Beiträge von Claudia Aureliana Deandra

    Nachdem Kassandra den Brief an sich genommen hatte, erhob ich mich, ging um den Sekretär herum, blieb aber nicht nur wegen ihren überraschenden Worten nach kurzem stehen, sondern auch aus eigener Planlosigkeit. Der Entschluss, die Claudier zu verlassen, kam spontan. Ich hatte ihn am Morgen nach dem Aufwachen gefasst. Etwas Kleidung, Proviant und vor allem Geld sollten reichen, dachte ich.


    Während Kassandra sprach, schaute ich sie verwundert an. Zum einen war es nicht unbedingt üblich, dass eine Sklavin eigene Gedanken äußerte, zudem ungefragt. Zum anderen waren ihre Einwände nicht einmal von der Hand zu weisen. Überrascht war ich auch deshalb, weil sie offensichtlich eine scharfe Beobachtungsgabe besaß. Natürlich war ich alles andere, aber nicht glücklich. Du meine Güte, sah man mir das so leicht an?


    „Es kommt vor, dass ich spontan handele und die Folgen zunächst nicht abschätze, das ist wohl wahr“, begann ich zu erklären, allerdings eher für mich als für sie. „Aber ich muss diesem Haushalt vorerst den Rücken kehren. Ob für immer, weiß ich nicht zu sagen, aber auf jeden Fall jetzt. Sei so nett und treffe schnell wie nie die Vorbereitungen, ich muss, nein, ich will hier weg. Ach, und … Ein oder zwei Sklaven würde ich gerne zum Einrichten mit mir nehmen. Sie können später ja auch wieder zurück.“


    Samira konnte ich nicht mitnehmen, sie musste in die Villa Aurelia, um dort meinen Auftrag auszuführen. Aintzane war krank, Assindius in Germanien geblieben. Mein Sklavenkontingent war dezimiert.

    „Nein, nein, bleib hier", erwiderte ich fahrig. Ich war nicht gerade die Ruhe selbst, das musste sich wieder ändern. "Und nein, kein Getränk. Warte einfach einen Moment."


    Mein Blick wanderte zurück auf das Pergament. Der Schreibfluss stockte bereits, bevor Kassandra eintrat, und er wollte auch nicht so recht in Gang kommen, als ich erneut auf das Papier blickte. War es Einbildung, die mir weismachen wollte, dass Corvi die momentane Situation sehr gut gefiel? Das Wort ‚Heirat’ kam nicht über seine Lippen, und mein Stolz verbot, ihn daraufhin anzusprechen. Das Kinn auf die linke Hand gestützt, deren Ellbogen wiederum auf der Tischplatte ruhte, schweiften die Gedanken ab, sodass ich den Faden für meinen Brief vollkommen verlor. Ich zweifelte nicht an unserem Ziel, aber ich sah es nicht so ganz ein, wenn der Weg bis dorthin unerfreulich statt erquicklich war, und die momentanen Verhältnisse empfand ich als unerquicklich. Die Zeit auf Erden war begrenzt, keiner vermochte zu sagen, wann es den Göttern gefallen würde, ihn zu sich zu holen. Aber letztlich gingen weder Epi noch sonst wen diese Gedanken etwas an, kein Außenstehender sollte in mein Herz sehen, also strich ich den letzten Teil des Satzes durch, nahm ein neues Pergament zur Hand und beendete es ohne die Andeutung meiner Unzufriedenheit.





    Liebe Epi,


    ich wollte nicht wortlos aufbrechen, also schreibe ich wenigstens dir. Ich weiß nicht, wie du hier leben kannst, ich kann es offensichtlich nicht. Neben dem Verlust meiner Eltern, den ich noch immer nicht überwunden habe, einer fehlenden Stütze, die mir wenigstens über diese Tatsache hinweghilft, habe ich keine Neigung, auch gar keine Kraft, mich mit einer Frau wie Ofella auseinanderzusetzen. Bliebe ich hier, wäre es, als würde man einer Blume Licht und Wasser gleichzeitig entziehen.


    Ich weiß noch nicht, wo ich hingehe, nüchtern betrachtet habe ich kein Zuhause mehr. In dem einen fühle ich mich nicht wohl und in dem anderen wäre es nicht schicklich zu bleiben. Auch kann ich nicht sagen, wie lange ich fortbleiben werde, vielleicht nur Tage, vielleicht Wochen oder Monate. Die Götter mögen mit dir sein.


    Liebe Grüße
    Deandra




    Nach dem Siegeln zerknüllte ich das alte Papier, bevor ich den nunmehr fertigen Brief Kassandra entgegen schob.


    „Überbringe ihn bitte meiner Schwester Epicharis, aber erst, nachdem ich die Villa verlassen habe. Zuvor bräuchte ich ein paar meiner Kleider und das Nötigste, was ich für eine Reise brauche. Es soll alles umgehend auf eine Kutsche geladen werden. Das Ziel der Reise erfährt der Fahrer erst von mir. Ich wäre dankbar, wenn alles möglichst schnell geht und diskret abläuft. Gib mir so schnell es geht Bescheid, wenn alles erledigt ist.“


    Eine Wahl hatte ich nicht. Ich musste darauf vertrauen, dass Kassandra nicht als erstes meinen Vater, diese Ofella und auch nicht Epi aufsucht. Eine heimliche Abreise würde mir Diskussionen ersparen, aber abzubringen war ich selbst durch Diskussionen von meinem Vorhaben nicht. Ich musste für mein Glück und meine Zufriedenheit selbst Sorge tragen, so wie jetzt wollte ich nicht leben, ich wäre dauerhaft unglücklich.

    Ich hatte gerade die ersten Zeilen auf das Papier gebracht, als bereits die Tür geöffnet wurde und eine Sklavin erschien. Ich blickte flüchtig auf, um zu schauen, ob ich sie kannte, dem war aber nicht so.


    „Wie ist dein Name?“, fragte ich daher, bevor ich mich dem Brief erneut zuwenden wollte.



    Liebe Epi,


    ich wollte nicht wortlos aufbrechen, also schreibe ich wenigstens dir. Ich weiß nicht, wie du hier leben kannst, ich kann es offensichtlich nicht. Neben dem Verlust meiner Eltern, den ich noch immer nicht überwunden habe, einer fehlenden Stütze, die mir wenigstens über diese Tatsache hinweghilft, habe ich keine Neigung, auch gar keine Kraft, mich mit einer Frau wie Ofella auseinanderzusetzen. Bliebe ich hier, wäre es, als würde man einer Blume Licht und Wasser gleichzeitig entziehen.


    Ich weiß noch nicht, wo ich hingehe, nüchtern betrachtet habe ich kein Zuhause mehr. In dem einen fühle ich mich nicht wohl und in dem anderen wäre es nicht schicklich zu bleiben, zumal ich den Eindruck habe, dass



















    Ich weilte den dritten Tag wieder in Rom. Den ersten hatte ich in der Villa Aurelia verbracht, am zweiten lieferte mich Corvi bei meinem Vater ab und am dritten, dem heutigen Tag, fand diese Versammlung in der Villa statt, bei der ich zum ersten Mal auf Ofella traf. Ein annähernd schockartiges Erlebnis, nachdem ich bereits in Germania unter den Anfeindungen der Sklavin Camryn gelitten hatte. Aber einer Sklavin konnte man sich schnell entledigen, einer Mutter sicherlich nicht, gar nicht. Die Aussicht, auf lange Zeit in dieser Villa, dieser Familie „gefangen“ zu sein, Corvi kaum noch zu sehen und stattdessen diese Ofella als Mutter um mich zu haben, wo ich doch gerade erst meine geliebte Mutter der Kindheit verloren hatte, war zu viel verlangt von mir.


    Ich rief eine Sklavin, setzte mich an den Sekretär und begann einen Brief zu schreiben.

    Ich wusste es zu schätzen, als Corvi auf meine Bedrückung einging, sie demnach nicht nur bemerkte, sondern auch ernst nahm. Seine Worte und seine Gesten - die Hand an der Wange, der Kuss - trösteten für den Moment, weil ich zum Glück noch nicht wusste, WIE weit unser Ziel entfernt lag, das uns zwar verband, aber gleichzeitig bis zu seinem Erreichen voneinander trennte. Aus Ermangelung an passenden Worten lächelte ich einfach nur, um meine Dankbarkeit auszudrücken.


    In diesen Moment der stummen Zwiesprache fiel die Begrüßung meines Vaters, der mir zum jetzigen Zeitpunkt fremd wie jeder andere flüchtig Bekannte war. In mein Empfinden, das sich vermutlich auf meinem Gesicht widerspiegelte, mischte sich erneut die Sorge um meine Zukunft inmitten von Menschen, die ich kaum kannte und zu denen ich keine Bindung spürte. Mein banger Blick haftete auf Corvis Gesicht, versuchte, seine Augen festzuhalten, aber vergeblich. Die Höflichkeit gebot die Erwiderung des Grußes, dem ich nunmehr auch mit leiser Stimme entsprach.


    „Salve.“ Das Wort ‚Vater’ wollte mir nicht über die Lippen kommen, nachdem ich durch den Tod meiner einstigen Adoptiveltern zu spüren bekam, was einen ‚richtigen’ Vater von einem allein durch Rechtsspruch befähigten unterschied.


    Ob ich derzeit etwas essen konnte, musste sich zeigen, denn mein Hals war zugeschnürt. Aber die Einladung zu einem Imbiss bot die Chance, mich wenigstens teilweise anderweitig zu beschäftigen, als nur über die ungeliebte Situation nachzugrübeln. Corvis Arm erschien mir derzeit wie ein Rettungsanker, den ich dankend annahm. Bei den Liegen angelangt überlegte ich nicht lange, sondern setzte mich ohne Verzögerung auf das Fußende der Kline, auf die sich Corvi niedergelassen hatte. Er warf mir wiederholt fragende Blicke zu, die ich jedoch nur mit einem leichten Schulterzucken erwidern konnte. Mehr als einen Brief an meinen Vater und einen an meine Schwester hatte ich tatsächlich nicht geschrieben. Zum einen mochte ich Briefeschreiben nicht sonderlich und zum anderen war die Grundlage von zwei Monaten in meinen Augen zu wenig, um eine engere Beziehung geknüpft zu haben.


    Auch Plaudern gehörte keineswegs zu meinen Stärken, wenngleich Corvis Aufforderung mich dazu zwang, aus mir herauszukommen, was in der jetzigen Situation sicherlich kein Fehler war. Und doch … mir fiel spontan der Tod meiner einstigen Eltern ein. Einen Augenblick zögerte ich noch, aber es musste ohnehin zur Sprache kommen, warum also nicht als erstes? Gab es überhaupt etwas Wichtigeres?


    „Wir haben Antoninus’ und Severinas’ Tod zu beklagen“, platzte ich schließlich gedämpft, aber ohne Umschweife heraus.

    Mit einiger Verblüffung registrierte ich, dass sich Corvi nicht gegen Lupus’ Sichtbehinderung wehrte. Mit allem, aber damit hätte ich nicht gerechnet. Meine Verwunderung nahm derartige Ausmaße an, die es unmöglich machte, nun meinerseits die Augen zu schließen. Ein Blick Richtung Prisca zeigte mir, dass sie auf das Spiel einging, sie amüsierte sich ja bereits längere Zeit oder nahm die Vorgänge weniger tragisch. Ich schaute zu Cotta, er spielte ebenfalls mit. Und Lupus? Ich beobachtete ihn, wie er erste Fantasiespeisen beschrieb, und hoffte dabei, er würde nicht auf mich achten, weil ich die einzige war, die sich nicht manipulieren ließ. Oder war ich einfach nur ein Spielverderber?
    Mir blieb keine Zeit, eine Antwort auf diese Frage zu finden, denn plötzlich strebte eine Vielzahl an Sklaven in das Triclinium, einer schwerer als der andere beladen. Als die ersten warmen Speisen eintrafen, musste ich schlucken, denn Appetit stellte sich zum ohnehin vorhanden Hunger ein. In diesem Moment wurde mir klar, dass ich sehr wohl eine Spielverderberin gewesen war. Ob es jemand bemerkt hatte? In das Lachen, nachdem alle die Augen wieder öffnen durften, fiel ich daher nicht ein, um die Aufmerksamkeit nicht erst auf mich zu lenken.


    „Iuno sei Dank!“, kam mir jedoch mehr oder weniger ungewollte über die Lippen.


    Bevor jedoch das Festmahl begann – und nicht anders konnte man die erlesenen Spiesen in ungeahnter Fülle bezeichnen, trat eine neue Wendung im Geschehen ein: Sisenna, meine kleine Cousine. Sie verursachte fast einen Zusammenstoß, der jedoch glimpflich ausging. Ich fand ihre gewählte Form der Begrüßung unpassend, runzelte flüchtig die Brauen, hielt mich aber auch in diesem Fall zurück. Ich war noch nie sonderlich Kinder-begeistert gewesen, und es reichte zudem, wenn Corvi stets überschwänglich begrüßte, dann musste ich das nicht auch noch tun.

    Während Corvis energischem Auftreten betrachtete ich zunächst Cotta, später auch Lupus, als er aus der Culina zurückkehrte, aber so recht beeindruckt erschien mir keiner der beiden, was ich mit einem Kopfschütteln quittierte. Wäre ich mit einer ähnlichen Kritik bedacht worden, hätte ich mich vermutlich vor Schreck setzen müssen. Ich verstand die Welt nicht mehr, dementsprechend ungläubig, ja fassungslos, starrte ich vor allem Lupus an, der in diesem Augenblick das Futter einfacher Soldaten verschlang.


    „Ich glaub’ das einfach nicht“, murmelte ich mehr zu mir als zu einem der Umstehenden.


    Als Corvi schließlich entschied, der Villa den Rücken zu kehren, um bei meinem Vater eine Anfrage zur zeitweiligen Unterkunft für uns alle zu stellen, nickte ich zustimmend, auch wenn ich von der Idee gleichermaßen überrascht wie begeistert war. Ich wandte mich bereits zum Gehen, als er sich von Lupus aufhalten ließ, daher stoppte ich ebenfalls den Schritt, und obwohl ich unter diesen Umständen keineswegs einen unnötig langen Stopp in der Villa Aurelia befürwortete, folgte ich schließlich sogar, wenn auch als Letzte, ins Triclinium.


    Wieder bewunderte ich Priscas ruhige Art. Sie schien sich keineswegs schnell beeindrucken zu lassen, nahm sogar Platz und betrachtete die Vorgänge allem Anschein nach wie das Publikum ein Theaterstück. Und einem Lustspiel glich die augenblickliche Vorstellung, in der Lupus Corvi aufforderte, auf das Singen der Vögel zu achten, und uns andere zur Beteiligung an irgendwelchen kynischen Möglichkeiten, sich die Wartezeit zu vertreiben. Mir war diese Betrachtungsweise im Grunde nicht möglich. Ich stand noch immer am Eingang des Speisezimmers, aber als sich schließlich alle setzten, sogar Corvi resignierte und Platz nahm, riss ich mich zusammen, steuerte auf Prisca zu und setzte mich auf den äußeren Rand eines der Korbsessel. Zum einen, um bei weiteren komischen Wendungen schnell wieder aufstehen zu können, und zum anderen, weil ich nun wirklich lange genug gesessen hatte. Mehr als ein Blickwechsel gelang mir mit Corvi nicht, für eine bessere Verständigung saß er zu weit weg.


    Seine Äußerungen, die an Lupus gerichtet waren, standen aber im Einklang mit meinem Empfinden über diese aberwitzige Situation, die offensichtlich noch immer nicht ihren Höhepunkt erreicht hatte. Zu allem Überfluss hielt Lupus auch noch Corvis Augen zu. Es musste meine Verblüffung sein, die mich noch immer auf dem Rand des Korbsessels hielt.


    „Das gibt’s doch alles nicht“, murmelte ich wieder. Lupus besaß wirklich Nerven.


    Ich blickte zu Prisca, die tatsächlich auf die Aufforderung hin ihre Augen schloss. Mein Blick wanderte zu Cotta, der sich offensichtlich ebenfalls wortlos fügte. Und Corvi? Der ließ sich doch jetzt in seinem abgenervten Zustand nicht die Augen zuhalten. Oder doch?




    Sim-Off:

    Irgendwie ist das zu viel Handlung auf einmal für mich, und Corvis Reaktion fehlt auch noch. ;) Ich teile mal in zwei Posts.

    An diesem Morgen fand ich einfach alles traurig. Vor dem Germanienaufenthalt bewohnten Antoninus und Severina Nachbarzimmer in dieser Villa. Sie begegneten mir letzte Nacht in meinen Träumen, die stets damit endeten, dass ich sie verlor, unter Tränen aufwachte und bald darauf erneut in den Schlaf fiel. Die erlebte Bewegungsunfähigkeit, die Hilf- und Machtlosigkeit in diesen Traumabschnitten ließ mich zerschlagen wie selten aufstehen, und der Gedanke an den Abschied von Corvi – als nichts anderes sah ich die räumliche Trennung nach der langen Zeit des Zusammenlebens an – setzte meiner gedrückten Stimmung noch den I-Punkt auf.


    Als ich ihm nach dem Ankleiden, Frisieren und Schminken entgegentrat, blickte ich ernst. Traurigkeit zeichnete meine Gesichtszüge, ich seufzte einmal vernehmlich und äußerte anschließend, dass ich keinen Hunger, geschweige denn Appetit verspürte. Keinerlei Zureden half, ich stieg, ohne eine Mahlzeit eingenommen zu haben, in die Sänfte und fragte mich immer wieder, ob es ihm tatsächlich gar nichts ausmachte oder es nur so schien. Im Grunde würde ich nichts von seinem Alltag miterleben und er nicht von meinem. Eine Reihe anderer Personen würden unsere Anwesenheit genießen und unsere Aufmerksamkeit erhalten. Vielleicht wollte ich auch alles derart schwarz sehen. Andererseits, was erwartete mich? Eltern, an denen ich nicht mit dem Herzen hing, und Familienmitglieder, die ich kaum oder gar nicht kannte. Oh ja, die Adoption in die Claudia war mein Wunsch gewesen, aber doch nur deswegen, damit eine Heirat möglich war. Es lag nicht in meiner Absicht, hier mein Leben zu leben. Der Mut der letzten Tage hatte sich verflüchtigt, weil ich jetzt den Augenblick der endgültigen Verabschiedung nicht mehr verdrängen konnte – er stand bevor.


    Einer Marionette gleich legte ich meine Hand in seine, um der Sänfte zu entsteigen. Seine Anweisungen an die Sklaven erreichten mich nur von Ferne, bis er mich direkt ansprach. Es dauerte allerdings Momente, bis der Inhalt seiner Aussage in mein Bewusstsein drang. Währendessen schaute ich ihn nachdenklich an.


    „Bei mir hilft Honig und Milch eher gegen Halsschmerzen als Wasser“, erwiderte ich nebenbei, weil ein Teil meiner Gedanken in der Zukunft weilte. Wo wir letztlich warteten, war mich egal – ob nun im Atrium oder Garten. Ich ließ mich von ihm führen.


    „Wenn ich nach hinten blicke, muss ich an unsere Eltern denken“, flüsterte ich nach einer Weile. „Und wenn ich nach vorne schaue, sehe ich in ein Loch, das wie ein aufgestellter Reifen anzusehen ist, in dem ich nichts erkenne und keine Antworten finde.“

    Zitat

    Original von Claudia Ofella
    "So, was soll das nun, was gibt's hier?" verlangte sie dann zu wissen. "Und wer bist du überhaupt - auch ein Klient?" fragte sie Deandra und hob prüfend eine Braue. Dürr, klapprig, normaler Aufzug, kaum zurecht gemacht. Pah, konnte ja nur eine Plebejerin sein. 8)


    Wir warteten bereits eine ganze Weile, Vesuvianus erschien noch immer nicht. Als erneut Schritte erklangen, wandte ich den Kopf, aber statt meinem Adoptivvater erschien eine mir unbekannte Frau, deren Auftritt auffallend in Szene gesetzt war. Sie zog viele Blickle auf sich, so auch meinen, obwohl ich das nicht beabsichtigte. Ihre Worte klangen herrisch, nahezu kalt, und ich wollte mich bereits abgestoßen abwenden, als ich von ihr angesprochen wurde. Dem Entsetzen in der aurelischen Villa folgte das Entsetzen hier. Ich glaubte, mich verhört zu haben, als ich die Frage vernahm, blickte sie zunächst wortlos an, die leicht geweiteten Augen verrieten meine Erschütterung. Ich unterließ es, an mir hinab zu sehen, denn über die Eleganz meiner Kleidung musste ich mich nicht erst vergewissern. Stattdessen hob ich als Ausdruck meiner Missbilligung und zur Unterstreichung meines vorhandenen Selbstbewusstseins um eine Nuance das Kinn.


    „Hat mich auch gefreut, dich kennen zu lernen“, erwiderte ich schließlich in einer mir ungewohnt kühlen Art. Ich würde gewiss bei niemandem um Wohlwollen buhlen.

    Abgesehen von dem erwiderten Gruß, der den üblichen Gepflogenheiten entsprach, klang keine einzige Auskunft Lupus’ alltäglich, beruhigend oder gar ermutigend. Es verschlug mir die Sprache. Ich legte in einer Geste der Bestürzung die Finger meiner linken Hand vor den Mund, starrte zunächst Lupus, dann Cotta und schließlich Corvi an, der mir als einzige Rettung in dieser besorgniserregenden Situation erschien. Meine Vorstellung, ich würde nach den vielen Einschränkungen und Verzichten während des Germanienaufenthalts nunmehr wieder in die Zivilisation zurückkehren, erwies sich als Illusion. Fast schien er mir, als wäre ich ein ganzes Zeitalter fortgewesen, weil sich die Dinge so grundlegend geändert hatten.


    „Aber du kannst doch nicht …“ ‚… selbst die Getränke holen gehen’, wollte ich auf Lupus’ letzte Bemerkung hin anfügen, aber die Worte erstarben auf den Lippen. Inzwischen fixierte ich wieder ihn. Längst war meine Hand kraftlos herabgesunken. Ich stand leicht vorn übergebeugt, so als könne die forschende Haltung dazu beitragen, die Ursache dieser unglaublichen Veränderungen in meinem Elternhaus zu ergründen, aber eine Erklärung kam von seiner Seite nicht. Wie unter Zwang wendete sich mein Blick wieder Corvi zu, aber Momente der stillen Bestürzung vergingen, ehe ich mich annähernd gefasst hatte.


    „Marcus?“, presste ich schließlich heraus, was ein Notruf, ein Erklärungsgesuch und ein Appell gleichzeitig war.


    Auf der Suche nach einer Erklärung blickte ich auch zu Prisca, um zu ergründen, wie sie mit der Situation umgehen würde. Auf keinen fall würde ich mich von der Stelle rühren, auch wenn Cotta jetzt in das Triclinium gehen würde.

    Der Hintern schmerzte von langen Sitzen. Im Gegensatz zu anderen fand ich niemals Schlaf in solch schaukelnden Gefährten, schwatzhaft war ich auch nicht veranlagt, also blieb nur das Schweifen der Gedanken. Einer Tätigkeit, der ich an sich mit Vorliebe nachging, aber bei einer derartig langen Reisezeit gingen selbst mir irgendwann die Themen aus, denn es fehlten Gedankenanstöße. Ich schaute daher nach draußen, zählte bisweilen die Bäume am Straßenrand, versuchte, in Wolkenanhäufungen Bilder zu entdecken, lauschte dem Klappern der Pferdehufe und nahm aus reiner Beschäftigungstherapie in lockerer Folge winzige Schlucke aus meinem Wasserbecher, der beständig nachgefüllt werden musste. Immerhin sorgte der hohe Wasserkonsum dafür, dass ich mich einerseits trotz der Hitze recht erfrischt fühlte und andererseits häufiger für Zwischenstopps sorgte, um das Wasser wieder abzuführen. Ich nutzte dann jeweils die Gelegenheit, um mir die Beine zu vertreten.


    Endlich jedoch nahte der Augenblick, an dem ich dieser Kutsche dauerhaft würde den Rücken kehren können. Ich setzte mich bereits aufrecht hin, lehnte den Kopf nahe dem Sichtfenster an das Holz und nahm auf diese Weise bereits lange, bevor wir das Anwesen erreichten, die bekannte Grundstückseinfriedung wahr. Auf mein Winken hin, kam ein Sklave herbeigeeilt, der die Tür öffnete, seine Hand einladend hinstreckte und mir damit das Aussteigen erleichterte.


    „Den Göttern sei Dank, ich habe wieder aurelisch-römischen Boden unter den Füßen!“


    Mit diesem Stoßseufzer schritt ich auf die Villa zu, die ich zwar in und auswendig kannte, die ich aber trotzdem derzeit nur als Gast betrat. Auf dem Weg zum Atrium fiel mir eine junge Sklavin um den Hals, der ich verwundert nachschaute, als sie sich hurtig zurückzog. Ich blieb stehen und grübelte, wessen Sklavin das war. Oder kannte ich sie gar als Kind, und zwei Jahre hatten genügt, um sie nicht wiederzuerkennen? Ich schüttelte lächelnd den Kopf, setzte mich wieder in Bewegung und stand wenig später im Atrium.


    Eine Sprachlawine, die sich über Corvi ergoss, zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Schon bald erfuhr ich, dass es sich um Cottas Bruder handeln musste, den ich sicherlich wegen der gewöhnungsbedürftigen Optik auf der Straße nicht als Verwandten erkannt hätte. Es schien, als wäre er über Wochen gereist und nicht wir. In das Gespräch wollte ich mich jedoch nicht mischen, vielmehr suchte ich den Blickkontakt zu Cotta, der inzwischen auch die Empfangshalle betreten hatte. Mein verwunderter Blick, in Verbindung mit fragend gerunzelten Brauen, sprach Bände. Meine zuckenden Mundwinkel konnten sich nicht entscheiden, ob sie in einem Schmunzeln oder in Missbilligung enden sollten.


    Schließlich entschied ich mich zu einem Gruß, was nie verkehrt war.


    „Salvete!“


    Ich kam ins Stocken, aber Cotta hieß uns in diesem Augenblick willkommen und stellte sich vor.


    „Aber sicher erinnere ich mich. Ich kenne sogar deinen, ähm, euren Vater noch“, erwiderte ich freundlich und linste dabei zu Corvi, um zu schauen, wie er auf Lupus reagierte. Das Angebot mit Wasser nahm ich, nun ja, mit gedämpfter Begeisterung auf, hatte ich doch den gesamten Tag bereits Ummengen an Wasser zu mir genommen. Und Puls kam für mich ja nun mal überhaupt nicht infrage.


    „Ähm, es gibt nur noch Puls und Wasser unter den Vorräten?“, fragte ich noch einmal nach, weil mir Lupus’ Aussagen noch im Kopf schwirrten. Mit angehobenen Brauen sah ich Lupus an.

    Bereits am nächsten Tag nach meiner Ankunft wurde ich über ein Treffen informiert, das alle Familienmitglieder, Sklaven und sonstige der Familie nahe stehende Personen in das Atrium rief. Ich gesellte mich nach dem Betreten und einem entrichteten Gruß an alle zu Epi, nichts war nahe liegender als das. Nachdem ich in die Runde geschaut hatte, beugte ich mich zu ihr hin und flüsterte ihr ins Ohr.


    „Gab es einen Streit während meiner Abwesenheit? Hier hat wenigstens einer eine äußerst unfreundliche Ausstrahlung. Wer ist das denn überhaupt?“


    Mein Blick war auf den jungen Mann gerichtet, der sich späterhin als entfernter Onkel namens Severus herausstellte.

    Ein überraschter Gesichtsausdruck jagte offenbar derzeit den nächsten. Mit einiger Verblüffung schaute ich Corvi an, als er seine Verwunderung darüber äußerte, warum wir in der Kutsche nächtigen wollten. Nicht so sehr seine Verwunderung verblüffte mich, als vielmehr seine Überzeugung, wir hätten genau dieses vorgeschlagen. Ich sicherlich nicht, und auch Prisca hatte ich anders verstanden, aber letztlich war es vollkommen unnütz, auf dieser Sache herumzureiten.


    „Ich für meinen Teil gehe heute sehr zeitig ins Bett“, kündigte ich an, während ich praktischerweise für den Einstieg sogleich auf Corvis Hand zurückgreifen konnte. Mit der anderen fasste ich erneut die Tunika, um nicht in den Saum zu treten. Das schöne Stück hatte ohnehin einige Schandflecke während des heutigen Tages bekommen. Ich bedankte mich mit einem Lächeln für seine Hilfe, denn ich nahm niemals Nettigkeiten, selbst wenn sie zu den normalen Umgangsformen gehörte, als Selbstverständlichkeit an. Ein Lächeln, selbst ein Dankeswort, kostete ja noch nicht einmal Mühe. Anschließend nahm ich Platz.


    Während Corvi Prisca half, kam mir noch ein Gedanke.


    „Aintzane, wir führen doch sicherlich etwas Brot mit uns. Bring mir ein Stück von einem möglichst hellen Fladen“, wies ich meine Sklavin an, die in Hörweite neben dem Einstieg stand. Kurz darauf reichte sie mir etwa ein Viertel eines Brotes, das ich dankbar annahm, sogleich zerbrach und ein Stückchen bedächtig kaute.


    „Nun, dann hoffen wir einmal das Beste für den Rest der Fahrt“, murmelte ich während einer Esspause. Kurz darauf zogen die Pferde an.

    Mein erwartungsvoller Gesichtsausdruck verschwand. Allerdings machte er keineswegs einem enttäuschten Platz, was aufgrund der ausweichenden Antwort durchaus im Bereich des Möglichen gelegen hätte. Vielmehr betrachtete ich seine Gesichtszüge mit einer Aufmerksamkeit, als würde ich ihn heute zum ersten Mal sehen. Zeit, in der ich nach Antworten suchte, zum Teil in seiner Mimik, zum Teil aber auch durch angestellte Überlegungen. Wieder einmal fragte ich mich, warum mich alles, was mit ihm zusammenhing, derart tief berührte. Seine Zurückweisung schlug gleichermaßen heftig ein wie seine Liebe. Lag es an ihm? Oder lag es an uns beiden? Die Antwort war klar: Ich war zur Hälfte beteiligt. Und natürlich wusste ich auch, wieso ich derart empfindsam war: Ich hatte mich bei ihm weiter als sonst geöffnet. Warum auch immer, es war einfach passiert. Mein ansonsten sorgfältig geschützter Kern lag frei, ungewohnt frei.

    An diesem Tag jedoch, obwohl er durch erhebliche Übelkeit überschattet war, löste sich der Knoten der vergangenen Zeit in mir auf. Ich spürte, wie Ruhe einkehrte, die Bedrückung verschwand und Zuversicht wuchs, obwohl ich nicht zu sagen vermochte, was diese Veränderung ausgelöst hatte. Seine Worte auf keinen Fall, vielleicht aber sein Handeln. Letztlich war es mir aber auch egal.


    „Wir werden ankommen, uns ausruhen und danach erquickt erheben“, bestätigte ich mit einem Lächeln, das die beabsichtigte Vieldeutigkeit meiner Worte unterstrich, denn ich meinte es vor allem im übertragenen Sinne. Meine Hand, die bis dahin locker in seiner lag, schob sich weiter vor und umschloss einen Teil seiner Handfläche – nicht eben viel, weil sie bedeutend kleiner war, aber genug, um die neu erwachte Kraft spürbar zu machen.


    Mein Blick folgte seinem Hinweis, erfasste zunächst die Kutsche und schließlich Prisca. Im Grunde war alles gesagt, daher setzte ich mich bereitwillig in Bewegung, als er dem Reisegefährt zustrebte. Und obwohl ich einige Mühe hatte, die Zahnpflegeutensilien samt Tunikarock mit nur einer Hand hochzuhalten, hätte ich um nichts in der Welt seine Hand losgelassen. Eigentlich hatte sich schon allein deswegen der Zwischenstopp gelohnt. Bei diesem Gedanken wurde mir bewusst, dass meine alte Gabe, mich selbst an kleinen Dingen freuen zu können, wiederhergestellt war. Ich atmete einmal befreit durch, lächelte vor mich hin und hatte die ekelhafte Brechszene schon fast vollständig verdrängt.


    „Es geht sehr viel besser“, antwortete ich auf seine Frage, als wir bei Prisca angekommen waren. „Dennoch wäre es schön, wenn der Reisetag heute ein baldiges Ende finden würde. Also … nicht nur an der nächsten Straßenstation rasten, sondern dort übernachten und erst morgen die Reise fortsetzen. Oder traust du dir noch mehr zu, Prisca?“

    Kurz nachdem Prisca das Rascheln vernommen hatte, erklang ein lang gezogener Laut, dem etliche kleine Schnattergeräusche folgten. Die Wipfel der Gräser schwenkten auffallend stark, sodass der sanfte Sommerwind dafür nicht verantwortlich gemacht werden konnte. Allerdings ergab sich aus der zu beobachtenden Furche, die sich durch die Wiese zog, dass sich die Verursacher von der Kutsche entfernten – nicht eben schnell, aber unaufhaltsam. Doch der Eindruck, diese nicht sichtbaren Wesen, ließen sich bei ihrem Rückzug Zeit, täuschte: Die Füße waren klein, die Beine kurz, und so mussten sie große Anstrengungen unternehmen, um überhaupt flink vom Fleck zu kommen.
    Wenig später war ein Platschen zu hören, dem fünf wesentlich sanftere Plumpse in das schmale Bachbett folgten, das sich unweit des Weges dahinschlängelte. Die hohe Uferböschung verbarg die Sicht auf das schmale Fließgewässer, aber wer sich reckte oder auf die Stufen der Kutsche trat, würde eine Entenfamilie entdecken können, die - nun in ihrem Element - zügig den Ort des Geschehens verließen, den zwei Frauen mit ihrem Unwohlsein geprägt hatten.


    All dies blieb mir verborgen, denn ich stand noch immer bei Corvi, blickte auf die Utensilien in meinen Händen, die mir Caecus gereicht hatte und die ich inzwischen auch ausgiebig genutzt hatte. Mein Blick haftete nicht bewusst auf diesen Pflegeprodukten, ich dachte über Corvis Erklärung nach. Zumindest kurzzeitig. Je näher wir Rom kamen, umso deutlicher stand mir vor Augen, dass ich bis auf weiteres nicht mehr mit ihm unter einem Dach wohnen würde. Auf jeden Fall befürchtete ich das. Frauen zogen erst im Zuge der Heirat zu ihrem Gemahl, und was er mit meinem jetzigen Adoptivvater vereinbart hatte oder noch abklären würde, wusste ich nicht. Wie aber sollte unser belastetes Verhältnis wieder in Ordnung kommen, wenn wir uns nur noch zeitweise sehen würden? Was genau konnte ich überhaupt tun? Ich wollte etwas tun, nur war es gleichzeitig so schwer, weil ich noch immer an dem Verlust meiner Eltern der Kindheit trug, weil er mir zwischenzeitlich so fremd erschien, anders als der mir bekannte Bruder, weil sein Verhalten an jenem schicksalhaften Tag eine einzige Zurückweisung war, die ich zudem auf meine Weise gedeutet, womöglich sogar fehl gedeutet hatte. Zu diesem Schluss kam ich, weil er nach diesem Tag wieder untadelig wie eh und je war. Vielleicht, so überlegte ich immer wieder, hat jeder eine andere Art, mit Schicksalsschlägen umzugehen. Möglicherweise gab es für ihn keine andere Wahl. Nach wie vor konnte ich seine grobe Zurückweisung nicht gut finden, aber wer liebt, der verzeiht, und ich hatte ihm längst verziehen.


    Ich hob den Kopf, um sein Gesicht zu betrachten. Sogleich weckte es die Erinnerung an das Wohlgefühl, wenn ich seine Haut spürte. Der Hautkontakt übertrug nicht allein die Körperwärme, sondern spendete auf eigentümliche Art stets auch Geborgenheit. Ich konnte mir nicht erklären, ob ich ihn oder er mich auf Abstand hielt, aber eines wusste ich: Ich mochte diesen Zustand nicht leiden. Seit jenem Ereignis hatte ich ihn nicht mehr aus eigenem Antrieb berührt, nun aber legte ich meine Hand sanft an seine Wange und lächelte dabei. Meine Bereitschaft war da, es fehlte nur noch seine.


    „Wie wird es in Rom weitergehen?“, fragte ich leise, nahm meine Hand zwar wieder fort, lächelte aber weiterhin. Ich hoffte auf irgendetwas Tröstliches, Beruhigendes, etwas Erfreuliches.

    Meine Hoffnung, Corvi würde den Kutscher anweisen, den Wagen ein Stück vorzufahren, damit ich aussteigen konnte, zerschlug sich schnell, denn als er den Griff lockerte, fühlte ich mich gegen meinen Willen auf die Sitzbank gedrückt. Zwar fühlte ich mich elend und gleichzeitig schwach, aber die Kraft reichte aus, um mich sofort wieder zu erheben. Mal abgesehen von meinem dringenden Reinigungsbedürfnis, dem ich unmöglich in der Kutsche nachgehen konnte, hatte er offensichtlich vergessen, dass eine Frau auch eitel war. Außerdem würde im Sitzen die Restbescherung von dem ungereinigten Mund doch auf meine Tunika tropfen.


    Ich schaute unglücklich aus der geöffneten Tür, hörte zwar seine Frage, hoffte aber, Prisca würde sie ihm beantworten. Zu meiner Erleichterung kam in diesem Augenblick Caecus angelaufen. Ich wartete, bis er heran war, nickte, als er Aintzane erwähnte, nahm den Becher entgegen, um sofort den Mund von innen und außen zu reinigen. Gezielt spuckte ich an Caecus vorbei, der bereits den nächsten Becher einschenkte. Für das Vermeiden etwaiger Spritzer an seinen Beinen konnte ich jedoch nicht bürgen.


    Auf diese Weise notdürftig versorgt trat ich vorerst zur Seite, um mich nunmehr in das Gespräch einzubringen, aber es war offensichtlich bereits beendet, denn Corvi nutzte die Gelegenheit und sprang aus dem Gefährt. Ein unsanftes Anrucken, das mich ungewollt auf die Sitzbank beförderte, kündete vom Weiterrücken der Kutsche, die nach wenigen Augenblicken erneut hielt. Ich wechselte einen kurzen Blick mit Prisca, die – so schien es mir – sich für ihren nachfolgenden Abgang entschuldigen wollte, bei dem sie Caecus gleichzeitig schwungvoll des Bechers entledigte. Schließlich saß ich allein in der Kutsche, die ich ursprünglich vor allen anderen verlassen wollte, schüttelte mich erneut, als ich Prisca in meinem Rücken hörte, denn das Holz schluckte nur wenig Schall, und erhob mich schwankend. Noch immer den Becher haltend, reichte ich Caecus die freie Hand, damit er mir beim Absteigen behilflich sein konnte. Es war eine wacklige Angelegenheit, weil sowohl er als auch ich nur jeweils eine Hand zur Verfügung hatten, aber der Wille versetzte oft Berge und ich wollte diesen Ekelgeschmack restlos loswerden. Ein Sprung von der letzten Stufe, bei dem ich Caecus fast umgerissen hätte, sicherte mir den ersehnten Boden. Ich nahm ihm sodann den wabbeligen Wasserbehälter ab, suchte mir eine passende Stelle abseits des Weges und spülte mir den Mund nochmals aus. Etwas Wasser in der gebogenen Hand nutzte ich zum Säubern der Nase.


    Nachdem das Wohlbefinden einigermaßen wiederhergestellt war, suchte ich Prisca auf. Ich legte die Hand auf ihre Schulter und reichte ihr wortlos den Wasserbehälter. Sicherlich würde sie ihn brauchen, ich zweifelte nicht daran.


    „Zwei Tage, Prisca. Dann haben wir es geschafft“, tröstete ich sie und sprach mir dabei selbst Mut zu.


    Anschließend blickte ich mich auf der Suche nach Corvi um. Mein Blick verweilte flüchtig auf seinem Rücken. Ich glaubte, Prisca müsse, wie ich, auch den Wunsch verspüren, sich zunächst ungestört zu reinigen, daher streichelte ich einmal über ihre Schulter und wandte mich ab, um zu ihm zu gehen. Es war Verlegenheit, die mich einen Schritt weiter Abstand halten ließ, als ich es sonst gemacht hätte.


    „Das war lieb von dir eben“, sagte ich leise. Ich schaute ihm dabei nicht in die Augen, denn vom Wohlfühlen war ich weit entfernt. Ich rechnete damit, dass die Schminke verlaufen war und ich hasste selbst den momentanen Atem. „Ist dir das Essen denn gut bekommen?“ Es vergingen vielleicht zwei Herzschläge, ehe ich noch anfügte: „Zumindest vermute ich, dass es bei mir am Essen lag.“


    Ich betrachtete den Waldboden, so uninteressant er auch war, während meine Hand seitlich über die Haare fuhr, um zu richten, was eigentlich nicht gerichtet werden musste.

    Wenn ich es vermochte, steuerte ich immer dagegen, um ja nicht brechen zu müssen, denn es gab fast nichts Widerlicheres. Heute jedoch hatte ich keine Chance, zu schnell, praktisch bereits innerhalb weniger Lidschläge, entledigte sich mein Körper der überflüssigen Esswaren nachdem er mir sein Vorhaben vermeldet hatte. Corvi jedoch war noch schneller als das Zusammenkrampfen des Magens. Er reagierte bereits, als ich ihn mit geweiteten Augen und zugehaltenem Mund anblickte, sprang auf, und es war dem ruckhaften Anhalten zu verdanken, dass nicht nur wir beide kippten, sondern die Bescherung für einen Augenblick länger in mir verblieb. Es blieb gerade noch so viel Zeit, die Tür aufzustoßen, als der Erguss bereits seinen Weg ins Freie suchte und fand – vorwiegend durch den Mund, aber wegen der Gewalt und der Fülle auch zu einem kleinen Teil durch die Nase. Ich fühlte mich jämmerlich. Das Würgen und der scharfe Reiz auf die Nasenschleimhäute trieben mir die Tränen in die Augen. Die Schultern zuckten bei den kurz aufeinander folgenden Wellen, in denen immer neue Schübe kamen, die zwar recht bald in ihrer Konsistenz dünner wurden, irgendwann auch annähernd versiegten, aber leider nicht dazu führten, dass der Brechreiz mit ihnen verschwand. Gepeinigt strich ich mit der rechten Hand über die Stirn, entledigte mich immer wieder kleinster Reste, die einfach kein Ende nehmen wollten, wischte mir nebenbei die rollenden Tränen fort und versuchte dem Beben des Körpers Herr zu werden.


    Als die Abstände größer wurden, in denen das Zucken der Schultern erfolgte, realisierte ich erstmalig, dass Corvi meine Haare zurückgestrichen hatte. Bei all dem Elend, das ich momentan fühlte, kam mir dieser Weitblick geradezu übermenschlich vor. Ich war ihm dankbar, wie lange nicht mehr, konnte es aber nicht einmal zeigen, weil mich die Krämpfe noch immer in ihrer Macht hatten, weil die Nase und der Rachen schmerzten. Immerhin beschränkten sich die Sinne aber nicht mehr ausschließlich mit der unfreiwilligen Entladung, sondern nahmen wieder die Umgebung wahr, auch wenn ich den Blick noch immer gen Boden richtete.


    „Wasser, ich brauche unbedingt Wasser“, wisperte ich und hoffte, er konnte es hören. Immer wieder sammelte sich Flüssigkeit im Mund, die ich, so schnell es eben ging, loswerden wollte.


    Hinter uns hörte ich Prisca etwas sagen, das mehr wie ein Stöhnen klang.


    Langsam richtete ich mich auf und wischte mir erneut über die feuchten Wangen. Es ging mir besser, wenn auch nicht gut. Ich steckte jedoch in einem Dilemma: Umdrehen wollte ich mich nicht, vielmehr sehnte ich mich nach Reinigung, aber aussteigen ging auch nicht, weil ich sonst in diese Lache getreten wäre.

    Ich mochte Reisekutschen ebensowenig wie Prisca. Die weiche Federung ließ den Wagen beständig schaukeln und so war es kein Wunder, wenn mir übel wurde. Allerdings äußerte sich früher die Übelkeit immer in einer abnormalen Gesichtsfarbe, nicht in Magenbeschwerden. Auf ihre Frage hin verzog ich das Gesicht und schüttelte den Kopf.


    „Ich habe Bauchschmerzen“, jammerte ich, denn inzwischen steigerte sich das Rumoren annähernd schon zu einem Krampf. Ich presste meine Hand an den Bauch, beugte mich vor und legte die Hand auf Corvis Knie, um zu testen, ob er inzwischen fest schlief oder doch nur vor sich hindöste. In der Zeit, in der er zu sich zu kommen konnte, wandte ich mich erneut an Prisca.


    „Und dir geht es gut?“, fragte ich mit unüberhörbarer Skepsis. „Kurz nach dem Frühstück fing mein Unwohlsein an. Inzwischen haben wir ja auch schon zwei oder gar dreimal gehalten. Ich weiß gar nicht mehr. Hast du die Eier probiert? Ach, ich weiß auch nicht. Vielleicht liegt es auch an was anderem. Was hast du denn alles gegessen?“


    Sicherlich würde mir die Ursachenforschung auch nicht mehr helfen, aber sie lenkte wenigstens ab. Ich schaute Prisca mit einem leidenden Gesichtsausdruck an. Jetzt fehlte nur noch, dass sich Erbrechen zum Durchfall gesellte.


    „Auf welchem Wagen befindet sich eigentlich Aintzane? Ich brauche doch … hm, du weißt schon“, deutete ich mit einem Grinsen an, denn viel mehr, als die Angelegenheit von der lustigen Seite zu betrachten, blieb mir nicht, wenn ich nicht vollends im Selbstmitleid versinken wollte.


    Der Druck wurde plötzlich übermächtig. Ich schlug die Hand vor den Mund, ein Würgen schüttelte mich und …

    Zitat

    Original von Spurius Purgitius Macer


    Ja, würde ich auch mal gerne sehen. Alles was man dazu braucht ist ein Papa, der schon im Ordo Equester ist, einen Sohnemann der vom Papa das nötige Kleingeld (=Grundstück) zugeschoben bekommt und einen Patron für die beiden, der dem Kaiser den Namen des Kerls zwecks Erhebung in den Ritterstand unterschiebt. Und schon kann's losgehen.


    Etwas Vergleichbares hat es aber schon gegeben ;) , falls du auch sowas "gerne mal sehen möchtest". :)
    Aurelius Corvinus ist im IR als 17jähriger gestartet, hatte eine (durchaus kurze) Verwaltungslaufbahn und ist mit dem 'passenden Ordo' als senatorischer Tribun mit Null Ahnung in die Legio gekommen. Bereits bei seinem Eintreffen hab ich die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, aber die vielen "Unfähigkeiten" waren reine Absicht, wie sich herausgestellt hat. :D