Beiträge von Decima Valeria

    Es war vermutlich gut, dass Valeria Ursus' Gedanken nicht hören konnte, sonst wäre sie nun in herzhaftes Lachen ausgebrochen. Wenn er sie so schon ehrgeizig fand, was hätte er dann nur gesagt, wenn er sie als junge Frau Anganf zwanzig in Tarraco schon gekannt hatte? So aber erübrigten sich diese Gedanken, und ihr Gespräch drehte sich beständig weiter um ihre mögliche Anstellung an der Schola. Valeria beschloss, das Thema zu wechseln. Sie würden bald sehen, was Avarus davon hielt, da half auch alles Spekulieren nicht.


    "Und du warst immer schon hier in Rom?" fragte sie also. Dass er ein Senator war, war schließlich unübersehbar, danach brauchte sie kaum zu fragen.

    Valeria lächelte nachsichtig und erwiderte taktvoll nichts darauf, dass Musa sich für naiv hielt. "Ich bin mir sicher, dass du einen Wunsch äußern kannst", sagte sie stattdessen. Die Worte Musas bedeuteten dann wohl, dass sie das Mündel ihres Onkels war. Wie gut es dagegen Valeria hatte, zumindest in dieser Hinsicht! Denn sie musste niemanden um Erlaubnis fragen. Der kleine Nachteil allerdings war, dass sie auch selbst für sich verantwortlich war, und das bedeutete, dass es in ihren Händen lag, wen sie irgendwann einmal heiratete. Beispielsweise.


    Valeria senkte den Blick und unterdrückte ein Seufzen. Sie war nicht hübsch, sie war dürr, viel zu dürr, um Kinder zu gebären. Aber sie konnte einfach nicht mehr als ein paar Happen herunterbringen seit... Sie schob die Gedanken fort, hob den Kopf und sah Musa wieder an. "Danke für dein Kompliment. Ich werde sehen müssen, was die Zukunft bringt. Die aber wünsche ich, dass dein Onkel eine gute Wahl für dich trifft."


    Sie gingen einen Moment schweigend. "Aber wo wir von meiner Herkunft gesprochen haben: Wo kommst du eigentlich her? Stammst du aus Italien? Denn du schaust nicht aus, als kämst du aus dem Süden, wo die Sonne vom Himmel brennt", spielte sie auf Musas Bemerkung von eben an.

    Serapio schien sich plötzlich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu befinden. Zumindest sahen ihn Venusia und Valeria interessiert an, und zumindest Valeria machte ein bedauerndes Gesicht. "Da entgeht der Damenwelt ja noch eine Weile was, vermute ich. Aber ich bin zuversichtlich, dass du irgendwann befördert wirst. Wie lange warst du nun schon Centurio, sagtest du?" erkundigte sie sich ganz arglos, da sie lieber über ihn als über sich selbst sprach und schließlich nicht wusste, dass er das Thema am liebsten sofort in der Versenkung verschwinden lassen wollte. Sie biss ein Stückchen von ihrem warmen Brot ab und betrachtete ihn dann wieder aufmerksam. "Als nächstes würdest du doch Praefectus Castrorum werden, oder?" Vielleicht konnte man da ein wenig nachhelfen, wenn der arme Kerl doch so gerne heiraten wollte. Valeria hatte da vollstes Verständnis für. "Wer ist denn eigentlich die Glückliche?"
    Dass Serapio doch etwas überrascht war, dass sie selbst nicht verheiratet war, bemerkte sie natürlich. Aber sie machte es wie er und sagte dazu nichts.

    Da kam auch schon die Einschränkung. Na, Valeria ließ sich nicht entmutigen. Sie hatte schließlich schon gezeigt, dass sie engagiert war, und konnte sich darauf berufen. "Dann wollen wir doch mal sehen, ob er seine Schultern entlasten lässt", erwiderte sie verschmitzt.


    "Oh, lass mich überlegen... Das müssen 3 oder 4 Jahre gewesen sein", antwortete sie ihm. "Ja, wie ich erfahren habe, hat sich Adria zurückgezogen und ist gar nicht mehr in Rom. Avarus war aber schon immer der stellvertretende Rector, wenn ich da richtig informiert bin." Valeria strich sich das Haar zurück. Sie hätte ja schon gern gewusst, wer Ursus' Frau werden würde. Aber sie würde sich eher die Zunge abbeißen, als danach zu fragen.

    "Du weißt, wie es mir jetzt gehen muss?" Valeria sah ihn an. Sie hatte die Brauen gehoben. "Verzeih mir, aber das glaube ich nicht", sagte sie trocken und betrachtete ihn dabei. Sie fragte sich, was er beabsichtigte. Aber wollte sie das wirklich wissen? Sie nahm sich zusammen. Sie wollte nicht unfreundlich sein, auch wenn es ihr nicht eben gut ging, wenn sie an ihn und sich und die Vergangenheit dachte, besonders mit diesen neuen Informationen. Valeria atmete tief ein und wieder aus. Sie benahm sich albern, sagte sie sich. Sie konnte mit der Situation umgehen. Aber sie gab sich undurchsichtig.


    "Eine Weile noch, ja", erwiderte sie langsam und wandte den Blick Richtung Garten. Sie hatten sich nach der Trennung ja noch in Mantua gesehen, auf der Hochzeit von Plautius und Medeia. Valeria dachte nicht mehr daran. Livianus hatte sie größtenteils ignoriert. "Ich war für ein Jahr in Alexandrien und habe am Museion gelehrt. Und danch habe ich mich auf den Heimweg gemacht, über Land und durch die östlichen Provinzen. Weiter möchte ich nicht darüber sprechen." Sie sah Livianus wieder an. "Ich bin jetzt wieder hier und ich habe nicht vor, noch einmal fortzugehen. Außer um Lucilla zu besuchen, vielleicht."

    Valeria sah Livianus ein wenig grübelnd an. Es war kalt hier, immerhin war das Peristylium ein außen liegender, überdachter Säulengang. Sie hatte eigentlich keine Lust, sich hier hinzusetzen und sich den Tod zu holen. Sie zögerte allerdings nur kurz, ließ sich dann sitzend auf der Liege nieder, die Palla dicht um die Schultern gezogen. "Mir geht es gut. Und ich bin bestens versorgt, danke der Nachfrage." Vielleicht war das ein wenig kühl, aber zu mehr Wärme war sie einfach nicht fähig. Das war allerdings auch kein Wunder bei den Dingen, die sie letztend erfahren hatte, fand sie.

    Sicherlich hatte Axilla das nicht gesagt, aber Valeria hatte dargelegt, was sie selbst darüber dachte. Da aber Axilla nichts weiter dazu sagte und sich deswegen keine Diskussion entwickeln konnte - was Valeria sehr schade fand - schwieg auch sie selbst, zumindest bis die Claudierin zu explodieren schien. Zuerst verblüfft, dann nachdenklich und schließlich mit einem missbilligenden Gesichtsausdruck verfolgte sie deren Redeschwall, der mehr einer zickigen Schimpftirade ähnelte als einer angemessenen Meinungsäußerung. "Ich frage mich, wie du darauf kommst, dass jemand irgendwessen Taten durch den Dreck zieht, Claudia", entgegnete Valeria ruhig. Gut, Paulinas Äußerung war ziemlich naiv, aber konnte man ihr dafür einen Vorwurf machen? Immerhin gab es solche Leute, die nicht wussten, was so außerhalb Roms passierte. Und welche, die es auch einfach nicht interessierte. Dass Romana von ihrer Familie und vor allem von ihrem "Vater" so sprach, wunderte Valeria allerdings. "Bist du nicht Vestalin?" fragte sie daher noch mal nach, weil sie das irgendwann vorhin aufgeschnappt hatte, denn damit war der Vater der Dame der Kaiser und nicht irgendein Claudier, der als Patrizier sowieso nie in der vordersten Reihe gekämpft, geschweige denn einen Krieg mitgemacht hatte.

    Der Sklave kehrte mit der Botschaft zurück, dass sie sich gerade im Bad befand und ihn danach aufsuchen würde.


    Valeria selbst saß frisch gebadet im Balneum vor einem Spiegel. Sie betrachtete sich ganz genau, aber was sie sah, machte sie nicht eben zufrieden. Eine Sklavin kämmte langsam ihr feuchtes Haar und enthielt sich jeden Kommentars. Warum Livianus sie wohl schon wieder sehen wollte? Sie trödelte absichtlich etwas herum, um Zeit zu schinden. Irgendwie hatte sie immer noch nicht ganz verkraftet, dass er einen ungehobelten Sohn hatte, von dem er nie etwas gesagt hatte. Und dass er Serapio adoptiert hatte. Die Sklavin drehte nun das feuchte Haar zu einem Knoten und steckte ihn an ihrem Hinterkopf fest. Eine andere hielt ihr fragend eine Tunika hin, und Valeria winkte nur gleichgültig. Es war ihr egal, was sie trug. Es passte ohnehin nichts richtig. Hauptsache, es war warm, wenn sie gleich nach draußen gehen würde.


    Eine geschlagene halbe Stunde später trat Valeria auf den Säulengang hinaus. Um ihre Schultern schmiegte sich eine wollene Palla, der Haarknoten war immer noch feucht. Sie schritt auf Livianus zu. "Du wolltest mich sprechen?" fragte sie.

    Valerias Blick glitt in die Ferne. Ja, doch... Vielleicht würde sie noch einmal Tarraco besuchen. Sie hatte ja Zeit, und vielleicht fand sich da ein schnuckeliger Mann für sie... Außerdem konnte sie endlich Lucilla wiedersehen. Sie vermisste sie am meisten. Valeria seufzte leise. "Vielleicht sollte ich das tun, ja", erwiderte sie nachdenklich, blinzelte dann und sah Musa schräg von der Seite her an. "Tja, du sagst es. Aber ich will mich nicht länger darüber ärgern, das habe ich schon zur Genüge getan." Irgendwann während der letzten Jahre war ihre Wut darüber verraucht, auch wenn sie sicherlich weiterhin einen bitteren Nachgeschmack hatte.


    Sie warf diesem Mictio einen Blick zu. So ein Aufpasser würde ihr selbst ganz schön auf die Nerven gehen, überlegte sie. Nicht mal sagen, was man dachte, konnte man. Bei ihrer Frage musste Valeria lächeln. "Als Priester dienst du allen Göttern. Aber ich fühle mich besonders Iuno verbunden, wenn du das meinst", sagte sie. "Du kannst darum bitten, in einem Tempel deiner Wahl eingesetzt zu werden, aber für gewöhnlich teilen sie dich einfach zu. Ich weiß nicht genau, wie sie das jetzt handhaben. Früher musste man noch zu einem Septemvir gehen, um einen Lehrer zugeteilt zu bekommen. Am besten fragst du da wirklich mal bei einem Tempel nach." Valeria lächelte Musa an, die soeben ein wenig rot anlief. "Du darfst. Allerdings muss ich gestehen, dass ich nicht verheiratet bin. Etwas, das ich gern ändern möchte, bevor es zu spät ist, um Kinder zu bekommen", erwiderte sie.

    Valeria hob bei der geheimnisvollen Aussage nur die Brauen, sagte aber nichts dazu. Sie fand es seltsam, dass ein Patrizier, den sie kaum kannte, mit ihr scherzte, wie es vielleicht ein guter plebejischer Bekannter getan hätte. Also ging sie nicht darauf ein und trug nur einen neutralen Ausdruck zur Schau.


    "Eben das dachte ich mir auch", erwiderte sie auf seine Bemerkung hin, im Rom sicher fündig zu werden. Sie hatte entsprechende Schritte ja schon eingeleitet. Es war eigentlich seltsam, sich selbst einen Mann zu suchen, aber Mattiacus war für sein Tribunat abgereist und bei Livianus wollte sie unter keinen Umständen, dass der damit was zu tun hatte. Ansonsten gab es bei den Decimern niemanden, den sie hätte einspannen wollen.


    "Ist das so? Na, dann habe ich ja vielleicht doch die besten Chancen gleich bei Avarus", sagte Valeria und schmunzelte. "Ich hatte damals Lust an diesem Medizinkursus, und ich kannte den Iatros schon von früher. Und nach der Prüfung hatte ich ihn dann nach Germanien begleitet, das war sehr interessant." Valeria erinnerte sich noch sehr gut an die Reise. Wie es ihrem alten Freund wohl erging auf Capri? Sie musste ihm dringend wieder schreiben. Er war der einzige gewesen, dem sie regelmäßig Briefe hatte zukommen lassen, selbst während der Phase ihrer Selbstfindung in den letzten Jahren. Aber wie es ihm ging, das wusste sie nicht, denn nie hatte ein Brief von ihm sie erreicht. "Bei der Schola hatte ich damals angefangen, weil ich in Tarraco nach einer interessanten Arbeit gesucht hatte. Da war es noch Adria gewesen, die mich eingestellt hatte."

    Valeria nickte bestätigend und folgte Venusias Beispiel, indem sie nichts weiter über den Krieg sagte. Es war ihr auch ganz recht, immerhin hatte sie selbst was ihre Liebschaften anging auch nur schlechte Erfahrungen gemacht mit dem Soldatendasein. Dass Venusia so zu Magnus hielt und sich damit arrangiert hatte, dass auch er ein Soldat war, fand Valeria beeindruckend.


    "Präfekt der Flotte? Ist er dann oft auf See oder bleibt er an Land und schickt andere?" fragte sie Venusia und knabberte an einem Keks. Dann seufzte sie laut und ließ die Schultern hängen. "So gern ich mit dir plaudere, ich merke selbst, dass ich nur ausweichen will vom eigentlichen Thema..." Sie lächelte entschuldigend. "Meinst du, ich könnte dich begleiten, wenn du einkaufen gehst? Wenn uns jetzt niemand einfällt, der passen könnte, vielleicht fällt und dann jemand auf?"

    Flavus hatte Valeria noch nie als Furie erlebt, und um die auf den Plan zu rufen, brauchte es auch schon ein wenig mehr. Allerdings fand sie es amüsant, wie er plötzlich vor ihr kuschte. Das war nicht mehr der kleine Möchtegerncasanova von eben, der die Sklavin zu irgendwas hatte zwingen wollen. Äußerlich gab sie sich ganz gefasst. Sie stand vor ihm und musste dabei nach oben sehen. "Entschuldige dich nicht bei mir, Flavus, sondern bei ihr", erwiderte sie und zog dabei die Augenbrauen hoch. Valeria würde nicht penibel überprüfen, ob er das getan hatte, aber das wusste Flavus ja nicht. Und besser, er hielt sie für eine absolut emanzipierte Freiheitskämpferin als für eine unsichere Decima, deren Gedächtnis letztens nicht mehr das beste war und die sich verloren fühlte, selbst in ihrer Familie. Sie deutete aus ihrem Cubiculum. "Du kannst jetzt gehen."

    "Was? Das ist..." nicht wahr, wollte sie sagen, aber sie verstummte mitten im Satz und starrte Flavus nur fassungslos an. Wenn sie gewusst hätte, dass... Wenn sie das gewusst hätte! Sie starrte ihn eine ganze Weile an. Dann erst sagte sie: "Decima Valeria." Ihre Vergangenheit erschien ihr nur noch umso abstruser. Sie schnaufte abfällig und schüttelte den Kopf. Dass Livianus nicht gewusst hatte, dass er Vater geworden war, glaubte sie mal gar nicht! "So. Jetzt haben wir uns kennen gelernt. Kann ich jetzt wieder meine Ruhe haben?" sagte sie, beinahe nörgelnd. Sie kam mit der gegenwärtigen Situatio nicht klar, da war es besser, wenn Flavus verschwand. Valeria glaubte nicht, dass Livianus ihm etwas von ihr erzählt hatte.


    An Schlaf war für sie ohnehin jetzt nicht mehr zu denken. Beinahe trotzig schwang sie die Beine aus dem Bett. "Und wenn ich dich noch ein einziges Mal erwische, wie du eine Sklavin dazu drängst, dich über sie ergehen zu lassen, werde ich es deinem Vater erzählen. Hast du das verstanden?" sagte sie, als sie nur mit ihrem Nachthemd bekleidet vor ihm stand und ihn scharf ansah.

    "Mantua..." wiederholte Valeria und schüttelte dann den Kopf. "Ich glaube, da war ich noch nicht." Zumindest konnte sie sich nicht erinnern. Aber das war ja nichts neues. Über die beste Legion ließ sich streiten. Valeria teilte nicht Axillas Meinung, dass es umso besser war, je mehr Soldaten das Reich vorzuweisen hatte. Insofern war für sie die beste Legion keine Legion. Aber das sagte sie nicht laut, weil sie Serapio nicht vor den Kopf stoßen wollte. Und außerdem war er ja bei den Stadtkohorten, und die rückten im Kriegsfall sowieso nicht mit aus. "Mein Mann?" wiederholte Valeria dann und sah aus, als hätte sie die Frage vollkommen unvorbereitet getroffen. "Ähm." Sie musste schmunzeln und war kurz Venusia einen Blick zu, die sie am nächsten Tag genau deswegen besuchen wollte. "Ich bin nicht verheiratet. Da erübrigt sich die Frage nach der Erlaubnis. Ich habe vor, erstmal hierzubleiben, ja. Aber wie steht es denn mit dir? Du darfst als Centurio doch eine Frau haben, oder?" konterte sie gleich und lächelte zuckersüß hintendrein.


    Sie wandte sich wieder Seiana zu, die eben von ihren Erfahrungen am Museion berichtete. "Ich habe im Iatreion Medizin gelehrt. Zumindest, bis ich das Reisen begonnen habe", erklärte sie ihr. "Was machst du denn jetzt, wo du wieder in Rom bist?" Von ihren eigenen Absichten sagte sie erstmal nichts.

    Valerias Brauen ruckten nach oben. Allmählich schien es ihr, als wollte Livianus mit allen Mitteln an einen Erben kommen. Ganz automatisch ging sie davon aus, dass nicht nur Serapio, sondern auch Flavus adoptiert worden war. Immerhin hatte Aemilia ihres Wissens nach keine Kinder gehabt, und wer ließ schon seine Kinder nicht zu ihrem Vater, wenn der nicht gerade kein Massenmörder war? Diese Möglichkeit kam für sie überhaupt gar nicht in Betracht. Trotzdem starrte sie Flavus an. "Ah...so", machte sie langsam. Dann sah sie Flavus prüfend an. "Wer ist denn deine Mutter?"

    Der Sklave hatte offensichtlich nicht verstanden, was Valeria gesagt hatte. Sie wiederholte es daher noch mal langsamer.


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    ...und als der Ianitor öffnete, stellte sie zuerst sich selbst und dann Ursus vor. Dann äußerte sie die Bitte um ein Gespräch mit dem Rector der Schola.

    Es war Valeria durchaus bewusst, dass sich ihre Geschichte und das, was sie bereits geleistet hatte, eher nach den Erzählungen eines Mannes anhörte. Allerdings waren die Decimerfrauen immer schon anders gewesen, man besah sich da nur einmal Lucilla, die Valerias großes Vorbild war. Valeria stand zu sich selbst, auch wenn es manchmal schwer fiel. "Ja, es ist wunderbar. Die Erde ist tiefschwarz und sehr fruchtbar. Der Sonnenaufgang war mir die liebste Zeit des Tages. Dann ist alles noch benetzt vom Tau und das goldene Licht an einem Frühlingsmorgen zeichnet sehr schöne Konturen", erzählte sie, dann blinzelte sie die Erinnerungen fort. Maximian hatte sie dort kennengelernt, ihre erste und einzige große Liebe. Inzwischen lag er von Würmern zerfressen in der Familiengruft.


    "Ich war in Alexandrien und habe am Museion Medizin gelehrt. Von dort bin ich nach Osten gereist und über dem Landweg zurück nach Rom gekommen. Es hat eine Weile gedauert, aber ich habe mir sehr viel Zeit gelassen", erwiderte sie etwas unbestimmz auf die Frage nach ihrem Verbleib während der letzten Jahre.


    "Das ist ein guter Grund", sagte sie dann und lächelte kurz. "Ich war selbst einmal Priesterin, aber das ist lange her. Damals wäre ich fast Pontifex Minor geworden, wenn sie sich nicht gegen eine Frau in ihren Reihen ausgesprochen hätten. Unter den Männern in diesen Rängen zählt der Einsatz einer Frau nicht viel, mag sie sich auch noch so sehr aufopfern. Damals habe ich meine Tätigkeit für die Öffentlichkeit niedergelegt und das Reisen begonnen." Valeria seufzte. "Was deine Absichten betrifft: Du bist doch römische Bürgerin. Das ist alles, was du an Voraussetzungen erfüllen musst, um Priester zu werden. Alles andere, was über die alltäglichen Opferriten hinaus geht, wird dir beigebracht. Sogar ein Peregrinus kann Priester werden." Sie wechselten die Straßenseite, um ein paar Meter weiter nach links abbiegen zu können. Da sah Valeria Musa interessiert an. "Du bist noch nicht verheiratet?"

    Naja, einen zweiten Versuch war es wert gewesen, überlegte Valeria sich und zuckte leicht mit den Schultern, als Ursus ihr immer noch nichts verraten wollte. "Na gut, dann werden wir sehen." Sie glaubte allerdings nicht so recht, dass Avarus sie sofort wieder einstellen würde. Andererseits war er zufrieden gewesen mit ihrer Leistung in Spanien... So blieb es wohl doch nur abzuwarten.


    "Oh", machte sie dann bei seiner Bemerkung zur Verlobung. "Ich nehme an, der Name der Glücklichen ist auch noch nicht spruchreif?" neckte sie ihn, indem sie auf das große Kursgeheimnis anspielte. "Ich... habe keine Kinder, nein", erwiderte sie, plötzlich ernst geworden. Dass sie eine Totgeburt gehabt hatte, damals in Germanien, musste keiner wissen. "Aber ich möchte unbedingt einen ganzen Stall voll haben, auch wenn ich mich da wohl beeilen muss", fügte sie hinzu und lächelte leicht. "Leider stehen bei mir die Verhandlungen noch in den Sternen, weißt du." Sie gingen um eine Ecke herum und an einem Brunnen vorbei. "Wie kommst du eigentlich zur Schola?"

    Die letzten Tage waren nicht eben leicht gewesen für Valeria. Die Dinge, die sie erfahren hatte, waren ihr wie vor den Kopf gestoßen hingeschleudert worden. Und das Schlimmste daran war, dass sie es nicht von demjenigen erfahren hatte, der es ihrer Meinung nach hätte sagen müssen. Sie kam sich nun umso schäbiger vor, wenn sie an ihre Vergangenheit dachte, und umso stärker wurde der Wunsch, endlich aus der Casa Decima herauszuheiraten und sich neuen Aufgaben zu widmen. Doch bisher hatte sie niemanden getroffen, der dafür in Frage kam, uns sie kannte sich selbst zu wenig in der römischen Gesellschaft dieser Tage aus, als dass sie so eine Vorauswahl hätte treffen können. Vielleicht waren die momentanen Umstände und die Ereignisse der letzten Tage der Grund, aus dem Valeria überdurchschnittlich viel Zeit in den stadtrömischen Tempeln verbrachte. Iuno war seit je her ihre favorisierte Göttin gewesen, auch wenn es eigentlich nicht gut war, Vorlieben zu haben. Schon immer aber hatte sie sich zu ihr hingezogen gefühlt.


    Als Valeria heute aus ihrem Zwiegespräch mit Iuno in das bunte Treiben der Stadt zurückkehrte, fühlte sie sich auf eine angenehme Art und Weise ruhig und ausgeglichen. Schuld daran war vor allem die neue Weihrauchmischung, die sie erworben hatte, aber Valeria glaubte viel eher, dass es die Nähe zu Iuno gewesen war, die ihr Kraft gab. Mit leeren Händen und wieder einmal vollkommen allein unterwegs - sie wusste, dass sie damit das Schicksal herausforderte - trat sie aus dem Capitol hinaus und ließ das sich ihr bietende Bild einen Moment auf sich wirken. Erst danach machte sie sich daran, allmählich auf die heimische Casa zuzugehen.


    Es war wohl mehr Zufall als Absicht, dass sie ihre Aufmerksamkeit auf Mann nahe des Tarpeischen Abgrundes lenkte. Ein kleines Seidentuch wirbelte in grazilen Drehungen vor ihr durch die Luft, kräuselte sich und streckte sich - und verschwand dann an dem Senator vorbei in Richtung des Grundes. Valerias Augen blieben auf der Gestalt haften, und sie selbst blieb stehen. Das bläulich eingefärbte Tuch schien niemand zu vermissen. Seltsam, dass er so versunken brütend dort hinunter starrte. Valeria gab sich einen Ruck und beschloss, ihn anzusprechen. Langsam lenkte sie ihre Schritte hin zu ihm und blieb zwei Schritt schräg hinter ihm stehen. Sie beugte sich vor, um ebenfalls hinunter blicken zu können, hob dann die Augenbrauen, als sie das Tuch dort unten entdecken konnte. Es hatte sich in einer Gesteinsritze verfangen und zappelte leidend im Wind hin und her. "Ganz schön tief", bemerkte sie dann und wandte den Kopf zu dem Mann hin. Sie betrachtete sein Profil. Irgendwo hatte sie ihn schon einmal gesehen, überlegte sie. Nur wo? Denn Valeria erinnerte sich nicht mehr daran, dass sie genau diesen Mann in einer ähnlichen Stimmung schon einmal getroffen hatte.