Sim-Off:Dass in dieser Geschichte Satibarzanes mitgeschrieben wird, geht in Ordnung.
<< [Lupanar] Magnum Momentum - Asche und Gold
Selbstmitleid war nichts, was Kyriakos sich zugestand. Auch nicht, nachdem Velia seinen Heiratsantrag abgelehnt hatte. Von dem Gold, das er neuerdings besaß, hätte er sich irgendwo eine Unterkunft mieten können, doch er legte sich wieder in den Hauseingang, in dem er die letzten Nächte verbracht hatte. Nymphis kam zu ihm, er hatte ein Brot gekauft, doch Kyriakos schüttelte den Kopf und schloss die Augen. Er spürte, wie sein Sohn sich hinter ihn legte, um auch zu schlafen. Wie aus dem Orcus auferstanden, kam auch Python von irgendwo her, es folgten Nicon und Evenor, die sich in den Hauseingang gegenüber legten. In der Gruppe war es sicherer. Die Zwillinge waren nirgends zu sehen, sie waren irgendwo unterwegs. Da Evenor und Nicon zusammen tranken und noch eine Weile munter sein würden, gönnte Kyriakos sich ein paar Stunden Schlaf. Im Traum war er wieder vor Aquincum, lebendig und tot zugleich.
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Vater, Mutter, Kind
- vor etwa fünf Jahren in Pannonia inferior -
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Die Gräberstraße, die nach Aquincum führte, war ein endlos langes, einzeiliges Gräberfeld. Man wollte, dass die gemalten Bilder der Toten von der Straße aus sichtbar waren, Inschriften sprachen die Passanten an. Es schien, als hoffte man, ein unsichtbarer Teil von den Verstorbenen würde weiterleben, wenn man so tat, als könnte man noch mit ihnen sprechen. Sogar Häuser baute man den Toten hier, während manch Lebender kein Obdach besaß. Die Mausoleen wohlhabender Familien bildeten eine langgezogene Stadt für sich und wenn die Gräber alt genug waren, scherte sich niemand darum, ob auch jene Lebenden sich dort einnisteten, die kein anderes zu Hause ihr Eigen nannten. Kyriakos ruhte in einem solchen Mausoleum, die Urne des Numerius Ancharius Pandus zur Gesellschaft. Einige Grabbeigaben, aus unterschiedlichen Gräbern zusammengeklaubt, bildeten das Inventar seiner neuen Wohnung. In seinen dürr gewordenen Arm lag, in den roten Mantel der Spartiaten gewickelt, sein einjähriger Sohn, der das erste Mal seit langem wieder satt sein durfte und fest schlief. Auf Kyriakos traf das nicht zu, er hatte alles an Nymphis verfüttert und auch sein einziges Kleidungsstück an seinen Sohn abgetreten. Er selbst schlief auf dem nackten Stein, nichts anderes war er von klein auf gewohnt. Allerdings war Pannonien merklich kälter als Lakonien. So lange es Sommer war, ging es noch irgendwie, doch den Winter würde so keiner von ihnen überstehen.
Als die Sonne aufging, kehrte Satibarzanes schwankend vom Kriegshafen der Classis Pannonica zurück. In einem selbstgemacht aussehenden Weidenkorb, an dem noch grünes Laub hing, trug er einige Kleinigkeiten, die er vermutlich im Müll am Ufer des Danuvius aufgelesen hatte. Der Geruch von Schweiß drang in Kyriakos´ Nase. Als sein Gastgeber sich vor ihn hockte, kam noch der Geruch von Sex dazu.
»Den Korb kann Nymphis als Bett haben, dachte ich«, sprach Satibarzanes mit schwerer Zunge. Sein Atem roch nach Wein. »Wir ... wir stopfen ihn mit einer Decke aus, dann kannst du den Kleinen auch mal ablegen. Tücher haben wir ja genug. Hier habe ich Getreidebrei mitgebracht. Die habe ich aus der Garküche geholt und er ist ohne Fleisch oder Gemüse. Genau wie du gesagt hast, nur Getreide. Ist das gut so? Verträgt Nymphis das?«
Kyriakos rappelte sich ein Stück auf, um in den verbogenen und rostigen Topf zu schauen. »Ja, aber das ist schon wieder zu wenig«, stellte er frustriert fest. »Das reicht nicht für drei. Gibt es in dem Fluss keine Fische, die man angeln kann? Oder Wild in den Wäldern?« Während seiner Ausbildung hatte er gelernt, allein zu überleben, er konnte jagen, er konnte rauben, er konnte töten. Doch in seinem miserablen Zustand war er hilflos.
Satibarzanes stieg torkelnd über die verkrüppelten Füße von Kyriakos und ließ sich hinter ihm auf ein Nest aus Heu und Lumpen fallen, das er sich gebaut hatte. »Keine Ahnung, ich kann nicht jagen oder angeln. Jetzt lass mich erstmal schlafen«, stöhnte er. »Ich bin fertig.«
Kyriakos räumte derweil den Weidenkorb aus und baute aus weiteren Lumpen ein Bett darin, in das er nun vorsichtig Nymphis legte. So ging es, darin schlief er gut. Er wechselte noch das Tuch, das er seinem Sohn als Windel umgebunden hatte. Das Schmutzige warf er in eine Ecke, in der Hoffnung, dass Satibarzanes den Wäscheberg endlich einmal auskochen würde. Er selbst war zu schwach, um Holz zu suchen und Wasser zu schleppen. Der Kleine wachte während dem Wickeln nicht auf, auch ihm machte das neue Leben zu schaffen. Kyriakos zog den Mantel wieder schützend um den kleinen Körper, dann drehte sich zur anderen Seite, um Satibarzanes anzusehen, der sich seit nunmehr zwei Wochen nach Kräften bemühte, nicht nur sich selbst, sondern auch seine beiden Gäste zu versorgen, damit aber merklich überfordert war. Für jemanden, der auf der Straße lebte und sonst nur für sich selbst Verantwortung hatte tragen müssen, war das kein leichtes Unterfangen. Man merkte Satibarzanes die Erschöpfung deutlich an. Und doch war er die einzige Hoffnung, die Kyriakos geblieben war.
»Barti?«
»Hm.«
»Sieh mich an.«
Sichtlich ungern schlug Satibarzanes seine verquollenen Augen auf.
»Zwei Sachen«, sagte Kyriakos eindringlich. »Du musst täglich in die Thermen gehen, sie sind kostenlos.«
»Wozu«, murrte Satibarzanes. »Wenn ich nach Hause komme, ist hier eh alles dreckig.«
»Weil du stinkst, außerdem gibt es dort Sklaven, die dich rasieren, dir das Haar machen und so weiter. Von dir hängt alles ab. Wenn du besser aussiehst, wirst du es leichter haben, Kunden zu gewinnen.«
»Die sind eh besoffen und stinken selbst.«
»Versuch es. Jeder zusätzliche Kunde hilft. Vielleicht lassen sich auch mal welche mit dickerem Geldbeutel blicken, wenn du dich mehr pflegst. Deine Sachen kannst du auch mal auskochen, nachdem die Windeln dran waren.«
»Ja, ja. Mach ich alles noch. Aber Kunden klingt so vornehm. Das sind sie aber nicht und außerdem bezahlt von denen eh nur die Hälfte, die anderen hauen einfach so wieder ab. Kunden kann man das kaum nennen.«
»Und das lässt du dir gefallen. Wie nennst du sie?«
»Stecher.«
»Klingt unmöglich, kein Wunder dass keine Besseren zu dir kommen, wer will sich so bezeichnen lassen? Du brauchst Geschäftssinn, sonst wird das nie etwas! Fortan sind das Kunden, nennn sie niemals anders. Und du wirst um sie werben und nicht nur mit ihnen saufen und hoffen, dass einer dich dafür bezahlt, dass du mit ihnen Spaß hast.«
»Ich habe keinen Spaß. Es ist Arbeit.«
Kyriakos rollte gereizt mit den Augen. »Tu einfach, was ich sage. ich weiß, wovon ich spreche, meine Familie ist wohlhabend. Ich bin Vollbürger von Sparta, ich war Hoplit. Und keiner von meinen Leuten hätte dich auch nur mit der Kneifzange angefasst. Aber das muss nicht so bleiben, du siehst eigentlich gut aus, du darfst dich nur nicht so gehen lassen. Wenn wir beide in Sparta einkehren, nachdem ich meine Rache an Lysander vollzogen habe, empfangen sie dich fürstlich dafür, dass du mich und Nymphis gerettet hast. Ich habe dir versprochen, dich von hier wegzuholen, raus aus der Gosse. Alles, womit du mir heute hilfst, bekommst du später hundertfach zurück. Das schwöre ich dir! Aber ich kann mein Wort nur halten, wenn du mir bis dahin gehorchst. Du siehst, dass ich momentan nichts allein machen kann! Ich krepiere, wenn du nicht spurst, und Nymphis auch!«
Satibarzanes rieb sein Auge. »Also gut, ich probiere es aus. Erst die Thermen, dann die Kunden.«
»Und die Wäsche. Du sollst mich ansehen!«
Satibarzanes gehorchte, auch wenn er vor Müdigkeit kaum noch schauen konnte.
»Nymphis ist winzig«, sagte Kyriakos leise. »Das hier ist todernst. Er kommt nicht allein durch. Falls ich das hier nicht überlebe ... würdest du dich um ihn kümmern?«
Satibarzanes lächelte müde. »Das tue ich doch jetzt schon.«
»Du musst ihn nicht nur durchbringen, du musst ihm ein Vater sein«, sagte Kyriakos eindringlich. »Ihm Werte vermitteln, ihm alles beibringen, bis er wieder zu Hause ist. Die Reise dauert und du musst meine Familie suchen. Du musst auf jeden Fall weniger trinken und auf dich achten, er braucht dich! Niemand sonst hat uns hier in dieser Scheißgegend geholfen, mein Sohn ist verloren ohne dich. Bring ihn nach Sparta, nenne den Leuten dort meinen Namen und dann werden sie wissen, dass du nicht lügst. Es wird euch beiden gut gehen!«
»Ich bin doch schon so was wie der Mann hier im Haus. Und ich bin müde.« Satibarzanes legte ihm seine unangenehm schmeckende Hand auf den Mund, damit Kyriakos endlich schwieg. »Mach dir keine Sorgen, du überlebst und du kriegst deine Rache. Ich kümmere mich um euch. Denk nicht so viel nach, spiel du einfach die Mutter, bleib zu Hause und werde wieder gesund. Den Rest übernehme ich.« Er zog die Hand zurück und schloss die Augen. Dann schlief er ein.