Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zur heutigen und letzten Vorlesungseinheit. Heute beschäftigen wir uns mit den Konkurrenzen.
Um Zugang zu dieser Materie zu gewinnen, versetzt man sich am besten in die Rolle des Gerichtes, das in einem Strafverfahren über einen Anbeklagten entscheiden muß, der mehrere Delikte begangen hat. Daraus ergeben sich folgende Fragen:
Müssen sämtliche Delikte in den Urteilstenor aufgenommen werden?
Welcher Strafrahmen kommt in Betracht?
Wie ist der Umstand, daß der Angeklagte mehrere Delikte begangen hat, bei der Strafzumessung zu berücksichtigen?
Diese Fragen werde ich heute versuchen zu beantworten. Vorher aber müssen wir etwas ausholen und die Begriffe Konkurrenz und Scheinkonkurrenz erläutern.
Häufig ergibt sich aus Sinn, Zweck und Zusammenhang der übertretenen Strafgesetze, daß das eine Delikt den Unrechtsgehalt des anderen (an sich ebenfalls erfüllten) Delikts in jeder Beziehung mitumfasst. Letzteres wird dadurch entbehrlich und durch das primär anwendbare Delikt verdrängt. Bei solcher Sachlage liegt keine echte Konkurrenz vor, da das verdrängte Gesetz ohnehin nicht anwendbar ist, man spricht also von Scheinkonkurrenz. Das verdrängte Gesetz wird daher auch nicht in den Urteilstenor aufgenommen. Man unterscheidet drei Arten von Scheinkonkurrenz: Spezialität, Subsidiarität und Konsumtion.
Bei der Spezialität verdrängt das spezielle Gesetz, das sämtliche Merkmale eines anderen und daneben mindestens noch ein weiteres Merkmal erfüllt, ausnahmslos das andere, generelle Delikt. Kurz gesagt: Lex specialis derogat legi generali. Leges speciales sind sämtliche qualifizierten und privilegierten Delikte im Verhältnis zum Grunddelikt, deswegen verdrängen Fahrlässige Tötung und Totschlag den Mord, den Einbruchdiebstahl den Diebstahl etc. Dies gilt natürlich genauso für die erfolgsqualifizierten Delikte. Sind dagegen mehrere Qualifikationen desselben Grunddelikts erfüllt, besteht in der Regel zwischen ihnen echte Konkurrenz.
Bei der Subsidiarität wird das zurücktretende Gesetz nicht aufgrund logischer, sondern aufgrund normativer Erwägungen verdrängt. Sie bemerken das leicht, wenn in einem Gesetz folgender Passus steht: „wenn die Tat nicht nach den §§ ... mit Strafe bedroht ist“.
Bei der Konsumtion kommt es darauf an, ob das fragliche Delikt regelmäßig und typischerweise im anderen Delikt enthalten ist. Bei solcher Sachlage wird der Unrechtsgehalt des verdrängten Delikts in der Regel durch das vorrangige „aufgezehrt“. Ein Beispiel: Mit einem Einbruchsdiebstahl ist regelmäßig und typischerweise auch Sachbeschädigung verbunden, die Sachbeschädigung wird also konsumiert und in den Urteilstenor nicht aufgenommen. Wenn das Tatgeschehen aber im Einzelfall den Rahmen der typischen Begleittat spreng, scheidet Konsumtion aus. Beispiel: Der Einbrecher verwüstet das gesamte Mobiliar aus Wut, weil er nichts Brauchbares vorfindet.
Wenn keine Scheinkonkurrenz anzunehmen ist, so besteht zwischen den gemeinsam abzuurteilenden Delikten echte Konkurrenz. Das bedeutet, die verschiedenen Strafgesetze bleiben nebeinander bestehen und „konkurrieren“ in bezug auf die Frage, ob und wie sie für die Bestrafung des Angeklagten maßgeblich sind. Alle echt konkurrierenden Delikte sind in den Urteilstenor aufzunehmen, denn auf diese Weise wird der Unrechtsgehalt des Gesamtgeschehens voll erfasst und zum Ausdruck gebracht. Hier wird zwischen zwei Fallkonstellationen unterschieden:
Von Idealkonkurrenz spricht man, wenn der Angeklagte mehrere Delikte gleichzeitig, also durch eine Tat begangen hat. Synonym wird auch der Begriff „Tateinheit“ verwendet. Als Kurzformel können Sie sich merken: Idealkonkurrenz (Tateinheit) = Eine Handlung, mehrere Delikte. Beispiel: Durch rücksichtloses Wagenfahren fährt der Angeklagte 2 Passanten nieder, von denen einer stirbt, der andere schwer verletzt wird.
Von Realkonkurrenz spricht man, wenn der Angeklagte mehrere Delikte zeitlich nacheinander, also durch mehrere selbständige Taten begeht. Kurzformel: Realkonkurrenz (Tatmehrheit) = Mehrere selbständige Handlungen, mehrere Delikte. Beispiel: Der Angeklagte A hat in die Wohnung eingebrochen und bei der Flucht nach dem Einbruch 2 Passanten niedergefahren.
Dieser Unterschied ist jedoch in unserem Rechtssystem eher begrifflicher Natur, denn die Rechtsfolgen sind dieselben.
Wie ist es nun mit dem Strafrahmen? Das ist tatsächlich einfach: Sie lesen die zu aburteilenden Delikte und entnehmen ihnen den Strafrahmen, der gemeinsame Strafrahmen wird dann zusammengesetzt aus der höchsten Obergrenze und der höchsten Untergrenze der zusammentreffenden Strafdrohungen gebildet. Beispiel: A wird als Hausnummer wegen Freiheitsentziehung und Diebstahl durch Einbruch verurteilt. Der Strafrahmen bei der Freiheitsentziehung beträgt 2 bis 3 Monate Freiheitsstrafe, bei Diebstahl durch Einbruch 3 bis 6 Monate Freiheitsstrafe. Der Strafrahmen für beide Delikte beträgt also 2 bis 6 Monate. Wenn Ihnen das jetzt ein wenig ungerecht vorkommt: Bedenken Sie, daß der Richter sowohl mildernde als auch erschwerende Gründe beachten muß. Sehr selten wird die Höchststrafe ausgesprochen.
Sollte der Fall eintreten, daß ein Delikt nur mit Geldstrafe, das andere jedoch nur mit Freiheitsstrafe bedroht ist, ist die Freiheitsstrafe zwingend neben der Geldstrafe zu verhängen. Solche Fälle sind aber eher selten.
So meine Damen und Herren, das wars. Es folgen noch die Fallprüfungsschemata, weiters werde ich hier einen Musterfall darlegen und lösen. Ich wünsche Ihnen viel Glück bei der Prüfung und hoffe, daß Sie etwas hier gelernt haben.