeister? Aglaia verlangte ja keine Senatoren und sämtliche Ritter der Provinz (wobei die letzteren ihren Hintern durchaus zur Begrüßung ihres Legatus herschwingen durften). Aber wo war Mogontiacum? Wollten diese Barbaren sie nun endgültig beleidigen?
    Verwirrt lächelnd schritt Aglaia zu Livianus herüber und warf dabei auch der Kaiserin einen sehr fragenden Blick zu. “Bin ich zu früh?“ stellte sie doch recht verborgen die Frage, was hier eigentlich los war und ob Livianus vielleicht mehr wusste als sie.

    Angekommen.


    Der Wagen blieb stehen und Livianus kam zu ihnen herüber. Aglaia begrüßte ihn mit ihrem bezauberndsten Lächeln und ließ sich – natürlich nach der Kaiserin – auch gerne aus der Kutsche helfen. Hach, zu gerne hätte sie diesen ganzen sogenannten Honorationen gleich gezeigt, dass Livianus der ihre war und ihm noch an Ort und Stelle einen dicken Kuss aufgedrückt! Wenn sie schon dazu verdammt war, hier zu bleiben, dann doch als Königin und nicht als bloßes Anhängsel! Aber gut, es gehörte sich nicht, und solange die Kaiserin noch in Sichtweite war und damit Livianus' Ruf in Rom theoretisch durch so etwas hätte leiden können, beherrschte sie sich. Lediglich ein kurzes, bestärkendes Drücken seiner großen Hände, ehe er sich wieder von ihr trennte, um wohl eine Begrüßungsrede zu halten. Oder die Kaiserin vorzustellen. Oder beides. Aglaia hatte nicht allzu genau aufgepasst bei der Besprechung, was heute in welcher Reihenfolge zu geschehen hatte.


    Aglaia bildete also nur die zweite Reihe, strahlte dort aber herrschaftlicher, als jeder Kaiser es tun könnte. Da in der ersten Reihe, das waren wohl die Würdenträger dieses... Ortes. Sie sah Wolle, Wolle, Wolle, Leinen, Wolle, oh, einen schönen Pelz, Leinen und Wolle. Von Seide hatten diese Leute hier wahrscheinlich nur einmal in Nachrichten aus der Acta gehört. Wenn Aglaia ihren Blick über die anwesenden Frauen gleiten ließ, war das Bild sogar noch ernüchternder. Von allem, was in Rom bei ihrem Weggang Mode war, war das hier so weit entfernt, wie... nunja, wie Mogontiacum eben von Rom.
    Vermutlich würde die Hälfte von den aufgereihten Männern gleich nach Luft schnappen, wenn der nächste Wind Aglaias Kleid an ihren Körper pressen würde und damit Dinge enthüllte, die die Damen hier unter Unmengen an starrem Stoff zu verstecken suchten. Eigentlich würde Aglaia solch einen Umstand ja als Kompliment nehmen. Doch kam es ihr ein wenig so vor, als wäre in diesem Fall ihre ganze Verführungskunst doch reichlich für die Katz.


    Trotz all dieser Gedanken lächelte sie huldvoll und herrschaftlich und wartete, dass das offizielle Prozedere endlich voranschritt. Wenn die Götter nur ein wenig Gnade hätten, würde am Ende des Tages zumindest ein kleines Fest stattfinden. Ein wenig Ablenkung konnte wirklich nicht schaden.

    Und da war die Reise zu Ende!


    Aglaia konnte nicht wirklich behaupten, dass sie die Reise genossen hatte. Noch immer war sie unerhört weit weg von Rom und allem, was sie als zivilisiert bezeichnen würde. Und noch immer war sie dazu verdammt, hier zu bleiben. Durch die Anwesenheit der Kaiserin war die Reise zwar um einiges interessanter geworden, und auch Livianus zeigte sich im Laufe dieser Zeit als großzügig und liebevoll. Dennoch hatte Aglaia es nicht geschafft, von der Kaiserin ein deutliches Zugeständnis zu ihrer Person zu erhalten, eine wie auch immer geartete Beziehung heraufzubeschwören. Aglaia vermutete ja, dass die Kaiserin sich nicht traute, ihrem Legatus Augusiti die 'Frau“ auszuspannen, und Aglaia konnte und durfte nicht nach außen kommunizieren, dass ihr dies nichts ausmachen würde. Es war zum Mäuse melken!
    Es blieb also nur zu hoffen, dass die Kaiserin in ihrer Unwissenheit keinen Ersatz für Aglaia finden würde, bis diese irgendwann einmal nach Rom zurückkehren würde. Natürlich könnte die Kaiserin sich auch eine Sklavin kaufen, aber das war nicht dasselbe. Vor allen Dingen hatten Sklavinnen im allgemeinen nicht so viel Übung wie sie. Und auch unter den ausgebildeten Hetären gab es wenige, die auch Frauen befriedigten. Immerhin suchte sich eine Hetäre im Gegensatz zu einer Lupa ihre Kunden selbst aus. Und da die Kaiserin nicht wissen konnte, wo sie also suchen musste, und ihr die entsprechenden Kreise auch weitestgehend verschlossen bleiben würden aufgrund ihrer Stellung, war die Chance also nicht allzu schlecht, sofern dieser Aufenthalt hier nicht allzu lange dauern würde. Und bis dahin würde Aglaia eben schreiben müssen und mit gezielten, geschriebenen Worten die Sehnsucht wach halten.


    Heute allerdings bekam Aglaia zumindest eine deutliche Gunstbezeugung, indem sie sich mit der Kaiserin zeigen durfte. Es war ein offener Karren, der sich wohl nur durch seine Polsterung und Bemalung ernsthaft von einem Ochsenkarren unterschied. Was die Frischluft und die Aussicht anging war es dennoch eine himmelweite Verbesserung zu der geschlossenen Kutsche, in der sie sonst so dahinholperten.
    Aglaia trug blau. Sie war in Versuchung gewesen, das rote Kleid zu tragen, in welchem sie Livianus begegnet war, allerdings durfte sie der Kaiserin nicht die Schau stehlen. Und egal, was die Kaiserin auch getragen hätte, in dem roten Kleid wäre sie mehr aufgefallen.
    So war es heute also ein Kleid im tiefen Blau eines Saphires, dessen großzügiger Ausschnitt den Ansatz ihrer Brüste erkennen ließ. Auf den Schultern und die Ärme hinunter wurde das Kleid durch kleine, bronzefarbene, schneckenförmige Fibeln gehalten, die den zarten Stoff nur gerade so eben zusammenhielten und dazwischen viel weiße Haut von Schultern und Armen durchblitzen ließen. Um den Hals trug Aglaia eine passende, schwere Halskette aus bronzenen Schneckenhaus-Elementen, die mit tiefblauen Saphiren veredelt waren und in der Frühsommersonne funkelten. Ihr blondes Haar war hochgesteckt und ebenfalls mit blauen Steinen gespickt
    Auch wenn sie nun rückwärts fuhr, konnte Aglaia sehen, wie sich die Menschen schon sammelten, um ihren neuen Legaten und wohl vor allem die Kaiserin zu begrüßen. Und so übte sie sich ebenfalls darin, möglichst herrschaftlich in die Menge zu lächeln und hier und da zu winken.

    Und es ging immer weiter nach Norden.


    Nicht mehr lange, und sie würden wohl in jener zivilisationsfernen Provinz ankommen, die Livianus zu verwalten gedachte. Nachdem sie die Alpen überquert hatten, ging die Reise einfacher, allerdings sah die Landschaft nördlich des Gebirges deutlich anders aus als die offenen, gerodeten und kultivierten Ebenen Italias. Hier war alles wild, verwuchert, dunkel. Am schlimmsten war es, als sie in ein Gebiet kamen, das der ein oder andere Veteran Silvia Nigra nannte. Man war noch immer in einem Gebirge, allerdings war dieses so dicht bewaldet, dass man auch tagsüber kaum die Sonne zu sehen bekam. Zu sagen, dass diese Örtlichkeit unheimlich war, traf die bedrohliche Kulisse nicht einmal annähernd.


    Aber Aglaia hatte ja Ablenkung. Tagsüber teilte sie sich mit der Kaiserin häufig die Kutsche. In der Zwischenzeit kannte Veturia Serena dutzende von Geschichten: Von Ennia Damasippa, die sich sogar hatte versklaven lassen, nur, um mit dem Sklaven ihres Nachbarn zusammen sein zu können. Von den legendären Orgien von Volusus Hirrius Hirpinus, der einen riesigen Nubier mit noch riesigerer Bestückung besaß, der zu Beginn jeder Orgie ein 'Jungfrauenopfer' durchführte und teilweise noch mit Jungfernblut an seinem besten Stück gleich zu der ein oder anderen Dame hinzustieß. Ebenso kannte sie jetzt die Geschichte von Iuventia Laeca, die ihren Mann umgebracht hatte, um mit ihrem Liebhaber und seinem Reichtum ungestört zusammen sein zu können, und die nur erwischt worden war, weil sie zufällig auf dasselbe Schiff nach Achaia steigen wollte wie ihr Schwager.
    Und auch sonst hatte die Kaiserin sehr viel gelernt. Aglaia zog sich zu ihren gemeinsamen Treffen schon vorwiegend Sachen an, die leicht abzustreifen waren, und meinte ähnliches an der kaiserlichen Garderobe zu vermerken. Inzwischen wusste Aglaia sehr genau, wie sie die junge Frau am schnellsten zum Höhepunkt bringen konnte, und fing gekonnt an, damit zu spielen, es herauszuzögern bis die Kaiserin fast um Erlösung bettelte, um sie ihr dann nur umso intensiver zu gewähren. Ganz einfach war es nicht, da sie ja nach wie vor nicht zu laut werden durften und es nicht immer vollständig befriedigend war, im entscheidenden Moment in ein Kissen beißen zu müssen. Dennoch war sich Aglaia recht sicher, dass die Kaiserin jede einzelne Berührung mittlerweile mehr als nur zu schätzen wusste und auch etwas mutiger darin wurde, ihrerseits fremde, nackte Haut zu erkunden.


    Und nachts wiederum war Livianus bei ihr, erzählte von seinen Eindrücken und Plänen, während sie ihm die Verspannungen aus den Beinen und Schultern massierte, seinen Körper mit Küssen bedeckte und das ein oder andere Mal, wenn er nicht zu müde oder erschöpft war, nicht ganz so streng auf die Lautstärke achtete und für ein wenig Entspannung ihrer selbst sorgte. Und die Befriedigung von Livianus, natürlich.


    Livianus ahnte sicherlich nichts von dem, was in der kaiserlichen Kutsche vorging. Aber bisweilen fragte sich Aglaia, ob die Kaiserin sich dessen gewahr war, was Aglaias Zunge teilweise nur Stunden zuvor mit Livianus getan hatte, und ob sie diese Vorstellung als zusätzliches, verbotenes Element wohl eher erregte oder nicht. Am einfachsten wäre es ja, ihre beiden Liebhaber miteinander zu kombinieren, aber das würde wohl nicht passieren. So also wechselte Aglaia vom einen zur anderen und wieder zurück und überlegte sich schon Pläne, wie sie das bei ihrer Ankunft zu ihrem persönlichen Vorteil wohl fortführen könnte.

    Das kam unerwartet.


    Aber Aglaia würde sich nicht beschweren, dass es so schnell ging. Sie hatte eher damit gerechnet, über die gesamte Reise immer weiter ein wenig mehr Lust zu entfachen, bis die Kaiserin ins Zweifeln geraten würde über ihre eigenen Gefühle. Dass es ausgerechnet die profane Neugier war, die ihr so schnell zu Hilfe kommen würde, hatte Aglaia nicht gedacht. Aber sie nahm es als Geschenk der Venus hin, versprach der Göttin gedanklich ein weiteres Opfertier und lächelte die Kaiserin gewinnend an.
    “Ganz, wie meine Kaiserin befiehlt“, schnurrte sie verführerisch und ignorierte dabei geflissentlich die Tatsache, dass die Worte der jungen Frau eher herausgerutscht waren und bei der geringsten Nachfrage wohl sofort dementiert worden wären. Aber sie waren gesprochen, sie hatten die Neugierde offenbart, und Aglaia nutzte ihre Chance.


    Gelenkig ließ sie sich zum Boden der Kutsche gleiten und ging dort auf die Knie. Ihre Hände streichelten erst den Stoff an den Schenkeln der Herrscherin, erst sanft, dann fester, während sie nach und nach die feine Wolle nach oben schob. Schließlich entblößten sich alabasterne Schenkel, die Aglaia langsam mit Küssen bedeckte, dabei mehr und mehr ihre Zunge mit einbezog, während sie langsam immer weiter nach oben wanderte.
    Schließlich am Ziel angekommen öffnete Aglaia die Schenkel der anderen Frau mit sanftem Druck etwas weiter, um ihr dann erst sanft, dann fordernder zu zeigen, wofür eine Zunge so alles benutzt werden konnte. Und auch ein paar fremder Finger...

    Jetzt nicht zu schnell.


    Aglaia lehnte sich nur ganz leicht in Richtung der kaiserin, als diese die Worte geradezu flüsterte, als hätte sie Angst, jemand draußen könnte über das Holpern der Räder, das Schnauben der Pferde, das Geschnatter der Männer, das Rasseln diverser Kettenhemden und Cingula, das Stampfen von Füßen und Hufen und das Gezwitzscher der Vögel hinweg ihre Frage durch die dicken Holzbretter der Kutsche hindurch hören. Hach, Römer waren, was das anging, schon herrlich verklemmt.
    “Oh, ich weiß, einem guten Römer ist sein Mund heilig. Niemals würde ein Römer oder eine Römerin seine Zunge zu etwas anderem benutzen, als zu sprechen oder zu essen. Aber eine Peregrina wie ich?“
    Aglaia ließ wie gedankenvergessen einen einzelnen Finger ganz sachte in einer fließenden Bewegung den Arm der Kaiserin nach unten streicheln. An und für sich nicht einmal eine großartige Berührung, nichts anrüchiges oder gefährliches. Aber in diesem Kontext bei der angespannten, jungen Frau, der sich gerade ein ganzes Universum an Möglichkeiten auftat mit etwas Glück ein kleiner Eisbrecher.
    “Ich unterliege nicht solchen Grenzen und kann daher Dinge tun, die ein römischer Ehemann nie tun könnte...“

    Na, vielleicht wäre diese Geschichte doch etwas für einen späteren Zeitpunkt gewesen. Aglaia konnte regelrecht zusehen, wie die Kaiserin abwechselnd blass und doch wieder rot wurde. Jetzt allerdings war es schon zu spät. “Nun, ihr schien es zu gefallen“, meinte Aglaia nur lächelnd, ohne erneut irgendwie in die Details zu gehen und die Kaiserin damit zu überfordern oder ihrem Kopfkino weiteres Futter zu geben.
    Und auch die zweite Anmerkung schien die junge Frau doch sehr zu überfordern und offenbarte damit umso mehr, wie behütet und weit weg von alledem sie aufgewachsen sein musste. Und wie langweilig das kaiserliche Ehebett wohl sein musste, wenn schon diese Anspielungen allein ihr die Schamesröte ins Gesicht trieben. Aglaia unterließ es daher auch tunlichst, hier weitere Tipps geben zu wollen, ehe es der jungen Frau noch gänzlich zu viel wurde und sie das Gespräch abbrach.
    Auch danach war die Information überraschend ehrlich und offenherzig. Natürlich hatte Aglaia keine Ahnung, dass die Kaiserin Schwierigkeiten gehabt hatte, ein Kind zu empfangen. Sie selbst kannte sich ausnahmslos nur mit der anderen Seite aus, aber auch nur daran zu denken, selbst ein Kind bekommen zu wollen, war ihr so derartig und absolut fremd, dass sie gar nicht wusste, was sie dazu vernünftiges hätte sagen sollen. Und ein paar einfache Floskeln waren nun auch nicht gerade ein Glanzstück der Kommunikation. Da schwieg Aglaia lieber und blieb dadurch Philosoph.
    Doch glücklicherweise sprang die Kaiserin ohnehin auf den wichtigsten Punkt von Aglaias Monolog von selbst an. “Wie ein Mann, nein, aber befriedigen... ja, durchaus.“ Der Wagen rumpelte über die Straße und schaukelte dabei immer mal wieder ein wenig links und rechts. Aglaia überlegte kurz, und ging dann ein kleines Risiko ein. Sie wechselte die Seite und setzte sich neben die Kaiserin, so dass sie sich vertraut wie alte Freundinnen unterhalten konnten. Und natürlich, dass Aglaia für die ein oder andere anschauliche Lektion schon einmal näher war, ohne dass die Kaiserin vor Anspannung gleich platzen würde, nur weil Aglaia näher kam. So konnte die junge Frau sich schon einmal an die körperliche Annäherung gewöhnen. Wenn sie denn wollte und Aglaia nicht gleich wieder zurückschickte.
    Verschwörerisch und in dem Tonfall, den gute Freundinnen untereinander desöfteren Anschlugen, fing Aglaia also wieder an, ein wenig zu erzählen. “Meine Kaiserin hat doch sicherlich schon sich selbst gestreichelt und zum Höhepunkt gebracht? Du musst es nicht abstreiten, es ist nichts schlimmes. Auch wenn einem alte Matronen etwas davon erzählen wollen, dass man rein sein sollte vor der Ehe und die eigene Lust dem Mann unterwerfen sollte, und dass die Ehe nur zur Erzeugung von Erben da wäre und nicht für den persönlichen Lustgewinn... glaube mir. Alle Frauen berühren sich selbst und verschaffen sich so bisweilen ein wenig Erleichterung. Selbst die Vestalinnen tun es.“
    Für Aglaia war das gänzlich sicher. Manche Frauen schämten sich ob ihrer Lust, andere empfanden nicht allzu viel, aber jede, die auch nur ein einziges Mal herausgefunden hatte, wie sie sich selbst befriedigen konnte, tat es wieder. Und wieder. Und wieder. Alles andere wäre ein Verrat an Venus höchstselbst.
    “Und nun stell dir vor, dass eine andere Hand dich so berührt? Genauso sanft, und doch auch härter. Unvorhersehbarer. Fremde Haut auf deiner. Fremde Lippen, die dich liebkosen. Fremder Atem, der deine Brüste streichelt. Eine fremde Zunge, die dich schmecken will...“ Während Aglaia erzählte, wurde ihre Stimme immer leiser und verschwörerischer, bis sie fast nur ein Flüstern war. “Spielt es da eine Rolle, ob diese Hand, diese Lippen, diese Zunge... ob all das einem Mann gehört oder nicht?“

    Ach, es gab auch mehr als einen Kaiser, die solcherlei im Palast veranstaltet hatten. Die Orgien des Caligula waren wohl im ganzen Reich berüchtigt. Aber dazu wäre wohl der Mann der Kaiserin nicht der dazu passende Kaiser. Aglaia nahm es aber mit Interesse auf, dass die Kaiserin scheinbar dennoch versucht war. Die junge Frau hätte wohl nur zu gerne ein aufregenderes und ausschweifenderes Leben, auch wenn sie es nicht zugab. Etwas, worauf Aglaia aufbauen konnte.
    Mit Verwunderung aber nahm Aglaia die andere Information auf, die ihr zwischen den Zeilen zugeworfen wurde. Der Kaiser beglückte die Kaiserin also nicht regelmäßig? Das klang fast schon nach Sehnsucht. Da war nur die Frage, ob es eine unbestimmte Sehnsucht war, oder die Sehnsucht nach speziell dem Kaiser. Letzteres war zwar allein aufgrund des Altersunterschiedes eher unwahrscheinlich, aber bisweilen trieb die Liebe seltsame Blüten.
    Dass die Kaiserin aber doch explizit nachfragte, zauberte ein wissendes Lächeln auf Aglaias Gesicht. “Eine Frau hat mehr als eine Möglichkeit, einen Mann in sich aufzunehmen. Arria hat zumindest drei davon gerne gleichzeitig genutzt an jenem Abend. Und mit ein wenig Übung gefällt es den meisten Frauen auch so gut, dass sie auch dann einen Höhepunkt erleben können – wenn der Mann gut genug ist. Also, nicht das gleichzeitige, das erfordert noch mehr Übung. Aber ein Mann an einer anderen Stelle...“
    Eine kurze, verschwörerische Pause, um die Reaktion abzuschätzen, ehe Aglaia fortfuhr. “Auch vielen Männern gefällt das. Also, nicht nur das Eindringen in den Hintern der Frau. Das gefällt fast allen, und sie vollziehen den Akt mit umso größerer Begeisterung, wenn man es ihnen auch nur in Aussicht stellt. Aber hast du schon einmal versucht, wenn dein Mann in dir war, mit einer Hand sanft ein wenig seine Kehrseite zu massieren oder sogar mit einem Finger ein wenig einzudringen? Bei vielen führt das fast augenblicklich zum Orgasmus.“ Dies war ein nützlicher Tipp von Agnodice gewesen, falls ein Bewunderer Aglaia einmal doch zu sehr zuwider war und sie es nur schnell hinter sich bringen wollte. “Manche Männer gehen sogar so weit, dass sie dafür speziell einen Sklaven haben, so dass, wenn sie ihrer Ehefrau einen Erben zu machen gedenken, dieser im entscheidenden Augenblick... dazustößt.“


    Aglaia lehnte sich bequem in den Kissen der Kutsche zurück und plauderte noch ein wenig weiter, als ginge es um etwas ähnlich belangloses wie das Wetter. “Und natürlich ist dies auch einer der Wege, um eine Schwangerschaft auszuschließen. Also, wenn der Mann so in die Frau eindringt, dann können beide ihren Spaß haben, ohne die Folgen fürchten zu müssen. Das ist in jedem Fall weit sicherer als die verschiedenen Mittel, die es sonst so gibt, um eine Schwangerschaft auszuschließen, und bei weitem weniger ekelig.“ Eine andere, weithin bekannte Möglichkeit war es, sich einen Tampon aus Schafsdung zu fertigen und diesen drei Tage lang zu tragen. Aglaia war sehr froh, dass Agnodice schon vor Jahren sehr effektiv für ihre Unfruchtbarkeit gesorgt hatte, so dass sie sich um derlei keine Gedanken mehr zu machen brauchte.
    “Im Grunde ist dies neben der bestehenden Schwangerschaft die einzig sichere Methode mit einem Mann. Kein Wunder, dass viele Frauen als Geliebte eher eine andere Frau bevorzugen.“

    Das kleine Kompliment zu Beginn quittierte Aglaia mit einem huldvollen Lächeln und einer angedeuteten Verbeugung. Hätte Aglaia auch nur ansatzweise die Wahrheit darüber erzählt, wie sie und Livianus einander kennengelernt hatten, wäre wohl kaum ein solches Kompliment erfolgt.


    Der nächste Teil allerdings war anspruchsvoller. Aglaia hatte nicht gewusst, dass die Kaiserin ein unbescholtenes, aber offenkundig neugieriges Landei war, das von Tuten und Blasen keine Ahnung hatte. Was also sollte sie erzählen, was lieber für später aufheben? Wie weit sollte sie gehen, wie forsch das Thema vorantreiben? Wie weit konnte sie Necken, ohne dass es auffiel? Eine schwierige Frage, waren Frauen doch ohnehin schon schwerer zu lenken als Männer. Bei denen genügte es, sich zufällig an sie zu schmiegen, ihnen einen Blick auf die nackte Brust zu erlauben und vielleicht noch als Krönung der Verführung an etwas essbaren gut sichtbar zu lecken, und schon war ihr Blut in Wallung. Frauen waren da weitaus schwieriger und skeptischer, was derlei betraf.


    Aglaia zeigte nach außen hin absichtlich etwas Unsicherheit, um der Kaiserin ein Gefühl der Überlegenheit zu geben und schlug ihre langen Beine geschickt übereinander. “Ich gebe zu, ich wusste nicht, dass dir so ein Besuch bislang nie vergönnt war. Und da du als Kaiserin wohl immer der Beobachtung unterliegst, wird es wohl auch schwerlich noch dazu kommen. Daher will ich nicht übertreiben mit meinen Geschichten. Nicht, dass ich etwas erwecke, das am Ende keine Erfüllung findet“, begann sie also vorsichtig und kramte in ihrem Gedächtnis.
    “Hmm... aber amüsant fand ich immer Arria Sanga. Sie war die Gattin eines nicht ganz so wichtigen Senators und dafür bekannt, auf fast jeder Orgie mit jedem anwesenden Mann einmal hinter einer Säule zu verschwinden. Einmal übermannte sie die Lust so sehr, dass sie mitten unter den Gästen einen blonden Jüngling anging. Sie war so verzaubert von dem jungen Mann und seinem beeindruckenden Gemächt, dass sie dort vor aller Augen auf die Knie ging und... sagen wir, sie tat mit ihrem Mund Dinge, die eine brave Römerin eigentlich nicht tun sollte. Als sie den jungen Mann soweit hatte, dass er seine Lust schon beinahe in ihren Mund entleeren wollte, drückte sie ihn schließlich nieder und ritt ihn wild und wie von Sinnen. Alle übrigen waren von dieser Zurschaustellung der bloßen Lust schon selbst eifrig bemüht, sich selbst zu helfen oder schnell einen Partner zu finden. Und so folgten auch einige der Herren der Aufforderung von Arria, sich doch gleichsam und jetzt sofort dort noch an ihrem Treiben zu beteiligen...“
    Aglaia erzählte zwar leicht daher, allerdings beobachtete sie die Kaiserin bei jedem Wort sehr genau. Jede Regung, jede Färbung des Gesichtes, jeder Atemzug. Wenn Aglaia erst einmal wüsste, wohin die Reise gehen sollte, konnte sie diese auch steuern und ihr eine persönliche Richtung geben. Doch zunächst musste sie wissen, womit sie die Kaiserin am ehesten verführen konnte.
    “Und dennoch nahm ihr Mann klaglos jedes Kind als das seine an, ohne auch nur den Hauch eines Zweifels an seiner Vaterschaft zu zeigen. Einmal sprach ich Arria darauf an, wieso ihr Mann nie misstrauisch wäre. Sie lächelte mich an und meinte, es gäbe viele Wege, eine ungewollte Schwangerschaft zu verhindern. Aber am effektivsten sei es, vorzugehen wie bei der Beladung eines Schiffes: Gäste dürfen erst an Bord gehen, nachdem der Frachtraum gefüllt ist.“

    Die Kommunikation zwischen Frauen war anders als die, an denen Männer beteiligt waren. Aglaia setzte sich mit einem Lächeln und lauschte den Worten der Kaiserin aufmerksam. Sie konnten natürlich gänzlich belanglos sein, aber Aglaia bezweifelte, dass sich eine Frau an der Seite eines Kaisers halten konnte, die einzig und allein belanglose Konversation betrieb.
    Und so gab es einige Schlüsselsätze, die Aglaia durchaus anders gewichtete als die darum herum. Die Kaiserin hatte die verstorbene Frau von Livianus gekannt, war wohl sogar mit ihr befreundet gewesen. Daher nahm Aglaia es als verschlüsselte Warnung hin, wie die Kaiserin sich darüber freute, dass Livianus nun wieder so aufblühte. Das schloss dann auch die Frage nach Geschichten über sie mit ein. Aglaia bezweifelte keinen Moment, dass dieses Treffen weniger der allgemeinen Langeweile geschuldet war, als ein gut platziertes, schön getarntes weibliches Verhör.
    Sie lächelte also artig und gab sich ein wenig naiv, als habe sie eben nichts von all jenem bemerkt oder gedacht und nehme es als echtes Kompliment dahin. “Oh, ich bin auch so glücklich, Livianus gefunden zu haben. Es muss ein günstiges Schicksal gewesen sein, das ihn und mich zusammengeführt hat, denn ebenso, wie ich ihn aus seiner Trauer gerettet habe, hat er mich gerettet, wofür ich ihm ewig dankbar sein werde.“ Ja, das war wohl naiv genug, um als wahrhaft verliebt durchzugehen. Aber vielleicht ein wenig sehr dick aufgetragen, also lachte Aglaia direkt im Anschluss über ihre eigenen Worte. “Oh je, das klingt so melodramatisch, wie in einer griechischen Tragödie.“ Sie winkte mit einer Handbewegung ab. “Ganz so dramatisch ist es vielleicht doch nicht, aber ich bin ehrlich dankbar, dass er meine Gesellschaft so zu schätzen weiß. Und ich hoffe, dass du, meine Kaiserin, sie ebenso zu schätzen wissen wirst, wenn wir das Ziel unserer Reise erreicht haben.“
    Aglaia hätte sogar nichts dagegen, wenn sie mit der Kaiserin ebenso wie mit Livianus für diese Gunst das Bett teilen würde. Sie selbst war da absolut nicht prüde und vielleicht nicht ebenso, aber doch reichlich erfahren. Schon allein, weil sehr vielen Männern gefiel, zwei Frauen bei derlei zuzusehen. Aber erst einmal würde sie herausfinden müssen, ob die Kaiserin überhaupt in diese Richtung verführbar war, oder überhaupt in irgendeiner Richtung. Und selbst wenn, ob Aglaia dann in eine potentielle Auswahl kam, stand auf einem anderen Blatt.
    “Ich selbst bin aber fürchte ich reichlich langweilig. Ich habe weder eine alte, stolze Familie, noch Kinder, noch interessante Skandale. Ich habe höchstens ein sehr gute Gedächtnis für einige Geheimnisse, die an.. sagen wir einmal, privateren Orten getuschelt wurden oder unter dem scheinbaren Deckmantel einer Gesichtsmaske passierten.“ Aglaia warf einfach mal einen kleinen Köder aus. Bestimmt war Veturia Serena nicht so dumm, als dass sie die Anspielung nicht verstand. Etliche Orgien fanden maskiert statt, damit die feine Gesellschaft stets leugnen konnte, an so etwas beteiligt gewesen zu sein. Selbst Aglaia hatte gerade eben ja noch nicht einmal gesagt, dass sie selbst bei so etwas anwesend gewesen wäre. Aber je nachdem, wie die Kaiserin reagierte, konnte Aglaia die Geschichten weiter ausbauen, oder eben nicht.

    Es. War. Ätzend.


    Ade, schöne Welt! Willkommen, Tristesse! Aglaia sah zwar hin und wieder aus den Fenstern dieses rollenden Gefängnisses, aber konnte nur mehr seufzen. Das schillernde, bunte, von Leben pulsierende Rom mit seinen Schneidern, Ornatrices und Schustern, seinen Festen, Orgien und Theaterstücken, seinen Bädern voller Gerüchte und Plätzen voller Senatoren, Rittern und bedeutungsvoller Menschen wurde in der Ferne immer kleiner und machte Platz für politisch uninteressante Wiesen, bedrückende Wälder, kunstlose Blumenwiesen und grässlich einfallslose Berge. Und Aglaia konnte diesen Kummer noch nicht einmal teilen, da Livianus geradezu euphorisch gestimmt war ob der Aussicht und seiner Stellung und des Marsches und überhaupt! Als brave Geliebte musste sie ihm da natürlich beständig zustimmen und ihm tausendfach versichern, welches Glück sie doch hatte, einen so starken und machtvollen Mann an ihrer Seite zu haben.
    Naja, sie hatte ja auch Glück, dass sie ihn gefunden hatte und er sich auf die Liebschaft eingelassen hatte. Sie hatte Glück, an seinem Reichtum und seiner Macht so teilhaben zu können. Das allein tröstete sie ja über die Aussicht hinweg, über Jahre in Germania festzusitzen. Das, und wie es wäre, wieder nach Rom zurückzukehren, wenn sie ihn nun Jahrelang umgarnt und zu dem ihren gemacht hatte.


    Erst nach einigen Tagen kam ein kleiner Lichtblick in diese ganzen betrüblich fröhlichen Aussichten. Die Kaiserin wünschte, sie zu sehen! Endlich!
    Aglaia nutzte also die Holperei im Wagen dazu, ihre Frisur zu richten und sich auf dem begrenzten Raum bestmöglich zu kleiden. Leider war die Auswahl innerhalb der rollenden Box sehr begrenzt, aber Aglaia machte das beste daraus und kleidete sich schließlich in malvenfarbene, extrem fein gesponnene Wolle mit Seidenstickereien in einem dunklen Fliederton, dazu die hoch geschlossenen Schuhe mit dem eingepunzten Blumenmuster und eine dezente Halskette aus Gold mit eingefassten Amethysten. Dann musste Aglaia nur noch warten, bis die Wagen zur nächsten Pinkelpause anhielten, und konnte zum Ende eben jener zur Kaiserlichen Kutsche huschen. Diese war ein nicht minder häßlicher, rollender Klotz, nur ein wenig größer als der ihre.
    Als sie dann einsteigen durfte, verneigte Aglaia sich tief vor der Kaiserin des römischen Reiches und stellte dabei zufrieden fest, dass sie selbst hübscher war. “Meine Kaiserin, es ist mir eine Ehre, euch ein wenig begleiten zu dürfen.“

    Natürlich ergriff Aglaia den ihr angebotenen Arm mit einem anbetenden Lächeln und schlenderte neben Livianus hinaus zu ihrem Wagen. Wenngleich sie zuvor nur im Hintergrund gestanden hatte, diese paar Schritte zeigten aller Welt ganz deutlich, dass sie Livianus' Eroberung war (oder er die ihre) und an seiner Seite war. Natürlich war die ganze Zeremonie immer noch Livianus ganz besonderer Moment und Aglaia machte ihm diesen auch gar nicht streitig. Dennoch genoss sie es natürlich, bei ihm in diesem Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu sein.
    Bewundernd streichelte Aglaia über einen Zipfel des Padulamentums und strahlte Livianus dabei an. “Du siehst wahrlich sehr stattlich aus. Genieße den Ritt aus der Stadt, mein Liebster. Alle Frauen werden dich anhimmeln, und alle Männer werden mit dir tauschen wollen.“ Sollte sie noch anfügen, dass sie eifersüchtig wäre? Das würde Livianus sicherlich noch einen kleinen, weiteren Stubs für sein Ego geben, aber auf der anderen Seite neigte er zum Grübeln, also ließ Aglaia es bleiben.


    Gerne hätte sie ihm auch noch vor aller Augen einen Kuss aufgedrückt, um somit ihre Besitzansprüche für alle deutlich sichtbar zu zementieren, aber auch das ließ sie bleiben. Römer küssten sich nicht in der Öffentlichkeit, und auch, wenn für Geliebte diese Regel nicht galt, wollte sie in diesem Moment ihren guten Fang nicht auch nur der kleinsten Kritik ausgesetzt wissen.
    Sie drückte also noch ein letztes Mal seinen Arm und strahlte ihn mit der angemessenen Bewunderung an, ehe sie in die wartende Kutsche stieg. Das war ja auch schonmal etwas: Tagsüber hochoffiziell mit einer Kutsche durch Rom fahren, obwohl man weder zur Kaiserfamilie gehörte, noch eine Flaminica war. Das konnten wohl nicht viele Peregrini von sich behaupten.

    Oh, der Kaiser!


    Noch so ein Banause, der sie noch nicht einmal eines ersten Blickes würdigte. Aglaia wollte ihm ja gerne einen sehnsüchtigen und bewundernden Blick schenken. Aber der Mann guckte ja noch nicht einmal! Irgend etwas machte Aglaia offensichtlich falsch, wenngleich sie nicht einmal erahnen konnte, was das sein sollte. Aber wie sollte eine Dame sich nach oben orientieren, wenn dieses 'oben' so dermaßen desinteressiert war?
    Auch die Kaiserin war in dieser Hinsicht erst einmal eine Enttäuschung, da sie nur Augen für das Kleinkind auf ihrem Arm hatte. Wahrscheinlich war dies natürlich und musste so sein, aber für Aglaia war es trotzdem weder nachvollziehbar noch wünschenswert.


    Aber gut, so stand sie sich weiterhin die Beine in den Bauch. Wenigstens war die Zeremonie kurz, mit der Livianus nun zum Legaten ernannt wurde. Die Hühner fraßen eifrig das verstreute Korn, Und Livianus bekam einen wirklich ansehnlichen Mantel um die Schultern gelegt. Hachja, so war er wirklich eine stattliche Erscheinung! Ein Mann, mit dem man durchaus angeben konnte! Wenn es doch nur nicht an irgendwelche Barbaren in Germania verschwendet wäre! Aber gut, sie hatte sich dazu entschieden, und solange Livianus sie dafür weiter wie eine Königin behandelte, würde sie dieses Opfer wohl erbringen.
    Als er kurz auch zu ihr blickte, erhielt er natürlich einen sehr bewundernden Blick und ein Lächeln, das wohl verheißungsvoller nicht sein könnte. Jetzt hoffte Aglaia, dass die weitere Zeremonie ebenso schnell vonstatten gehen würde. Wenn hier ohnehin niemand gewillt war, ihr die nötige Bewunderung zu zeigen, dann konnte man auch gehen und die Reise in Angriff nehmen. Je schneller diese vorbei war, umso besser.

    Banausen. Alle miteinander. Ignorante, unwissende, unmodische Banausen.


    Aglaia stand da, lächelte, nickte... und wurde ignoriert. Natürlich nahm sie nicht an, dass sie sich bei so einem Anlass vor neuen Verehrern würde retten lassen müssen. Natürlich stand Decimus Livianus im Mittelpunkt. Aber das hier? Abgesehen von Consular Claudius, der ihr wenigstens einen kurzen Blick widmete, nahm niemand auch nur Notiz von ihr! Alle gratulierten Decimus Livianus zu seinem baldigen Posten, aber nicht ein Kerl fragte nach der Schönheit nur zwei Schritte hinter ihm!
    Sie verlangte ja noch nicht einmal, dass diese Banausen erkannten, dass ihr Kleid aus dem teuersten Material war, das man überhaupt hier in Rom erstehen konnte. Baumwolle war noch aufwendiger zu beschaffen, als Seide. Dass ihr Kleid nicht nur einfach blau war, sondern ein dunkler Veilchenton, der so noch nicht der breiten Masse zugänglich gemacht worden war und höchstwahrscheinlich die Farbe des kommenden Sommers werden würde, wenn Laurentius seine neuesten Kleider präsentierte, war wohl nur für modische Insider zu erkennen. Nach und nach würden auch die weniger begabten Schneider den Farbton aufgreifen, bis schließlich jeder Caius und Lucius dieses Blau tragen würde. Pünktlich für die neue Wintermode der Künstler unter den Schneidern, die natürlich wieder eine andere Farbe haben würde. Eine neue, noch nie dagewesene.


    Aber nein, niemand bemerkte sie, niemand bemerkte ihr Kleid, niemand bemerkte die Farbe. Das nächste Mal konnte sie sich wohl genausogut einen häßlichen Sack überstülpen. Gute Jute würde wohl noch mehr Reaktionen hervorrufen als das hier!


    Auch der Kaiser kam... und würdigte sie keines zweiten Blickes. Aglaia atmete einmal tief durch und gab auf. Was sollte eine Frau denn noch machen, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen? Nackt auf den Tischen tanzen? Banausen!
    Also einfach weiter dastehen, lächeln, nicken. Einfach nicken und lächeln.

    Auch wenn Aglaia kaum Zeit hatte, hierfür nahm sie sich die Zeit. Schon zu bald würde sie nach Germania abreisen, und wer wusste schon, ob es dort auch nur einen einzigen Tempel der Venus gab? Aglaia wollte gar nicht daran denken, in die Reiche welcher Götter sie sich begeben musste, nur um sich weiterhin an Livianus Großzügigkeit laben zu können. Und noch immer war sie sich nicht gänzlich sicher, ob es das Opfer wirklich wert war.


    So aber begab sich Aglaia noch kurz vor der Abreise zum Tempel der Venus Verticordiae. In der Kürze der Zeit war es nicht möglich gewesen, unauffällig ein blutiges Opfer zu arrangieren. Davon hätte Livianus zu viel mitbekommen und wäre am Ende noch mitgekommen, was Aglaias Wortwahl dann doch eingeschränkt hätte. Daher war Aglaia nur bewaffnet mit Weihrauch, Blumen und zwei weißen Tauben in einem kleinen Holzkäfig, als sie die Stufen des Tempels hinaufstieg und wartete, dass der Altar zu Füßen der Göttin frei wurde. Im Frühjahr war bei der Liebesgöttin ja üblicherweise mehr los als zu anderen Jahreszeiten. Allerorten beteten verliebte Mädchen um ihren persönlichen Adonis.


    Aglaia wollte sich einfach nur kurz bedanken. Als sie schließlich an der Reihe war, trat sie vor die Statue der Göttin, das Haupt nach griechischer Manier von der Palla bedeckt.
    “Große Aphrodite, Schaumgeborene, Göttin der Liebeskunst und Fleischeslust, Gebliebte, Herrin! Ich danke dir für die Gunst, die du mir zuteil werden lässt.
    Ich bringe dir Blumen, sie seien dein.“
    Die Blumen wanderten auf die glühenden Kohlen und verrauchten fast sofort.
    “Ich danke dir, dass du mich zu Decimus Livianus geführt hast und sein Herz für mich geöffnet hast. Ich bringe dir süße Speise als Dank.“ Und auch der Opferkuchen wanderte ins Feuer.
    “Zu kurz war die Zeit, als dass ich dir ein passendes Lämmchen hätte besorgen können, oh Göttin. Die Lämmer, die dir gefallen könnten, werden erst jetzt im Frühjahr noch geboren. Doch will mich Decimus Livianus nach Germania bringen, und ich weiß nicht, ob dort ein Tempel steht, der deiner würdig ist. Daher bringe ich dir diese zwei weißen Tauben und verspreche dir, wenn du mich zurück führst nach Rom und Decimus Livianus noch weiterhin mir verfallen ist, dass ich dir ein würdiges Opfer bringen werde. Wenn er mich bei meiner Rückkehr nach Rom noch liebt, verspreche ich dir eine weiße Kuh zum Dank. Doch für den Moment, nimm diese Tauben.“
    Aglaia hielt sich nicht lange damit auf, die Tauben erst zu töten. Sie setzte den kompletten Käfig in die Flammen. Die Vögel schrien, als ihre Federn feuer fingen, ein wildes Flattern später war es aber auch schon wieder ruhig.
    “Große Göttin, belasse mich in deiner Gunst, und ich werde dir weiterhin eine treue und gewissenhafte Dienerin sein.“


    Noch ein Schwenk nach rechts, und Aglaia war fertig und machte Platz für den nächsten. Wie gesagt, es war Frühling und die Göttin hatte viel zu tun.

    Natürlich war die Vorbereitungszeit für die Reise viel zu kurz gewesen. Aglaia hatte kaum genug Zeit gehabt, um vernünftig einkaufen zu können und sah sich völlig unterversorgt mit ihrer Auswahl an Pelzen, Kleidern und Schuhen. Aber sie versuchte, das beste daraus zu machen und sich mit dem Gedanken zu trösten, dass sie auf der Reise ja auch in der ein oder anderen Stadt kurz Halt machen würden. Die Kaiserin würde doch sicherlich die Chance nicht ungenutzt lassen, sich auch den Leuten in Pisae oder in den großen Städten von Raetia und was auch immer da oben sonst noch war zu präsentieren. Und vielleicht gab es dort ja noch den ein oder anderen, kleinen Schatz. Hoffentlich.


    Hier und heute allerdings erstrahlte Aglaia in einem tiefblauen Kleid aus feinster, ägyptischer Baumwolle, abgestickt mit silbernen Mäander-Mustern um den Halsausschnitt und an den Ärmeln. Dazu ein schmaler Gürtel mit feinen Silbermünzen beschlagen. Da dies ein offizieller Empfang war, musste natürlich auch eine Palla sein. Allerdings war Aglaias Palla so fein gewebt, dass die blaue Seide vollkommen durchsichtig war, fast wie ein sehr feines Netz. An unzähligen Punkten waren kleine, blaue Saphire (na gut, eigentlich Glassteine, aber sie sahen aus, wie Saphire!) eingewoben, so dass die Palla beim richtigen Lichteinfall sachte blau vor sich hinglitzerte.
    Natürlich war Aglaia heute nur Gast in der zweiten Reihe, aber in dieser würde sie wohl unangefochten das Kronjuwel sein. Und noch konnte sie an Livianus Seite ein wenig strahlen, oder zumindest knapp hinter ihm. Auch wenn es einer Geliebten sehr viel eher freistand, Gefühle ihrem Geliebten gegenüber auch in der Öffentlichkeit zu zeigen, war dies natürlich sein großer Auftritt, und Aglaia war nicht so dumm, ihm diesen durch unangebrachtes Verhalten zu vergällen. Es sollte ihn hinterher jeder um seine wunderschöne Geliebte beneiden, nicht ihn wegen dem impertinenten Weib an seiner Seite bemitleiden.
    Also hielt sie sich einen halben Schritt hinter ihm, ganz klar zu ihm gehörig aber ebenso ganz klar ihm in diesem Moment untergeben, und verteilte hierhin und dorthin ein strahlendes Lächeln, ein huldvolles Nicken oder auch eine kleine Geste, während sie Livianus durch die Menge folgte. Ab und an blieb er stehen, um jemanden zu begrüßen. So auch jetzt, als er mit einem jungen Mann ein paar Worte wechseln wollte. Aglaia wartete einfach und sah sich derweil schon einmal um, ob sie noch jemanden von Rang und Namen identifizieren konnte.

    Aglaia musste unbedingt noch einmal zu Laurentius gehen! Mit genügend Geld ausgestattet würde sie nicht nur ihr rotes Kleid zurückkaufen können, sondern auch nach etwas suchen können, das für diesen Anlass angemessen war. Ja, gut, es war Livianus besonderer Ehrenmoment. Aber wenn sie schon mit einem Platz in der zweiten Reihe vorlieb nehmen musste, dann wollte sie dort wenigstens alle Blicke auf sich wissen und den Neid der versammelten, hohen Damen. Und dafür hatte sie keine Zeit zu verlieren. Und sie brauchte eine Ornatrix! Nein, nicht nur irgendeine, die Beste von ganz Rom! Und Schuhe! Wo bekam man ordentliche Schuhe her? Noch dazu in der Kürze der Zeit, da hatte ja der Schuster noch nicht einmal die Zeit, die Leisten zu zimmern!
    Nein, Aglaia hatte wirklich keine Zeit zu verlieren.


    “Wenn es nicht zu viel verlangt ist, könntest du das dann bitte erfragen? Also, ob wir getrennt reisen oder uns einen Wagen teilen? Ich meine, ein wenig Unterhaltung muss doch auch für die Kaiserin ganz schön sein? Wir werden ja Wochen unterwegs sein, bis wir ankommen. Ich nehme an, du willst reiten, oder fährst du auch im Wagen?“
    In einem Fall ergab sich für Aglaia etwas potentiell neues. Sie hatte noch nie in einem fahrenden Reisewagen mit einem Mann geschlafen. Es war schön, wenn man noch immer etwas neues entdecken konnte.


    Dass Livianus sich von ihr wieder entfernte, um gegenüber Platz zu nehmen, passte Aglaia nun nur bedingt. Aber er hatte recht, sie sollten wirklich endlich essen. “Ja, du hast recht, wir sollten uns stärken. Dir ist hoffentlich klar, dass wir nach diesen Ankündigungen heute Nacht nicht besonders viel schlafen werden.“ Aglaia schenkte Livianus ein verschmitztes und vielsagendes Lächeln. Ja, heute nacht hatte er es sich verdient, einige Wünsche erfüllt zu bekommen. Und Aglaia würde in aller Frühe los müssen, um ihren neugewonnenen Luxus auszutesten und genügend Garderobe zu erstehen, um im kalten Norden nicht frieren zu müssen.

    Er stimmte zu! Mehr sogar noch!
    Eine eigene Sklavin nur für sie und eigene Mittel nur für sie, so dass sie nach Herzenslust shoppen gehen konnte! Am liebsten hätte Aglaia bei dieser Aussicht tanzen mögen! So aber fiel sie Livianus nur um den Hals und bedeckte seinen gesamten Kopf mit hunderten von Küssen vor lauter Freude. “Oh, du bist der beste... liebste... tollste Mann... auf der ganzen... weiten Welt...“ und noch mehr Komplimente wurden zwischen vereinzelten Küssen gehaucht. Erst, nachdem der erste Freudentaumel da abgeklungen war, realisierte er, was er noch gesagt hatte.
    Gerade hielt sie sein Gesicht in beiden Händen und irgendwie saß sie schon wieder halb auf ihm, als sie doch einmal kurz verwirrt blinzelte und innehielt. “Hast du gerade eben gesagt, die Kaiserin kommt mit?“ Ja, das hatte er gesagt. Ganz sicher. “Heißt das, ich werde die Augusta kennenlernen?“ Noch eine kurze Pause, um diese Information zu verdauen. Erst dann brach es aus Aglaia heraus! “Oh, gütiger Mercurius! Das ist... wann reisen wir denn ab? Wieviel Zeit habe ich, einzukaufen? Und... ich bringe die Sachen dann hier her?“ So ganz eindeutig hatte Livianus ja noch nicht gesagt, dass er wollte, dass Aglaia auch hier bis zur Abreise bei ihm wohnte, wenngleich Aglaia annahm, dass er spätestens nach der heutigen Nacht eben genau das wollen würde. “Ich brauche dann ja auch Schmuck und Kosmetik und überhaupt, die Kaiserin soll ja nicht denken, dass du dich mit einer Bettlerin umgibst. Ach, so viel zu organisieren, und.... reisen wir per Schiff oder über Land? Reise ich irgendwie mit der Kaiserin zusammen? Oh, das ist so aufregend!“
    Als Aglaia das nächste Mal sich wieder bewusst umguckte, stand sie irgendwie neben Livianus. Rasch setzte sie sich wieder auf die Kline zu ihm. Das war... Aglaia hatte zwar damit gerechnet, dass sie durchaus wieder Geld, in gewisser Weise Macht, Einfluss und auch Ansehen gewinnen würde, wenn sie Livianus betört bekäme. Aber dass sie so rasch und vermutlich auch intensiv die Kaiserin kennenlernen würde, das hätte sie in ihren kühnsten Träumen nicht erwartet.
    Sie würde Venus ein riesiges Dankesopfer schulden. Hoffentlich kam sie dazu, es umzusetzen, ehe sie abreisten. Wer wusste schon, ob es in Germania Tempel für die Liebesgöttin gab?