Beiträge von Flavius Prudentius Balbus

    Ich nickte verstehend. Die Instrumente, welche er auspackte, sahen eigenartig aus, aber so ähnliche hatte ich schon einmal beim Arzt im Krankenhaus der Legion gesehen. Damals, als die Legio IX noch in Tarraco stationiert war.


    "Wache! Bring dem Arzt eine Öllampe, eine Schüssel mit sauberem Wasser, eine leere Schüssel und einen kleinen Tisch. Und schnell!"


    Der Mann salutierte und eilte davon. Wenig später wurde das bestellte angeliefert und behutsam neben dem großen Tisch aufgebaut. Dann wies ich die Männer an hinauszutreten. Ich selbst plazierte mich schräg hinter dem Griechen um möglichst viel von seinem Vorhaben mitzubekommen.

    Ich hörte dem Griechen interessiert zu, alles was mit Alexandria zusammen hing, hatte mich schon seit meiner Kindheit interessiert. Und nicht erst, seitdem Vater für einige Jahre in diese Stadt ging.


    "Nein, bisher hat sich nichts ergeben. Der Tote ist kaum zu erkennen. Ausser der Tunika, welche aus einem groben und einfachen Stoff geschnitten ist, trug er nur Sandalen, die ihm eine Nummer zu groß waren. Wir vermuten, dass die Kleider ebenfalls nicht ihm gehören und dass hier offensichtlich jemand veruscht hat, alle Spuren zu verwischen. Alles was wir wissen..."


    Ich holte Luft und streckte meine Hand nach der Türe aus um sie zu öffnen


    "... ist, dass er mittelgroß ist, etwas stärker behaart, dunkle Haare, wie fast alle Iberer hier in Tarraco. Das Alter schätzen wir auf Mitte Zwanzig. Doch vielleicht kannst Du uns mehr sagen."


    Ich öffnete die Türe und bat den Griechen einzutreten. Der Raum war leer, einzig in der Mitte stand ein Tisch, auf welchem die Leiche des Toten aufgebahrt war.


    "Brauchst Du irgendetwas?"

    Ich erkannte den Griechen auf den ersten Blick und steuerte gleich auf ihn zu. Ich gab der Wache zu verstehen, dass er zu mir gehören würde und grüsste ihn freundlich.


    "Salve, Apollonius. Ich hoffe es bereitet Dir keine Unannehmlichkeiten hier erscheinen zu müssen. Ich will auch nicht lange um den heißen Brei herumreden, ich denke es wird das beste sein, wenn wir gleich anfangen und das Unerfreuliche hinter uns bringen."


    Ich forderte ihn mit einer Handbewegung auf durch das Tor einzutreten. Dann schlug ich den Weg in Richtung des Zimmers ein, in welchem die Leiche aufgebahrt worden war.


    "Ich habe noch gar nicht gefragt, welche Ausbildung Du genossen hast und woher Du genau kommst. Athen? Korinth? Ich selbst war noch nie in Griechenland, auch wenn mich die Hochkultur der Städte dort schon seit je her faszinierte. Leider - so hört man immer wieder - sind die Metropolen dort nur noch Schatten ihrer selbst..."

    Pfeifend kam ich an der Kaserne der Stadtwache an und blickte mich um. Der Grieche war noch nicht eingetroffen. Ich atmete die frische Luft des Morgens ein und war dankbar. Dankbar dafür, dass ich in Tarraco einen interessanten Beruf hatte und dankbar dafür, dass ich noch lebte. Das zermanschte Gesicht des Toten ließ einem diese Erkenntnis kommen und mit einem Lächeln musste ich daran denken, dass ich schon lange nicht mehr im Tempel gewesen war. Ich nahm mir vor, dies im Laufe des Tages zu ändern.

    Nachdem ich einen klareren Kopf hatte - und inzwischen hatte auch das Gevögel geendet und war die Sonne aufgegangen - machte ich mich frisch, wusch mich, kämte und ölte mein Haar, warf mir eine frische Tunika über und ließ mir von meinem Sklaven auch eine Toga anlegen.


    Ich hatte heute mal wieder vor die Kurie zu besuchen, zuerst jedoch stand ein Besuch der Kaserne bevor. Der griechische Arzt, welcher mich in der Nacht davor angesprochen und angeboten hatte die Leiche genauer zu untersuchen, würde mit Sicherheit zu den Frühaufstehern gehören und wohlmöglich schon auf dem Weg sein. Und ich hasste es, wenn man mir das Gefühl gab, man würde schon ewig auf mich warten.


    Ich nahm hastig ein paar Bissen zu mir, spülte mit verdünntem Wein nach, spülte meinen Mund aus, gab der Haushälterin ein paar Anweisungen und verließ dann meine Wohung. Im Treppenhaus fiel mir ein, dass ich ja noch das junge Ehepaar sprechen wollte, hatte jedoch dafür keine Zeit mehr. Ich grüsste die Frau des Verwalters - welche gerade den Eingang fegte - und schlug den Weg in Richtung Kaserne ein.

    "Ahh... Ahhhh... Ahhhh..."


    Schlaftrunken öffnete ich meine Augen und drückte mir das Kissen ins Gesicht. Ich hatte die halbe Nacht nicht geschlafen, da ich zu einem Mordfall auf dem Fischmarkt gerufen worden war. Ich kam verspätet ins Bett, schlief nicht besonders gut, träumte von zermanschten Gesichtern und durchgeschnittenen Kehlen und wurde nun aus dem Bett gevögelt. Warum? Warum in Iupiters Namen, musste dieses verfickte frischvermählte Paar ausgerechnet neben mir einziehen?


    Langsam wälzte ich die Decke bei Seite, quälte mich aus dem Bett, ging zum Fenster - wobei ich mir den Fuss schmerzhaft und fluchend an einem Schemel anstieß - und öffnete die Läden. Es war eine unmenschliche Zeit, draussen in der Gasse war es noch finster, die Sonne war noch nicht aufgegangen und würde es erst in etwa einer halben Stunde tun. Ich hämmerte meinen Schädel gegen den Fensterrahmen und schwor mir, gleich nachher die beiden aus dem Bett zu zerren und in den Senkel zu stellen.


    Wo war der Wein? Ich brauchte unbedingt einen Schluck Wein...

    Ich blickte dem Griechen noch nach, dann begab ich mich wieder an den Tatort zurück und gab den Stadtwachen die Anweisung was zu tun war. Sie sollten den Toten unverändert in die Kaserne bringen und dort auf einem Tisch aufbahren, des weiteren das Gebäude noch einmal gründlich untersuchen und die Personen auf dem Markt befragen, ob irgendjemand irgendetwas gesehen hatte. Dann übertrug ich dem Centurio wieder die Verantwortung, warf noch einmal schnell einen Blick auf das Hackfleischgesicht des Toten und machte mich auf den Weg nach Hause. Ich war hundemüde und wollte nur noch schlafen.

    Ach herrje, er sprach von den Reinigungsritualen. Ich zuckte mit der Schulter. Ich hatte hier einen Mordfall und keine Zeit für sowas. Es war mitten in der Nacht und ich sollte eigentlich um die Uhrzeit schlafen.


    "Sicher gibt es sowas. Doch der hier braucht sie sicher nicht. Wir kennen nicht mal seinen Namen und ich glaube nicht, dass wir ihn je herausbekommen werden. Aber gut, ich werde ihn hier wegschaffen lassen."


    Ich winkte den Centurio her und gab ihm die Anweisung das Opfer in die Kaserne schaffen zu lassen. Dann blickte ich wieder zu dem Griechen.


    "Wenn Du morgen früh vorbeikommst hast Du genug Licht. Melde Dich einfach in der Kaserne. Ich werde da sein."

    Ich ließ den Griechen stehen und ging langsam auf den Tatort zu. Dabei ließ ich meine Augen über die Umgebung schweifen. Es waren doch einige Leute anwesend und wenn wir Glück haben würden, hatte jemand etwas gesehen, was uns weiterhelfen würde. Wenn nicht, dann blieb uns nur die Leiche.


    Ich trat näher.


    Die Türe zu dem Laden war nicht aufgebrochen, was man daran erkennen konnte, dass das Holz in Ordnung und das Schloss unbeschädigt war. Sie ließ sich geräuschlos öffnen, kein Knarren oder Quitschen war zu hören, als ich sie bewegte.


    Die beiden Wachsoldaten traten zur Seite als ich näher kam. Der Mann in dem Fass war mittelgroß, soviel konnte ich schonmal erkennen, jedoch ragten nur die Beine heraus, und der bestialische Gestank nach Essig hatte wohl die meisten veranlasst ihn in dem Fass stecken zu lassen. Die Brühe war blugetränkt und ich konnte davon ausgehen, dass er nicht ertränkt worden war.


    "Zieht ihn raus. Vielleicht kann man noch erkennen, wer es war."


    Die beiden nickten mit dem Kopf, winkten noch zwei weitere Männer herbei und packten vorsichtig an. Wenig später lag der Tote vor mir auf dem Boden. Und wie ich vermutet hatte, klaffte in seinem Gesicht eine große Wunde. Die Nase fehlte gänzlich, die Augen waren verdreht, alles unkenntlich entstellt, Gehirnmasse quoll hervor und vermengte sich mit dem Blut und dem zu Brei geschlagenen Fleisch zu einer Masse. Es war ein ekelhafter Anblick.


    "Na, hervorragend.
    Offensichtlich wollte jemand nicht, dass wir wissen, wer das hier ist..."


    Ich wandte mich angewidert um und winkte den Medius herbei.

    Der Grieche hatte sicher Recht. Ich blickte ebenfalls in die Richtung des Tatorts und erblickte die zwei Beine, welche immer noch senkrecht aus dem Fass in den Himmel ragten.


    "Einverstanden. Doch zuerst schau ich mir das ganze selber an, bevor auch nur ein anderer auch nur irgendetwas anfasst."


    Ich wandte mich wieder an den Centurio.


    "Apollonius wird hier warten. Wenn ich drinnen fertig bin kann er nachkommen. Wer hat die Leiche gefunden? Wer war als erster vor Ort? Ihr habt nichts angerührt?"


    Der Angesprochene gab kurz Bericht. Ich nickte verstehend mit dem Kopf und blickte dann wieder zu dem Griechen.


    "Gut, ich bin kurz dort drin, ich werde Dich dann rufen..."

    "Mit Sicherheit bin ich daran interessiert die genaue Todesursache festzustellen."


    Ich trat von hinten hinzu und gab den beiden Männern, welche mich begleitet hatten ein Handzeichen, dass sie abtreten konnten.


    "Wie sieht es aus? Was für ein Fall liegt vor?"


    wandte ich mich an den Centurio, welcher angelaufen kam und nachdem ich mich auf den neusten Stand der Dinge hatte bringen lassen, winkte ich den Fremden zu mir.


    "Ich bin Regionarius Flavius Prudentius Balbus. Und Du?
    Woher kommst Du und was machst Du hier?"

    Ich nickte verstehend mit dem Kopf. Wenn es sein musste, dann musste es sein. Ich erhob mich, marschierte in mein Zimmer, warf mir eine wärmere Tunika über, gürtete mein Gladius, schnürte die Sandalen und griff nach einem Mantel. Dann trat ich wieder in den Flur.


    "Gut, brechen wir auf. Und noch eines: Solltet ihr jemals wieder etwas von mir wollen, klopft unten an der Türe und tretet nicht einfach nur ein. Das nächste mal steche ich noch aus einem Reflex heraus zu und ihr liegt beide einen halben Meter unter dem Boden."


    Ich öffnete die Türe, und wenig später verließen wir die Insula.


    >>>

    "Verdammt nochmal!"


    Ich blickte die beiden entgeistert an. Was in Iupiters Namen hatten die mitten in der Nacht vor meiner Türe zu suchen? Wieso schlichen sie sich die Treppe hoch und warum funzelte nur eine kleine Lampe?


    "Habt ihr sie noch alle? Ich hätte euch erstechen können."


    Ich warf ihnen einen bitterbösen Blick zu. In der Zwischenzeit rührte sich auch etwas in der Wohnung gegenüber, ich hörte besorgte Schritte, die Türe öffnete sich und der junge Ehemann streckte seinen Kopf nach draussen.


    "Alles in Ordnung. Ich bin der Regionarius. Die beiden gehören zu mir. Keine Sorge, geh in Deine Wohung zurück und schlaf weiter."


    Er nickte, die Türe schloss sich und ich forderte die beiden auf einzutreten. Als wir den Flur erreicht und ich die Türe hinter mir zugezogen hatte, nahm ich Platz und blickte sie an.


    "Also, was gibt es?
    Hätte es nicht Zeit bis morgen gehabt?"

    Ich hatte noch wach gelegen und Geräusche im Treppenhaus gehört. Wie es meinem Beruf und meinem Naturell entsprach erhob ich mich um nachzusehen ob alles in Ordnung wäre. Die Tunika hatte ich noch an, da ich nie nackt schlief, das Gladius lag griffbereit in meiner Nähe. Langsam ging ich in Richtung Türe und schon von weitem hörte ich, dass zwei Stimmen davor miteinander flüsterten.


    Ich trat näher, legte meinen Kopf an das Holz um zu horchen, als es plötzlich
    lautstark anklopfte.


    Erschrocken fuhr ich zurück.


    "Ich, ich komme ... gleich.
    Einen Moment..."


    rief ich halblaut um eine gewisse Entfernung vorzutäuschen, zog mein Gladius, entfernte so leise es ging den Riegel und brachte mich in Position.


    Dann riss ich die Türe auf...

    Nach einem Bericht eines unserer Agenten - so überflog ich gerade das Schreiben - war der Anführer der Schmuggelbande unten im Hafen erst vor kurzem nach Carthago Nova abgereist. Desweiteren enthielt die Liste eine Aufstellung all der Personen, welche seine Insula aufgesucht oder aber seinen Laden betreten hatten. Ich sah mir die Namen mal etwas genauer an, entdeckte jedoch keine Unregelmäßigkeiten, geschweige denn irgendwelche Auffälligkeiten.


    "Ohh... Ohhh... Ohhhh..."


    Entnervt rollte ich mit den Augen. Ging das schon wieder los? Ich knüllte das Dokument zusammen und blickte zu der Wand, aus deren Richtung die Ruhestörung kam. Ich wollte mich gerade erheben, als es wieder still wurde und sich nichts mehr rührte. Dann hörte ich kurzes Gelächter, ein Aufspringen und Poltern und wieder war Ruhe. Vielleicht sollte ich mal mit dem jungen Ehepaar ein paar Worte wechseln. Ich schwor mir, dass ich gleich den nächsten Morgen dazu nutzen würde.

    Etwas später kehrte ich wieder, betrat meine Wohung und warf den Mantel über einen Stuhl. Es war vermeintlich Ruhe eingekehrt, denn ich hörte nichts. Ich lächelte und begab mich an meinen Schreibtisch um noch ein wenig zu arbeiten. Die Taverne unten am Eck war vorzüglich, neben einem guten Wein bekam man auch kleinere Gerichte zu essen, so einen guten Eintopf, Kesselfleisch, Gegaartes und auch einiges vom Grill. Der Besitzer führte das Geschäft schon seit mehreren Jahren und unter den Bewohnern dieses Stadtviertels galt die Taverne als Geheimtipp für all jene, welche kulinarische Leckerbissen der traditionellen Küche genießen wollten.

    "Ahh... ahh... ahh...ahh... ahhhhh...ahhhhhhh"


    Immer lauter und intensiver wurden das Gestöhne der Nachbarin von nebenan. Ich schüttelte den Kopf und warf entnervt das Dokument auf das kleine Tischchen vor mir. Ich gönnte jedem seine Privatssphäre, aber seitdem nebenan das frischvermählte Ehepaar eingezogen war, war es um die meine geschehen.


    "Komm schon zum Ende!
    Geht das nicht schneller?"


    schrie ich und schenkte mir einen Becher Wein ein.


    Sie waren nett. In der Tat. Neulich hatte ich sie im Treppenhaus getroffen, er war etwas über dreissig, sie anfang zwanzig. Er arbeitete als Ingenieur beim städtischen Bauamt, während sie nachmittags die Kinder einflussreicher Bewohner der Stadt hütete. Er wirkte mir ein bisschen durchtrieben und ich war mir sicher, dass er sie - trotz des verliebten Eindrucks - betrügen würde. Sie indess war die Treue in Person und wurde zur Zeit fast täglich bestiegen.


    Da ein Ende dieses Spektakels nicht abzusehen war, entschloss ich mich, noch einmal aufzubrechen und in der Stadt etwas zu essen. Gegen später würden die beiden Turteltäubchen entkräftigt schlummern und vielleicht würde es mir dann vergönnt sein die Aufstellung zu überarbeiten.


    Ich packte einen Mantel, warf ihn mir um und machte mich auf den Weg.

    Die Insula Magna in einer Nebenstrasse
    im Stadtzentrum von Tarraco.


    [Blockierte Grafik: http://img351.imageshack.us/img351/91/insula9tk.jpg]


    Nachdem mein alter Herr den Wohnsitz unserer Familie veräussert hatte und sich in Germanien eine neue Existenz aufbaute, hatte ich mich nach einer neuen Bleibe umgesehen. Der Erwerb einer eigenen Casa wäre durchaus möglich gewesen, da ich jedoch so gut wie nie zu Hause und fast die ganze Zeit dienstlich unterwegs war, hätte sich dies kaum gelohnt. Folglich mietete ich einen Seitenflügel in einem der unzähligen Mietshäusern, möglichst nah am Stadtzentrum und meinem Arbeitsplatz, jedoch so weit abgelegen, dass der Hauptverkehr nicht zwangsweise unter meinem Fenster durchlaufen musste. Die Hausverwalterin sah jeden Tag einmal nach den Pflanzen auf dem Fensterbrett und lüftete auch durch, mit ihrem Gatten war abgemacht, dass er für die Instandhaltung aufkommen würde. So aller Sorgen entledigt hatte ich ein Dach über dem Kopf.