• Ein klein wenig überrascht von Axillas Redeschwall – von dessen möglicher Ursache Seiana nicht das Geringste ahnte –, bot Seiana der Iunia einen Sitzplatz an und ließ sich ebenfalls nieder, während sie sich zugleich bemühte, sich von ihrer Verblüffung nichts anmerken zu lassen. Stattdessen versuchte sie, der Erklärung zu folgen, wie es zustande kam, dass Axilla nun hier war, um Livianus zu treffen, obwohl sie ihn eigentlich gar nicht kannte. Ihr Onkel hatte sie eingeladen, weil sie ihm einen Brief geschrieben hatte? Seiana beschloss, dass es vielleicht besser war, wenn sie nicht allzu sehr darauf einging. „Oh, mach dir keine Gedanken. Das würde mir ganz genau so gehen.“ Mit einem etwas schwummrigen Gefühl im Magen dachte Seiana daran, wenn sie in nächster Zukunft alles kennen lernen sollte. Caius’ Eltern. Den Bruder des Kaisers. Caius’ Eltern. Allerdings hoffte sie doch stark, dass sich das bei ihr nicht in einem ähnlichen Redeschwall äußern würde – oder darin, dass sie beinahe Saft vergoss.


    „Ich habe Livianus in Alexandria auch nicht getroffen, obwohl ich es schön gefunden hätte, wenn es geklappt hätte. Aber er hätte ja im Grunde gar nicht dort sein dürfen. Sag, kann ich dir irgendetwas anbieten? Vielleicht etwas Obst?“ Sie nippte an ihrem Saft, während der Sklave, der im Hintergrund herumstand, darauf wartete was Axilla wohl sagen würde, um es dann zu holen. „Er hat dich einfach auf deinen Brief hin eingeladen?“ Seiana hatte gar nicht gewusst, dass ihr Onkel so spontan auf so etwas reagierte, allerdings kannte sie ihn auch nicht so gut wie Faustus beispielsweise. „Und wieso Blödsinn, was denkt Caius denn?“


    Sim-Off:

    In Ordnung :)

  • “Ja, weil er ja Senator ist, nicht?“ kommentierte Axilla nur kurz den Grund, warum sie ihn in Alexandria ja nicht hätte treffen können, während sie sich setzte. Bei der Frage, ob sie ihr noch etwas anbieten konnte, schüttelte Axilla leicht den Kopf. “Nein, lieber nicht. Ich bin den ganzen Tag schon so aufgeregt, dass mir schon ganz schlecht ist. Das ist richtig furchtbar grade, erst die Überfahrt, und jetzt die ganze Aufregung. Aber der Saft ist sehr köstlich.“ Wie zum Beweis nahm Axilla einen Schluck und versuchte, ihre Aufregung wieder in den Griff zu bekommen. Sie war herausgeputzt wie für einen Triumphzug, und im Grunde war jetzt alles umsonst. Ein klein wenig fühlte sie sich da nun schon verlegen, denn wenn sie Seiana besucht hätte, hätte sie sich sicher nicht so fein gemacht, sondern wäre normaler dahergekommen.
    “Und ja, er hat mich einfach so eingeladen. Also, ich muss ja eigentlich zugeben, dass in dem Brief, den ich ihm geschrieben habe... also, ich hab mich ein wenig beklagt, weil er nicht bei uns vorbeigekommen ist, obwohl Silanus ja sein Klient ist und so... also, eigentlich hätte ich das ja gar nicht tun sollen, aber... ich hab nicht drüber nachgedacht. Und da meinte er in seiner Antwort, dass man das Kennenlernen nachholen könnte, in Rom dann.“ Leicht zuckte Axilla die Schultern. Es klang alles etwas an den Haaren herbeigezogen, das wusste sie ja auch, aber so war es nunmal. Manchmal passierten einfach unglaubliche Dinge, die nicht wirklich logisch waren. Das machte das Leben ja so aufregend!
    “Und Caius, also...“ Axilla merkte nichtmal, dass auch sie die vertrauliche Ansprache bei Archias gewählt hatte. Eigentlich tat sie es, weil Seiana es gemacht hatte. “... ach, er will mich nur aufziehen. Weil ich noch nicht verheiratet bin, glaube ich. Er wollte mich einfach nur ärgern.“ Sie schüttelte den Kopf und ließ so die eigentliche Beantwortung der Frage aus, obwohl sich Seiana es vielleicht denken konnte. Aber Axilla wollte weder ihren Freund verpetzen, noch wollte sie dem Senator etwas unterstellen.
    “Aber es ist sehr schön in Rom. Und jetzt bin ich schon da, wenn ihr heiratet, und muss nicht erst wieder mit dem Schiff fahren“, strahlte Axilla ihre Gastgeberin an und versuchte so, das Thema vielleicht auf etwas anderes zu lenken.

  • „Vielleicht solltest du einen Medicus aufsuchen“, kommentierte Seiana die Auskunft, dass Axilla in letzter Zeit so häufig übel war. „Oder wird dir immer schlecht, wenn du aufgeregt bist?“ Vielleicht waren es noch Nachwirkungen von der Überfahrt, oder Axilla war tatsächlich krank. „Falls du doch noch etwas möchtest, lass es mich einfach wissen.“ Ein wenig seltsam fühlte auch sie sich, weil sie eindeutig nicht so herausgeputzt war wie die Iunia. Seiana legte im Grunde wert darauf, dem Anlass entsprechend gekleidet zu sein, wobei es allerdings häufig so war, dass sie sich den Umständen anpasste – und augenblicklich vertrat sie immerhin einen Senator. Und Axilla war gekleidet, wie man sich eben kleidete, wenn man einen Senator besuchte, noch dazu zum ersten Mal. Kurz schoss Seiana der Gedanke durch den Kopf, ob Axilla vielleicht sogar vorhatte Livianus zu fragen, ob er ihr Patron werden wollte.


    Abgelenkt wurde sie, als Axilla weitersprach, und jetzt konnte Seiana ein Grinsen nicht unterdrücken. „Beklagt hast du dich? Kein Wunder, dass er dich eingeladen hat. Das lässt kein Decimer auf sich sitzen.“ Nein, die Decima waren eine stolze Familie, immer schon gewesen… Und eine Herausforderung war auch nichts, was ein Decimer ausschlagen würde. Musste das iberische Blut in ihren Adern sein. Und Axillas Worte klangen danach, als ob ihr Brief ein wenig von beidem hätte ansprechen können, den Stolz und den Willen, Herausforderungen anzunehmen und ihnen nicht auszuweichen. Als Axilla dann jedoch ebenfalls Caius’ Praenomen benutzte, hoben sich Seianas Augenbrauen leicht. Dass die beiden befreundet waren, wusste sie, dass sie allerdings so gut befreundet waren, dass Axilla ihn ebenfalls Caius nannte, war ihr hingegen nicht bewusst gewesen. Überhaupt nicht – hatte Caius doch nichts dergleichen erwähnt. Und irgendwie fand Seiana, dass das schon, nun ja, erwähnenswert gewesen wäre. „Warum sollte er dich aufziehen, weil du noch nicht verheiratet bist – sieh mich an.“ Sie lächelte, aber für einen Moment mochte es… leicht abgelenkt wirken. Aber sie meinte ernst, was sie sagte, immerhin war sie doch ein paar Jahre älter als Axilla. So alt, dass die Leute wohl bald zu reden anfangen würden, dass sie noch nicht verheiratet war, wenn sie es nicht schon längst taten. Dann zuckte sie die Schultern und grinste leicht. „Lass dich nicht ärgern. Schon gar nicht von ihm, wo er doch ohnehin jede Gelegenheit nutzt.“ Seiana konnte sich durchaus denken, in welche Richtung die Frotzeleien von Caius gegangen waren, immerhin kannte sie ihren Verlobten – und sie kannte seine Einstellung zu Patriziern, Senatoren und anderen hochgestellten Würdenträgern. Mal ausgenommen von denen, die er gut kannte. Aber sie hatte keine Lust, auf eine Diskussion dieser Art einzusteigen, oder es von Axilla tatsächlich bestätigt zu bekommen, was sie argwöhnte – denn auf ihre Familie ließ sie nichts kommen, und wenn Caius irgendetwas angedeutet hatte, würde er von ihr etwas zu hören bekommen. Und da die Situation mit ihrem Verlobten und ihrem Bruder ohnehin etwas schwierig war zur Zeit, war sie nicht unbedingt erpicht darauf, noch einen Grund zu liefern, dass sich irgendjemand zu streiten begann. „Du bleibst bis zur Hochzeit? Das freut mich“, ging sie stattdessen dankbar auf den Themenwechsel ein. „Bist du denn das erste Mal in Rom?“

  • Beim Wort 'Medicus' verzog Axilla kurz ganz leicht das Gesicht. Sie hatte genug von Ärzten für ein Leben gehabt, sie mochte sie nicht besonders. Zu sehen, wie diese machtlos gegen das langsame Sterben der Mutter waren und nur immer neue und teurere Behandlungen vorschlugen, schuf nicht gerade Vertrauen. “Ach, es geht schon. Es ist bestimmt noch wegen der Überfahrt und wegen der vielen aufregenden Dinge hier in Rom.“ Axilla winkte leicht ab und machte damit deutlich, dass es ihr nicht so wichtig war. “Das legt sich schon wieder. Aber vielleicht schau ich mal über den Markt, was es hier so an Heilmittelchen gibt.“ Man musste schließlich nicht gleich zu einem Medikus rennen, wenn die Kräuterfrauen genausogute Mittel und Amulette hatten, nur zu einem viel geringeren Preis.


    Dann kam aber das Gesprächsthema sowieso auf den Senator, und Axilla musste nicht mehr so viel darüber nachdenken. “Ja, ich weiß. Jeder, dem ich es erzähle, hält mich für vorlaut, aber das wollte ich eigentlich gar nicht“, gab Axilla etwas zerknirscht dreinschauend zu. Sie hatte eigentlich dem Senator nur einen netten Brief schreiben wollen. Was sie da geritten hatte, sich über sein fehlendes Auftauchen in der Casa Iunia in Alexandria zu beschweren, wusste sie selber nicht. Es war ihr irgendwie herausgerutscht. “Ich hoffe nur, er nimmt mir das nicht übel?“ Er hatte sie zwar eingeladen, aber man konnte ja nie wissen.
    Dass Seiana ein wenig komisch reagierte, als das Gespräch auf Archias kam, bemerkte Axilla, allerdings konnte sie nicht auf den wahren Grund schließen. Sie dachte, dass die Decima vielleicht darüber nachgrübelte, wie er sie geärgert haben mochte und sie hoffte, dass ihr Freund deshalb keinen Ärger bekommen würde. “Aber du heiratest ja bald und bist schon verlobt“, gab Axilla lächelnd zu bedenken. “Und ich denke doch, dass ich bis zur Hochzeit bleibe. Habt ihr denn schon einen Termin?“ Axilla würde so oder so bis zum Frühsommer bleiben. Und da Seiana und Archias nun ja schon eine ganze Weile verlobt waren, dachte Axilla, dass die beiden wohl auch in diesem Zeitraum heiraten würden. Warum auch sollten sie noch lange warten? Irgendwie hoffte Axilla sogar, dass sie bald heiraten würden, dann wäre dieses drohende Damoklesschwert über ihrem Haupt endlich verschwunden.
    “Und ja, ich war noch nie in Rom. Eigentlich war ich noch überhaupt nirgendwo. Nur auf dem Hof meiner Eltern bei Tarraco und dann eben in Alexandria. Deshalb finde ich das ganze hier ja auch so aufregend! Es ist so... so... anders als Alexandria.“ Sie würde nicht unbedingt sagen, dass es besser war. Sie liebte die Stadt am Nil und ihre klaren Formen und wundervollen Bauwerke, und die Leichtigkeit dort. Das war hier viel strenger und ruhiger, wie ihr schien. Viel weniger bunt. Eben anders. “Und ich muss noch so viel ansehen. Meine Cousine, also Iunia Serrana, plant mit mir schon jede Menge Ausflüge, damit ich alles sehen kann. Aber es gibt so verdammt viel, dass ich gar nicht weiß, wo anfangen.“ Axilla lächelte und nahm nochmal einen Schluck. Allmählich nahm die Aufregung ab, und sie redete nicht mehr ganz so hektisch und haltlos.

  • Seiana lachte leise. „Caius hat eine Taberna Medica geerbt, die er mir überlassen hat. Wenn du möchtest, kannst du dort gern einmal vorbei sehen und dich umsonst beraten und dir etwas mitgeben lassen. Ich war schon ein paar Mal da und habe gerade eben wieder über den Unterlagen gesessen, dort arbeiten gute Leute.“* Sie würde gleich im Anschluss an das Gespräch einen Brief an den Verwalter der Taberna aufsetzen, damit er auch Bescheid wusste, dass Iunia Axilla nichts würde zahlen müssen, falls sie sich entschloss vorbeizugehen.


    „Ach, das glaube ich nicht.“ Seiana winkte lächelnd ab. Sie konnte nicht wirklich sagen, ob ihr Onkel diesen Brief nun übel nahm oder nicht, schon allein weil sie nicht wusste, was in dem Brief gestanden hatte, aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass er wegen so etwas sauer war – schon gar nicht, wenn er Axilla als Reaktion eingeladen hatte, nach Rom zu kommen und ihn kennen zu lernen. Wäre er wütend gewesen, hätte er wohl anders reagiert, hätte sich an ihre Familie gewandt, an seinen Klienten. „Selbst wenn, spätestens wenn er dich kennen lernt und deine Erklärung hört, kann er dir das sicher nicht übel nehmen.“ Mit gemischten Gefühlen hörte sie dann Axillas weitere Worte. Ja, sie war verlobt, würde bald heiraten, und das sollte sie freuen, das hieß, es freute sie auch… Aber gleichzeitig war sie aufgeregt. Das konnte doch nicht normal sein, dass sie, je näher die Hochzeit rückte, immer nervöser zu werden schien. „Ja, aber lange genug hat es gedauert.“ Sie lächelte – und versteckte sich dann kurz hinter dem Becher, als sie daran dachte, warum es so lange gedauert hatte bei ihr. Wäre ihre Mutter nicht krank geworden, wäre sie vermutlich schon längst verheiratet, aber das war ein Thema, dass sie ebenso wenig anschneiden wollte wie irgendwelche Fehltritte von Caius, die erneute Streitereien mit ihrem Bruder auslösen könnten. „Nein“, erklärte sie dann nach einem Schluck Saft, „der Termin steht noch nicht genau fest. Allerdings planen wir, dass die Hochzeit im Frühjahr stattfindet. Ich denke, während der Winterstürme wirst du ohnehin nicht zurückreisen nach Alexandrien, oder?“ Ein wenig erstaunt zog sie dann die Augenbrauen hoch und lächelte. „Tarraco?“ Sie kramte in ihrem Gedächtnis, konnte sich aber beim besten Willen nicht erinnern, ob das zuvor schon in einem Gespräch gefallen war, dass Axilla ebenfalls aus Tarraco kam – ob nun mit ihr oder mit Caius. „Dort bin ich auch aufgewachsen. Kein Wunder, meine ganze Familie stammt aus Hispania, bis auf einen kleinen Zweig, der irgendwann nach Griechenland gegangen ist.“ Sie stellte ihren Becher auf dem Tisch ab und winkte ab, als ein Sklave das noch halbvolle Gefäß schon wieder auffüllen wollte. „Rom ist… schon einzigartig. Ich meine, ich liebe Tarraco, und in Alexandria hat es mir auch sehr gut gefallen, aber Rom… Vielleicht habe ich noch nicht lange genug hier gelebt.“ Seiana lachte, ein wenig verlegen. „Aber trotz aller Vorzügen, die Alexandria gerade für Frauen zu bieten hat, schlägt mein Herz doch für Rom.“ Bei Axillas nächsten Worten fühlte Seiana sich deutlich an ihre ersten Tage und Wochen in Rom erinnert. „Überlass die Auswahl am besten erst mal deiner Cousine“, schlug sie vor. „Wenn sie sich hier auskennt, wird sie ja wissen, was am interessantesten ist. Möchtest du denn zurück nach Alexandrien oder würdest du lieber in Rom bleiben?“


    Sim-Off:

    *WiSim :D

  • Bei dem Angebot von Seiana zuckte Axilla innerlich leicht zusammen, allerdings ließ sie es nicht nach Außen dringen. Sie mochte Ärzte wirklich nicht. So überhaupt gar nicht. Nicht ein kleines bisschen. Die einzige Ausnahme war vielleicht noch Anthimos Bantotakis, wobei sich das da auch schon hart an der Grenze hielt. Aber sie wusste nicht, wie sie das nun ablehnen sollte, ohne Seiana damit vor den Kopf zu stoßen. Immerhin war es ein sehr nettes und großzügiges Angebot.
    “Ich kann ja mal vorbeischauen, wenn es nicht besser wird...“ meinte sie also eher unverfänglich und bereitete sich seelisch und moralisch schonmal auf einen Besuch beim Medicus vor.


    Dass Livianus ihr wohl nicht grollte, beruhigte Axilla nur ein wenig. So ganz sicher schien sich Seiana auch nicht, auch wenn sie meinte, dass er ihr sicher verzeihen würde, wenn er ihre Erklärung hörte. Manchmal schien es einfach doch gar nicht so schlimm zu sein, ein gewaltiger Tollpatsch zu sein, denn die meisten Leute nahmen es einem irgendwie nicht übel. Aber vielleicht galt das ja auch nur, weil Axilla 17 und eine Frau war? Egal, weswegen, Axilla war den Mächten ehrlich dankbar für diesen Umstand.
    “Frühjahr klingt doch toll! Wenn dann alles blüht und wieder grün ist, das wird bestimmt schön“ schwärmte Axilla für Seiana. Sie fand die Idee, dass ihr Freund die Frau heiratete, die er liebte, einfach fantastisch und konnte da ganz romantisch ins Schwärmen geraten. “Und ich bleib denke ich bis zum Frühsommer, wenn das Meer wieder ruhig ist. Mir war ja die ganze Zeit soooo schlecht. Der arme Pompeius Imperiosus, der mich mitgenommen hat. Der hat eigentlich die ganze Überfahrt lang nur bestaunen dürfen, wie ich über der Reling gehangen habe. Ich glaube, ich war die furchtbarste Reisegesellschaft, die man haben konnte.“
    Da fiel Axilla ein, bei dem musste sie sich nochmal ausführlicher Bedanken. Und sie wollte ihm dem Senator vorstellen. “Hmm, ich hatte ihm eigentlich versprochen, dass ich ihn als Dank den Senator vorstelle. Meinst du, das ginge? Du kennst deinen Onkel ja sicher besser“, fühlte sie also mal kurz vor.
    Doch dann kam das Gespräch auf die verschiedenen Städte, und Axilla hörte Seiana zu, dass sie auch aus Tarraco kam. “Ja, unser Hof lag etwas nordöstlich davon, etwa eine Stunde mit dem Pferd. Nichts besonders, nur ein paar Felder zum bewirtschaften und so. Eher klein.“ Axilla wollte nicht so gern zu ausführlich darüber sprechen, denn dann bekam sie immer ein ganz flaues Gefühl im Magen, selbst nach der langen Zeit jetzt. “Aber Alexandria ist schon anders als das hier. Irgendwie... bunter.“ Axilla hoffte, damit ihre Gastgeberin nun nicht zu beleidigen, aber im Grunde liebte sie die Stadt am Nil mehr. Vermutlich gerade wegen der ganzen Freiheiten dort. “Hier schauen immer alle ganz erstaunt, wenn ich von meinen Betrieben erzähle, oder dass ich Scriba beim Gymnasiarchos bin. Oder war, ich glaube, bis ich wiederkomme, hat Nikolaos einen neuen. Aber wir sind ja auch nicht schlechter als Männer.“ Auch wenn das hier in Rom wohl keiner hören oder gar zugeben wollte. Dahingehend war es in Ägypten schon herrlich anders. “Und ich weiß nicht so recht... ich kenne Rom ja noch gar nicht. Aber wenn ich irgendwannmal heiraten soll, dann wäre es vielleicht klüger, hier zu bleiben. In Alexandria sind die meisten Römer ja Soldaten...“ Und dass sie keinen Peregrini heiraten würde, das stand zumindest fest. Eine Iunia heiratete römisch.

  • „Ich hoffe, dass es nicht nötig ist, aber wenn es tatsächlich nicht besser werden sollte – mein Angebot steht.“ Von Axillas Unbehagen gegenüber Ärzten oder der Möglichkeit eines Besuchs bei einem Medicus bemerkte Seiana nichts, und so ging auch sie nicht weiter auf dieses Thema ein. Sie hoffte wirklich, dass es nichts Ernstes war, dass Axilla ihr Angebot nicht würde in Anspruch nehmen müssen – auch wenn der umgekehrte Fall hieß, dass Axilla über die Taberna würde reden, sie anpreisen können. Vorausgesetzt sie war zufrieden, aber daran hegte Seiana eigentlich keinen Zweifel. Sie hatte die Angestellten – ihre Angestellten – kennen gelernt, und es waren tatsächlich gute Leute. Und sollte Axilla nicht zufrieden sein… nun, dann hoffte Seiana, dass sie ihr davon erzählte, denn dann wusste sie, was sie zu ändern hatte.


    Bei Axillas Schwärmereien konnte auch Seiana nicht anders, als sich davon anstecken zu lassen und zu lächeln. „Ja, doch, ich denk auch dass das schön wird. Oooh“, meinte sie dann. „Mir war auch richtig übel, die gesamte Fahrt. Ich weiß nicht, ob das an den Herbststürmen lag… aber ich meine mich zu erinnern, dass die Hinreise nicht ganz so schlimm gewesen ist. Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, weil es zu lange her ist. Immerhin hatte ich das Glück, dass außer meiner Sklavin niemand dabei war, den ich kenne. Oder den ich je wiedersehen müsste.“ Pompeius Imperiosus… Der Name kam ihr irgendwie bekannt vor. Hatte Caius nicht irgendetwas erwähnt, dass sie zum Essen eingeladen waren? Aber bevor Seiana Überlegungen in dieser Richtung anstellen konnte, sprach Axilla schon weiter – und stellte Seiana vor ein kleines Problem. Sie hätte ihr liebend gerne zugesichert, dass das kein Thema sei, aber das konnte sie einfach nicht. „Also… um ehrlich zu sein, das weiß ich nicht. Wenn du Livianus schon kennen würdest, wäre es etwas anderes, aber so wirkt es vielleicht etwas merkwürdig. Ich würde in jedem Fall Livianus erst mal allein treffen, dann kannst du es selbst vielleicht besser einschätzen.“


    Dann lächelte sie versonnen. „Wir haben in Tarraco gewohnt. Aber meine Familie besitzt auch Güter in der Umgebung. …“ Nach dem Tod ihres Vaters waren sie ja mehr oder weniger abhängig gewesen von der Familie, aber merkwürdigerweise war das nie ein Problem gewesen. Seiana hatte nie wirklich das Gefühl bekommen, dass sie wirklich abhängig gewesen wären. Es war einfach… selbstverständlich gewesen, so war es ihr immer vorgekommen. „Bunter ist es wirklich, das ist wahr“, stimmte sie der Iunia dann zu. „Ich mag Alexandria auch sehr. Nur…“ Sie zuckte leicht die Achseln. „Ich kann es nicht erklären. Vielleicht passt Rom auch nur gerade für mich, wer weiß wie es in ein paar Jahren aussieht. Gerade weil es mit eigenen Betrieben für Frauen in Alexandria einfach leichter ist… Wobei wir ja noch glücklich sein können, dass wir nicht als Griechinnen geboren wurden. Gerade wenn eine Römerin sui iuris ist, kann sie auch hier einiges tun.“ Zum Beispiel den eigenen Bruder vor den Kopf stoßen, weil sie selbst entschied, mit wem sie sich verlobte. Seiana unterdrückte ein Seufzen. „Wer weiß, ob ich sonst meine Betriebe hätte. Oder Lectrix geworden wäre.“ Seiana legte den Kopf leicht auf die Seite und musterte Axilla. „Na ja, ich denke mit dem Heiraten kannst du dir ja noch Zeit lassen. Aber es stimmt schon, in Rom gibt es doch die größere Auswahl an akzeptablen Kandidaten.“ Dass Axilla ebenso wie sie vorhatte von Stand zu heiraten, stand für Seiana überhaupt nicht zur Debatte. Das war eines der Dinge, die in ihr so fest eingebrannt waren, dass sie überhaupt nicht über mögliche Alternativen nachdachte. Eine Römerin heiratete nicht unter ihrem Stand, so einfach war das. „Hast du dir denn schon Gedanken gemacht über eine mögliche Verbindung? Oder deine Familie?“

  • Tja, da war es wieder, sie hatte etwas vorschnell versprochen, was sie womöglich gar nicht halten konnte. Verlegen kaute sich Axilla auf der Unterlippe herum und ließ sich die Worte der Decima durch den Kopf gehen. Wäre Livianus heute hier, wäre das alles um vieles einfacher.
    “Ja, ich denke, das wird besser sein, wenn ich ihn das selber frage. Schade, dass er nicht da ist. Aber vielleicht kommt er ja noch?“ Seiana hatte vorhin zumindest so geklungen, als läge das im Bereich des Möglichen. Und es würde vieles sehr viel einfacher machen. Und vor allem käme Axilla sich dann nicht mehr so dumm vor, weil sie sich so aufgebrezelt hatte, wo es doch niemanden gab, den sie damit auch nur ansatzweise beeindrucken könnte. Sie glaubte zumindest nicht, dass Seiana sich von sowas beeindrucken ließe.


    Dann erzählte Seiana, dass sie auch in der Nähe von Tarraco gewohnt hatten. Axilla wusste von der Casa in der Stadt selber, die den Decimern gehörte. Immerhin war das spätestens seit Meridius' Triumph keine unbedeutende Adresse der Stadt gewesen. Wo allerdings ihre Höfe außerhalb gelegen hatten, das wusste Axilla nicht. Sie wusste nur, dass niemand direkter Nachbar bei ihnen gewesen war. Aber selbst mit denen hatte sie ja wenig bis gar nichts zu tun gehabt.
    “Ach, die Griechinnen in Alexandria leben aber auch recht gut. Kennst du Penelope Bantotakis? Die Musikerin? Sie ist sogar Gelehrte am Museion.“ Gut, sie war auch die einzige Gelehrte am Museion, die Axilla kannte, aber immerhin konnte sie behaupten, dass sie sie kannte. “Ich hab mal gelesen, dass das irgendwie von den Ägypterinnen kommt, weil die mit ihren Männern gleichberechtigt sind... oder irgendwie so wie. In Griechenland muss es den Frauen wohl wirklich schlecht gehen. Stimmt es, dass die Männer sie dort in die Häuser einsperren?“ Axilla schaute Seiana einen Moment lang an, als müsse diese die Antwort wissen, ehe ihr auffiel, dass es ja durchaus sein konnte, dass diese die Antwort nicht wusste. “Oh, tschuldige, ich rede schon wieder, was mir in den Sinn kommt“ Schlechte Angewohnheiten wurde man eben nur schwer los.
    Aber dann ging es ohnehin eher ums Heiraten, und Axilla begab sich wie von selbst ein wenig in eine Schutzhaltung. Sie zog die Beine an und stellte die Fersen auf den Rand ihrer Sitzfläche, hielt die Knie mit ihren Armen umschlossen, wobei in ihrer Rechten lässig noch der Becher hing. Es sah wohl etwas undamenhaft aus, bezeugte aber dafür die Gelenkigkeit der Iunia, denn scheinbar war es nicht unbequem.
    “Also, um ehrlich zu sein, ich weiß nicht...“ Kurz wurde Axillas Blick glasig, als sie überlegte, was sie sagen sollte. Seiana war Archias Freundin, und wenn er ihr vertraute, konnte sie ihr wohl auch vertrauen. Zumindest ein wenig. Vielleicht sollte sie einfach erklären, warum sie keine Ahnung von diesen Dingen hatte? Sie gab ihrem Herzen einen kleinen Ruck und fing an, zu erzählen. “Weißt du, mein Vater hat bei uns daheim alles geregelt. Er war zwar als Tribun häufig auch weg, grade wegen den Aufständen in Hispania früher.“ Wenn Seiana aus Tarraco kam, würde sie davon ja sicher wissen. “Aber trotzdem hat er alles geregelt, und zwar gut. Weißt du, meine Mutter war schon immer sehr zierlich und kränklich, und sie konnte das nicht.“ Axilla dachte kurz an die ruhige und stille, schmale Person, die durch die Krankheit nur immer ruhiger, stiller und schmaler geworden war, bis sie schließlich ganz verblasst war. “Und er ist gestorben, bevor ich so ganz im richtigen Alter war. Und weil Mutter so krank war, sind wir davor nie verreist, und ich hab auch keine Ahnung von Politik und anderen Familien und sowas. Dafür... war einfach keine Zeit. Und in Alexandria glaube ich, war Silanus ganz froh, dass ich sui iuris war und er sich darum nicht so kümmern musste, weil er hatte dafür auch keine Zeit. Und... jetzt bin ich hier, und hab immernoch keine Ahnung. Ich weiß also nicht, wie ich da... überhaupt anfangen sollte.“ Axilla zuckte ein wenig hilflos die Schultern. Sie hatte wirklich keine Ahnung, worauf sie genau zu achten hatte und wie sie überhaupt kundtun sollte, dass sie einen angemessenen Mann suchte, geschweige denn, wie man den fand.

  • Seiana zögerte kurz. Sie hatte im Grunde keine Ahnung, wann ihr Onkel heute nach Hause kommen würde, und ob er dann Zeit haben würde. „Ich denke, er wird in jedem Fall heute noch kommen. Aber ich kann dir leider nicht genau sagen, wann. Er musste dringend weg und hat nur die Bitte hinterlassen, dass wir dich an seiner Statt empfangen.“ Kam es ihr nur so vor, oder fühlte die Iunia sich tatsächlich ein wenig unwohl? Seiana rätselte kurz, woran das wohl liegen mochte, dann tat sie es aber als Einbildung ab. Es gab keinen Grund, warum sie sich unwohl fühlen sollte – bei einem Mann wie Livianus konnte es immer wieder mal vorkommen, dass er doch nicht konnte. Dass dann jemand von der Familie einsprang und sich um einen Gast kümmerte, war selbstverständlich.


    „Ich habe von ihr gehört, ja, hatte allerdings nicht das Vergnügen, sie persönlich kennen zu lernen“, antwortete sie dann auf die Frage nach Penelope Bantotakis. „So weit ich weiß, kommt sie jetzt für eine Weile nach Rom, um in der Schola zu lehren, zumindest hat mir mein Patron, Aurelius Corvinus, das erzählt.“ Aurelius Corvinus hatte ja gewusst von ihren Gehversuchen am Museion, die leider an ihrer Rückreise nach Rom gescheitert waren, ebenso wie er wusste, dass sie die Geschehnisse um das Museion und die mögliche Kooperation aufmerksam verfolgte. „Sie wird auch in der Villa seiner Familie wohnen, vielleicht ergibt sich dann noch die Gelegenheit einer Bekanntschaft.“ Seiana setzte sich ein wenig anders hin und schlug die Beine übereinander, um ein wenig Abwechslung zu haben, und trank ein weiteres Mal von ihrem Saft. Dann musste sie lachen. „Mach dir keine Gedanken“, wehrte sie lächelnd ab und ging dann auf das ein, was Axilla gesagt hatte. „Ich weiß es nicht. Ehrlich? Ich meine, ich habe gehört, dass die Frauen in Griechenland so gut wie nichts im öffentlichen Leben zu suchen haben, aber dass sie tatsächlich zu Hause eingesperrt werden?“ Seiana zuckte leicht mit den Achseln. „So oder so denke ich, dass uns in Rom doch einiges offen steht, erst recht im Vergleich zu Griechenland. In Ägypten ist es freilich noch mehr – und auch mit weniger schiefen Blicken verbunden. Es gibt fortschrittliche Menschen in Rom, aber es gibt eben auch die Konservativen.“


    Noch während sie sprach, setzte auch Axilla sich anders an, und für einen Moment konnte Seiana nicht anders, als – ein wenig verblüfft, ein wenig irritiert – dabei zuzusehen, wie sie die Beine anzog und vor sich auf Stuhl stellte. Seiana hatte nicht das geringste gegen diese Sitzhaltung, sie selbst saß auch so da gelegentlich, aber sie tat es, wenn sie alleine war, oder mit ihrem Bruder zusammen oder ähnlich vertrauten Menschen. Und wenn sie etwas anderes anhatte, nicht eine derart feine Tunika, wie Axilla sie gerade trug. Die Sklavin, die sie hernach würde glätten müssen, konnte sich jetzt schon darauf freuen, aber Seiana dachte mehr an die Möglichkeit, dass ihr Onkel vielleicht doch noch auftauchen könnte – und sie hoffte, dass dann weder ihm noch Axilla auffiel, dass ihre Tunika verknitterter war, als sie sein sollte. Ein wenig erinnerte Axilla sie an sie selbst – ihr Bedürfnis nach Freiheit, früher, danach, nicht nachdenken zu müssen, einfach tun und lassen zu können, was sie wollte. Sich einfach nicht darum zu scheren, was andere dachten. Diese Seiana von früher hätte sich ebenfalls so hingesetzt, wenn ihr danach gewesen wäre, egal ob jemand anwesend war oder nicht, und es wäre ihr egal gewesen, wenn ihre Mutter sie ausgeschimpft hätte dafür. Sie konnte allerdings nicht ganz sagen, ob Axilla wirklich auch so war, oder ob sie nur… nun ja… einfach nicht darüber nachdachte. Dass sie sich so hergerichtet hatte für ihren Antrittsbesuch bei Livianus, ließ eigentlich darauf schließen, dass sie sehr wohl auf das achtete, was sich schickte. Außer diesem ersten Moment der Überraschung jedoch ließ Seiana sich nichts anmerken von ihren Gedanken, und bei Axillas nächsten Worten verschwanden ohnehin sämtliche Mutmaßungen und Überlegungen dieser Richtung aus ihrem Kopf. Als Axilla fertig war, schwieg Seiana erst einmal – länger, als normal gewesen wäre. Dann gab sie sich einen Ruck. „Nun, das ist…“ Sie räusperte sich und lächelte ein wenig verlegen. Ihre Art, heute jedenfalls und in Gesellschaft der allermeisten Menschen, ihr Unwohlsein zu überspielen, sich zu schützen. „Da tun sich offenbar einige Parallelen auf zwischen uns. Mein Vater ist auch recht früh gestorben. Meine Mutter war allerdings sehr resolut und streng, so hat sie uns auch erzogen, bis sie schließlich… krank wurde…“ Seianas Stimme verlor sich kurz, dann räusperte sie sich erneut. „Wenn du möchtest, dann… kann ich dir vielleicht behilflich sein. Ich meine, allzu gut kenne ich mich auch nicht aus, vor allem weil ich ja selbst noch nicht allzu lange wieder in Rom bin, aber ich könnte meinen Patron fragen, welche Römer geeignete Heiratskandidaten für dich wären. Vorausgesetzt, Silanus – das ist dein Tutor, nehme ich an? – hat nichts dagegen.“

  • Nun, wenn Seiana auch nicht wusste, ob und wann Livianus kam, blieb nur Abwarten und Saft trinken. Zur Not würde sie einfach nochmal kommen, wenn er wirklich nicht kam, ehe sie heim ging. Oder sie lud ihn zu sich ein? Ihr Blick glitt kurz durch die schöne Ausstattung des Hauses, die edlen Hölzer, die verarbeitet wurden bei den Möbeln... vielleicht ließ sie die Einladung in die Casa Iunia auch bleiben. Sie waren nicht arm, aber hiermit konnten sie nicht mithalten.


    Zum Glück war aber das Thema sowieso schnell anderswo, und Axilla verlor den Gedanken wieder aus dem Sinn. “Wusst ich ja gar nicht, dass sie kommen wollte“, meinte Axilla, aber sie wusste ja auch nicht alles, was in Alexandria so vorging. Auch wenn sie und die Bantotakin bekannt waren und Nikolaos ja zum Epistates geworden war, hieß das ja nicht, dass sie über irgendwelche Reisen deshalb informiert war. Aber es war interessant, das zu erfahren. “Ja, vielleicht kannst du sie kennenlernen. Sie kann wirklich wundervoll spielen.“ Axilla hatte bei den Spielen richtig mitgefiebert, als sie an der Reihe gewesen war.
    Und zum Glück war Seiana auch nicht wegen Axillas unbedarfter Frage böse, sondern antwortete darauf, so gut sie es eben wusste. Und Axilla war dankbar für den Hinweis, wie es in Rom denn war, denn sie konnte sich hier auch noch gar nichts wirklich vorstellen. “Dann meinst, du, es ist hier auch gar nicht so schlimm, wenn ich erzähle, dass ich zwei Betriebe besitze und leite? Ich weiß noch gar nicht so recht, wie die Leute hier sind. Ich kenne bisher eigentlich nur ein paar, und die nichtmal so richtig. Und ich will nichts falsch machen.“
    Axilla würde ja gern mehr Menschen kennenlernen. Sie hatte ja eigentlich Gesellschaft sehr gern, denn je mehr Gesellschaft sie hatte, umso abgelenkter war sie und umso weniger musste sie nachdenken.


    Doch dann kam das Thema auf Axillas Mutter. Sie merkte nicht, wie Seiana dabei ihre Sitzposition beobachtete und ahnte auch nichts von ihren Gedanken. Denn im Moment dachte sie wirklich nicht nach, erst Recht nicht über irgendwelche Knitter in ihrer Kleidung. Viele Frauen gaben sich sehr viel Mühe bei der Auswahl ihrer Garderobe, bedachten hunderte Dinge wie Qualität des Stoffes und den neuesten Schnitt, wie modisch etwas wohl war... Für Axilla war Kleidung nur etwas hübsches, was man eben anzog, um nicht nackt rumzulaufen. Nicht mehr. Weder Statussymbol noch Instrument, und erst recht nichts worüber man groß nachdenken musste. Sie hatte sich zwar hübsch gemacht, aber, weil sie für den Senator hübsch hatte sein wollen. Immerhin hatte er sie eingeladen, und ein bisschen Erziehung hatte Axilla ja doch gehabt. Für sie war das ihre Art, ihm Respekt entgegenzubringen. Aber wirklich berechnend darüber nachgedacht hatte sie nicht.
    Sie hatte in ihrem Leben schon so viele Tuniken vollständig ruiniert. Mal war sie auf einen Baum geklettert und hatte den Stoff an den feinen Ästen zerrissen, mal war sie irgendwo unbedacht langegangen und hatte sich irgendwo angelehnt, wo es schmutzig war oder von frischer Farbe bemalt, die später nicht mehr rausgegangen war. An ihrem Geburtstag im letzten Jahr hatte sie eine Tunika von oben bis unten mit Schlamm von den Feldern vor Alexandria verdreckt, weil sie hingefallen war. Es kümmerte sie nicht wirklich.
    Dass Seiana aber nicht wirklich über ihre Familie reden wollte und es ihr schwer viel, von ihrer Mutter zu berichten, das bemerkte Axilla sehr wohl. Sie bekam gleich so ein flaues Gefühl in der Magengegend, als sie merkte, dass sie einen Fettnapf wohl erwischt hatte, und versuchte, es zu überspielen. Leider fiel ihr nichts vernünftiges dabei ein. “Nein, streng war Mutter nicht. Sie war mehr... still...“ Axilla versuchte, zu überlegen, wie ihre Mutter denn eigentlich war. Auch, wenn sie ihre eigene Mutter war, irgendwie war da nicht viel, das Axilla sagen konnte. Ihre Mutter war eine zurückhaltende, stille, ruhige Person gewesen, die auf sanfte Weise versucht hatte, das wilde Kind zu zügeln. Sie war ganz anders gewesen als der Vater, und auch sehr anders als Axilla, die ein rechter Wirbelwind gewesen war. Und ohne Grenzen war Axilla auch sehr frei aufgewachsen, lediglich der Sklave Iason, der ihr Lehrer gewesen war, hatte sie noch einigermaßen gebändigt, und natürlich der Vater.
    Zum Glück blieb das Thema aber nicht hierbei, sondern wechselte sehr rasch zum Thema heiraten. Das war zwar auch irgendwie seltsam, aber nicht ganz so unangenehm.
    “Nein, Silanus ist nicht mein Tutor. Ich bin emanzipiert“ Axilla sagte es ein wenig schüchtern. Es war ungewöhnlich, wenn eine junge Frau für sich selber sprach. Bei einer Witwe war es wohl eher, aber bei einer siebzehnjährigen doch nicht Usus, und genau genommen auch nicht ganz gesetzeskonform. “Also, wenn es etwas gibt, wo ich eine Vertretung brauche, dann macht er das schon, aber ich kann und darf für mich selber entscheiden.“ Axilla schaute in etwa so zu Seiana auf, als hätte sie ihr eben gestanden, dass sie eine gesuchte Mörderin war. In Ägypten war der Umstand, dass sie für sich selbst sprach, kein Thema gewesen, hier würde es hoffentlich nicht zu einem Problem werden. “Also, falls du deinen Patron fragen möchtest, wäre das wirklich sehr nett. Vielleicht findet sich ja jemand?“ Immernoch war es komisch, sich selbst fast wie eine Kuh auf dem Viehmarkt anzubieten, aber so war das nunmal. Und vielleicht wusste der Aurelier ja jemand nettes und junges, der Axilla ihre Freiheiten gewährte? Fragen konnte man ja mal.

  • Als Livianus die Casa Decima betrat wurde er von den Sklaven umgehend über die Ankunft des eingetroffenen Gastes und dessen verbleib informiert. Der Termin hatte kürzer gedauert als erwartet und der Senator war froh Iunia Axilla noch hier im Haus anzutreffen.


    Ein Brief hatte ihr kommen zwar angekündigt, allerdings hatte sie einen genauen Tag verschwiegen. Für ein Umkleiden blieb nun keine Zeit und so entschied er vorerst die schwere Senatorentoga anzubehalten. Neugierig und bestens gelaunt betrat er das Tablinum und sah seine Nichte Seiana und vermutlich Iunia Axilla, die beide tief in ein Gespräch vertieft waren. Lächelnd trat er auf die beiden zu.


    "Meine Damen. Ich hoffe ich störe nicht."

  • Jemand kam ins Tablinum. Axilla hörte die Schritte, ehe sie die dazugehörige Person sah. Ein wenig neugierig schaute sie auf und sah einen etwas älteren Mann in einer vornehmen Toga mit breitem, dunkelroten Streifen. Sie sah einmal kurz etwas fragend zu Seiana hinüber, die ihr mit ihrem Blick schon verriet, dass das wohl derjenige welche war, auf den sie gewartet hatte.
    Hastig nahm Axilla die Füße vom Stuhl, weil sie merkte, dass sich das wohl nicht gehörte, und bemerkte just zwei Sekunden später, dass sie vielleicht auch nicht sitzen bleiben sollte. Noch ein wenig hastiger stand sie auf, verschüttete dabei fast ihren Saft und unterdrückte einen Fluch. Jetzt nahm sie die Knitter in ihrem Kleid sehr wohl wahr und strich schnell mit der Hand einmal darüber, in der Hoffnung, die schlimmsten Knitter glätten zu können. Aber im Grunde hätte sie ebensogut versuchen können, die Berge einzuebnen. Mit leicht geröteten Wangen stand sie also da, suchte einen Abstellplatz für ihren Saft, stellte ihn also kurzerhand auf den Boden mangels anderer Einfälle und trat zu dem Senator näher hin.
    “Senator Decimus?“ fragte sie nochmal etwas schüchtern nach. Wobei jeder Senator der Decimer wohl mit dieser Frage richtig angesprochen worden wäre. Irgendwie war sie froh, dass er nicht klein und dick war, wie in den Albereien mit Archias ausgedacht. Sonst hätte sie jetzt sicher lachen müssen. So aber stand sie eignetlich fast etwas schüchtern und steif vor dem Senator und überlegte, wie sie den Mann richtig begrüßen sollte.

  • "So ist es." sagte Livianus lächelnd.


    "Und du musst dann Iunia Axilla sein. Es freut mich, dass wir uns endlich kennen lernen. Ich hoffe du verzeihst, dass ich dich nicht persönlich empfangen konnte. Ich hatte ein kurzes aber äußerst wichtiges Treffen mit einem anderen Senator."


    Dann wechselte sein Blick kurz zwischen den beiden Damen.


    "Aber wie ich sehe hat sich meine Nichte Seiana zwischenzeitlich um dich gekümmert."


    Dann deutete er Axilla, dass sie wieder platz nehmen konnte.


    "Deine Reise nach Rom verlief hoffentlich ruhig und ohne größere Zwischenfällen?"

  • „Nein… nein, ich denke nicht, dass das schlimm ist. Sieh mich an, mit der Taberna medica habe ich jetzt drei…“ Und sie war Lectrix der Acta Diurna, das kam auch noch dazu. Seiana zögerte kurz. „Ich erzähl das auch nicht unbedingt überall herum. Ich denke es kommt auf die Menschen an, konservativ Denkende gibt es immer. Aber letztlich verberge ich da auch nichts, wenn die Sprache darauf kommt. Gut“, sie lachte leise, „vielleicht sind manche überrascht, dass du schon zwei Betriebe leitest, weil du noch recht jung bist. Aber das ist dann ja eigentlich nur immer der erste Moment.“ Seiana lächelte sie an. „Wenn deine Geschäfte erfolgreich laufen, hast du überhaupt keinen Grund, dich dafür zu schämen. Wer darüber dann die Nase rümpft, ist doch im Grunde nur neidisch.“


    Als die Sprache auf ihre Familien kam, kam das Gespräch irgendwie ins Stocken. Seiana war selbst abgelenkt, aber auch sie hatte den Eindruck, dass nicht nur sie gerade etwas… zurückhaltender, verschlossener wurde. Ihr Lächeln wurde wehmütig. „Still sein… das wollte sie immer von mir…“ meinte sie leise – nur um sich anschließend wieder zu räuspern. Und sich auf das Thema Heirat zu stürzen, obwohl sie zu merken meinte, dass auch das nicht unbedingt allzu große Begeisterung bei Axilla hervorrief. Und was wirklich deutlich zu merken war: Axilla war ganz offensichtlich tatsächlich nicht wohl dabei zu erzählen, dass sie für sich selbst entschied. Es wirkte fast schon wie ein Geständnis, so wie sie es sagte und wie sie sie dabei ansah. Seiana unterdrückte ein Stirnrunzeln, was ihr erster Impuls gewesen war – weil sie es nicht richtig fand, dass Axilla sich dessen fast zu schämen schien –, weil sie befürchtete, die Iunia könnte das als Tadel auffassen. Stattdessen beschloss sie, nur leichthin mit den Achseln zu zucken. „Das bin ich auch. Meine Brüder…“ …war keiner da gewesen, außer Caius, der mittlere, aber der hatte auch nicht wirklich Interesse daran gezeigt, eine derartige Verantwortung für sie zu übernehmen. „…haben mir das überlassen. Sicher mag es etwas ungewöhnlich sein für Frauen, die noch nie verheiratet waren, aber auch da denke ich: sag es einfach nicht zu laut in der Gegenwart gewisser Leute, und ansonsten sei stolz auf deine Unabhängigkeit. Sicher ist es einfacher, jemanden zu haben, der für einen entscheidet. Und es heißt ja auch, wir Frauen könnten das nicht so gut wie Männer. Aber ich selbst denke, dass wir es immerhin gut genug können… wenn man uns die Gelegenheit dazu gibt.“ Oder vielleicht gehörten Frauen wie sie und Axilla auch nur zu den Ausnahmen, die die Götter machten. Seiana wusste es nicht. Sie wusste nur, dass sie ihre eigene Unabhängigkeit nur ungern wieder aufgeben wollte, nun, da sie sie einmal hatte.


    Sie wollte gerade dazu ansetzen, weiterzusprechen und zuzusichern, dass sie ihren Patron fragen würde, als plötzlich ihr Onkel den Raum betrat. Als sie Axillas fragenden Blick sah, bejahte sie ihn mit dem ihren, bevor sie aufstand und mit einem Lächeln ihren Onkel begrüßte. „Salve, Onkel Livianus. Du störst überhaupt nicht.“ Aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, wie Axilla hektisch aufstand und versuchte, ihr Kleid glatt zu bekommen, bevor sie den Senator ebenfalls begrüßte. Ob Livianus tatsächlich nichts bemerkte oder es nur aus Höflichkeit überspielte, in jedem Fall sagte er nichts dazu, sondern gab sich charmant wie stets. „Ja, wir haben uns in der Tat gut unterhalten. Stell dir vor, wir kannten uns schon flüchtig aus Alexandria – ich war genau die Richtige, um dich zu vertreten. Kann ich dir etwas zu trinken bringen lassen?“

  • Die Worte von Seiana machten Axilla Mut. Sie musste also einfach nur rausfinden, bei wem sie was sagen konnte, und damit war sie auf der sicheren Seite. Solange sie es nicht jedem auf die Nase band oder damit angab, war das alles kein Problem. Und damit anzugeben hatte Axilla zumindest einmal nicht vor.
    Bevor sie aber darauf etwas so richtig erwidern konnte, kam schon der Senator herein und unterbrach damit das Gespräch, das sich so langsam entwickelt hatte, mit seiner Anwesenheit. Es ließ sich einfach nicht gut über mögliche Heiratsgedanken oder auch über die Krankheiten von Müttern sprechen, wenn ein Mann gerade anwesend war. Vor allem, wenn man diesen gar nicht kannte und gerade aufgeregt für zwei war.
    Aber der Senator schien das ganze gar nicht zu bemerken – oder aber er war Politiker genug, sich nicht darüber lustig zu machen oder es sich anmerken zu lassen, und deutete ihr nach der Begrüßung nur, dass sie sich wieder hinsetzen konnte. Was Axilla ja auch gleich in Angriff nehmen wollte, und noch während er sie nach ihrer Reise fragte und Seiana ihn fragte, ob er etwas trinken wollte, lief sie einen Schritt zurück. Soweit kein Problem, hätte sie nicht just da den Becher mit ihrem Saft mangels anderer Möglichkeiten abgestellt gehabt. Prompt stieß sie dagegen, was dieser gleich klappernd zur Kenntnis nahm und umfiel. Klebrig süßer Saft ergoss sich auf den teuren Fußboden und ließ eine hochrot anlaufende Axilla sofort Entschuldigungen stammeln. “Oh, das tut mir leid. Ich wollte nicht... ich hab vergessen, dass ich ihn dahin gestellt habe.“
    Einem hektischen Einfall folgend nahm Axilla mangels einer anderen Möglichkeit ihre Palla – riss dabei eines der kunstvoll eingeflochtenen Seepferdchen ab, das unbemerkt und klimpernd auf dem Boden landete – und ging auch schon auf die Knie, um die angerichtete Sauerei einzudämmen. Ihr Gesicht fühlte sich unendlich heiß an, vor allem, als sie bemerkte, dass sie wie eine Sklavin grade auf dem Boden kniete, um verschütteten Saft aufzuwischen. Entschuldigend und nicht minder hilfesuchend schaute sie auf und öffnete schon den Mund, um etwas zu sagen, aber in ihrem Kopf herrschte gerade ausgesprochene Leere, so dass ihr absolut nichts einfiel, was sie sagen könnte.

  • Das erste kleine Ungeschick der Iunia konnte Livianus noch gekonnt überspielen und hatte sich nichts anmerken lassen, doch nun war das breite Grinsen in seinem Gesicht deutlich zu sehen. Vermutlich war das Mädchen einfach nur sehr nervös bei der Tatsache in einer fremden Stadt fremden Leuten gegenüber zu stehen und dabei möglichst einen guten Eindruck zu machen. Die Iunier und Decimer verband immerhin eine lange Freundschaft.


    Der Senator nahm das ganze leicht amüsiert hin bis zu dem Zeitpunkt, als Axilla plötzlich auf die Knie fiel und begann den Boden mit ihrer Palla zu säubern. Sofort hob er die Hand um einen Sklaven herbeizurufen und schritt ein wenig entsetzt die verbleibenden Meter auf die am Boden kniende Iunia zu.


    "Bitte steh wieder auf! Das ist nicht nötig. Die Sklaven werden sich darum kümmern."


    Mit allem hätte er gerechnet, doch nicht damit, dass sich dieses hübsch angezogene Mädchen auf den Boden schmiss um ihn mit ihrem eigenen Gewand zu säubern. Er war doch nicht der Kaiser und sie keine seiner Dienerinnen. Livianus beugte sich verlegen nach unten, hob das am Boden liegende Seepferdchen auf und ergriff schließlich sanft Axillas Arm, um sie mit etwas Nachdruck zum Aufstehen zu bewegen. Sein Blick viel dabei auf die Palla, die bereits von Sanft durchtränkt war. Er hoffte zugleich, dass ihr hübsches Kleid nicht ebenfalls derart in Mitleidenschaft gezogen worden war. Das er dabei auch einen Zipfel seiner Senatorentoga in den nassen Fleck tunkte, viel ihm nicht auf.


    "Bitte komm wieder auf."

  • Seiana zuckte kurz zusammen, als Axilla den Becher umstieß und dieser mit einem Klappern umfiel. Sie konnte mit der Iunia mitfühlen in diesem Moment, konnte sie sich doch nur allzu gut vorstellen, wie peinlich das für sie sein musste. Aber bevor sie reagieren konnte, hatte ihr Onkel schon die Initiative ergriffen, winkte Sklaven herbei und bot Axilla Hilfe an beim Aufstehen. Seiana lächelte Axilla aufmunternd zu. „Warte, gib mir das.“ Sie nahm der Iunia die Palla ab und musterte kurz das Kleid. „Ich sorge dafür, dass sie gewaschen wird. Und ihr beide noch etwas zum Trinken bekommt. Möchtest du etwas zum Umziehen haben?“ Sie wartete Axillas Antwort ab und verabschiedete sich dann mit einem Lächeln, um für das Gewünschte zu sorgen. Sie beide hatten sich zwar gut unterhalten, aber Axilla war ja gekommen, um Livianus kennen zu lernen. Und nachdem sie gerade erst festgestellt hatte, dass Caius und Axilla bessere Freunde waren, als sie bisher gewusst hatte, würden sie sich sicher bald wieder begegnen.

  • Ein paar Sklaven kamen angetrippelt, während Livianus Axilla auch schon sanft, aber bestimmt wieder aufhalf. Mit roten Wangen und einem Blick wie ein ertapptes Reh stand sie also langsam wieder auf und blieb erstmal ein wenig verschüchtert stehen, während um sie herum schon gewuselt und geputzt wurde. Sie trat nur noch schnell beiseite, um nicht im Weg herumzustehen.
    “Das tut mir leid. Ich bin normalerweise nicht so tollpatschig.“ Stimmte. Normalerweise war sie noch tollpatschiger.
    Seiana nahm Axilla die durchtränkte Palla ab, die ein wenig vor sich hin tröpfelte, und schaute sie dann ein wenig mitleidig an. Archias hatte wirklich eine furchtbar nette verlobte, denn sofort bot sie ihr an, sie waschen zu lassen, und dass sie sich gegebenenfalls sogar umziehen konnte. “Ähm, nein, ich denke, das geht so. Ich will keine Umstände machen. Danke“, meinte sie noch immer etwas schüchtern und beobachtete dann fast ein wenig verschreckt, dass Seiana ging und sie und den Senator allein ließ.
    Sie hatte jetzt keine Angst vor dem Senator, er schien ihr ja ganz nett zu sein. Aber sie kannte ihn noch gar nicht, und Seiana war sowas wie ein kleiner Strohhalm gewesen, an dem sie sich in ihrem Meer an Unsicherheit noch festhalten konnte. Oder sich hinter ihm in ihrer Schusseligkeit verstecken. Jetzt aber war sie erstmal auf sich gestellt und wusste nicht so recht, was sie tun sollte. Daheim hatte Leander ihr hundert Dinge mitgegeben, die sie sagen und machen sollte, aber im Moment herrschte in ihrem Hirn eine vakuumartige Leere.
    “Oh, ich möchte mich für die Einladung bedanken“, fiel ihr dann eine Sache doch noch ein. Allerdings war es das auch schon mit ihren Geistesblitzen, und sie blieb einfach weiter gegenüber von Livianus stehen, während die Sklaven sich langsam mit den nassen Tüchern auch schon wieder trollten.

  • "Der Dank gilt vielmehr dir für dein Kommen und den weiten Weg den du dafür auf dich genommen hast. Für mich ist es eine Sebstverständlichkeit, dass mein Haus jedem Iunier offen steht und als ich deinen Brief gelesen habe, war es mir ein großes Bedürfnis dich auch einmal persönlich kennen zu lernen. Die Anteilnahme eurer Familie an meinem Schicksal hat mich sehr gerührt und auch gefreut."


    Erneut bot der Senator seiner jungen Besucherin mit einer einladenden Geste einen Platz an.


    "Wenn es dir nichts ausmacht, dann werde ich mich kurz von dieser unbequemen Toga befreien lassen."


    Die Frage war eher aus Höflichkeit, da es sich der Decimer ohnehin nicht mit dieser Toga auf einer der Liegen bequem machen konnte. Livianus winkte erneut zwei Sklaven herbei, die den Wunsch ihres Herrn bereits verstanden hatten und umgehend damit begannen den Senator vorsichtig aus der Toga zu wickeln und sie sorgsam zusammen zu legen. Es war eine Prozedur die fast jeden Tag gleich abief und hatte man einmal eine solche Toga angelegt gehabt, konnte man verstehen, warum Livianus sie schnellstmögich loswerden wollte. Abgesehen von ihrem stattlichen Gewicht, war sie auch nicht besonders bequem, vorallem wenn man sich im eigenen Haus aufhielt. Unter der Toga trug Livianus die obligatorische weiße Tunika, die ebenfalls ein breiter Purpurstreifen, das unübersehbare Erkennungsmerkmal der Senatoren, zierte. Während die Sklaven damit beschäftigt waren die lange Stoffbahn zu bändigen widmete sich Livianus seinem Besuch.


    "Also lass uns noch einmal von vorne beginnen. Deine Reise nach Rom verlief ruhig und ohne größere Zwischenfälle?"

  • Gut, er war nicht böse auf sie. Das wäre also schonmal geklärt. Sie hatte ja eher befürchtet, es könne ihm vielleicht nicht so gut gefallen haben, dass sie sich mehr oder minder bei ihm beschwert hatte, dass er nicht beim Haus der Iunier in Alexandria vorbeigekommen war, aber entweder war dem wirklich nicht so, oder er war einfach nur nett zu ihr.
    Dass er Seiana nicht einmal hinterherschaute oder irgendwas zu ihr sagte, wunderte Axilla aber schon. Er schaute die ganze Zeit nur zu ihr herüber, als wäre die Decima gar nicht im Raum gewesen. Ein bisschen komisch fand Axilla das schon. Sie war es nicht gewohnt, die Aufmerksamkeit eines anderen derartig auf sich selbst zu ziehen und fragte sich schon, ob sie etwas falsch machte.
    Er bot ihr nochmal Platz an und Axilla setzte sich fast ein wenig linkisch hin. Natürlich, setzen, das war eine Idee, auf die sie auch selber hätte kommen können. Also saß sie und sah dann auffällig beiseite, während die Sklaven Livianus aus seiner Toga schälten. Sie fand, dass das doch ein wenig intim war, und gab ihm daher das bisschen Privatsphäre, das sie ihm zugestehen konnte. Als er fertig war, sah er schon viel normaler aus. Der ganze Stoffberg wurde von den Sklaven weggetragen und wahrscheinlich neu gewaschen und gestärkt.
    “Naja, das Meer war doch schon ziemlich unruhig. Und ich vertrage das nicht so gut, mir war eigentlich die ganze Zeit schlecht“, gestand sie etwas scheu und schaute dann leicht verlegen auf. Die Sache mit dem Becher tat ihr immernoch unendlich leid, und machte sie so unsicher, dass sie gar nicht wusste, was sie denn sagen sollte, um charmant zu wirken. “Aber dafür ist es hier ja sehr schön. Meine Cousine versucht schon, mir die ganze Stadt zu zeigen. Du kennst sie? Iunia Serrana. Rom ist ja wirklich sehr sehenswert.“

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!