Beiträge von Claudia Aureliana Deandra

    Die Beobachtung des unbewohnten Zimmers war werden langfristig spannend noch in der gebückten Haltung beim Blick durch das Schlüsselloch bequem, also setzte ich mein ohnehin vorhin gefasstes Vorhaben um, die Sklavinnen bei ihrem Einstiegversuch zu beobachten. Auf dem Weg nach draußen kam mir Fiona entgegen, weswegen ich im Schritt verhielt und mir zunächst ihren Bericht anhörte.


    „Na prima, Wein ist so ziemlich das Letzte, was ich zum Überleben brauche“, resümierte ich seufzend. „Dann muss nachher jemand einkaufen gehen, aber zunächst müssen wir erst einmal in diese Villa kommen.“


    Ich zuckte mit den Schultern. Zwar verlief bei weitem nicht alles nach Wunsch, aber entmutigen ließ ich mich von dergleichen Widerständen nicht so schnell.


    „Komm mit, ich muss sehen, wie weit die beiden mit ihrem Vorhaben gekommen sind.“
    Mit Fiona im Schlepptau fand ich nach kurzem Suchen Minna und Aintzane, die offensichtlich über Beratschlagungen noch nicht hinausgekommen waren. Auch Minnas skeptischer Blick nach oben fiel mir auf.


    „Fiona, hole mal den Kutscher mitsamt Reisegefährt.“ Zwar würde sich zeigen, wie nahe die Kutsche überhaupt an die Hauswand zu lenken war, aber einen Versuch war es immerhin wert. In der Zwischenzeit verschaffte ich mir eine günstige Sichtposition, denn ein solches Schauspiel, das unweigerlich folgen musste, bekam ich nicht aller Tage zu sehen.

    Bevor mir Prisca antworten konnte, ergriff Cotta noch einmal das Wort. Es ging zum wiederholten Male um Corvis Brief und Lupus' Vorbereitungen für unser Eintreffen, weswegen ich mich bereits wieder Prisca zuwenden wollte, als eine überaus verblüffende Wendung eintrat: Cotta stellte Corvi eine Sklavin vor, als wäre sie ein Gast, eine Römerin oder sonst eine wichtige Person. Mir blieb der Mund offen stehen, ich wandte mich zu meinem ehemaligen Verwandten um und starrte ihn ungläubig an. Gehörte diese Szene ebenfalls zu den witzigen Einfällen, die Lupus geplant hatte?


    „Äh“, entfuhr mir, nachdem sich diese Überlegung als Irrtum herausgestellt hatte, weil Cotta mit ernsthaftem Gesichtsausdruck nun auch noch Corvi dieser Sklavin vorstellte. Ich realisierte nach einigen Schrecksekunden, dass sich zum Glück niemand außer Familienmitgliedern im Raum befand, schloss wieder den Mund und schluckte. Seine nachfolgenden Worte, die an mich gerichtet waren, zogen annähernd unverarbeitet an mir vorbei. Ich nickte geistesabwesend und bemerkte im selben Augenblick, dass Prisca Anstallten machte, sich zu verabschieden.


    „Oh bitte, Prisca“, erwiderte ich hastig. „Warte auf mich!“ Ich verspürte das starke Bedürfnis, mich aus dieser Runde zu verabschieden. Ohne die auf den Lehnen liegenden Arme zum Abstützen zu benutzen, wohl aber als Halt benutzend, erhob ich mich. Nervös strich ich eine vorwitzige Haarsträhne aus der Stirn. Bei den Göttern! Der sich bereits in Wohlgefallen aufgelöste Schreck hatte mich erneut erfasst.


    Ich warf Corvi einen Blick aus verstört wirkenden Augen zu und bemühte mich, Prisca auf dem Weg in den Garten einzuholen.


    Sim-Off:

    Wer zuerst die Lust verspürt, eröffnet einfach den Gartenthread, okay? :)


    edit: Link eingefügt.

    Die Unterhaltung verlief ungünstig, aber nicht nur die Themen sorgten dafür, sondern auch eine sonderbar bedrückte Stimmung, die sicherlich vor allem von mir ausging. Ich stocherte auf meinem Teller herum und blickte höchst selten auf. Allein dem Gletschereis widmete ich meine Aufmerksamkeit, als es eintraf.


    Erst als mein Vater von der Namensänderung sprach, hielt ich inne, senkte die Hand, die den Löffel hielt, auf den Schoß und schaute ihn verwundert an. Nicht so sehr, weil er fortan anders hieß und ich mir den Namen einprägen wollte, sondern weil ich von der nachfolgenden Erklärung überrascht war. Seine Frau?


    „Ich habe eine … Mutter?“, fragte ich ungläubig, und - zugegeben - völlig überflüssigerweise nach. Die Eröffnung traf mich unvorbereitet. Ich fragte mich, ob es nun gut war, eine neue Mutter zu haben oder nicht? Ich würde vergleichen, das blieb gar nicht aus. Bereits jetzt keimte die Abwehr gegen einen Mutterersatz auf, denn ich konnte mir momentan nicht vorstellen, einen solchen hinnehmen zu können, doch genau das sollte in nicht allzu ferner Zukunft passieren. Die Ankündigung eines Bruders hörte ich zwar, maß ihr aber keine weitere Bedeutung bei. In meiner Vorstellung musste dieser Bruder längst dem Knabenalter entwachsen sein, so zumindest verhielt es sich bei meinen ehemaligen Brüdern. Vielleicht würde ich ihn sogar mögen, wer weiß?


    Trotz der verblüffenden Wendung kam meine Redseligkeit nicht in Gang, sie war ohnehin nie stark ausgeprägt. Ich blickte wieder auf mein Eis, ließ die gesamte Situation noch eine Revue passieren und überlegte angestrengt, wie ich mich geben sollte, wenn sich Corvi verabschieden würde. Was würde überwiegen? Die Traurigkeit? Oder eine Form von Vorwurf? Bockigkeit, die mich auch mitunter ausmachte? Trotz? Rebellion? Eine Vorahnung von Sehnsucht? Am liebsten würde ich mich vor dieser Verabschiedung gänzlich drücken wollen, denn sie konnte einfach nicht angenehm werden. Aber was war schon angenehm in letzter Zeit?


    Plötzlich fragte ich mich, ob es Mutter und Vater nicht von uns allen viel besser ging. Sie hatten sich wenigstens. Aus diesem Gedanken erwuchs just eine weitere Erkenntnis, die mich unwillkürlich aufrichten ließ, so sehr beeindruckte sie mich: Mein Vater wurde augenblicklich zum Halbgott, zum Ideal, weil er sich nicht nur um Mutter gesorgt hatte, sondern sie selbst im Tode nicht alleine ließ. Corvi meinte, er konnte ihren Tod nicht verwinden. Ob wohl Vater gutheißen würde, dass mich Corvi einfach ablieferte? Oder wollte er das sogar? Automatisch wandte ich den Blick und schaute ihn an.


    „Du hast doch … da war doch eine Nachricht“, begann ich stockend. „War die von …“ Fast wäre mir ‚mein Vater’ herausgerutscht, aber ich konnte mir noch auf die Zunge beißen. Ich stellte die Schale mit Gletschereis ab und blickte Menecrates bittend an.


    „Bitte verzeih, es ist einfach noch nicht alles geklärt.“


    Bevor Corvi die Villa verließ, wollte ich über alles Gewissheit haben. Vielleicht gab es ja so etwas wie einen letzten Willen? Noch überlegte ich, ob ich mich vorerst zurückziehen sollte, damit die Männer zunächst ihr Gespäch beenden konnten. Andererseits wäre es auch eine Möglichkeit, mich nur noch auf das Zuhören zu beschränken. Oder aber Menecrates zog sich diskret zurück?

    Ich hatte bereits Luft geholt, um mich darüber zu beschweren, weil niemand den von mir gewünschten Platz sauber wischen wollte, da nahm mir Aintzanes Bemerkung die Energie dazu, und ich atmete ergebnislos wieder aus. Selbstverständlich hatte ich das nutzlose Rütteln an der Tür bemerkt. „Sie geht nicht auf?“, fragte ich dennoch überflüssiger Weise, aber nur deswegen, um Zeit für eine Überlegung zu gewinnen. Genau, Assindius fehlte – wieder einmal.


    „Dann seht doch mal draußen nach, ob man durch das Fenster krabbeln kann. Vielleicht ist ja ein Einstieg im Obergeschoss möglich.“


    Wird schon gehen, dachte ich bei mir. Zur Not müssen sie sich eben was zum Draufstellen holen oder den Kutscher rufen. Auf jeden Fall mochte ich mich nun nicht mehr hinsetzen. Ich ging zu den Sklavinnen, um späterhin ihre Einstiegsversuche begutachten zu können. Vorerst linste ich aber durch das Schlüsselloch. Einige Spinnweben durchzogen selbst diesen Bereich, sodass die Durchsicht eingeschränkt war. Angewidert richtete ich mich auf.


    „Hier muss so was von gründlich geputzt werden, wenn ich mich hier wohl fühlen soll“, kündigte ich schon einmal an. Schließlich wollte ich demnächst hier leben. Außerdem war dieses Anwesen einmal sehr wohnlich gewesen, was sicherlich erneut wieder möglich war.

    Längst hatte ich den einerseits lustigen andererseits aber auch zunächst schockierenden Empfang vergessen. Lupus brachte meine Gedanken wieder auf das Generalthema der letzten Tage und Wochen zurück: Der Verlust meiner einstigen Eltern, die damit verbundene Einsamkeit, der zukünftige Verlust meines Elternhauses und damit die Trennung von all und jedem, der mir vertraut war. Und immer, wenn ich bei diesem Resümee angelangt war, verlor ich das Interesse an meinem Umfeld, sank meine Aufmerksamkeit, nahm ich selbst offensichtliche Gesten und Regungen Umstehender nicht mehr wahr. Mir entging Corvis dezente Musterung ebenso wie Cottas Beobachtung, weil ich mit Lupus beschäftigt war. Hätte jedoch Cotta seine Gedanken laut geäußert, mein Erstaunen wäre sehr groß gewesen. So groß, dass ich entweder vor Verblüffung sprachlos gewesen wäre oder zu einer längeren Erklärung angesetzt hätte.


    Natürlich fühlte ich mich vernachlässigt, hochgradig sogar, das hätte ich ohne Einschränkung bestätigt. Bei aller Enttäuschung über die fehlende und dabei so stark benötigte Stütze … aber zu einer Taktikerin hätte mich selbst dieser Mangel nicht gemacht. Und selbst wenn ich fähig wäre, durch geplantes Verhalten Menschen zu manipulieren, es wäre ein Armutszeugnis gewesen, würde ich es bei demjenigen anwenden, der mir am wichtigsten war. Neben dem fehlenden Vermögen, taktisch raffiniert zu sein, stand aber auch mein Stolz einer solchen Handlungsweise entgegen. Ich würde niemand je dazu nötigen, Aufmerksamkeit zu geben. Kein Schicksalsschlag würde mich je zu einer direkten oder indirekten Bettlerin machen. Bei diesem Gedanken angelangt, hob ich automatisch das Kinn um eine Nuance.


    Zur Diskussion standen demnach die fehlende Unterstützung, Fürsorge, Geborgenheit, Halt, nicht aber die Liebe, darin irrte Cotta. Es spielte keine Rolle, ob Corvi den Frauen gefiel. Nichts war so unerheblich wie das.
    Ich mochte mich alleingelassen und unverstanden fühlen, aber weder an meinem Wert noch an seiner Liebe zweifelte ich. Es gab Dinge, die befanden sich außerhalb jeglicher Erörterung. Irgendwann würde ich sicherlich auch einmal Cottas generelle Auffassung darüber erfahren, heute bot sich dafür wenig Gelegenheit. Genau betrachtet bot allerdings die weitere Zukunft auch kaum Möglichkeiten dafür. Ich seufzte und befand mich wieder am Ausgangspunkt meiner Gedanken. Es war ein Kreislauf, den ich nicht zu durchbrechen imstande war.


    Neben diesen Bedürfnissen, die seit langem unerfüllt geblieben waren, stellte ich allerdings fest, inzwischen durchaus gesättigt zu sein. Durst verspürte ich ebenfalls nicht mehr. Ich lehnte mich vor und stellte den Teller, den ich noch immer in den Händen hielt, ab. Einen Moment sann ich nach, dann setzte ich mich wieder aufrecht hin und wandte mich zu Prisca.


    „Möchtest du noch einen Spaziergang durch den Garten machen?“ Meine Frage beinhaltete sowohl die Möglichkeit, der Verabredung nachzukommen, als auch ohne weiteres zu verschieben, weil ich ja bereits das Grobe in dieser Runde erzählt hatte. „Entscheide ruhig ganz frei, für mich wäre alles in Ordnung“, fügte ich daher lächelnd an.


    Während ich Prisca Zeit zum Überlegen einräumte, stellte Cotta eine äußerst schlaue Frage. Ab sofort kreisten meine Gedanken darum, wie die Claudier so sind, und da ich zum jetzigen Zeitpunkt Ofella noch nicht kannte, nahm mir die recht schnell einsetzende Erkenntnis einiges an Furcht vor der Zukunft. Ich suchte den Blickkontakt zu ihm und machte eine einsichtige Kopfbewegung, die einem seitlichen Nicken gleichkam.


    „Die Claudier sind eine befreundete Familie“, antwortete ich schmunzelnd. „Mein Vater ist ein langjähriger Freund der Aurelier, ich habe jetzt auch eine Schwester – Epi. Das ist schon schön“, gab ich zu und senkte den Blick. Aber wenn mich jemand gefragt hätte, wo ich leben möchte, dann doch eher in dem Haus, wo ich meine Kindheit verbrachte, und bei den Menschen, die seit langem meine Verwandten waren, die mich kannten und aus dem Herzen liebten.

    Sim-Off:

    wb :)


    Vorerst bewegte ich mich nicht aus dem Atrium, denn hier war die Luft weniger abgestanden. Der Empfangsraum war um einiges kleiner als ich ihn gewöhnt war, aber vermutlich würde sich ohnehin kaum ein Gast hierhin verirren und für vereinzelte Besucher bot er ausreichend Platz. Ich erinnerte mich an mein vor Jahren eingerichtetes Schwimmbad, die Frage war nur, in welchem Zustand es sich befand, aber das musste warten. Vorerst galt es, die lebensnotwendigen Dinge zu regeln.


    „Wenn Fiona mit der Auskunft über die Vorräte kommt, werden wir sehen, ob sofort eingekauft werden muss oder vielleicht erst die Tage. Ich hoffe, jemand von euch kann kochen, denn sonst wird die Ernährung heute eher unerfreulich sein.“


    Ich blickte in die Runde. Von Aintzane wusste ich, dass sie bisher nie für Küchendienste eingeteilt war. Vielleicht wusste ja Minna über Fiona Bescheid.


    „Minna, du übernimmst am besten zusammen mit Aintzane die Herrichtung meines Zimmers. Frische Bettwäsche, Staubwischen, lüften, vor allem aber sämtliche Krabbeltiere entfernen. Weit entfernen, wenn ich bitten darf. Außerdem hätte ich gerne einen feinen und gleichzeitig grobmaschigen Vorhang, der nach dem Lüften vor das Fenster gehangen wird und derart zu befestigen ist, dass auch des Nachts keine Spinnen hereinkrabbeln können. Mäuse, Frösche, Eidechsen usw. sind mir egal, Hauptsache alle Spinnen sind weg. Da ich mich von Fliegen aber auch belästigt fühle, müsstet ihr diese ebenfalls vor der Nachruhe unschädlich machen. Aintzane, du richtest dir ein Zimmer neben meinem ein.
    Ihr könnt dann auch schon vorgehen, wer weiß, wie lange Fiona braucht.“


    Ich nickte den Sklavinnen zu, strebte zu einer Bank, fuhr mit dem rechten Zeigefinger prüfend über das Holz und rümpfte die Nase.


    „Ach, vorher müsste hier noch abgewischt werden“, änderte ich meinen Entschluss und blieb abwartend stehen.

    Minna hieß sie also, ich wollte es mir merken.


    „Na, dann lass uns mal Fiona folgen, die uns hoffentlich den Weg bahnt. Ich weiß nämlich nicht, ob dieses Anwesen überhaupt gepflegt wurde.“


    Mit langem Hals und akribisch musterndem Blick betrat ich die Villa, doch nur vorsichtig setzte ich einen Schritt vor den anderen. Die Luft war abgestanden, durch die zugezogenen Vorhänge drang kaum Licht. Ich rümpfte die Nase, obwohl im Grunde nichts unordentlich oder schmutzig war. Die Villa war unbewohnt, aber nicht verwahrlost. Die Frage war nur, wie ich mich wohl des nachts alleine hier fühlen würde. Fiona und Minna sollten wieder nach Rom, aber irgendjemand musste bei mir bleiben.


    „Zieht doch mal die Vorhänge beiseite und lasst Luft hinein. Und dann schaut doch mal nach den Vorräten. Am Ende muss noch jemand zum Markt.“

    Erst nachdem ich mit meiner Geschichte geendet hatte und aufblickte, bemerkte ich, dass ihr bei weitem nicht nur Lupus gefolgt war. Cottas Blick übermittelte Verständnis, fast sah es nach Anteilnahme aus. Ich schaute flüchtig zu Prisca, die nun bereits vor dem geplanten Gespräch im Garten im Bilde war, aber sicherlich konnte ich mit ihr noch mehr teilen.
    Corvi indes wirkte unbeteiligt, er aß, seine Interesse schien auf anderen Dingen zu liegen.


    Lupus’ Hand auf meinem Knie band kurz darauf meine Aufmerksamkeit, ich wandte mich ihm zu und lauschte seinen Worten. Zwar wusste ich nicht, wie meine Last tatsächlich auf andere Schultern zu legen war, gab mich aber im Moment der Illusion hin, es könnte genau das geschehen. Die Vorstellung allein war schon tröstlich. Der vernehmliche Seufzer zeugte von Erleichterung, nicht von erneuter Schwermut.


    Als Lupus meine Bezeichnung des Schattens aufnahm und weitere Erklärungen fand, lächelte ich sanft. Ich nickte, fast mehr mit den Augen als mit dem Kopf. Mehr war nicht nötig, es war alles gesagt, weit mehr als an Worten gefallen war. Lupus kannte mich, abgesehen von Corvi, besser als jeder andere in diesem Raum. Ich blickte zu Corvi, der, wäre er aufmerksam, zu genau derselben Erkenntnis wie ich kommen musste, aber er staunte - für mich unverständlich - nur die Vorhänge an. Ich verstand weder sein Desinteresse noch seine fortwährende Distanz. Von ihm hätte ich mir den Vorschlag gewünscht, der nun von Lupus kam. Und zwar sowohl die beruhigende Geste seiner Hand als auch das Angebot, endlich einmal ein Ohr für meine Sorgen zu haben. Zwar kümmerte er sich aufopferungsvoll um den Zusammenhalt der Familie, sorgte für die Finanzen, das Ansehen, die Versorgung jedes einzelnen, aber für meine Bedürfnisse war er entweder blind oder sie erschienen ihm nicht wichtig zu sein.


    Und was verlockt eine Frau, die über Wochen, ja Monate, niemanden zum Reden hat? Die allen Kummer in sich hineinfrisst? Der niemand zuhört, selbst wenn sie vorsichtige Andeutungen macht?
    Ich lächelte Lupus dankbar an, der nicht erst fragte, sondern einfach kategorisch festlegte, sie in den nächsten Tagen besuchen zu kommen. Das war nun immerhin eine positive Aussicht bei all dem Negativen, das ich mit meinem Umzug in die Villa Claudia verband.


    Um jedoch Corvi nicht vor den Kopf zu stoßen, indem ich mich zu sehr von Lupus’ einfühlsamen Verhalten angetan zeigte, ließ ich dessen burschikose Aussage so stehen und vermied, nochmals die Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen.


    „Wie geht es euch? Langsam bekomme ich einen dicken Kopf und Müdigkeit stellt sich ein.“


    Natürlich machte ich noch keine Anstalten aufzustehen, denn die Rücksicht gebot, die ungeklärte Situation mit Sisenna noch abzuwarten.

    Während Lupus sprach, nahm meine geplante Geschichte konkrete Formen an. Ich fand es höchst aufschlussreich, was er zu Cotta sagte, denn seine Auffassung von Familie traf bei mir vollkommen ins Schwarze. Dabei konnte er gar nicht wissen, dass genau dieser Punkt derzeit meine wunde Stelle war. Ich wusste nicht einmal, ob ich mich angesprochen oder ausgeschlossen fühlen sollte, wenn Corvi die Familienmitglieder zusammenrief. Ich gehörte nicht tatsächlich zur Familie – nicht mehr und gleichzeitig auch noch nicht.


    Und als ob Lupus meine Gedanken erraten konnte, richtete er nachdrückliche Worte an mich, die ausgerechnet meine Unsicherheit betrafen. Dabei war es weit mehr als Unsicherheit, die mich derzeit belastete. Es war die Überzeugung, nirgendwohin so richtig zu gehören. Weil er aber die von mir angekündigte Geschichte ansprach, riss er mich aus diesen trüben Gedanken, und sein Hinhocken lockte sogar ein flüchtiges Lächeln hervor.


    „Also gut, dann fange ich einmal an.“ Im Grunde befand ich diese Einleitung als überflüssig, aber sie half, die Gedanken zu sortieren.


    „Vor einigen Jahren zog ein junges Mädchen aus ihrem Elternhaus aus, um sich selbst zu beweisen, dass es etwas Vorzeigbares auf die Beine stellen konnte. Sie kaufte von dem Geld ihres Vaters ein paar Pferde, baute die Nebengebäude der kleinen Villa in Ostia zu Stallanlagen aus und beschaffte sich Personal. Nachdem der Zuchtbetrieb hervorragend lief, sodass selbst das Kaiserhaus zu ihren Kunden zählte, fasste sie den Entschluss, zum ersten Mal in ihrem Leben auf den Sklavenmarkt in Rom zu gehen, um sich nach eigenem Urteil einen kräftigen Sklaven zu kaufen. Sie musste im Nachhinein feststellen, dass der Kauf zur damaligen Zeit nicht unbedingt preiswert war, aber die Qualität des Sklaven wog ihre Unkosten wieder auf. Sie besaß fortan einen zuverlässigen Schatten an ihrer Seite, der stets über ihre Sicherheit wachte, in seiner Loyalität ohne Makel war und ihr, als sie ihr Elternhaus durch eine Adoption zu den Claudiern für immer verließ, stets ein Stück aurelische Vergangenheit vorgaukelte.
    Zu dieser Zeit war in ihr Herz bereits die Liebe eingezogen, die sie letztlich jede Zugehörigkeit zu einer fremden Familie vergessen ließ. Aber nachdem das Schicksal es über Jahre gut mit dem jungen Mädchen, das bereits zur Frau gereift war, gemeint hatte, brach ein Unglück nach dem anderen über sie herein. Zuerst verlor sie ihren treuen Sklaven, danach spürte sie Distanz bei einer Verwandten, erlebte ohne den Schutz ihres Sklaven verstärkt die Feindschaft von Seiten einer Sklavin und verlor zu allem Überfluss noch beide Elternteile ihrer Kindheit.“


    Das Nacherleben der belastenden Ereignisse in ihrer Zusammenfassung verursachte erheblichen Druck, der sich in einem langen Seufzer Luft machte. Corvis Zurückweisung, die ich lange nicht verstanden hatte, unterschlug ich sogar bei dieser Aufzählung, obwohl sie mich schwer belastet hatte, aber bei allem Kummer – nie würde ein Wort ihn betreffend über meine Lippen kommen. Das ging nur ihn und mich etwas an.


    „Die junge Frau steht nun verloren da mit ihrem schweren Gepäck. Verloren – weil sie nicht bleiben darf, wo sie bleiben möchte, weil scheinbar auch niemand ihre Lage versteht, und niemand da ist, der ihr beim Tragen hilft.“


    Ich machte eine Pause, weil mir auffiel, dass ich mich inzwischen selbst bemitleidete.


    „Eigentlich wollte ich gar nicht so viel von der jungen Frau erzählen“, begann ich nach kurzem von neuem. „Mir ist heute einiges anderes noch aufgefallen. Deine grobe Optik, aber selbst die äußerlichen Feinheiten, deine Einstellungen, deine Lebensweise, deine Art dich auszudrücken, selbst der Zeitpunkt, den du für die Anreise gewählt hast, er lässt mich an eine sonderbare Fügung der Götter glauben, deren Deutung ich mir von niemand ausreden lasse. Du erinnerst mich nicht nur an jemanden, ich glaube fest, jemand wurde in dir wiedergeboren. Frag nicht nach, es wird mein Geheimnis bleiben.“


    Vielleicht sprach aber auch mein Blick Bände.

    Ich nickte Fiona zu, um ihr nochmals zu bestätigen, dass sie vorgehen möge. Der Sicherheitsabstand, den ich einhielt war groß, und er vergrößerte sich schlagartig um einiges, als sie mit einer Spinne, die ich zwar nicht sah, aber ahnte, wieder herauskam. Nichts empfand ich furchtbarer, als ein Getier dieser Art als Waffe in der Hand eines anderen. Ich wäre im Notfall Meilen gerannt.


    Voller Skepsis und auch erst lange Momente später löste sich meine Erstarrung und ich wurde der anderen mir unbekannten Sklavin gewahr.


    "Wie ist denn dein Name?", fragte ich MInna mit noch leicht zitternder Stimme. "Und verfügst du über ähnliche Fähigkeiten?"

    Priscas Vorschlag ließ mich erneut Corvi und Sisenna aus den Augen verlieren. Ich blickte sie mit einem Lächeln an und überlegte nicht lange.


    „Das ist eine gute Idee, nur wir beide.“ Ich nickte zustimmend, weil mir die Aussicht auf ein Gespräch unter vier Augen gut gefiel. Es würde sich zeigen, was ich Prisca alles anvertrauen würde, manches behielt ich nicht aus Vertrauensmangel, sondern vor allem aus Diskretion für mich. Aber wenn nicht gegenüber Prisca, dann würde ich mich vermutlich keinem gegenüber öffnen. Gut, Corvi in aller Regel noch, aber das war eine gänzlich andere Ebene. Flüchtig grübelte ich, ob ich ihm auch die aktuellen Sorgen erzählen würde, denn sie betrafen ja zu einem nicht unerheblichen Teil ihn direkt, aber schnell stand fest, dass ich nicht von mir aus kommen würde. Vielleicht wenn er fragen würde, aber das tat er die ganze letzte Zeit nicht, warum also sich Gedanken darüber machen?


    „Ich könnte jetzt ohnehin nicht schlafen oder auch nur ruhen, dafür bin ich viel zu aufgekratzt. Also nach dem Essen …“


    Nun war es Lupus, der meine Aufmerksamkeit abzog.
    Er fragte uns, ob alles in Ordnung sei, und Prisca übernahm die Antwort. Ihren Versuch, über die furchtbare Begrüßung beleidigt zu sein, unterstützte ich mit strenger Miene und einem bestätigenden Kopfnicken, als sie zu mir blickte. Ihrem entschärfenden Lächeln schloss ich mich aber sofort an, denn einmal abgesehen von der ersten Bestürzung empfand ich genau diese ungewöhnliche Art des Empfangs als erfrischend anders, belebend und auch ablenkend. Ich hatte zeitweise tatsächlich meine Sorgen vergessen.


    Über Priscas Hoffnung, Sisenna betreffend, staunte ich als nächstes. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass die Kleine noch nichts von ihrem Schicksal wissen könnte. Aber auch diesen Gedanken schon ich schnell beiseite. Für Sisenna konnte ich derzeit wenig Interesse aufbringen, dann schon eher für Lupus. Ich betrachtete ihn gewisse Zeit, neigte anschließend den Kopf und legte die Stirn die Denkerfalten.


    „Wärst du an einer Geschichte interessiert, die ich erzählen könnte?“


    Mein Blick wanderte über die Gestalt meines ehemaligen Verwandten. Wieder einmal stellte ich bedauernd fest, dass ich durch den Familienwechsel nur verloren, aber nichts gewonnen hatte.

    "Oh, das trifft sich hervorragend, bei mir sieht das nämlich unbedeutend anders aus", erwiderte ich und äußerte damit die Untertreibung des Jahres.


    "Bist du dann wohl so mutig und gehst vor?"


    Natürlich hätte ich den Wunsch einfach anweisen können, aber es musste meine Verzagtheit sein, die ihn sogar als Frage formulierte. "Du darfst heute einmal Herrin spielen und vorgehen", fügte ich schmunzelnd an, wollte schon zur Seite treten, als mir etwas einfiel.


    "Wie heißt du überhaupt?" Weil ich jedoch den Sklavenbestand meines Vaters nicht kannte, wusste ich zusätzlich nicht einzuschätzen, ob die Sklavin schon von Geburt an, wenigstens seit längerem oder ganz neu zur Claudia gehörte.

    Nach meiner Äußerung über den doppelten Trauerfall, schien das Klima im Raum um etliche Grade zu sinken. Mich fröstelte es trotz der sommerlichen Temperaturen. Ich schlang meine Arme um mich, was keineswegs Wärme erzeugte, sondern eher eine symbolische Geste darstellte, und obwohl mein Blick zu Boden gerichtet war, bemerkte ich im Augenwinkel die auffallend bewegte Reaktion meines Vaters. Ich blickte überrascht auf, denn ich hatte bei allem selbst empfundenen Schmerz vollkommen vergessen, dass er meinen ehemaligen Vater ebenfalls sehr gut kannte, sogar mit ihm befreundet gewesen war.


    Während der Betrachtung seiner Ergriffenheit bemerkte ich einen weiteren Blick, der mich seitlich traf und meine Aufmerksamkeit abzog, weil er ohne Worte deutliche Bände sprach. Corvi war der Absender. Ich hielt seinem Blick stand, als er mich lange Momente regelrecht anstarrte, als hätte ich etwas Verbotenes gesagt. Oder war er einfach nur erschrocken, weil ich die Nachricht annähernd in Form einer Anklage hervorgebracht, ja fast hervorgeschleudert hatte? Wollte ich protestieren? Aber wogegen? Vielleicht gegen den Verlauf, den das Leben genommen hatte? Allerdings stellte mein Vater keineswegs die richtige Stelle für eine Klage dar, das sollte mir klar sein. Wollte ich vielleicht gleichzeitig gegen die Aussicht protestieren, in diesem Haus leben zu müssen? Allein der Gedanke war für mich derart abwegig, dass ich bislang keine Minute damit vergeudet hatte, eine Art von Vorstellung diesbezüglich zu entwickeln. Die Lösung und Neufassung meiner Adoption sollte ursprünglich nicht mein Leben und meine Wohnsituation auf den Kopf stellen, sondern allein die rechtlichen Voraussetzungen für eine Heirat mit einem bis dato verwandten Familienmitglied schaffen. Ich merkte, dass ich derzeit annähernd gegen alles protestierte, und obwohl Corvi im Grunde die Lösung für annähernd alles war, denn er hätte sowohl die Wohnsituation ändern als auch meinen Schmerz wegen Vaters und Mutters Tod lindern können, tat es aber nicht oder nur ungenügend, war er doch annähernd der Einzige, dem ich gegenüber offen geblieben war. Logisch erklären konnte ich mir meine paradoxe Reaktion nicht, aber bewusst war sie mir immerhin.


    Mein Blick haftete weiterhin auf seinem Gesicht, als er sich meinem Vater zuwandte, um auf dessen Frage einzugehen. Ich wusste kaum etwas über die näheren Todesumstände, wollte einerseits auch keine Einzelheiten hören, lauschte andererseits aber wissbegierig seiner kurzen Erklärung. Die erneut einsetzende Trauer fing jedoch unvermutet sein abschließender Satz auf, der mich verwundert die Brauen heben ließ. Er entschuldigte sich für die schlechte Nachricht, die wir einem Überfall gleich eröffnet hatten? Wir? Mein Mundwinkel zuckte in dem Versuch, lächeln zu wollen, schaffte es aber wegen der traurigen Thematik nicht. Und obwohl sein Blick durchaus einen Anflug von Unverständnis über meine Direktheit enthielt, hatte er meinem Vater gegenüber Verantwortung über den schlechten Themenstart übernommen, für den doch allein ich verantwortlich war. Manchmal handelte er erstaunlich.


    Das von meinem Vater geäußerte Mitgefühl wirkte auf mich keineswegs nur dahergesagt, was es wertvoll machte. Ich wandte mich ihm zu, nickte leicht und äußerte mich unmittelbar nach Corvi.


    „Danke.“ Mein Flüstern nahm der knappen Aussage in Verbindung mit einem freundlichen Gesichtausdruck die Distanz. Eine eigenartige Gemeinsamkeit, die mich seit diesem Augenblick mit meinem Vater verband, ließ die Abwehrhaltung schmelzen. Das einsetzende Schweigen empfand ich allerdings als unangenehm. Die Männer trösteten sich offenbar mit Wein, also lag es nahe, mir mein Trostmittel Nummer eins zukommen zu lassen.


    Ich gab der Sklavin einen Wink.


    „Ist Gletschereis in dieser Villa vorrätig?“, fragte ich sie in gedämpften Tonfall. Die Chancen waren höchst gering, das war mir bewusst, denn sowohl die vorgeschobene Jahreszeit sprach dagegen als auch die Tatsache, dass nur die aurelischen Haushälter von meiner Vorliebe wussten. Womit ich wieder beim Thema war: Hier kannte mich niemand tatsächlich, hier war ich nicht zu Hause.


    Bei Corvis nachfolgenden Ausführungen wurde mir klar, wie wenig er mit mir über seinen Dienst gesprochen hatte.


    „Ich wünschte, du hättest noch ein weiteres Tribunat abgeleistet“, platzte ich heraus, ohne mir vorher Gedanken zu machen, wie diese Aussage wirken mochte. Ich musste über mich selbst den Kopf schütteln, lächelte, senkte verlegen den Blick auf meinen Teller und tat so, als wäre ich höchst beschäftigt mit dem Essen, obwohl ich nur unschlüssig die Bissen hin und her schob.

    Je mehr Speisen eintrafen umso stärker band das bevorstehende Mahl meine Aufmerksamkeit, was nach der dürftigen Verpflegung der letzten Wochen nicht verwunderlich war.


    „Diese Speisen lassen keine Wünsche offen, mein Kompliment. So groß der Schreck auch war, so groß ist jetzt die positive Überraschung.“ Ich blickte zwischen Lupus und Cotta hin und her, weil ich nicht wusste, wer möglicherweise den größten Einfluss auf die Zusammenstellung hatte. Eine Weile dachte ich über Lupus’ Zwinkern nach, das ich in mehrere Richtungen deuten und daher nicht wirklich zuordnen konnte, aber schließlich kam die Aufforderung zum Essen, der ich bereitwillig nachkam.


    „Zunächst eine kleine Portion mit Muscheln, zwei Eier, Pilze und etwas Brot. Ach ja, etwas Wein“, gab ich einer Sklavin in Auftrag, beobachtete ihre Handgriffe mit Interesse und streckte bereits die Hand aus, als der Teller noch nicht ganz in Reichweite war. Der Becherinhalt fand ohne weiteres Bedauern einen netten Platz auf dem hellen Marmorfußboden, weil ich mir einerseits wenig aus Wein machte und andererseits den Göttern zunächst erst Genüge getan werden musste. Einmal den Teller in der Hand zögerte ich anschließend aber nicht lange, sondern fasste eine bereits ausgeschälte Muschel mit spitzen Fingern, um sie ohne weitere Betrachtung in den Mund zu stecken. Erst nach dem Verzehr weiterer Muscheln, eines Eies und Brot blickte ich auf und beobachtete das Schauspiel um Sisenna weiter. Corvis strenger Blick wegen meiner ausgebliebenen Begrüßung war mir zum Glück entgangen, denn ich mochte es nicht, wenn er mich vorwurfsvoll ansah. Und doch konnte ich nicht anders als oft die Kraft in dem Maße zurückzufahren wie er vorpreschte. Es war wohl ein Ausgleich, den ich häufig, aber auch unbewusst herstellte.


    Der kurzen Unterhaltung zwischen Corvi und Sisenna folgte ich mit einem inneren Kopfschütteln, das man mir hoffentlich nicht äußerlich ansah. Was für ein verwöhntes Mädchen, dachte ich bei mir. Sie sieht nur ihre Überraschung und denkt nicht an die Erschöpfung und den Hunger der gerade erst Angekommenen. Es würde sich zeigen, ob ich sie einmal mögen würde. Warum jetzt aber Cotta auch noch mitleidig schaute, verstand ich nicht im Ansatz. Ich blickte ihn fragend an, weil ich der Meinung war, man durfte ein Kind nicht verziehen, indem man es mit Aufmerksamkeit überschüttete. Und prompt zog sie einen Flunsch, weil Corvi ihr nicht nachgab. Oje.


    Ich ließ den Teller auf meinen Schoß sinken und wollte das Schauspiel noch interessierter als zuvor beobachten, als Cotta die alles entscheidende Frage nach Germanien stellte. Wie es uns ging, drei Frauen und Corvi? Naja. Mein Blick wanderte also zu Corvi zurück, dabei konnte ich mir seine Antwort im Grunde bereits ausmalen. Er wird es wohl genossen haben. Ich legte den Kopf kurzzeitig in Schräglage und dachte über das ‚willensstark’ nach, das Cotta benutzt hatte. Fast klang es, als stellte er sich das Ganze schwierig vor, aber da kannte er Corvi offenbar nicht gut.


    Als mich kurz darauf Prisca ansprach, wurde ich wieder nachdenklich. Sie erinnerte mich an meine Sorge, die im Grunde allgegenwärtig war, die ich nur im Augenblick verdrängt hatte. Ich blickte sie an und lächelte dankbar, weil sie so feinfühlig war.


    „Lieb, dass du fragst, aber … Ich weiß nicht, ob wir jetzt die Ruhe zum sprechen haben. Die Zukunft ist es, die mir Sorgen macht.“


    Weil sie meine Hand drückte, überkam mich der Wunsch, sie zu umarmen, weil es so erholsam war, ihre Fürsorge zu spüren. Sie erinnerte mich an Mutters Art, wenn ich einmal traurig war. Ich stellte meinen Teller auf den Tisch, beugte mich hinüber und drückte sie kurz. Mit einem Lächeln setzte ich mich wieder zurecht, nahm das Essen erneut auf und folgte wieder dem Schauspiel Corvi – Sisenna.

    Als ich aus der Tür trat, zögerte ich keinen Augenblick, sondern strebte mit eiligen Schritten auf die bereitstehende Kutsche zu.


    "Du fährst zunächst zum Stadttor", wies ich den Kutscher an. "Das endgültige Ziel erfährst du während der Fahrt."


    Mit dem mich begleitenden Personal bestieg ich das Reisegefährt und lehnte mich an das Rückenpolster. Vorsichtig zogen die Pferde an...


    ... Während die Kutsche auf der gut ausgebauten Straße nach Ostia entlang zuckelte, hing ich meinen Gedanken nach. Bereits vor Jahren war ich einmal vergleichsweise nach Ostia gereist, allerdings war die damals zurückgelassene Villa die der Aurelier und die Fahrt ging Richtung Ostia, um mir eine Zukunft aufzubauen. Danach sah es heute weniger aus, aber irgendetwas Schönes würde die nahe Zukunft sicher bereithalten, man musste nur darauf vertrauen und etwas dafür tun.



    edit: Fehler ausgemerzt

    Mit ausgeruhten Pferden und einem Kutscher, der Ortskenntnisse besaß erreichte die kleine Reisegesellschaft schneller als sie dachten das angestrebte Ziel. In der kleinen, aber durchaus liebevoll eingerichteten Villa hatte ich bereits vor Jahren gewohnt. Hier war mein Bruder gestorben, hier fanden Familientreffen statt, hier war ich auch schon einsam gewesen. Zu meinem Glück existierte noch immer das Erstgestüt hinter dem Anwesen, das durch kluge Investition über die Jahre nach Rom und Mantua ausgeweitet werden konnte. An Beschäftigung würde es mir also nicht mangeln, nur eben wie der Zustand des Hauses war, musste erst erkundet werden.


    Ich entstieg mit der Hilfe eines Sklaven der Kutsche und trat vor die schwere Eingangstür. Eine Überlegung hielt mich vom Eintreten zurück. Ich drehte mich um und schaute die Sklavinnen an, die mich begleitet hatten.


    "Ist eine von euch dabei, die mutig im Töten von Ungeziefer wie Spinnen ist?"


    Meine Leibsklaven kannten natürlich meine Phobie, nicht so die neuen Sklavinnen.

    Zitat

    Original von Kassandra
    "Wollt ihr wirklich abreisen Herrin? ... ich kann eure Sachen jederzeit wieder zurück bringen!" versprach Kassandra, während sie mit der Hand in Richtung der Porta zeigte.


    Die Wartezeit zog sich unerträglich in die Länge, aber als Kassandra endlich an die Tür klopfte, zuckte ich zusammen, als wäre ich bei einer verbotenen Sache erwischt worden. Um durch Tatendrang diese Unsicherheit wegzubekommen, erhob ich mich sofort, griff sogar selbstständig nach der Palla und nickte Kassandra zu, um ihr meinen Dank zu zeigen.


    „Ich wechsele nicht schnell meine Meinung, auch wenn ich ab und an spontane Entschlüsse fasse“, antwortete ich statt einer Bestätigung. Es wäre mir wankelmütig vorgekommen, wenn ich bereits wenige Stunden später meinen Entschluss bereut hätte. „Ich werde dir nicht sagen, wohin ich abreise, dann musst du nicht schwindeln, wenn man dich nach meinem Verbleib fragt.“


    Diese Lösung empfand ich als die beste.


    „Richte meiner Schwester Epi noch einen lieben Grüß von mir aus“, sagte ich abschließend und bewegte mich anschließend möglichst geräuschlos Richtung Porta.



    edit: Fehler reduziert.

    Na, okay. Wenn es hier einmal Thema ist, dann werfe ich gleich mal ne Frage ein: Warum darf ich denn neuerdings keinen Töpfereibetrieb mehr straflos führen? Ich weiß, dass der nicht sonderlich schicklich ist, aber Ton, als Produkt der Erde, wird darin "weiterverarbeitet".

    Als Folge der letzten Ereignisse wurde ich erneut in mich gekehrt, sprach kaum noch ein Wort, fühlte mich mitunter sogar in meiner Abkapslung gestört, wenn ich angesprochen wurde. Daher dankte ich Kassandra mit einem Kopfnicken, als sie zu mir blickte, weil sie mir die Antwort für den Jungen abgenommen hatte, der nach neuesten Erkenntnissen sogar mein Bruder sein sollte. Mein Bruder … Ich schnaubte verächtlich durch die Nase. Ich wusste, wie es war, einen Bruder zu haben, auf jeden Fall fühlte es sich nicht so an wie jetzt. Ich hoffte, er würde schnell wieder gehen, denn ich wollte über mein Leben nachgrübeln, das um einiges anders verlief als gewünscht. Ebenso hoffte ich, dass Kassandra stillschweigend meine Wünsche erfüllte, wobei mich ihre Anwesenheit nicht störte, nur eben sie davon abhielt, die Vorkehrungen für meine Abreise zu treffen.


    Ich setzte mich auf das Bett, zog die Beine heran und umschlang sie mit den Armen. Mein Blick suchte das Fenster, während ich alles andere ausblendete.



    edit: Tippfehler