Prozession zu Ehren der Concordia

  • Am gestrigen Tag hatten die Stadtschreier, die noch ein paar Tage zuvor mit cohortialer Unterstützung die Ausgangssperre verkündet hatten, die Nachricht von der Prozession verlautbaren lassen. Alle Bürger waren trotz des Versammlungsverbotes ausdrücklich dazu aufgerufen, sich der Prozession im Namen der Concordia anzuschließen. Am Forum Pacis sollte sie nach den morgendlichen Ritualen für Ianus starten und ihren Weg zum Ara Pacis beschreiten. Ausschreitungen befürchtete man hierbei nicht. Die Göttin der Eintracht war bei allen Schichten und allen Menschen in Rom etwas absolut Heiliges, an dem kein Sterblicher rütteln sollte. Direkt in ihrem Antlitz Unfrieden zu stiften war etwas, das einfach undenkbar war. Streitigkeiten hatten zu ruhen, wenn ihre Statue vorübergetragen wurde. Wenn ihre Priester Tage der Eintracht ausriefen, hatten sich alle daran zu halten.
    Besonders im Angesicht des personifizierten Friedens! Vom Friedensforum zum Friedensaltar zu wandern war kein Zufall bei der Wahl der Örtlichkeiten. Das war wohl jedem klar, der die Verkündigung hörte. Und vermutlich waren die allermeisten über diesen Schritt auch mehr als nur erleichtert, bot er doch die Möglichkeit, in Sicherheit die eigenen vier Wände verlassen zu können, ohne Furcht vor den Konsequenzen oder weiteren Ausschreitungen haben zu müssen.


    Vermutlich war es diese Symbolik, die das Collegium Pontificum davon überzeugt hatte, schnell zu handeln und auf den Brief des Praefectus Urbi so schnell und umfassend zu reagieren. Sextus hatte, als er seinen 'Vorschlag' an den mächtigsten Mann der Stadt gesandt hat, schon befürchtet, dass dieser sich nicht dem Spruch eines Haruspex beugen würde und das alles als religiösen Fanatismus abtun würde. Besonders bemüht um den Götterkult hatte sich der Mann ja nicht. Als dieser dann das ganze aber an das Collegium Pontificum abgegeben hatte, sah der Aurelier sein Vorhaben mehr als nur ein wenig in Gefahr. Nach dem Tod von Tiberius Durus und dem Verschwinden von Flavius Gracchus sowie weiterer Mitglieder des besagten Ordo waren die Räumlichkeiten dort mehr als nur verwaist. Allerdings hatte irgendeine göttliche Macht wohl wirklich ein Interesse daran, dass Frieden in die Stadt einkehrte, denn es war ausgerechnet der Pontifex Duilius Verius, der die Anweisung des Vescularius doch erhielt. Und jener war schön öfter dadurch hervorgetreten, die Wünsche dieses Mannes mehr als bereitwillig zu erfüllen, und so auch diesen.


    Kurzum, als Sextus zu Sonnenaufgang auf dem Forum Pacis aufgetaucht war, war er mehr als zufrieden. Er trug sein volles Haruspex-Ornat, ebenso wie der Teil seiner Collegiumsbrüder, die noch in der Stadt waren und sich seiner Bitte angeschlossen haben. Von den fünfzig Mitgliedern des Ordo in Tarquinia und Roma waren hier also nun fünfzehn Männer anwesend, gut erkennbar an den charakteristischen Kopfbedeckungen und den Lederüberwürfen über den schlichten Tuniken. Sie hielten sich alle direkt hinter den Priestern der Concordia auf, die in schlichtem, dunklen Stoff nicht weniger herausstachen, vor allem, da sie Rund um das tragbare Kultbild ihrer Göttin versammelt waren.
    In der Ferne verklangen gerade die morgendlichen Gesänge und Gebete für Ianus und die erste Stunde des Tages wurde damit offiziell eröffnet. Auf dem Forum hatten sich schon einige Menschen trotz der frühen Stunde versammelt, um der personifizierten Einigkeit ihre Ehrerbietung darzubringen – und wohl auch, um sich mit Menschen, die man aufgrund der Ausgangssperre einige Tage nicht gesehen hatte, endlich einmal wieder auszutauschen.
    Gebannt sah Sextus zu den Priestern der Göttin, die sich noch murmelnd unterhalten hatten. Kurz nickten sie einander zu und gaben den ihnen folgenden Haruspices und den Kulthelfern ein kleines Zeichen. Von sechs Opferhelfern getragen wurde das hölzerne Podest, auf dem die Göttin thronte, angehoben, so dass die Menschen sie sehen konnten. Es war eine nicht einmal lebensgroße Holzstatue einer Frau, mit bunten Farben bemalt und reich geschmückt, die Hände vor sich ineinandergelegt, in den Armen ein Füllhorn, und rund um ihre Füße die wenigen Blumen, die so früh im Jahr schon zu bekommen waren.
    “Macht Platz für Concordia!“ forderte der erste Priester auf und schritt dem Kultbild voran, während die Opferhelfer mit dem Kultbild folgten. Direkt dahinter waren die übrigen Priester und stimmten einen archaischen Gesang an, dessen Worte kein Mensch mehr verstand, geschweige denn seine Bedeutung. Aber er gehörte zum Kult und daher wurde er gesungen. Im Anschluss an die dunkel gewandeten Priester schlossen sich die Haruspices an, die ebenso archaisch murmelnd langsam folgten, während der vorderste Priester anfing, die Göttin mit leichtem Singsang in der Stimme auf die Bevölkerung herabzubeschwören. “Sehet die Göttin, Concordia, die Mildtätige. Ehret die Göttin zur Stärke von Rom. Sie segnet die Tapferen, die ihren Freunden beistehen. Sie segnet die Familien, die sich um die ihren sorgen. Sie segnet die Römer, die ihre Stadt zusammenhalten. Oh Concordia, Herrliche, Herrin der Eintracht, göttliche Bewahrerin des Friedens! Oh Concordia, Helferin Roms! Deine Gabe lässt uns stark sein...“
    Und stets weitersingend, weiterredend und weitermarschierend führte der Priester so den Zug Richtung Ara Pacis an und erinnerte so beständig die Römer an die Anwesenheit der Göttin und ermahnte zum Frieden.

  • Im Zug der Senatoren, der sich in der Prozession formierte, befand sich auch Macer, auch wenn es ansonsten einige eher ungewöhnliche Lücken gab. Nicht nur hier, sondern auch unter den senatorischen Pontifices gab es einige bemerkenswerte Fehlstellen. Anders als sonst, schaute sich daher Macer diesmal weniger nach den Anwesenden um, um mit ihnen gegebenenfalls in ein gelegen kommendes Gespräch einzutreten, sondern nach den Fehlenden. Wäre dies eine normale Prozession zu normalen Zeiten gewesen, hätte er dem Fernbleiben einiger Senatoren keine besondere Bedeutung zugemessen, aber diesmal lagen die Dinge eben anders. Nach den Ereignissen der letzten Tage musste jedes Fehlen etwas zu bedeuten haben. Die Deutung konnte allerdings sehr unterschiedlich ausfallen und so war sich Macer keineswegs sicher, ob der eine oder andere Senator nun aus Opposition fehlte oder aufgrund einer Flucht oder weil er daran gehindert wurde, an der Veranstaltung teilzunehmen. Die Fronten waren damit jedenfalls keineswegs geklärt, denn auch für die Anwesenheit gab es sicher verschiedene Beweggründe. Bei manchen war es sicher vor allem die Neugier, wie sie es bei Macer war, während andere möglicherweise tatsächlich auf Frieden hofften oder zeigen wollten, dass sie nicht auf Seiten der Verräter standen. Doch wo sie wirklich standen, sah man den allerwenigsten an.

  • Potitus war auch erschienen. Er trug eine tiefschwarze Toga über einer braunen, aber dennoch feinen Tunica. Dass er darunter einen Brustpanzer trug, konnte man bei näherem Hinsehen vielleicht durch die etwas seltsame Körperform erkennen. Von weitem waren als zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen dagegen nur die besonders große Zahl an skythischen Leibwächtern, sowie eine zusätzliche Abordnung der Cohortes Urbanae zu erkennen, die heute ebenfalls dunkle Umhänge trugen. Darüber hinaus scharten sich auch die Senatoren von Salinators Gnaden um ihren Patron, ebenfalls in Trauerkleidung.


    Der Vescularier marschierte in der Prozession direkt hinter den Priestern und führte damit die Senatorenschar an. Genau an dem Platz, den normalerweise der Kaiser einnahm!

  • Die Stadt war in einem merkwürdigen Zustand. Ausgangssperre. Ständig Soldaten auf den Straßen. So gut wie kein gesellschaftliches Leben. Baalberith mochte das nicht. Es war schlecht für das Geschäft. Schmuggel konnten nicht stattfinden. Ohne den normalen Handel. Gaunereien waren unmöglich. Ohne den Menschenstrom in den Straßen. Beutezüge waren schwer durchführbar. Wegen der ständigen Patrouillen. Das ganze Leben stand still. Auch unter Rom. Ohne die Möglichkeiten von oben. Der Mann mit der Vogelmaske saß in seinem Nest. Und wartete. Der Syrer hatte alle Geschäfte abgebrochen. Der Jude Phaeblos hatte sein ganzes Gold im Tiber versenkt. Und der goldene König war aus Rom geflohen. Angeblich steckte er irgendwie in der Sache. Der mit dem toten Kaiser.


    Der tote Kaiser interessierte Baalberith wenig. Er hatte ihn nie gesehen. Nur den Praefectus Urbi. Den Kaiserspieler. So nannten sie den Vescularius unten. Weil er den Kaiser lenkte. Wie ein Puppenspieler seine Puppe. Jetzt war die Puppe weg. Der Spieler konnte selbst auf die Bühne treten. Im Untergrund zweifelte keiner daran. Dass es so kommen würde.


    Zum Festumzug waren sie nach oben gekommen. Wie die Ratten aus den Löchern. Viele Menschen auf einem Haufen versprachen Einnahmen. Doch Baalberith wollte nicht arbeiten. Er hatte andere Pläne. In einem Beutel trug er drei Laibe Brot. Opfer für Concordia. Gewissermaßen.

  • Langsam schritt die Prozession voran, wie ein eigenes atmendes, bangendes Wesen, wand sich durch die Straßen, immer vorwärts. Es ging vorbei am Forum Romanum und dem Tempel der Concordia. Hier schien der Gesang der Priester ein neues Crescendo zu erreichen, was die Lobpreisungen der zahlreichen Segnungen der Göttin anging. Concordia die Streitschlichterin. Concordia, die die Römer Gleichmut und Geduld lehrte. Herrliche, unvergleichbare, sanfte Concordia.
    An der Curia Iulia schritt der größer werdende Strom der Menschen vorbei, begleitet vom Singen der Priester und murmeln der Haruspices, bis es schließlich auf die Via Flaminia ging, die in Richtung Marsfeld führte, und der Castra Urbana. Und eben dem Friedensaltar, der vor den Stadtmauern schon fast am Ende des Stückchens von Rom, das über seine Mauern hinweg gewachsen war, lag.


    Sextus schritt in gemessenem Schritt immer weiter, drehte sich nicht um, als sie die Stadtmauern Roms hinter sich ließen. Schon bald konnte er den Ara Pacis sehen, auch wenn die Sonne dank des langsamen Ganges des Stromes schon weit höher stand. Bestimmt war schon die vierte Stunde erreicht, als sich der Zug allmählich seinem Ziel näherte, beständig begleitet vom Singen des Priesters und den nicht enden wollenden Lobpreisungen für die angerufene Göttin, deren Aufmerksamkeit nach all diesen Gebeten eigentlich sichergestellt sein sollte.

  • Proximus hatte sich auch in der Prozession eingereiht. Während in der Stadt noch überall Soldaten der Cohortes Urbanae und der Praetorianer zu sehen waren ebbte die Präsenz der Uniformierten mit Ende der Urbanität deutlich ab. Nach dem Erreichen der Stadtmauer war nur noch das immer wiederkehrende Lobpreisen der Priester zu Ehren der Concordia zu hören.


    Proximus schritt weiter andächtig mit dem Menschenstrom voran.

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    DECURIO - MISENUM

    Klient - Lucius Aelius Quarto

  • Am Ara Pacis angekommen stieg die Priesterschaft noch weiter zu dem Altar hinauf. Die Haruspices sammelten sich im Hintergrund, während die Priester der Concordia das Kultbild noch immer gut sichtbar nun direkt die Stufen zum Bauwerk hinaufführten und oben vor den Türen zum Tempel platzierten. Das Volk sammelte sich am Fuß des kleinen Tempels auf dem Vorplatz und harrte gespannt der Dinge, die da noch folgen mochten.


    Ein weißes Schaf war schon vorbereitet worden als Opfergabe für die Göttin, die Hufe fein säuberlich nicht nur versilbert, sondern vergoldet, die weiße Wolle gewaschen und mit Kalkpuder durchstäubt, so dass es noch strahlender erschien. Concordia sollte keinen äußerlichen Makel an dem ihr geweihten Tier feststellen.


    Der oberste Priester wartete, bis die Menge aufgeschlossen hatte und der Praefectus Urbi als Opferherr sich auch auf eine gut sichtbare Position neben ihm gebracht hatte. Einer der ministri kam herbei mit einer großen, goldenen Schale voller Wasser, in der eine Rute mit Zweigen eines Ölbaums steckte. So früh im Jahr hatte sie natürlich leider keine grünen Blätter mehr, aber sie würde auch so ihren Zweck erfüllten. Der Priester nahm das Bündel, besprengte damit zunächst seine Mitpriester und die Haruspices, schließlich großzügig über die Menge, die auch noch ein paar Tropfen abbekam, und zuletzt über den wartenden Vescularius, um ihn rituell vor dem Opfer zu reinigen.
    Nachdem er den Zweig wieder zurückgelegt hatte und der Junge sich mit der Schale wieder entfernt hatte. schweifte der Blick des Priesters kurz über die Menge, ehe er seine beiden Hände gut sichtbar auf Kopfhöhe erhob und mit lauter Stimme – selbst noch nach all dem Singen – Ruhe verlangte.
    “FAVETE LINGUIS!“ erschallte es laut über die Köpfe der versammelten Menschen hinweg, und der Priester wartete auch, bis wirklich Ruhe in die Menge eingekehrt war, ehe er fortfuhr.
    “Oh, Concordia, du Vielgerühmte! Dir zu ehren versammeln wir uns hier am Altar deiner Schwester, der glorreichen Pax! Oh Pax, Göttin des Friedens, lächle auf die Bürger Roms herab, deren Herzen immer nach dir verlangen! Glorreiche Göttinnen, hört unsere Worte!“
    Und damit übergab der Priester an den Opferherrn, nachdem Menschen und Götter gleichermaßen darauf eingeschworen hatte, dem Vescularius ihre Aufmerksamkeit zu schenken.

  • Potitus hatte seinen kahlen Kopf inzwischen mit einem Teil seiner Toga bedeckt, war bei dem kühlen Wetter ganz praktisch war. Dann sprach er die Worte nach, die ihm der Pontifex einflüsterte: "Concordia, Herrin des Einklangs und des Zusammenhaltes! Pax, Göttin des Friedens. Göttinnen, die ihr Rom schützt! Ihr habt euren Segen zuverlässig und gnädig eurer Stadt zukommen lassen, habt euer Rom wachsen und gedeihen lassen, habt eure schützenden Hände über diese Mauern gehalten seit vielen Jahren.
    Durch eine schändliche Tat hat das Geschenk, das ihr so großzügig und freimütig gewährt habt, gefährdet! Ein gräßliches Verbrechen, das die Eintracht und den Frieden unter euren Bürgern störte!


    Ich als euer Diener, der ich euch schon vielfach Opfer gebracht und eure Gaben geehrt habe, bitte euch daher: Schenkt Rom Frieden! Schenkt den Bewohnern dieser Stadt die Stärke, diese Zeit der Prüfungen als Einheit zu überstehen. Lasst die dunklen Mächte nicht die Überhand gewinnen. Lasst Verzweiflung und Angst nicht die Herzen dieser Menschen vereinnahmen. Schenkt eurer Stadt die Einigkeit und die Ruhe, durch die ihr sie so groß und wohlhabend gemacht habt!"
    Einer der Diener kam noch einmal mit einer Schale herbei, in der Salinator sich kurz erneut die Hände wusch. Ein Tuch, das Mallium Latum wurde ebenso angereicht, damit er sich die Hände trocknen konnte. Als drittes schließlich wurde ihm auf einer Patera das Opfermesser feierlich angereicht. Er nahm es beim Griff und ging damit zu dem weißen Schaf, strich mit dem Messer von Kopf über den Rücken zum Schwanz und entkleidete es somit symbolisch für das Opfer. "Dieses Opfer sei für euch als Dank. Do, ut detis."
    Das Messer wurde wieder zurückgenommen und der Cultrarius ging in Stellung, um das Opfer zu vollziehen. "Agone?" fragte er. Potitus bestätigte mit einem lauten "Age!"

  • Mit der gebotenen Ruhe und Andacht lauschte Macer dem Gebet, das der Praefectus Urbi vortrug. Nicht nur aus Frömmigkeit war er so aufmerksam, sondern auch, weil er eine politische Botschaft erwartete. Die war zwar verhältnismäßig gering, aber das lag vielleicht auch daran, dass ihm die Worte allgemein für den Praefectus Urbi sehr friedfertig klangen. Er hatte ihn jedenfalls im Senat schon sehr viel polternder oder radikaler gehört. Aber hier für diese Zeremonie hatte er wohl einfach einen guten Gebeteschreiber, der ihm die Vorlage einflüsterte, wie das Priester wohl so taten. Frieden, Einigkeit und Ruhe wollte er also haben. Macer unterstützte das - und es passt so gar nicht zu dem Keil, den der Praefectus Urbi noch wenig vorher versucht hatte in die Senatorenschaft zu treiben, um sie in Kaisermörder und Kaisertreue zu spalten. Wobei letzteres zweifellos notwendig war, wenn an den Vorwürfen denn etwas dran war.

  • Der Opferhelfer fackelte nicht lange, und schnell ließ das Schaf blutend sein Leben. Das Blut wurde in einer Schale aufgefangen, während das Schaf zusammenbrach. Anschließend öffnete der Cultrarius mit geübten Bewegungen die Bauchdecke des Tieres, um die Innereien, vor allen Dingen die Leber, hervorzuholen. Diese wurde vorsichtig auf eine goldene Platte gelegt und ehrerbietig zu den wartenden Haruspices hinübergebracht.


    Sextus besah sich das blutende Stück Eingeweide ebenso wie seine Kollegen. Natürlich sahen nicht alle fünfzehn so genau darauf, war ja auch gar nicht möglich allein wegen der räumlichen Verteilung aller Beteiligten. Im Grunde war sowieso klar, wie die Botschaft zu lauten hatte, die hier gleich verkündet wurde, unabhängig von eventuellen göttlichen Zeichen auf der Leber. Sextus Blick war eher interessehalber, ob die Götter vielleicht doch etwas mitteilen wollten. Er hatte nicht vor, seinen so wohlgehegten Plan jetzt noch irgendwie zu gefährden. Dafür hatte er zu viel Zeit und vor allen Dingen Geld investiert, damit alles klappte, wie er es wollte.
    “Du weißt, was du zu sagen hast, Larcius?“ Noch immer sahen sie auf die dunkel glänzende Oberfläche der Leber, die passenderweise direkt vor dem angesprochenen in der Schale lag. Sextus hatte den Larcius aus drei Gründen ausgesucht, für das Collegium zu sprechen. Er war Etrusker aus altem Geschlecht, überdies Patrizier. Er hatte Schulden bei Leuten, bei denen auch ein Patrizier besser keine Schulden haben sollte, und daher war er sehr dankbar, dass Sextus das für ihn geregelt hatte. Und zu guter letzt, er hatte einen Sohn, der in Tarquinia ihre Kunst lernen sollte – wo Sextus rein zufällig einige sehr gute Freunde hatte, die den Jungen entweder emporheben konnten, oder in Einzelteilen zu seinem Vater zurückschicken.
    “Ja, aber... ich weiß nicht, ob es richtig ist, Aurelius. Es geht hier um den Willen der Götter bei einem Staatsakt...“
    Zum Glück stand der Mann auch direkt neben Sextus, so dass er ihm von Publikum und auch Opferherrn ungesehen an die Tunika packen konnte und ihn ganz leicht näher zu sich zu ziehen. “Jetzt hör mal zu, Larcius. Wir hatten eine Abmachung, die null und nichtig sein wird, wenn du jetzt nicht losgehst und deine verdammte Pflicht erfüllst. Und zwar Wort für Wort, was wir besprochen haben. Hast du mich verstanden?“ Die anderen Männer in Sextus' näheren Umgebung sagten nichts dazu. Sie gehörten zu seinen Getreuen, er hatte sie sich über die Jahre hinweg gewogen gemacht. Er würde nicht so weit gehen, zu sagen, dass er ihnen vertraute. Aber zumindest hatte er bislang keinen triftigen Grund, ihnen offen zu misstrauen.
    “Ja... Gut. Aber du trägst die Verantwortung dafür!“ meinte er halb maulend. Sextus ließ den Mann los, damit dieser vor die gebannt wartende Menge treten konnte, um das Urteil der Götter – oder genauer den Ratschluss der Haruspices – zu verkünden. Und zwar Wort für Wort so, wie er es auswendig gelernt hatte, lange bevor die Prozession auch nur gestartet war.


    “Die Göttinnen haben das Opfer gnädig angenommen!“ verkündete er zuerst die Botschaft, die wohl die wichtigste für alle Anwesenden und wohl allen voran dem Opferherrn war. Erst, nachdem sich der kollektiv erleichterte Seufzer wieder gelegt hatte, fuhr er fort. Sextus beobachtete ihn aus dem Hintergrund wie eine Schlange ein Kaninchen, aber er machte seine Sache gut und beging nicht den Fehler, sich umzudrehen oder zu stocken.
    “Und sie senden uns Zeichen. Ein furchtbarer Frevel ist geschehen, und die Göttin sehen drohend hinab auf den Mann, der die Schuld daran trägt. Sie werden nicht zulassen, dass der Mörder unseres geliebten Kaisers mit blutigen Händen nach der Macht greift. Sie werden nicht zulassen, dass er den Platz des Kaisers, nach dem er strebt, lange hält. Sie werden ihren Segen dem wahren Erben dieser Würde schenken und Rom damit Frieden und Einigkeit zurückgeben.“


    Ganz leicht zuckte es um Sextus' Mundwinkel, als der Larcius sich mit diesen kryptischen Worten wieder zurückzog von der Öffentlichkeit. Die Weichen waren gestellt. Sextus hätte den Praefectus Urbi gern mehr herausgefordert, nur war ihm der schmale Grad zwischen Mut und Blödheit durchaus bewusst. Salinator vor dem ganzen Volk hier bloßstellen zu wollen wäre nicht mutig gewesen, sondern lebensmüde. So war es besser. Der Vescularius würde sich vermutlich als Retter Roms aus diesen Worten sehen. Zumindest solange, bis er das Testament des Kaisers in Händen hielt, das Tiberius Durus vor seinem Tod hoffentlich noch hatte austauschen können, und das Palma als Erben nach Maioranus nennen würde. Zwar bezweifelte Sextus, dass der Vescularius sich von ein paar Worten abhalten lassen würde, besonders religiös war er auch nicht. Aber vielleicht reichte es, um ihm etwas Angst ins Herz zu treiben, und vielleicht beging er aus dieser Angst heraus einen Fehler.
    Die Menschen da unten würden nichts davon merken. Egal, ob Sextus seinen Vetter überzeugen konnte, gegen den Vescularius anzutreten, egal, ob sie siegen würden – wobei die Chancen hier bei einem fehlerlos handelnden Salinator deutlich schlechter standen – für das Volk würde hinterher der richtige Mann auf dem Thron sitzen. Jetzt musste Sextus nur dafür sorgen, dass das nicht Potitus Vescularius Salinator sein würde, sondern irgend jemand, der ihnen deutlich günstiger gesinnt war. Vielleicht wirklich Cornelius Palma, sofern der nicht schon tot war. Oder Flavius Gracchus, immerhin hatten die Flavii schon einige Kaiser hervorgebracht. Vielleicht auch Aurelius Ursus, wenngleich sie wohl hierfür spektakulär würden siegen müssen, und Sextus fürchtete, dass sein Vetter keinerlei politisches Gespür hatte, um so etwas anstreben zu können.
    Aber die richtigen Weichen waren gestellt.

  • Potitus blickte staatstragend drein. Erwartungsgemäß wurde das Opfer angenommen. Alles andere hätte wohl auch dafür gesorgt, dass der schuldige Haruspex am nächsten Morgen im Tiber schwamm! Dann kam aber noch etwas, was ihn kurz irritiert dreinschauen ließ. Was beim Hercules brabbelte er denn da vor sich hin? Er konnte nicht glauben, dass eine dämliche Leber solche Neuigkeiten preisgab! Im Prinzip war es keine Gefahr für ihn, denn selbst wenn die Götter sich tatsächlich ausnahmsweise meldeten, hatte er Valerianus ja wirklich nicht umgebracht! Aber er wusste sehr genau, dass ihm missgünstige Senatoren und Gesocks solche Gerüchte streuten! Es war also an ihm, alle Zweifel zu zerstreuen, wem diese Weissagung in die Hände spielte! "Die Götter sind mit uns! Mit ihrer Hilfe werden wir die Mörder unseres geliebten Kaisers vernichten!"

  • Mit derselben Aufmerksamkeit, mit der Macer das Gebet verfolgt hatte, verfolgte er auch das Gutachten der Seher, die das Opfertier untersuchten. Er kannte das Geschäft gut genug, um zu wissen, dass auch Priester Politiker sein konnten und gerade in einer solchen Situation wie nun, gab es mehrere spannede Möglichkeiten. Es konnte sein, dass die Seher gar nichts sagen wollten. Dann hätten sie wahrscheinlich irgendeinen Orakelspruch aus grauer Vorzeit zitiert oder zumindest auf ihn Bezug genommen. Das war hier offenbar nicht passiert, woraus Macer schloß, dass sie tatsächlich etwas zum Geschehen sagen wollten. Zumal sie mehr als deutlich nicht nur auf den Tod des Kaisers, sondern auch auf die Nachfolgerdebatte eingingen und dabei eine erstaunlich deutliche Prohezeiung abgaben. Macer war durchaus beeindruckt und hatte mit so klaren Worten nicht gerechnet. Blieb die Frage, wer sich die Dienste dieser Seher heute gesichert hatte - die Mörder, die noch einen geeigneten Gegenkandidaten brauchten, dem sie alles in die Schuhe schieben konnten, oder ein potentieller Nachfolger, der mit diesem Spruch schon einmal seinen eigenen Sieg über die Mörder vorbereiten wollte.


    Eines hatte der Spruch der Seher in jedem Fall bewirkt: Macer wusste jetzt, wie er sich selber in dieser Sache verhalten würde. Er wusste zwar noch nicht, wer die Kaisermörder waren und wen er als neuen Kaiser unterstützen sollte, aber er wusste nun, auf welche Regungen er achten sollte. Und es reizte ihn plötzlich wieder, eines Tages selber einmal ein Priesteramt zu übernehmen.

  • Wie zu erwarten gewesen war, nutzte der PU die Situation gleich einmal für sich. Sextus hatte es auch nicht anders erwartet und nahm es relativ gelassen hin. Auch die Reaktion des Publikums, die wohl als leicht verwirrt zu kategorisieren war, war nichts, was nicht in seinen Plan gepasst hätte. Alles lief im Grunde genau so, wie es sollte.
    Auch, als der Priester das Volk mit einem lauten “Missio“ entließ und damit das Ritual für beendet erklärte, war Sextus mehr als nur zufrieden mit sich. Er selbst schloss sich den übrigen Haruspices an, die sich in Richtung Tempelküche begaben, um dem Kochen und dem Verbrennen der Innereien des Schafes beizuwohnen, um aus dem Rauch noch gegebenenfalls weitere Zeichen abzulesen.


    Nun, das zumindest war der offizielle Grund, warum sich die Männer nun außerhalb der Sichtweite des Stadtpräfekten und der Priesterschaft der Concordia sowie des Volkes begaben. Von letzterem blieb noch ein guter Teil auch nach der Entlassung vor Ort und Stelle, um selbst einige Opfer an die Göttinnen zu bringen und damit ihren Willen zum Frieden demonstrierten, oder aber auf ein bisschen Fleisch des Opferschafes spekulierend.
    Inoffiziell kam rege Geschäftigkeit in einen Teil der Männer, sobald sie außer Sicht waren. Sextus war nicht der einzige Patrizier im Collegium, der nicht länger in Rom sein wollte. Und um seinen Plan durchzuführen war es das einfachste gewesen, eben jenen Teil der Männer einzuweihen, die ähnliche Ambitionen hegten wie er. So war die Last der Vorbereitungen geteilt und jetzt in diesem Moment keine Erklärungsnot vorhanden, als Sextus seine Kopfbedeckung abnahm und an einen Sklaven weiterreichte, den er schon am gestrigen Tag hierher geschickt hatte. Der Mann hatte in etwa seine Größe und Statur, weshalb Sextus ihn ausgewählt hatte. Auch sechs weitere Männer verfuhren ähnlich wie Sextus und schälten sich nach und nach aus ihren Amtstrachten. Eine einfache Tunika wiederum wurde an Sextus gereicht, ebenso wie ein dicker Wollmantel und ein einfacher Hut. Sogar seine Schuhe wurden gegen einfache Calcei getauscht, so dass er hinterher aussah wie ein – zugegebenermaßen gut gewaschener und gut genährter – Bauer.
    “Alles ist bereit?“ hakte Sextus noch einmal bei einem seiner Brüder nach, der mit einem nervösen Nicken antwortete. “Ja, Pferde stehen auch bereit. Danke, Aurelius.“
    Mit einem leichten und wohlplatzierten Lächeln nahm Sextus den Dank an und gab sich charmant. “Danke mir, wenn du in Pisae angekommen bist, Vetulonius. Und die Götter mit dir.“
    Fünfzehn Männer mit auffälligen Mützen und ledernen Überwürfen waren in Richtung Tempelküche gegangen. Fünfzehn Männer mit auffälligen Mützen und ledernen Überwürfen beobachteten, wie die inzwischen gekochten Innereien im Kohlenfeuer Verbrannten. Einige von ihnen unterhielten sich über die Form des Rauches und seine Farbe, während andere ruhig einfach dabei standen. Und Fünfzehn Männer mit auffälligen Mützen und ledernen Überwürfen würden sich auch dem Zug Richtung Stadt anschließen und erneut durch die Stadttore treten.


    Während sechs Männer sich im Getümmel der Massen heimlich, still und leise in verschiedene Richtungen absetze. Einige nach Nordosten, einige nach Nordwesten, einige direkt nach Norden.

  • Macer hatte zwar keinen Grund, auf einen Anteil am Opferfleisch zu spekulieren und auch keine eigenen Opfergaben mitgebracht, die er nun noch opfern wollte, aber trotzdem blieb er nach der Verkündung des Ergebnisses der Opferschau noch auf dem Platz. Er wollte sich einen Überblick verschaffen, welche Senatoren anwesend waren und welche nicht. Bei einigen hatte er inzwischen mehr oder weniger gesicherte Erkenntnisse über ihren Aufenthaltsort, andere schienen einfach von der Bildfläche verschwunden zu sein. Über die Gründe konnte er nur spekulieren, aber er nahm nicht an, das alle, die hier heute fehlten, bereits als potentielle Mörder verhaftet worden waren. Das wären dann doch etwas zu viele gewesen und man hätte mehr davon mitbekommen. Also blieben nur die Möglichkeiten, dass diejenigen, die heute fehlten, zu Hause saßen oder Rom verlassen hatten - weil sie etwas zu verbergen hatten oder weil sie feige waren. Beides keine tollen Optionen, wenn Macer sie mit einigen prominenten Namen in Verbindung brachte, die er hier vermisste.

  • Potitus blickte angesäuert drein. Er hasste Überraschungen wie diese, selbst wenn er gut reagiert hatte! Dementsprechend hatte er keine große Lust, sich jetzt persönlich mit diesem Priesterpack herumzuschlagen, sondern verschwand relativ bald wieder. Den Anteil am Opferfleisch würde ihm schon einer seiner Bediensteten mitbringen!

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