Beiträge von Liu Wong

    Am Tag nach der Einweihungsfeier stand ich früh auf und ging in den Garten. Die kalte Luft war in meiner seidenen Kleidung deutlich zu spüren, aber das machte mir nichts aus. Ich begann damit, Grundtechniken der Kunst des unbewaffneten Kampfes zu üben. Nach einiger Zeit fing ich dann an, die traditionellen Kombinationen, die einen Kampf gegen mehrere virtuelle Gegner simulieren, zu üben. Dabei legte ich vor allem Wert darauf, dass alles perfekt war. Ein Meister durfte keine Fehler machen.

    "Ja, ich werde noch länger hier verweilen. Es ist ein sehr schönes Land."


    Ich lächelte Helena freundlich an.


    "Mit der Zeit kehrt die Kraft zurück..." murmelte ich auf Chinesisch, nachdem sie zu Commodus gegangen war.


    Ich blieb stehen, wo ich war. Meine Gedanken schweiften in die Vergangenheit... ich stand inmitten meiner Soldaten. Meine Uniform glänzte und ein kaiserlicher Bote überreichte mir einen Brief. Mein Cousin Sheng hatte mir in dem Brief geschrieben, dass meine Familie von den Aufständischen gefangen genommen war... sie forderten seinen Rücktritt, sonst würden sie sie töten... er trat nicht zurück... meine Familie wurde getötet... Sheng ließ die Familien der Anführer des Aufstandes töten, als Vergeltung... Sheng, der mitfühlende General, der seine Feldzüge durch Zermürbung des gegners gewann, mit nur geringen Verlusten, der nur ungern tötete... er hatte sich verändert.
    Ich wachte aus meinen Erinnerungen wieder auf, schaute mich nachdenklich um.

    Ich sah, dass sich eine Frau setzte. Sie sah erschöpft aus.


    "Ihr entschuldigt mich einen Augenblick." sagte ich zu Commodus und ging zu der Frau.


    "Meine Dame, ist Euch nicht wohl?" fragte ich, wobei ich mich leicht verbeugte.

    "Die Komplexität unserer Gesellschaft ermöglicht einen hohen Grad an Ordnung, so dass jeder seinen Platz genau kennt. Obwohl die Einfachheit des römischen Systems durch ihre Klarheit besticht."


    Ich nickte Maximus freundlich zu, als er sich zu uns gesellte.


    "Nun, in gewisser Weise mache ich das bereits. Aber Ihr wollt sicher wissen, was alles geschehen ist, seit Ihr und euer Bruder das Himmlische Reich verlassen habt. Die Hunne hatten ert mal genug vom Krieg. General Wu ging in den Ruhestand, ich wurde zum General befördert und sein Nachfolger. Ich wurde an die Große Mauer versetzt. Das ist ein recht ruhiger Dienst und ich konnte meine Familie häufig sehen. Mein Cousin Sheng wurde zum Oberst befördert und erhielt das Kommando über eine Division an der grenze zu Tibet. Er wehrte einen Angriff der Tibeter ab und kämpfte eigenständig mit seiner Division. Nach zwei Jahren schlossen sie Frieden. Er hatte keine Gefechte, und dennoch kapitulierten die Tibeter. Alles, was ich erfahren konnte, war, dass er die tibetischen Truppen komplett von ihrem Nachschub abgeschnitten hatte. Wie er das geschafft hat, weiß ich nicht. Sheng wurde danach zum General befördert und an die Grenze zu Siam beordert."

    "Unsere Gesellschaft ist in Klassen geordnet. Die niedrigste Klasse sind Bettler, darüber kommen Leibeigene, dann Kleinbauern und Händler. Darüber stehen Großbauern und Kaufleute. Danach kommen einfache Beamte, Soldaten und Gelehrte, dann einfache Kontrollbeamte, hohe städtische Beamte, Unteroffiziere, Dozenten der Akademien und Ritter. Darüber stehen regionale Beamte und Kontrollbeamte, Offiziere und Dozenten der kaiserlichen Akademie sowie Burgvögte. Über der Klasse kommen Provinzverwaltung, Generäle und Fürsten sowie die Direktoren der Akademien. Darüber kommen Prinzen, kaiserliche Sondergesandte und kaiserliche Feldherren. Danach kommen die Mandarins und am höchsten steht natürlich der Kaiser.
    Ritter, Burgvögte, Fürsten und Prinzen als Adelstitel sind zwar prinzipiell erblich, aber der Kaiser kann diese Titel vergeben oder entziehen. Man verliert seinen adelstitel, wenn man seine Aufgaben als Adliger nicht erfüllt. Dann erhält ein fähigerer Mensch diesen Titel. Adlige sind die Fürsprecher ihrer Bevölkerung bei der Provinzverwaltung. Sie sind nicht an Dienstwege gebunden und können auch direkt beim Kaiser vorsprechen."

    Ungläubig schaute ich ihn an. "Und trotzdem kann ein so großes Reich gut verwaltet werden? Erstaunlich. Wenn Ihr es wünscht, kann ich Euch in den nächsten Tagen einige Lektionen der Verwaltungsausbildung des Reiches Han geben. Als ehemaliger General bin ich in Buchhaltung und Verhandlungsführung ausgebildet. Als Fürst bin ich außerdem in Verwaltungsrecht geschult. Auch wenn die Gesetze hier sicher andere sind, können einige Ideen des Verwaltungsrechts des Reiches Han sicher hilfreich sein."

    "Das System ist sehr effektiv bei uns. Natürlich ist es komplex, aber wer über 100 Millionen Einwohner kontrollieren will, muss die Bürokratie etwas komplexer gestalten. Auch das Kontrollprinzip ist effektiv. Kontrollbeamte werden regelmäßig ausgetauscht, so dass ihre Neutralität stets gewahrt bleibt, und sie haben die bestmögliche Ausbildung an der kaiserlichen Akademie erhalten. Auch die normalen Beamten haben eine akademische Ausbildung erhalten. Wo viel Arbeit zu erledigen ist, werden entsprechend mehr Beamte eingesetzt. Im Zweifalsfall greifen auch die Vorgesetzten ein."

    Ich lächelte höflich. "Das wird aber eine ganze Weile dauern. Am besten fange ich mit Regierung und Verwaltung an. Das Reich Han wird von einem Kaiser beherrscht. Der Kaiser hat ein himmlisches Mandat erhalten, zu herrschen. Das bedeutet, dass sein ganzes streben dem wohl des Reiches gelten muss. Persönliche Belange muss er zurück stellen. Versagt er, so ist es legitim, ihn zu ersetzen. Der Kaiser ernennt Mandarins, um ihn zu beraten und bestimmte Aufgaben zu übernehmen, beispielsweise die Kontrolle des Militärs, der Geheimdienste oder der Finanzen.
    Unter den Mandarins kommen die Provinzverwaltungen. Jede Provinz wird von einem zivilen Gouverneur, einem militärischen Kommandant und einem kaiserlichen Kontrollbeamten regiert. Die Kontrollbeamten haben die Aufgabe, jede Form von Korruption zu bekämpfen. Es gibt nicht nur auf Provinzebene Kontrollbeamte, sondern auf allen Ebenen der Hierarchie, also selbst für einfache Verwaltungsbeamte. Nur Mandarins werden direkt durch den Kaiser kontrolliert. Die Strafen für Korruption sind sehr hoch, ein korrupter Kontrollbeamter kann sogar mit dem Tod bestraft werden."

    Ich verbeugte mich leicht. "So ist es. Liu Wong, Fürst von Qin. Ich möchte Euch für die Gastfreundschaft danken, die Ihr mir gewährt. Wenn es irgend etwas gibt, womit ich mich revanchieren könnte, so zögert nicht, es mir zu sagen."

    Ich hatte mir einen Kelch Tee gemacht. Ich wusste, dass ich Alkohol nicht allzu gut vertrage. Und meinen Tee machte ich lieber selbst, lediglich das heiße Wasser ließ ich mir bringen. Die Blicke der anderen Gäste ignorierte ich und setzte mich etwas abseits hin. Ab und zu musste ich erklären, dass ich kein Sklave, sondern ein Gast war, obwohl das an meiner Kleidung eigentlich leicht zu erkennen war. Immerhin hatte ich meine seidene Paradeuniform (ohne Rüstung und Waffen) angezogen. Das war unglaublich kleidsam, fand ich.