Beiträge von Kyriakos

    Kyriakos neigte ein wenig das Haupt zur Seite zum Zeichen seiner Überraschung. Dieser Urbaner zeigte mehr Herz und Verstand, als er je erwartet hätte. Die Peitsche wäre das Mindeste gewesen für seine Lügen, damit hatte er gerechnet, nicht mit Verständnis für seine Zwangslage. Bei seinem Beruf wäre es unangebracht, je das Wort Ehre in den Mund zu nehmen. Dagegen sträubte er sich, auch wenn Velia stets hohe Stücke darauf gehalten hatte. Er hatte ihre Ansichten von Ehre zurückgewiesen. Und doch war es nun das nostalgische Gefühl der spartanischen Kriegerseele, das sich regte, als er seine Antwort formulierte.


    »Ich stehe in deiner Schuld, Schwert Romas«, sprach er leise und ernst. »Meine Heimat liegt fern, mein Rechtsverständnis ist das eines Fremdländers. Deine Einschätzung ist jene, die korrekt sein wird. Die Männer, die uns angegriffen haben, verlangten eine Steuer. Sie erbaten Einsicht in meine Einnahmen, die ich ihnen verweigerte, so wie die Zahlung der geforderten Gebühr. Ich habe unterschätzt, wie viele es sind und wozu sie fähig sind. Den Preis zahlten meine Jungs in Blut und nun auch noch Velia. Subura-Dreck war es, der uns überfiel. Doch wer weiß, wer die Köpfe sind. Ich weiß es nicht.«


    In diesem Moment erschien ein weiterer Urbaner in der Gasse, im Schlepptau Nicon, der grinste. Kyriakos grinste nicht zurück, doch seine Augen öffneten sich ein Stück weiter, weil er sich freute.


    »Dieser Tag birgt nicht nur Schatten«, verkündete er.

    Irgendwo musste man schlafen. Und Kyriakos übernachtete mit Nymphis einstweilen hier, ohne die Dienste einer Lupa in Anspruch zu nehmen. Wie hätte er das tun können? Und so hielt das Lupanar für ihn als bloße Herberge her. Die Huren, die ihn kannten, behandelten ihn dennoch halbwegs gastlich, immerhin zahlte er. So allein, wie er sich im Moment fühlte, war er sehr lange nicht gewesen. Evenor und Nicon waren in dem Gassengewirr verschwunden, um Nicon zu suchen. Sie fürchteten, er sei einem der vielen Morde zum Opfer gefallen und hielten nur nach seiner Leiche Ausschau. Hoffnung, ihn lebend zu finden, hatte keiner. Als Kyriakos von der Caupona mit dem Essen zurückkehrte, lag ein Schreiben auf seinem Bett. Er stellte die beiden Schüsseln auf den winzigen Tisch, um es zur Hand zu nehmen.


    »Was steht da?«, wollte Nymphis wissen.


    Kyriakos las den Brief bis zu Ende. Sein angespannter Gesichtsausdruck lockerte sich, als ein Funken Hoffnung in seinem schwarzen Herzen erglomm. »Der Name deiner Mutter, den ich dir bis heute verschwiegen haben. Sie heißt Melanippe, Tochter des Myles. Du bist geboren in Megara. Zehn Jahre bist du alt, Nymphis. Nicht sieben, ich habe mich verzählt. Nun weißt du, von wem du mütterlicherseits abstammst.«


    »Ich dachte, ich komme aus Sparta«, sagte der Junge halb enttäuscht, halb trotzig. Sein neues Alter war ihm offenbar egal, genau wie der Name der Mutter, an die er sich nicht erinnerte. Aber dass Sparta etwas Gutes war, das wusste er. Sparta war älter und größer als Rom, seine Herrlichkeit unübertroffen und die besten Krieger kamen von dort. Nymphis wollte Sparta sehen und seine Hopliten. Der Rest kümmerte ihn nicht.


    »Der Ort deiner Geburt spielt keine Rolle, auf das Blut kommt es an. Du bist Spartiate, ein Vollbürger von Sparta. Und Freund Hairan hat dafür gesorgt, dass wir es beweisen können. Komm her, Kleiner.« Kyriakos schloss seinen Sohn fest in die Arme. Er hielt den schmalen Kinderkörper und drückte einen Kuss auf die schwarzen Locken, die seinem Haar glichen.


    »Wann kommt Python«, murrte Nymphis.


    »Bald. Und nun iss. Wenn wir gegessen haben, wirst du schlafen und ich werde Hairan seinen verdienten Lohn bringen.«

    »Ich weiß es nicht sicher. Aber ich kann Anhaltspunkte liefern.«


    Er machte eine Pause. Jetzt ging es um viel. Doch er entschloss sich, fortzufahren.


    »Meine Erinnerungen haben mich beim letzten Verhör getäuscht. Ich ... der Brand war nicht leicht zu verkraften. Nun sehe ich wieder klarer. Es begab sich anders, als ich berichtet habe.«


    Er tat etwas, was man nicht oft bei ihm sah: Er schlug die Augen nieder. Dass er mit seinen Lügen den Urbanern die Ermittlungsarbeiten erschwert hatte, war ihm bewusst. Das war der Sinn gewesen.

    Wie ein Gespenst so blass erhob sich Kyriakos. Im Sitzen hatte er gewacht, im Sitzen hatte er geschlafen. Nun stand er wieder aufrecht, als wäre er aus dem Tartaros zurückgekehrt, ohne das dieser dem Wanderer hätte etwas anhaben können. Das stimmte nicht, Kyriakos war innerlich schwer verwundet. Aber das war er nicht zum ersten Mal und würde es auch nicht zum letzten Mal sein. Er würde überleben.


    »Ich bin hier«, sagte er ruhig, so wie er das vor Kurzem schon einmal getan hatte. »Geht es um den Fall?«


    Er hoffte sehr, dass es darum ging, und nicht um das, was hinter ihm begraben lag. Zwei Sarkophage ragten nun statt einem hinter ihm empor, mahnend, drohend und doch vollkommen harmlos. Der Tod wirkte bedrohlicher, als er letztlich war. Manchmal erschien er Kyriakos sogar süß und verlockend.


    »Die Sache ist nun schwieriger.«


    Kyriakos hatte aus Angst vor der Krähe geschwiegen. Er hatte die Mörder von Iugurtha gedeckt, um zu zeigen, dass er seine Lektion gelernt hatte. Dass er kooperieren würde. Doch nun war da wenig geblieben, was ihn noch schrecken konnte. Die Zukunft barg kein Licht mehr für ihn und für Nymphis war gesorgt. Freund Hairan würde sich mit seinem Notar um eine dienliche Abstammung von Kyriakos´ Sohn kümmern. Kyriakos besaß so viel Gold, dass er es aus Angst, etwas Falsches damit zu tun, nicht anrührte. Wenn er es Nymphis vermachte und die Urkunde geschrieben war, war dessen Zukunft sicher.


    Kyriakos wendete langsam den Kopf und blickte vielsagend auf das zweite Grab.

    Nicon


    Um sich zu zwingen, den Wein langsam zu sich zu nehmen, tunkte Nicon das Brot hinein und saugte die Flüssigkeit damit auf. Das matschige Brot aß er voll Genuss, nun musste er es nicht mit seinen kaputten Zähnen kauen. Er bekam wieder Farbe im Gesicht, sein Zittern beruhigte sich und die Übelkeit verschwand zusammen mit den quälenden Kopfschmerzen.


    "Danke", sagte Nicon am Ende und wischte sich den Mund mit den Händen ab, nachdem Wein und Brot vom Antlitz Romas verschwunden waren. "Ich bin so weit."

    Nicon


    Nicon hatte die Zeit pragmatisch genutzt, indem er sie verschlief. Die sichere Umgebung beruhigte seine Nerven, Übergriffe im Schlaf musste er hier keine fürchten. Er genoss die Ruhe vor den Freiern, mit denen er sich sonst mehrmals täglich plagen musste und das Abklingen der Wunden war wohltuend. Er bekam regelmäßige Mahlzeiten und die Temperaturen waren Tag und Nacht konstant. Er schlief so gut wie lange nicht mehr. Nur der ewige Durst ...


    "Kann ich vorher noch einen Becher Wein kriegen", fragte er mit Pupillen, die hin und her zitterten.

    << Casa des Helvetius Archias


    Kyriakos war nicht sicher, ob es rechtens war, den Körper seiner Geliebten an sich zu nehmen. Sie war eine Peregrina, doch wohin hätte er sie bringen sollen? Von Familie oder Freunden von Velia wusste er nichts. Und die Huren des Magnum Momentum ... nein, ihre Reaktionen wollte er nicht sehen noch hören. Nichts sollte die Stille stören, die Velia wie die Aura einer Heiligen umhüllte. Sie sollte bei ihm verbleiben, in Würde und Frieden.


    Wieder war niemand hier, die Lupos unterwegs, genau wie Nymphis. Nur einer war stets vor Ort - Iugurtha. Er ging niemals fort, er konnte es nicht mehr. An den Ort seiner ewigen Ruhe verbrachte Kyriakos nun auch Velia, gemessenen Schrittes, wie es seine einzige Art zu gehen war. Die Trümmer waren mittlerweile weitestgehend sortiert, brauchbare Steine von unbrauchbaren getrennt, Gänge geschaffen, Wege geebnet, einsturzgefährdete Bereiche abgerissen. Vorsichtig, als wäre Velia noch in der Lage, Schmerzen zu empfinden, legte er sie nieder und schuf neben der Ruhestätte von Iugurtha eine zweite. Dazu baute er aus Ziegeln eine Kiste ohne Deckel. Hernach reinigte er Velia, so gut es ging. Ihr regloses Gesicht zu waschen, brachte ihn an die Grenzen des Erträglichen. Am Ende bettete er sie in den steinernen Rahmen, der bis auf Höhe seiner Knie reichte.


    Er musste sie noch einmal allein lassen, kurz darauf kehrte er mit Blumen zurück, die er gekauft hatte. Allesamt rot und weiß, ihr Haar und ihre Haut. Velias Glieder waren steif, doch er verteilte die Blüten um ihr Haupt und auf ihrer Brust. Dann bedeckte er ihr Gesicht mit einem Tuch. Plötzlich musste er sich abstützen. Ein Zittern ging durch seinen Körper, ein Keuchen, dann richtete Kyriakos sich wieder auf. Mit einem Eimer trug er Bruchsteine herbei und füllte so die Grabkammer auf. Er arbeitete, bis die Füllung den Rand erreichte. Am Ende stand nur noch ein steinerner Kasten, wo einst Velia gelegen hatte, so wie bei Iugurtha.


    Kyriakos ließ sich niedersinken, lehnte sich mit dem Rücken an den selbstgebauten Sarkophag und schloss die Augen.

    << Verhör bei den Urbanern


    Die Nacht mit dem Satyr Serenus hatte sein Gemüt wieder beruhigt, aber es zugleich auf verwirrende Weise aufgewühlt. Dass Kyriakos unmittelbar danach von den Urbanern verhört wurde, holte ihn wieder auf den kalten Boden der Tatsachen zurück. Nun war er bereit für das Gespräch mit Velia. Die Nacht, wenngleich voller Zauber, war nur ein Traum in einem Rausch gewesen ... was auch immer Kyriakos gefühlt hatte, es war nicht echt. Ein Schauspiel und Serenus wusste das so gut wie er, denn es durfte nicht echt sein. Dazu hatten sie die Masken getragen. Velia aber war aus Fleisch und Blut. Zwar würde sie niemals seine Frau sein, doch dass sie Freunde blieben, das hoffte er. Die schmerzhaften Worte - sie taten ihm nicht länger weh. Alles, was er wünschte, war Versöhnung.


    Doch etwas stimmte nicht auf seinem Weg durch die Subura. Sie fühlte sich anders an, die Menschen waren reizbar und nervös. Kein guter Tag, er musste später nach seinen Lupos sehen, es war heute gefährlich hier. Und so war es kaum verwunderlich, welch Kunde an sein Ohr drang, wenngleich sie sich anfühlte wie ein Dolch in seinen Eingeweiden, der nach dem Zustechen mehrmals herumgedreht wurde, um ihn vollends zu vernichten. Velia, seine Füchsin, seine rote Rose, war nicht mehr. Die Straßen hatten ihren Tribut gefordert.


    Kyriakos weinte nicht.
    Kyriakos klagte nicht.
    Kyriakos zeigte keine Schwäche.


    Er fragte und suchte.


    Nachdem er den Weg gefunden hatte zu ihrer Leiche, stand er da und starrte sie scheinbarer Teilnahmslosigkeit an, während sein Herz Stück um Stück zersplitterte. Nicht länger Worte, nun war es Gewissheit. Ein Irrtum hatte nicht vorgelegen. Velia trug das rote Kleid, das er so an ihr mochte. Das Blut im Stoff war vertrocknet und braun, ihr Gesicht war nach unten gekehrt. Wie Abfall lag die Frau, die er liebte, verrenkt im Rinnstein. Jemand musste sie dort hin geworfen haben, dies war nicht der Ort, an dem man sie getötet hatte.


    Unfähig, eine angemessene Reaktion zu zeigen, hob Kyriakos sie mit beiden Armen auf und trug sie in das, was von seinem einstigen zu Hause geblieben war. Sie wog fast nichts. Und nichts war von ihr geblieben.


    Ruinen des Ganymed >>

    Römer neigten oft dazu, die Schönheit an merkwürdigen Kriterien festzumachen, wie der Haarfarbe, Schminke oder gar der Kleiderwahl, welche der Natur ihres Trägers am Ende nie ganz gerecht werden konnten. In seinen Augen aber war der vor Vitalität strotzende Anblick nackter, sandbedeckter Körper bei den Wettkämpfen unter der unerbittlichen lakonischen Sonne wahre Schönheit. Ob Frau, ob Mann, sie mussten Gesundheit und Leistungskraft ausstrahlen, um ihm zu gefallen. Davon hatte Serenus viel und jede Bewegung schien frei von Mühen zu erfolgen. Genüsslich ließ Kyriakos seine Hände über die harten Flanken gleiten, bis auch Serenus endlich sein Gesicht offenbarte. Harmonisch, wie seine Bewegungen es waren, alles passte zusammen. Das Haar war dunkel und die Augen blau, wie Fächer waren die langen Wimpern, doch seine gleichmäßigen Züge waren es, die Kyriakos begeisterten. Einst musste dieser Satyr ein hübscher Knabe gewesen sein - nun war er ein schöner Mann.


    »Was für ein edles Antlitz«, sprach Kyriakos. »Kein Wunder, dass du es versteckst. Vor lauter Umwerbung könntest du dich sonst nicht retten. Aber keine Sorge, ich bin hier und gebe auf dich Acht. Kein anderer soll sich dir nähern, so lange ich an deiner Seite weile.«


    Er wünschte keine Ablenkung von diesem vollkommenen Augenblick. Und dann ... geschah das Unglaubliche, als die heißen Lippen seines Gespielen Kyriakos´ Mund berührten. Er hatte das Gesicht des Serenus sehen wollen, um sich daran zu erfreuen und um es zu liebkosen. Doch niemals küsste Kyriakos auf den Mund. Einige wenige Tabus hatte er sich bewahrt, nicht alles sollte zu einem Geschäft verkommen. Dieses hier war sein Wertvollstes, denn seine Küsse hatte er sich aufgespart für die Frau, der er sein Herz zu Füßen gelegt hatte. Velia, die ihm unmissverständlich klar gemacht hatte, dass er sie auf keine Weise je besitzen würde - nicht einmal für Geld. Kyriakos schloss nicht die Augen, sondern während ihre Lippen aneinander saugten, ihre Zähne sanft daran zogen und ihre Bartstoppeln sacht kratzten, betrachtete er den Mann, der nichts davon ahnte, welches Geschenk Kyriakos ihm heute machte.


    Serenus wurde so leidenschaftlich, dass Kyriakos sich ein wenig schwindelig fühlte vor Überwältigung. Eine Hand fest in seinen Locken, die andere an seinem Gesäß, ließ Serenus nun durchklingen, dass er mehr wollte. Auch Kyriakos wollte mehr ... Von seiner Chlamys, die ständig im Weg hing, hatte er genug, er riss sie sich mit einer Hand vom Hals und warf sie fort. Dann nahm er die andere Hand zur Hilfe, um auch den Gespielen aus seiner Kleidung zu befreien.


    »Serenus«, keuchte er leise zwischen zwei Küssen, während er einen guten Griff suchte, um dessen Kleider vom Leib zu ziehen. Wenn sie dabei Schaden nahmen - sei es drum. Er würde sie ihm ersetzen und die gleiche Summe drauf legen. Kein materieller Wert hatte in diesem Moment eine Bedeutung. »Ich will dich ganz«, raunte Kyriakos, griff nach der Hand auf seinem Gesäß und schob sie tief unter seinen Steiß.

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    Pollux


    Pollux fuhr zusammen, machte sich klein, fasste wie zufällig an den blutigen Verband an seiner Stirn und taumelte hinter den feinen Herrn. So konnte ihn der Wüterich nicht durchbohren und trotzdem hatte Pollux diesen gedemütigt, indem er seine Weisung missachtete - er stand nun noch dichter bei Valentinus.


    "Hilfe", wimmerte Pollux und hielt schützend die Hände vor sein Gesicht.

    << Tanz der Satyrn


    Nach der Nacht mit Serenus hatte Kyriakos einige Stunden seinen Rausch ausgeschlafen. Vom Wein vernebelt waren Serenus und Marsyas in seinen Träumen zu wahrhaftigen Satyrn mutiert, die auf Hufen über die Wiesen rannten, sich balgten, liebten und erneut durch das Gras sprangen, bis das Licht eine Brücke vor ihnen schlug. Gleich goldenem Hauch schwang sie sich hinauf in höhere Sphären. Leichtfüßig sprang Serenus darüber, Funken stoben unter seinen Hufen, als er zurück in den Himmel kehrte, hinauf zu Helios, doch Marsyas trug diese Brücke nicht. Wie sehr er sich mühte, er fand keinen Halt und Serenus stieg höher und höher. Die Rufe von Marsyas hörte er nicht oder ignorierte sie, bis er in der Sonne verschwand. Schweißgebadet war Kyriakos aufgewacht und sofort aufgestanden.


    In den öffentlichen Thermen hatte er sich frisch gemacht, um den Schweiß und den Traum von sich zu waschen, ohne dass Letzteres ihm vollends gelang. Zu real hatte all dies angemutet. In eine weiße Chlamys gehüllt war er hernach zum Magnum Momentum aufgebrochen, um nach Velia zu sehen, ohne sich jedoch bislang dazu durchringen zu können, sie anzusprechen. Stattdessen hatte er draußen gewartet. Was zwischen ihnen noch war oder nicht war, lag in einem unangenehmen Zustand der Schwebe, Klärung wäre angesagt, doch Kyriakos zögerte.


    Da sah er die beiden Urbaner in der Tür des Magnum Momentum verschwinden. So, wie sie einmarschierten, waren das keine Kunden. Besser, er sah nach dem Rechten. Er verließ seinen verborgenen Beobachtungsposten gegenüber des Eingangs. Hinter dem hölzernen Rankengitter hervor, dass einen wackeligen Balkon trug, trat er aus dem Schatten in die Sonne. Ein erneuter Gedankenblitz von Serenus, nicht gut, gar nicht gut war das. Die Straßenseite wechselte er über die steinernen Erhebungen, um nicht in den Unrat treten zu müssen mit seinen nackten Füßen, und folgte den Soldaten ins Innere. Ihn empfing Kühle und der schwere Duft von Parfum und Öl, vermischt mit dem Geruch von frischem Schweiß und Wein. Er merkte, dass er noch immer nicht ganz nüchtern war, zu intensiv war dies alles. Er ließ sich nicht anmerken, wie sehr er erschrak, als der Urbaner seinen Namen rief. Was mochte nun wieder sein?


    »Ich bin hier«, sagte er ruhig. »Wie kann ich euch helfen?«

    Nicon


    Wie befohlen trat der Lupo vom Urbaner zurück, um hernach gierig das dargebrachte Getränk zu schlürfen, als sei er ein Verdurstender, wenngleich man ihm gegenüber an Wasser nicht gegeizt hatte. Binnen Augenblicken war der Becher leer. Nicon schmatzte, um den Geschmack nachwirken zu lassen, und reichte das Gefäß zurück.


    "Danke. Gegenleistung?" Er machte eine unanständige Geste, da er gewohnt war, dass man ihm etwas schenkte, um ihn damit im Voraus zu bezahlen.

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    Pollux


    Fassungslos vor lauter Glück nahm Pollux sage und schreibe hundert glänzende Sesterze entgegen. Er gab sie dem Bruder zur Verwahrung, der versteckt in dieser dunklen und schwer zu findenden Kammer sicher war. Ein Küsschen erhielt Castor auch noch, dann kletterte Pollux wieder hinaus aus dem Fenster zu Valentinus, der dort wartete. Pollux führte Valentinus unter tausend Hilfestellungen, Dankesbekundungen und Komplimenten zurück zu den Trajansmärkten.


    Trajansmärkte >>

    Der Gürtel des Serenus fiel und der Chiton entfaltete sich in federleichtem Hauch um die schlanke Gestalt. Als wolle er die Flügel ausbreiten, um erneut hinauf zu Helios zu fliegen, der ihn in seinem Gefolge sicher vermisste. Nur für einen kurzen Augenblick hatten sich die beiden Satyrn für diesen Handgriff voneinander gelöst. Sogleich zog Kyriakos sein lichtes Gegenstück wieder an sich, dessen Mund mit sanftem Stoppelkratzen die weiche Haut an seinem Hals liebkoste, hinauf bis zu dem Punkt, an dem die Eisenmaske verhinderte, dass auch ihre Gesichter einander berührten.


    Kyriakos sah Serenus in die Augen. Ob dieser erkannte, dass der Blick nach seiner Seele tastete, wusste der Dunkelsatyr nicht. Wahrscheinlich war es der Rausch, der Kyriakos empfindsam machte, denn die übrige Zeit seines Lebens funktionierte er wie ein Apparatus. Doch all die Automatismen, die ihn sonst durch den Tag trugen, schienen ausgerechnet unter der Eisenmaske nicht mehr zu funktionieren, sondern dem Mann Raum zu machen, der Kyriakos hätte werden können. Kyriakos schnaufte leise und voller Sehnsucht. Doch die Masken allein verhinderten nicht ihre Menschwerdung, sie waren Serenus und Marsyas, so lange sie diese Namen trugen. Der Zauber würde nicht verfliegen, wenn die Maske fiel.


    Die heißen Küsse auf seiner Haut brachten Kyriakos dazu, den Kopf zu drehen und zu neigen, um seine Kehle zu entblößen, von wo aus die Hitze in seine Lenden floss. Die Zärtlichkeit von Serenus wurde erwidert mit warmen und starken Händen, die über seinen Körper glitten. Wie fest er sich anfühlte, regelmäßige Leibesübungen hatten ihn zweifelsohne gestählt und zu gern würde Kyriakos diesen Satyrn endlich ganz erkunden. Hier in dem warmen Bad war der geeignete Ort dafür, sie waren unter sich - den übrigen Gästen schenkte Kyriakos nicht einmal einen Blick. Was sollte ein anderer ihm geben, das nicht auch Serenus geben konnte und das wohl auf höherem Niveau?


    Und so löste Kyriakos das Eisen von seinem Antlitz und zeigte sich äußerlich als jener, der er war. Das Innere aber spielte keine Rolle zu dieser Zeit, auch wenn es in ihm brannte, als wäre er erneut zum Leben erwacht. Eine Illusion machte er sich nicht und dennoch lächelte er Serenus zu, kaum dass sein Gesicht bloßlag.


    »Und nun du, mein Sonnentänzer. Ich beschwöre dich, Satyr mit dem Glutherzen, lass mich sehen, wie die Götter dein Antlitz geformt haben, wenn sie schon bei deinem Geist solch eine solche Kunstfertigkeit an den Tag legten.«

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    Pollux


    "DANKE, HERR", rief Pollux und fiel vor dem Mann auf die Knie. Er streckte bittend die zu einer Schale geformten Hände aus, damit der Mann das Geld hineinlegen konnte. "Ich führe dich anschließend sofort eigenhändig zurück zu den Trajansmärkten! Niemand soll dir je ein Haar krümmen, oh Großmütiger! Mögen die Götter über dich wachen, deine Wege ebnen und alles Übel von dir fernhalten!"

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    Pollux


    Als Valentinus in das Dunkel blickte, sah er eine liegende Gestalt, deren Konturen vom Licht einer tönernen Öllampe nur schwach erhellt wurde. In den scharfen Gestank der Beleuchtung mischte sich der Geruch von Blut. Der 'kleine Bruder' war genau so groß wie Pollux und an mehreren Stellen mit dreckigen Lumpenstreifen verbunden. Er hob eine Hand zum Gruß, versuchte, sich aufzusetzen, aber konnte seinen Kopf nicht anheben. Ein schwaches Wimmern folgte.


    "Bleib liegen, liebes Brüderchen", rief Pollux erschrocken. "Der edle Herr hat sich bereit erklärt, uns 100 Sesterze zu schenken, damit wir den Medicus bezahlen können! Nicht wahr?"

    Nicon


    "Da war Wein drin", stöhnte Nicon und bei dem Gedanken an den köstlichen säuerlichen Geschmack brach ihm erneut der Schweiß aus und seine Finger begannen zu zittern. "Ich brauch das, das ist meine Medizin."

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    Pollux


    "Ein Furius? Kommt mir irgendwie bekannt vor!"


    Pollux dachte nach. Seine Kunden kannte er gut, es war keiner von ihnen. Vielleicht der Kunde eines anderen? Während sie den letzten Weg zurücklegten, überlegte er. Sie befanden sich nun ganz in der Nähe des niedergebrannten Lupanars Ganymed, waren jedoch von einer anderen Seite durch einen Geheimweg gegangen. Bevor die Ruine in Sicht kam, kletterte Pollux auf einen Stapel Kisten und öffnete einen hölzernen Fensterladen. Falls der Verschlag eine Tür besaß, war sie entweder unerreichbar oder niemand sollte erfahren, wo sie lag.


    "Huhu, Castor", grüßte Pollux ins Dunkel. "Ich habe Besuch für dich mitgebracht. Wird es gehen?"


    Ein schwaches Wimmern drang aus der Öffnung. Pollux schaute ausgesprochen besorgt und seine Lippen formten ein lautloses Oh, nein!