Beiträge von Claudia Aureliana Deandra

    Den Kopf noch voller Eindrücke von dem Besuch beim Orakel achtete ich kaum auf das Umfeld, musste ich doch meine ganze Aufmerksamkeit auf das vor mir liegende Gespräch richten. Andere Umstände wären mir lieber gewesen, diesem Hause einen Besuch abzustatten, aber ich hoffte, das Gespräch würde trotzdem gut verlaufen. Zumindest würde ich den Mann einmal kennen lernen, von dem mein ehemaliger Vater stets gut gesprochen hatte.


    Im Geiste bereits nach einem Einstieg suchend, den ich nicht wirklich fand, suchte ich mir ein Gemälde als Blickfang, und verharrte bis zum Eintreffen des Hausherrn stehend. Der Unterhaltung meiner Sklavin mit dem Ianitor folgte ich kaum, wenngleich das Gespräch unter Umständen sogar Informationen für mich bergen konnte.

    Ich verfolgte Aintzanes Forschungsarbeit mit besonderem Interesse, wollte ich doch einerseits wissen, um was es sich bei der ausgelaufenen Flüssigkeit handelte. Andererseits bestand inzwischen eine erhöhte Dringlichkeit, dieses Haus endlich in Besitz nehmen zu können, weil umgehend ein Zimmer benötigt wurde. Noch immer darauf hoffend, Aintznane könne die Substanz zuordnen und benennen, vergaß ich sogar den mich umgebenden Mief. Dabei ging mir vor einem Augenblick noch die Frage durch den Kopf, ob es womöglich gesundheitsschädigend sein konnte, in diesem Gestank zu verweilen.


    Aus sicherem Abstand, aber nahe genug, um selbst einen Blick auf den von Tageslicht erhellten Finger werfen zu können, stellte ich eigene Überlegungen an, die jedoch mangels Erfahrung in hauswirtschaftlichen Dingen ergebnislos blieben. Umso enttäuschter reagierte ich, als Aintzane ebenfalls keine Erklärung fand.


    „Ah, wie bedauerlich“, entfuhr mir kurz nach einem Seufzer. „Ja, natürlich muss das weg. Wir kommen ja sonst nicht einmal unbeschadet durch den Raum.“ Die nächste Frage allerdings verblüffte mich erheblich. Ich und Kenntnisse darin, wie lange sich Haushaltwaren hielten? „Aintzane, du bist ein Scherzkeks“, entgegnete ich daher nur und befasste mich vielmehr mit der nächsten Frage. „Nach meiner Kenntnis müsste diese Villa seit vier oder fünf Jahren unbewohnt sein. Verdorbenes Olivenöl dürfte nicht … schädlich sein, oder?“ Ein prüfender Blick traf nochmals die Lache, die mir nun sogar noch um einiges größer erschien. Ich runzelte die Stirn. Dafür, dass sich dieser Kleister bereits seit Jahren auf dem Boden tummelte, müsste er ja nach normaler Logik bereits die endgültige Ausbreitung erreicht haben. Offensichtlich spielte mir die Wahrnehmung einen Streich, was ein Zeichen dafür war, dass es mit meinen Nerven derzeit nicht zum Besten stand. Demnach brauchte ich ebenfalls schnellstens ein bezugsfertiges Zimmer.


    „Aintzane, mach das weg, egal wie, aber mach es weg und zwar schnell.“


    In diesem Augenblick bemerkte ich Minna und den Medicus, die unter einiger Anstrengung Fiona in der Schwebe hielten. So viel Kraft hatte ich Minna gar nicht zugetraut. So berechtigt ihre Frage war, so sehr befand ich mich in Antwortnöten. Der Raum war nicht betretbar, außerhalb des Gebäudes existierte nicht einmal eine Bank und länger halten ging offensichtlich auch nicht.


    „Die Kutsche“, fiel mir in der Not ein. „Legt sie in die Kutsche.“ Glücklicherweise stand das Gefährt tatsächlich seit wenigen Minuten vor dem Anwesen, so wie ich es dem Kutscher aufgetragen hatte. Vermutlich würde Fiona wieder protestieren, weil diese Entscheidung erneut eine Abreise nach Rom nahe legte.

    Nun, da Samira den Raum betreten hatte und ich sie nur noch um Auskunft bitten brauchte, schwand plötzlich mein Mut. Die Entschlossenheit, mich mit einem Befreiungsschlag von all dem Marternden zu entlasten, wich Verzagtheit. Ich spürte, wie groß der Unterschied zwischen dem Schmieden von Plänen und der tatsächlichen Ausführung war. Auch eine Sklavin atmete, spürte vermutlich körperlichen Schmerz, stand Ängste aus, vermutlich selbst eine derart kaltherzige, intrigante und erbarmungslose wie Camryn es war.


    Als wäre das Böse in Gestalt von Samira in mein Zimmer eingedrungen, wich ich ein paar Schritte vor ihr zurück, bemerkte erst im letzten Moment die Bettkante in den Kniekehlen und plumpste mehr auf die Liegefläche als dass ich mich setzte. Angstvoll schaute ich meine Sklavin an, die natürlich nur in meinem Auftrag gehandelt hatte und doch gerade wie ein Monster auf mich wirkte. Die Erkenntnis, diese Ausgeburt des Bösen selbst geschaffen zu haben und damit vermutlich auch schlecht im Herzen zu sein, brach schlagartig über mich herein. Wie konnte es nur dazu kommen? Es entsprach doch gar nicht meinem Wesen, bösartig zu sein. Erschrocken über mich selbst, fasste ich den Entschluss, nicht zuzulassen, dass mich widrige Umstände in jener Weise veränderten, mochte die Verzweiflung noch so groß sein.


    „Du hast meinen Auftrag ausgeführt?“, wisperte ich. „Wo ist? Wo hast du es…?“ Ich schlug die Hand vor den Mund und fühlte mich miserabel. Meine Augen blickten unter furchtsam zusammengezogenen Brauen hervor.

    Fionas Protest wegen meiner Entscheidung ging in einem ohrenbetäubenden Bersten von Holz unter, das mich zusammenschrecken und herumfahren ließ.


    „Bei den Göttern… Was war das?“ Vermutlich trug mich mehr Sorge als Neugier, auf jeden Fall lief ich los. Ich hatte vorhin nur nebenbei registriert, dass Aintzane meinem Auftrag, wenn auch verspätet, nachging und den Versuch anstellte, in das Haus zu gelangen. Einfälle besaß sie immer, das wusste ich bereits, inwieweit sie erfolgreich waren, würde sich zeigen. Und sie zeigten sich auch bald. Einem großen Loch gähnte mir die düstere Eingangshalle entgegen, vor der Aintzane stand, die mich wortlos anstaunte.


    „Ja, prima gemacht“, lobte ich, sah allerdings anschließend zu Boden, erblickte den Hammer und das Schloss. Nun ja, das muss dann wohl ausgewechselt werden, dachte ich bei mir, trat näher und warf einen Blick auf das durchaus in Mitleidenschaft gezogene Türblatt. „Hm, ein Tischler wird wohl kaum innerhalb weniger Stunden eine stabile Porta fertigen können, oder?“, überlegte ich, obwohl mir bewusst war, dass Aintzane darauf vermutlich keine Antwort finden würde. „Dann müsst ihr nachher wohl auf dem Weg zum Markt einen Abstecher zum Tischler machen. Aber nachts? Was machen wir, wenn es dunkel wird? Da kann ja nun alles Pack hereinkommen? Tja, müssen wir wohl nachher sehen… Räume du erst mal die herumliegenden Sachen fort und dann lass uns eintreten, damit wir die Zimmer begutachten und zumindest vorerst eines für die Verletzte herrichten. Also, natürlich richtest du das her, nicht wir.“


    Bei so viel Aufregung und Durcheinander konnte es schon einmal vorkommen, dass man konfus redete, zumindest sagte ich mir das in diesem Moment, während ich mit der Rechten die Porta vorkommen aufschob, den Kopf reckte und schließlich über die Schwelle trat. Der Anblick war wenig erfreulich. Offenbar wurde vor Zeiten die Villa unaufgeräumt verlassen, denn eine Standamphore lag zerschmettert am Boden und ihr Inhalt, was auch immer das war, nahm wenigstens zwei Drittel des Eingangsbereiches ein.


    „Ach, Aintzane, schau doch mal, was hier ausgelaufen ist“, wies ich meine Sklavin an, als sie ebenfalls den Eingangsbereich betreten hatte.

    Zu Pandas Erklärungsnöten gesellte sich noch Verblüffung über den scharfen Tonfall, weswegen sie vergaß, wenigstens jetzt den Blick von dem Herrn abzuwenden. Es dauerte einige Sekunden bis sie sich fing und der erstarrte Körper in Bewegung kam. „Jaja, natürlich informiere ich sie“, erwiderte sie, während sie sich bereits umdrehte. Unterstützt durch das taktgleiche Schwingen der angewinkelte Arme bahnte sie sich den Weg zur Latrine der Villa.


    „Bei Freyja und Sunucsal, den möchte ich nicht geschenkt haben“, murmelte sie vor sich hin. „Die Ähnlichkeit mit Jari ist nicht zu verkennen.“ Panda schnaufte, weil ihr das Sprechen die benötigte Luft zum Laufen nahm, denn sie konnte es nicht lassen, in lockerer Folge, weitere Gedankenergüsse vor sich hinzubrabbeln. Als die angestrebte Tür schließlich in Reichweite kam, hielt sie zunächst für einige Augenblicke inne, um wieder zu Atem zu kommen. ‚Herrin, Ragnarök ist nahe’, stellte sie insgeheim fest, als sie an den Besucher dachte, weswegen der Arm vor dem Anklopfen kurz verharrte. Anschließend prallten ihre Fingerknöchel zweimal hart auf das Türblatt.


    „Herrin?“ Sie lauschte einen kurzen Moment, sprach jedoch als keine Antwort kam, einfach weiter. „Der Herr Corvinus stattet dir einen Besuch ab. Er ist voller Vorfreude und daher etwas aufgeregt“, log sie spontan, um das nach ihrer Ansicht unmöglich ausbleibende Fiasko etwas nach hinten zu verschieben.



    Als es klopfte, runzelte ich die Stirn. Ich fand es ungeheuerlich, mich ausgerechnet jetzt mit Belanglosigkeiten zu stören, daher antwortete ich auch nicht. Die nachfolgende Mitteilung ließ mich jedoch aufhorchen. Corvinus? Hier? Das würde ja bedeuten, er wollte mich sehen, und das sogar unbedingt, wenn er sich sogar die Mühe gemacht hatte, um meinen Wohnort herauszufinden. Ein Lächeln überzog mein Gesicht. Hatten das etwa die Götter bewirkt? Mischten sie sich fortan in mein Leben ein, um es angenehmer als bisher zu gestalten? Und was sagte noch Panda? Er ist voller Vorfreude? Natürlich freute ich mich jetzt auch, was sonst? Ich beeilte mich, die Angelegenheit zu einem Abschluss zu bringen, da bei allem eingebauten Komfort diese Latrine ein unschöner Ort war und blieb.


    „So? Er freut sich also?“, bestürmte ich Panda sogleich, als ich über die Türschwelle trat.


    „Man könnte es so bezeichnen“, erwiderte die Sklavin ausweichend. „Nun aber, Herrin, müssen wir erst einmal die Hände waschen und vielleicht noch etwas Duftöl auflegen.“ ‚Am besten so viel, dass es dem Mann die Sinne verwirrt und er von seinem „schlechte-Laune-Ausflug“ herunterkommt.’


    Mit den Gedanken ohnehin abwesend, ließ ich das Waschen der Hände über mich ergehen. Als jedoch Panda mit dem Flakon kam, hob ich abwehrend die Hände. „Es ist genügend aufgelegt, ich verabscheue Duftbomben, das weißt du doch.“ Ich warf noch einen flüchtigen Blick an mir herab, befand die Garderobe aber als angemessen und vollkommen intakt. Mit einem Lächeln auf den Lippen machte ich mich sogleich auf den Weg ins Atrium, wo es üblich war, sich zu treffen.


    Mein Lächeln verschwand, als ich neben unzähligen Sklaven auch Soldaten bemerkte. Ich war auf ein privates Treffen vorbereitet gewesen, wollte ihn vertraulich begrüßen, und nun das. Dennoch … wir waren hier nicht in der Öffentlichkeit, also würde ich mir von ein paar anwesenden Soldaten sicher nicht vorschreiben lassen, wie ich mich in meinem Hause zu bewegen hatte. Ich bedachte die Herren mit einem kurzen Blick, der als Gruß genügen sollte, und trat anschließend auf Corvinus zu.
    Bereits im Begriff, ihn mit einem Kuss auf die Wange zu begrüßen, stockte ich abermals, als er sich mir zuwandte. Ich musste erstaunt aussehen, zumindest empfand ich große Verblüffung, als ich das geschwollene und verfärbte Auge sah. Einen Atemzug später hob ich die Hand, um mich durch ein sanftes Entlangstreichen davon zu überzeugen, dass es sich keineswegs um eine geschickt gefertigte Maske handelte.


    „Schön, dich zu sehen …“, murmelte ich, bevor meine Hand über seine Wange bis zur Brust hinab sank. „Du hattest einen Unfall?“, fragte ich, wobei Unfall vermutlich nicht das richtige Wort war, aber das fiel mir im Augenblick noch nicht einmal auf, weil ich noch immer Schwierigkeiten hatte, plausible Erklärungen für den merkwürdigen Auflauf in meinem Atrium zu finden.

    Meine Gedanken weilten noch immer bei der Auskunft, die ich vom Orakel erhalten hatte, als ich längst die Casa Vinicia erreicht hatte. Minna begleitete mich bereits seit Ostia, was ich als sehr angenehm empfand, da mir ihr Wesen sanft erschien und ihr Auftreten stets ohne Tadel.


    "Minna, übernimm du das Klopfen und die Auskunft gegenüber dem Ianitor. Ich möchte gerne den Haushernn sprechen, Senator Vinicius Hungaricus."


    Ich nickte der Sklavin aufmunternd zu, weil ich nicht abschätzen konnte, ob sie je derartige Aufträge bereits ausgeführt hatte.

    Mein Blick hing auch dann noch an den Lippen der jungen Frau, als diese längst geendet hatte. Ich fand ihren Rat weise, mir viel Zeit bei der Formulierung zu lassen, aber vielmehr beschäftigte mich die Begründung dazu. Wer die Frage nicht kennt, der wird auch die Antwort nicht verstehen? Darauf wäre ich nie von alleine gekommen, aber der Sinn dieser Aussage leuchtete mir sofort ein. Mein Problem war, dass es so viele Fragen gab, die mich bewegten und auf die ich gerne eine Antwort hätte, aber ich wusste, ich durfte nur eine einzige formulieren. Nur eben welche die wichtigste war oder wie ich Dinge bestmöglich zusammenfassen konnte, war mir nicht klar. Daher wollte ich mir Zeit lassen, nichts überstürzen, die Gedanken sammeln.
    Ich zog mit der Linken meine Palla von der Schulter und versuchte, sie halbwegs zusammenzulegen, was – in derlei Dingen ungeübt – nicht eben einfach war. Die getürmten Schichten senkte ich vorsichtig auf den Boden ab und kniete mich darauf. Bei aufrechter Haltung legte ich die Hände in den Schoß, visierte ein Kohlebecken an und begann nachzudenken.


    Ich war lange glücklich gewesen, auch wenn es sicherlich ab und an einen Stolperstein gab, aber eines Tages zogen die Götter ihr Wohlwollen von mir ab. Alles begann damit, dass er mich zurückwies. Der Gedankenfluss stockte, weil mir die Unrichtigkeit der Formulierung auffiel. … er mich zurückstieß, als ich mich sorgenvoll nach dem Grund für seinen offensichtlichen Schmerz erkundigen wollte. Ich war zutiefst über seinen Vertrauensentzug und die achtlose Behandlung erschüttert, aber ich respektierte ohne ein Wort des Vorwurfes seinen Wunsch. Noch am selben Tag ereilte mich jedoch der nächste schwere Schlag: Helena, der Cousine, gestattete er die Annäherung.
    Ein schwerer Atemzug hob meine Brust, als mich die Erinnerung daran einholte. Damals war etwas zerbrochen, aber ich sah die Schuld dafür nicht bei mir.
    Tage später entschuldigte er sich für sein Verhalten, was mich natürlich gefreut hatte, aber die Narbe der Verletzung blieb, sie ist noch heute da, denn nur Taten können die Narben von Fehlverhalten heilen. Worte sind viel leichter gesagt, als Handlungen auszuführen waren.


    Und doch wäre es sicher möglich gewesen, auf der Entschuldigung basierend, wieder zueinander zu finden, wenn nicht gleichzeitig die niederschmetternde Nachricht über den Tod meiner einstigen Adoptiveltern gekommen wäre. Sie nahm mir jede Kraft und jeden Mut. Ich konnte damals sein umsorgendes Verhalten nicht wertschätzen, weil ich vom Schock der Nachricht überwältigt war. Heute weiß ich, dass er sich vorbildlich verhalten hatte, besser ging es beim höchsten Anspruch wahrlich nicht mehr.


    An diesem Punkt angelangt stockte ich. Zum ersten Mal kam mir der Gedanke, es könne womöglich an meiner Zurückgezogenheit gelegen haben, dass er sich seither distanziert verhielt. Trug ich am Ende selbst die Schuld an unserem unterkühlten Verhältnis, was wiederum die Ursache dafür war, dass ich nicht aus dem Tal der Traurigkeit herausfand? War alles ein Kreiskauf? Bedingte eines das andere? Wem konnte man dann aber eine Schuld zuweisen? Und kam es überhaupt darauf an?


    Ich suchte den Blick der jungen Frau, als könne sie mir darauf eine Antwort geben, aber abgesehen von der Tatsache, dass sie vermutlich keine Gedanken lesen konnte, stellte sie nur die Gehilfin des Orakels dar. Was genau wollte ich aber über das Orakel von den Göttern erfahren? Glaubte ich in Ostia noch, ich müsse nachfragen, ob die Götter auch einmal wieder Sonne in mein Leben ließen, beschäftigte mich auf der Herfahrt die Neugier über ein eventuelles Urteil, das Glück meiner Verbindung betreffend. Am liebsten wüsste ich natürlich seine Pläne, in die er mich nicht eingeweiht hatte, obwohl sie mich unmittelbar betrafen, aber damit wären vermutlich auch die Götter überfragt. All das überlagerte jedoch nun die Frage, auf die ich soeben in meinen Überlegungen gestoßen war. Traf mich eine Teilschuld an der unerquicklichen Situation unter der ich seit langen Wochen litt? Doch für die Antwort brauchte ich nicht das Orakel und erstrecht nicht die Götter, denn ich glaubte sie zu kennen: Sie lautete: Ja.


    Ich erhob mich gestärkt, denn ich hatte in dieser Grotte erstmalig den Kopf für klare Gedanken freibekommen. Was ich nun brauchte, war nur noch ein unterstützender Rat.


    „Ich wäre dann soweit. Alles Unwichtige habe ich ausgeschlossen und vieles hat sich von selbst geklärt. Wäre es denn möglich, dass die Götter in unsere Gedanken dringen und hilfreich für Ordnung sorgen? Ich habe seit einem Schicksalsschlag nicht mehr so klar denken können wie jetzt.“


    Sicherlich wusste die junge Frau eine Antwort darauf, daher wartete ich sie wissbegierig ab, ehe ich die Frage an das Orakel stellte.


    „Bitte überbringe dem Orakel folgende Frage, und ich hoffe sehr, dass es eine Antwort von den Göttern erhält: Welche Möglichkeiten habe ich - im Rahmen des für mich vorgesehenen Schicksalsverlaufs und unter Berücksichtigung, dass ich den Göttern stets ausreichend Opfer darbringe – mein Glück zu verstärken und eventuelles Unglück zu mildern?“


    Nachdem ich meine Frage formuliert hatte, stellte ich fest, dass es eine jener Fragen war, die ich, wäre meine Mutter noch am Leben, ihr gestellt hätte. So aber suchte ich dafür den Götterrat. Es war nach wie vor so, dass mir ein Ansprechpartner im Leben fehlte, jemand, der Lebensweisheit in sich trug, der sich Zeit für mich nahm, Geborgenheit spendete, Sicherheit gab. Lange Zeit nahm Corvi diese Position für mich ein. Ich beschloss in diesem Moment, wieder offener ihm gegenüber zu sein. Vermutlich hatte ich ihm keinerlei Chance mehr dafür gelassen, Ratgeber für mich zu sein. Ganz ohne die Auskunft der Götter spürte ich bereits jetzt, wie hilfreich der Weg zum Orakel gewesen war.

    In der Villa Antoninus waren noch keineswegs die Beschäftigungsfelder an die Sklaven verteilt, daher machte jeder das, was ihm gerade ins Auge fiel. Als es an der Tür klopfte, sah sich Panda berufen, hinzuzueilen, aber trotz flinker Schritte kam sie etwas zu spät – ein Schlüssel wurde soeben in das Schloss eingeführt. Die Sklavin unterbrach ihre Handlung unmittelbar vor der Tür und blickte zunächst verdattert auf die Klinke, weil niemand mit Schlüssel erwartet wurde. Schließlich bewohnte die Herrin Deandra das Anwesen ganz alleine und sie weilte bereits im Haus.
    Demnach, so schlussfolgerte Panda, musste es sich um einen Einbrecher mit Universaltüröffner handeln, der das Schloss zu überlisten versuchte. Mit einem tiefen Durchatmen machte sich die Sklavin Mut, drückte das Kinn auf die Brust und riss die Tür mit einem beherzten Schrei auf. „Huah!“ Allerdings flog das Holz weniger leicht als erwartet, weil auf der Rückseite ein knöcherner Mann samt Schlüssel daran hing.


    „Zum Had…“, wetterte Panda los, sah aber noch rechtzeitig, oder wenigstens vor Beendigung des Fluches, dass der Herr Aurelius hinter dem „Einbrecher“ stand.


    „Oh, … ich bitte viiiielmals, äh, … um Entschuldigung“, stammelte sie, schlug die Hand vor den Mund und entschloss sich daraufhin, die Situation mittels überbrachter Informationen zu retten, denn es bedurfte keiner besonderen Intelligenz, um zu erraten, zu wem der Besucher wollte.


    „Herr, Corvinus, was für eine Überraschung. Die Herrin rechnet ganz sicher nicht damit. Bitte einzutreten, nur wird es etwas dauern, bis …“ Verzweifelt rang die Sklavin nach Worten, denn einen Gast hätte sie einfach ins Atrium geschickt und gebeten zu warten, bis Deandra … fertig war. Aber den Herrn konnte sie unmöglich ohne eine Erklärung warten lassen. Sie wandte sich, rieb sich das Kinn und rückte schließlich mir der Sprache heraus.


    „Die Herrin hat sich für gewisse Zeit an einen bestimmten Ort zurückgezogen, wenn du verstehst?“ Fragende Augen musterten Corvinus, obwohl dies keineswegs schicklich war. „Sie nimmt neuerdings immer die Acta mit, weswegen der Aufenthalt länger als gewöhnlich dauert.“

    Mit dem ersten Schritt, den ich in das Heiligtum setzte, zog Ruhe in mein Gemüt ein. Für Momente genoss ich das selten gewordene Gefühl, unbeschwert sein zu können. Ich atmete freier, ließ das Knistern der Feuerstelle auf mich wirken, beobachtete das Flackern des Lichts an den Wänden der Halle und sog die mit Weihrauch schwangere Luft andächtig ein. Mir war, als konnte ich eine göttliche Aura spüren, die mich gefangen nahm und feierlich stimmte. Die Zeit verlor an Wert, der Augenblick zählte.


    So wie der Ort strahlte auch das junge Mädchen Ruhe aus, als sie auf mich zutrat, und obwohl ihre Stimme keineswegs gesenkt war, durchschnitt sie dennoch nicht die Stille, sondern fügte sich harmonisch in das Summen von Ferne und das gelegentliche Aufplatzen verbrennender Opfergaben ein. Ihr freundliches Wesen ließ auch mich lächeln, obwohl ich mich einer gewissen Aufregung nicht entziehen konnte. Bald würde ich etwas aus kundigem Mund über meine Zukunft erfahren, vielleicht auch Ungewissheit zurücklassen oder einfach nur Kraft schöpfen. Mir wurde erst jetzt bewusst, dass es mich unweigerlich zu diesen Hallen gezogen hatte, ohne dass ich mir im Vorfeld eine Frage überlegt hatte.
    ‚Alles ergibt sich irgendwie’, dachte ich in diesem Moment, lächelte nochmals und nickte vorab als Antwort auf die Frage des Mädchens.


    „Ja, ich suche Rat oder auch Bestätigung. Meine Frage ist noch nicht vorformuliert, ich dachte, ich könnte sie hier entwickeln“, gab ich leise zu. Fast klang es wie eine Entschuldigung, weil ich annahm, dass viele Ratsuchende im Grunde nur eine Bestätigung oder Ablehnung konkreter Vorhaben erfragen wollten. Vermutlich suchte ich weniger eine Entscheidungsabnahme als vielmehr die Chance auf ein Sortieren des Wirrwarrs in meinen Gefühlen und Gedanken.


    Ich gab meiner Sklavin, die sich im Hintergrund aufhielt das Zeichen, den mitgebrachten Weihrauch zu übergeben.


    „Ich habe den Göttern besten Weihrauch besorgt und keine Kosten gescheut“, berichtete ich und fragte mich sogleich, ob das Orakel meine Worte auf welche Weise auch immer bereits jetzt vernehmen konnte.

    Das Bewusstsein des Unfallopfers kehrte langsam zurück, deswegen richtete ich mich auf, ohne jedoch den Blick abzuwenden. Als sie zu sprechen anfing, verstand ich zunächst gar nichts, aber die Frage, wer ich bin und was ICH hier auf IHREM Anwesen machte, ließ mich zurückfahren und sie verständnislos anstarren, ehe ich verstand. Irgendetwas stimmte mit ihrer Erinnerung nicht, jedenfalls war das nix für mich. Kleine Kinder und Irre, dazu brauchte man ein Händchen und die Versorgung einer Sklavin fiel ohnehin nicht in meinen Bereich. Erstmalig dankte ich Aintzane im Stillen, dass sie meiner Anweisung nicht gefolgt, sondern hier geblieben war und sich jetzt um Fiona kümmerte.


    Ich trat ein paar Schritte zurück und überließ Aintzane das Feld, bis Minna in Begleitung des Medicus’ kam. Froh darüber, keine Auskunft geben zu müssen, nickte ich dem Mann nur zu. Die Rechnung würde ja sicherlich bei mir landen, aber in aller Regel war das kein Problem. Schließlich war Fiona zuletzt sogar einsichtig und umgänglich gewesen. Auf den merkwürdig verrenkten Arm warf ich nur einen flüchtigen Blick, durch die Pferdezucht war ich längst andere Sachen gewöhnt. Der schwere Lenkerunfall vor Jahren zum Beispiel, als bei einem Rennen eines der Wagenpferde zusammenbrach. Das Überrollen des Wagens hatte viel Unheil angerichtet, von den nachfolgenden Wagen einmal ganz abgesehen.


    Während Aintzane der Eingangstür zustrebte, schweifte mein Blick abermals die Leiter nach oben. So schwer konnte es doch nicht sein, dort hinaufzusteigen, ohne herunterzufallen, aber eine Demonstration dessen unterließ ich dann doch. Es schickte sich nicht und ich wollte ungern für sonderbare Schlagzeilen in der Acta sorgen.


    „Ich fürchte, Fiona wird den Rückweg nach Rom antreten müssen, denn erstens kommen wir derzeit nicht in das Gebäude hinein und zweitens sind nicht genügend Hände da, um sie hier ausreichend versorgen zu können.“


    Es war mehr oder weniger eine Überlegung, die ich laut geäußert hatte. Ich schaute mich nach dem Kutscher um, der demnächst von den Stallungen zurückkehren musste.

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    Hm, eigentlich beteilige ich mich ja so gut wie nie an den verschiedenen öffentlichen Glückwunschbekundungen, ob es sich dabei nun um Geburtstage, oder gar neue Jobs oder DSL-Anschlüsse handelt. Bei Geburtstags- oder anderen wichtigen Gratulationen bevorzuge eindeutig die persönliche Ebene, aber weil dieser Thread so furchtbar leer noch ist, ich Minna aber sehr gerne mag, mache ich heute einmal eine Ausnahme.


    Also: Herzlichen Glückwunsch, … Kleines! :)


    PS: Bis du jetzt (nur noch) jung oder körperlich „klein“ geraten? :D ;)


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    Der Empfang lag hinter mir, ebenso der Spaziergang mit Prisca und die erste eher schlecht als erholsam gelaufene Nacht. Es war kurz vor dem Aufbruch in die Villa Claudia, als ich meine Sklavin Samira zu mir rief. Ich hatte sie von Germanien aus mit einem Auftrag nach Rom geschickt, über dessen Erledigung ich mich zunächst informieren wollte. Und doch war es mehr als nur das Interesse am Erfolg ihrer Mission, das mich unruhig ihrem Erscheinen entgegensehen ließ. Meine Kraft zur Erduldung betrüblicher Situationen war aufgebraucht. Die Mentalität des Erduldens lag mir ohnehin nicht im Blut, eher zeichnete mich eine Kämpfernatur aus oder zumindest die Tatsache, dass ich den Fortlauf der Dinge mitbestimmen wollte.
    In Mogontiacum störte ich mich an so manchem: An der offen Feindschaft der Sklavin Camryn, die, solange sich Corvinus in Enthaltsamkeit geübt hatte, mir nichts anhaben konnte, danach jedoch sehr wohl, denn ich war nicht bereit, persönliche Werte und Ansichten der gültigen Rechtslage zu opfern, die ihm diese Eskapaden gestattete. Die geltenden Gesetze waren mir sogar herzlich egal, ich stellte meine eigenen Regeln auf und Corvinus hatte sie gebrochen.


    Eine Zeitlang wusste ich nicht, wer der beiden meine Frustration vorsätzlich schürte, aber bald kristallisierte sich der Empfänger meines Abscheus, meiner seelischen Verletzung und Enttäuschung heraus. Ich wurde ruhig, plante besonnen, handelte überlegt.


    Als es an der Tür klopfte, hob ich den Kopf und rief: „Herein!“

    Die Antwort, die Prisca auf meine Frage fand, erstaunte mich nicht wenig, um ehrlich zu sein, sogar sehr. Ihr ging es ähnlich wie mir? Das konnte doch kaum möglich sein, befand sie sich doch in einer völlig anderen Situation als ich. Ich folgte ihrem Blick, und während ich noch immer über den Vergleich nachgrübelte, löste sich die gemachte Aussage bereits in Wohlgefallen auf – Prisca erging es nur insofern wie mir, als dass sie froh war, wieder in Rom zu sein. Ich lächelte erleichtert.


    „Na, du hast mir vielleicht jetzt einen Schrecken eingejagt“, erwiderte ich, als ihr Blick über die Beete streifte. „Es geht dir also gut, das freut mich sehr!“ Mein Lächeln vergrößerte sich, weil es von Herzen kam. Über ihre nachfolgenden Worte musste ich hingegen nicht lange nachdenken, denn da empfand ich genau wie sie. Ich nickte zweimal, ehe ich weiter sprach.


    „Familie ist etwas Wunderbares, Prisca. Sie spendet Geborgenheit, bietet Rückhalt und Liebe. So etwas braucht der Mensch genauso wie die Gunst der Götter. Und wenn wir Teile unserer Lieben verloren haben, dann sollten sich die Zurückgebliebenen einander annehmen, um den Verlust erträglich zu machen. Ich bin der festen Ansicht, dass auf diese Weise der Schmerz schneller abebbt, wenn auch nicht verschwindet.“


    Mir blieb kaum Zeit, die Gedanken meiner Aussage hinterher schweifen zu lassen, weil Prisca einen Zusatz zu ihrer Eingangserklärung machte, der mich doch wieder an eine vergleichbare Situation zwischen ihr und mir glauben ließ. Sie fürchtete sich offenbar ebenfalls, wenn auch nur ein klein wenig, vor der Zukunft. Ihre Sorge erinnerte mich auch sogleich an meine, dabei hatte ich gehofft, Ablenkung zu finden, als ich das Gesprächsthema auf sie lenkte. Ein kaum hörbarer Seufzer schlüpfte mir über die Lippen, ich blickte zu Boden, um die Gedanken zu sammeln, ehe ich ihren Blick suchte.


    „Ich weiß, wovon du sprichst“, wisperte ich. „Genau das macht mir ja derzeit Angst.“ In meine Augen stand Hilflosigkeit, die ich bisher niemanden offen gezeigt hatte. Bisher trug ich diesen Kampf mit mir alleine aus. „Mich verbindet vermutlich mehr mit den Aureliern als mach einen meiner Brüder, obwohl ich nicht das leibliche Kind Antoninus’ und Severinas bin.“ Mein Redefluss stockte, ich blickte ziellos geradeaus. „… war. Mir wurde aber eine derart starke Verbundenheit zur Gens anerzogen, die in mir den Wunsch erwachen ließ, auf Lebenszeit Teil dieser Familie zu bleiben. Meine Eltern wussten davon, haben mich auch nie gescholten, sie fanden mein Begehren legitim, da mich ja keine Blutsbande mit irgendeinem Familienmitglied verbanden.“


    Priscas Bemühen, sowohl ihre als auch meine Stimmung mit einem Scherz aufzubessern, sollten nicht erfolglos bleiben. Ich bemühte mich um Haltung, so wie ich es eigentlich immer tat, auch wenn es im Inneren völlig anders aussah. Schweigsamkeit war eine hilfreiche Maske, derer ich mich zunehmend gern bediente. Jedoch machte Prisca nur einen Schlenker, um zum Kernthema wieder zurückzufinden. Andererseits konnte es auch Klarheit und Erleichterung bringen, einmal alles anzusprechen und nicht zu verstummen. Während ich nach Worten suchte, wusste ich plötzlich nicht mit meinen Händen wohin. Das Herabhängen fühlte sich ebenso merkwürdig an, wie der Versuch, sie vor dem Bauch oder hinter dem Rücken zu verschränken. Ich wählte schließlich die Variante, bei der ich meinen Körper umschlang. Nach Schritten, in denen ich kein Wort verlauten ließ, erklärte ich leise: „Ich ziehe morgen aus, ohne auch nur einen Schimmer zu haben, für wie lange.“ Diese Aussage brachte das ganze Dilemma auf einen Punkt. „Marcus hat in den letzten Wochen viele Möglichkeiten verstreichen lassen, um mit mir darüber oder über den Tod unserer Eltern zu reden. Ich gehe ins Ungewisse, Prisca. Das macht mir Angst.“ Wieder entstand eine kleine Pause, bevor ich weitere Worte fand. „Weißt du, ich frage nicht, ich drängle auch nicht, ich möchte nicht fordern, denn das wäre alles unter meiner Würde, das verbietet mein Stolz. Vielleicht ist das ein Fehler, ich weiß es nicht. Im Grunde ziehe ich stets nur meine Konsequenzen, denn diese Freiheit kann mir niemand nehmen.“


    Obwohl ich sehr gerne Priscas Meinung dazu gehört hätte, empfand ich ihr Ablenkungsmanöver, das Mogontiacum ansprach, als angenehm. Mein Lächeln überzog mein Gesicht.


    „Ja, ich erinnere mich an die Nacht, in der ich eine Freundin fand“, erwiderte ich leise, löste die Arme und schob eine Hand in ihre. „Wir werden uns oft treffen, ja? Egal wo wir beide einmal wohnen werden.“ Ich schaute sie hoffnungsvoll an.

    Die Ankunft in Ostia verlief alles andere als wünschenswert. Sollte die Villa meines früheren Vaters ursprünglich meinen Zufluchtsort darstellen, erlebte ich sie eher als Schreckgespenst für weitere unliebsame Ereignisse, die mein Leben betrafen. Es war, als wollte die schwarze Seite des Schicksalsfadens nicht mehr von mir weichen. Das Gefühl, alleingelassen mit allen Sorgen, allem Schmerz, allen Ängsten zu sein, verstärkte sich am Folgetag, als mich ein Brief erreichte und über eine Saktio informierte, die einen meiner Betriebe betraf. Ich fühlte mich wie ein heimatloses Waisenkind, das allem Trübsal dieser Welt alleine gegenüberstand.


    Noch am selben Tag machte ich mich auf den Weg nach Rom, aber bevor ich die Basilica Iulia aufsuchte, lenkte ich meine Schritte zu dem Orakel hin. Bei ihm konnte ich sicher sein, es würde mit mir sprechen, mir helfen, einen Rat geben, sich um meine Belange kümmern und bestimmt auch einen Weg aus meiner Situation weisen, die für mich längst unerträglich geworden war.

    Mein Interesse galt den Planungen für Speisen und Getränke sowie meine Unterkunft, daher beachtete ich Fionas Kletterversuche nicht mehr, sondern wartete nur noch auf ihre Erfolgsmeldung, während ich mich mit Aintzane befasste. Ich empfand es als Nachteil, dass sie erstmalig in Ostia war, traute ihr aber zu, sich selbstständig durchzufragen, falls sie den Weg verfehlen würde. Regelrecht schwer war der Markt auch nicht zu finden, führte doch annähernd alle Straße zu ihm oder zum Hafen.


    In meine Überlegungen platzten ein Splittern und anschließend ein dumpfer Aufschlag hinein. Mit einem Blick erfasste ich die Situation, auch wenn ich mit den Gedanken ganz wo anders gewesen war. Meine Miene verzog sich, als ich den Sturz nachempfand, es musste ein ekliges Gefühl gewesen sein, aber nun half alles Jammern nicht, handeln war gefragt. Ich schloss für einen Moment die Augen, um den Verstand zu aktivieren und die Gefühle auszublenden, bevor ich mich wieder an Aintzane wandte.
    „Tu mir den Gefallen und öffne irgendwie dieses Haus. Wie, ist mir egal, nur möglichst schnell und möglichst ohne solche Komplikationen.“ Ich wies auf die reglose Fiona. Anschließend sprach ich Minna an.


    „Minna, ich erwarte von dir, dass du ohne Panik oder ähnliche Ausfallerscheinungen zu dem Medicus am Ende der Straße läufst, die Angelegenheit schilderst und ihn hierher bringst. Bei etwas Glück sind wir bis dahin im Haus. Nun geh.“


    Ich hatte bereits im Augenwinkel das Nahen der Kutsche bemerkt, die mir nun wie gerufen kam. Als der Kutscher bereits das Gespann zügeln wollte, winkte ich ab.


    „Gleich weiter und zwar zu den Stallungen. Hier müssen irgendwo Stallburschen sein, denn einen kleinen Zuchtbestand hatte ich immer über die Jahre hier. Herbringen, zack!“, befahl ich in distanziertem Ton, weil ich noch immer verärgert über den Kutscher war.


    Nachdem ich die Versorgung organisiert hatte, trat ich an die reglose Sklavin heran. Zunächst sträubte sich alles in mir, sie anzufassen, aber letztlich überwand ich meine Scheu, bückte mich und legte die Hand ganz sachte auf den Hals, in dem Versuch, die Tätigkeit der Schlagader zu überprüfen. Leider war ich darin weder geübt noch besonders geschickt, ich spürte gar nichts und seufzte einmal vernehmlich auf. Eine tote Sklavin wäre das Letzte, was ich hier gebrauchen konnte.


    Mein Blick schweifte durch die nahe Umgebung, ich suchte eine Flaumfeder, die ich aber leider nicht auf Anhieb fand. Sie hätte mir den Atem anzeigen können, oder eben nicht. Ich überlegte, wie man noch auf einfach Weise feststellen konnte, wie es um ein Unfallopfer stand.

    Sim-Off:

    Wieso gemein und niederträchtig? Deandra ist nur k und k - kreativ und konsequent. :D


    Ich war von Fionas Einhundertachtzig-Grad-Wendung derart überrascht, dass ich erstaunt den Kopf ein Stück nach vorne und die Brauen in die Höhe schob. Zwar hatte ich mit einem Einlenken ihrerseits gerechnet, aber nicht mit derart unterwürfigen Formulierungen. Allerdings fand ich es müßig, der Sache auf den Grund zu gehen, ich nickte zufrieden und hakte die Angelegenheit „fehlende Kutsche“ ab, was allerdings nicht bedeutete, dass der Kutscher wegbleiben durfte. Sein Auftauchen mitsamt Reisegefährt stand noch auf der Liste der unerledigten Sachen.


    „Gut, das freut mich zu hören“, erwiderte ich zunächst, legte anschließend den rechten Zeigefinger an das Kinn und wandte den Kopf zur Hauswand, deren Fassade ich begutachtete. „Nun gut, dann versuchen wir es jetzt also zunächst mit der Leiter. Das wäre dann dein Part, Fiona.“


    Die Sklavin hatte sich nicht nur angeboten, ich schätzte sie auch als kompetent genug für diese Aufgabe ein. Meine Aufmerksamkeit beließ ich aber nicht bei Fionas Kletterkünsten, sondern ich wandte mich an Aintzane und Minna, die eng beieinander standen. Nebenbei registrierte ich den Dank der Sklavin Minna, die bei mir einen außerordentlich guten Eindruck hinterließ. Ich würde sicherlich bei der Festsetzung des Taschengeldes meiner Sklavinnen erhebliche Unterschiede machen.


    Bei diesem Gedanken angelangt, und weil wir ohnehin nichts zu tun hatten, plante ich bereits den Marktbesuch.


    „Aintzane, warst du eigentlich schon einmal in Ostia? Ich würde dir die Leitung der kleinen Gruppe anvertrauen, die nachher die Einkäufe tätigen muss. Und ich müsste einmal von jedem wissen, über welche Kleidung er bislang verfügt.“

    Sim-Off:

    Ich hätte niieee gedacht, dass die Szene so spannend wird. Mein Dank an alle Mitspieler. :)


    Die Antwort der Sklavin Fiona war geeignet, meine ohnehin vorhandene Verärgerung noch zu steigern.


    „Nein! Du hast eben nicht getan, was ich verlangt habe. Und ja, dein Handeln war falsch! Dein Auftrag lautete, den Kutscher samt Reisegefährt zu holen. Und bitte, was hast du angebracht?“ Meine Hände wiesen auf den Kutscher. Die Antwort würde ich ihr nicht vorkauen, die sollte sie selbst finden und äußern, wofür ich ihr etwas Zeit gab. „Es interessiert einfach nicht, was du als sicher betrachtest, wenn du einen Auftrag erhalten hast. Gewöhne dir schleunigst Eigenmächtigkeiten und selbstständiges Denken ab, es wäre zu deinem eigenen Vorteil.“


    Ich hob den Zeigefinger, um meinen Worten Nachdruck zu verleihen. „Es ist die erste und einzige Chance, die ich dir gebe, deinen Fehler zu ergründen und daraus ohne weitere Folgen, die ansonsten unweigerlich in Strafen enden, aus der Angelegenheit herauszukommen. Die einzige! Lerne daraus! Du kannst allerdings auch auf Konfrontationskurs gehen, aber glaub mir, Siegerin wirst du niemals sein.“


    Es kostete mich einige Mühe, den Blick von Fiona loszureißen, denn der aufgestiegene Ärger war immens. Und doch vertrat ich stets die Auffassung, jedem wenigstens eine Chance einzuräumen. Mitunter waren auch Unkenntnis oder Überforderung in der neuen Situation als Sklavin die Ursache für Anfangsfehler. Sollten jedoch Trotz und Widerborstigkeit zum Charakter dieser Sklavin gehören, würde ich das spätestens nach ihrer Reaktion wissen.
    Sodann wandte ich mich an den Kutscher, der tatsächlich die Frechheit trotz seiner langjährigen Anstellung in meinem Gestüt besaß, Erklärungen abzugeben, wo er längst einen Arbeitsauftrag, nämlich das nachträgliche Ordern der Kutsche, erhalten hatte. Ein Blick allerdings genügte, um den Mann an seinen Auftrag zu erinnern. Eilig dampfte er ab.


    Noch bevor ich weitere Entschlüsse fassen konnte, trat Aintzane auf mich zu. Ich hörte mir ihren Vorschlag an, winkte aber beruhigend ab.


    „Nein, Aintzane. Hier geht es um mehr als nur um die Frage, ob jemand und wer auf eine Kutsche steigt. Ich brauche mich deiner Verlässlichkeit nicht mehr zu versichern.“ In diesem Moment fiel mir das stille Wesen der Sklavin Minna auf. Ich betrachtete sie für Augenblicke nachdenklich, weil mir natürlich bekannt war, dass mein Vater sie an Ofella verschenkt hatte. Möglicherweise war ihre duldsame Art gerade geeignet, die exzentrische Ofella nicht mehr als nötig zu reizen. Aber wie das jemand aushalten konnte, der auf gewisse Weise sensibel war, konnte ich mir kaum erklären, wenn schon ich die Flucht vor dieser Frau ergriff, wo meine Position doch eine überaus bessere war.


    „Minna, du brauchst nicht auf die Kutsche klettern“, entschied ich aus diesem Gedanken heraus. „Ich erlaube dir, sofern wir einmal in dieses Haus kommen, nachher mit Aintzane auf den Markt zu gehen, wo ihr euch jeweils etwas Hübsches kaufen dürft. Ob euch Fiona begleiten wird und welche Aufgaben sie bei diesem Marktbesuch erhält, muss sich noch zeigen.“


    Mein Blick suchte wieder jene Sklavin, deren Reaktion auf meinen Ratschlag noch immer ausstand. Zunächst schlug sie jedoch vor, selbst auf die Kutsche klettern zu wollen. Ich erwiderte zunächst noch nichts, registrierte aber, dass ihr Ansinnen tatsächlich nur einen Vorschlag ohne jede Form von Selbstbestimmung beinhaltete.

    Bis zu dem Augenblick, als Fiona zwar mit dem Kutscher, aber ohne Reisegefährt auf uns zusteuerte, war ich trotz der unerwarteten Schwierigkeiten gut gelaunt gewesen. Die Missachtung meines ausdrücklichen Wunsches ärgerte mich jedoch, weswegen ich die Brauen runzelte und die beiden näher Kommenden mit in die Seiten eingestützten Armen erwartete. Mir entging dabei Aintzanes widerstrebendes „Wie?“ ebenso wie Minnas, wenn auch sanft geäußerte, Bedenken bezüglich der eingeplanten Klettertour.


    „So, die Leiter kannst du zunächst erst einmal ablegen“, empfing ich den Kutscher unwillig. „Anschließend siehst du zu, dass die Kutsche hier vorfährt. Oder hast du ihm das etwa nicht ausgerichtet?“, wandte ich mich mit ärgerlichem Blick an Fiona, die, sollte es tatsächlich eine Eigenmächtigkeit von ihr gewesen sein, sicherlich einiges zu erwarten hatte. Wenn ich bei Sklaven etwas nicht leiden konnte, dann waren es Unbefugtheiten. Ich hörte mir ausnahmsweise durchaus mal Einwände an, aber selbstständiges Handeln verbot sich.


    „Wie lange bist du denn schon Sklavin? Oder hat man dich etwa Widerborstigkeit und Eigenmächtigkeit in meiner Familie gelehrt? Auf jeden Fall dulde ich so ein Verhalten nicht. Also bitte, ich höre.“


    Ich fixierte die Sklavin und versuchte momentan noch aufnahmefähig für ihre Erklärungen zu sein. Die Konsequenzen würde ich später festlegen, denn auch der Kutscher war längst noch nicht aus der Sache heraus. Zudem musste ich schauen, dass ich annähernd gerecht handelte. Aintzanes vorlaute Art ließ ich inzwischen öfters einmal durchgehen, weil sie anderweitige Qualitäten besaß. Neue Sklaven konnten noch auf keinerlei Gewohnheitsrecht bei mir hoffen, daher bevorzugte ich bei ihnen eindeutig eine folgsame Art. Still und folgsam, das wäre mal angenehm, wobei gerade Assindius alles andere, aber nie still gewesen war. Manchmal war er sogar frech gewesen, aber auch bei ihm war ich mir seiner Loyalität stets sicher gewesen, was das Guthaben für gewisse Zugeständnisse dargestellt hatte.

    Was für eine Zeit war das nur, die ich gerade durchlebte? Germanien blieb in schlechter Erinnerung, weil die letzten Ereignisse all das Schöne weit überschatteten. Es lag nicht allein an mir, weil ich genau das zuließ, es lag auch an Corvi, der sich scheinbar um jeden sorgte, aber eben nicht um mich. So war das bei vielen Männern, hatte Tante Apollonia mehrfach erwähnt: Hilfsbereit zu jedem anderen, aber die eigene Frau musste alleine laufen.
    Während ich neben Prisca dem Garten zuschritt, grübelte ich darüber nach, ob ein kleinwenig die Tatsache, dass Apollonia nicht in Liebe mit ihrem Mann verbunden gewesen war, zu ihrer Ansicht geführt hatte. Andererseits verhielt sich Corvi derzeit genau so und zwischen uns gab es keine Zweckverbundenheit. Aber vielleicht wandelte sich Liebe stets in Gewohnheit, bei Sophus war es ähnlich gewesen. Sophus - warum kam ich eigentlich auf ihn? Es musste an Rom und an Apollonia liegen, die Villa barg viele Erinnerungen.
    Auch solche, die mich an meine einstigen Eltern erinnerten. Severina war Mutter und Freundin zugleich für mich gewesen, so wie sie offenbar Freundin und Geliebte zugleich für meinen Vater gewesen war. Bei ihnen starb die Liebe offenbar nie. Oder glaubte ich das nur, weil ihr Tod seinen nach sich gezogen hatte? Ich versuchte mich zu erinnern, ob Antoninus auch im Leben Severina Liebe und Fürsorge angedeihen ließ. Dabei stellte ich feste, er war selten zu Hause, aber wenn, dann nahm er sich stets für Mutter die Zeit, nie für andere. Vielleicht verglich ich derzeit auch zu viel, ich sollte das sein lassen.


    Ich sog die Luft ein, die keineswegs frei von merkwürdigen Gerüchen war, dennoch war es römische Luft, die mehr als nur Qualität zum atmen bot.


    „Ich bin einerseits froh, wieder in Rom zu sein“, begann ich das Gespräch, blickte aber weiter nach vorn, während ich langsam voranschritt. „Andererseits weiß ich nicht, ob ich mich auf die nahe Zukunft freuen kann. Mir scheint, eher nicht. Und wie geht es dir?“


    Bei dieser Frage wandte ich den Kopf und schaute Prisca an. Bei all dem Trubel der letzten Zeit waren ihre Pläne irgendwie untergegangen.

    Natürlich entging mir keineswegs die verblüffte Reaktion meiner Leibsklavin. Fast mochte man meinen, sie wäre sogar entsetzt über meine Idee mit der Kutsche gewesen.


    „Wenn der Stoff reißt oder das Holz zusammenbricht?“, wiederholte ich, weil mir weder der Grund ihrer Skepsis noch die Widerworte überhaupt einleuchteten. Schließlich unterzog ich Aintzane einer gründlichen Musterung, um ihr Gewicht annähernd einschätzen zu können.


    „Dann nehmen wir eben die zarte Minna, wenn du Angst hast, dass du dafür zu schwergewichtig bist“, schlug ich im Brustton der Überzeugung vor. Ich drehte mich zu Minna, begutachtete zunächst ihre Konturen und nickte. „Das wird was. Und keine Sorge, die Wagenkonstruktionen sind durchaus stabil.“ Zumindest glaubte ich das.


    Jetzt fehlte nur noch die Kutsche. Ich blickte mich suchend um, aber weder Fiona noch der Kutscher samt Gefährt waren in Sicht. Flüchtig überlegte ich, ob Fiona mich unter Umständen missverstanden haben könnte oder ob sie den Kutscher womöglich nicht fand. Ob dieser eventuell die Pferde bereits ausgespannt und nun zunächst wieder in die Riemen schnallen musste. Irgendwie dauerte mir das alles zu lange. Ich fror, vermutlich sogar mehr innerlich als körperlich, daher wollte ich so schnell wie irgend möglich in das Haus. Zwei Minuten wollte ich Fiona noch geben, dann sollte sie eingetroffen sein.