Decimus Livianus

  • "Nein!"


    Immer noch fassungslos über diese Nachricht starrte Livianus einen Moment lang aus dem Fenster, ehe er sich wieder Serapio zuwandte.


    "Sie war ehrlich gestanden noch nicht lange genug meine Angestellte, um sie wirklich gut zu kennen. Ansonsten hat sie eigentlich immer einen sehr anständigen und aufrichtigen Eindruck gemacht."


    Erneutes kurzes betroffenes Schweigen breitete sich im Raum aus.


    "Das arme Mädchen."

  • Ich biss mir auf die Lippen, und nickte, und schwieg. Draussen fiel endlos der Regen, troff in schmutziggrauen Wassersträhnen vom Dach des Hauses. Meine Rüstung knirschte, als ich das Gewicht von einem Bein auf das andere verlagerte.
    "Es ist nur...", meinte ich dann schließlich zögerlich, "dass der Tote recht, ähm, zielsicher erstochen wurde. Meint jedenfalls unser Capsarius. Es scheint, dass Alaina ihren Dolch durchaus zu benutzen wusste. Und ihre Anwesenheit in dieser verrufenen Gegend, bei nächtlicher Stunde, ist ja auch etwas, ähm, verwunderlich. Ich will damit wirklich nichts schlechtes über sie sagen..." - Was auch unklug wäre, solange sie noch nicht einmal bestattet war! - "...aber es wirft eben Fragen auf."
    Die Livianus wohl genausowenig beantworten konnte wie ich.


    "Sie war ja noch nicht sehr lange in Rom. Mir kam der Gedanke – der ist vielleicht abwegig, aber ich frage mich trotzdem, ob es sich möglicherweise gegen dich richten könnte. Falls sie nicht einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort war."
    Ein der häufigsten Todesursachen, wie es mir schien. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken, als ich mich an die Kerle erinnerte, die mich nachts in Trans Tiberim überfallen hatten. In jener Nacht hatte ich wirklich verdammt viel Glück gehabt. Mehr als Alaina.

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  • "Hmmm….. ich kann mir das gar nicht vorstellen. Sie hat mir gegenüber immer wie eine anständige junge Frau gewirkt."


    Livianus dachte über die ganze Situation nach und wie er seinem Adoptivsohn helfen konnte. Auch ihm selbst war sehr daran gelegen diese schreckliche Tat an seiner Angestellten aufzuklären. Das es ihm selbst betreffen konnte schlug er absolut aus.


    "Mich betrifft es mit Sicherheit nicht. Ich wüsste nicht wer etwas davon hätte meine Scriba zu ermorden. Ich habe sie bisher nur mit alltäglichen Dingen betraut und nach so kurzer Zeit kann niemand davon ausgehen, dass ich ihr bereits großes Vertrauen geschenkt habe."


    Im gleichen Augenblick viel Livianus wieder das Vorstellungsgespräch ein, dass er mit Alaina geführt hatte.


    "Sie hat mir erzählt, dass sie früher für Flavius Furianus gearbeitet hat. Es ist vermutlich ebenso unwahrscheinlich, aber vielleicht kann er dir irgendwie weiterhelfen."

  • Alaina schien eine Frau mit Geheimnissen gewesen zu sein. Aber wer in dieser dreckigen Stadt war schon was er schien... Ich blickte meinen Adoptivvater an. Es gab sicherlich sehr vieles, was ich nicht über ihn wusste. Und es gab vieles, was er nicht über mich wusste. Vor mir sah ich den Regen, wie er sich in den Strassengräben sammelte, gurgelnd in die Keller hineinlief, jede Ritze war erfüllt von schlammigem Wasser, und der aufgewühlte Schmutz, er trieb hoch, quoll auf, verbreitete sich, eine trübe Brühe floss durch die Gassen, und nach dem Regen würde alles überzogen sein von einer schmierigen Dreckschicht. Konnte man überhaupt jemals von jemandem sagen, dass man ihn kannte...
    Livianus schloss aus, dass der Mord irgendwie mit ihm zu tun hätte, und so entschied ich, diesen Gedanken erst mal beiseite zu lassen.
    "Der Senator Flavius Furianus?" Ich hatte mir doch geschworen, nie wieder einen Fuß in deren verdammte Villa zu setzen... "Dann werde ich dem wohl mal nachgehen...", meinte ich zögernd. "Danke. Ich hoffe wir finden diesen Würger." Aber ich glaubte nicht daran.
    "Ich werde dann gleich einen Sklaven zu dem Libitinarius, der ihren Leichnam mitgenommen hat, schicken, mit Geld für die Bestattung." Sie sollte ja nicht in den Gruben landen.



    Da ich in der Castra wohnte, bekam ich Livianus nur selten zu Gesicht. Zumal er immer so bedeutend und beschäftigt und damit natürlich ständig unterwegs war. Das war eine Konstante, die ich seit meiner Kindheit mit ihm verband. Und das war der Grund warum ich jetzt, obwohl es ein unpassender Moment war, ein anderes Thema anschnitt. Bisher hatte ich nichts dazu gesagt, weil ich meine Schwester nicht verpetzen wollte, aber mittlerweile betraf es nicht mehr nur Seiana.
    "Ähm... es gibt da etwas ganz anderes, was ich dir noch erzählen wollte... da ich schon mal hier bin. Du hast ja sicher gehört, dass meine Schwester sich mit einem Aelier verlobt hat. Schön, ich weiß dass es - auch wenn er ausser seinem Namen nichts vorzuweisen hat - von Vorteil ist, Bande zu dieser Gens zu haben, aber... der Mann ist ein ungehobelter Trottel. Er war wohl früher mal wegen Seiana bei Meridius, der ihn damals weggeschickt hat, was kein Wunder ist, so nassforsch wie der Kerl auftritt. Und jetzt hat er es gar nicht mehr für nötig gehalten, hier bei uns um Seianas Hand anzuhalten, oder sich überhaupt mal vorzustellen! Er missachtet unsere Familie in der Sache vollkommen! Und als ich dann deswegen eine, ähm, kleine Auseinandersetzung mit ihm hatte, sagte er dazu nur:" – hier setzte ich eine blasierte Miene auf, und blickte dünkelhaft von oben herab, als ich zitierte – " Ein Aelier bettelt nicht."

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  • Serapio wechselte das Thema, was an der allgemeinen Stimmung des Senators nicht sonderlich viel verbesserte. Auch ihm lag diese Heirat im Magen. Nicht nur, da er erst vor kurzem selbst von Quarto darüber erfahren hatte, sondern da auch ehr die Vorstellung mit Serapio teilte, wie eine solche Verlobung angegangen werden sollte. Er seufzte daher laut und lehnte sich zurück.


    "Ein Aelier sollte allerdings das Wort Demut und Respekt kennen. Leider habe ich es auch erst vor kurzem eher zufällig von Aelius Quarto erfahren. Auch ich bin nicht besonders glücklich über den Weg, den dieser Archias und deine Schwester gewählt haben. Auch ich hätte es vorgezogen, wenn man mit mir gesprochen hätte."


    Er überlegte kurz, ehe er resignierend weiter sprach.


    "Natürlich ist Seiana vollkommen unabhängig und frei bei der Wahl ihres Mannes, allerdings ist es seit jeher Brauch auch die Familien mit einzubeziehen in solch große Entscheidungen. Es hat mich sehr enttäuscht, dass sie nicht bei mir war. Weder davor, noch danach. Doch uns sind wohl die Hände gebunden Faustus."

  • Nachdem sie sich einigermaßen in Rom wieder eingelebt hatte, ihre Sachen eingeräumt, ihre Unterlagen verstaut, die Handelsbeziehungen ihrer Betriebe geklärt – immerhin, die Töpferei war hier in Rom ansässig, den hatte sie hier gekauft, der Buchladen allerdings war in Alexandria, hier musste sie noch eine endgültige Entscheidung treffen – und alles sonst getan hatte, was mit einem größeren Umzug über eine größere Entfernung eben so zu tun war, konnte Seiana nicht mehr länger aufschieben, was eigentlich schon einen Tag nach ihrer Ankunft angestanden hätte: der Anstandsbesuch beim Hausherrn. Sie hatte der Familie einen Brief geschrieben, dass sie ankam, und Faustus noch einmal separat – und dieser hatte sie ja noch am Tag ihrer Ankunft besucht. Aber nachdem eben jener Besuch gleich in einem Fiasko geendet hatte, hatte sie sich ziemlich zurückgezogen und sich auf ihre Arbeit und das Einrichten gestürzt – und zugleich hatte sich auch niemand weiter aus der Familie bei ihr gemeldet. Aber sie mochte es ohnehin nicht, wenn ein großes Aufhebens um sie gemacht wurde, vielleicht war das mit einer der Gründe, warum sie einen derartigen Horror zu entwickeln begann vor der Hochzeit… in jedem Fall war sie fast froh gewesen, dass sie wenigstens die erste Zeit hier ihre Ruhe gehabt hatte, Ruhe, um sich wieder einzuleben und die geänderten Verhältnisse zu gewöhnen.


    Dennoch war ihr auch bewusst gewesen, dass sie diesen Zustand so nicht lassen konnte, und so war sie an diesem Tag unterwegs Livianus. Nichtsahnend, dass Faustus gerade bei ihrem Onkel war, klopfte sie an die Tür an.

  • Noch ehe Serapio antworten konnte, klopfte es an der Türe. Es war nicht das typische zaghafte Klopfen eines Sklaven und daher ersparte sich Livianus ein lautes Raunen um nicht unnötig gestört zu werden. Doch wer konnte es sonst sein?


    "Einen Augenblick."


    Einhalt gebietend hob er die Hand und richtete seine Aufmerksamkeit auf die Türe.


    "Herein!"

  • Nachdem die Aufforderung zum Hereinkommen erklungen war, öffnete Seiana die Tür und betrat den Raum – und hielt kurz ein wenig verblüfft inne, als sie Faustus sah. „Oh.“ Sie lächelte beiden zu. „Salvete, ihr beiden. Entschuldigt, wenn ich störe – ich wollte mit dir reden, Onkel Livianus, aber ich kann auch später wieder kommen, wenn es besser passt.“

  • Zuerst einmal bestärkten mich Livianus' Worte. In letzter Zeit war ich mir mit meinen Ansichten wie auf verlorenem Posten vorgekommen, ein einsamer Standartenträger in einem Meer pseudo-fortschrittlicher Beliebigkeit. Es war gut, dass Livianus die Sache auch so ähnlich sah, aber nicht gut, dass er enttäuscht von Seiana war. Seiana konnte ja (fast) nichts dafür, es war natürlich dieser Aelier der Schuld war, er allein war die Wurzel allen Übels. Bevor ich aber den Mund aufmachen konnte, um meine Schwester in Schutz zu nehmen, klopfte es an der Türe, also beherrschte ich mich, auch wenn es mir auf der Zunge brannte. Und wer stand in der Türe? Ausgerechnet Seiana.
    Mit einem Mal fühlte ich mich wie ein Verräter. Ich grüßte betont unbefangen, sah sie aber kaum an, als sie eintrat.

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  • Auch Livianus schien einen Moment lang mit der Situation überfordert zu sein, dass Seiana, von der sie gerade noch gesprochen hatten, nun plötzlich in der Türe stand. Wieder einmal ein Beweis dafür, dass Frauen ein seltsames Gespür für solche Momente hatten. Als er seine kurze Irritation wieder abgelegt hatte, rang sich der Senator ein Lächeln ab.


    "Salve. Wenn es dich nicht stört das auch Faustus anwesend ist, dann kannst du gerne offen sprechen Seiana. Ansonsten lasse ich dich später rufen."

  • „Nein.“ Irrte sie sich, oder war die Stimmung… irgendwie… merkwürdig? „Nein, dass Faustus da ist, stört mich nicht.“ Im Gegenteil war es wohl eher von Vorteil, wenn er dabei war, immerhin war er ihr Bruder. Die beiden schien sie auch nicht bei einem wichtigen Gespräch gestört zu haben, jedenfalls sagte keiner etwas davon – auch wenn Seiana zunehmend das Gefühl bekam, als hätte sie das. Sie lächelte, ein wenig verhalten, betrat den Raum und zog die Tür hinter sich zu, dann deutete sie auf einen der Sessel. „Darf ich?“


    Auch nachdem sie sich gesetzt hatte, schien die seltsame Stimmung nicht zu verfliegen, und Seiana konnte sich eines unguten Gefühls in der Magengegend nicht ganz erwehren. Allerdings verdrängte sie das. „Verzeih mir, dass ich bisher noch keine Gelegenheit gefunden habe, mit dir zu reden, seit ich aus Alexandria wieder gekommen bin. Es war einiges los mit dem Umzug und meinen Betrieben.“ Sie warf Faustus einen raschen Seitenblick zu und räusperte sich kurz. „Ich wollte dich allerdings nicht einfach nur kurz begrüßen, sondern mit dir über meine Verlobung reden. Ich…“ Wieder ein Blick zu Faustus. Wie er darüber dachte, wusste sie nur allzu genau. Und vermutlich war es gut so, dass er dabei war und seine Bedenken gleich äußern konnte. Allerdings gefiel Seiana der Gedanke wenig, sich alles noch mal anhören zu müssen – und diesmal nichts sagen zu können, denn vor ihrem Onkel würde sie sich ganz sicher nicht derart gehen lassen. „…habe dir ja aus Alexandria noch einen Brief geschickt. Vielleicht hatte auch Meridius noch Gelegenheit, mit dir darüber zu sprechen, bevor er sich nach Tarraco zurückgezogen hat, das weiß ich nicht. In jedem Fall wollte ich es dir noch einmal persönlich sagen, und…“ Zum ersten Mal geriet Seiana ins Stocken. Sie wollte nicht um Erlaubnis bitten, sie musste nicht um Erlaubnis bitten, und sie wollte auch nicht so wirken, als ob sie es täte. Andererseits wusste sie, dass gerade in ihrem Fall einiges ungünstig gelaufen war. Livianus’ langes Verschollensein in Parthia, Meridius’ plötzlicher Rückzug nach Tarraco, der mit Livianus’ Rückkehr nach Rom zusammen gefallen war, und ihr eigener langer Aufenthalt in Alexandria, fernab ihrer Familie, ihrer männlicher Verwandten – fernab letztlich jeglicher Absprachemöglichkeiten. „… nun… mit dir darüber reden.“

  • Livianus nickte als seine junge Nichte ihn fragte, ob sie sich setzen durfte und wandte sich ihr aufmerksam zu. Der erste Teil des kurzen Monologs kam nicht ganz unerwartet. Auch der Senator hatte bisher kaum Zeit gefunden sich mehr um die Familie zu kümmern. Das er nun jedoch zum zweiten Mal von einer jungen Frau hörte, dass sie eigene Betriebe führte, ließ ihm kurz stutzen. Anscheinend war es gerade in Mode als Frau eigene Betriebe zu haben. Vermutlich wollten junge Frauen damit ihre Unabhängigkeit zeigen. Doch diese Gedankengänge wurden rasch unterbrochen als das Wort Verlobung viel. Livianus Popillen erweiterten sich und man hatte das Gefühl, als baue sich eine unglaubliche Anspannung zwischen allen Beteiligten auf. Ein Brief? Nein, von einem Brief wusste er nichts und auch Meridius hatte er vor dessen Abreise nicht mehr gesehen. Das alles war doch nicht etwa nur ein riesengroßes Missverständnis?


    "Tut mir leid Seiana, aber ich habe keinen Brief von dir erhalten und auch Meridius habe ich seit meiner Rückkehr nach Rom nicht mehr gesehen."


    Sollte er nun so tun als ob er nichts davon wusste oder war es besser mit offenen Karten zu spielen? Er entschied sich für letzteres.


    "Ja die Verlobung. Ich habe bereits über Umwege davon erfahren. Der Consular und Verwandte deines Verlobten Aelius Quarto sprach mich vor kurzem darauf an. Nun ja."


    Ein Seufzer folgte.


    "Ich muss gestehen, dass es mich doch sehr enttäuscht hat über diesen Umweg von deiner Verlobung zu erfahren. Noch dazu mehr aus Zufall als wirklich gewollt.


    Natürlich freut es mich, dass du jemanden gefunden hast den du liebst und der auch dich liebt. Und natürlich war ich noch erfreuter zu hören, welcher Familie dein Verlobter angehört, obwohl es sich nicht um eine beabsichtigte politische Ehe handelt…. doch gewisse Traditionen sollten dennoch bei all den Gefühlen gewahrt bleiben."


    Livianus sah kurz zu Serapio, ehe er mit Seiana ruhig und sachlich weiter sprach oder vielmehr predigte.


    "Wir Decimer haben uns im Laufe der letzten Generationen einen ehrenhaften Namen gemacht und es wäre ein Zeichen des Respekts und der Anerkennung unserer gesellschaftlichen Stellung gewesen, hätte sich dein Verlobter bei uns vorgestellt und mit deinem Bruder oder mir über eine mögliche Heirat gesprochen. Da dies nicht passiert ist bleiben nur zwei mögliche Rückschlüsse die ich daraus ziehen kann. Entweder man hat in seiner Erziehung etwas falsch gemacht, was ich mir nicht wirklich vorstellen kann, oder er behandelt uns mit Absicht derart Respektlos, was ich wiederum nicht hoffen möchte."


    Serapios Erzählungen deuteten eher auf Zweiteres hin, doch Livianus wollte das bestimmt nicht an seiner Nichte auslassen. Er seufzte erneut und sah ratlos zwischen den beiden Geschwistern hin und her.

  • Das war genau das was ich meinte! Wenn auch besonnener ausgedrückt. Und so sehr es mir leid tat, dass meine Schwester hier so im Kreuzfeuer saß, fand ich, dass sie da ruhig mal dazu Stellung nehmen sollte. Vielleicht brauchte sie etwas, was ihr die Augen öffnete, über ihren sauberen Verlobten.
    "Wir hatten da gerade darüber gesprochen.", meinte ich unbehaglich zu Seiana, um ihr zu erklären warum die Situation bei ihrem Erscheinen so seltsam war. Ich versuchte wirklich, ruhig und vernünftig zu bleiben, aber meine Ablehnung war einfach nicht zu verhehlen. Meine Schwester hatte jemand weitaus besseren verdient! (Eigentlich war überhaupt niemand gut genug für sie.)
    "Du kennst ja meine... Meinung. Wenn dein Aelier jetzt schon unsere Familie so mißachtet, dann wird er auch dich später nicht in Ehren halten."

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  • Seianas Lächeln, dass sie trotz der merkwürdigen Stimmung noch gehalten hatte, erstarrte zusehends, je länger Livianus sprach. Sie sah ihren Onkel an, ohne seinem Blick auszuweichen, obwohl sie am liebsten weggesehen hätte, gleich schon als es hieß, er habe keinen Brief bekommen. Dann jedoch, als er sagte er hätte bereits von der Verlobung erfahren, aber nicht aus eben jenem Brief oder gar von Meridius, sondern von Aelius Quarto, schloss sie tatsächlich für einen Moment die Augen, und auch ihre Lippen pressten sich aufeinander. Das war das Schlimmste, was hätte passieren können. Dass er nicht von ihr, nicht einmal von einem Familienmitglied von ihrer Verlobung erfuhr, sondern von jemand Außenstehendem. Sie wusste nicht, was sie darauf sagen sollte, aber ihr Glück war, dass sie noch nichts darauf sagen musste – denn ihr Onkel war noch lange nicht fertig. Seiana gab das immerhin die Gelegenheit, zunächst in Ruhe ihre Gedanken zu sammeln, hätte sie doch jetzt wohl erst einmal herumgestottert. Pech daran war, dass Livianus ihr nur noch mehr gab zum Verdauen. Als nächstes sprach er nämlich von Gefühlen, von Liebe – und sie begann sich zu fragen, was für einen Eindruck sie eigentlich auf die Menschen um sich herum machte. Faustus hatte auch schon davon geredet, hatte sogar gemeint, dass die Liebe ihr wohl die Vernunft geraubt hätte. Wirkte sie tatsächlich so? Wirkte sie wie jemand, der sich Hals über Kopf verliebt hatte? Sie hatte war diese Verlobung überlegt eingegangen, hatte sich bewusst dafür entschieden, und das aus verschiedenen Gründen, warum begriff das keiner? Natürlich spielte es eine Rolle, dass sie Caius mochte, dass sie ihn sehr mochte – bei den Göttern, sie hatte vor ihn zu heiraten, ihr Leben mit ihm zu verbringen, ihr ganzes, wenn die Götter ihr wohlgesonnen waren, da war es ihr doch wohl vergönnt einen Mann zu wählen, den sie auch mochte. Mit dem sie sich auch tatsächlich vorstellen konnte, ein Leben zu verbringen. Für Faustus mochte das vielleicht kein Argument sein, dass Caius sie zum Lachen brachte, aber für sie war es eins, ein äußerst wichtiges sogar. Aber politische Überlegungen hatten dabei genauso eine Rolle gespielt. Sie wäre Caius niemals nach Ägypten nachgereist, wäre er kein Mitglied einer Familie, zu der eine Verbindung auch der ihren einen Vorteil brachte. Sie könnte ihn noch so gern haben, sie hätte seinen Antrag niemals angenommen, käme er nicht aus einer Familie, die der ihren würdig war. Was also hatte alle Welt mit ‚Liebe’ und damit, dass ‚die jungen Leute’ vor lauter ‚Gefühlen’ nicht mehr ‚klar denken’ könnten, angeblich?


    Und dann sprach Livianus den Punkt an, der auch Faustus am meisten zu schaffen machte. Respekt, Anerkennung, Ehre. Sie musste mit Caius reden, das wusste, sie musste sie an einen Tisch holen und dazu bringen, miteinander zu reden – ihren Verlobten, ihren Bruder, ihren Onkel. Wenn von den Männern das keiner fertig brachte, musste sie eben dafür sorgen, andernfalls würde diese Verlobung in die Brüche gehen, das sah sie schon kommen. Wenn Männer nur nicht so furchtbar stur wären in ihren Ansichten und Denkweisen… Und dann, bevor sie etwas erwidern konnte, gab auch Faustus seinen Kommentar ab. Und Seiana starrte ihn an, mehr perplex und vor allem ungläubig im ersten Moment als vorwurfsvoll. Sie hatten gerade darüber gesprochen? Gerade eben?!? „Wie bitte?“ entfuhr es ihr, bevor sie sich beherrschen konnte. Dann presste sie erneut die Lippen aufeinander. Spielte es denn eine Rolle, ob Faustus hinter ihrem Rücken zu ihrem Onkel gegangen war? Irgendwie schienen sie doch alle alles hinter ihrem Rücken tun zu wollen. Caius hatte es ja auch nicht für nötig gehalten, sie noch mal in Kenntnis darüber zu setzen, wann er sich nun mit ihrem Bruder treffen wollte, und der hatte ihr nichts darüber gesagt, ob er schon eine Einladung oder eine Anfrage von ihrem Verlobten bekommen hatte. Seiana atmete leise, aber tief ein. Es brachte nichts, wenn sie jetzt die Beherrschung verlor, aber gerade fiel es ihr doch zugegebenermaßen schwer, ruhig zu bleiben. Am liebsten wäre sie aufgestanden und gegangen, wenn sie schon nicht mit dem herausplatzen konnte, was ihr auf der Zunge lag, aber nichts davon kam in Frage. Sie konnte sich Faustus gegenüber gehen lassen, aber nicht wenn noch jemand anderes anwesend war. Also tat sie das, was sie in den ganzen letzten Jahren so meisterhaft gelernt hatte: sie beherrschte sich. „Um eines mal klar zu stellen“, und das hoffentlich ein für alle mal, „bei dieser Verlobung handelt es sich, zumindest für meinen Teil, durchaus um eine beabsichtigte politische Verbindung“, begann sie, und ihre Stimme klang kühl. Sie hatte es satt, dass alle Welt dachte, sie als Frau sei nicht dazu in der Lage, in diesen Bahnen zu denken und würde sich stattdessen nur von ihren Gefühlen leiten lassen. Wenn überhaupt war doch Faustus derjenige, der zu laut hier geschrieen hatte, als die Götter in der Sparte Theatralik, Gefühle und weiteres die Begabungen verteilt hatten, aber doch nicht sie. Nein, sie war da eher noch einen Schritt zurückgegangen, zumindest schien sie nicht in der Lage zu sein, das zu empfinden, wovon Faustus und alle anderen sprachen, wenn sie Dinge wie verliebt sein erwähnten. „Nach unserem ersten Aufeinandertreffen hätte ich nicht versucht, Caius Aelius Archias näher kennen zu lernen, würde er nicht diesen Familiennamen tragen.“ Sie hoffte, das war deutlich. Sie hätte ihn umgekehrt auch niemals näher kennen lernen wollen, hätte sie ihn nicht auf Anhieb sympathisch gefunden, das stimmte auch – aber dass er für sie als Mann in Frage gekommen war, das hatte seine Ursache in beiden Tatsachen, dass sie ihn mochte genauso wie dass er Aelier war. „Was den… ganzen… Verlauf betrifft, ich weiß, dass einiges schief gelaufen ist, mehr als nur ein verloren gegangener Brief. Ich war längere Zeit in Alexandria und konnte die Familie nicht so einbinden, wie es angemessen und richtig gewesen wäre. Das habe ich zu verantworten, und dafür entschuldige ich mich. Aber Caius ist bei Meridius vorstellig gewesen, ich bin mit Meridius’ Einverständnis nach Alexandria gereist, und als Meridius dort war, mit seinem Schiff, habe ich ihn an Bord besucht und mit ihm noch einmal über die Verlobung gesprochen, und er war nicht nur einverstanden, er schien äußerst positiv gestimmt zu sein.“ Dass Livianus in dieser Zeit in Parthien verschollen gewesen war, kam noch erschwerend hinzu, aber das wollte Seiana nicht erwähnen, auch wenn dieser Fakt zum Teil mitverantwortlich für die Misere jetzt, zumindest dass Livianus nicht von Anfang an eingebunden gewesen war. Genauso wenig wie sie erwähnte, dass sie nichts dafür konnte, dass Meridius und Livianus offenbar nicht mehr gesprochen hatten über die Familie und die Entwicklungen, bevor Meridius sich nach Tarraco zurückgezogen hatte. Auch das war mitverantwortlich, aber nun gut, vielleicht war das die Lektion, die sie aus dem Ganzen zu lernen hatte – dass sie besser daran tat, sich in Zukunft um alles, aber auch wirklich alles, selbst zu kümmern, wenn sie wollte dass es erledigt wurde.


    Sie hatte zu beiden gesprochen, aber dennoch mehr ihren Onkel angesehen als ihren Bruder. Jetzt jedoch warf sie Faustus wieder einen deutlichen Seitenblick zu. Sie hatte bisher noch nicht Stellung genommen zu den Vorwürfen, die mehr oder weniger direkt Caius gemacht worden waren – und diese waren auf Faustus’ Mist gewachsen, jedenfalls klang alles danach. Das Problem war, dass sie hier nicht wusste, was sie darauf sagen sollte. Natürlich wusste sie, wovon Livianus sprach, was Faustus meinte, aber das war nun mal… Caius’ Art. Unkonventionell. Respektlos, wie Faustus und auch Livianus es sahen. Und auch wenn ihr das jetzt gewaltige Probleme bereitete, oder zumindest zu bereiten schien, war das doch einer der Gründe, warum sie ihn so mochte. „Er ist ebenfalls erst vor kurzem aus Alexandria zurückgekehrt, später als ich. Aber er hatte schriftlichen Kontakt mit Faustus“ – im Verlauf dessen Faustus ihm gedroht hatte, ihm irgendetwas zu brechen, und sie in einem separaten Brief gefragt hatte, ob sie schwanger sei. Aber das erwähnte sie besser nicht – „und er hat mir zugesichert, dass er sich mit dir treffen wollte.“ Jetzt sprach sie Faustus direkt an, und während sie ihn ansah, konnte sie nicht verhindern, dass sich in ihren Augen die Bitte um Unterstützung zu spiegeln begann. „Sollte er mich tatsächlich nicht in Ehren halten, werde ich mich zu wehren wissen“, meinte sie noch, etwas leiser, und auch dieser Satz war hauptsächlich an Faustus gerichtet. Es rührte sie ja irgendwie, dass er sich um sie sorgte, und auch wenn sie fand, dass es übertrieben war, wollte sie ihn doch wenigstens wissen lassen, dass sie das ernst nahm.

  • Nun ja. Dieser Aelius Caius war kein direkter Verwandter des Kaisers. Auch wenn Livianus den Mann nicht persönlich kannte, so hatte er dennoch soweit Ahnung von dem engeren Familienkreis rund um den regierenden Imperator und seinen Bruder Aelius Quarto, um dies feststellen zu können. Dennoch war der Name mit einem großen Ansehen verbunden und würde das vor kurzem geschlossene Bündnis zwischen den Decimern und den Aeliern weiter festigen. Dennoch! Es ging um die Art und Weise wie diese ganze Sache abgelaufen war. Livianus fuhr sich mit der Hand nachdenklich über die Stirn.


    Meridius hatte also bereits seine Zustimmung zu dieser Verbindung gegeben? Das änderte die Sachelage grundlegend und Seiana war kein Vorwurf zu machen. Sie hatte sich richtig verhalten und wollte mit einem Brief sogar Livianus informieren. Das der Cursus Publicus das Schreiben verschlammte war auch nicht ihr Verschulden.


    Der Senator sah kurz zu Serapio und dann wieder zu seiner Schwester. Irgendwie hatte sie ihm nun den Wind aus den Segeln genommen und er wusste nicht so recht, wie er das Gespräch fortsetzen sollte. Serapio hatte doch vorhin gemeint, dass Meridius den Aelier weggeschickt hatte. Warum sprach Seiana dann nun doch von einer Zustimmung? Gespannt wartete Livianus auf eine Erklärung seines Adoptivsohnes.

  • Meine Schwester brachte es fertig, allein durch ihre Blicke und ihr beredtes Schweigen, dass ein richtig schlechtes Gewissen in mir aufkeimte, nur weil ich mit Livianus über ihren Schwarm gesprochen hatte. Dabei war es doch klar, dass unser Pater familias es wissen musste, wenn unsere Familie so brüskiert wurde! Sagte ich mir jedenfalls.
    Seiana blieb beneidenswert kühl. Ich nicht. Und ihr nahm ich diese Fassade auch nicht ab.
    "Seiana. Ist doch klar, dass du wegen des ganzen Durcheinanders nicht allen Bescheid sagen konntest. Du hast dir nichts zu schulden kommen lassen, das wissen wir doch. Du nicht, aber dein impertinenter Verlobter!"
    Ich atmete tief durch. Diese ganze Sache ging mir gewaltig auf die Nerven!
    "Ich wusste nicht, dass du in Ägypten mit Meridius gesprochen hast. Ich weiß aber, dass dein Aelier, als er hier angetanzt ist, von Meridius NICHT die Erlaubnis bekommen hat dich vom Fleck weg zu heiraten! Wäre ja auch absurd.
    Und somit hätte dein Schwarm absolut die Pflicht gehabt, sich, nachdem er dir den Hof gemacht hat, hier einmal vorzustellen, bei Livianus oder mir, und uns von sich zu überzeugen, und ordentlich um deine Hand anzuhalten. Bevor wir durch eine Verlobung vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Das wäre nicht nur ein Zeichen von Respekt gewesen, sondern auch das absolut MINDESTE, was der Anstand gebietet.
    Aber das ist nicht passiert. Nicht mal brieflich hat er Anstalten dazu gemacht sich bei uns vorzustellen. Statt dessen bekomme ich nach eurer Verlobung einen ganz merkwürdigen Brief, wo er mir schreibt: 'Übrigens, ich heirate deine Schwester! Prost!'. - Soviel zum 'schriftlichen Kontakt'."
    , schloss ich sarkastisch, schüttelte dann erbittert den Kopf.
    Seiana sah mich so intensiv an, wahrscheinlich wollte sie, dass ich den Mund hielt. Aber ich konnte doch nicht einfach still zusehen wie sie da auf eine so völlig verkorkste Ehe zusteuerte!


    "Nein, dieser Mann hat keine Spur von Umgangsformen, und noch viel schlimmer, er hat keinen Stil. Wie Livianus gesagt hat, entweder er brüskiert uns mit Absicht - und hält sich für zu fein, als dass er es nötig hätte, uns gegenüber den ganz normalen Respekt zu zeigen. Oder, und das erscheint mir mittlerweile fast am wahrscheinlichsten, seine Ignoranz ist einfach grenzenlos!
    Bona Dea, Seiana, ich versteh nicht wie du es an der Seite von so einem aushalten willst. Der kann dir doch nicht mal ansatzweise das Wasser reichen! Nur weil er ein Aelier ist, musst du dich doch nicht so für die Familie aufopfern! Ich gebe zu, es ist nicht gerade einfach jemanden zu finden, der dir ebenbürtig ist... aber wenn wir nur ein bisschen suchen, finden wir bestimmt jemand anderen für dich. Jemanden auf Augenhöhe!"

    Livianus' wegen zügelte ich meine Stimme. "Nicht wahr?" wandte ich mich an ihn, um Bestätigung heischend. Eigentlich glaubte ich nicht daran, dass sich das ganze irgendwie rückgängig machen ließ, dazu war Seiana viel zu entschlossen, aber man durfte ja noch hoffen.
    "Und was noch die Ereignisse nach deiner Rückkehr angeht, so hatte er genug Zeit, um es wenigstens zu versuchen, sein Versäumnis bei einem respektvollen Besuch wieder auszubügeln. Was hat er gemacht? Hat sich bei uns nicht blicken lassen. Statt dessen bestellt der Kerl mich in die Palaestra."
    Ich zuckte lässig die Schultern. "Naja, da hab ich ihn eben verdroschen."
    Oh. Davon hatte ich Seiana doch gar nicht sagen wollen. Aber es war mir so rausgerutscht. Und eigentlich konnte ich es ruhig laut sagen, dass ich die Familienehre mit Fäusten verteidigt hatte. Eigentlich hatte ich genau das richtige getan! Fand ich. Trotzdem zog ich den Kopf ein, und hoffte, dass Seiana ihn mir nicht abreissen würde.

  • Ihr Onkel sagte zunächst gar nichts, und es fiel Seiana schwer, in seinem Gesicht zu lesen, ein Anzeichen dafür zu entdecken, was er wohl denken mochte. Faustus allerdings hielt sich keineswegs zurück. Was er allerdings sagte, führte dazu, dass ihr erst mal die Luft weg blieb. Er… wechselte auf einmal die Taktik. Er wechselte die Taktik! Sie war die ganze Zeit davon ausgegangen, dass er sauer auf sie wäre – gut, natürlich auch auf Caius, das hatte sein Brief ja nur allzu deutlich gemacht, aber sie hatte gedacht, dass ein Großteil einfach auf sie gerichtet war. Und darauf hatte sie sich vorbereitet. Dass er jetzt aber so auf Caius losging, überraschte sie. Und es ließ sie gedanklich straucheln, weil ihren Argumenten der Boden entzogen wurde, waren sie doch auf der Annahme gebaut, dass sie hier die Böse war, die in Eigenregie gehandelt hatte, und nicht Caius, der unverschämt war und ihre Familie – und ganz nebenbei sie selbt – überging. Angeblich. Als ob sie das mit sich machen lassen würde!


    Es war ganz gut so, dass Faustus einen ganzen Monolog brachte. Seiana hätte zuerst nicht wirklich gewusst, was sie sagen sollte, sie musste sich erst sammeln, und sie wünschte sich bei den Göttern sie könnte sich jetzt Notizen machen, damit sie auch ja nichts verpasste oder vergaß, worauf sie reagieren wollte und sollte. Und es schien immer schlimmer zu werden. Er zitierte etwas aus einem Brief, den Caius ihm angeblich gehabt hatte, und hier war das Schlimmste, dass Seiana sich tatsächlich vorstellen konnte, dass Caius so etwas geschrieben hatte. Sie schloss ganz kurz die Augen und starrte Faustus dann an, wollte ihm am liebsten den Mund verbieten oder ihn sonst wie dazu bringen, aufzuhören. Was sollte das denn? Hatte er das nicht als Spaß nehmen können? Und wenn er es schon nicht als Spaß nahm: musste er das ausgerechnet vor ihm Onkel breit treten? Aber Faustus dachte scheinbar gar nicht daran, aufzuhören. Im Gegenteil. Und Seiana blieb nichts anderes übrig, als da zu sitzen und sich alles anzuhören. Und sich zu sammeln für den Gegenschlag. Was Faustus aber zum Schluss seiner kleinen Rede verlauten ließ, das wischte alles weg, was Seiana sich in den Momenten davor zurecht gelegt hatte. Alles. „Du hast WAS?!?“ brach es aus ihr heraus, ungeachtet der Tatsache, dass Livianus im Raum war, und sie sprang auf. In dem Moment war ihr egal, was sich schickte und was nicht. Caius hatte sich also tatsächlich mit Faustus getroffen – aber ganz anders, als sie es geglaubt, gewollt oder erwartet hätte. „Du hast dich mit ihm geprügelt? Faustus, was soll das? Du beschwerst dich, dass er angeblich keinen Respekt vor unserer Familie hat und damit wohl auch vor mir, und du stellst solche Sachen an? Wie sieht es denn mit deinem Respekt vor mir aus?“ Vielleicht wurde sie jetzt unfair, aber das war ihr gleichgültig. Faustus hatte auch nicht gerade auf Tiefschläge verzichtet. Sie fuhr sich durch die Haare und ging ein paar Schritte in dem Officium. „Bona Dea, ich weiß echt nicht was ich noch machen soll!“ Sie hätte Abbitte geleistet, hier, in diesem Büro, vor diesen beiden Männern, obwohl sich alles in ihr dagegen gesträubt hätte für ein Verhalten ihrerseits zu Kreuze zu kriechen, was sie zwar als… ungewöhnlich und nicht den Traditionen entsprechend sah, aber auch nicht notwendigerweise als falsch. Sie hätte es getan. Aber sie konnte das nicht tun, wenn es hier um ihren Verlobten ging. Und nicht, wenn Faustus ihm Dinge vorwarf, die sie nicht gänzlich bestreiten konnte – Dinge, die sie aber gerade mochte an Caius. Auch wenn sie sich im Augenblick wünschte, er wäre ein wenig gesellschaftskonformer.

  • Wie zu erwarten, sie wurde stinkwütend. Ganz instinktiv machte ich einen Schritt zurück, zog den Kopf tiefer zwischen die Schultern. Wenn meine große Schwester zur Furie wurde, dann wollte ich mich eigentlich lieber nicht mit ihr anlegen... Aber pah, ausgerechnet mir jetzt Respektlosigkeit vorzuwerfen! Trotzig presste ich die Lippen zusammen, schnaubte wie ein iberischer Stier und tönte:
    "Er hat mich herausgefordert. Und unsere Familie beleidigt! Nur dir zuliebe hab ich ihm nicht alle Knochen gebrochen! - Ja, ich weiß auch nicht wass ich noch machen soll. Du bist so stur."
    Als es mal für einen Moment still war, wurde mir das Geräusch des Regens draussen wieder bewusst... ein Prasseln, Trommeln, Rieseln, Flüstern.... und ich musste wieder an das arme tote Mädchen in der Gosse denken. Die war solcher Sorgen entrückt. Tauschen würde ich trotzdem nicht. Ich seufzte leise, blickte zerknirscht zu Seiana... - ich machte mir doch nur Sorgen, dass sie unglücklich würde, aber gerade schien sie eher unglücklich wegen mir zu sein... - dann fragend zu Livianus. Vielleicht war es besser, wenn ich die beiden das in Ruhe besprechen ließ, Livianus war eine höhere Instanz, da würde Seiana sich wahrscheinlich eher was sagen lassen als vom kleinen Bruder.
    "Also... ich habe jetzt eigentlich alles gesagt, was ich dazu zu sagen habe. Und ich muss dann auch weiter." Raus in den Regen, einem mutmasslichen Würger mit mutmasslich gelber Tunika hinterherschnüffeln. Grandios. "Wenn ihr mich entschuldigt? Valete..."
    Und so brach ich wieder auf. Raus in den Regen...

  • Das Serapio nun ging machte die Angelegenheit nicht einfacher und verärgerte Livianus auch ein wenig. Während der kurzen Auseinandersetzung der beiden, hatte er zumindest genügend Zeit um sich seine eigenen Gedanken zu machen. Er erhob sich und kam hinter seinem Schreibtisch hervor, legte einfühlsam eine Hand auf die Schulter seiner Nichte. Er musste sich selbst ein Bild machen. Hier stand Wort gegen Wort und keinesfalls wollte er riskieren, dass sich die Familie entzweite.


    "Lassen wir es gut sein Seiana. Ich möchte deinem Glück bestimmt nicht im Wege stehen, wenn du sagst, dass du diesen Mann liebst. Doch arrangiere ein Treffen. Vielleicht kann er in den nächsten Tagen ja zum Essen kommen. Ich möchte ihn kennenlernen."

  • Seiana starrte ihrem Bruder fassungslos hinterher, als der das Officium verließ. Einfach so. Ihr noch nicht einmal die Chance gab, noch etwas zu sagen. Der flüchtete, wie schon beim letzten Mal, als sie aneinander geraten waren wegen diesem Thema. Machte sie denn tatsächlich alles falsch? Was um alles in der Welt sollte sie denn tun, was erwartete er von ihr? Sie presste die Lippen aufeinander und rang um Selbstbeherrschung, wenigstens so weit, dass sie ihm nicht hinterher lief oder hinterher brüllte.


    Und dann spürte sie eine Bewegung – und eine Hand auf ihrer Schulter. Livianus. Seiana hatte kurzfristig vergessen, dass ihr Onkel auch noch hier war. Und sie spürte Verlegenheit in sich aufsteigen, weil sie sich so hatte gehen lassen, vor ihm. Aber seine Worte taten ihr gut, vor allem nach dem, was Faustus gerade von sich gegeben hatte. „Ich… Ja. Ich werde mich um ein Treffen kümmern.“ Und wenn sie Caius hierher schleifen musste… „Danke, Onkel Livianus.“ Sie sah endlich zu ihm hoch und lächelte, wenn auch etwas schwach. „Ich denke, ich werde jetzt auch gehen. Ich gebe dir Bescheid, sobald ich einen Termin weiß für das Essen.“ Noch ein Lächen, dann verabschiedete sie sich endgültig und verließ ebenfalls das Büro.

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