Am späteren Vormittag versammelte der Bibliothekar Orosius die Sklavenkinder und -Jugendlichen stets zum Unterricht in der Bibliothek. Er saß dann ungnädig auf seinem Scherenstuhl, den Rohrstock aufgestützt, die Schüler um ihn herum gescharrt auf dem Boden sitzend. Lesen, schreiben, rechnen, das Zwölftafelgesetz und die Aeneis paukte er ihnen ein.
Als Silas und Paulinus kurz nacheinander das 14. Lebensjahr erreicht hatten, hatten sie inständig gehofft, dass es ab da ein Ende mit dem ungeliebten Unterricht haben würde. Aber die Vilica hatte verfügt, dass Orosius ihre Bildung weiter vertiefen solle, er solle damit ihren Wert steigern, und vielleicht habe einer von ihnen ja auch das Zeug dazu, den Herrschaften später einmal als Sekretär oder Rezitator zu dienen.
Darum traktierte der grämliche Alte die beiden weiterhin, mit so Sachen wie Grammatik und Literatur, sogar Griechisch. Sie litten sehr unter ihm. Silas hasste den Griechischunterricht, weder der Klang der Worte noch ihre Schreibweise in dem komischen fremden Alphabet wollten in seinem Kopf haften bleiben.
Dabei wäre Silas natürlich sehr gerne Scriba der Herrschaften geworden! Privatsekretäre mussten keine schweren Sachen tragen, waren angesehen, und manche wurden sogar freigelassen. Zum Beispiel Ravdushara, der früher genau wie alle anderen morgens in der Küche den Brei gelöffelt hatte, der war jetzt ein reicher Freigelassener, und wenn er ins Haus kam, trug er die Nase hoch.
Aber um Sekretär zu werden, mußte man zumindest etwas griechisch können. Silas schwankte dabei immer zwischen totaler Resignation und plötzlichem verzweifelten Eifer. Bei der letzten Aufgabe – einen Brief zu übersetzen – hatte er sich wirklich Mühe gegeben.
"Amasis grüßt Polykrates." las er schleppend vor. "Es freut... ich freue mich... zu hören, dass es einem Mann, der mein Freund ist, gut geht. Aber ich preise keinen, der froh immer ist... der immer froh... immer glücklich ist. Denn ich weiß, dass... die Götter sind... ähm... un...."
"Missgünstig!" schnappte Orosius ebenso.
"Dass die Götter missgünstig sind auf die... Glücklichen. Also möge... also mach... dich gefällig den Göttern. Was du am meisten... schätzt... wirf weg."
Aber "Hoffnungslos" urteilte der wackere Pädagoge und verpasste ihm eine Kopfnuss, "Schon wieder hast du Optativ und Futur vertauscht. Dumm wie Stroh."
Von regelmäßigen Schlägen des Rohrstockes auf die Tischkante untermalt, intonierte er laut die vertrackten Grammatikregeln, ließ Silas und Paulinus diese laut nachsprechen.
Die Jüngeren sollten derweil Rechenaufgaben lösen. Silas' Schwesterchen Susaria zählte konzentriert an ihren Fingern, Iphigenie war längst fertig mit den Aufgaben und zeichnete auf ihrer Tabula ein Bild des Schulmeisters mit langen Eselsohren, Nicon kämpfte verbissen, gab dann auf und versuchte von Iphigenie abzuschreiben...
Aber wenn es einen gab, den Orosios noch mehr auf dem Kieker hatte als Silas, dann war das Nicon. Der Pauker erwischte ihn beim Abschreiben und verpasste ihm mal wieder ein paar mit dem Rohrstock. Unglücklich sah Silas hin, er hatte Mitleid mit Nicon, überhaupt hatte er immer das Gefühl, die anderen jungen Sklaven beschützen zu müssen. Aber gegen den Schulmeister kam er nicht an. Nicon war zum Glück ziemlich abgebrüht und heulte kaum. (Er schien Kummer gewöhnt, hatte mal erzählt, dass die Schläge hier im Haus nur ein Fliegenschiss waren gegen die Dresche bei seinen Vorbesitzern.)
Alle waren froh als der Unterricht für heute zu Ende war.