Beiträge von Decima Valeria

    Valeria stand unschlüssig in dem Gang, der zum Esszimmer führte. Sie konnte nicht sagen warum, aber sie hatte das Gefühl, dass sie nicht hierher gehörte, und das machte ihr angst. Vom einen auf den anderen Tag sollte sie nun also wieder Teil dieser Familie sein, wie Meridius es ihr schon damals so oft in Erinnerung gerufen hatte. Zaghaft waren ihre Schritte, als sie sich dem Raum näherte. Sie trug ein einfaches Kleid in hellem Creme und keinen Schmuck bis auf die Ohrringe, die sie in ihrer Truhe gefunden hatte. Sie waren schon Jahre alt. Und die Tunika gehörte dieser Seiana, von dem Livianus vorhin gesprochen hatte. Sie passte nicht ganz, war ihr zu groß. Aber bei ihrer Verfassung war das auch kaum ein Wunder. Das Haar hatte sie sich auf angenehmere länge schneiden und sich dann schlicht hochstecken lassen.


    Vor dem Triclinium blieb sie wieder stehen. Nervosität ergriff besitz von ihr. Sie konnte das nicht. Schon drehte sie sich wieder herum und wollte gehen, um sich in ihrem Zimmer zu verstecken. Doch da kam ein Sklave mit einer Karaffe auf sie zu, grüßte freundlich und unüberhörbar und spazierte an ihr vorbei ins Esszimmer. Nun konnte sie unmöglich gehen und sich entschuldigen lassen. Also atmete sie tief durch und ging dann doch hinein. Ein Femder lag dort, um ihn herum sprangen zwei Kinder. So alt sah er doch noch gar nicht aus? Und die Frau... Valeria hatte das Gefühl, dass sie sie kannte. Doch woher? Es wollte ihr nicht in den Sinn kommen. Sie setzte ein schüchternes Lächeln auf, das von Verlegenheit herrührte und die Nervosität überspielen sollte. "Salve", grüßte sie und sah dann unschlüssig die freien Sessel und Liegen an.

    Also lebte er noch. Valeria fiel ein Stein vom Herzen und sie atmete erleichtert auf. Heute Abend? Sie sah Livianus prüfend an, fragte jedoch nicht. Sie kannte ihre Familie. Vermutlich würden sie alle beisammen sitzen und ihre Rückkehr feiern wollen. Nur war ihr gar nicht nach feiern zumute. Da legte Livianus ihr die Hand aufs Bein. Sie unterdrückte den Impuls, zurückzuzucken, legte ihre eigene Hand auf seine und ließ sie kurz dort. Dann nahm sie sie wieder fort. Das war ihr einziges Zugeständnis an damals.


    "Ich habe sie fortgeschickt, vorhin", sagte Valeria dann. "Lassen wir es dabei. Aber sie können das Bad herrichten. Ich möchte baden. Und etwas Frisches zum Anziehen wäre wirklich sehr nett. Ich fürchte, in meine Tuniken werde ich nicht mehr hineinpassen", sagte sie. In den zwei Kleidertruhen hier lagen bestimmt noch Dinge von ihr, wenn sie niemand fort genommen hatte. Aber während der letzten Jahre war sie so dürr geworden, dass sie beinahe ausgemergelt wirkte. Selbst die Tunika, die sie trug, schlabberte nur an ihrem Körper. Das war auch etwas, das sie ändern musste, wenn sie ihr Vorhaben in die Tat umsetzen wollte. Livianus stand auf und Valeria sah ihn an. "Mir geht es gut, Marcus. Ich brauche keinen Iatros. Aber wie ich dich kenne, wirst du nicht locker lassen. Deswegen würde ich Mattiacus vorziehen", sagte sie und klang ganz vernünftig dabei.

    Ganz offensichtlich unterhielten sie sich über Wagenrennen, waren darüber aber geteilter Meinung. Valeria lauschte ein wenig. Und wurde gleich von allen Seiten recht freundlich angesprochen. Sie zog die Unterlippe ein und gab sich dann einen Ruck. "Ja, ich... Danke, da hast du Recht", sagte sie zu der, die sie zuletzt angesprochen hatte. Sie stieß sich leicht ab und ließ sich dann noch ein wenig näher zu den anderen treiben. Die ihr allesamt jünger erschienen als sie selbst es war. Obwohl sie sich ganz gut gehalten hatte, wie sie fand. Fast wäre sie für Mitte zwanzig durchgegangen, wäre da die Dürre ihres Leibes nicht gewesen. Sie wusste selbst, dass die letzten Jahre sie so hatten werden lassen. Ausgemergelt und dürr.


    "Ich glaube nicht", sagte sie zu derjenigen, die sie fragte, ob sie sich kannten. "Ich bin Decima Valeria." Sie lächelte kurz in die Runde. Sicher würden sie ihr nun verraten, wie sie hießen. Das verlangte der Anstand schon.

    Valeria lächelte milde. "Mich nennt man Decima Valeria", erwiderte sie. "Es freut mich, eine so hilfsbereite Bekanntschaft gemacht zu haben." Ein Iulier also. Valeria kannte den ein oder anderen Iulier, von damals. Von ihrer Zeit in Colonia, als sie im Militärkastell gewohnt hatte.


    Sie wandte den Kopf und sah in die Richtung, in die der Iulier sah. Zwei Mann für einen Stuhl. Wenn jemand darauf Platz nahm, würde es recht schwer werden. Aber wenn die Sklaven gut trainiert waren...wieso nicht? "Hm... Ich wollte eigentlich zurück nach Hause, zur Casa Decima. Vielen Dank. Aber ich denke, ich laufe lieber." Zumal sie ohnehin nicht wusste, was der Iulier tat, wenn sie sich dann tragen ließ. Nebenherlaufen?

    "Das stimmt", erwiderte Valeria und konnte sich das Schmunzeln nicht verkneifen. "Es reicht sicherlich auch schon eine nasse Tunika." Sie kicherte leise, als sie sich vorstellte, wie ein Sklave in einer vier Zentimeter tiefen Pfütze aus Wasser und Unrat ertrank.


    Dieser Mann hier war jemand, der ihr ein wenig tollpatschig erschien. Sicherlich hatte er nicht oft mit Frauen zu tun. Sie zog die feuchte Palla ein wenig enger um die Schultern und musterte ihn. Als er die Bibliothek erwähnte, zuckten ihre Augenbrauen nach oben. "Das bleibt zu hoffen. Anderenfalls sind sie wohl ruiniert", sagte sie und nickte. Bücherei... Wie er das gesagt hatte, hatte sie sogleich an die Bibliothek von Alexandrien denken müssen. Sie war oft dort gewesen, damals, in Ägypten. "Es scheint langsam nachzulassen", bemerkte sie.

    Valeria betrachtete das Ausmaß des Regens plötzlich mit ganz anderen Augen. Fast hätte man meinen könne, so mancher hier unter dem Dach war froh, dass eine Flucht erst einmal undenkbar schien, wenn man nicht gerade ersaufen wollte.


    "Ach, das wird schon gehen. Hilfe holen?" belustigt betrachtete sie den Fremden. "So schlimm ist es sicher nicht. Das wäre das erste Mal in der Geschichte Roms, dass aus einem normalen Unwetter ein Massaker wird", erwiderte sie schmunzelnd. "Mir? Ach, dies und das." Sie zuckte mit den Schultern. Sie hätte jetzt von der Lungenentzündung berichten können, oder wie sie damals in Hispania krank geworden war und Maximian und sie bei seinen Bekannten hatten bleiben müssen, bis sie wieder gesund war. Oder sie hätte von der Reise berichten können und den zwielichtigen Kerlen, denen sie ungewollt begegnet war. Aber sie schwieg. Einen Fremden ging das wahrlich nichts an, und wenn sie es sich recht überlegte, dann wollte sie ihrer Familie davon lieber auch nichts erzählen. "Um ehrlich zu sein, behalte ich diese Dinge lieber für mich und stelle statt dessen eine Gegenfrage: Wo hat dich denn der Regen überrascht?"

    "Oh", machte Valeria, die nun auch bemerkt hatte, dass ihre Palla im Fallen begriffen war. Feuchte Strähnen ihres Haares ringelten sich auf der Schulter, die der Fremde nun wieder zudeckte. Leider nur war der Stoff nass und ließ sie noch mehr frösteln. "Danke." Sie wollte sich schon wieder umwenden und ein wenig weiter unter das Dach treten, als der Mann ihr seinen Platz überließ. Erstaunt sah sie ihn an, dann machte sie sich ganz schmal und deutete neben sich. "Bitte, bleib ruhig hier stehen. Wir passen sicher beide hier drunter", erwiderte sie. "So schnell geht das schon nicht mit dem Erkälten. Ich bin Schlimmeres gewöhnt", sagte sie dann zu dem freundlichen Mann und hatte ein leichtes Lächen für ihn übrig. "Normalerweise mag ich Regen", gestand sie ihm und dachte flüchtig an lange vergessene Tage in Spanien zurück.

    "Oh", machte Valeria leise und sah nachdenklich zum Fenster hin. Konnte es tatsächlich sein, dass sie vergessen hatte, dass Caia gegangen war? Sie konnte sich nicht daran erinnern. Dort wurden die Erinnerungen nebulös. Sie war doch in Alexandrien gewesen. Vorher, ehe sie sich bereit gemacht hatte für die Reise. Und Caia...hatta noch gelebt, ehe sie gegangen war, dessen war sie sich ganz sicher! Fast schon wollte sie fragen, ob Livianus sich da auch ganz sicher war, aber warum hatte er sie anlügen sollen? Ihre Augen füllten sich mit Tränen, die sie schnell fortwischte.


    "Ich bin selbst Iatros", sagte sie automatisch und ein wenig pampig. Dann zog sie eine Grimasse. "Entschuldige. Ich... Nein, mir geht es gut." Dann sah sie ihn erschrocken an. Warum hatte er von einem Arzt geredet? "Ist Mattiacus...?" fragte sie atemlos und starrte Livianus an. Mit ihm hatte sie sich immer gut verstanden. Es wäre so traurig, wenn er auch nicht mehr lebte!

    Als er sie so ansah, senkte sie ihren Blick. Früher hätte sie ihn ungehindert weiter angesehen. Nun nicht mehr. Erst, als er das Wort ergriff, blickte sie wieder auf und musterte ihn. Einige Falten waren ihr neu; sicherlich hatte der Krieg sie entstehen lassen. Zumindest davon wusste sie. Das war auch an den entlegendsten Provinzen und entferntesten Ecken des Reiches nicht vorbeigezogen. Mehr jedoch wusste sie nicht.


    Gesund und wohlbehalten... Valeria zog einen Mundwinkel leicht hinauf, sagte dazu jedoch nichts. Ihre eigene Stimme kam ihr fremd vor. "Ich war..." sagte sie und ihr Blick glitt in die Ferne. Dann blinzelte sie. "Unterwegs." Und als wäre es das natürlichste auf der Welt, sprach sie gleich weiter. "Ich bin leider nicht auf dem neuesten Stand. Ich weiß nicht, wer... Wer hier noch lebt. Was mit den anderen passiert ist. Sind Meridius und Severa zu Hause? Wo ist meine... Meine Schwester?" Dass sie ein wenig durcheinander war, wurde spätestens jetzt deutlich. Doch Angriff war die beste Verteidigung, und wo sie gewesen war und welche Dinge sie erlebt hatte, davon wollte sie nicht reden. Nicht jetzt. Fröstelnd legte sie die dünnen Arme um ihren Leib.

    Irgendwann war sie eingeschlafen. Man hatte sie in Ruhe gelassen. Zumindest bis jetzt. Sie lag mit angezogenen Knien auf der Seite und schlief. Die Decke war unbenutzt, und Valerias Haut recht kühl. Sie schlief, bis jemand sie berührte. Augenblicklich war sie wach und schreckte zurück. Dann realisierte sie, wer dort saß. Mit großen Augen sah sie Livianus an. Seit sie sich in Confluentes getrennt hatten, hatte sie ihn nicht mehr gesehen, abgesehen von der Hochzeit damals in Mantua. Träge floss die Zeit dahin. Dann raffte sich Valeria auf und rutschte zurück, bis sie mit dem Rücken am Kopfteil des Bettes saß. Behutsam zupfte sie die fleckige Tunika zurecht, die sie trug. Bis ins Bad hatte sie es noch nicht geschafft, was man ihr deutlich ansah.


    "Marcus. Es tut gut, dich zu sehen", sagte sie höflich, wie man es von einer gut erzogenen Römerin erwarten würde. Von all den Dingen, die ihm widerfahren waren, wusste sie nichts. Sie hatte in den letzten Jahren fernab allen Ärgers gelebt, aber auch fernab jeglicher Bindung und Zuneigung. Deswegen fühlte sie sich stark genug, hierher zurückzukommen, auch wenn sie eingestehen musste, dass diese erste Prüfung eine schwere war. Erinnerungen ließen sich nicht so leicht tilgen, auch wenn man versuchte, nur an die schlechten zu denken, um passierte Dinge weniger nah an sich heran zu lassen. "Wie geht es dir?"

    Auf dem Weg vom Tempel der Iuno Regina zurück zur Casa Decima hatte ein sanfter Regen eingesetzt. Valeria hatte sich beeilt und wollte schnell wieder ins Trockene, doch daraus wurde vorerst nichts. Aus den sanften Tropfen war ein Prasseln sondergleichen geworden. Große Pfützen hatten sich im Nu zwischen den Ritzen und Spalten, in den Senken der Pflastersteine der römischen Straße gebildet. Sie war weiter gehastet, doch inzwischen war ihre Palla durchnässt. Deswegen selbst steuerte sie nun geradewegs auf ein überhängendes Dach zu, unter dem sich schon einige Leute vor dem Regen in Sicherheit gebracht hatten. Valeria versuchte, sich dazwischenzuschieben, ohne jemanden anzurempeln. Dabei rutschte einseitig die nasse Palla von ihrer Schulter und blieb an jemandem hängen, was sie aber erstmal nicht mitbekam.


    Sim-Off:

    Wer mag? :)

    Als Valeria Das Zimmer betrat, fühlte sie sich, als würde sie in fremdes Gebiet eindringen. Das hier gehörte ihr nicht mehr. Zwei Sklaven zogen hastig die Staubfänger von den Möbelstücken. Ihre Ankunft war unangekündigt gewesen. Sie hatte lange keinen Brief mehr geschrieben. An wen hätte sie auch schreiben sollen?


    Fast ein wenig apathisch ließ sie sich auf dem Bett nieder und sah aus dem Fenster. Irgendwer fragte sie etwas, fragte zweimal, dreimal und gab es dann auf. Leise schloss sich die Tür hinter den Sklaven. Sie hatten die Laken mitgenommen. Valeria war tief in sich versunken. Das war sie oft in letzter Zeit. Dann nahm sie nichts mehr um sich herum wahr.

    Valeria fror. Das lag vielleicht daran, dass sie inzwischen durch ihre Reisen wieder wärmeres Klima gewohnt war, vielleicht aber auch daran, dass sie schlanker denn je war. Sie war allein in die Thermen gekommen, ohne Begleitung. Es hätte auch niemanden gegeben, den sie hätte mitnehmen können. Von den Verwandten hatte sie noch nicht viel gesehen, Sklaven besaß sie keine mehr. Sie hatte sie alle überlebt.


    Ein schwatzendes Grüppchen saß bereits im Becken. Valeria musterte die freien Zonen, aber es gab keine. Die Frauen nahmen alles in Beschlag. Entweder würde sie sich dazusetzen oder warten müssen, bis sie ihr Kaffeekränzchen beendet hatten. Sie überlegte. Sonderlich gesprächig war sie nicht. Was konnte es andererseits schaden, wenn sie sich dazusetzte? Sie konnte immer noch gehen, wenn es ihr zu viel wurde. Vielleicht konnte sie sich einen Überblick verschaffen, was geschehen war während des letzten halben Jahrzehnts. Also ließ sie sich an der Seite ins Wasser gleiten, das ihre Gänsehaut umschmeichelte und sie langsam wieder aufwärmte. "Salve", sagte sie schüchten und schmiegte sich mit dem Rücken an den Beckenrand. Was tat sie hier eigentlich?

    Einer der ersten Wege, die Valeria unternahm, war der in die Schola Atheniensis. Sie kannte den Rector, zum einen, weil er der Mann ihrer Tante Lucilla war, zum anderen, weil er ihr ehemaliger Arbeitgeber war. Wie lange war das nun her? Eine ganze Weile. Wie sehr sie sich verändert hatte! Und dieses Gebäude wirkte auch so anders, als sie es in Erinnerung hatte.


    Sie klopfte und wartete dann vor dem Officium auf Einlass.

    Es war lange her, so lange, dass sie hier gestanden hatte. In Rom, vor dem Haus ihrer Familie. Beim letzten Mal waren Sklaven um sie herumgewuselt, hatten Gepäck und Verantwortung getragen. Heute aber stand sie allein vor dem großen Stadthaus ihrer Familie.


    Ihre letzte Freundin war in Troemis, im Norden Thracias, gestorben. Ob vor Schwäche, an Krankheit oder gebrochenem Herzen, das wusste Valeria nicht zu sagen. Sie selbst hatte sich treiben lassen, wie es sich eigentlich nicht gehörte. Das wusste sie. Und nun stand sie doch wieder hier, weil sie realisiert hatte, dass sie ihrer Zukunft nicht entfliehen konnte. Sie musste heiraten. Sie war schon fast zu alt dafür. Und sie musste sich erkundigen, was während der letzten fünf Jahre in der Familie geschehen war. Sie wusste nichts, stellte sie fest.


    Als sich die Tür öffnete, stellte sie erstaunt fest, dass der Ianitor immer noch der selbe war. Er erkannte sie erst nicht, ließ sie aber dann ein und versicherte, die Familie über ihre Rückkehr zu informieren. Leise dankte Valeria. Sie hatte ihre Lektion gelernt. Das nächste, was sie tun wollte, war ein Bad nehmen. Und sich das Haar schneiden lassen, das ihr inzwischen bis weit über die Hüfte hinaus reichte.

    Vielen lieben Dank euch allen! =)


    Was war das fies, es tatsächlich und wahrhaftig zu tun, Lucilla! Und meine bessere Hälfte hat sich vor lachen nicht mehr eingekriegt...


    @ Piso: Besser nicht. Ich will gar nicht dran denken, wie viele Falten man dann hat. Schau dir doch mal Dido an - da sind die Falten im Gesicht schon wettergegerbt, so alt ist die - und die ist noch nicht mal 40!
    :P


    *platziert mal nen Teller selbstgebackener Schokoladenmuffins in der Mitte und trollt sich dann wieder*...