Beiträge von Flavius Prudentius Balbus

    Überrascht, in der wohlgeformten Frau meine Schwester zu entdecken, grinste ich und fing dann an zu lachen.


    "Sieh mal einer an. Schwesterchen! Für den ersten Augenblick dachte ich, dass ich mal Glück hätte und Venus vor meinem Officium stehen würde... Doch sag, was führt Dich zu mir? Es ist doch alles in Ordnung zu Hause, oder?"


    Ich trat näher, umarmte sie zum Gruss und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

    Nachdenklich kratzte ich mich hinter dem Ohr.


    "Das hatte ich auch angenommen. Hätte man ihn einfach nur so erschlagen, wäre es kaum zu diesem Blutstau gekommen..."


    Ich deutete nach oben und sprach dann weiter.


    "Die Frage ist nur, wann und wo wurde sein Gesicht zertrümmert. Es kann unmöglich hier gewesen sein, oder doch? Das ganze kommt mir absurd vor, und absurd ist wohl eher noch untertrieben...."


    Ich blickte noch einmal zu dem Toten hinauf und wandte mich dann in Richtung Türe.


    "Du entschuldigst mich, ich brauche frische Luft..."


    sprachs und verschwand nach draussen.


    Die Kotze, welche ich im nächsten Hauseck entleerte war warm und stank säuerlich, etwas Wein, Traubenschalen und Brotbrocken, ich hatte nicht viel gegessen, aber viel vertragen hätte ich sowieso nicht.

    Ich kam gerade aus der Stadt zurück, als ich eine mittelgroße Frau mit braunem gelocktem Haar vor meiner Türe stehen sah. Da ich sie von hinten sah, konnte ich nicht erkennen, um wen es sich handelte, folglich trat ich näher hinzu und sprach schon von weitem um sie nicht zu erschrecken:


    "Salve, kann ich irgendwie helfen?"


    Sie hatte einen wohlgeförmten Körper stellte ich fest, soviel verriet die etwas enger geschnittene Tunika schon.

    Ich blickte die Frau etwas genauer an. Irgendwoher kannte ich das Gesicht, doch woher nur? Dann fiel es mir ein.


    "Helena Tiberia, stimmt es? Ich wusste doch, dass ich Dich irgendwoher kannte. Es war damals in der Villa Tiberia, ich klopfte an die Türe..."


    Ich lächelte ihr freundlich zu, bemerkte jedoch, dass sie nicht sehr glücklich schien.


    "Alles in Ordnung?"

    Ich folgte dem Griechen wieder hinein in das Gebäude und blieb im Eingang unschlüssig stehen. Den Toten blickte ich schon gar nicht mehr richtig an, er schien für mich schon zum Inventar geworden zu sein. Oder verdrängte ich ihn nur? Ich wollte ihn nicht ansehen.


    "Was meinst Du? Wie wurde er getötet?
    Erschlagen oder erhängt?"


    Ich blickte Apollonius fragend an.

    "Halt, Bürschen!"


    sprach ich und packte den Kerl an der Schulter. Der Kleine blickte auf und erkannte mein Gesicht. Als Wiederholungstäter hatte ich ihn schon ein paar mal aus dem Verkehr gezogen und wäre er nicht der Neffe meiner Vermieterin gewesen, er hätte seine Hand wohl längst verloren oder wäre irgendwo an einem Kreuz geendet. Mit einem verlegenen Grinsen senkte er den Kopf und rückte mir die Geldbörse heraus. Dann ließ ich ihn los und so schnell ihn seine Füsse trugen machte er sich aus dem Staub.


    [...]


    "Ihr habt das hier verloren!"


    sprach ich wenig später zu der Dame und trat mit einem Lächeln hinzu...

    Ich war gerade in Gedanken versunken als mich der Grieche von hinten ansprach. Ich drehte mich um und war froh, dass er hier war. Das ganze war so mysteriös und wieder einmal wusste ich beim besten willen nicht weiter. Ich nickte mit dem Kopf.


    "Wie ein zertrümmertes Gesicht. Nur diesmal kein Fass, sondern der Tote hängt an einem Seil. Doch sieh selber nach, wir haben nichts angefasst."


    Ich wies mit einer Handbewegung in Richtung des Lagerhauses, in dessen zentralen Raum der Tote von einem Sparren nach unten baumelte.

    Ich trat wieder nach draussen und blickte mich ein wenig in der Umgebung um. Die Strasse war eine Strasse wie jede andere. Die Menschen sahen auch aus wie überall, wenn man mal davon absah, dass die Leute hier eher der untersten Schicht entsprangen. Sklaven, Freigelassene, Peregrini. Und wie es nicht anders sein konnte: eine Menschentraube rund um den Tatort.


    Es verwunderte mich, dass der Mord am hellichten Tage geschehen war. Dies ließ mich nur zu dem Schluss kommen, dass der Ermordete schon tot gewesen sein musste, bevor man ihn an dem Galgen aufhängte. Oder doch nicht? Das geschwollene Glied... Ein Blutstau wie er bei Erhängten des öfteren auftrat. Der Tote musste also durch Erhängen gestorben sein. Doch wie konnte dann sein Gesicht so zerstört worden sein, ohne dass es auf dem Boden des Lagerhauses vor Blut und Überresten nur so wimmelte? Ich stand vor einem Rätsel...

    Nach einer Weile erhob ich mich wieder und wandte mich an den Centurio.


    "Am besten lasst ihr alles so, wie es ist. Schickt nach diesem griechischen Arzt, der sich schon um den ersten Toten gekümmert hat. Er soll sich auch diesen hier ansehen..."


    Der Mann nickte mit dem Kopf und schickte gleich einen Burschen los. Dann blickte auch er zu dem Toten hoch und kratzte sich an dem Kopf.


    "Regionarius... darf ich offen sprechen?"


    "Sicher, nur zu..."


    "Regionarius, das ganze ist mir unheimlich.
    Schon der zweite Tote innerhalb so kurzer Zeit und wieder ohne Gesicht..."


    Ich nickte mit dem Kopf. Auch mir war die die ganze Sache unangenehm.

    Schon wieder hatte ich so einen Fall, wo ich am liebsten nur gespuckt hätte. Stundenlang die Eimer vollgekotzt, die Seele mit Wein in den Fluss gespült, hinunter in das Meer, bis sie sich irgendwo an einem tiefen Grund verlieren würde.


    Ich stand in dem Lagerhaus und blickte baumelnden Beinen und Armen entgegen. Der Kerl - und dass es ein Kerl war konnte man daran erkennen, dass sein Glied dunkelblau angeschwollen in Richtung Himmel zeigte - hing splitternackt an dem Seil. Und an der Stelle wo sein Gesicht hätte sitzen müssen, hatten wir wie bei dem Toten auf dem Fischmarkt nur Brei. Brei aus zerstampften Fleisch, gesplitterten Knochen und Gehirnmasse.


    Mir wurde sofort klar, dass wir es mit dem selben Täter zu tun hatten. Mir wurde klar, dass es kein Einzelfall bleiben würde und ... dass eventuell noch weitere Fälle folgen würden.


    "Grandios. Einfach grandios.
    Wer hat ihn gefunden?"


    Der Centurio blickte mich an.


    "Die Patrouille von Marcus war als erste da. Allerdings standen da schon mehrere Dutzend Menschen hier rum. Wir haben bereits begonnen sie zu vernehmen, Regionarius."


    Ich nickte mit dem Kopf.


    "Gut, gebt mir Bescheid, wenn ihr was gefunden habt."


    Dann stieg ich langsam die offene Treppe in die nächste Etage hinauf, blickte mich um, versuchte mir eine Motiv auszudenken. Als ich den Balken erreicht hatte, an welchem der Tote hing, setzte ich mich auf den Boden und starrte ihn an. Es musste für dies alles doch eine plausible Erklärung geben.

    Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als mich einer meiner Männer von der Seite ansprach. Ich nickte nur mit dem Kopf und murmelte, dass ich jeden Moment kommen würde. Dann blickte ich noch einmal zu den Flammen welche in den Himmel stiegen, zu dem Senator, den beiden Frauen und machte mich auf den Weg. Es war ein verfluchter Tag in einer verfluchten Stadt. Keine Ahnung wann das Morden aufhören würde...

    Ich sah gerade zu wie der Senator den Holzstoss mit der Bahre in Brand setzte und musste zu der jungen Decima blicken, die neben Lucilla stand. Ihr verweinten Augen hatten mich irgendwie ergriffen. Ich wusste nicht wie, aber am liebsten wäre ich nach vorne gegangen und hätte die beiden Frauen getröstet. Erst die mir unbekannte Decima, dann Lucilla. Sie in den Arm genommen, ihre Tränen getrocknet. Was für ein Narr ich doch war. Sie hätte es mir vermutlich nicht einmal gedankt.


    Ich hatte die halbe Nacht nicht geschlafen. Und meine Gedanken kreisten wirr in meinem Kopf herum. Es wurde Zeit, dass ich ins Bett kam.

    Ich nickte mit dem Kopf und wandte mich dann an den Wachsoldaten. Der Grieche sollte unbeschränkten Zugang zum Castellum und diesem Raum hier bekommen, so lange er mit den Arbeiten an dem toten Unbekannten beschäftigt war.


    "Wie Du willst. Lass Dir Zeit, nur vielleicht nicht zuviel. Der Typ hier könnte sonst noch mit modern anfange und eine Seuche unter der Stadtwache ist das letzte was ich gebrauchen kann..."


    Dann wandte ich mich um, blieb jedoch noch einmal unter der Türe stehen.


    "Falls Du mich suchst, man findet mich entweder in meinem Officium im Regierungsgebäude, oder aber in der INSULA MAGNA. Nur erscheine dort nicht mitten in der Nacht. Ich werde viel zu häufig zu Unzeiten aus dem Bett geholt."


    Ich nickte mit dem Kopf, grüßte mit einer Handbewegung und trat nach draussen. Erst musste ich in meinem Officium die neuesten Berichte studieren und dann beim Proconsul einen Besuch abstatten. Und dann wollte ich auch noch der Familie des toten Decima meine Aufwartung machen.

    Ich betrat das Atrium und sah mich nach dem Hausherrn um. In einer Ecke auf einem Stuhl sitzend und sich mit einem Jungen unterhaltend entdeckte ich ihn. Ich wollte ihn nicht stören, da es so schien, als ob er etwas Abstand brauchte. Folglich ging ich auf die anderen Verwandten des Toten zu und drückte ihnen mein Beileid aus. Als ehemaliger Tribun der Legio IX Hispana und als Freund des Hauses, wie ich mich selbst bezeichnen würde, war es meine Pflicht dies zu tun. Tertia oder Lucilla konnte ich nirgendwo entdecken. Also mischte ich mich unter andere Gäste, welche sich hier eingetroffen hatten und beobachtete das ganze Geschehen. Ich würde mich auch dem Trauerzug anschließen - beschloß ich - und dem Centurio das letzte Geleit geben.

    Ich wusste nicht genau was ich sagen wollte. Würde es tatsächlich gelingen? Und wer gab mir die Garantie, dass das Ergebnis, welches wir am Ende erhalten würden, auch tatsächlich annähernd mit dem übereinstimmte, was der Tote vorher sein Gesicht nannte? Ich war skeptisch. Mehr als skeptisch. Selbst wenn es gelingen sollte, ich hatte keinerlei Beweise dafür, dass der Grieche Recht hatte und dass er nicht einem Irrtum unterlag. Wie um alles in der Welt wollte er so genau wissen, wo welches Knochenfragment zu plazieren war? Und vor allem, wie das Fleisch sich darum herum zu plazieren hatte? Ich blickte zu dem Toten und alles was ich sah war Matsch. Matsch an der Stelle wo vorher der Kopf saß.


    "Meinetwegen, versuch Dein Glück. Doch ich habe höchstens für den Bildhauer Geld. Du machst Deine Arbeit umsonst. Ich werde Dir einen Steinmetz vorbeischicken. Lass Dir soviel Zeit, wie Du meinst, dass Du brauchen wirst. Und wenn Du fertig bist, lass nach mir schicken. Ich habe zu arbeiten."


    Ich nickte ihm zu und murmelte noch etwas von viel zu tun, was auch zutraf. Ich konnte unmöglich den ganzen Tag hier herumstehen und einem Experiment zusehen.

    Ich sah ihm nachdenklich bei der Arbeit zu. Stück für Stück säuberte er den Toten und wandte dabei eine Akribie auf, die bei der Einbalsamierung eines Pharao nicht hätte genauer sein können. Einen Bildhauer? Eine Statue? Den Schädel rekonstruieren?


    "Dein Vorhaben in allen Ehren, aber wir haben hier eine Leiche. Eine von vielen. Ich krieg fast jeden Tag eine rein. Und viele sind nicht zu identifizieren.


    Wer kennt schon die Unmengen an Peregrini die im Umland leben. Oder die vielen Plebejer der ärmeren Stadtviertel. Die Tagelöhner, die von überall herkommen. Dann die Seefahrer, die Händler, ihre Gesellen, die Reisenden. Tarraco ist eine Hafenstadt und hat mehr Gesindel als die meisten Städte in Hispania.


    Selbst wenn wir diesen verdammt teuren Aufwand betreiben, was wenn der Tote kein einflussreicher Römer ist, dessen Gesicht bekannt ist? Was wenn er nur ein armer Schlucker ist, den niemand vermisst?"


    Ich kratzte mich am Kopf. Das ganze war zwar ein löbliches Unterfangen, doch die Wahrscheinlichkeiten...


    "Gibt es denn keine anderen Indizien? Wie exakt bekommen wir die Rekonstruktion hin?"

    Ich verfolgte die Arbeit des Arztes mit Erstaunen. Es sah wirklich so aus, als ob er wüsste, was er tut. Respekt, dachte ich mir und lauschte seinen Ausführungen. Als er begann die Oberfläche der Haut zu reinigen trat ich etwas näher.


    "Meine Familie ist griechischer Herkunft. Urspürnglich waren wir mal Großgrundgrundbesitzer in Attika, aber das ist lange her."


    Ich beugte mich etwas nach vorne.


    "Wirst Du den ganzen Körper abwaschen? Auch das, was mal sein Gesicht war? Ich glaube nicht, dass Du da noch was machen kannst..."


    Skeptisch blickte ich zu der anwesenden Stadtwache. Dann wieder zu dem Griechen.


    "Wie kommst Du eigentlich nach Tarraco? Ich meine, wenn man in Alexandria war, wie verschlägt es einen hier her?"

    Ich war in die Betrachtung der Arbeit des Griechen vertieft, als mich jener plötzlich ansprach und mich fragte ob ich den Toten mit ihm wenden würde. Ich winkte lächelnd ab.


    "Oh, lieber nicht, nicht dass es mir etwas ausmachen würde, doch ich muss noch in die Curia und habe diese Toga erst vorhin angezogen. Ich werde jedoch nach einem Wächter rufen, der die Arbeit machen kann..."


    Ich trat an die Türe und winkte einen Mann herein, welcher sich sofort an den Tisch begab und schweigend mit anpackte.


    "Das mit Archimedes war natürlich ein Verlust in der Tat..."