Beiträge von Claudia Aureliana Deandra

    Obwohl ich die Regia wahrlich nicht zum ersten Mal betrat, konnte ich nicht behaupten, mich gut in diesem Komplex auszukennen. Daher empfand ich es als sehr angenehm, durch Marc die Bestimmung der verschiedenen Gebäude zu erfahren, an denen ich damals wie heute entlang schritt. Im Grunde musste eine Frau auch nicht über einen Orientierungssinn verfügen – schon gar nicht, an der Seite eines Mannes, der in dergleichen Dingen stets einen sicheren Eindruck machte. Und doch war es eine gute Schulung für das Gedächtnis, sich eine Art Lageplan im Kopf zu entwerfen.


    Mit einem „Ah“ oder einem „Hmhm“ kommentierte ich Marcs Hinweise und zeigte damit mein Interesse. Sollte er mich verwundert anschauen, würde ich ihn liebenswürdig anlächeln, das nahm ich mir vor.
    Dazu kam es jedoch nicht, denn wir waren, schneller als mir lieb war, am Ziel unseres kleinen Spazierganges angelangt. Etwas wehmütig blickte ich in die milde Nacht, die mir so geheimnisvoll und verlockend in Marcs Begleitung erschien.


    Dann jedoch wandte ich mich der erleuchteten Eingangshalle, dem bereits hier zu vernehmenden Stimmengewirr und den ersten Gesichtern zu, die mir vorgestellt wurden. Die genannten Namen und Posten speicherte ich wie zuvor die Gebäude in meinem Gedächtnis ab. Zwar konnte ich mir Namen zumeist schlecht merken, aber bei nur zweien sollte das recht gut klappen. Die Frau, die Marc als nächstes ansteuerte, kannte ich so wenig, wie vermutlich er, denn er sprach sie nicht namentlich an. Ich hielt mich vorerst zurück, vertraute Marcs Führung und seiner Umgangsart. Wenn jemand für mich Relevantes vor mir stehen würde, würde er es mich sicher wissen lassen oder uns eben gegenseitig vorstellen.

    Augenblicklich erstarrte ich in meinen Bewegungen, nur die Augen suchten die Fläche vor mir ab. Doch es war nichts zu sehen. Vermutlich machte ich eine seltsame Figur, denn ich war mitten im Schritt verharrt, traute mich aber nicht, mich zu weiterzubewegen. Mit den Augen suchte ich den Blickkontakt zu Loki.


    „Jetzt hörst du es auch?“, fragte ich so leise, dass er womöglich gezwungen war, die Worte von den Lippen abzulesen.


    Dem leisen Zischen folgte ein Vibrieren der Luft, die ich just in diesem Augenblick als eisigen Hauch im Rücken spürte, der mich durchdrang, mich frösteln ließ, die kleinen Härchen aufstellte, und obwohl er im nächsten Augenblick weiter zog, die Kälte in mir zurückließ.


    Was blieb, war das Zischen, auf das ich mich jedoch nicht mehr konzentrieren konnte, weil die Kälteschauer überhand nahmen und mich dauerhaft zittern ließen. Mit blasser Haut und blutleeren Lippen stand ich regungslos und versuchte mir die Vorgänge zu erklären, bevor ich zu Loki blickte.


    „Hast du das auch gespürt?“, fragte ich in dem Maße bibbernd, dass mir die Zähne aufeinander schlugen.

    Hatte ich anfangs geglaubt, ich würde mich in Germanien zu Tode langweilen, musste ich inzwischen feststellen, dass die letzten Wochen recht passabel mit Abwechslung, ja selbst Aufregung gefüllt waren. Allerdings musste ich mir eingestehen, dass weniger die Provinz als vielmehr ich selbst dafür verantwortlich zu machen war. Heute jedoch gab es ein gesellschaftliches Ereignis, dem ich mich nicht entziehen konnte und auch nicht wollte, weil bei den Spielen Gespanne aus dem aurelischen Zuchtbetrieb an den Start gehen würden.


    Um die Factio und die Familie gut repräsentieren zu können, ließ ich mir die Haare besonders aufwendig herrichten und mir eine meiner Lieblingstuniken anlegen, die ich mir durch einen Nähbetrieb, der die zu verarbeitenden Stoffe über Fernkontakte bezog, eigens für mich hatte anfertigen lassen. Ein lieblicher Duft, dessen Konzentration von mir stets derart gewählt wurde, dass er vornehmlich dem nahe Hinzutretenden gewahr wurde, gehörte ebenso zu meiner heutigen Aufmachung wie ein seidiges Tuch in goldener Farbe, das ich zum Gruß für unsere Lenker schwenken wollte.


    Als ich der Sänfte entstiegen war, blickte ich mich nach Corvinus um.

    Auch wenn ich äußerlich sehr selbstbewusst wirkte, meine Augen, die jede Regung seines Gesichtes verfolgten, die fortwährend Mimik und Gestik prüften, verrieten eine Spur Unsicherheit. Natürlich hätte ich das niemals offen zugegeben, nur ein genauer Beobachter konnte es erkennen.
    So unentschieden, wie ich mich fühlte, so offen war auch das Verhalten, das ich in kürze zeigen würde. Ich stand einerseits in den Startlöchern, um mich bei grober Kritik vehement verteidigen zu können, und anderseits war es ebenso denkbar, dass ich mich durch geschickte Äußerungen seinerseits, entspannen und womöglich zugeben konnte, entgegen den üblichen Normen gehandelt zu haben. Alles war möglich, voller Spannung wartete ich auf seine Reaktion. Und die fiel überraschend gut aus.


    Ich atmete beruhigt aus, als er anmerkte, dass die neue Haarfarbe ja nicht soo schlecht aussah. Dieses Eingeständnis war schon fast mehr als ich bei seinem zunächst geschockten Gesichtsausdruck erwarten konnte. Und wenn er zugab, dass die neue Farbe nicht schlecht aussah, dann musste sie ihm wohl tatsächlich gefallen, denn ich kannte ja Marc, er konnte bei seiner Meinungsäußerung mitunter erbarmungslos sein. Ein Lächeln der Erleichterung und des Glücks erhellte mein Gesicht. Sekunden später gefror es jedoch ein.


    "Ich … Ich sehe, wie? … Du meinst tatsächlich, ich sehe braungebrannt aus?", wiederholte ich entsetzt, legte die Hände an die Wangen, starrte ihn aus aufgerissenen Augen an, bis mich schließlich nichts mehr hielt und ich mich abrupt erhob, zunächst wie angewurzelt verweilte, doch kurz darauf in hastigen Schritten das Triclinum durcheilte – hin und her und wieder hin, dabei noch immer die Hände an die Wangen haltend.


    Erst nach einigen Durchquerungen hielt ich inne und bemerkte, dass er mir irgendetwas erzählte, dessen Sinn ich nicht verstand, weil mir der Anfang fehlte.

    ‚Oh, oh’, dachte ich, als sich Marcs Gesichtsausdruck merklich wandelte. Der Ungläubigkeit, die mich zunächst belustigte, folgte ein Zustand, den ich als Missbilligung einsortierte, und anschließend war dem Augenausdruck, der Stimme und den Gesten das blanke Entsetzen zu entnehmen.


    „Ich bin noch immer eine Römerin“, erwiderte ich mit Überzeugung in der Stimme, als er mich alleine wegen der Haarfarbe einem anderen Volk zuordnen wollte. Offensichtlich war seine Erschütterung groß, denn ansonsten urteilte er nicht so oberflächlich.


    Ich seufzte leise, denn natürlich war mir seine Meinung nicht unwichtig. Hinzu kam, dass ich ihm selbstverständlich gefallen wollte – das allerdings nicht unter Aufgabe meiner Vorstellungen: Ich besaß meinen eigenen Kopf, hatte meinen eigenen Geschmack, verfolgte meine Pläne und trat demnach auch für meine Ansichten ein. Bei dem Gedanken, dass er ja immerhin in der glücklichen Lage war, mir als mein Auserwählter nahe sein zu dürfen, schmunzelte ich.


    Nun jedoch galt es zunächst, meine veränderte Optik zu verteidigen. Wobei – warum eigentlich verteidigen? Ich beschloss, mich nicht zu rechtfertigen, sondern die neue Haarfarbe bestmöglich darzubieten. Dafür drückte ich die Schulterblätter noch eine Idee weiter zusammen und hob eine Winzigkeit das Kinn, was die ohnehin selbstbewusste Ausstrahlung noch um eine Nuance erhöhte.


    „Selbstverständlich zeige ich dir mein neues Haar, es ist wunderschön geraten“, kündigte ich mit einem süßen Lächeln an. Gleichzeitig griff ich mit beiden Händen an die Stirn und schob den seidigen Schal ein wenig zurück, bevor ich ihn mit der rechten Hand gänzlich über den Kopf streifte. Noch immer lächelnd, bewegte ich den Kopf zweimal hin und her, sodass die Haare, die zunächst über die Schultern gefallen waren, lustig durch die Gegend flogen.
    Als ich ihn erneut anschaute, um seine Reaktion abzuwarten, umrahmten helle Wellen mein Gesicht. Ich trug das Haar selten offen, aber da es durch die Behandlung weder stumpf noch struppig geworden war, sah es auch in unfrisiertem Zustand gepflegt aus.

    „Oje, das klingt ja besorgniserregend“, scherzte ich, als ich Marcs Ächzen beim Erheben hörte. Ich lächelte ihn an, drehte aber schnell den Kopf zu Seite.


    Ich wusste nicht warum, aber immer, wenn wir uns nicht regelmäßig sahen, kam dieses blöde Herzklopfen auf. Jedes Treffen besaß dann Anteile vom allerersten. Ich seufzte innerlich über meine Empfindsamkeit, schob sie allerdings schnellstens beiseite, denn nichts wäre dummer gewesen, als die Umarmung und den Kuss nicht zu genießen. Mir wurde die Tatsache bewusst, dass stets einer Berührung der Lippen ein Lächeln meinerseits folgte, oder einer Umarmung das Anschmiegen, ganz so, als gäbe es eine unwillkürliche Verkopplung dieser Handlungen. Doch der Gedanke währte nicht lang.
    Im nächsten Augenblick wechselte ich die Hand, die den Turban hielt, damit ich die richtige für eine ebenfalls zwangsläufige Reaktion frei hatte: Ich legte sie auf seinen Oberschenkel - eine Region, die ich ohnehin mochte, eine Geste, die für mich typisch war.


    Seinen Ausführungen über die Aussichten der nächsten Woche folgte ich schweigend. Es war angenehm, bereits im Voraus davon Kenntnis zu erhalten.
    Als seine Frage nach meiner Kopfbedeckung kam, erschien erneut ein Lächeln, das sich in seiner Intensität fortlaufend steigerte, bis ich schließlich leise kichern musste.


    „Jaaa … ich hatte da so einen Einfall“, begann ich zu erklären, bevor mich ein weiteres Schmunzeln am Erzählen hinderte. Flüchtig strich ich mir mit der freien Hand über die Stirn, bevor ich sie erneut auf seinem Bein ablegte. Ich fragte mich, wie er wohl reagieren wird, konnte er aber nur erahnen.


    „Öh, also ich dachte, schwarz ist so langweilig auf Dauer. Die Frauen in Germania haben oft so wunderschöne helle Haare.“


    Ich betrachtete zunächst den Fußboden, bevor ich ihm in die Augen sah.


    „Ich habe das mal ausprobiert.“ Jetzt war es raus. Ich war erleichtert und wartete mehr als gespannt auf seine Reaktion.

    Den Humor hatte Cousine Helena jedenfalls nicht in Spanien verlernt.


    „Das war ein gelungener Scherz, Ballspiele in Hispania verlernt zu haben“, erwiderte ich und lachte einmal auf, bevor ich die letzten Einzelheiten mit Aintzane besprach.


    Anschließend folgte ich Helenas Schilderungen, den Garten der Tante betreffend. Ich zuckte mit einer Schulter, als ich antwortete.
    „Ja, die Geschmäcker sind vielleicht auch verschieden. Außerdem gehört die Tante ja einer anderen Generation an.“
    Geschmack änderte sich manchmal - bei einem schneller, beim nächsten langsamer und bei manchem gar nicht. Ich hatte diese Tatsache schon des Öfteren festgestellt. Bei Helenas nächstem Vorschlag hob ich allerdings abwehrend die Hände.


    „Nein, Camryn auf keinen Fall.“ Von dieser Sklavin hatte ich vermutlich bis an mein Lebensende genug. „Aber deine Idee mit den Rankpflanzen finde ich gut. Es ist gar nicht so lange her, da habe ich einmal einen ganz besonderen garten besucht und bin in einen mit vorwiegend Grünpflanzen bewachsenen Pavillon getreten. Es war, als sei man dort in einer anderen Welt. Sehr schön“, fügte ich versonnen an, ließ einige Augenblicke verstreichen, ohne es zu merken, war dann aber wieder bei der Sache.

    „Ja, ähem …“ Mir wurde bewusst, wie verwirrt ich klingen musste, wenn ich von der Tatsache berichten würde, dass ich die Laute nur im Laufen wahrnahm. Kurzzeitig überlegte ich, ob ich zu lange der Sonne ausgesetzt gewesen war oder vielleicht unter Wassermangel litt, der eine Erklärung für die unerklärlichen Vorgänge darstellen konnte, hielt aber diese Überlegungen für ebenso abwegig wie eine mögliche Sinnestäuschung.


    „Lass uns in östlicher Richtung gehen. Das bedeutet zwar einen Umweg, wie ich annehme, aber ich habe so eine Ahnung, als würde sich das für uns auszahlen.“


    Mit einer Kopfbewegung wies ich die Tragsklaven an, sich in Bewegung zu setzen. Ein durchaus belustigtes Lächeln, oder vielmehr ein Grinsen, legte sich auf mein Gesicht, als ich Assindius an mir vorbeischaukeln sah, weil der Anblick nicht nur ungewöhnlich, sondern gleichzeitig auch amüsant war. Es war offensichtlich, dass mein Leibsklave derartige Transporte in der Regel aus einer anderen Perspektive erlebt hatte. Ich folgte schmunzelnd der Sänfte und war bemüht, nicht im Besonderen auf Geräusche zu achten, aber das Wispern drang erneut in mein Gehör und fesselte meine Gedanken. Mit auf den Boden gehefteten Blick setzte ich einen Schritt vor den anderen, war in meiner Aufmerksamkeit abgelenkt und bemerkte nicht, wie sich die Umgebung unmerklich veränderte.


    Eine erhöhte Feuchtigkeit lag in der Luft, die zudem weniger frisch erschien. Der bislang relativ trockene Waldboden wies immer häufiger feuchte Stellen auf, die sich vor allem seitlich des schmalen Weges ausbreiteten. Mückenschwärme tanzten in den immer seltener werdenden Sonnenflecken und belästigten mehr und mehr die wandernden Menschen...

    Alle waren so weit, aber keine machte Anstalten, die Exkursion fortzusetzen. Ich schaute mich ratlos um, zuckte schließlich mit den Schultern und setzte mich in Bewegung.


    „Wo also geht es nach Bingium? Ich wollte hier keine Wurzeln schlagen.“


    Für den Fall, dass ich die falsche Richtung eingeschlagen hatte, würde mich Loki schon stoppen, das war mein Gedanke, als ich drauf zu schritt. Der Ort, an dem ein stattlicher Bär auf überflüssige Weise sein Leben gelassen hatte, besaß für mich keine Anziehungskraft, im Gegenteil: Ich wollte schnellstens hier fort.
    Eine Lücke im Bewuchs des Waldrandes, die ins Auge fiel, war mein Ziel. Je näher ich den Bäumen kam, umso mehr hatte ich den Eindruck, als schwang irgendetwas in der Luft, das ich weder zuordnen noch orten konnte. Irritiert blieb ich nach wenigen Schritten stehen und hob eine Hand zum Zeichen, dass alle still sein sollten. Ich lauschte jedoch vergeblich, das Geräusch war fort.


    Mit einem Kopfschütteln setzte ich mich in Bewegung, registrierte erneut das leise Rauschen, das mal einem Surren, mal ein Wispern glich, versuchte intensiv zu ergründen, was es war, gab aber schließlich auf. Wohlweislich kontrollierte ich den Stoff meiner Tunika, während der nächsten Schritte, weil ich annahm, das ich selbst für meine absonderliche Wahrnehmung verantwortlich war, aber das Schwingen des Stoffes und das Surren befanden sich nicht im gleichen Takt. Ratlos blickte ich zu meinen Begleitern zurück.


    „Ihr hört nichts, oder?“


    Wie konnten sie auch? Schließlich umgab mich selbst wieder Totenstille, als ich unschlüssig vor den ersten Bäumen stand. Ich wusste zwar, dass ich noch nie unter Einbildung oder Hörproblemen gelitten hatte, sah aber gleichzeitig die Unmöglichkeit ein, jemanden an meiner Wahrnehmung teilhaben zu lassen. Mir kam in den Sinn, selbst den Weg zu bestimmen, und zwar anhand dieser Geräuschquelle. Wenn niemand hörte, was ich hörte, konnte es auch sein, dass dies so gewollt war, von wem oder was auch immer diese Laute ausgingen. Oder hatte vielleicht einer der anderen doch dieselbe Wahrnehmung gehabt? Ich schaute meine Begleiter fragend an.

    Mit einem ungläubigen Ausdruck auf dem Gesicht betrachtete ich Assindius, ohne jedoch zunächst etwas zu sagen. Ich begriff nicht, warum er nicht auf meinen Vorschlag einging. Der Germane wäre sicherlich auch erleichtert gewesen, wenn er meinen Sklaven nach Mogontiacum hätte bringen können. Manchmal waren Männer schwer zu verstehen, und gerade jetzt gab ich mir keine Mühe, das Unmögliche zu vollbringen. Ich schüttelte den Kopf, als ich ihn ansprach.


    „Na gut, das musst du wissen. Allerdings halte ich deine „Kratzer“ für erheblich. Leider habe ich keinen Spiegel mitgeführt, dann könntest du dich von deiner Rückansicht einmal selbst überzeugen. Bist du sicher, dass du nicht schlapp machst? Wobei … ich könnte dir den Platz in der Sänfte anbieten. Genau, so machen wir das. DU wirst getragen, Aintzane und ich laufen – keine Widerrede.“


    In diesem Moment erhob Loki die Stimme. Ich wandte mich ihm zu und hörte erfreut seine Vorschläge, die mir sogleich ein Lächeln entlockten.


    „BOGEN klingt gut, so machen wir das. Ja, Wölfe wären nicht schlecht, das sind eher scheue, aber zugleich interessante Tiere“, erwiderte ich lächelnd. Dieser Germane glaubte doch nicht etwa, er könne mich ins Bockshorn jagen. Mit Tieren kannte ich mich recht gut aus. „Hoffen wir aber einmal, es möge lieber ein Troll sein.“


    „Was auch immer das nun ist“, fügte ich murmelnd an. „Ich bin auch soweit“, sagte ich wieder laut vernehmlich und schaute auffordernd in die Runde.

    Zitat

    Original von Loki
    "Wir sollten zurück nach Mogontiacum, es ist schon spät. Wir hatten unsere Erscheinung. Oder wollt ihr noch mehr Menschenleben gefährden?"


    „Wir hatten unsere Erscheinung?“, wiederholte ich ungläubig, beinahe verständnislos. „Das war kein Gott oder Geist, sonst wäre er jetzt nicht tot. Und ich weiß immer noch nicht, ob dies nun eine Bärin mit Jungen war, eine ohne Nachwuchs oder ein männliches Tier. Bevor ich nicht eine Antwort erhalte, bewege ich mich keinen Schritt weg.“ ‚Oder ich begebe mich selbstständig auf die Suche’, fügte ich in Gedanken an.


    Trotz kam in mir auf, weil ich mir nicht eingestehen wollte, dass der Ausflug keinen günstigen Verlauf genommen hatte. Ich verspürte Ärger, der sich beinahe auf jeden richtete: Auf Loki, den ich insgeheim bereits als Bärentöter verurteilt hatte, auf Assindius, weil er sich so schwer hatte verletzen lassen, sodass eine Fortführung der Erkundungstour mir kaum mehr möglich erschien, auf Aintzane, wo auch immer sie so plötzlich herkam, weil sie es war, die den Bären angelockt hatte, obwohl sie doch nur nach diesem Schatten sehen sollte, auf die Tragsklaven, die …
    ‚Moment, das war DIE Idee’, dachte ich, während ich mir gleichzeitig an den Kopf griff, weil ich nicht gleich darauf gekommen war.


    „Loki, bring meinen verletzten Sklaven möglichst umgehend in die Villa Aurelia. Dir wird dort für diesen Dienst ein großzügiges Entgelt gezahlt werden.
    Aintzane, wir machen einen kleinen Umweg per Sänfte.“

    Ein belustigtes Lächeln begeleitete das Hochziehen der Augenbrauen, als Helena erklärte, sie spiele schon lange keine Ballspiele mehr. War es ein Aufbegehren, das sie zu dieser ungewöhnlichen Äußerung veranlasst hatte? Die Frage war nur: Wogegen lehnte sie sich auf? Aus Prinzip gegenüber jedem, der älter als sie war und damit über ein gewisses Bestimmungsrecht verfügte? Eine andere Erklärung wollte mir partout nicht einfallen - es war also kindlicher Trotz.
    Ich zuckte mit der rechten Schulter und beschloss, diese Tatsache zu ignorieren.


    „Nun, wenn du nicht spielen möchtest, ich schon“, erwiderte ich mit Bestimmtheit. Ballspiele waren aus dem Leben ebenso wenig wegzudenken wie Sklaven, das Alter spielte dabei keine Rolle. Vermutlich war Helena zu lange in Hispania gewesen und hatte den römischen Alltag vergessen.


    „Diese Stelle wird also definitiv zu einer Spielwiese umfunktioniert werden“, betonte ich nochmals, machte eine hoheitsvolle Geste mit der rechten Hand, die den mit Gartengeräten ausgestatteten Sklaven ihren ersten Einsatzort anwies, und setzte mich in Bewegung.


    „Aintzane, du betrachtest jeden der ausgegrabenen Büsche und prüfst seine Verwendung für dekorative Zwecke an einer anderen Stelle im Garten. Notfalls kann man sie ja auch in Form schneiden.“ Ich blieb grübelnd stehen, weil mir eingefiel, dass wir derzeit nur die Frühjahrserscheinung der Pflanzen beurteilen konnten. „Kennst du dich eigentlich mit nordischen Gewächsen aus?“, fragte ich meine Sklavin. „Ich wüsste gerne, wie die jeweilige Herbstbelaubung aussieht, denn ich habe gehört, dass in diesen Gegenden die Blätter wundersame Färbungen annehmen können.“


    Während Aintzane offenbar nachdachte, wandte ich mich wieder Helena zu.


    „Also Beete finde ich langweilig, Helena. Mir gefallen sich schlängelnde Rabattränder, die mit allerlei Bodendeckern, Blumen und Kleinstgewächsen bepflanzt sind, wesentlich besser. Ich möchte ein scheinbar natürliches Bild in diesem Garten erreichen, keine geraden Linien, keine gleich bleibenden Beettiefen, keine Ebenerdigkeit, sondern Wälle und andeutungsweise Miniaturtäler, keine übersichtliche, sondern eher eine verschlungene Anlage. Der Garten soll kein Labyrinth werden, aber auf keinen Fall eine langweilige und überschaubare ebene Fläche. Verstehst du?“


    Schließlich kam mir die Bemerkung wegen der Gewächssorten wieder in den Sinn.


    „Aintzane, weißt du, was in diesen kühlen Gegenden gedeiht? Wir brauchen Grün- und Blühpflanzen, die sich über den Frühling, den Sommer und den Herbst hinweg in ihrer Blüte abwechseln.“

    ‚Huch’, dachte ich, als für einen Augenblick Helenas freundlicher Gesichtsausdruck erstarrte. Weil sie aber im nächsten Moment wieder sanft blickte und ihre Antwort nett klang, schüttelte ich den Kopf und glaubte an eine Sinnestäuschung. Ich ging stets von mir aus, was bedeutete, dass ein Überspielen sämtlicher Emotionen unmöglich war.


    „Prima, das freut mich“, entgegnete ich daher im Glauben an die Richtigkeit meiner Einschätzung.


    Ich ließ den Blick über das Gelände schweifen, als ich nach einer Antwort auf ihre Frage suchte. Linker Hand befanden sich hohe Tanne, deren Gruppierung ansprechend war und die ich daher so belassen wollte. Unmittelbar davor befand sich allerdings Gestrüpp – anders konnte man die wilde Anordnung diverser Büsche und Sträucher nicht bezeichnen. Ich wies auf diese Stelle des Gartens.


    „Fangen wir am besten hier an und arbeiten uns dann systematisch vor.“Ich schaute nach oben, kontrollierte den Stand der Sonne und stellte Überlegungen über ihre Bahn an. Zwar konnte ich das nicht in gleicher Perfektion wie meine Brüder, aber etwas hatte ich mir dennoch aneignen können.


    „Die Baumgruppe steht etwa im Norden. Das heißt, wenn die Fläche davor nicht tagsüber beschattet werden soll, müssen die Tannen entlang der Süd-Ost-Grenze weichen. Dort könnte dann der Spielplatz angelegt werden, der dann von früh bis spät von der Sonne beschienen wird. Ich halte das in dieser kühlen Region für angebracht.“


    Nach kurzer Überlegung fügte ich an:


    „Sagen wir … 20 mal 20 Doppelschritt als Abmessung, das müsste für die meisten Ballspiele reichen, oder was meinst du?“


    Ich dachte, auch einem Kind könne man eine Meinung zugestehen, daher fragte ich sie.

    Ich betrachtete ein leckeres Feingebäckstück, als mir der Sklave die Nachricht von Marcs Eintreffen überbrachte. Rasch fand es den Weg in den Mund, ich strich die Hände aneinander ab, um mich auch von den letzten anhaftenden Krümeln zu befreien, und wollte schon das Cubiculum verlassen, als mein Blick in den Spiegel fiel. Ich verheilt den Schritt und überlegte geraume Zeit, denn mein Äußeres hatte sich erheblich verändert. Schließlich hatte ich einen Einfall.
    Gleich der Kopfbedeckungen östlicher Völker, schlang ich einen seidenen Schal um den Kopf, um die Überraschung der veränderten Haarpracht hinauszögern zu können. Gleich einem Turban türmte sich der Aufbau auf meinem Kopf und rang mir ein belustigtes Lächeln ab. Ungeübt in derlei Dingen fand ich allerdings keine Möglichkeit, den Sitz haltbar machen zu können, daher beließ ich die rechte Hand an dem Kunstwerk, als ich durch die Gänge schritt und wenig später das Triclinium betrat.


    Mit einem Blick erfasste ich die Lage: Wir waren noch allein, also sprach nichts gegen eine vertraute Begrüßung. Ich schritt lächelnd auf das Kopfende der Kline zu, legte die Finger der freien Hand auf meinen Mund, drückte einen Kuss darauf und legte sie anschließend auf seine Lippen, wobei ich dabei leicht in die Knie gehen musste, um den Aufbau auf meinem Kopf nicht zu gefährden.


    „Willkommen zu Hause“, hauchte ich, begab mich anschließend zum Fußende der Liege, ohne ihn dabei jedoch aus den Augen zu lassen. Entgegen der üblichen Sitzordnung nahm ich direkt auf der Kline Platz, denn ich hatte wenig Lust auf Abstand und im privaten Rahmen hatte Vater diese Sitzweise auch immer gestattet. „Ich hoffe, dein Tag war angenehm gewesen.“

    Zitat

    Original von Marcus Aurelius Corvinus
    Ich sah den Mann überrascht an und wandte mich sodann an Deandra. "Sag, war nicht ein Petronier ein Freund der Familie? Soweit ich mich zurückerinnern vermag, war diese Familie doch recht traditionell eingestellt."


    Es entspann sich ein Disput, dem ich mit Aufmerksamkeit folgte. Nicht, weil ich glaubte, inhaltlich etwas Neues dabei zu lernen, Bildung und Erziehung waren mir bereits als Kind angediehen worden, sondern weil es tatsächlich unterhaltsam war, die jeweilige Basis für die Beweisführungen zu ergründen. Dabei fiel mir auf, dass der Redner aufgrund einer mangelhaft aufgebauten Argumentationskette recht schnell persönlich wurde. Ich hob kritisch die Brauen, war mir aber sicher, dass Marc über den Dingen stehen würde.


    Auf seine Frage nach dem Petronier antwortete ich mit gedämpfter Stimme, damit ich nicht fälschlicherweise als Mitdiskutierende betrachtet wurde.


    „Ich erinnere mich an einen Petronier. Ein Freund der Familie war er nicht direkt, wohl aber ein Mann, den nicht nur wir, sondern weitere traditionell eingestellte Patrizier bei seiner Kandidatur unterstützt haben. Er trat für den Erhalt der Traditionen ein, das weiß ich sicher.“


    Ich nickte zur Bestätigung, schaute wieder zur Tribüne und ließ Marcs abschließende Worte auf mich wirken. Ich musste ihm Recht geben, denn der Gesprächsverlauf verwirrte auch mich, ich würde Marc wohl später noch einmal um Aufklärung bitten müssen. Er sah den Disput ohnehin für beendet an.

    Zitat

    Original von Marcus Aurelius Corvinus
    Ich neigte mit einem spöttischen Grinsen das Haupt und wandte mich dann zu Deandra um. "Gehen wir, Aglaia mea."


    Ich nickte lächelnd und kam seiner Aufforderung zum Gehen nach.

    Sim-Off:

    @ Aintzane: Die Meinungen waren geteilt, ob das nun eine Halluzination war oder nicht. ;) Ist aber nicht schlimm, dann bist du eben in den Dreck gefallen und Deandra fand das eklig. ;) :D



    Die vernommenen Geräusche stellten sich als eine Mischung aus Diskussion und Beweisvertuschung zwischen Assindius und Loki heraus, was ich allerdings erst später merkte. Ich schritt auf dem letzten Stück des Weges zügiger aus und schon bald kamen die beiden Männer in mein Blickfeld. Die Begrüßung fiel allerdings verwunderlich aus: Loki brüllte mich in einem unverschämten Tonfall an, sodass mir die Kinnlade herunterklappte.


    „Untersteh dich, so mit mir zu sprechen. Außerdem kann man ein Feuer nicht „aufsetzen“, sondern bestenfalls entfachen. Wasser kann aufgesetzt werden.“


    Durch meine Verärgerung wurde ich schulmeisterhaft. Das Gerede der einfachen Leute beinhaltete oft dergleichen Widersinnigkeiten, über die ich ansonsten hinwegsah, nicht aber dann, wenn ich mich angegriffen fühlte.
    Nebenbei registrierte ich, dass beide noch lebten, wenn auch reichlich zerschunden aussahen. Gerade wollte ich mich wieder beruhigen, um zu vernünftigen Entschlüssen und Befehlen zu kommen, als der Germanen auf einen dunklen Haufen zuschritt, der sich bald als der besagte Schwarzbär herausstelle, und begann, ihn zu häuten.


    „Bei den Göttern“, murmelte ich und blickte Assindius vorwurfsvoll an. „Ich hatte doch gesagt, er soll am Leben bleiben!“


    Noch ehe mein Sklave etwas erwidern konnte, fixierte ich Loki.
    „Du gefühlloses, hornhäutiges Etwas, was tust du denn da?“


    Ich fuchtelte hilflos, von den Emotionen überrollt und der Situation überfordert mit den Armen herum, schnappte nach Luft und trat schließlich nahe an den Germanen heran. Ich wünschte, die Sache würde ein Nachspiel haben, sah aber meine Handlungsunfähigkeit in dieser Situation ein.


    „Ich möchte auf der Stelle wissen, ob das eine Bärin oder ein männliches Tier war“, fauchte ich Loki an. „Und denke nicht, du kannst mir sonst was weiß machen, ich möchte es genau erklärt und gezeigt bekommen. FALLS dies eine Bärin ist, wird unsere nächste Aufgabe darin bestehen, nach eventuell zurückgebliebenen Jungen zu suchen. Und ich rate euch, wehe, jemanden sitzt die Waffe dann noch einmal so locker wie bei diesem Bär. Dann könnt ihr mich alle einmal von einer unbekannten und äußerst unschönen Seite kennen lernen.“


    Ich stand mit in die Hüften gestützten Armen vor dem Germanen, blickte kurz zu Assindius, den ich durchaus mit angesprochen hatte, weil ich ja nicht wusste, wer der beiden für den Tod des Tieres verantwortlich war, und gab mir große Mühe, so böse wie nur irgend möglich dreinzuschauen.

    Es war einige Jahre her, als ich das letzte Mal auf dem Forum in Rom war. Vater hatte uns Frauen untersagt, dort die Stimme zu erheben, und wir hatten uns alle daran gehalten. Nun ergab es sich bei einem Spaziergang durch Mogontiacum, dass just in dem Moment, als Marc und ich das Forum passierten, ein Redner auf die Tribüne trat. Das Thema schien Marc zu interessieren, er blieb stehen, auch wenn bald ersichtlich war, dass er keineswegs den Ausführungen zustimmte. Seine Gesten animierten mich, fortan genauer hinzuhören.


    Den Vorschlägen des Redners konnte ich allerdings auch nichts abgewinnen. Ich zuckte mit der Schulter, verhielt mich jedoch ruhig, denn wenn jemand sprach, würde es Marc sein, was auch umgehend geschah. Ich lauschte seiner Argumentation, lächelte ihn flüchtig an und lenkte anschließend Blick und Aufmerksamkeit wieder zur Bühne, um die Entgegnung nicht zu verpassen. Mir schoss für den Moment die Meinung der alten Männer durch den Kopf, das Forum könne Frauen nur langweilen, aber dem war nicht so. Ich fand es spannend zu erleben, wie Marc seine Ansichten vertrat. Das Forum wurde im Geist zu einer Arena, das Gefecht wurde mit den Waffen der Sprache geführt. Im Kampf um die vernünftigere Vertretung seiner Ansichten besaß ganz klar derjenige Vorteile, der redegewandt, vorausschauend dachte und geistreich war.

    Hinter mir kippte jemand um. Da es sich nur um einen Sklaven handeln konnte, schenkte ich dem keine Aufmerksamkeit, sondern verfolgte weiterhin die Vorgänge auf der Lichtung. Ich atmete auf, als ich Assindius’ Bemühen wahrnahm, den Bär wegzulocken anstelle zu töten. Nicht auszudenken, wenn solch ein schönes Tier nur wegen meiner Neugierigkeit sein Leben lassen musste. Warum sich mein Sklave allerdings dafür ausgezogen hatte, verstand ich nicht.
    Einem Steinwurf folgte ein Ablenkungsmanöver, bei dem Assindius zwar einen Tatzenhieb abbekam, sich aber schnell wieder aufrappelte und schließlich im Unterholz des Waldes verschwand. Der Bär folgte ihm. Mehr und mehr ebbten die Geräusche der Verfolgungsjagd ab, das Knacken trockener Äste wurde leiser, es trat bald darauf eine Totenstille auf der Lichtung ein.


    „Hm, und jetzt?“, fragte ich mich selbst, trat hinter der Sänfte hervor und strich mir ratlos über die Stirn.


    Außer dem leisen Rauschen der Blätter im Frühlingswind war nichts zu vernehmen – kein Pferdegetrappel, keine Rufe, kein Brummen, nichts. Ich war mit einer Meute unselbstständiger Sklaven allein. Hier zu warten, fand ich erstens zu langweilig und zweitens sinnlos, also drehte ich mich um und wollte gerade Anweisungen erteilen, als mein Blick auf Aintzane fiel.


    „Igitt, ist das eklig“, rutschte mir heraus, als ich ihr Gesicht erblickte. Ich wies nacheinander auf die Tragsklaven. „Du kümmerst dich um sie, du passt auf die Sänfte auf und ihr zwei begleitet mich.“


    Ohne zu verweilen, drehte ich mich um und schritt auf die Stelle des Waldrandes zu, bei der Assindius verschwunden war. Ich raffte die Tunika, um den wertvollen Stoff nicht durch quer stehende Zweige zu ruinieren und setzte den ersten Schritt in das Unterholz. Der Bär hatte eine ausreichend breite Bahn in den mannshohen Bewuchs geschlagen, sodass ich relativ bequem und zielsicher der Spur folgen konnte. Immer wieder hielt ich inne, lauschte in das mich umgebende Dickicht und ging dann zügig weiter. Das Sonnenlicht fand trotz der Tageszeit kaum den Weg bis zum Waldboden und während die Sicht nach vorn relativ frei war, ließ der Wald zu meiner Seite kaum eine Orientierung zu. Weder Loki noch Assindius waren zu hören, geschweige denn zu sehen, aber ich gab die Hoffnung nicht auf, bald auf einen von beiden zu treffen.


    Ich hatte jedes Gefühl für die Länge des Weges verloren, als Geräusche aufkamen, die ich zunächst nicht zuordnen konnte, die aber stetig anschwollen.

    Normalerweise konnte ich es ja nicht auf den Tod ausstehen, wenn mich jemand auf den Arm nahm – im übertragenen wie im realen Sinne. Ich wollte stets den Boden unter den Füßen behalten. Allerdings blieb für Widerspruch keine Zeit, denn ich stand bereits wieder auf meinen Füßen, bevor ich Luft für den Protest holen konnte.


    „Herrje noch mal!“, schimpfte ich im Nachhinein, war aber bemüht, die Stimme gesenkt zu halten.


    Nicht sehen, was passiert, war unmöglich auszuhalten. Ich hätte ja dann auch nicht gewusst, wann es Zeit war, die Flucht zu ergreifen. Also folgte der Hand, die den Rand der Sänfte fasste, der Kopf und ich lugte vorsichtig um die Ecke.


    „Ein wunderschönes Tier“, flüsterte ich und lächelte. Dass Loki in diesem Moment verschwand, registrierte ich zwar, konnte es mir aber nicht erklären. War er feige? Verfolgte er einen Plan? Doch der Germane band nicht lange meine Aufmerksamkeit, ich blickte wieder zu dem Raubtier.


    Plötzlich fiel mir mein erster Aufenthalt in Germania ein, bei dem Assindius wie in diesem Moment mit Waffen auf ein Tier zuschritt.


    „Nicht, Assindius!“, rief ich bestürzt und trat mit einem Fuß aus der Deckung heraus. „Bei den Göttern, lass es leben!“

    Ich begriff überhaupt nichts mehr, weil sich die Ereignisse überschlugen. Wo kam denn plötzlich dieser Bär her? Noch ehe ich den Gedanken zu Ende gedacht hatte, plumpste Aintzane von meine Füße, deren Fall ich mit verwunderten Augen verfolgte, bevor ich erneut zu Loki sah.


    „Wer, bei den Göttern, ist Ursel?“, rief ich Loki hinterher, der bereits wieder davon stob. Wie angewurzelt blieb ich stehen, weil ich die Ereignisse aufgrund der Schnelligkeit nicht im Ansatz verarbeiten konnte.