Velia war eine sehr enge Vertraute der Krähe, der sie vieles zu verdanken hatte. Entsprechend loyal war die Lupa ihr gegenüber, denn jemand der einem einst das Leben gerettet hatte verriet man nicht. Außer Helvetius Archias gab es sonst nicht viele Menschen auf der Welt, die einen Zugang zum kalten, toten Herz der Velia gefunden hatten, am ehesten vielleicht noch ein Freund von ihr namens Kyriakos, auch wenn er anfangs nur ein gesichtsloser Kunde unter vielen gewesen war. Die weiteren ein oder zwei Figuren in dieser Beziehung waren wohl nicht weiter der Rede wert, die die am meisten für sie auf irgendeine Art und Weise zählten waren Kyriakos und Helvetius Archias.
Schon den ganzen Tag hatte sie an den starken Mann aus dem Ganymed gedacht, am besten sie würde später dann einmal bei ihm vorbeisehen, doch zuvor musste sie bei Corvus Bericht erstatten.
Im Korridor vor der verschlossenen Tür zum Officium stand Velia vor einem der beiden menschlichen Bluthunde, die immerzu ihren Herrn beschützten und wartete darauf, dass sie zu Archias vorgelassen wurde. Gelangweilt blies Velia die Luft aus ihren Backen und spielte mit einer Locke ihres feuerroten Haares. Ihr war langweilig und sie hatte nichts zu tun, weshalb ihre Gedanken die Zeit dazu fanden sich einmal wieder mit sich selbst zu beschäftigen, etwas was sie normalerweise vermied zu tun. Denn genau wie sie erwartet hatte spürte sie gleich wieder diese große unangenehme Leere in sich. Eine verrußte Abgestumpftheit gegenüber jeder Art von Freude, oder Vertrauen und an Liebe dachte sie gar nicht erst. Liebe war eine ihr fremde Emotion derer sie sich nicht fähig wähnte. Ihr Herz war zu kalt, um Feuer zu fangen.
Na toll und schon hatte sie wieder diese verdammte Melancholie unter Kontrolle, die sich immer regte, wenn sie sich einen etwas genaueren Blick in ihr Seelenleben gestattete. Von sich selbst genervt blies sie die Luft scharf durch die Nase aus.
Da endlich öffnete sich die Tür, was bedeutete, dass der gerade anwesend gewesene Hauptmann mittlerweile durch den Zweitausgang Archias' Büro verlassen hatte und sie selbst an der Reihe war. Mit ihren stechend grünen Augen blickte sie zur Tür und konnte schon wieder lächeln angesichts des bevorstehenden Treffens mit der Krähe. Es war, als wenn eine geistige Schranke in ihr heruntergefallen wäre. Klappe zu, Affe tot und schon spürte sie nichts mehr von ihrer inneren Leere, wo sie jetzt wieder ein Ziel hatte auf das sie sich konzentrieren konnte, wenn es auch bloß so etwas banales wie ein Gespräch war. Sie betrat das Büro und dort war auch schon der alte Mann mit dem grauen Haar, der sie bei seinem Anblick auf ihrer Zunge herumkauen ließ. Sie war fasziniert von diesem Mann und das auf verschiedenen Ebenen. Teils speiste sich diese Faszination von ihrer Sicht auf ihn wie auf einen Vater, oder einem Mentor, dann jedoch wiederum auch aus der Attraktivität eines potenten, älteren Mannes heraus mit jener maskulinen Austrahlung, wie sie kein Jüngling je zustande bringen mochte und auch sonst kein junger Erwachsener. Beides zusammen, Vaterfigur und die Attraktivität als Mann, ergab eine ziehmlich ungesunde Mischung an Gefühlen, doch Velia war das egal. Archias war wohl der einzige Mensch auf dem Planeten vor dem sie sogar so etwas wie eine devote Haltung zeigte.
So biss sie sich auf die Lippen beim Gang zum Stuhl vor Archias' Schreibtisch und setzte sich, wie ihr geheißen. "Salve, Corvus, ich habe in der Tat ein wenig etwas zu berichten."
Doch anstatt gleich weiterzusprechen wie von ihr verlangt, schloss sie den Mund wieder und hielt Archias mit ihrem Blick fixiert. Nach einigen Momenten des Schweigens begann sie die Krähe leicht anzugrinsen, wenn auch diese Gefühlsäußerung nicht ihre Augen erreichte.