Beiträge von Tiberius Annaeus Sophus

    Sophus verneigte sich, so weit es sein Rücken zuließ.


    "Ich werde beten. So viel ich kann. Vielleicht erhört man meine Stimme. Vale."


    Er hob die Hand und verließ das Haus. Mit Überraschung stellte er fest, dass man ihm eine Sänfte zur Verfügung stellte. Eine angenehme Aufmerksamkeit. Er dachte für einen Moment daran, die Geste dennoch zu verschmähen, aber nicht lange. Zu gut erinnerte er sich an den Marsch am Vortag.
    Während er durch die Straßen getragen wurde, fragte er sich, wie er überhaupt in der Nacht hatte schlafen können... die Sonne ging blutrot auf...

    Sophus seufzte leise.


    "Wenn es so steht, wie du sagst, so fürchte ich, dass ich noch am ehesten damit helfen kann, dass ich zu den Göttern bete. Und die hören meine Stimme, wo immer ich bin. Ich werde versuchen, zu erwirken, dass keine Plünderungen stattfinden und..."


    Sein Blick wurde finster.


    "...was sonst noch geschehen könnte. Aber ich will nun ganz ehrlich sein: Ich bin mir meiner Position nicht mehr gewiss. Ich bin kein Caesar, kein Heerführer. Ich bin letztlich nur ein alter Mann. Aber ich werde es versuchen, das kann ich dir versprechen."

    Einen Moment lang schaute Sophus nur auf den Becher in seiner Hand. Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Er wollte widersprechen, überzeugen, verzweifelt schreien. Aber er merkte, dass er genau jetzt gescheitert war. Die Stunden, die er hier in der Stadt war, hatte er sich mit Aktivität, die in seinem Alter beinahe schädlich war, über allzu viele Gedanken hinweggeholfen. Über Zweifel. Aber jetzt waren sie ausgesprochen. Er hob seinen Blick und lächelte traurig. Seine Stimme war sanft und ruhig als er weitersprach.


    "Ja, vermutlich hast du recht. Ich hatte gehofft, selbst etwas tun zu können."


    Er schluckte und trank ein wenig vom Wein, um die eigene Unsicherheit zu überspielen. Es gelang ihm einigermaßen und er sah Sulla in die Augen.


    "Dann ist wohl nicht viel mehr zu tun, als zu beten, schätze ich. Ich will sehen, ob ich das Opfer nicht dennoch durchführen kann.
    Ich kann dir nicht helfen, militärisch etwas zu ändern. Ich habe nur mein Wort und mehr Geld, als ich verwenden kann. Wenn ich irgendetwas für die Menschen hier zu unternehmen in der Lage bin, so sag es mir."


    Die Stimme war noch immer ruhig und sanft, doch ein seichter Unterton der Verzweiflung schwang darin mit.

    Sophus nickte. Seine Gesichtszüge wurden sanfter. Man hatte ihn also dabei ertappt, den Gastgeber für eine Hyane zu halten. Nun, vielleicht war er das auch. In diesem Falle war er jedoch noch hinterhältiger, als Sophus zu denken bereit war. Er trank ein wenig und nickte dann.


    "Ich nehme an, es ist dir bekannt, dass bereits Soldaten des Kaisers in der Nähe sind. Ich weiß nichts vom Krieg und daher auch nicht, ob sie ausreichen, um dieser Stadt gefährlich zu werden. Was ich aber weiß - und du weißt es vermutlich auch - dass diese Stadt nicht ewig gehalten werden kann. Und was ich beabsichtige ist, dass niemand hier sterben muss. Ich will also zum Punkt kommen."


    Der Augur legte seine Hände zusammen.


    "Diejenigen, die diese Revolution geleitet haben, bitte ich zu fliehen. Auch all jene, die sich in besonderer Weise daran beteiligt haben und alle Soldaten, die jetzt diese Stadt bewachen. Sprich: All diejenigen, die man dafür bestrafen wollte.
    Ich will indessen versuchen, die Kommandanten des Kaisers davon zu überzeugen, dass es der Wille der Götter ist, dass diese Stadt zwar genommen wird, aber die Götter selbst uns das Tor öffnen werden. Anders gesagt: Sobald die meisten in Sicherheit gebracht sind, soll man dieses Tor öffnen.
    Wenn die Soldaten des Kaisers friedlich in die Stadt kommen wird niemand Schaden erleiden. Und ich werde meine Hand darüber halten, solange sie hier sind.
    Auch will ich mich bemühen, dass keine Wachen den Fluchtweg besetzen. Ich werde dich erst darum bitten, loszuziehen, wenn ich das berwerkstelligt habe. Das wirst du an einem Rauchopfer in der Nähe der Stadt erkennen, dass ich im Sinne der Götter vollziehen will.
    Wenn ihr die Küste erreicht, sollt ihr ein Schiff nehmen und weiter fliehen. Ich will nicht, dass ihr, die ihr niemanden getötet habt, wie Tiere in Höhlen leben müsst. In die Provinz Africa soll man euch bringen. Ich selbst will die Passage bezahlen.
    Nur folgende Bedingungen stelle ich: Tötet niemanden auf eurem Weg. Auch, wenn es ein Soldat des Kaisers ist. Nehmt keine Priester gefangen. Und verratet niemals meinen Namen.
    Das kann ich anbieten."


    Sophus verneigte sich.

    Sophus bemerkte die Sklavin und vor allem das Tablett mit dem, was darauf stand. Er nickte der Sklavin zu, nahm sich jedoch noch nichts. Er wartete noch.
    Als Sulla eintrat antwortete er ihm mit einem Lächeln im Gesicht.


    "Salve. Du verstehst etwas von Gastfreundschaft." sagte er und nickte wieder der Sklavin zu.
    "Aber es ist gleichsam eine kleine Prüfung, nehme ich an. Je nachdem, was ich wähle, hast du die Möglichkeit, daraus etwas zu schließen."
    Das Lächeln wurde zu einem amüsierten Schmunzeln und er nahm sich von dem Wasser.
    "Ich wähle das Wasser aus. Ich hoffe, du schließt daraus nicht, dass ich deine Gastfreundschaft nicht wertschätze."


    Nun musterte der Alte Sulla abschätzend, wenn auch noch mit dem Lächeln auf dem Gesicht. Er wollte nicht als gefährlich erscheinen. Aber es war notwendig, dass man ihn ernst nahm.

    Sophus betrachtete den Leibwächter einen Moment lang und spähte hinter ihn. Nichts besonderes war zu sehen. Er wusste auch nicht, wonach er gesucht hatte. Vielleicht nach einer Falle... aber er wurde wohl paranoid.


    "Salve." sagte er dann ruhig, möglicherweise etwas erschöpft. "Ich bin Tiberius Annaeus Sophus. Ich bin im Sinne des Cultus Deorum hier, als Priester. Ich möchte ihn über die Lage informieren, sofern sie ihm nicht bekannt ist. Und ich möchte ihn auch einfach kennen lernen, deinen Herrn. Er ist nicht nur der Herr über dein Schicksal."


    Seine Worte waren sanft. Die beinahe drohende Entschlossenheit zu Beginn des Marsches war aus seiner Stimme gewichen.

    Der alte Augur war ziemlich erschöpft, als sie endlich bei der Casa eintrafen. Er hatte bereits länger nicht mehr längere Fußmärsche vollzogen, aber er hatte es ertragen. Seine Reise nach Germanien war nicht minder anstrengend gewesen und auch die hatte er überlebt. Dieser Gedanke tröstete ihn, als er nun mit schmerzenden Füßen vor dem Portal stand.
    Er klopfte an die Tür.

    Als sie den Tempel verlassen hatten, wandte sich Sophus noch einmal dem Priester zu.


    "Vale. Mögen die Götter dich schützen." sagte er und ging zurück zu den Soldaten. Er sah nicht zurück.


    "Bringt mich zu jemandem, der hier Entscheidungsgewalt hat." wies er seine Wächter bestimmt an.

    Der Blick des alten Augurs wurde plötzlich traurig.


    "Ich weiß nicht, ob ich das kann." murmelte er. Dann festigte sich seine Stimme wieder.


    "Ich werde versuchen, möglichst viele zu retten. Ich bin sicher, dass in der Stadt schon bekannt ist, dass bald Soldaten kommen werden. Wenn es die Götter wollen so werde ich die Möglichkeit haben, ein Blutbad zu verhindern."


    Dann griff er mit seiner Hand nach der Schulter des Priesters und sah ihm genau in die Augen. Der Griff war nicht allzu fest, die Muskeln des Alten waren zu nicht allzu viel fähig.


    "Aber unabhängig davon sei dir gewiss, dass der Cultus Deorum immer den Göttern dient. Zweifle nie an den Göttern."


    Er ließ die Hand wieder sinken und neigte dann den Kopf.


    "Ich glaube, die Zeit ist um. Wenn ich irgendetwas für dich tun kann, dann sag es jetzt."

    Sophus lächelte. Dieser Priester war scheinbar ziemlich aufgeweckt.


    "Dass du selbst einen geschlossenen Raum zum Gespräch aufsuchst spricht auch eine Sprache. Ich bedaure, dass es dazu kam.
    Aber ich bin nicht hier, um einen Aufstand anzuzetteln, auch nicht, um zu spionieren. Wenn es irgend möglich ist, will ich, dass hier niemand sterben muss oder ich wenigstens ein paar beschützen kann.
    Du weißt sicher, dass bereits Truppen ausgesandt wurden. Diese werde ich auch sicherlich nicht aufhalten können. Mir geht es darum, den Willen der Götter in dem, was hier geschieht, zu erkennen. So sage mir nur eins..."


    Er senkte nun doch die Stimme.


    "...sind diejenigen, die nun das Regiment über diese Stand übernommen haben es wert, dass man mit dem Schwert über sie richten muss. Nicke nur oder schüttle den Kopf."


    Sophus Blick war nun erstaunlich hart für diesen alten Mann. Er sah den Sacerdos durchdringend in die Augen. Diese Frage war ihm wichtig. Sehr wichtig.

    Sophus nickte.


    "Selbstverständlich."


    Er entfernte sich langsam von den beiden Soldaten und ging auf einen Priester zu, der gerade in einem kleineren Tempelgebäude verschwunden war. Vermutlich ein einfacher Sacerdos.


    "Salve!" sagte Sophus deutlich, als er auf ihn zu kam.
    "Verzeih, dass ich dich bei deiner Arbeit störe. Ich bin Tiberius Annaeus Sophus. Wie ist dein Name?"


    Seine Stimme war noch immer recht deutlich und er blickte sich auch nicht um. Die Soldaten hörten ihm schließlich mit Sicherheit zu.

    Für einen Moment erstarrte Sophus. Sein Atem stockte und er schloss die Augen, presste die Lippen zusammen. Jedoch nur für einen Moment. Seine Stimme war fester als vorher, als er schließlich antwortete.


    "Das ist bedauerlich..." Es klang etwas tonlos. Er räusperte sich und fuhr dann fort.
    "Ich bitte nur darum, mit einem Priester sprechen zu dürfen, der hier ist. Ich will nur Mut machen, dass ich dafür sorgen werde, dass, was immer passiert, der Cultus Deorum hier seine Arbeit tun kann und wird..."


    Sophus legte seine Hände zusammen. Er bewegte sich nicht. Er nahm an, dass die Soldaten das erledigten.

    Mit den beiden Soldaten an seiner Seite trag Sophus im Tempelbezirk der Stadt ein. Der Weg verlief ereignislos. Er sah auch nichts, was ihm Anhaltspunkte dafür gegeben hätte, dass es der Bevölkerung schlecht ginge. Vielleicht vermieden die Soldaten es, ihm elende Stellen zu zeigen, vielleicht gab es sie aber auch nicht. Wenn die Rebellen das hielten, was sie versprachen, so mussten sie die Bevölkerung zumindest am Leben halten.


    Im Tempelbezirk sah er sich um. Er hoffte, dass sich ein Priester fände, der ihm Auskunft geben könnte - er hoffte sogar auf einen ganz bestimmten Priester.


    "Wisst ihr, wer hier arbeitet?" fragte er seine Begleiter.

    Ein kurzes Schweigen. Es lag eine gewisse Schwere darin. Sophus, dieser alte, gebrechliche Mann, hatte eine Entscheidung vor sich. Es lag eine Ahnung in der Luft, dass diese Entscheidung nicht einfach war.
    Dann ein Nicken.


    "Ja... Ich bin sicher, meine Begleiter werden um die Ehrlichkeit meiner selbst und um meine Würde wissen, wenn sie etwas zu tun für notwendig erachten."


    Langsam stieg er vom Pferd und reichte der Wache die Zügel.


    "Tu mir den Gefallen und pass auf es auf. Ich denke nicht, dass ich es in der Stadt brauche."

    Sophus setzte seine Kapuze ab, damit sein Gesicht besser sichtbar wurde. Man würde ihn so oder so erkennen. Es galt, Vertrauen zu schaffen, soweit das möglich war.
    Seine Antwort war leise und ruhig. Sie drückte sein Alter aus.


    "Salve... ich bin Annaeus Sophus. Ich komme aus Tarraco. Ich bin vom Cultus Deorum und darum bin ich hier: Für den Cultus Deorum. Ich bitte nur darum, dass die Bürger dieser Stadt beten dürfen. Lass mich mit den Priestern sprechen, Wachmann... Lass mich verhindern, dass die Götter uns alle strafen."


    Zum Ende hin wurde seine Stimme noch sanfter, ruhiger. Auch wenn seine letzen Worte eine Drohung enthielten, so sprach er sie doch nicht als solche aus.

    Das Pferd trabte langsam auf die Stadtmauer zu. Die Sonne war noch nicht ganz aufgegangen und der Reiter war nicht genau erkennbar. Er bewegte sich aber wohl absichtlich langsam. Offensichtlich war ihm bekannt, dass die Wachen dieser Stadt zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf Unbekannte misstrauisch reagieren mochten.
    Tiberius Annaeus Sophus, der Reiter dieses schnaubenden, sich langsam vorwärts bewegenden Pferdes, hielt es an. Er war in einen schweren und nicht eben günstigen Mantel gehüllt. Sein Kopf war mit einer Kapuze bedeckt, die ihn wohl nur bedingt vor der Kälte des Wintermorgens schützen mochte.
    Seinen Begleiter, den Mars-Priester, hatte er nicht mitgenommen. Es sollte nicht allzu offiziell aussehen. Und tatsächlich war es das auch nicht. Es gab keine Genehmigung von Seiten des Heerlagers. Allerdings gab es auch keine Verfügungsgewalt über ihn von militärischer Seite. Im schlimmsten Falle drohte ihm also eine Verwarnung von Seiten des Proconsuls, sollte sich der Kommandant der Ala bei ihm beschweren. Aber das war Sophus bereit zu riskieren. Sonst wäre er nicht hier.
    Vor dem Stadttor nun stoppte er das Pferd und blieb wortlos stehen. Eine Parole oder etwas ähnliches hatte er nicht. Er musste darauf hoffen, dass man ihn einfach so einließ - er musste darauf hoffen, dass überhaupt jemand hinauskam.