Schon kurz nach dem Mittagessen war Minervina aufgebrochen. Und ebenso war sie erst kurz vor dem Mittagessen aufgestanden. Die Zeit dazwischen hatte sie mit einem Bad vebracht, um sich ein wenig von ihren Gedanken zu befreien, die sie nicht eben glücklich gemacht hatten. Die Ereignisse des vorigen Abends mochten für den Moment sehr schön gewesen sein, doch am heutigen Tage konnte sie sich kaum etwas Schlimmeres vorstellen. Nun hatte sie die Villa Tiberia verlassen, um ihre Gedanken noch weiter aufklaren zu lassen. Sie hatte längst nicht die panischen Subjektivitäten ihrer Mutter angenommen und betrachtete das Ganze rational. Sicher mochte ihr Gewissen belastet sein, dass sie sich auf ihre Sklavin eingelassen hatte, aber geschehen ist geschehen.
Die junge Frau patrizischen Blutes blieb an einer Weggabelung stehen. Geradeaus, links oder rechts? Von dem größeren Rummel hatte sie sich längst entfernt. Überhaupt befand sie sich nicht gerade in einem düsteren Viertel. Wohlhabend sahen die Häuser aus. Nicht sonderlich reich, aber wohlhabend. Unschlüssig sah sie in alle Richtungen und beschloss, den rechten Weg einzuschlagen. Der lag am nächsten. So setzte sie also erneut zu einem ihrer Gedankengänge an. Solange Lana kein Wort verraten würde, würde auch nichts ans Tageslicht kommen. Hach, war das lästig wenn ihr Leute entgegenkamen. Es war ungewöhnlich für sie, ohne Wache, ohne Sklaven und ohne Sänfte spazieren zu gehen, aber sie musste sich den Frust aus dem Bauch laufen. Anders würde sie ihre Gedanken nicht los. Unbehaglich zog sie ihre Palla ein wenig stramm und strich mit der rechten Hand das Haar hinter ihre Ohren, da dieses vor den Augen hing. Auch ihr Haar wurde durch die Palla bedeckt, sodass nur ihr hübsches, junges Gesicht zu sehen war. Sie wollte nicht allzuviel von sich zeigen.
"Aber wenn Onkel Vitamalacus..." setzte sie wieder einmal an und seufzte. Er würde ihr den Hals umdrehen. Was er dann mit Lana machte, stand in den Sternen geschrieben. Was Minervina aber noch mehr wehtun würde als das Brechen ihres Halswirbels, wäre, dass Vitamalacus auf ihren Vater zu sprechen käme. Sie habe seine Ehere verletzt, als er so ruhmreich in Germanien gestorben war. Und dann geschah etwas, was sie vollends verwirrte. Es waren recht wenige Menschen zu Fuß unterwegs, wenn dann sah sie Sänften. Aber dort hinten stolperte eine Gestalt auf die Straße die zusammenbrach. Sie kniff angestrengt ihre Augen zusammen, um mehr erkennen zu können, aber das gelang ihr nicht. Also beschleunigte sie ihren Schritt, mit den Gedanken beim Vater angekommen. Warum brach ein Mann vor ihr zusammen, wenn sie an ihren Vater dachte? Als sie den recht blutigen Mann erreichte und seine Wunden soweit sehen konnte, begann sie noch ein wenig schneller zu laufen. Bei ihm angekommen, wurde sie bleich. Ob ihr Vater... Sie schloss kurz die Augen um sich zu sammeln.
Dann ging sie in die Knie und tastete mit ihren Fingerspitzen auf seine Schulter, denn von seinem Gesicht sah sie nichts. Besonders freudig wirkte ihr Blick nicht, als sie ihn antippte. Das ganze Blut schreckte sie ab. Ebenso sehr wie sein plötzliches Erscheinen. War das die Strafe der Götter für die Nacht mit Lana? Aber sie würden kaum einen Unschuldigen strafen... Aber war er unschuldig? "Verzeihung." sagte sie recht kühl und war stolz darauf. Dann nahm sie sich ein Herz und umfasste mit der Hand seine Schulter, um ihm, hockenderweise, sacht zu rütteln.