<< Asche und Gold
Kyriakos klagte nicht mit Worten und Tränen hatte man ihm schon als Knaben ausgeprügelt. Es blieb nicht viel, um auszudrücken, was in ihm vorging. Meist war es Zorn, der das Übel in ihm kanalisierte, heute aber trug er seine Gefühle als schwarzen Stoff auf der Haut. Die Chlamys war an jenem Abend sein einziges Gewand. Wenn er sie nach dem Tanz wieder ablegte, würde er von seiner Trauer befreit sein. Der Schmerz gehörte nun dem namenlosen Satyrn. Nichts Geringeres als blankes Eisen bedeckte das Gesicht von Kyriakos. Der Mund seiner Halbmaske war ernst, kein lustiger Satyr war es, der sich dem Reigen anzuschließen gedachte, er erinnerte in gewisser Hinsicht an den Minotauren, der aus seinem Labyrinth heraus gefunden hatte. Die angriffslustig nach vorn gerichteten schmalen Hörnchen, die von einem eisernen Stirnreif ragten, der seine schwarzen Locken hielt, trugen ihr Übriges zu diesem Eindruck bei. Das Schuhwerk legte Kyriakos nun ab, als er sein Ziel erreicht zu haben glaubte, und trug die Caligae in der Hand.
»Man kennt mich nicht an diesem Ort«, sagte Kyriakos zu dem Türsteher. Er war nicht sicher, ob dies eine geschlossene Gesellschaft war.
Mit Blicken untersuchte er die von zwei Lampen nur spärlich erhellte rote Tür, hinter der tiefe Trommeln wummerten und Flötenmelodien tobten. Die Wein- und Efeuranken bewegten sich im Wind. Nichts sonst ließ auf die Gesellschaft dahinter schließen, doch wer eingeladen war, verstand die Botschaft dieser Ranken.
»Niemand kennt hier einander«, erwiderte der Mann und öffnete ihm die Tür. Das stimmte so sicher nicht, doch Kyriakos verstand die Bedeutung. Nicht umsonst war eine Maske erwünscht.
Er trat in die Dunkelheit. Hinter ihm fiel die Tür ins Schloss. Sein altes Leben - ausgesperrt für eine Nacht. Kyriakos zahlte, gab die Schuhe zur Verwahrung und dann brach eine Zeit gnädigen Vergessens an. Tief atmete er ein, ließ den Rauch der Feuerschalen durch seine Nase fließen und die Lungen fluten. Das Räucherwerk war mit anregenden Kräutern versetzt, zu wenig, um die Sinne zu vernebeln, doch genug, um dafür zu sorgen, dass man die Nacht voll auskosten konnte. Flöten, Handtrommeln, Harfen, Kastagnetten, Zimbeln bestimmten fortan den Takt. Den Cordax hatten die Satyrn erfunden, sagte man. Einige der Tänzer trugen künstliche Phalli vorgebunden, obszön vergrößert, andere trugen überhaupt nichts und warfen ihre Körper nackt im Rhythmus der Musik von hier nach da. Was einige hier suchten, war nicht zu übersehen. Kyriakos suchte Vergessen. Er tanzte, wenngleich er sich bedächtiger als die anderen bewegen musste. Nur jeden zweiten Takt nahm er, im halben Tempo bewegte er sich, bis er schweißnass glänzte und seine verstümmelten Füße eine Pause benötigten.
Er organisierte sich Wasser und gesellte sich an einen der Tische. Dort prostete ihm fröhlich ein Gast zu, der kecke Fellohren trug. Einen größeren Kontrast zu der düsteren Gestalt des Satyrn, den Kyriakos mimte, konnte es kaum geben.
Milde amüsiert über den Gegensatz antwortete er: »Auf Bacchus.« Den Anti-Gott eines jeden Spartaners, aber das spielte in diesem Moment keine Rolle. Die Polis lag in weiter Ferne. Kyriakos hob seinen Becher und senkte leicht das Haupt, während er dem anderen in die Augen schaute, die im Licht der Feuerschalen selbst zu lodern schienen. Die Augenfarbe war nicht zu erraten. Blieb nur die Frage, wer zuerst die Maske fallen ließ.