Rodrik's Miene zeigte Bedauern für den Hünen, denn dieser schien gerade frisch seiner Heimat entrissen. Es würde gewiss nicht leicht für ihn werden, sich an diesen nicht unbedingt schönen Gedanken zu gewöhnen. Und doch hoffte er für die junge Herrin, dass der Germanie dies vermochte, denn mit einem Rebellen würde sie nicht zurecht kommen. Dafür war sie viel zu zart und gebrechlich. Für ihn, Rodrik, würde es auch nicht leicht werden, wenn er von hier entrissen würde, denn die arme Fischerfamilie war für ihn etwas wie eine eigene Familie geworden. So gerne er Germanien auch einmal mit eigenen Augen erblicken würde, dieses Leben wollte er nicht tauschen. Er kannte den Hauch der Freiheit nicht und vielleicht war es auch gut so.
Und auch in Minervinas Augen konnte man gemischte Gefühle erkennen. Sie empfand ebenfalls Mitleid für diesen Germanen, diesen Wilden. Für zivilisierte Menschen wie es die Griechen waren, mochte es keine allzu schwere Umstellung sein, doch Belenor kannte diese Art des Lebens offensichtlich nicht. Es musste wie ein Sprung ins kalte Wasser sein. Wenn nicht sogar schlimmer. Und auch wenn sie es nicht ändern konnte, dass er sich an ihre Welt gewöhnen musste, so wollte sie ihm doch bei diesen Schritten helfen und ihm nie wieder Ketten anlegen. Diese Zeit, so kurz sie auch war, sollte für immer vorbei sein, das nahm sich die junge Frau fest vor. Da vernahm sie in dieser erdrückenden Stille wieder einen Laut.
Rodrik sagte mit leiser und wohl auch etwas rauher Stimme: "Ja, so wird es sein. Aber auch ein Sklavenleben muss nicht schlimm sein. Es kommt drauf an wie man sich benimmt und wie die Herren sind - du scheinst mir ein gutes Los gezogen zu haben." Auch Rodrik schien die Ungewissheit in Belenors Augen genauso wenig zu behagen, wie es bei Minervina der Fall war. Vor Allem wenn man sich versuchte, die Tragweite dieser Nachrichten für ihn, vorzustellen. "Und Soldaten.. Sie werden nichts das einzige Hindernis sein, doch du wirst diese Welt gewiss noch besser kennenlernen und verstehen." Damit schwieg der Junge, denn er fürchtete, dass er den Schmerz Belenors nur verschlimmern würde.
Und auch Minervina wurde das Gefühl nicht los, dass dieser Stunde etwas sehr Trauriges anhaftete. Es fiel ihr nicht leicht, zu beobachten, wie sehr sich Belenors Schicksal zu seinem Nachteil veränderte. Gerne würde sie nach seiner Hand greifen und ihm auf diese Weise irgendeiner Art Trost spenden, doch sie zweifelte, dass er dies nun überhaupt noch duldete. Er ahnte gewiss, was Sklaverei bedeutete, denn auch die Germanen nahmen sich römische Bürger, Soldaten um diese mit fürchterlichen Aufgaben zu quälen. Minervina nahm sich fest vor, dass er erkennen würde, dass sie sich nicht solche bestialischen Dinge einfallen lassen würde. Er sollte lernen, dass das zivilisierte Leben der Römer weit anenehmer war als jenes der Germanen. Als sie seine Worte hörte, lief ihr ein leichter Schauer über den Rücken. Auch wenn es schien, als wolle er keines seiner Gefühle nach außen dringen lassen, diese Worte verrieten viel seines Schmerzes. Ihr Blick wandte sich kurz zum Meer...
... und dort draußen erblickte sie etwas, was ihr nicht nur einein leichten, sondern einen eisigen Schauer hinter dem ersten hinterherjagte. Dort am Horizont baute sich schon jetzt am frühen Morgen eine nicht zu verachtende Wolkenfront auf und sie erblickte Blitze in den finsteren Bergen. Auch ein entferntes Grollen war schon zu hören. Als ihr Blick den Himmel in ihre Richtung absuchte, konnte sie erkennen, dass sich auch hier schon ein paar Wolken auf dem Himmel verteilten. Sie seufzte leicht. Das würde wieder ein ordentliches Desaster geben und trocken kämen sie gewiss nicht mehr nach Haus. Aber wollte sie dies überhaupt? Sie hatte gesehen, wie sehr ihm die Hitze zusetzte und konnte es auch jetzt in seinen Augen sehen, dass ihm dieses Wetter ein wohliges Gefühl gab. Sie glaubte zumindest, oder fühlte, dass es so war. Da war Iuppiter wieder, und verdunkelte den Himmel mit Wolken um ihn sogleich wieder mit den Blitzen zu erhellen. Deshalb war also am heutigen Tage auch der Wind ein wenig schwerer als an anderen Tagen. Fröstelnd zog sie die Palla etwas fester um ihren Oberkörper. Sie mochte Gewitter nicht unbedingt gerne, ihnen haftete immer etwas Bedrückendes an.
"Deine Götter haben dich nicht verlassen, doch hier herrschen andere." riss der Junge sie wieder aus ihren Gedanken. Er lächelte, doch war es ein ernstes Lächeln, dessen Minervina gewahr wurde. Und es richtete sich ganz allein auf Belenor Nun ruhten auch ihre Blicke wieder auf dem stämmigen Germanen, aus seinem Blick konnte sie deshalb allerdings nicht mehr erkennen. "Es scheint ein ordentliches Gewitter aufzuziehen, ich schätze ich mache mich wieder an meine Arbeit." meinte der Junge wieder in der latinischen Sprache zu Minervina und blickte Belenor an, der nun endlich wieder das Schweigen brach und seine Stimme erhob. Minervina hatte nicht erahnen können, was als nächstes folgte und hatte die ganze Zeit in beinahe ängstlicher Ungewissheit gewartet. Nun seine Worte und keine unschöne Tat zu vernehmen, erleichterte sie ungemein. "Lebe wohl, Belenor. Ich wünsche euch Glück." sagte der Junge wieder in seiner Heimatsprache und wandte sich noch einmal kurz Minervina zu, die völlig verständnislos den Worten des Kriegers lauschte.
Der Junge erklärte Minervina mit einem Zwinkern: "Er bedankt sich ein weiteres Mal bei seiner Wohltäterin. Er ist ein aufrichtiger Mann, enttäusche ihn nicht und er wird Dich nicht enttäuschen, Herrin. Er hat dir gerade etwas ungemein Wichtiges gegeben. Sein Wort, dich vor allem zu beschützen." Minervina betrachtete den sich abwendenden Jungen mit einer Mischung aus Überraschung und... Bestürzung? Ja, solche war es, denn sie schämte sich beinahe, einen solchen Mann als Sklaven zu halten, was beinahe untypisch für sie war. Es würde Zeit, dass sie wieder unter Claudias Fittiche kam. Sie ahnte nicht, das der Junge etwas nicht Unwichtiges ausgelassen hatte, als er ihr seine Worte übersetzte. Nämlich, dass Belenor auf Rache seiner Götter wettete. Doch befand Rodrik selbst es nicht wichtig, denn hier waren sie in Rom, hier waren es die römischen Götter.
Als Rodrik aus ihrem Blick verschwunden war, sah sie noch immer eine ganze Weile in diese Richtung, ehe sie sich der Frau zuwandte und sich, unfähig eines weiteren Wortes, mit einem Nicken bei dieser bedankte. Sie hingegen warf Minervina ein munteres Zwinkern zu und folgte Rodrik, denn der Wind frischte auf. Nur zögerlich und äußerst unsicher wagte sie es nun, den Blick zu heben und Belenor in die Augen zu schauen. Er sah sie noch immer an und einen Moment lang schlug ihr Herz doller, als sie glaubte es ertragen zu können. Sie schämte sich wirklich, doch er sollte nicht denken, dass sein Eid sie traurig stimmte. Und so lächelte sie. Sie lächelte ein trauriges Lächeln, während hinter ihm und somit gut für sie sichtbar, das Unwetter näher kam.