Manius Claudius Maecenas
Villa Rustica Claudiana
Eleusis · Achaia
Ad
Claudia Agrippina
Villa Claudia
Roma
Italia
Salve, meine liebes Pinchen!
Ich danke dir vielmals für dein Schreiben. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie erleichtert ich bin, endlich Nachricht von dir erhalten zu haben. Deine Zeilen lassen erahnen, dass du bereits dabei bist, Rom mit deinem sonnigen Temperament zu beglücken. Deine liebenswert bescheidene Art dürfte schon jetzt eine enorme Bereicherung für die Römische Gesellschaft darstellen, daran hege ich nicht den geringsten Zweifel. Verzeih, wenn ich diese Worte mit einem Schmunzeln schreibe, aber den von mir lang ersehnten Brief gleich mit einer Beschwerde über Maevius Tullinus einzuleiten, ist so typisch für dich, dass ich dergleichen fast schon erwartet habe.
Es ist mir schon klar, dass Tullinus nicht gerade das ist, was du dir unter einem amüsanten Gesellschafter vorstellst, aber sein Unterhaltungswert war auch nicht der Grund, ihn dir an die Seite zu stellen. Cnaeus Maevius Tullinus ist ein hochanständiger Mann, der unserer Familie seit Jahrzehnten in unumstößlicher Loyalität verbunden ist. Es mag ja sein, dass er seine ganz eigene Auffassung von Humor hat und davon, was für eine junge Frau deines Standes gut ist. Ich für mein Teil verlasse mich auf seine Lebenserfahrung, und das solltest du ebenfalls tun. Über die von ihm veranlasste Entmannung der erworbenen Sklaven brauchst du dir keine unnötigen Gedanken zu machen. Das ist durchaus üblich und dient der Veredelung der Ware. Tullinus weiß schon, was er tut. Genau deshalb ist er bei dir. Du darfst bei all deinen Vorbehalten ihm gegenüber eines nicht vergessen: Maevius Tullinus hat Familie und Geschäfte in Achaia zurückgelassen, um seinem Patron einen großen Dienst zu erweisen. Wir haben ihm dafür Respekt zu zollen. Du schreibst, er habe noch keinen Ehemann für dich gefunden? Nun, das will ich ihm auch geraten haben! Was die Eheanbahnung betrifft, hat Tullinus die Aufgabe, das Angebot an Kandidaten zu sondieren, nicht mehr und nicht weniger. Es würde mir nicht im Traum einfallen, die Wahl deines künftigen Gatten einem Maevier zu überlassen, so untadelig er auch sei. Da hat dein besorgter Bruder noch das eine oder andere Wörtchen mitzureden.
Bevor du nun aber in finsteres Brüten verfällst, habe ich auch noch eine gute Nachricht in Sachen Tullinus. Du wirst ihn nur noch eine Weile ertragen müssen, da ich beabsichtige, ihm die Verwaltung unserer Güter anzutragen. Zwar sind mir in den vergangenen Wochen mehrere angeblich äußerst fähige Männer empfohlen worden, aus Gründen, die ich hier nicht weiter darlegen will, vertraue ich allerdings keinem davon. Also habe ich mich für Tullius entschieden. Er weiß, worauf es ankommt, kann auf eine lange Erfahrung in der Gutsverwaltung zurückblicken und wie ich ihn kenne, wird er nicht zögern, sich dieser verantwortungsvollen Aufgabe zu stellen. Vorausgesetzt, du kannst tatsächlich auf seine Anwesenheit in Rom verzichten. Aber nach dem zu urteilen, was du über unseren Onkel Menecrates schreibst, scheinst du bei ihm in sehr guten Händen zu sein und Scato ist schließlich ist auch noch da. Du hast übrigens richtig vermutet, selbstverständlich habe ich meinem alten Freund von deinem Kommen unterrichtet, und er freut sich schon darauf, dich wieder zu sehen. Keine Sorge, deine Zuneigung für ihn, die du in deinem Brief so vehement bestreitest, war natürlich nicht Gegenstand unserer Korrespondenz. Trotzdem möchte ich dich bitten, ihm gegenüber stets eine gewisse wenn auch freundschaftliche Distanz zu wahren. Gerüchte werden ohnedies entstehen, man braucht sie nicht auch noch zu befeuern.
Nun zu deinen warmen Worten meine Verlobte betreffend. Meinst du nicht, es wäre langsam an der Zeit, den Giftkelch auszuschütten? Meine aufrichtig geliebte Pina, Sempronia Attica kann mir niemals meine Schwester ersetzen, eben so wenig wie dein künftiger Gatte jemals deinen Bruder wird ersetzen können. Wie du sehr wohl weißt, ist dieses Verlöbnis von unserem Vater in die Wege geleitet worden, und der hatte seine Gründe, Matienus’ älteste Tochter für mich auszuwählen. Mit deinem Liebreiz kann sie es freilich nicht aufnehmen. Wer kann das schon? In unseren Kreisen ist Attraktivität aber nun mal kein ausschlaggebendes Kriterium für eine Vermählung. Verbindungen allein aus niederen Instinkten heraus wollen wir doch auch künftig der Plebs überlassen. Obgleich mir völlig klar ist, dass ihr beiden wohl niemals Freundinnen werdet, appelliere ich an dich als die Schönere und Klügere, etwas mehr über den Dingen zu stehen und Attica wenigstens als eine Art entfernte Verwandte zu betrachten. All zu oft werden sich eure Wege ohnehin nicht kreuzen. Zu meiner Reise kann ich selbstredend nur ohne sie aufbrechen, du darfst meinem Kommen also ganz gelassen entgegen sehen. Es wäre schlechterdings undenkbar, mit Attica zu verreisen, bevor wir verheiratet sind. Um den Rahmen der Schicklichkeit zu wahren, müsste uns zumindest Sempronius Matienus begleiten, und darauf lege ich nun wirklich keinen gesteigerten Wert.
Bedauerlicherweise kann ich dir momentan nicht mit dem von dir so geschätzten neuesten Tratsch aus der feinen Gesellschaft dienen, da ich seit den Kalenden des Iunius nicht mehr in Athen gewesen bin. Die Folgen eines verheerenden Gewittersturmes werden mich voraussichtlich auch noch die nächsten paar Tage in Eleusis festhalten, aber spätestens zu den Nonae Capratinae werde ich zu Mutter zurückkehren. Es geht ihr ausgesprochen gut, und wenn ich ihr erst deinen lieben Gruß übermittle, wird es ihr noch weit besser gehen. Du fehlst ihr sehr. Manchmal, wenn du ihr zu sehr fehlst, kann ich eine unausgesprochene Anklage in ihren Augen lesen. Trotz aller Einsicht in die Notwendigkeiten macht sie es mir doch insgeheim zum Vorwurf, dich nach Rom geschickt zu haben, obwohl ihr sicher klar ist, dass Vater dasselbe getan hätte. Wie auch immer, spätestens an deiner Hochzeit werdet ihr euch wiedersehen. Bis dahin wirst du leider mit deinem langweiligen Bruder vorlieb nehmen müssen, der sich auf die Reise begeben wird, sobald hier alles geregelt ist.
In meinem Schreiben an Maevius Tullinus werde ich ihn bitten, so bald er es verantworten kann, nach Achaia zurückzukehren, um die Geschäfte zu übernehmen. Ertrage ihn einstweilen mit Langmut und vertraue dich nach Tullinus’ Abreise dem wohlwollenden Schutz unseres Onkels an. Überbringe bitte der Familie, vor allem Senator Menecrates die allerherzlichsten Grüße von mir und versuche, ihm nicht all zu sehr auf die Nerven zu fallen. Warte lieber, bis ich eintreffe. Ich bin das schließlich gewohnt und kann damit umgehen.
Viel mehr gibt es für den Moment nicht zu sagen. Gib gut auf dich acht, mein Pinchen. Sei schlau und besonnen und vergiss bei allen Verlockungen und Zerstreuungen der Urbs Aeterna niemals unseren Wahlspruch.
Mögest du stets unter dem gütigen Segen der Götter wandeln!
Dein dich schmerzlich vermissender Mani.