Beiträge von Duccia Camelia

    Ein breites Grinsen erschien auf Ildruns Lippen und sie nickte begeistert. Ihre schlechte Laune von eben war zumindest ein wenig verebbt, einfach weil Naha ... na ja, wohl einfach Naha war. In Ildruns Welt gab es ständig irgendwelche Windmühlen, gegen die es anzukämpfen galt. Und meistens hatte diese Windmühlen ihr vorher ihre Mutter in den Weg gestellt, weil ihre Mutter so etwas immer tat. Das hatte sie schon immer, aber besonders seit Ildruns Vater nicht mehr da war, um sie auszubremsen oder Partei für seine Tochter zu ergreifen. Noch ein Grund, weshalb er ihr fehlte.


    Da tat es gut, dass Naha wiederum sie einfach verstand und sich eben nicht auf Octavenas Seite stellte, wenn Ildruns sich über sie beschwerte. Das kam selten genug vor und natürlich kam es Ildrun nicht in den Sinn, dass er Grund dafür vielleicht nicht darin lag, dass die ganze Welt gegen sie gewesen wäre. "Hast du Lust, raus in den Garten zu gehen? Hinten beim Bach gibt es eine gute Stelle, wo ein paar Bäume stehen, auf die man gut klettern kann." Tatsächlich war Ildrun öfter dort, auch weil das Wasser an besagtem Abschnitt so flach und ruhig war, dass sie ab und zu kleine Holzschiffe mit Farold dort hatte schwimmen lassen. Trotzdem war der Weg dahin uneben genug, damit ihre Mutter ihr normalerweise wohl nicht dorthin nachgegangen wäre, wenn Ildrun sich in einem der Bäume dort verkroch. "Wir müssen uns nur an meiner Mutter und den Angestellten vorbeischleichen, damit mich niemand verpetzt." Ihr Grinsen wurde noch ein wenig breiter und sie rappelte sich wieder auf, um dann mit einer Hand aufs Bett zu klopfen und so Papias sanft zu bedeuten, dass er es ihr gleich tun sollte.

    Ildrun runzelte nachdenklich die Stirn. "Aber ... was sollte denn auseinander fallen?", fragte sie ehrlich, denn im Grunde konnte sie sich nicht einmal vorstellen, was denn schon passieren sollte, wenn Naha ... was eigentlich? Einen Fehler machte? Und wenn schon, dafür war sie schließlich frei! "Ich meine ... Du kannst machen, was du willst. Geht's nicht genau darum?" Dabei hätte Ildrun nicht einmal sagen können, was sie mit so viel Freiheit, wie Naha sie hatte, angestellt hätte. Sie wusste nur, sie wollte mehr davon als sie jetzt hatte. Oder wenigstens weniger Kontrolle durch ihre ewig nervende Mutter.


    Sie beobachtete lächelnd, wie Papias sich drehte und Naha seinen Bauch zum Kraulen anbot. "Er mag dich", sprach sie leise das Offensichtliche aus, doch in ihrer Stimme schwang echte Anerkennung mit. Ildrun mochte Tiere und das nicht zuletzt, weil sie sehr ehrlich mit ihren Gefühlen sein konnten. Die beiden Wachhunde der Villa waren da keine Ausnahme und meistens waren sie deshalb besser darin, andere zu beurteilen als die meisten Menschen.


    Als Naha fortfuhr, seufzte Ildrun nicht zum ersten Mal während dieses Gesprächs leise auf und strich dabei vorsichtig Asper über den großen Kopf. "Natürlich nicht, er ist mein Bruder", sagte sie kaum hörbar, als würde das alles erklären. Ein wenig erklärte das auch wirklich alles: Farold war eine Nervensäge und sie stritt sich oft genug entweder mit ihm oder ihrer Mutter, aber Ildrun hatte schon immer auf ihn aufgepasst. Als sie Nahas Finger an ihrem Arm spürte, hob sie dann allerdings doch überrascht ihren Blick und blinzelte ein paar Mal überrascht. Es tat gut, zu hören, was Naha sagte, viel mehr als Ildrun hätte zugeben wollen, aber gerade der letzte Teil durchbrach dann doch einen Teil der Mauern, die sie sorgsam um sich hochgezogen hatte, und ein ehrliches Lächeln erschien auf ihren Lippen. "Danke", sagte sie und ließ dann von Asper ab, um stattdessen wortlos vom Bett zu gleiten und einmal fest die Arme um Naha zu schlingen und sie zu drücken. "Mit dir ist es hier ein bisschen weniger nervig als sonst."

    Ildrun blinzelte überrascht, lächelte dann aber. Sie hatte eigentlich eher damit gerechnet, sich von Naha das anhören zu müssen, was sie von allen zu hören bekam: Dass ihre Mutter es ja nur gut meinte und dass Farold eben ihr kleiner Bruder und sie für ihn verantwortlich war. "Genau!", gab sie deshalb etwas enthusiastischer als nötig zurück, woraufhin Asper kurz den Kopf hob und mit den Ohren zuckte. Ildrun warf ihm einen entschuldigenden Blick zu und streckte eilig wieder die Hand aus, um ihm beruhigend über den Kopf zu streichen und ihm so zu signalisieren, dass alles in Ordnung war, ehe sie den Kopf wieder zu Naha wandte. "Und ich bin's echt leid, dass mir immer alle sagen, dass ich übertreibe", fuhr sie genervt fort. "Ich passe immer auf Farold auf! Und außerdem ist er langsam sowieso alt genug, um auf sich selbst aufzupassen. Aber Mama ist da einfach ... komisch." Sie schnaubte. Ihre Mutter hatte sich schon immer ständig Sorgen um Farold gemacht, schon seit Ildrun zurückdenken konnte, aber manchmal hatte sie das Gefühl, dass das noch schlimmer geworden war seit ihr Vater gestorben war. Oder vielleicht wehrte sie sich selbst einfach nur seitdem mehr dagegen, in die Gluckerei ihrer Mutter mit hineingezogen zu werden.


    Seufzend begann Ildrun, Asper wieder hinter den Ohren zu kraulen, blickte bei Nahas nächsten Worten dann allerdings trotzdem wieder auf. Mit dem Kompliment hatte sie noch weniger gerechnet als mit der Zustimmung eben und zum zweiten Mal in kurzer Zeit konnte sie nicht ganz anders als überrascht zu lächeln. "Ich bin auch froh, dass du da bist", meinte sie ehrlich. "Es ist schön, wenn mich endlich mal jemand versteht. Ist lange her." Mit einem weiteren Seufzen ließ sie von Asper ab und drehte sich dann stattdessen zur Seite, um die Beine anzuziehen und ihre Arme um die Knie zu schlingen, während sie weiterhin Naha und Papias beobachtete. "Manchmal wünschte ich, ich wäre wie du. Dir redet niemand rein, was du tun sollst."

    Irgendwie wirkte Naha unruhig, aber Ildrun hatte keine Ahnung, wieso. Hier gab es ja weit und breit keinen Grund zur Nervosität. Oder hatte Naha etwa seit neustem Angst vor Hunden? Aber nein, das hätte Ildrun wahrscheinlich gewusst. So viel, wie sie sich selbst mit Asper und Papias auf dem Gelände der Villa herumtrieb, wusste sie eigentlich immer schnell, wenn irgendwer von ihrer Familie oder den Angestellten, sich auch nur unwohl in der Nähe der Tiere fühlte. Und dann hätte Naha wohl auch jetzt wohl kaum Papias die Hand hingehalten und obendrein auch noch versprochen, Octavena nichts zu sagen. "Danke." Ildrun lächelte erleichert und entspannte sich noch ein Stück weiter an der Tür, ehe sie nickte und ganz zur Seite trat. "Klar, komm rein." Sie ließ die Tür los und schlurfte wieder durch den Raum, um sich dann aufs Bett fallen zu lassen. "Ich bin sowieso nur hier, weil ich nicht raus kann. Mama will, dass ich dann Farold mitnehmen und auf ihn aufpassen soll, und ich hab keine Lust", erklärte sie missmutig ihr Problem des Tages. "Und weil sie bei sowas immer so eine blöde Spaßbremse ist, haben wir uns gestritten und dann hatte ich keine Lust mehr, raus zu gehen."

    Eigentlich wäre das Wetter gut genug gewesen, um sich draußen herumzutreiben. Und normalerweise tat Ildrun das auch sehr gerne, aber heute hatte sie wirklich keine Lust darauf. Sie hatte sich vorhin mit ihrer Mutter gestritten - mal wieder. Und Ildrun, stur wie eh und je, hatte sie im Zuge dieses Streites beschlossen, sich lieber im Haus in ihrem Zimmer zu verkriechen, als auch nur ansatzweise das zu tun, was ihre Mutter wollte. Das wiederum führte jetzt dazu, dass sie jetzt auf ihrem Bett saß und Asper, einem der beiden Wachhunde der Villa, sanft die Ohren kraulte, während sie leise auf ihn einredete, als würde er jedes Wort von dem verstehen, was sie sagte. Manchmal hatte sie ohnehin das Gefühl, dass das stimmte. "Guter Hund", murmelte sie gerade und richtete sich wieder ein wenig gerade auf, wodurch nun ihr Blick die Zimmertür streifte und unwillkürlich daran hängen blieb. Ildrun schnaubte leicht genervt und erhob sich dann vom Bett, immer drauf bedacht, den dösenden Hund darauf nicht zu wecken, ehe sie den Raum durchquerte und dabei auch dem zweiten der beiden Hunde vorsichtig auswich, der sich überraschend gutmütig für einen Wachhund auf den Boden mitten im Zimmer gelegt hatte. Hatte sie vergessen, die Tür richtig zuzumachen, als sie vorhin hineingekommen war, oder hatte sich das Holz inzwischen verzogen, wodurch sie einfach nicht mehr richtig schloss? Eigentlich egal, in jedem Fall hätte sie zu sein sollen.


    Mit einem Ruck riss Ildrun die Tür auf, um sie dieses Mal mit etwas mehr Schwung, dafür aber richtig zu schließen, erstarrte dann aber noch in der Bewegung, als sie eine Gestalt im Flur registrierte. Zuerst verfinsterte sich ihr Gesicht ganz automatisch, weil sie fast ihre Mutter erwartete, dann wurde ihr aber noch im selben Moment klar, dass es nicht ihre Mutter war, die da stand, und Ildruns Züge entspannten sich wieder. "Ach, du bist's nur, Naha." Sie seufzte erleichtert. "Ich dachte schon, meine Mutter will wieder irgendetwas. Was machst du hier?" Inzwischen erhob sich Papias hinter ihr von seinem Platz auf dem Boden und trottete neugierig zur Tür, um nun an Ildurn vorbei einen Kopf in den Flur zu strecken. Das Mädchen fluchte leise. "Verdammt", murmelte sie und verzog das Gesicht, ehe sie wieder bittend zu Naha sah. "Sag's nicht meiner Mutter, in Ordnung? Die nervt so schon damit, dass Asper und Papias angeblich nichts im Haus verloren haben." Nicht, dass Ildrun da je groß auf Octavena gehört hätte. Nur was ihre Mutter nicht wusste, konnte sie ihr eben auch nicht vorhalten, ganz einfach.

    Ildrun hatte die Szene zwischen Matidia und Sabaco zuerst mit einer gewissen Neugier und dann Langeweile beobachtet. Es war recht offensichtlich, dass er gerade versuchte, die hübsche Iunia zu beeindrucken, was Ildrun wiederum in die Situation brachte, dass sie herzlich wenig Lust hatte, sich in das Gespräch einzumischen, es aber gleichzeitig unpassend gewesen wäre, jetzt einfach zu gehen. Allem Anschein nach kannten die beiden sich bis gerade eben nicht und irgendwie fühlte es sich nicht richtig an, die andere mit einem Fremden allein zu lassen. Bei der Sache mit dem Tuch musste Ildrun dann zwar doch ziemlich deutlich grinsen, weil das bedeutete, dass der Matinius in seinem Beeindruckungsversuch nun doch Bekanntschaft mit dem Kontrollzwang von Petronia Octavena gemacht hatte, aber schon im nächsten Moment verschwand dieses Grinsen und sie konnte rollte stattdessen mit den Augen. Sie wusste, wie dieses Gespräch weitergehen würde, auch wenn sie nicht ganz genau verstand, was es war, das Matidia dem Matinius zuraunte. Aber zumindest das Wort "Barbaren" konnte Ildrun heraushören und damit war sie nicht nur gelangweilt, sondern genervt. Bis eben hatte sie die Iunia ja noch ganz nett gefunden, aber wenn sie jetzt irgendwelche Schreckgespenster und Ängste vor den Germanen breittreten musste, nur weil ein Decurio vor ihr stand, der sie aus für Ildrun unklaren Gründen beeindruckte, dann war auch Ildruns Interesse komplett weg.

    "Entschuldigt mich, ich glaube, da drüben ist ein Vetter von mir", verkündete sie also einfach und log damit nicht einmal, auch wenn das auf diesem Fest nichts Besonderes war, schließlich war ein Haufen von ihren Verwandten hier. Sie sah noch einmal zu Matidia hinüber. "Es war schön, dich kennenzulernen, Iunia." Sie wandte sich schon halb zum Gehen, grinste dann aber doch noch und sah ein letztes Mal über die Schulter. "Ich hoffe, du genießt unser Julfest noch." Sehr zufrieden mit dieser letzten Bemerkung grinste Ildrun weiter, inzwischen mehr zu sich selbst, und schritt damit auch schon davon ohne noch eine weitere Antwort abzuwarten.

    Es war nicht das erste Mal, dass jemand Ildrun Rom beschrieb, doch auch Matidia konnte für Ildrun nicht so richtig die Faszination entschlüsseln, die diese Stadt auf so viele Menschen auszuüben schien. Große und alte Gebäude gab es hier auch und auch wenn Rom sicher noch einmal eine andere Kategorie war, fand Ildrun die Idee einer riesigen Stadt, in der man von diesen Gebäuden vermutlich dauerhaft eingeengt wurde, alles andere als reizvoll. Bei Matidias Frage nach dem Leben hier dagegen blitzten Ildruns Augen dann amüsiert auf. "Sag du es mir, du bist schließlich gerade zu Gast bei welchen", gab sie mit einem leicht herausfordernden Unterton zurück, auch wenn sie natürlich begriffen hatte, was die Iunia eigentlich gemeint hatte. Oder wen. Nur ließen sich die freien germanischen Stämme jenseits römischen Einflusses und Familien wie die Duccier nicht immer so eindeutig trennen, wie sich das Römer manchmal vorstellten. Besonders die Römer, die nicht selbst hier lebten oder Germanien als anderen Gründen gut kannten. Ildruns Familie und auch sie selbst waren in vielerlei Hinsicht römisch - und das lag nicht nur an ihrer manchmal überrömischen Mutter - aber gleichzeitig waren sie eben auch Germanen, noch dazu welche mit einem Sitz im Thing. Beides war zugleich wahr und Ildrun war immer dazu erzogen worden, genau darauf stolz zu sein. Trotzdem lächelte sie im nächsten Moment wieder und als sie weitersprach, war ihre Stimme ruhig und ernst. "Hier ist es sicher", erklärte sie dann. "Schon immer. Dafür haben wir hier wohl sowieso mehr als genug Soldaten. Und ansonsten ... Natürlich gibt es immer mal wieder Ärger, aber davon hört man hier eigentlich immer nur." Sie zuckte mit den Achseln, lächelte dann aber breit. "Sonst ist es hier aber sehr schön. Im Winter kann es hier richtig kalt werden, noch viel kälter als heute, und dann liegt überall eine dicke Schicht Schnee und Eis. Und im Sommer, wenn das Wetter schön ist, gibt es eine Menge Dinge, die man draußen unternehmen kann." Sie hielt inne, als ihr bewusst wurde, dass sie gerade mal wieder von der Art Dingen schwärmte, die selten Fremde beeindruckten. "Dann sind auch manchmal Händler von weit her mit seltenen Waren in der Stadt." Das war allerdings weniger etwas, das Ildrun groß interessierte. Manchmal fand sie es zwar ganz schön, über den Markt in Mogontiacum zu streifen, aber wenn sie die Wahl zwischen der freien Natur und dem Forum hatte, hätte Ildrun immer die Natur gewählt.

    Sie legte ein wenig den Kopf schief. "Hast du eigentlich Familie hier oder seid du und deine Mutter nur zufällig hier gestrandet?", fragte sie und wusste nicht ganz, wieso sie dann den nächsten Satz sagte, weil das eigentlich nicht so wirklich ihre Art war, aber irgendwie war Ildrun die andere sympathisch genug, damit sie einfach nur einmal nett sein wollte. "Wenn ihr doch länger hier seid, kannst du bestimmt mit meiner Mutter reden. Die kennt hier fast jeden." Etwas, das Ildrun ja meistens mehr auf die Nerven ging, weil sie, je älter sie wurde, dann plötzlich auch Tod und Teufel kennenlernen sollte und darauf hatte sie wiederum so gut wie nie Lust.

    Ein Verlobter also. Das war zum Glück ein Thema, mit dem sich Ildrun noch nicht beschäftigen musste. Oder wollte. Sie war zwar alt genug, um zu begreifen, dass ihr nur noch ein paar Jahre blieben würden, bis sich auch das änderte, aber bis dahin hatte sie noch Zeit. Kurz überlegte Ildrun, Matidia jetzt auch für den Tod dieses Verlobten ihr Beileid auszusprechen, aber die Ältere wirkte nicht so als ob sie sein Tod tatsächlich nennenswert traf, also ließ sie es bleiben und legte stattdessen neugierig den Kopf schief. "Wie ist Rom so? Ich war noch nie irgendwo anders als in Mogontiacum", erwiderte sie und sah Matidia ehrlich interessiert an. Ildrun liebte ihre Heimat und konnte wie wollte sich nicht vorstellen, je irgendwo anders als in Germania zu leben, aber sie war trotzdem auch neugierig und mochte es auch, anderen, die weiter gereist waren als sie, zuzuhören, wenn die von fremden Orten erzählten. Dabei war sie weniger enthusiastisch als ihr jüngerer Bruder, aber es war ohnehin schwer, Farold in dem Punkt zu übertreffen.

    "Oh." Ildrun blinzelte ein paar Mal überrascht bei Matidias Offenheit über den Tod ihres eigenen Vaters. "Das tut mir leid", erwiderte sie dann und meinte das auch ehrlich so. Sie wusste nicht, ob die Iunia an ihrem Vater so gehangen hatte wie Ildrun an ihrem eigenen, aber für sie war es eigentlich selbstverständlich, dass der Tod des eigenen Vaters seinen Kindern wehtat. Fast hatte sie jetzt sogar ein wenig ein schlechtes Gewissen, die andere etwas zu direkt und ja fast schon unhöflich angesprochen zu haben, auch wenn das eine ja mit dem anderen nichts zu tun hatte. "Meiner ist letztes Jahr im Frühjahr gestorben. Seitdem hat hier meine Mutter so ziemlich das Sagen." Das stimmte so pauschal eigentlich nicht und wenn Octavena gehört hätte, wie ihre Tochter die Situation schilderte, dann hätte sie sicher widersprochen, aber gerade war sie nun einmal nicht da und damit konnte auch niemand Ildrun reinreden. Sie zögerte. "Ich hoffe, deiner Mutter geht es bald besser", fuhr sie dann fort. "Was habt ihr in Germania Inferior gemacht, wenn ihr auf dem Rückweg seid? Hast du Familie dort?" Für Ildrun mit der weit verzweigten Sippe ihres Vaters auf der einen und den verstreuten petronischen Verwandten in Hispania und Italia auf der anderen Seite war das mehr oder weniger der erste logische Grund, warum man irgendwohin so weit reisen sollte. Selbst ihre Mutter hatte es nach dieser Logik vor vielen Jahren nach Mogontiacum verschlagen, auch wenn sie dann hier geblieben war.

    ...

    Ildrun verkniff sich gerade so ein Grinsen bei der empörten Reaktion der fremden Iunia. Tatsächlich war Ildrun ja selbst im Haus mehr oder weniger berüchtigt für ihre Endlosdiskussionen über die Notwendigkeit - oder viel mehr die Nicht-Notwendigkeit - von Mänteln im germanischen Herbst und Winter, aber bei diesem Wetter trug sogar sie meistens ohne Murren mehrere Schichten. "Gehöre ich", bestätigte sie die Feststellung der jungen Frau und rieb sich dabei die Handflächen, um die Wärme, die sie eben am Feuer aufgenommen hatte, ein wenig länger zu halten. "Meine Mutter ist eine der beiden Gastgeberinnen und mein Vater war unser letztes Familienoberhaupt." Die Information über ihren Vater war eigentlich recht unnötig, aber Ildrun war stolz darauf, seine Tochter zu sein. Und obendrein war sie dadurch für Außenstehende ja auch nicht einfach nur irgendein Familienmitglied, sondern eines, das dem Ansehen und Reichtum ziemlich nahe stand, den ihre Familie sich in den letzten Jahrzehnten mühsam erarbeitet hatten. Sie musterte neugierig die Iunia vor sich. "Bist du neu in Mogontiacum? Ich glaube, auf unserer Feier letztes Jahr habe ich dich nicht hier gesehen."

    ...

    Ildrun hatte blendende Laune. Sie hätte nie zugegeben, dass sie damit etwas gemeinsam hatten, aber wie ihre Mutter liebte sie das jährliche Julfest in der Villa und im zweiten Jahr tat es auch nicht mehr so weh, die Feier ohne ihren Vater zu veranstalten wie im ersten. Und abgesehen davon, dass ihre Mutter darauf bestanden hatte, dass Ildurn sich angemessen herausputzte, hatte Octavena sie auch sowohl vor als auch während der Feier bisher in Frieden gelassen. Anders als die Jahre zuvor hatte Ildrun sich aber trotzdem bisher dagegen entschieden, mit ihrem Bruder und ein paar der jüngeren Kinder durch die Gegend zu laufen und wahlweise etwas zu spielen, anzustellen oder wenigstens auf Farold aufzupassen. Ein Teil von ihr hatte einfach keine Lust mehr darauf, aber gleichzeitig hatte sie auch wenig Lust, wie ihre Freundin Minicia Aviana ein paar der älteren Jungen nachzustarren. Gut, das lag auch daran, dass Aviana für einen von Ildruns entfernten Cousins schwärmte, der damit in Ildruns Augen per Definition zwar Familie, aber ein Trottel war, aber das hatte dazu geführt, dass Ildrun irgendwann allein zu einem der Feuer nahe des Eingangs losgezogen war.


    Dort stand sie nun und wärmte sich einen Moment die Hände, als ihr Blick auf eine junge Frau ein paar Schritte weiter fiel. Sie war definitiv ein paar Jahre älter als Ildrun selbst, aber ihrer Kleidung sah man an, dass sie eigentlich aus gutem Hause kommen musste, was Ildrun wiederum etwas stutzig machte. Nicht, dass sie sich großartig für das übliche gesellschaftliche Theater interessierte, das ihrer Mutter so wichtig war, aber eben weil so etwas Octavena wichtig war, kannte Ildrun einen guten Teil der Mädchen und jungen Frauen aus diesen Kreisen in der Stadt. Und diese Fremde kannte sie eindeutig nicht. "Du solltest dir vermutlich einen Mantel bringen lassen, wenn du nicht krank werden willst", sagte sie zu der Fremden und musterte sie neugierig. Definitiv eine Römerin, wenn Ildrun sich so ihre Kleidung und Frisur ansah, die - anders als Ildruns eigener Aufzug, der passend zum Anlass sichtbar an germanischer Mode orientiert war - so römisch aussahen, dass es Ildruns Mutter vermutlich neidisch gemacht hätte. "Wahrscheinlich hätten wir hier auch noch irgendwo ein Tuch, das du dir leihen könntest." Sie trat ein paar Schritte näher. "Ich bin übrigens Duccia Camelia."

    Das ließ sich Ildrun natürlich nicht zwei Mal sagen. Sie nahm zwar noch immer an, dass ihre Mutter - und in Erweiterung auch Marga - noch immer wenig davon halten würde, dass sie jetzt schon etwas aßen, aber wenn sie sagen konnte, dass der Cousin ihrer Mutter sie danach gefragt hatte, würde Octavena wahrscheinlich die Sache fallen lassen und auch Margas Anschiss würde sich wahrscheinlich in Grenzen halten. Die betagte Köchin der Duccier war zwar vielleicht eine der wenigen Leute in der Villa, mit der man sich nie anlegen sollte, aber sie verstand sich normalerweise eigentlich ganz gut mit Ildruns Mutter und widersprach ihr selten, wenn es um Ildrun und ihren Bruder ging.

    Also ging Ildrun inzwischen tatsächlich gut gelaunt voraus, um ihrem neuen Onkel besagten Bäcker und die Kuchen zu zeigen. Eigentlich, dachte sie sich dabei, war Varus ja ganz in Ordnung. Jedenfalls dafür, dass er zur Verwandtschaft ihrer Mutter gehörte. Nicht, dass sie irgendetwas davon laut ausgesprochen hätte. Oder sonst irgendwie offen zugegeben hätte. Denn dann hätte ihre Mutter am Ende mit etwas Recht gehabt - und das hatte sie schließlich selbstverständlich nicht.

    Ildrun lachte. "Na ja, irgendwer muss ja auf ihn aufpassen, oder?", meinte sie leichthin und grinste weiter. Meistens nervte sie Farold ja gehörig und wenn sie sich stritten, dann wusste sehr schnell das ganze Haus davon, aber er war eben trotzdem ihr kleiner Bruder und sie hatte sich schon immer deshalb für ihn verantwortlich gefühlt. Jetzt, wo so kurz nacheinander zuerst ihr älterer Bruder und dann ihr Vater gestorben waren, vielleicht sogar noch etwas mehr als früher.

    Sie gingen weiter und Ildrun erzählte ihrem Onkel das Bisschen, was ihr gerade so über die wichtigsten Familien Mogontiacums einfallen wollte - was zugegeben nicht viel war, aber sie war ja auch nicht die beste Ansprechpartnerin für so etwas. Das war die Art Dinge, die Dagmar oder Ildruns Mutter vermutlich besser wussten. "Aber wir sollten besser nicht zu viel essen", erwiderte sie auf den Vorschlag mit dem Essen, während sie gerade wieder das Forum erreichten. "Meine Mutter reißt uns den Kopf ab, wenn wir später beim Abendessen mit den anderen keinen Hunger mehr haben." Ein verschwörerisches Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel und ihre Augen blitzten fast schon etwas verschlagen auf, als ihr eine Idee kam. "Aaaaber es gibt hier ums Eck einen Bäcker, der verkauft die besten süßen Kuchen der Stadt. Die musst du auf jeden Fall probieren, das zählt also eigentlich schon als Sehenswürdigkeit!" Das Lächeln wurde zu einem ausgewachsenen Grinsen und sie deutete grob in die Richtung, in die sie mussten. "Komm, hier entlang."

    Ildrun runzelte die Stirn. Sie fand eigentlich nicht, dass sie so viel anders als andere Mädchen war. Sie war nicht besonders fügsam - oder wie sie eher gesagt hätte: langweilig - aber auch eigentlich nicht nur aufmüpfig. Das betraf vor allem ihre Mutter und ihre ewigen Regeln. Mit ihrem Vater hatte sie da viel besser gekonnt, nur der ... der war nun einmal tot. Und Ildrun hatte niemanden mehr, der es für sie mit ihrer Mutter aufnahm, wenn die wieder übertrieb. "Vielleicht", meinte sie also auf die Frage und zuckte erneut mit den Achseln. "Ich entscheide gerne selbst, was ich tue und nicht tue. Und ich bin gerne draußen, vor allem rund um die Villa", erklärte sie wahrheitsgemäß. "Da ist es schön. Und auf dem Bach in der Nähe lassen mein Bruder und ich manchmal Schiffchen fahren." Sie grinste. "Also vor allem er und ich passe auf, dass er dabei nicht ins Wasser fällt."

    Sie setzten sich gemeinsam wieder in Bewegung in Richtung Forum und nachdem sie dieses Mal mehr ein grobes, größeres Ziel hatten, ging auch Ildrun dieses Mal etwas weniger zügig voran. "Hm, die wichtigsten Familien?" Ildrun legte den Kopf schief. "Also da wären natürlich die Duccier, wir sind schon sehr wichtig." Sie grinste verschmitzt. "Mein Vater war hier lange Duumvir und meine Familie treibt auch viel Handel in der Provinz. Und na ja, die Petronier sind eigentlich auch schon wichtig. Als meine Mutter meinen Vater geheiratet hat, war Onkel Crispus eigentlich auch ganz einflussreich." Sie hielt inne und überlegte. "Der Vater meiner Freundin Minicia Aviana war auch mal Duumvir und zwei ihrer großen Brüder machen auch irgendetwas mit Politik, die sind wahrscheinlich auch alle wichtig. Und der Mann ihrer Tante ist glaube ich ziemlich reich und hat früher viel Geschäfte unter anderem mit meinem Vater gemacht." Nur bei dem wollte Ildrun der Name nicht mehr einfallen. Überhaupt hatte sie nur begrenzt Sinn für diese gesellschaftlichen Dinge. Sie merkte sich immer vor allem, wie wer im Verhältnis zu ihr und ihrer eigenen Familie stand.

    "Klar", meinte Ildrun gelassen auf den Vorschlag, dass sie Varus ja mal die duccischen Ställe zeigen könnte, und zuckte mit den Achseln. Er hätte die sich wahrscheinlich auch selbst ansehen und seine Fragen einfach Leif oder dessen Söhne stellen können - irgendwer von denen war sowieso immer dort unterwegs - aber Ildrun hätte auch nicht gewusst, was dagegen sprach, wenn sie ihn etwas herumführte. Für einen Onkel mütterlicherseits war Varus bisher eigentlich ganz in Ordnung und belehrte sie wenigstens nicht ständig und vielleicht würde es sich ja auch noch lohnen, ihn auf ihrer Seite zu haben. "Nicht viel", beantwortete sie dann kurz darauf seine Frage, was sie sonst noch so machte, wenn sie sich nicht gerade mit den Tieren beschäftigte. "Meine Mutter will immer, dass ich im Haus mithelfe und irgendetwas Langweiliges wie Weben oder so mache, aber darauf habe ich meistens keine Lust. Und wenn ich draußen bei den Tieren bin, muss sie mich erstmal finden und darin ist sie nicht besonders gut." Sie grinste selbstzufrieden. Der Gedanke, dass Octavena als Hausherrin vielleicht sehr wohl wusste, wo sich ihre Tochter so herumtrieb, sie aber trotzdem gewähren ließ, weil sie ihr einen Teil ihrer Freiheit lassen wollte solange sie sie noch haben konnte, kam ihr nicht in den Sinn. "Manchmal gehe ich mit irgendwem auch in die Stadt, aber das habe ich früher auch öfter gemacht als jetzt." Inzwischen kam sie sich, mit wenigen Ausnahmen, dann immer zu beobachtet vor. Selbst wenn ihre Mutter nicht dabei war: Auf mysteriöse Weise war die halbe Familie und der Rest des Hauses sowieso meistens auf Octavenas Seite, wenn sie wieder versuchte, Ildrun zu kontrollieren, und Ildrun hatte deshalb meistens deutlich weniger Lust als früher, mit irgendwem in die Stadt zu gehen und sich am Ende auch dann nur wieder irgendwelche Predigten anzuhören, aus denen sie sehr deutlich ihre Mutter hörte.

    "Hm, was ich für wichtig halte ..." Ildrun zögerte und dachte einen Moment lang nach. Mogontiacum war vertraut, hier war für sie irgendwie alles wichtig und unwichtig zugleich. Doch dann zuckte sie einfach mit den Achseln. "Ich schätze, das Forum ist recht wichtig, oder?", meinte sie dann und begann in Ermangelung einer besseren Idee, den Weg zurückzuschlendern, den sie gekommen waren. "Und von da aus ist man auch in der Nähe von allem wichtigen."

    Ildrun lächelte zufrieden, als Varus seinen Fehler selbst bemerkte und sich eilig korrigierte. Eins zu null für die Nichte. "Bin ich auch", stimmte sie ihm zu und streckte, ohne es richtig zu merken, den Rücken etwas weiter durch. Nicht, dass hier jemals Zweifel aufkamen oder auch nur aufkommen konnten, wo hier ihre Loyalitäten lagen. Auch nicht bei einem Cousin ihrer Mutter, der sich merklich noch hier orientieren musste.

    Nun wieder besser gelaunt kam sie tatsächlich ein wenig ins Plaudern über Mogontiacum und ohne es zu bemerken, beschleunigte sie dabei auch wieder ein wenig ihre Schritte, dieses Mal allerdings ohne zu registrieren, dass ihr Onkel erneut Schwierigkeiten hatte, mit ihr mitzuhalten. "Natürlich mag ich Pferde", erwiderte sie dabei, gerade so als wäre das absolut selbstverständlich. "Hunde auch. Eigentlich fast alle Tiere." Zumindest das mit den Hunden war vermutlich keine große Neuigkeit mehr, schließlich sorgte ihre Zuneigung zu den beiden Wachhunden der Villa Duccia regelmäßig für Diskussionen im Haus, insbesondere zwischen Ildrun und ihrer Mutter. "Aber von meiner Mutter würde ich mir die Ställe nicht zeigen lassen. Die hat keine Ahnung von Pferden." Was nicht bedeutete, dass es eine so viel bessere Idee gewesen wäre, sie sich von Ildrun zeigen zu lassen. Sie trieb sich zwar gerne bei den Ställen rum und war an die Tiere gewöhnt, meistens war das allerdings mehr eine ihrer Strategien, um sich vor ihren eigentlichen Aufgaben zu drücken.

    Während sie so plapperte, dirigierte Ildrun Varus in Richtung der Casa Petronia und blieb dann dort vor dem verlassenen Haus erst einmal stehen. Im Moment war das Gebäude wirklich herzlich langweilig und uninteressant, einfach weil niemand da war. Ihr Blick glitt kurz zu ihrem Onkel. Vielleicht würde sich das ja jetzt ändern? "Ich hab's ja gleich gesagt", verkündete sie dann altklug, als auch Varus zu dem Schluss kam, dass das Haus so langweilig war, wie es nur sein konnte, und machte direkt wieder kehrt, doch schon nach ein paar Schritten wurde sie wieder langsamer und sah Varus fragend an. Wenn sie ehrlich war, dann wusste sie gar nicht so recht, wohin sie als nächstes sollten. "Was willst du denn noch sehen? Meine Mutter hat mir gar nicht gesagt, was genau ich dir alles zeigen soll."

    Ansehen für die Familie also. Das ergab vermutlich Sinn. Wahrscheinlich wollte jeder seine Familie stolz machen, jedenfalls in Ildruns Welt. Ihre eigene mochte manchmal nerven, aber sogar Ildrun wäre nie auf die Idee gekommen, ihnen ernsthaft Schande bereiten zu wollen. Dafür war sie viel zu stolz darauf, zu ihnen zu gehören. Das war aber auch gleichzeitig ein Grund, warum der Rest des Satzes sie trotzdem dazu brachte, beiläufig die Brauen zu heben. "Ich habe einen Onkel* bei der Legio", sagte sie dann. "Einer der Vetter meines Vaters, der sogar im Bürgerkrieg gekämpft hat. Und der Bruder* meines Vaters ist zu den Prätorianern." Sollte er sich ruhig zusammenreimen, dass es auch Germanen gab wie die, zu denen Ildrun und ihre Familie gehörte. Solche, die zwar noch immer Germanen waren, aber eben gleichzeitig auch römische Bürger und es im Dienst des Reiches weit brachten, sei es in der Politik oder beim Militär. So, wie ein guter Teil ihrer Familie.

    "Es ist ein guter Ort, um hier zu Hause zu sein." Nun grinste Ildrun doch wieder besser gelaunt zurück und ging wieder etwas federnder vorwärts. "Aber noch besser als die Stadt ist eigentlich das Gelände um die Villa. Hast du dir von Leif schonmal die Ställe zeigen lassen? Ich bin da gerne, wenn meine Mutter mir nicht gerade wieder damit in den Ohren liegt, was ich eigentlich tun sollte." Langsam, aber sicher kam nun die Casa Petronia in Sicht und Ildrun blieb schließlich vor dem verlassenen und versperrten Haus stehen. "Da wären wir. Siehst du? Ziemlich langweilig."


    Sim-Off:

    * Beide IDs sind SimOff im Exil, nur das weiß Ildrun natürlich nicht ;)

    Ildrun zuckte mit den Achseln. "Na ja, viel gibt es da ja sowieso nicht zu erzählen. Er hat sich ja schon vor einer Ewigkeit aufs Land zurückgezogen", meinte sie schlicht. Sogar sie erinnerte sich kaum an den Mann und seit der letzte Cousin ihrer Mutter, der noch hier in der Stadt gelebt hatte, gestorben war, hatte es nie Verwandtschaft von petronischer Seite in Mogontiacum gegeben. Familie, das waren für Ildrun eigentlich immer nur die Duccier gewesen. "Was machst du überhaupt hier?", fragte sie dann rundheraus. "Meine Mutter sagt immer, ihre Familie sei eigentlich fest in Hispania zu Hause. Abgesehen von denen, die zur Legio gegangen sind." Und natürlich ihrer Mutter selbst. Aber selbst die war mehr oder weniger auf den Spuren der Legio in Mogontiacum herausgekommen, weil es eben ihren Onkel hierher verschlagen hatte. Zu ihrem Glück, wie Ildrun fand. Immerhin hatte sie hier Ildruns Vater kennengelernt.

    "Vielleicht", erwiderte sie dennoch nachdenklich, als Varus sie beruhigte, dass ihre Mutter vielleicht gleichzeitig Germanien liebte und das Wetter in Tarraco vermisste. Der Gedanke nagte trotzdem etwas an ihr, während sie weiterging, und daran änderte auch nichts, dass Varus ihr versicherte, dass Tarraco und Mogontiacum nicht so unterschiedlich seien. Trotzdem ging Ildrun langsam weiter, um das Forum nun langsam hinter sich zu lassen und Varus weiter in Richtung der Casa Petronia zu führen. "Noch ein gutes Stück die Straße runter, aber da vorne ist es dann schon", erklärte sie dabei, war sich aber langsam unsicher, was sie noch weiter dazu sagen sollte. Das, was sie über die Casa wusste, hatte sie ihm schon erzählt und besonders interessant fand sie das Thema sowieso nicht. Dann blieb sie doch lieber beim Wesentlichen und führte ihn einfach hin.

    "Oh, ja, das ist sie", stimmte Ildrun Varus' Einschätzung ihrer Mutter zu und schnaubte auf eine Weise, die deutlich machte, dass sie das nicht nur für etwas Gutes hielt. Im Grunde war sie ja selbst Römerin - aber eben nicht nur. Und ihre Mutter war im Gegensatz dazu in Ildruns Welt mehr oder weniger so römisch, wie man nur römisch sein konnte und nervte damit öfter als sie es nicht tat. Sie sah über ihre Schulter und verlangsamte ihre Schritte ein wenig, als ihr auffiel, dass sie wohl etwas zu schnell unterwegs gewesen war, während sie ihren Onkel von der Casa Petronia erzählte. "Hier entlang", erklärte sie und deutete lose in die Richtung, in die sie ohnehin unterwegs war, um ihrem Angebot Folge zu leisten und ihm das Haus der Familie ihrer Mutter in der Stadt zu zeigen. "Hier wird es im Sommer auch heiß", meinte sie dann, während sie nun etwas gemäßigter über das Forum marschierte, und runzelte die Stirn. Natürlich, sie wusste, dass es im Süden heißer wurde als hier, aber so einen großen Unterschied konnte das wohl kaum machen. "Und so kalt sind die Winter hier gar nicht. Oder wenigstens nicht immer." Bei seinen nächsten Worten hielt Ildrun dann aber doch kurz inne. Die Idee, dass ihre Mutter Tarraco vermissen könnte, war ... merkwürdig. Sie hatte hier doch alles. Und sie lebte schon eine Ewigkeit in Germanien, noch länger als Ildrun überhaupt lebte. "Warum? Sie ist doch jetzt hier zu Hause." Ildrun schüttelte entschieden den Kopf. Es mochte hier kälter sein als in der Heimat ihrer Mutter, aber es war hier doch schön. Wie hätte es da ihre Mutter von hier weg ziehen können? Der Gedanke versetzte Ildrun ein mulmiges Gefühl. Sie weigerte sich in der Regel, darüber nachzudenken, aber sie war langsam alt genug, um zu begreifen, dass es eigentlich recht wahrscheinlich war, dass ihre Mutter irgendwann wieder heiratete. Und wenn sie heiratete, würde sie fortgehen und vielleicht sogar Mogontiacum verlassen und dann entweder Ildrun und ihren Bruder mitnehmen oder sie beide hier zurücklassen. Sie war sich nicht sicher, welche Variante ihr weniger gefiel. "Was soll denn Tarraco haben, was Mogontiacum nicht hat?"