• Seiana nickte leicht. Ein Exempel statuieren, das klang logisch. „Nach allem was ich weiß, wurden doch einige festgesetzt, und keiner von ihnen wurde unter Hausarrest gestellt. Es wurden aber auch viele wieder freigelassen in der Zwischenzeit... vielleicht war das der Sinn: ein Warnschuss, der ernst genommen wird, und dafür im Nachhinein weniger, die vor Gericht gebracht und verurteilt werden.“ Wobei das letztlich wohl bei so einigen noch offen war, ob etwas kommen würde – bei ihr ja auch. Der Kaiser hatte ihr nur gesagt, er würde ihr Bescheid geben. „Und es war wohl einfacher so, alle miteinander zu bewachen, als jeden unter Hausarrest zu stellen der es wohl verdient hätte.“


    Die Reaktion ihres Onkels trug auch nicht wirklich dazu bei, Seiana positiver zu stimmen. Sie war nicht mehr so jung, so naiv zu glauben oder zu hoffen, dass alles wieder gut werden würde, nur weil er hier war und die Dinge in die Hand nehmen konnte – diese Zeit ihres Lebens war lange vorbei, in der sie noch so gedacht hatte. Dennoch traf es sie zu sehen, zu hören, dass auch Livianus wenig Hoffnung zu haben schien, dass seine Intervention etwas bringen würde. „Ich hoffe sehr, dass du etwas bewirken kannst.“ Sie seufzte lautlos und rieb sich kurz über die Stirn, bevor sie ihren Onkel wieder ansah, als der weiter sprach. Sie bemühte sich um ein Lächeln. „Ja... doch. Die erste Zeit war nicht einfach, als ich noch im Carcer selbst war...“ Sie verschwieg, was diese Zeit noch um so vieles schlimmer gemacht hatte, verschwieg, was Livianus nicht wusste und auch sonst keiner aus der Familie: die Schwangerschaft, die Geburt, und dieses unendlich tiefe, schwarze Loch, in das sie danach gefallen war. „Ich hatte die Casa Decima verlassen, noch während des Bürgerkriegs, und habe anderswo gelebt – nicht so sehr weil ich die Befürchtung hatte, ich könnte gefangen genommen werden, aber weil ich es für wahrscheinlich gehalten habe, unsere Casa könnte geplündert werden. Gefunden haben sie mich dann trotzdem“, erzählte sie stattdessen, verschwieg aber auch hier wieder die Details: welche Angst sie gehabt hatte vor den Soldaten... und dass sie gezwungen gewesen war sich die nackten Füße wund zu laufen auf dem Weg quer durch die Stadt zur Castra. „Irgendwann konnte ich mit Duccius Vala sprechen, der zu dem Zeitpunkt Tribun der VIII war, in deren Verantwortung die Castra lag. Er hat sich an die Verbundenheit unserer Gentes erinnert, an die Ehe von Onkel Magnus mit Duccia Venusia... er hat dafür gesorgt, dass ich besser untergebracht wurde.“

  • Natürlich war Livianus klar, dass eine Gefangenschaft nie einfach zu ertragen war. Er selbst hatte schließlich während und nach dem Krieg gegen die Parther lange Zeit in ihrer Gefangenschaft verbracht. Für eine Frau war noch viel schlimmer als für einen Mann. Die Gefängniswärter waren mitunter sehr grausam zu ihren Gefangenen und gerade für eine Frau, gab es schlimmeres Leid zu erfahren als plumpe zugefügte Schmerzen. Doch Livianus war auch klar, dass es wenig Sinn hatte näher darauf einzugehen oder gar nachzufragen. Hatte Seiana etwas zu erzählen, dann war es besser wenn es von ihr ausging. Alles in allem hatte der Decimer genug gehört um bereits nach diesem kurzen Gespräch zu begreifen, dass das Ende des Bürgerkriegs alles andere als Einfach für seine Familie hier in Rom gewesen war.


    "Es ist gut zu hören, dass unsere Familie doch noch Verbündete hat, die sich auch in schwierigen Zeiten unserer Freundschaft erinnern. Und abgesehen von Faustus. Gibt es sonst noch etwas, dass sofort meiner Aufmerksamkeit bedarf?"


    Nun wo Livianus wieder in Rom war, konnte er versuchen nach und nach gemeinsam mit Seiana und den anderen Decimern den Nachwehen der Belagerung entgegenzuwirken. Doch vielleicht waren auch noch andere Verwandte in Gefangenschaft oder Freunde und Verbündete die Hilfe brauchten.

  • Seiana nickte langsam. „Ich habe die Hoffnung, dass es mehr werden, wenn erst mal etwas Zeit vergangen ist.“ Sie seufzte und rieb sich über die Stirn. Das Problem war: die meisten Kontakte, die sie hatten, waren zu Familien, die in den vergangenen Jahren auch hier in Rom gewesen waren... die entsprechend Vescularius' Herrschaft zumindest toleriert und versucht hatten, das Beste daraus zu machen. Bei weitem nicht alle hatten unter dem Ausgang des Bürgerkriegs wirklich zu leiden, aber natürlich gehörte auch keiner von ihnen zu jenen, die jetzt großen Einfluss hätten.


    Auf Livianus' anschließende Frage hin schüttelte sie nach kurzem Überlegen den Kopf. „Nein... Varenus geht es so weit gut, er hat seine Anstellung in der Kanzlei behalten. Massa hat, so weit ich weiß, ebenfalls unbeschadet das Ende des Kriegs überstanden und ist weiterhin in Diensten der Classis. Messalina ist auch wohlauf, sich an den Vestalinnen zu vergreifen hat keiner gewagt. Aquila ist wohlbehalten hier in Rom angekommen und absolviert gerade ein Tirocinium fori bei Duccius Vala, und Dexter ist nach Ostia gegangen, um dort im Auftrag seines Vaters eine alte Handelsvereinigung wieder aufzubauen“, gab sie einen kurzen Überblick über die Lage der Verwandten. „Um die Casa müsste sich allerdings dringend gekümmert werden. Ich bin noch nicht allzu lange hier und hatte keine Gelegenheit bisher, mich wirklich damit auseinander zu setzen... aber ich denke, wir sollten eine grundlegende Renovierung ins Auge fassen.“

  • "Gut. Damit werde ich meinen Scriba beauftragen. Du wirst sehen, alles wird sich wieder dem Guten zuwenden. Ich glaube nicht, dass die Götter uns derart im Stich lassen werden."


    Livianus nickte seiner Nichte aufmunternd zu. Dann merkte er plötzlich, wie erschöpfend dieses Gespräch und vor allem die aufwühlenden Nachrichten für ihn waren. Der lange Anreiseweg und die schlaflosen Nächte auf See trugen ihren Teil dazu bei, dass der Decimer sich nach etwas Ruhe sehnte. Ob er in dieser Nacht besser schlafen konnte, als in den Nächten zuvor blieb zu bezweifeln nach all den Gedanken, die sich nun in seinem Kopf tummelten und ihn zu sprengen drohten. Doch zumindest brauchte er nun etwas Einsamkeit, um sie zu ordnen und seinen immer noch aufgewühlten Gemütszustand etwas zu beruhigen.


    "Wenn du mir nicht böse bist, dann werde ich mich nun zurückziehen. Die Reise war anstrengend und ich habe nun vieles, über das ich mir Gedanken machen muss. Es ist wohl besser wenn wir morgen beim Frühstück weiterreden."

  • „Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich mich gerne darum kümmern“, erwiderte Seiana, als Livianus davon sprach, seinen Scriba zu beauftragen. Wenn sie eines gemerkt hatte die letzten Tage, dann dass sie etwas zu tun brauchte, und die Renovierung der Casa Decima war etwas, was sie eine ganze Zeit lang würde beschäftigen können. Anschließend bemühte sie sich dann um ein Lächeln. „Keineswegs. Es ist nur verständlich, dass du etwas Ruhe brauchst. Ich wünsche dir eine gute Nacht“, verabschiedete sie sich.

  • Archytas, der vom Ianitor in das Atrium geführt worden war, musste nicht lange warten, da trat auch schon Livianus durch eine der Türen ein und kam lächelnd auf den unerwarteten Gast zu.


    "Archytas! Du konntest dich also doch noch von deinen Büchern losreißen und nach Rom kommen. Fast hätte ich nicht mehr damit gerechnet. Es ist viel Zeit vergangen, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben."


    Bei seinem Gast angekommen reichte ihm der Decimer beide Hände zu einem freundschaftlichen Gruß.


    "Wie ist es dir in der Zwischenzeit ergangen?"

  • Als Archytas in das wundervolle Atrium kam, blickte er voller Bewunderung in jede Richtung des Hauses. Er bedauerte es fast, wenn er seinen Blick von einem Punkt zum nächsten wenden musste, doch es wird sicher noch genug Möglichkeiten geben, die Casa in Ruhe zu betrachten. Eines muss man den Römern ja lassen: Sie wissen ihr Vermögen nach außen darzustellen, um geschmackvoll und in Würde zu leben.


    Eine ihm bekannte Stimme hatte ihn aus seiner Bewunderung geweckt und er zuckte beinahe zusammen. Doch diesen Umstand bedauerte er keineswegs, denn es war sein guter Freund Livianus, der ihn zu Recht in seinem Staunen unterbrach und ihn herzlich begrüßte.


    "Mein lieber Livianus! Ja, ich hätte früher drauf kommen sollen! Ein paar Sklaven sind noch auf dem Weg von Tarentum hierher, denn sie bringen meine Bücher, zumindest die wichtigsten - was dennoch recht viel ist, wie ich bei der Auswahl bemerkt habe - einfach nach Rom. So brauche ich mich gar nicht erst von ihnen losreißen. Du weißt ja, dass ich eigentlich nie ohne ein gutes Pergament zu reisen pflege, aber dass es nun doch so viel wird, das hätte ich auch nicht gedacht."


    Archytas lachte lauf auf! Es war wirklich einiges noch auf dem Weg nach Rom. Dass die Sklaven mit ihrem Transport ebenfalls die Casa Decima Mercator zum Ziel hatten, das wusste Livianus allerdings noch nicht.


    "Doch Livianus, mein Bester! Die Dichter lehren uns vieles. So schreibt Homer beispielsweise, wie wir alle wissen:


    An der Hand nehmend führte er uns herein und ließ uns sitzen
    und setzte uns eine gute Bewirtung vor, wie es für Gäste Brauch ist.


    Du bist ein gebildeter Mann, lieber Livianus, und so hoffe ich, dass ich trotz fehlender Ankündigung in deiner prächtigen Casa ebenso gut aufgehoben bin, wie es Nestor im Hause des Peleus gewesen war."

  • Livianus hatte den Peregrinus während der Zeit seines freiwilligen Exils in Hispania kennengelernt. Archytas war ein Gelehrter, den es auf einer ausgedehnten Studienreise in die westlichen Provinzen des römischen Reiches verschlagen hatte. Da der Decimer vom schier endlos zu scheinenden Wissen und der freundlichen Art des Mannes sehr angetan war, hatte er Archytas auch kurzerhand für einige Monate auf seinem Landsitz beherbergt. Bei ihrem Abschied, als Livianus nach Rom abgereist und Archytas sich wieder auf den Weg in seine Heimatstadt Tarentum gemacht hatte, gab Livianus das Versprechen ab, dass der Peregrinus in der Casa Decima immer willkommen war und sprach ihm das Gastrecht aus. Auf dieses Versprechen zielte die letzte wortgewandte Bemerkung Archytas nun wohl ab.


    "Das bist du mein Freund…." lächelte Livianus "… und ein willkommener Gast. Du wirst auch immer einen Platz in jedem unserer Häuser finden. Das Tesserae hospitales hast du doch noch, dass ich dir in Hispania gegeben habe?"

  • In weiser Voraussicht hatte Archytas die tessera, welche man in seiner Sprache symbolon nannte, nicht mit dem nachträglichen Transportzug mitgeschickt, sondern es gleich in seinem Handgepäck verstaut. Dies war ja auch kaum ein Problem, da sie weder groß noch schwer war. Er kramte ein wenig in seiner Kleidung und holte ein kleines dünnes Täfelchen aus seiner Tasche.


    "Wie könnte ich sie nicht mehr haben! Ganz gewiss habe ich sie noch!", sagte Archytas voller Freude.


    Darauf zeigte er Livianus die tessera.

  • "Sehr gut."


    Nicht das Livianus geglaubt hatte Archytas hätte das Zeichen des decimianischen Gastrechts verloren oder verlegt. Doch es war gut zu sehen, dass er es bei sich trug. Zum einen war es Tür- und Toröffner zu allen Häusern der Gens Decima, denn jedes Familienmitglied hatte die Pflicht den Besitzer einer solchen Tessera unter sein Dach aufzunehmen, und zum anderen war es bei manchen Gelegenheiten bestimmt nicht das Schlechteste, einen Nachweis bei sich zu tragen der jedem zeigte, dass man den amtierenden Consul seinen Freund nennen konnte. Wobei gerade das letzte eine Tatsache war, von der Archytas noch nichts wusste. Doch alles der Reihe nach.


    "Meine Sklaven werden dir sofort ein Zimmer vorbereiten."


    Er sah sich zu einem der Haussklaven um, der mitgehört hatte und sofort verstand, was sein Herr von ihm erwartete. Während sich der Sklave sofort an die Arbeit machte, wandte sich Livianus wieder seinem Gast zu.


    "Ich hoffe deine Reise nach Rom war nicht all zu beschwerlich. Das Wetter zu dieser Jahreszeit kann mitunter unangenehm sein."

  • Archytas war sehr über die Gastfreundschaft des Livianus erfreut. Es war ihm nun umso gewisser, dass Livianus in der Tat ein Mann von Wort war, denn alles, was er dem Archytas in Hispania damals versprochen hatte, würde sich nun erfüllen. Daran hatte Archytas keinen Zweifel.


    "Die Reise war etwas holperig, doch letztlich ohne große Probleme. Ich bin froh, dass ich nicht den Seeweg nehmen musste."


    Bei diesem Gedanken war Archytas doppelt mulmig geworden. Einerseits konnte man ihn noch nie sehr für die Seefahrt begeistert, auch wenn er bisweilen nur zu Schiff zum Beispiel nach Ägypten gelangen konnte. Andererseits dachte er an den Transport seines privaten Hab und Guts, das auf Grund der Menge besser zu Schiff den Weg nach Ostia finden sollte. Dem kleinen Umweg ist die verzögerte Ankunft seines Besitzes geschuldet. Hoffentlich würde das Schiff nicht in einen Sturm geraten oder sonstigen Gefahren ausgesetzt sein.

  • "Das kann ich verstehen. Auch ich bin kein Freund von Seereisen wie du weißt."


    Natürlich war auch nachher noch ausreichend Zeit um ein wenig zu plaudern. Doch um seinem Gast die Zeit zu vertreiben, bis die Sklaven das Cubiculum für ihn vorbereit hatten, deutete Livianus auf eine Sitzgelegenheit und begann ein Gespräch.


    "Möchtest du dich ein wenig setzen, während die Skalven das Zimmer vorbereiten? Es wird bestimmt nicht lange dauern. In der Zwischenzeit berichte mir doch, wie es dir ergangen ist, seit sich unsere Wege in Hispania getrennt haben?"

  • "Das Sitzen kommt mir gerade recht. Der Weg an der Westseite des Caelius Mons hat nicht nur meinen Schuhen, sondern auch meinen Füßen zugesetzt."


    Sie gingen beide auf die nett hergerichtete Sitzgelegenheit zu und machten es sich etwas bequem.


    "Außerdem müssen sich sowohl die Sklaven bei ihrer Vorbereitung nicht beeilen und auch wir haben Zeit für ein gutes Gespräch, da mein ganzes Hab und Gut noch auf dem Weg nach Rom ist. Es wird sicher frühestens morgen Abend ankommen, sodass wir gewiss noch die ganze Nacht erzählen können", sagte Archytas und lachte wieder laut auf, dass seine Stimme durch das Atrium drang.


    Archytas liebte jede Art des Gesprächs, jede Art der Unterhaltung, jede Art der Diskussion. Er war es gewohnt, dass der jeweilige Gesprächspartner irgendwann die Unterhaltung abbrechen würde, da Archytas selbst in seinem Redefluss oft die Zeit um sich vergaß. Eine solche Unterbrechung empfand er allerdings keineswegs als unhöflich. Einer muss die Zeit ja im Blick haben, wenn nicht er. Das hat ihn nämlich schon die ein oder andere Verspätung gekostet.


    "Nach unserem Abschied voneinander bin ich jedenfalls über den Seeweg zunächst nach Syracusae gekommen, wo ich einen sikelischen Greisen, einen alten Freund meines Vaters, besuchte, der mir ein wahrlich kostbares Geschenk bereitete: einige Notizen des Archimedes selbst über die Kugel."


    Es war ihm bewusst, dass sich ein Römer, selbst ein so interessierter und gebildeter wie Livianus einer war, wohl kaum so sehr über ein derartiges Geschenk freuen würde, wie Archytas es tat. Seine Begeisterung darüber war unverkennbar.


    "Ich hielt mich schließlich noch einige Zeit in Sicilia auf, doch eine Nachricht über eine plötzliche Erkrankung meines Vaters Polyainos drängte mich zum raschen Aufbruch nach Hause, wo ich meinen Vater in den letzten Stunden seines Lebens begleitete."


    Die Stimmung kippte unglaublich plötzlich. Eben noch war die Euphorie kaum auszuhalten, da erfasste schon ein sehr ernster Tonfall die Stimme des Archytas. Doch er hätte nichts daran ändern können. Selbst die besten Ärzte, die sich die Familie hat leisten können, waren nicht in der Lage, das Leben des Polyainos zu retten. Doch es beruhigte ihn irgendwo, zu wissen, dass die Seele seines Vaters nur den Körper verlassen hat und sich bald einen neuen Körper auf der Erde suchen würde.

  • Es war nicht so, dass Livianus die Gesellschaft des Peregrinus nicht immer genossen hatte, doch er hoffte, dass das heutige Gespräch nicht die ganze Nacht dauern würde, so wie einige, die sie in Hispania geführt hatten. Die Tage als Consul waren oft lange und arbeitsreicht und verlangten dem in die Jahre gekommenen Decimer doch einiges ab. Doch es tat gut die mittlerweile vertraut gewordene Stimme und das unverkennbare Lachen des Griechen wieder durch die Räume hallen zu hören. Während Archytas von seiner Reise nach Syracusae berichtete, musste er kurz an die vielen Stunden zurückdenken, die sie bereits im Gespräch verbracht hatten. Doch als sich plötzlich der Gefühlszustand seines Gastes mit einem Schlag änderte, wurde Livianus wieder hellhörig.


    "Es tut mir leid das zu hören mein Freund. Mein herzliches Beileid. Ich hoffe dein Vater konnte seine letzten Stunden ruhig und frei von Schmerzen verbringen. Bestimmt hat er sich gefreut, dich noch einmal sehen zu können, bevor er in das Elysium übergegangen ist."


    Livianus legte dabei freundschaftlich seine Hand auf Archytas Schulter, als Zeichen seiner Anteilnahme und Verbundenheit.

  • Archytas war durch die Schule der Pythagoreer, die in Tarentum und generell in ganz Unteritalien fast schon eine gewisse Tradition aufwies, stark geprägt worden. Die Existenz einer Insel der Seeligen, die manche das Elysion nannten, hielt er für falsch.


    "Was die Unsterblichkeit der Seele betrifft und was mit ihr nach dem Tod passiert, darüber haben wir schon damals in Hispania viel und auch gut geredet. Seit unserem damaligen Abschied hat mich allerdings immer noch nichts von einem Elysion überzeugen können. Doch ich danke dir für deine Anteilnahme."


    Das Stimmungstief erwies sich als kurzzeitig, denn schon hatte sich in Archytas eine große Lust geregt, sich intensiv Gedanken über die Beschaffenheit der menschlichen Seele zu machen, um darüber mit Livianus zu diskutieren. Nur zu gern hätte Archytas an dem Punkt anknüpfen wollen, an dem sie damals in Hispania gezwungenermaßen aufhören mussten, doch Livianus schien heute etwas gehetzt.


    "Doch genug davon für heute. Mein Leben kann kaum so vielen Einflüssen und Veränderungen unterliegen, wie es deinem hier in Rom zu widerfahren scheint. Was man heute in Rom redet, ist morgen schon längst überholt. Drum erzähle mir: Wie ist es dir hier in Rom nach dem Bürgerkrieg ergangen?"

  • Natürlich wusste Livianus nur zu gut, dass Archytas nicht an das Elysium glaubte, doch war er, anders als die meisten Römer der Einstellung, dass man jedem seinen Glauben lassen sollte. Und so würde auch er sich nicht verbiegen, um es seinem Freund Recht zu machen und von Seelenwanderung zu sprechen, die er sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte. Wichtig war letzten Endes nur, dass jeder für sich einen Weg fand, um die Trauer über den Tod eines so nahen Verwandten zu bewältigen. Da Archytas das Thema wechselte, ließ der Decimer es ebenfalls dabei bewenden. Die Frage, die er gestellt bekam, war doch nicht weniger anspruchsvoll, als eine Diskussion über das Leben nach dem Tod. Livianus seufzte und erneut sah man ihm an, wie sehr er in den letzten Tagen mit sich und der Welt gehadert haben musste.


    "Nun, ich weiß gar nicht wo ich da beginnen soll. Es ist wahrlich viel passiert mein Freund. Zu viel, wie mir in den letzten Tagen scheint."


    Und so begann Livianus dem Griechen alles zu erzählen. Von seiner Rückkehr nach Rom und der Freilassung seines bis dahin gefangengehaltenen Sohnes, seiner Kandidatur für das Consulat und den Vorwürfen, denen er sich dabei aussetzen musste, von seinem Wahlsieg und seiner Audienz bei Palma, bis hin zum Bruch mit Serapio, wobei er die Details über das Gespräch mit Serapio und die Mordanschuldigungen gegen den Kaiser und einige hochstehende Persönlichkeiten des Reiches sicherheitshalber ausließ. Als er mit seinen Erzählungen endete, sah er bedrückt zu Boden. Er wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, doch Archytas saß immer noch da und hörte aufmerksam zu.


    "Manchmal habe ich das Gefühl, das Ganze wächst mir über den Kopf. Einerseits bin ich am Höhepunkt meiner politischen Karriere angelangt und sollte mich glücklich und stolz fühlen, nun Consul des römischen Reiches zu sein. Andererseits stehe ich vor dem Scherbenhaufen meiner Familie, habe meinen Sohn verloren und muss mich mit einem kriegs- und entscheidungsmüden Senat herumschlagen. Mir scheint die Götter stellen mich einmal mehr auf die Probe."

  • Gespannt hörte Archytas die ausführlichen Erzählungen des Livianus. Auch wenn er zu den vielen Namen nicht immer ein Gesicht vor Augen hatte, versuchte er die komplexe Situation so gut es nur ging nachzuvollziehen. Gelegentlich kamen ein paar kürzere Nachfragen, die Livianus ihm beantwortete.


    "Mein Bester! Ich bin mehr als glücklich, dass Roma nun dich als consul hat. Kommt schließlich nicht dieser Amtstitel von consulere, was nicht nur ein "Beraten", sondern auch ein "Sich-Kümmern" ausdrückt? consul qui ciuibus quoque consulat - Ein Konsul ist, wer sich auch um die Bürger kümmert. Und so kann sich auch das römische Volk glücklich schätzen, dass sie jemanden wie dich als consul haben, der sich aufrichtig und mühevoll um sie sorgen wird."


    Archytas gratulierte Livianus voller Freude zu dessen Amtsantritt. Nun wurde ihm klar, dass er in der Tat im Hause des amtierenden consuls wohnte und ebendiesen seinen Freund nennen durfte. Nachdem Livianus in seinen Erzählungen fortgefahren war, versuchte Archytas ihm Mut zu machen.


    "Und diese Probe wirst du aufs Beste bestehen. Du wirst sicher während deiner Amtszeit wenig Muße haben, doch wenn ich dir mit Philosophie, Rhetorik oder Mathematik ein wenig die Knoten aus dem Kopf lösen kann, so stehe ich dir immer in beratender und unterstützender Funktion zur Seite."

  • "Ich danke dir für dein Angebot und nehme es natürlich mit Freuden an. Alleine durch deine Anwesenheit kann ich mir einem neuen Ruhepol innerhalb dieser Mauern und einer großen Stütze in meiner Arbeit sicher sein."


    Im nächsten Moment betrat ein Sklave das Atrium und gab Livianus zu verstehen, dass das Zimmer für den Gast endlich bereit war. Livianus nickte dankend und wandte sich wieder an Archytas.


    "Was hältst du davon, wenn du erst einmal dein Zimmer beziehst, dich ein wenig von deiner Reise erholst und wir uns danach noch einmal treffen. Ich habe jetzt noch einen kurzen Termin mit einem Senator und möchte dir danach endlich meine Nichte vorstellen und dir unsere Hausbibliothek zeigen, von der ich dir in Hispania so viel erzählt habe. Ich werde dir Bescheid geben lassen, wenn der Senator wieder gegangen ist. Der Sklave wird dir in der Zwischenzeit dein Zimmer zeigen."

  • "Das klingt sehr gut. So machen wir es. Wenn du mich nicht in meinem Zimmer finden solltest, habe ich sicher schon auf eigene Faust die Hausbibliothek gefunden."


    Archytas verabschiedete sich von seinem Freund und folgte dem Sklaven, der ihm sein Zimmer zeigen sollte. Einem anderen Sklaven drückte er ein paar Kleinigkeiten zum Tragen in die Hände. Sie verließen das Atrium.

  • Der Ianitor ließ sich nicht lange bitten und lud den jungen Flavus mit freundlicher Geste in das Innere der Casa, ehe er selbst davonging um seinen Herrn - den Consular - über seine Ankunft zu unterrichten. Das Atrium des städtischen Decimii-Anwesens ließ nichts zu wünschen übrig. Einrichtung und Schnitt zeugten davon, dass einige Mitglieder der Gens und Bewohner dieses Domizils über genug Sesterzen verfügten um angemessen und prunkvoll leben zu können. Statuae und Büsten, Mosaike, Pflanzen und Bänke zogen seine Blicke auf sich. Wenn es nach ihm ginge, würde dieser Ort sein neues Zuhause werden. Er befand es für besser sich gleich an diese Umgebung zu gewöhnen und sich mit so vielem wie möglich vertraut zu machen.


    Während er wartete, dass einer seiner Verwandten auftauchte, und eine Büste nach der anderen Abschritt, ließ er sich von einem der anderen herumwuselnden Sklaven etwas Wasser bringen. Seine Kehle war nach dem Fußmarsch durch die Stadt etwas trocken und kratzig, sodass das kühle Nass zu einer wohltuenden Erfrischung wurde.

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