Beiträge von Aglaia

    Nun, das war wohl nichts. Wäre ja aber auch zu einfach gewesen, wenn Decimus Livianus auf diese Andeutungen schon angesprungen wäre. Dann hätte sie ihn zum Abschluss des Spaziergangs einfach ins Heu gezogen und dort restlos überzeugt, sie auf Dauer an seiner Seite haben zu wollen. Aber ganz so einfach würde es wohl nicht werden.


    Vielleicht war sie auch einfach zu schnell gewesen? Allein ihre Anwesenheit hatte den Consular zuvor schon verunsichert. Vielleicht war diese bildliche Vorstellung für ihn einfach zu viel für den Anfang?
    Aber zumindest schien er nicht gänzlich verschreckt zu sein. Auch wenn er am Anfang etwas angespannt war, wurde er doch nach und nach etwas lockerer und riskierte dann und wann schon einmal einen leichten Blick. Auch wenn er dann immer schnell woanders hinsah und irgendwie peinlich berührt wirkte. Dabei genoss Aglaia es durchaus sehr, dass er wenigstens ein bisschen Interesse an ihr zeigte.


    Während er also von seiner Familie erzählte, streichelte Aglaia ganz sanft weiter und hörte zu. Die Hälfte von dem, was er sagte, wusste sie durch ihre Nachforschungen bereits. Dennoch sah sie ihn an, als würde er ihr gerade ein wahres Wunder offenbaren.
    Zumindest, bis er sie nach den vergangenen fünfzehn Jahren fragte. Scheinbar peinlich berührt sah sie zur Seite weg auf die Rennbahn. “In eine kleine Villa rustica bei Casinum“, antwortete sie wahrheitsgemäß, aber vage genug. Kurz ließ sie eine Pause entstehen, aber nicht lange genug, als dass Decimus Livianus eine erneute Nachfrage stellen könnte. “Wenn du diesen Teil meines Lebens aber genauer wissen willst, erwarte ich dafür zuvor zumindest ein Abendessen und ein wenig Wein“, meinte sie wieder lächelnd ihm zugewandt und schlug damit für ihn wohl die perfekte Brücke für ein Wiedersehen. Wenn er denn wollte. Und für sie die Gelegenheit, einmal Abends mit ihm allein zu sein. Vielleicht war er nach ein wenig Wein empfänglicher.


    “Wäre es wohl zu forsch, zu fragen, ob ich einmal deine Pferde sehen kann?“ lenkte Aglaia dann das Thema wieder auf den Rennsport. “Ich habe ja leider das Rennen eben verpasst, und wer weiß, ob ich beim nächsten Rennen einen guten Platz bekommen kann?“

    Nun galt es!


    Mit Decimus Livianus an ihrer Seite schlenderte Aglaia an der Rennbahn entlang. Sie wusste, wie sie sich dabei möglichst vorteilhaft bewegte, um ihre Reize dabei ganz subtil zu betonen, ohne dass auch nur im Mindesten auffiel, dass Absicht dahinter steckte. Tatsächlich steckte auch schon seit Jahren da keine Absicht mehr dahinter. Sie hatte so lange diese kleinen Bewegungen, diesen dezenten Hüftschwung und das leichte strecken des Halses geübt, dass dies ihr normaler Gang war. Sollte einmal von ihr verlangt werden, möglichst unauffällig und un-sexy zu laufen, hätte sie wahrscheinlich Probleme und würde Stampfen wie ein Elefant.


    Als er sie dann ansprach, wanderte ihr Arm ganz selbstverständlich zu dem seinen und hakte sich so unter, dass ihre Hand dabei ganz leicht auf seinem Oberarm ruhte und ihre Finger wie gedankenverloren ganz sanft streichelten, ohne dass Aglaia auch nur einmal hinsah oder sich scheinbar dessen bewusst war.
    “Aus Achaia? Ich?“ lachte sie fröhlich und ließ ihren Blick kurz an Decimus Livianus hochwandern, um seinen Augenkontakt zu suchen. Natürlich wusste sie, dass er in diesem Winkel, wenn er zu ihr blickte, auch einen einwandfreien Blick auf ihr Dekolleté hatte. “Nein, ich wurde in Rom geboren und bin auch hier aufgewachsen. Meine Mutter hatte ein schönes, kleines Haus am Esquilin.“ Welches Agnodice seltenst benutzt hatte, da sie meistens bei einem ihrer Geliebten nächtigte. Es gehörte auch eigentlich nicht ihr, sondern eben einem jener Geliebten, und nach ihrem Tod fiel es auch wieder an seine Familie zurück. “Aber meine Vorfahren waren wohl Hellenen“, gab sie dann zu.
    “Ich war allerdings fünfzehn Jahre fern von Rom und bin nun wieder zurück gekommen. So ganz lässt diese Stadt einen einfach nie los.“ Und so wirklich wo anders hätte sie ohnehin nicht hingehen können. Auf dem Land blieb ihr doch nur die Wahl, zu heiraten und auf dem Feld zu schuften. Nein, dann lieber tot in Rom.


    “Und natürlich gibt es hier auch viel bessere Wagenrennen als auf dem Land“ schlug sie dann den Bogen zu ihrem Hiersein an der Rennbahn. “Und ich gestehe freimütig, dass ich auch danach Sehnsucht hatte. Als ich aus Rom fortging, gab es noch viele Rennen, fast jeden Monat eines. Ich weiß noch, die Veneta hatte damals einen riesigen, muskulösen“ Bei diesem Worte streichelte ihre Hand etwas sinnlicher über seinen Arm. “... rotbraunen Hengst als Leittier. Oh, war das ein herrliches Tier! Er war zwar schon etwas älter als die anderen Rennpferde, aber ich schwöre, im Vergleich zu ihm waren die anderen alles Maultiere. Das Muskelspiel unter seiner Haut zu sehen war sehr... sinnlich. Auf ihm zu reiten muss ein wahres Erlebnis gewesen sein“, schwärmte Aglaia und war sich der vielen, vielen Zweideutigkeiten in ihrer Aussage nur zu sehr bewusst. Auch, wenn sie scheinbar auf den Weg und die Umgebung achtete, so galt ihre Konzentration eigentlich nur Decimus Livianus und seiner Reaktion auf ihre Worte. Beschleunigte sich sein Atem, kam er aus dem Tritt? Irgend etwas, das auch nur auf leichte Erregung hinwies, wäre nützlich für Aglaia.

    Es war hochinteressant, ihre Wirkung auf Decimus Livianus zu beobachten. Man konnte ihm beinahe ansehen, wie er versuchte, sein Gleichgewicht zu halten auf dem schmalen Grat zwischen dem, was er tun sollte und dem, was er tun wollte. Und je länger Aglaia zu ihm sah, war sie sicherer, dass er es tun wollte. Und sie würde nur zu gerne ihren Teil dazu beitragen.


    Auch der Consul schien diese Zeichen zu deuten. Denn als er angesprochen wurde, war er zwar ausgesprochen nett und freundlich, wenn man bedachte, dass Aglaia ja nur eine dahergelaufene Peregrine war. Aber nichts desto trotz waren seine Worte schon fast ein kleiner Abschied. Natürlich hatte man als Consul jede Menge zu tun, dennoch glaubte Aglaia, dass er sich wohl auch die Zeit hätte nehmen können, wenn er ähnlich interessiert wie Decimus Livianus wäre. Das wäre dann aber wirklich interessant geworden, denn von den beiden hier war der Claudius definitiv der größere Fisch! Den Claudier zu verführen und für sich zu vereinnahmen, würde ihr wohl einen größeren Reichtum und noch mehr Annehmlichkeiten bescheren. Allerdings wäre es wohl auch gleich sehr viel schwerer. Und Aglaia musste sich selbst ermahnen, nicht zu gierig zu sein. Zumal Decimus Livianus so schön auf ihre Avancen einging und ihr damit ernsthaft Hoffnung machte, an alten Ruhm wieder anschließen zu können.
    Also erhielt der Claudier einen einigermaßen aufrecht gemeinten, bedauernden Blick. “Ich hoffe, ich habe dich nicht von wichtigen Amtsgeschäften abgehalten. Nach wie vor fühle ich mich von Fortuna begünstigt, deine Bekanntschaft gemacht zu haben und hoffe aufrichtig, dass sich unsere Wege wieder einmal kreuzen, wenn du mehr Zeit hast.“
    Und auch Helvetius Faustus bekam einen sehr warmen und aufrichtig dankbaren Blick. Aglaia zweifelte nicht daran, dass der Claudius seinen Factio-Kollegen wohl mitnehmen würde. Und wenn nicht, dass dieser wohl erkennen würde, dass der Consular mit Aglaia gerade durchaus gerne ein wenig allein sein wollte. Und sie mit ihm.


    Daher trat sie auch mit leicht kokettem Augenaufschlag zu Decimus Livianus. “Wenn du so freundlich sein willst und mir meine Fragen beantworten möchtest, wäre es mir ein außerordentlich großes Vergnügen, mit dir spazieren zu gehen. Vielleicht verrate ich dir dann auch das ein oder andere Geheimnis über mich.“ Ein paar Geheimnisse musste schließlich jede Frau für sich behalten, damit sie auch weiterhin interessant blieb.

    “Die Welt wäre doch ein reichlich trostloser Ort, wenn man immer nur jenen Dank bekäme, der absolut notwendig ist“, widersprach Aglaia mit einem Lächeln der Bescheidenheit von Decimus Livianus. Ganz offensichtlich hatte sie eine Saite in ihm angeschlagen, nun würde sie darauf spielen, bis er nur noch ihre Melodie in seinem Kopf hätte. Aber langsam und leise, damit die Saite nicht riss.


    Dass Aglaia viel über die Senatoren Roms wusste, diese aber nichts von ihr, war wohl ein natürlicher Zustand. Vor fünfzehn Jahren, als ihr Stern im Aufgehen war, da hätte es sein können, dass die Herren bald von ihr gehört hätten. Vielleicht wäre sie auch eine von jenen Frauen geworden, um die sich die höchsten des Reiches, ja der Kaiser selbst scharten und um ihre Gunst buhlten mit immer außergewöhnlicheren Geschenken! Eine Solche Hetäre an seiner Seite zu haben war ja auch immer zum guten Teil eine Frage des Prestiges. Wer eine solche Frau erobern konnte, die von vielen begehrt wurde, der zeigte damit ja ebenfalls Macht, Einfluss und dass er selbst sehr begehrenswert war.
    Aber sie hatte sich ja auf Lucius einlassen müssen und auf seine Versprechen, ihr das schönste Leben zu finanzieren, ihr Sicherheit bis an ihr Lebensende zu gewähren, wenn sie nur ihm gehöre! Sie hätte damals auf Agnodice einfach hören sollen und dieses verlockende, aber unsinnige Angebot ablehnen.


    So aber musste man einfach das beste daraus machen. Und Decimus Livianus war nun wirklich nicht so, dass sie sich überwinden müsste. Für sein Alter sah er noch gut aus, er war weder fett noch offensichtlich krank und hatte auch noch reichlich Haare auf dem Kopf. Von den anwesenden Herren war er nach Helvetius Faustus wohl der zweit-attraktivste.


    “Wie die Grazie, ja. Und die Mutter von Nireus. Und die Mutter des Melampus. Und noch ein paar andere“, bejahte Aglaia also die Frage nach ihrem Namen. Gekonnt legte sie ihren Kopf leicht schief und sah Livianus halb kokett, halb schüchtern an. “Möchtest du denn mehr über mich wissen?“ fragte sie nach seiner Steilvorlage fast schon einladend.

    Es kam ein wenig unerwartet, dass ihr neuer bester Freund ihr sein Herz ausschüttete. Nach Aglaias bisherigen Erfahrungen geschah so etwas eher nachts, nach ein paar Stunden akrobatischer Zweisamkeit, wenn ihr Partner ermattet dalag und vor sich hin an die Decke starrte. In diesen Momenten hatten einige Männer das Bedürfnis, zu reden, sich zu erklären und nebenbei den Göttern für Aglaias Anwesenheit zu danken. Dass ein Mann also so viel von sich preisgab, ohne dass sie ihn zuvor durch sein Bett gescheucht hatte, war durchaus neu.
    Aber sie bekam einige Informationen. Der junge Mann war verletzlich. Die Familie war sein wunder Punkt. Und so, wie es klang, war er wohl bettelarm. Die ersten Punkte hätte sie durchaus gewinnbringend verwenden können. Aber der letzte Punkt schloss eben jenen Gewinn aus. Dennoch war das kein Grund, ihr Verhalten zu ändern. Eine gute Hetäre brachte schließlich jeden Mann um den Verstand, auch jene, die sich nicht ihre Gesellschaft leisten konnten.


    “Dann kannst du wenigstens auf alles, was du erreicht hast, auch zu Recht Stolz sein, da es immer einzig dein eigener Verdienst ist“, bekräftigte sie also noch einmal lächelnd und schenkte ihm noch immer denselben, leicht anhimmelnden Blick wie schon zuvor.


    Dann ging allerdings alles ein wenig schnell, und noch ehe Aglaia auch nur protestieren konnte oder zumindest einwerfen, dass sie sich auch gerne noch weiter erst einmal mit ihm alleine unterhalten würde, ging der Helvetius schon los und stellte sie vor. Diese Jugend! Immer so ungeduldig! Aglaia kam sich ein wenig ins kalte Wasser geworfen vor und lächelte erst etwas schüchterner, als sie eigentlich war. Glücklicherweise übernahm Decimus Livianus zuerst den redenden Part und stellte klar, dass sie nicht unerwünscht war. Auch wenn sie streng genommen weder Römerin noch eine Dame war.


    “Oh, verzeiht, ich bin noch ganz überwältigt, hier drei so hoch gestellte Personen so plötzlich vorgestellt zu bekommen. Helvetius Faustus hier ist weitaus zuvorkommender, als ich hätte erwarten dürfen“, lobte sie den jungen Mann noch einmal und erklärte auch gleichzeitig ihre anfängliche Sprachlosigkeit.
    So viele Herren auf einmal zu bezaubern, ohne einzelne allzu sehr zurückzusetzen, war eine Herausforderung. Aber gut, man musste ja in Übung bleiben. “Vor allen Dingen hätte ich nicht gedacht, als ich heute morgen aus dem Haus ging, nun heute Mittag schon den amtierenden Consul und seinen Sohn kennen zu lernen. Es ist mir wirklich eine große Ehre.
    Oh, und Consular Decimus, verzeiht meine Dreistigkeit, aber, darf ich eure Hand ergreifen?“
    Fast schon schüchtern hielt sie ihm ihre Hand entgegen und wartete, bis er langsam ihr die Seine gab. Mit sanftem Druck zog sie sie einmal an ihre Lippen und küsste seine Handknöchel auf diese besondere Art und Weise, dass der Decimus wohl nie würde beschwören können, ob er dabei wirklich kurz ihre Zunge auf seiner Haut gespürt habe, oder ob es nur Einbildung war. “Verzeih mir meine aufgeregte Dreistigkeit, aber ich hätte niemals damit gerechnet, einem Kriegshelden im Krieg gegen die Parther gegenüber zu stehen, der im Dienst für das Imperium so viel hat erdulden müssen, und der danach noch so viel Kraft gezeigt hat, um sie in Roms Dienst auch weiterhin zu stellen.“
    Ja, Aglaia hatte ihre Hausaufgaben wirklich gemacht. Jetzt konnte sie nur hoffen, dass der Decimer wenigstens ein bisschen Empfänglich für ihre Bewunderung war.
    Den Teil mit den Wagenrennen vergaß sie auch zunächst einmal und ließ ihren Charme einmal ohne Ablenkung wirken. So hatte sie immerhin später noch etwas, worüber sie reden konnten. Man Verschoss nicht gleich seinen ganzen Köcher gleich zu Beginn, ein paar Pfeile musste man stets zurückbehalten.

    “Ja, und noch viel mehr Menschen hätten helfen können, wären aber vorbei gegangen und hätten sich nicht weiter gekümmert. Nimm also das Lob ruhig an“, bekräftigte Aglaia noch einmal ihr kleines Kompliment.


    Als der junge Helvetius dann aber so tat, als wüsste er von nichts, da holte Aglaia ihr glockenhelles, ungläubiges Lachen hervor. Zwar beantwortete er ihre Frage nach der Verwandtschaft nicht, aber dass er von einem berühmten Mitglied seiner Gens nichts gehört hatte, tat sie als Fischen nach Komplimenten ab. Aber gut, sie stieg nur allzu gerne darauf ein. “Jetzt veralberst du mich aber“, sagte sie also nach dem kleinen Lachen und stupste ihn einmal mit einem Finger an, als wäre dies eine adäquate Strafe für seinen Scherz. “Du wirst doch sicherlich von Helvetius Geminus gehört haben? Er war Senator, und lange Zeit sogar der Princeps Senatus. Außerdem war er ein Klient von Kaiser Iulianus und nach allem, was die Gerüchteküche so hergibt, auch ein Freund. Und wohlhabend soll er auch gewesen sein.“ Was hieß, dass ein Verwandter wohl auch wohlhabend wäre. Und damit für Aglaia doch etwas interessanter.
    Dass sie ihn aber persönlich gekannt haben sollte, war dann doch eher absurd. Gerade eben hatte er sie noch für jünger gehalten, als sie war. Um Helvetius Geminus zu kennen, müsste sie aber doch einiges älter sein. “Persönlich kennen? Oh, nein. Nein. Meine Mutter meinte einmal, dass sie ihn in ihrer Jugend gekannt habe, aber ich habe ihn nie kennenlernen dürfen.“ Eigentlich war Agnodice nicht ihre Mutter gewesen, und man durfte auch nicht immer alles glauben, was sie erzählte. Insbesondere, was frühere Eroberungen anging. Aber das alles zu erklären wäre zu kompliziert und würde ihr auch nicht im Mindesten weiterhelfen.


    Seine Frage, ob er sie vorstellen sollte, kam etwas plötzlich. Allerdings war das Angebot wirklich verlockend. Zu verlockend, wenn sie ehrlich war. “Oh? Kennst du die Herren denn so persönlich? Ich muss ja zugeben, dass ich eine gewisse Leidenschaft für Wagenrennen hege. Aber ich weiß ja nun auch nicht, ob sie denn mich überhaupt kennenlernen wollten.“

    Für einen Mann, der behauptete, nichts von Frauen zu verstehen, schmeichelte der junge Mann aber schon sehr gut. “Schmeichler“, lachte Aglaia vergnügt, als er meinte, sie müsse ein Kind gewesen sein, als sie Rom verließ. Tatsächlich war sie 21 gewesen und schon seit 9 Jahren eine Hetäre. Oder zumindest seit 7, wenn man erst ab dem Verlust ihrer Jungfräulichkeit rechnete und nicht ab dem Zeitpunkt, dass Agnodice sie mit zu ihren Freunden genommen hatte.
    Aber es war natürlich immer schön zu hören, wenn man für jünger gehalten wurde, als man war. Auch wenn Aglaia da auch alles menschenmögliche tat, um ihre jugendliche Schönheit zu bewahren, angefangen vom täglichen einreiben ihrer Haut mit feinem Öl, über Sport bis hin zu einem strikten Ernährungsplan. Nun gut, letzterer hatte sich mangels Geld ohnehin erledigt, wer nichts zu essen hatte, blieb automatisch schlank.


    Aber all das war auch eigentlich unwichtig, und Aglaia hörte aufmerksam zu, was ihr neuer bester Freund zu berichten wusste. Das also war Consul Claudius? Von seinem Sohn hatte Aglaia noch nie etwas gehört, aber nichts desto trotz merkte sie sich beide Gesichter. Und daneben war Decimus Livianus? “Das ist Decimus Livianus?“Jackpot!, wie sie auf griechisch dachte. Der Consul wäre zwar als steinreicher, alter Mann auch durchaus von Interesse gewesen, aber einen Mann vor seinem ebenfalls gut betagten Sohn anzuschwärmen war schwierig bis unmöglich. Zudem war Claudius Menecrates nach ihren Informationen verheiratet und galt nicht als sehr empfänglich für weibliche Reize. Zumindest hatte noch nie jemand etwas von einer Geliebten in seinem doch schon recht langen Leben zu berichten gewusst, was bis zu ihr vorgedrungen wäre.
    Aber der Decimus war nicht nur wohlhabend, sondern auch zweifach verwitwet, und jede seiner Ehefrauen war etwas jünger und nach landläufiger Meinung schön gewesen. Noch hatte er keine neue Ehefrau, die stören könnte, sollte Aglaia ihn ans Bett fesseln und ihm einige Dinge zeigen, die Ehefrauen für gewöhnlich nicht taten. Jetzt musste sie nur nahe genug an ihn herankommen, um ihn von eben jener Idee zu überzeugen.


    Aber nicht zu voreilig. Bevor sie sich der fetten Taube auf dem sprichwörtlichen Dach widmen konnte, wollte sie erst sicher sein, dass der Spatz in ihrer Hand ihr dabei nicht entkam. “Siehst du, du konntest mir also schon helfen“ strahlte Aglaia ihn also bewundernd an und schob in einer scheinbar unbewussten Bewegung ihre Hüfte etwas nach vorne ihm entgegen.
    Kurz überlegte Aglaia, ob sie bezüglich ihres Namens ein kleines Spielchen spielen sollte, entschied sich dann aber doch dagegen. “Man nennt mich Aglaia“, stellte sie sich also mit einem breiten Lächeln vor. “Und du bist also ein Helvetius. Bist du denn mit dem berühmten Helvetius Geminus verwandt?“ fragte sie, und legte dabei Ehrerbietung in ihre Stimme.

    Zitat

    Original von Tiberius Helvetius Faustus


    Das war ja entzückend! Es fehlte eigentlich nur, dass der junge Mann rote Ohren bekam.


    Aglaia stand ruhig da und ließ den jungen Mann reden und sie bewundern, während sie einfahc nur zurücklächelte. Allerdings reichte das wohl auch schon, um ihn aus dem Konzept zu bekommen. Achja, die Jugend, die noch nicht so fürchterlich misstrauisch war wie ihre üblichen Partner, die konnte man noch viel schneller um den Finger wickeln. Und natürlich sonnte sich Aglaia auch so ein wenig in dieser offenen Bewunderung. Man war als Hetäre schlicht im falschen Beruf, wenn man nicht bewundert werden wollte.
    “Nichts besonderes?“ fragte Aglaia gekonnt ungläubig und ignorierte den Pferdevergleich. Natürlich war sie interessanter als Pferde! “Ich kenne dich gerade einmal einige Augenblicke und weiß jetzt schon, dass du zuvorkommend, höflich und großzügig bist. Und du kannst mir nicht erzählen, dass die Damenwelt an dir kein Interesse hat. Du bist jung, hast eine wundervoll athletische Statur, tiefgründige, ehrliche Augen und mit diesen leichten Stoppeln am Kinn siehst du geradezu wagemutig aus.“ Bei den letzten Worten strich Aglaia ihm auch gleichzeitig ohne Vorwarnung ganz sanft mit den Fingerspitzen am Kinn entlang, wie ein verwegener Luftzug. “Ich wette, du hast weit mehr Bewunderinnen, als du weißt.“
    Als er sie dann noch einmal fragte, was er für sie tun könne, lehnte sich Aglaia wieder zurück gegen den Pfeiler. Jetzt war etwas Vorsicht geboten, auf dass ihr junger Galan sich nicht gleich zurückgesetzt fühlte. Männer konnten so fürchterlich eitel sein, wenn sie eifersüchtig wurden.
    “Und bestimmt kannst du mir helfen. Ich war lange Jahre fern von Rom, fünfzehn Jahre. Mir ist, als hätten sie die halbe Stadt umgebaut und ich kenne niemanden mehr! Als wären alle umgezogen! Zum Beispiel die Männer dort drüben. Sie sehen wichtig aus, aber ich habe keine Ahnung, wer sie sind.“ Mit etwas Glück bewies der junge Fremde seine Nützlichkeit, indem er sie aufklärte.

    Zitat

    Original von Tiberius Helvetius Faustus


    Na sowas. Aglaia hatte ihr Netz ausgelegt, um einen Adler zu fangen. Jedoch verfing sich darin ein kleiner Spatz.
    Sie blickte zu dem jungen Mann und lächelte ihn warm an. Die meisten jungen Männer hatten einen Makel an sich: Sie waren bei weitem nicht reich genug, um sich ihre Gesellschaft dauerhaft leisten zu können. Meistens hatten sie auch noch Väter oder sogar Großväter, die über ihr weniges Einkommen wachten und alles daran setzten, jemanden wie Aglaia von dort fernzuhalten. Für sich selbst eine Hetäre zu unterhalten war nämlich eine Sache, zu sehen, wie ein junger Verwandter dies tat, scheinbar eine vollkommen andere. Und auch dieser junge Mann sah nicht so aus, als wäre er wohlhabend genug.


    Dennoch schenkte Aglaia ihm gekonnt dieses warme Lächeln, das einen Mann denken lassen mochte, er wäre der einzige Mann auf der großen, weiten Welt und das Herz eben dieser Frau hätte erst zu schlagen begonnen, als sie ihn sah. Männer hielten sich selbst ohnehin immer für den Nabel der Welt. Wollte eine Frau in ihrem Gewerbe Erfolg haben, musste sie ihm einfach nur das Gefühl geben, dass er damit auch vollkommen recht hatte.
    “Oh, ich hoffe, ich tue nichts verbotenes?“ fragte sie verheißungsvoll und unschuldig zugleich, während sie ihren Blick nicht eine Sekunde von dem jungen Mann abwandte. “Ich hörte nur von draußen die Geräusche der Rennbahn und war neugierig, was ich hier vorfinden würde. Und jetzt habe ich dich gefunden.“ So, wie Aglaia es betonte, mochte man wohl meinen, dass sie nach genau so jemandem wie dem jungen Mann gesucht hatte.

    Sim-Off:

    Ich hoffe, ich darf mich hier dazu schreiben?


    Sie brauchte dringend einen neuen Lucius. Oder zumindest etwas ähnliches. Der momentane Zustand war nicht tragbar. Aglaia hatte also von dem wenigen, was sie noch hatte, das beste ausgesucht. Glücklicherweise hatte sie vor ihrem tiefen Fall das tiefrote Kleid mit den goldenen Stickereien angehabt, so dass sie es auch heute tragen konnte. Nichts fiel mehr in den Blick als rot! An Schuhwerk hatte sie nur die Wahl zwischen hohen Kothurnen (völlig inakzeptabel!) und dünnen Halbschuhen (ebenfalls inakzeptabel, aber etwas weniger). So trug Aglaia letztere und hoffte, dass niemand allzu sehr darauf starren würde. Aber Männer hatten im Allgemeinen ohnehin eher weniger Ahnung von Mode.
    Die Haare selbst hochzustecken war ebenfalls weitaus unerquicklicher als allgemein angenommen, jedoch hatten vielleicht lose Strähnen ebenfalls einen eigenen Charme. Zumindest gab es einer Frau ein etwas wilderes Aussehen, und auch das mochte manche Männer reizen.


    Einen wirklichen Plan hatte Aglaia nicht, als sie an diesem Morgen losgezogen war. Rom war nicht mehr, wie es vor fünfzehn Jahren gewesen war, und sie hatte nicht mehr die Rückendeckung von Agnodice, die sie damals in die Welt der Hetären eingeführt und den entsprechenden Männern vorgestellt hatte. Und sie hatte zwar die letzten Tage damit verbracht, Namen und Taten auswendig zu lernen, nur kam man dadurch nicht unbedingt an besagte Namen heran. Und vor dem Senat herumzulungern war so durchschaubar und vulgär.
    Noch grübelte sie, wie sie wieder an frühere Erfolge anknüpfen könnte, als sie zufällig Hufgetrappel in einer nahen Rennbahn hörte. Ohne lang zu überlegen, sah sie sich die Sache etwas näher an. Zum einen waren Wagenrennen ja durchaus sehr unterhaltsam und kurzweilig, und zum anderen erfreute sich dieser Sport durchaus auch in höheren Gesellschaftsschichten großer Beliebtheit.


    Bis Aglaia allerdings ihren Weg soweit gefunden hatte, um einen Blick auf die Rennbahn werfen zu können, war anscheinend der Ziellauf schon beendet. Doch ebenfalls offenbarte ihr der Anblick, dass es sich nur um ein Training gehandelt hatte, denn außer ihr waren nur einige Männer anwesend, die miteinander ins Gespräch vertieft schienen. Aglaia schätzte sie mit einem Blick kurz ab. Sie passten in ihr Beuteschema (wohlhabend und älter), also platzierte sie sich so, dass sie zwangsläufig dem einen oder anderen davon mit ihrem roten Kleid ins Auge fallen musste. Gekonnt lehnte sie gegen eine Mauer, so dass das Licht ihre Silhouette schön betonte und ihre Vorzüge gut herausarbeitete und lächelte immer wieder einmal beiläufig in Richtung der Männer. Vielleicht sprang ja einer darauf an?

    Das. War. Inakzeptabel.


    Da stand sie nun, vor den sinnbildlichen Scherben ihres Lebens in Gestalt einer heruntergekommenen Bruchbude mitsamt dem obligatorischen, schmierigen Vermieter, der ihr unerhört offen auf den Hintern starrte. Als ob sie jemals so tief sinken könnte, sich mit einem fettwanstigen, mittellosen Kleingeist ins Bett zu legen. Sie war Aglaia! Naja, zumindest hieß sie jetzt so, nachdem sie sich einen Ruf erarbeitet hatte. Männer hatten Schlange gestanden, nur um ein paar Stunden mit ihr konversieren zu können! Sie war Muse gewesen von Dichtern (oder solchen, die sich dafür hielten)! Begehrt von den höchsten des Reiches! Gast im Hause vieler Senatoren!


    Gut, das war jetzt über fünfzehn Jahre her. Aber dennoch war dieses Domizil im Vergleich zur Pracht von früher schlicht und ergreifend inakzeptabel! Wie konnte es nur soweit kommen? Ah, ja, sie wusste es ja. Es war ein Fehler gewesen, sich auf nur einen Mann festzulegen. Aber Lucius war so ein herrlich anhängliches Hündchen gewesen. Er hatte ihr jeden Wunsch erfüllt und war so erfrischend eifersüchtig gewesen, wenn sie einen anderen Mann nur angesehen hatte! Ja, er war auch fett gewesen, und alt, und verheiratet, aber dafür wirklich unverschämt reich! Und sie hatte als seine Geliebte ganz offiziell auf seinem Landgut gelebt wie die Herrin des Hauses, während seine langweilige Ehefrau im stinkigen Rom jeden Tag versauerte. Lucius hatte sie mit Perlen und Juwelen geradezu überschüttet, mit feinster Seide aus dem Osten gekleidet. Sie hatte einen eigenen Sänger gehabt, der sie in den Stunden unterhalten sollte, wenn er nicht da war! Natürlich hatte Lucius den Mann für einen Kastraten gehalten, alles andere wäre seiner Eifersucht zuwider gelaufen.


    Aber dann? Warum nur hatte sie seinem Drängen an jenem Abend nachgegeben? Aglaia hatte doch gewusst, dass er immer größere Schwierigkeiten hatte, seine Potenz in Gang zu bekommen. Es hätte sie mehr wundern müssen, dass der kleine Lucius so bereitwillig seinen Dienst zu tun bereit war. Zum Glück nur hatte sie auf ihm gesessen, als Lucius auf einmal die Augen verdreht hatte und dann vollständig ermattet zurückgesunken war. Im ersten Moment hatte Aglaia noch gedacht, sein Höhepunkt hätte ihn der Ohnmacht nahe gebracht, und sie versuchte, ihn zu wecken. Erst da hatte sie bemerkt, dass sein Höhepunkt ihn wohl doch etwas weiter weg getragen hatte.
    Und diese vermaledeite Kuh von einer Ehefrau! Die Sklaven hatten ihr natürlich sogleich Bescheid gesagt, und noch ehe Aglaia all ihre Habseligkeiten hatte packen können, war die Frau mitsamt ihrem schwachsinnigen Sohn und einem Edikt des Praetors aufgetaucht und warf sie aus dem Haus! Ohne ihre Perlen, ihre Juwelen, ihre teuren Kleider. Noch nicht einmal der dumme Sänger blieb ihr! Nur das, was sie am Leib trug und das kleine Bündel, was sie zufällig in der Hand gehabt hatte, als diese Grobiane es wagten, Hand an sie zu legen und sie auf die Straße zu werfen! Sie! Als wäre sie eine gemeine, kleine Lupa!


    Und jetzt stand sie hier, in dieser stinkigen Kaschemme, die zu mieten sie gezwungen war. Das. War. Inakzeptabel. Sie brauchte dringend wieder einen wohlhabenden Geliebten.