Der gefühllose Zustand löste sich auch dann nicht auf, als Marc seine Stirn auf meine Schulter lehnte – eine Geste, die mich sonst immer anrührte. Ich schaute über seine Schulter hinweg auf eines der Mosaike an der Wand, das mir zwar gefiel, dem ich aber derzeit keine weitere Beachtung schenkte. Meine Gedanken kreisten um die Situation, um Marc, und obwohl ich sein Argument durchaus nachvollziehen konnte, dass ja ohnehin er es war, der mir die Jungfräulichkeit nehmen würde, egal zu welchem Zeitpunkt, löste sich die Verkrampfung in mir nicht auf.
Was war es also, das mich erschreckt hatte? Sein Verhalten? Nein, nicht wirklich. Es war schön gewesen, ihn voller Begehren zu erleben. Vielleicht die kategorische Ablehnung eines geschmälerten Genusses? Diese Form von Rücksichtslosigkeit kannte ich von ihm nicht. Betrachtete man sein Argument, konnte das aber wiederum auch nicht der Hauptgrund sein … mal abgesehen davon, dass es mir ja ähnlich wie ihm ging. War es die Ungewissheit, wie er weiter damit umgehen würde? Zum Grübeln blieb wieder keine Zeit, denn seine Hände zwangen mich, ihn anzublicken, was ich dann auch mit stetig wachsendem Augenausdruck tat, je länger er sprach.
Ich fragte mich, ob und wenn ja, wie ich auf solche Worte reagieren sollte. Wobei es weniger die Worte, sondern vielmehr die Sprechweise und der Gesichtsausdruck waren, die mir ein gewisses Unwohlsein vermittelten. Noch immer verblüfft und sicherlich auch nicht bis ins letzte Detail durchdacht, rutschte mir dann eine Bemerkung heraus.
„Ich lege keinen besonderen Wert auf große Feiern. Wenn es nach mir ginge, würde ich ohnehin nicht zweimal feiern wollen.“ Aber eigentlich war das ja nicht das aktuelle Thema. Ich seufzte und sah mich von einer neuerlichen Reaktion Marcs überrascht, als er so plötzlich fortstrebte.
War mein Blick bisher an Belanglosem haften geblieben, so zog ihn sein Rücken fortan magisch an, und weil die Gedanken um seine möglichen Entscheidungen kreisten, die mich sogar kurz an Camryn denken ließen, was er zum Glück nicht wusste, entkrampfte sich unbemerkt mein Zustand. Ich war abgelenkt, fühlte sogar Sorge aufsteigen, meine Stirn runzelte sich, als er lange unter Wasser blieb. Spätestens jedoch als er zurückkehrte, war die Beklemmung von eben fort. Fraglich war nur, was er sagen oder tun würde. Ich sah ihm gespannt, aber durchaus auch zurückhaltend entgegen.
Die Skepsis war unberechtigt. Vielmehr überraschten mich bereits seine einführenden Worte, denn nach dem Verhalten vorhin hatte ich mit vielem, aber bestimmt nicht mit einer Entschuldigung und gar noch einer liebevollen Betitelung gerechnet. Damit brach das Eis vollends. Die neue Anrede löste ein Lächeln aus und ließ den Wunsch nach Nähe, nach seiner Haut wieder aufkommen, der schon restlos verschüttet schien. Ich musste ihn einfach umarmen, mich an ihn schmiegen, die Augen schließen, die Stirn anlehnen, nur noch fühlen und ihm einen langen Kuss geben, der in vielen kleineren auslief. War es die Wange, der Ohransatz, eine Stelle am Hals, die ich traf? Vielleicht auch von jedem etwas, es spielte keine Rolle.
„Ich verstehe sehr gut, dass es dir schwer fällt. Und wenn ich ehrlich bin, hat das für mich ja auch etwas Schönes. Ich würde es gar nicht anders wollen.“ Ich lächelte vor mich hin und dachte: ‚Wäre dem nicht so, würde ich das noch viel trauriger finden, als deine Bedrängnis vorhin.’
Er schien versunken, als sein Kopf auf meiner Schulter ruhte. Dieses Mal verfehlte die Geste ihre Wirkung nicht: Mein Herz stand wieder für ihn und seine Wünsche offen. Die Nerven waren erneut sensibilisiert, nahmen sein aufkeimendes Verlangen wahr, leiteten es als Botschaft an meine Seele und meinen Körper weiter, die gleichermaßen reagierten. Die Aufmerksamkeit bezüglich seiner Signale wuchs, die Bereitschaft für ein Entgegenkommen stieg, ich wurde empfänglich für das sanfte Pulsen, das meine Haut traf, sich zu streuenden Schauern ausbreitete und die ohnehin gereizte Region unter Wasser erneut aufwühlte. Alle Sinne darauf gerichtet, wohin er meine Hand führen würde, löste die wahrgenommene Nähe dieser begehrenswerten Stelle und nicht zuletzt sein tiefes Einatmen, mehrere Lawinen an rieselnden Hautempfindungen aus, die allesamt die Körpermitte als Ziel anvisierten, und bei deren Eintreffen sich unwillkürlich ein Ton der Lust von den Lippen löste. Atmen fiel fortan wieder schwer, vor allem als meine Hand den Weg allein weiter beschritt, bald darauf ihr Ziel fand, es umschloss und in seiner Vollkommenheit ertastete.
Nie hätte ich gedacht, dass mich etwas von diesen Wahrnehmungen ablenken könnte, aber Marcs Hand schaffte das. Es zog sie genau dorthin, wo derzeit eigentlich keine Reizung von außen auftreffen durfte, weil bereits die inneren Vorgänge kaum zu verarbeiten waren, wenn ich nicht Gefahr laufen wollte, den sicheren Halt der Beine oder am Ende den Verstand zu verlieren. Vielleicht waren meine Empfindungen ja normal, aber weil ich sie in diesem Maße nicht kannte, zudem nicht wusste, welche Intensität überhaupt zu ertragen war, tat die Ungewissheit ihr Übriges, um den Herzschlag auf Hochtouren zu bringen. Sämtliche winzigen Härchen von den Schultern angefangen bis zu den Knöcheln standen mir ab, als seine Finger eindrangen. Atmen fiel jetzt nicht mehr nur schwer, es ging auch nicht mehr leise. Und jetzt war ich es, die mit der Stirn Halt an seiner Schulter suchte.