Cubiculum | Manius Flavius Gracchus

  • Die Zeit tröpfelte dahin wie das Geschehen in Gracchus' Geist ein, die Stunden wurden länger, gleichsam der Tage, und die Ungeduld zwang ihn alsbald, mehr und mehr den Geist mit seinem Körper in Einklang zu bringen zu suchen. Er begann seinem Sklaven vorzulesen, da der Medicus glaubte, nur durch fortwährende Repetition und ständiges Training würden jene maroden Verbindungen zwischen Absicht und Tat wieder gefestigt werden können, welche Sprache und Bewegung hemmten. Zu Anfang drang kaum ein Wort lückenlos in seiner Gänze über Gracchus' Lippen, manches gar nicht einmal im Ansatze, so dass Sciurus zwar in seiner stets endlosen Geduld den Anschein gab, ihm zuzuhören, er jedoch nicht einmal halbwegs konnte nachvollziehen, um welchen Text es sich handelte. Doch war dies ohnehin nur von marginalem Belang, denn Gracchus achtete ebenso wenig auf jenen augenscheinlichen Zuhörer wie jener tatsächlich zuhörte. Obgleich es überaus mühsam war, das Sprechen Gracchus mehr anstrengte als er je vermutet hätte, dass solcherlei dies tun könne, so zeigten sich durchaus allmählich Fortschritte. Auch den Körper vergaß er ob des Trainings nicht, suchte seine Koordination zu verbessern und wagte sich alsbald aus seinem Cubiculum hinaus, wenn auch nichts ihn außerhalb der Villa zog. Keine seiner Pflichten hatte er vergessen, kein Tag verging ohne deren Auftauchen in seinen Gedanken, doch dieser Tage schienen sie nicht gar so bedeutsam wie er immer hatte geglaubt. Es war ein anders Licht, welches sie nun beleuchtete, sie umschloss, das Leben war von einer gänzlich anderen Qualität, nicht besser, nicht schlechter, nur divergent - in seiner Wahrnehmung, in seiner Geschwindigkeit, in seinen Möglichkeiten und ob all dessen in seiner Gewichtung.

  • Bahnen von Stoff waren um seinen Körper herum drapiert, Falten über Falten, von welchen an einer letzten Sciurus Hand anlegte und sie in Perfektion ordnete - überflüssigerweise, denn letzte Korrektur würde ohnehin nach Verlassen der Sänfte noch einmal notwendig sein. Mit starrer Miene stand Gracchus in seinem Cubiculum und ließ die Sklaven gewähren, hielt an sich, um nicht dem Wunsche nachzugeben, sich fallen zu lassen - auf einen Stuhl, sein Bett, selbst der Boden schien ihm verlockend nahe, denn mit jedem vergehenden Herzschlag rückte der beileibe schlimmste Augenblick seines Lebens näher. Nicht einmal der Tag seiner Hochzeit konnte mit jener nahenden Zukunft konkurieren, keine Nachricht vom Tode seiner geliebten Verwandten, nicht die Tage der Furcht in Achaia, der Verlust seines ersten Geliebten. Als Sciurus von ihm ließ, wandte Gracchus sich langsam um und blickte in das Gesicht im Spiegel, presste die Kiefer aufeinander. Eine Farce, ein Kartenhaus, welches in jenem Augenblicke in sich würde zusammen stürzen, da er mit seiner Rechtfertigung würde beginnen. Unzählige Male hatte er die Rede bis zur körperlichen Exhaustion geprobt, die Worte waren ihm längst ins Gedächtnis gebrannt, doch ein jedes Mal wieder scheiterte er an zu vielen Worten, verlor zu viele Buchstaben, blieb an zu vielen Lauten hängen, verlor in Echauffage ob dessen gar schlussendlich manches mal zu allem Überfluss auch noch den Faden. Sciurus hatte versucht als Souffleur zu agieren, doch letztlich scheiterte Gracchus nicht an der Wortwahl, sondern an den Worten an sich. Seine dunklen, braunen Augen blickten ihm aus dem matten Spiegel entgegen, und er konnte die Furcht darin sehen, welche er in sich verspürte. Er würde nicht wie in Kälte zittern, würde nicht den Schatten erlauben, einen einzigen Digitus von ihm zu beanspruchen, nicht seinen Kopf senken vor der Dunkelheit, mochte die Sonne auf die Erde herabstürzen. Doch Rom war unbarmherzig, dessen war er sich nur allzu sicher. Rom duldete keine Schwäche, nicht von einem Magistraten, nicht von einem Senator, einem Patrizier, nicht von irgendwem. Sie würden ihn in feinste, kleinste, filigrane Stücke zerreißen, gleich jener Art und Weise, wie die strigae dies nur allzu oft in seinen Träumen taten. Sie würden das Fleisch von seinen Knochen reißen und sein Skelett demontieren, jeden Tropfen seiner Selbst ausdörren. Groß war die Versuchung, die Tage verstreichen zu lassen, unbehelligt, zurückgezogen, in selbst gewählter Vergessenheit - doch jener Mann im Spiegel war, obgleich so viel von ihm verloren war, noch immer er, und er musste sich seiner Pflicht stellen. Er nickte Sciurus zu, drehte sich zur Türe hin und zögerte noch einmal. Schlussendlich jedoch ging ein marginaler Ruck durch seinen Körper, und Gracchus trat den Weg aus dem Haus hinaus an, seine Res gestae auf der Rostra zu halten.



    /edit: Link

  • Als sie den Raum später erneut betraten, stützte Sciurus seinen Herrn. Die weißfarbene Toga mit dem breiten, purpurfarbenen Streifen hing an Gracchus' Seite herab wie die leblose Hülle einer Schlange nach der Häutung, und Gracchus streifte sie nur allzu gerne gänzlich von seinem Leib, ließ achtlos auf dem Boden sie liegen. Auf einem der Stühle vor dem kleinen Tisch am Fenster angelangt, schickte er den Sklaven mit einem müden Wink aus dem Raum, denn es war ihm nicht nach Gesellschaft, nicht einmal nach der lautlosen, unsichtbaren Anwesenheit seines Leibsklaven. Die Türe schloss sich leise hinter Sciurus und Stille breitete sich im Raume aus, untermalt von der klandestinen Hintergrundmelodie des Gartens vor den Fenstern, durchdrungen von dem lauten Schlag Gracchus' Herzen, welchen er mehr als alles andere in seinem Kopfe konnte hören. Er lauschte jenem rhythmischen Pochen, so filigran und zerbrechlich, gleichsam so durabel und unzerstörbar, das Lied seines Lebens, seiner Existenz, seines Daseins, und fragte sich dabei, weshalb die Götter nicht jenen Schlag ebenso hatten angehalten, wie sie dies mit dem beständigen Rattern seines Geistes hatten getan, weshalb die Götter nicht ihm hatten alles genommen und ihn stattdessen in jenem maroden, defizitären Zustand hatten zurück gelassen, welcher nurmehr ein Schatten seiner Selbst war. Er hatte sein Aedilat beendet, doch er wusste gleichsam, dass es so gut wie das Ende seiner Karriere war. All die Pflicht, nach deren Erfüllung er je hatte gestrebt, all die Ziele, deren Erreichen ihm schon vor dem Beginn seines Daseins vorbestimmt gewesen waren gewesen - mit einem Male war dies alles so unerreichbar fern, wie auch gleichsam so nichtig. Die Existenz seiner gesamten Karriere fußte auf dem Rhythmus der Sprache an sich - dem Wort und dessen Biegung, dem Satz und dessen Dynamik, der Poesie der Buchstaben, der Klangfarbe des gesprochenen Lautes - welcher jegliche Handlung war untergeordnet, und obgleich so mancher Staatsmann bisweilen ganz ohne Worte war bis zu seinem Ziel hin aufgeschossen, so wusste Gracchus, dass dies nicht sein Weg war, dass er niemals ohne Worte würde sein können, würde sein wollen. Wie weit würde dieser Fluch noch gehen, wie viel würde er ihm noch entreißen wollen, wie lange würde er noch bezahlen müssen für Dinge, welche längst im Staub der Geschichte verloren waren? Von Furcht in Zorn getrieben griff Gracchus eines der Gläser, welche stets neben einem Krug frischen Wassers auf dem Tisch bereit standen, und schleuderte es mit aller Kraft gegen den Spiegel auf der anderen Seite des Raumes, aus dessen Innersten noch kurz vor der Rede sein Abbild ihm hatte entgegen geblickt, äußerlich wie eh und jeh, beinah unversehrt, und doch nur eine Farce, so wenig von dem was er war, wer er war, selbst dessen, was er stets nur vorgegeben hatte zu sein. Das Glas splitterte in tausende, filigrane Scherben, welche einen Augenblick lang als in allen Farben des Spektrums schillernder Regen in der Luft hingen, um dem Reigen der Gravitation folgend schlussendlich in leisem Prasseln dem Boden entgegen zu fallen und dort ein lebloses Mahnmal der Sinnlosigkeit zu formen. Die Türe öffnete sich auf das Klirren hin und Sciurus stürmte herein, seit jenem Vorfall im Officium der Basilica Iulia stets in Sorge um seinen Herrn und darob aufmerksamer als jede Glucke, fand jedoch nur die im hereinfallenden Sonnenlicht glitzernden Scherben vor dem Spiegel und seinen Herrn, der längst sich wieder hatte abgewandt, stumm und starr aus dem Fenster blickte und in sich jene Furcht verbarg, welche ihn mehr und mehr verschlang, zu all den zahlreichen Ängsten und Befürchtungen in seinem Innersten eine weitere hinzufügte, ein Tropfen nur in jenem gewaltigen Ozean, und doch jener, welcher ihn ertrinken ließ.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Eisig rann das rotfarbene Blut über seine Zunge, perlte von seinen blassen Lippen in den leblosen Staub, sein eigenes Blut, zähflüssig aus der Wunde in seinem Herzen, hinab in die goldfarbene Schale, welche als Farbtopf diente - Lebensfarbe, mit welchen er die kahlen Wände seines Gefängnisses zeichnete. Er war der Atem in seinem Gesicht, und während er noch glaubte, sicher zu sein, beobachtete er ihn längst, hatte längst seine kalten Klauen um seine Brust gelegt und raubte sukzessive ihm die Luft. Schwer fielen die glitzernden Sterne bei Sonnenaufgang vom dunklen Himmel herab, als im tiefen Süden der Horizont sich über die Welt zog und sie langsam verschluckte. Er war jene leise Stimme, welche er hörte, wenn niemand sonst um ihn war, und obgleich mit ddem Verschwinden er Existenz auch sein Ende sollte gegeben sein, so konnte er doch nicht ihn ziehen lassen ohne zu zerbrechen. Er beachtete nicht den Schmerz in seinem Leib, denn Leid war der Leib, und er glaubte daran, dass es der Fluch war, welchen er verdiente. Er sprach in rollenden Silben, lief den Klang der Klippe entlang und suchte verzweifelt ihm zu gefallen, doch er hörte nicht die Rufe, er sah nicht den Tanz, beachtete ihn nur ob der Qualen wegen. Die Wahl zwischen den seichten Wolken des Himmels und dem graufarbenen Staub auf dem Leder der Stiefel war nur eine Farce - das Fell des Wolfes auf seinen Schultern war dünn und seine eigene Haut längst transluzent, nicht dazu angedacht, jemals wieder zu bluten -, doch das Stück fand kein Ende, auch nicht als das Schiff längst war in den Tiefen des Meeres versunken. In Schlaf zu sinken, dies war sein Traum, aus welchem niemals er wollte wieder erwachen, hoch hinab in bleierne Endlosigkeit, tief hinauf in federnes Licht. Langsam zog er hinfort, lebloses Blatt im Winterwind, langsam, während er dabei zusah und noch immer nicht wusste, dass er nicht allein würde fallen, dass er nicht allein würde fühlen, doch er konnte nichts sagen, kein Wort. Er verblasste still, einer erstickenden Flamme gleich, war alleine gefangen, wissend, dass er machtlos war.

    ~~~

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Ein dunkel rotfarbenes Meer aus geronnenem Opferblut hing am Himmel über ihm, in blassen Wogen und cremigen Wirbeln aufgeschäumt, in tosend und tobendem Kampf, von welchem kein einziger Tropfen laut in seine Sinne sank. Schwer lag sein Leib auf dem morastig, sumpfigen Boden, hinterließ mit jeder Bewegung ein schmatzendes Schlürfen, als würde der Grund jeden nicht getanen Schritt in sich auffressen. Bleiern drückten seine Glieder sich in die dunkle, beinahe schwarzfarben, feuchte Erde, nicht einmal den Kopf war er im Stande zu drehen. Er spürte die kleinen, dürren Beinchen, Tritte auf seiner Haut, einem Erdbeben gleich, zitternd im Wind, zu tausenden marschierend über die Partikel seines selbst, den Hals hinauf, über das Kinn hinweg, als wäre dies nur ein schroffer Felsblock auf ihrem Wege. Winzigen Soldatenkäfern gleich, eine Legion oder hunderte, donnerten ihre gespaltenen Hufen über ihn hinweg, klapperten und klackten ihre Kiefer und wippten die feinen Fühler im Takte ihres Schrittes. Gemeinsam mit ihnen erklommen die weichen, fleischigen Maden seine Wangenknochen, schoben träge ihre wulstigen Leiber über ihn hinweg, während zwischen den Stämmen seiner Haare feingliedrige, flinke Ameisen sich den Weg durch dichtes Unterholz bahnten. Sukzessive drangen sie in ihn ein, der nichts tat als wahrzunehmen, zwängten sich durch den Spalt seiner Zähne, trampelten hinweg über seine Zunge und kitzelten seinen Gaumen unter ihren Füßen, während andere in seinen Nase drangen, durch seinen Kopf hindurch wanderten, die finsteren Gängen seiner Ohren erkundeten und zwischen den leeren Augenhöhlen empor krochen. Er war einer von ihnen und schob seine Fühler über die Kante des knöchernen Schädels hinweg, balancierte zwischen Zähnen und blickte in den tiefen Schlund des Rachens hinein. Hinter sich konnte er den Blick der kapitolinischen Trias spüren, welche aus dem gewaltigen Götterhaus auf ihn herab blickte, und unter sich, im Schleier des diffusen, milchigen Nebels, welcher aus dem unendlich strömenden Tiber gekrochen kam und allen Grund überdeckte, wusste er die Zinnen der ewigen Stadt, die so endlos und prachtvoll war - stinkender Moloch allen Abschaums -, dass sie einen einzelnen Mann zwischen ihren scharfkantigen Mauern zerquetschte und in den blitzenden Eingeweiden ihrer Gassen verdaute, dass nurmehr ein dröhnendes Rülpsen von ihm übrig blieb. So vielen hatte der Fels einst Schande gebracht, abgrundtiefe Geborgenheit, das dunkelfarbene Blut rann noch immer in Strömen zwischen dem Gestein am Boden, und im leisen Wind trieb das Seufzen und Stöhnen der tarpeisch Verdammten. Ohne Zögern, ohne Hast drückte seine Knie er durch und sprang hinab in die säuselnde Stille, versprechendes Vergessen, lockende Leblosigkeit, dass sein Leib auf der spitzen Kante des Felsen sollte zerschmettern, zerbersten in tausende Splitter. Unter ihm schäumte die Gischt, johlte die reißende Brandung und warf siegessicher sich gegen den mit spitzen Muscheln überzogenen Stein, welcher flehend ihn erwartete. Doch ehedem sein Leib auf die nackten Felsen konnte aufschlagen und in blutigen Fetzen sich lösen, breitete seine gewaltigen, graufarben gefiederten Schwingen er aus, schlug nur ein, zwei Mal die Luft unter sich bei Seite und segelte auf dem Wind dahin wie die Fische unter ihm das Meer zerpflügten, zerteilte mit seinem dolchspitzen Schnabel den Himmel und trieb in den milchigfarbenen, trüben Nebel hinein, welcher mit leisem Knistern ihn verschluckte.

    ~~~


    Er schluckte und blinzelte träge in das durch die Fenster hereinfallende, silbrigfarben schimmernde Sonnenlicht des frühen Morgens. Unwillig brummte Gracchus und zog die Decke enger um sich, wie ein lustloses Kind, welches die Eltern zu früher Stunde aus den Laken scheuchten, dass es seine Studien aufnehme. Gracchus selbst war nie ein solches Kind gewesen, begierig war er schon als Junge stets mit der Sonne erwacht, und von den Tagen im Studium und Spiel mit seinem Vetter Caius hatte er nie genug bekommen können. Später dann, beladen mit täglichen Pflichten, hatte er nurmehr noch früher, im Sommer mit und im Winter weit vor der Sonne den Tag begonnen, um mehr Stunden nutzen zu können denn der Tag an sich zu bieten hatte. Seit jenem Tage jedoch, da in seinem Geiste die Flamme erloschen und nur langsam wieder entflammt war, musste Sciurus ihn jeden Morgen regelrecht aus dem Bett treiben, auf dass er nicht den ganzen Tag nurmehr darin liegen blieb.
    "Ich habe dir ein Bad bereiten lassen, Herr. Allerdings solltest du dich ein wenig sputen." Sciurus schlug die Decke zurück, schneller als Gracchus jene konnte festhalten.
    "Mh?"
    Blinzelnd blickte der Herr seinen Sklaven mit umflortem Blicke an, gleich jemandes, der an Gedächtnisschwund litt und versuchte, sich an den Namen seines Gegenübers zu erinnern, oder als spräche der Sklave gar eine fremde Sprache, derer Gracchus nicht mächtig und deren Klang ihm völlig unvertraut war.
    "Es ist der Tag der Hochzeit deines Vetters Aristides, Herr", erklärte der Sklave geduldig.
    "Ah."
    Sciurus konnte nicht bestimmen, ob dies ein erkennendes, sich erinnerndes Ah war, oder ein furchtsam stöhnendes, allfällig war es beides, vielleicht keines davon, und womöglich wusste es nicht einmal Gracchus selbst. Jener schloss noch einmal kurz die Augen, quälte schließlich sich aufzustehen - durch die ob der nicht mehr vorhandenen Decke in ihn einkriechenden morgendliche Kühle gedrängt-, obgleich sein Körper ihm so bleiern schwer erschien als wäre er zeitlebens dazu bestimmt nurmehr auf einem Fleck liegen zu bleiben.
    "Die Tunica ist bereits im Balneum, Antigones und Kaleandros warten dort. Ich werde die letzen Vorbereitungen für später treffen, zum Anlegen der Toga werde ich wieder hier sein."
    Viel zu schnell sprach der Sklave viel zu viel, als dass Gracchus allen Worten konnte folgen, doch der Barbier und Tonsor im Balneum, dazu der muskulöse Kaleandros, welcher ihn würde ein wenig massieren und einölen - wer mochte bei diesen Aussichten sich allzu viele Gedanken machen? Wie ein morgendliches Gespenst, halb verschlafen und längst nicht bei Sinnen, trottete Gracchus langsam aus dem Raum zum Balneum hin, unbeeindruckt jedweder Hektik und eiligen Treibens, welches in der Villa aufgrund der Vorbereitung der anstehenden Festivität bereits hatte um sich gegriffen.

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  • Jener Gracchus, welcher geraume Zeit später das Cubiculum wieder betrat, hatte zumindest äußerlich nicht mehr viel mit jenem gemein, welcher den Raum hatte verlassen. Er trug statt der ein wenig ausgebleichten, verknitterten Tunika nun ein leuchtend, weißfarbenes Gewand mit purpurnem Streifen. Nachdem Gracchus ein wenig im warmen Wasser eingeweicht und von Kaleandros hernach sich die Muskeln hatte durchkneten lassen, hatte Antigones sorgfältig die Bartstoppeln aus seinem Gesicht geschabt, das Haar gestutzt und schlussendlich Finger- und Fußnägel gefeilt. Beinahe fühlte sich Gracchus nun zu allem bereit, als sein Blick in seinem Cubiculum auf die weiße Senatorentoga fiel, nicht nur Zeichen seiner politischen, sondern gleichsam auch kultischen Amtswürde.
    "Ah."
    Leidend verzog er die Miene, als schlagartig ihm in die Sinne trieb, was genau Aristides' Hochzeit für ihn bedeutete. Ein leichter Anflug von Euphorie hatte bisweilen von ihm Besitz ergriffen beim Gedanken an die Feierlichkeit jenes Anlasses, da es nicht nur ein durchaus angenehmes Ereignis für Aristides und Epicharis würde sein, sondern gleichsam jenes zauberhafte, filigrane Wesen in die flavische Villa würde Einzug nehmen lassen, und damit allfällig auch bewirken, dass Aristides mehr Zeit würde im Hause verbringen, gleichsam freute Gracchus sich ehrlich darauf, an jenem Fest der beiden würde teilhaben zu können. Käme zu all dem nur nicht der Kokon patrizischer Gravitas, welcher alles würde umfangen, die Farce der Maskerade zwischen sich fremden Gästen, geladen aus Pflicht und Anstand, die seichte Konversation belangloser Nichtigkeiten - die Pflichten halb vergessend konnte Gracchus mit einem Male seinen Vetter Aquilius verstehen, welchem solche Festivitäten seit jeher ein regelrechtes Gräuel waren. Gleichsam würde auf Gracchus der Ritus warten und es schien ihm bereits in diesem Augenblicke als hätte er alles vergessen, als Sciurus ihn sanft zur Mitte des Raumes hin schob, seine Arme zur Seite hin ausbreitete und den rechten in der Höhe hielt, während zwei namenlose Sklaven die Stoffbahnen der Toga um Gracchus' Körper herum drapierten. Hernach legte sein Leibsklave selbst die goldene Kette um den Hals seines Herrn, schob das flavische Siegel und drei weitere Ringe auf dessen Finger, legte einen Armreif an das linke Handgelenk und wollte ebensolches am rechten wiederholen, als Gracchus die Hand brummend fort zog - der Arm war ihm bereits ohne Beiwerk zu schwer.
    "Deine Gemahlin wird im Atrium auf dich warten - oder du auf sie."
    Antonia - die wundervolle Blüte der Weiblichkeit, personifizierte Harmonie der Mutter. Der Aufgang der goldfarbenen Sonne an einem blassen, blaufarbenen, von hellen Wölkchen umspielten Himmel, welche ihre milden Strahlen über die milchfarbenen Schaumkronen sanft dahin wogender Wellen streichen ließ und das dunkle, türkisfarbene Meer wärmte; die in Stein gefasste fleischliche Lust des Todeskampfes Laokoons und seiner Söhne, die Muskeln in Spannung, das Antlitz in schmerzlich schönem Erkennen, der Moment der kraftvollen Bewegung eingefangen in grenzenlos harmonischer Komposition; die vollkommene Schöpfung einer jungen Rose, welche ihre zarte roséfarbene Blüte langsam entfaltete, ihre grünfarbenen Blätter der Sonne entgegen reckte, runde, nassklare Perlen von Tautropfen ihre weichen Stacheln und den Blütenkopf umspielend, die morgendlich frischen Lichtstrahlen in tausend und abertausend Farbschimmern brechend - all dies waren nur trockene Staubkörner zu Füßen Antonias, der leibgewordenen Personifikation der perfekten Mutter. Wenn Gracchus je hätte eine Frau besitzen wollen, wenn er je für eine Frau hätte kämpfen wollen, so denn für diese Antonia, welche das Wunder des Lebens hatte ermöglich - er hätte selbst dann für dieses Wunder sie verehren müssen, wäre der Samen dieser Frucht einem Sklaven entsprungen. An ihrer Seite, für sie und ihren - seinen Sohn, würde er alles sein, würde er alles tun und alles ertragen, gleichsam brauchte er an diesem Tage der Hochzeit nichts sein, denn die epiphane Gestalt seiner Gemahlin würde ohnehin jede Aufmerksamkeit von all seinen Makeln ab und zu ihr hin ziehen. Mit einem unscheinbaren Glimmen in den Augen verließ Gracchus sein Cubiculum in der Absicht vor dem Aufbruch noch seinem Sohn einen kurzen Besuch abzustatten und sich dessen zu vergewissern, dass der kleine Junge sich wohl befand, und hatte bereits ob all seiner Gedanken wieder vergessen, dass er den Ritus hatte vergessen - ohnehin würde Sciurus rechtzeitig ihn an alles erinnern, wie er stets dies tat. Der Sklave schloss hinter seinem Herrn die Türe, darauf bedacht, nichts von all dem zu vergessen, dessen sein Herr sich nicht erinnerte.

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  • Sim-Off:

    Gewidmet den Mitgliedern des 1. agfc ...


    ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Es war ein merkwürdig gedehnter, indifferenter Raum, angefüllt mit bunten, faserigen Ideen und Konstrukten, welche in wildem Reigen durcheinander wirbelten, träge auf und ab schwebten, sich drehten, erzitterten und zu einer klandestinen Melodie tanzten, ein trauter Ort, dessen er sich nicht nur gänzlich bewusst war, sondern welchen er gleichsam gut kannte, wie sich selbst, obgleich er nicht wusste, wo genau er war. Ein leiser, fremder Tenor füllte sukzessive diese Luft, welche sein Atem wie auch sein Äther war, ließ sie in importunen Schwingungen erzittern, und prägte sich in seine Ohren, dass alsbald der Rhythmus ihm wurde vertraut, dass alsbald der Takt in seinem Kopfe wippte:
    I, Gracchus, i!
    Gleichsam, er suchte dies zu ignorieren, die trüben Schlieren hinfort zu wischen, schien es doch nicht peripher ihn zu tangieren, gereichte alsbald jedoch dazu, ihn fort zu treiben aus dem trauten Heim. Kaum war er aus dem Gebäude getreten, als bereits er die Fahnen und Wimpel im Winde wehen sah, jene mauvefarbenen Banner mit dem goldfarben gestickten Monogramm darauf, und die ersten schlingenden Silhouetten aus den graufarbenen Schatten hervor traten, nach seinen Worten gierten und seine Buchstaben wollten abgreifen. Er suchte ihren Blicken zu entkommen, ihren Beteuerungen zu entwischen, sich in einer Falte seiner Toga zu verbergen, doch kaum nur gab es ein Entrinnen, zumal ihr Gesang nun geradezu in euphorische Höhen anschwoll, den Himmel in einer gewaltigen Hymne bedeckte und mit einer purpurfarbenen Klangkaskade überschüttete, unter deren Disharmonie er zu ersticken drohte. Flucht blieb einzig erneut, zurück in sein Refugium, zurück hinter die Barrikaden der Buchstabenkonstruktion, Wortdreherei und Satzverbiegung, hinter die Schlachtlinie des energetischen Pergamentes, der haptischen Buchstabenreihung und der defätistischen Komposition. Doch längst waren sie vorgedrungen in das Heiligste, bestaunten und bewunderten, betasteten und griffen mit zahllosen Händen nach seiner Person, nur eine Berührung, ein Wort, nur eine Zeile aus seinem Kopfe, und sie griffen und zerrten, rissen und zogen, bis dass schlussendlich er in aber und abertausende Partikel barst, sich löste, zu dem was er war, bloße Fiktion eines nichtigen Geistes, bedeutungslose Idee, vordergründige Fassade und hintergründige Leere. Gefolgt von einem gewaltigen Schatten griff eine kolossale Hand aus dem trüben Nichts heraus, hüllte alles in eine dunkle Markierung und drückte vier Buchstaben herab.


    [Entf]


    Die Welt verschwand, und mit ihr auch er.

    ~~~


    Keuchend fuhr Gracchus aus dem Schlafe auf, die Augen aufgerissen in die trübe Dunkelheit starrend, das Rasen seines Herzens in den Ohren vernehmend. Verschwommen zogen die Schatten seines Cubiculums durch seinen Blick, ehedem er seine Hände hob und den Blick darauf senkte. Er existierte. Die Welt um ihn herum bestand noch. Es war nur ein Traum gewesen, merkwürdiger Traum ohne Sinn und Bedeutung, von merkwürdigen Dingen, noch viel merkwürdigeren Personen und exorbitant merkwürdigen Begebenheiten, zu phantastisch als dass solcherlei in der realen Welt konnte wahrhaftig sein. Erleichtert ließ er sich alsbald zurück in sein Kissen sinken und dämmerte sukzessive zurück in den Schlaf. Nur ein einziges Wort noch geleitete ihn in die Dunkelheit. Entfesselt.

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  • [SIZE=7]I-II[/SIZE]


    Dem Blicke gleich ließ Gracchus seine Gedanken aus dem Fenster hinaus schweifen, heftete sich den dunklen Federn einer über die Stadt segelnden Krähe an, ließ sich hinfort ziehen, über die fahlen Herbsthügel hinweg, bis hin zum endlosen Meer, dessen grün- und blaufarbenes Wasser im Lichte der nachmittäglichen Sonne funkelte, auf welchem schaumbekrönte Wellen sich kräuselten in unendlich währendem Tanze. Auf einer flaumigen, schwarzfarbenen Feder schwebte er hinab, tauchte ein in den unergründlichen Ozean tiefen Vergessens, strich durch die zarten, mauvefarbenen Gefilde aus Erinnerung, ließ sich treiben durch den Hauch opaquer Sehnsucht und perlte an honigfarbenen Tropfen zäher Vergänglichkeit ab.
    "Ni'ht ..."
    , flüsterte er.
    "Na'ht ..."
    , sandte er hernach.
    "Na'h ..."
    , extrahierte er das t.
    "No'h ..."
    , transformierte er das a.
    "Do'h ..."
    , folgte die Konvertierung des n.
    "Da'h ... wa'h ... a'h ... i'h ... mi'h ... di'h."
    Aus den Tiefen seiner Kehle hinaus entfleuchte ihm ein Seufzen. Es war jene unvollkommene Rundung, welche zumeist ihm fehlte, doch nicht allein, nur in Komposition mit dem stimmlosen Hauch, jene Symphonie, welche an sich weit mehr als Aneinanderreihung, welche für sich gesehen unbezweifelt gleich wertvoll wie die Bestandteile allein war.
    "Pe'h."
    Er schob das Kinn nach vorn, schloss die Augen und tauchte durch das Meer aus Buchstaben hindurch, verschlang jeden einzelnen, umfasste ihn, verleibte ihn sich ein, zerrieb ihn zu winzigen Staubkörnern und schuf ihn neu.
    "I'h ... Ii. Zeh. Hah ... I'h ... Zeh. Hah. I'h ... Ikh. Ik'h. I'h."
    Erneut schlich ein Seufzen sich über seine Lippen, ob dessen Gracchus die Augen wieder öffnete, den blassen, graufarbenen Himmel betrachtete.
    "Flu'h, elender Flu'h ... auf und ab ... und im Zenit garniert mit diskontinuierli'her Diskordanz ..."
    Es dauerte einige Herzschläge, bis er mit einem Male die Augen weitete, einen Punkt am Horizont starrend, den nur er konnte tief in seinem Innersten blicken.
    "Dis ..."
    Er senkte den Blick, als könne er hinab schauen in die Tiefe, durch den Grund in die endlose Ewigkeit der Finsternis. Allfällig lagen seine verlustigen Buchstaben noch immer dort unten begraben, allfällig musste er nur dort nach ihnen verlangen.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Düster und leer bot sich das Land, übersät von graufarbenen Gestein, die Brocken wie eitrige Pusteln und Pickel, die Zacken schroff und scharfkantig wie das Gerippe eines längst verdorrten Lebens, kein Tropfen Wasser zeigte sich bis zum trüben Horizont, nur aschfahler Staub, keine Pflanze, nicht Grashalm oder Moos durchbrach die triste Ödnis, welche überdeckt wurde von einem graufarbenen Himmel, wolkenlos, ebenso desperat wie das Land selbst. Inmitten dieser Prärie hing er, mit kalten, eisernen Strängen gekettet, welche beständig seine Glieder in alle Richtungen zogen, zerrten, jeden einzelnen Muskel, jede Sehne von ihm hinfort, als solle sein Körper von den Knochen sich lösen, doch ohne von seinem Geiste sich zu separieren, dass inwendig Getrenntes ihn zerriss. Über ihm kreisten die gierigen strigae, ihre kreischenden Schreie seine Ohren ausfüllend, die Sinne ihm beben lassend, stürzten wieder und wieder auf ihn herab, hackten mit ihren spitzen Schnäbeln in seine Gelenke, rissen Fetzen aus ihm heraus und labten sich an seiner Qual. Nur im Nahen des Riesen, dessen gewaltiger Schatten ihm weit voraus eilte, flatterten sie hastig empor, kreischend und meckernd, weit in die Höhe über seinen Kopf, doch stets in der Nähe verweilend, abwartend, geduldig. Drohend näherte der Riese sich, die gewaltigen Augen hasserfüllt verengt, das Kinn in aggressiver Weise nach vorn geschoben, grundlos in den Flammen des Zornes brennend, bückte sich hernieder und brüllte in einer Weise, dass allein der Schall den Kopfe ihm zu zerbersten drohte, alles in seinem Leibe aufquellen ließ, anspannen und zerplatzen. Die gewaltige Pranke packte seinen Körper, packte jedes einzelne seiner Glieder, drückte mit hünenhafter Kraft die wulstigen Finger zusammen und zerquetschte jede Faser, jedes Fleisch in ihm, ließ seine Knochen zersplitterten, zerbersten, bis dass nichts anderes mehr in seinem Geiste vorherrschte denn die Algesie, bis dass nichts mehr existent war, nichts mehr wirklich denn der Schmerz, bis dass er endlich von ihm abließ, nur um seinen Leib dem Kreislauf erneut zu übergeben, die eisernen Ketten an ihm zogen, die vogelhaften daimones sich auf ihn stürzten, beständig, wieder und wieder.

    ~~~


    Hin und her wälzte sich Gracchus' Leib, ehedem endlich Morpheus aus seinen Fängen ihn entließ, seine Augen sich öffneten und in die trübe Dämmerung des anbrechenden Morgens starrten. Blinzelnd suchte er seinen Sklaven im Raume, doch Sciurus war bereits auf, das morgendliche Erwachen vorzubereiten, so dass nicht mehr allzu lange es würde dauern, bis er kam, seinen Herrn zu wecken. Fröstelnd zog Gracchus die Decke um sich, behielt jedoch die Augen geöffnet, da die Träume des Morgens stets die schlimmsten waren, und wartete freudlos darauf, dass der Tag seinen Anfang würde nehmen.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Der Abend schickte bereits sich an der Nacht zu weichen, doch es war der Vorteil der frühlingsbehafteten und sommerlichen Tage, dass die Sonne erst spät vom Himmel wich und somit mehr und mehr Zeit bot, sich Stapeln von Akten zu widmen, beständig eine Tabula nach der nächsten zu bearbeiten, die Welt um sich herum im Amte des Aediles zu vergessen. Doch die Welt um ihn herum forderte beständig seine Aufmerksamkeit, in diesem Falle durch ein Klopfen an der Türe, einen dumpfen, beinahe lautlosen Ton, welcher darin endete, dass das Holz zur Seite sich schob und sein Sohn eintrat. Obgleich sein Sohn zu dieser Zeit ein kleines Bündel Mensch war, so wusste er genau, dass jener junge Mann - welcher seinen Neffen Lucanus und Serenus, wie auch seinen Vettern Aquilius und Aristides äußert ähnlich war, einem jeden von diesem zugleich, obgleich all jene äußerst different voneinander waren, vom Aussehen wie auch im Wesen -, dass dieser Junge sein Sohn war, geboren aus dem Schoße Antonias, gezeugt durch ihn selbst und angenommen vom ersten Tage an.
    "Schön"
    , begann er.
    "Wie ich sehe, hast du deine Studien beendet und bist gekommen, um dich deinen Pflichten zu stellen, patrizischer wie familiärer Natur. Ich habe bereits ein Amt für dich in Aussicht."
    Stolz wallte durch seine Brust, doch der Junge schüttelte langsam den Kopf, sprach mit gar feierlich ernster Stimme, intonierte geradezu.
    "Falsch, Vater. Ich gedenke nicht, dieses Amt anzunehmen, wiewohl keine der Pflichten, welche du mir aufzuladen gedenkst, um dich selbst davon zu befreien! Ich werde niemals diesen Weg gehen!"
    Mit der Klarheit frischen Quellwassers erkannte er, dass sein Zweig, für dessen Erhalt nicht nur er, sondern gleichsam Antonia so mühevoll hatten gerungen, mit dieser Auflehnung seines Erstgeborenen zur Bedeutungslosigkeit war verdammt, und endlose Enttäuschung spülte in einer gewaltigen Flutwelle über ihn hinweg. Die Welt sog sich zusammen, schien klebrig zu wabern, reagibel auf jede Bewegung zu antworten, es war ihm heiß, obgleich der kühle Wind über seinen Nacken streifte, und er verspürte Trockenheit in seiner Kehle, ein Seil, welches langsam sich um ihn herum enger zog, die Sicht ihm verschwimmen ließ, eine dunkelfarbene Decke, welche seinen Kopf umhüllte, als würde sein Körper von seinem Geiste abfallen, und er fiel, tiefer und tiefer, bis schlussendlich, nach einer halben Ewigkeit, er hart auf steinigen Grund aufschlug, sich kaum konnte rühren vor Schmerz - Schmerz, welcher seine Seele wie sein Herzen verschlang. Wispern, Flüstern, leises Lachen aus der Finsternis zwangen ihn, sich umzusehen. Er war in einem tiefen Keller gefangen, ohne Fenster, ohne Türen, ohne Licht. Die trübe Helligkeit, welche die Szenerie erhellte, an ihren Rändern in fade glimmenden Nebel überging, war aus sich selbst heraus gezeugt, schimmerte durch nichts als ihre bloße Existenz. Er wusste, dass bereits schon einmal er hier gewesen war, vor nicht allzu langer, endlos ferner Zeit, gefangen in sich selbst.
    "Manius"
    , hörte er das Wispern.
    "Manius"
    , drang es um ihn herum, und obgleich er sich nicht bewegte, stand er nun aufrecht, als dunkle Schatten aus felsigem Nebel sich lösten und in filigranem Wabern auf ihn zu traten.
    "Vater!"
    erkannt er erstaunt, und hinter diesem seinen Großvater, daneben dessen Vater und Großvater, unzählige seiner Ahnen, welche niemals von Angesicht zu Angesichte er hatte erblickt, doch genau nun sich dessen war gewahr, wer sie waren.
    "Bin ich tot?"
    fragte er verwundert, da zuletzt er sich des Alleinseins erinnerte, und seine Stimme hallte hohl wider von den schroffen Wänden, überschlug sich, kehrte sich um und endete in wisperndem Lachen der Schattengestalten um ihn herum.
    "Es ist das Blut, Manius, es liegt in deinem Blut begründet."
    Er blickte an sich hinab und sah, dass er in einem Fluss stand, einem Fluss aus zähfließender, rotfarbener Masse, bis zu den Knien im Blut, seinem eigenen, dem seines Vater, dem seiner Vorväter und Ahnen.
    "Im Blut begründet?"
    Fragend sah er auf, nicht verstehend, was bedeutsam war.
    "Das Aufbegehren? Das Scheitern meines Sohnes? Sprichst du davon? Dass der Sohn den Vater enttäuschen muss, wie ich es einst tat?"
    Keckerndes Lachen war die Antwort, Wispern und Flüstern und Kichern, sich überschlagend, tanzen, tollend durch den endlosen Raum.
    "Narr!"
    fuhr sein Vater unwirsch herum.
    "Der Vater, der Sohn, der Bruder! Es liegt im Blut begründet!"
    "Im Blut, Manius!"
    Animus trat neben seinen Vater.
    "Dort, wo der Pfeffer wächst fiel ich zu Boden. Im einen Augenblicke enthusiastischer Verkünder des einen Gottes, im anderen lebloser Leib zu Füßen der törichten Suchenden. Wie eine Flamme im Wind."
    Er hob seine Hand, in deren Fläche ein goldfarbenes Flämmchen züngelte.
    "Im einen Augenblicke Licht."
    Mit einem leichten Hauch pustete er, dass die Flamme erlosch.
    "Im anderen Finsternis."
    "Im Blute begründet, Manius, im Blute."
    Sein Vater hob die Faust, mit ihm alle Vorfahren, und als sie sie öffenten, brannte in jeder Handfläche eine Flamme, und goldfarbener Schein erstreckte sich durch die Dunkelheit, ließ das wabernde Blut um ihre Füße herum metallisch glänzen.
    "Im einen Augenblicke Licht"
    , sprach sein Vater, sprach sein Großvater, sprachen, wisperten, flüsterten, schrien sie zugleich, all seine Ahnen.
    "Im anderen Finsternis."
    Alle mit einem Hauch pusteten sie die Flammen in ihren Händen aus und er blieb zurück in undurchdringlicher Finsternis, tiefster Schwärze, ohne dass er sich konnte regen.

    ~~~


    Tiefe, schwarzfarbene Finsternis löste sich allmählich zu farbloser Dämmerung, als er langsam seine Lider hob. Vertraute Umrisse, Schatten des Mobiliars ließen ihn wissen, dass dies sein Cubiculum war. Karge Trockenheit umspülte seine Kehle, und obgleich es noch immer Nacht war, wollte er nach Sciurus rufen, auf dass dieser ihm einen Becher Wasser bringe. Doch kein Laut drang über seine Lippen, kein Flüstern, kein tonloses Wispern. Er suchte sich aufzurichten, doch obgleich er wusste, dass sein Geist die Bewegung veranlasste, regte sein Körper sich nicht. Furcht stieg in ihm empor und er suchte ruhig zu atmen, doch sein Atem tat unablässig einen Zug ein, einen Zug aus, ohne dass er hätte darauf Einfluss nehmen können. Darob suchte er gezielt eine Bewegung zu veranlassen, eine Hand, einen Fuß, einen Finger nur zu regen, einen einzelnen Muskel, doch nichts tat sich, und es war ihm wie vor nicht allzu langer Zeit, da er hier war erwacht, unfähig, unkoordiniert. Im Blute - dies hatten sie ihm sagen wollen - es lag ihm im Blut, auf diese Weise zu sterben. Panik wallte in ihm empor, übermächtig und allumfassend, und unter Auflehnung alle Kraft begann er in seinem Inneren gegen die Außenhülle seiner selbst zu schlagen, zu rufen, zu schreien, zu toben - doch sein Körper lag nur da, tat nichts, und irgendwann sank auch sein Geist erschöpft zurück, schloss die Augen und glitt hinüber in einen traumlosen Schlaf.

    ~~~


    Leise drückte die Helligkeit des erwachenden Tages sich durch die Membran seiner Lider hindurch und zog Gracchus langsam aus der Tiefe des Schlafes empor. Er öffnete die Augen, durch die bereits geöffneten Fenster drang das sanfte Licht der herbstlichen Morgensonne in sein Cubiculum, und aus den Augenwinkeln nahm er Sciurus wahr, welcher heißes Wasser in die Waschschüssel goss. Gracchus versuchte nicht erst sich zu regen, denn so diffus und wirr die Träume der Nacht geblieben waren, um so erschreckender klar erinnerte er sich an die Unmöglichkeit des Tuns. Es war an Sciurus zu bemerken, dass sein Herr erneut in sich versunken, gefangen war, und Gracchus starrte nur abwartend zur Decke hinauf, mühsam die erneut aufwallende Furcht unterdrückend. Der Sklave kam, die Decke zurück zu schlagen. "Hast du gut geschlafen, Herr?"
    "Nein."
    Ohne dass er darüber hatte auch nur einen Herzschlag lang nachgedacht, hatte sich die Antwort bereits aus seiner Kehle gelöst, und als sein eigene Stimme gleich eines Donnerschlages durch seine Ohren hindurch zurück zu seinen Sinnen gelangten, ging ein Ruck durch seinen gesamten Körper. Gracchus riss erstaunt die Augen auf und im unbändigen Verlangen, jeden einzelnen Muskel an und in sich zu bewegen, spannte sich der gesamte Körper, geriet in Zucken und Zittern. Sciurus, ob dessen mehr überrascht denn besorgt, packte seinen Herrn bei den Schultern, zahlreiche Formen des unangenehmen Erwachens nach allerlei Albträumen von jenem gewohnt. "Es ist alles gut, Herr, es war nur ein Traum, nur ein Traum."
    Gracchus' Körper entspannte sich mit ihm, er hob eine Hand zu seiner Stirn, um darüber zu reiben.
    "Wann hört das nur auf?"
    fragte er keuchend, ohne eine Antwort von seinem Sklaven zu erwarten, welcher ohnehin hätte keine solche geben können. Sein Körper war noch wie am Tage zuvor in seiner Gewalt, er war nicht wieder in sich gefangen, es war alles nur ein Traum gewesen, nur ein Traum. Dennoch war sich Gracchus gleichsam dessen sicher, das etwas darin war essentiell bedeutsam gewesen, und obgleich er sich dessen nicht mehr erinnerte, begann der Gedanke in seinem Geiste zu arbeiten.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Graufarbene Nacht streckte ihre faserigen Klauen nach seinem erschöpften Leibe, ließ die maroden Schatten der Vergangenheit warten auf die Zeit ihrer Auferstehung, ließ keine Distanz aufkommen zwischen den zurückgelegten Schritten. Er trieb im endlosen Ozean seiner eigenen Wunden, die schemenhaften Fratzen über seinem Kopfe dahin wehend, ihre fragilen Gestalten in jedem Lufthauch wankend, wusste gleichsam, dass nurmehr eine Meile ihn trennte vom Ende seiner Furcht. Die schwarzfarbene Nacht war auf seiner Seite, denn ohne den Schimmer des Lichtes mochten auch gierige Schatten nicht sich zeigen, und wo der Weg in Finsternis lag, nicht zu erahnen war, mochte er sich ergeben in einer neuen Definition unter den Abdrücken der zurückgelegten Schritte, so dass er die Tage in Schlaf ergehen, sich leiten ließ vom Erwachen der Düsternis. Ein Tropfen im Staube der ausgedörrten Kehle, ein dumpfer Blick in das vergessene Land, nurmehr eine Meile, bis dass aus dem Suchenden der Finder mochte werden, aus dem Verlorenen der Gefundene. Rotfarben flammte das Licht des Feuers, schimmerte träge herab auf die Fußabdrücke im Sand, trieb ihre Formen aus der trockenen Erde, schattige Kreise auf dem Boden, so vertraut. Eine Meile, nurmehr eine Meile, doch stets auf ein neues, gefangen im eigenen Kreise, verloren in den Fußabdrücken, den Wegen, welche er wieder und wieder ging.

    ~~~

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  • audite


    ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~


    Leise wehte der Wind durch den einsamen Morgen, trug den fernen Hauch rotfarbenen Staubes heran, welcher das Land unter einer Membran wie alter Rost verbarg. Er wandelte in Dunkelheit, begleitet vom Flüstern längst vergangener Tage, gefangen in einem Kampf, welcher nie dazu geschaffen worden war, ihn zu gewinnen. Er verstand nicht, wie sie ihn konnte finden in dieser devastativen Ödnis, wusste nicht, woher sie gekommen war, doch war sie da und ihre Silhouette brach sich im trüben Licht, ihr Haar wehte schwarzfarben im lauen Hauch, umrahmte ihren Leib wie ein Strahlenkranz.


    Und aus der Ferne her sangen vergessene Seelen vom Schmerz des Loslassens.


    Ohne eine Erklärung ihres Daseins hob sie ihre Hand, strich gütig um seine Wangen und hob sein Kinn empor, dass er ihre furchtlosen Augen musste blicken, forderte ihn auf, seinen Feind zu benennen. Worte, deren Klang längst verklungen, Gedanken, deren Abbild längst verblasst, Taten, deren Spuren in der Zeit verwischt, brachen aus seinem Inneren heraus, und er bat sie ihm Feuer zu geben, Schwert und Schild, den Feind niederzubrennen, niederzustechen und zu überrennen, so begierig war sein Verlangen, weit fort zu sein von sich selbst und der Vergeudung seines Lebens.


    Und aus der Ferne her sangen vergessene Seelen vom Schmerz des Loslassens.


    Doch sie war nicht gewillt, ihm den Kampf zu gewähren, welcher zu einem Ungeheuer ihn erwachsen ließ, welcher all das Scheusal und Grauen in seine Welt brachte, im Wunsche auszulöschen, was geschehen war, jener Kampf, welcher so leicht zu beginnen, doch niemals zu beenden war. Ihre Worte waren einzig jene des Trostes, und doch so weise, so tiefgründig, dass nichts anderes einen Sinn konnte ergeben denn dies, dass die Welt sich in Wahrheit und Harmonie verlor in ihrem Beisein, und ob dessen stieg Furcht in ihm empor, ohne sie zu sein, so dass schlussendlich er sie bat, bei ihm zu bleiben.


    Und aus der Ferne her sangen vergessene Seelen vom Schmerz des Loslassens.


    Als sie sich abwandte, streckte er seine Hand nach ihr aus und bat sie, verharren zu dürfen an ihrer Seite, im Glanze ihres Schattens, doch sie gab stattdessen ihm Hoffnung und Vertrauen, erfüllte sein Herz mit neuem Leben. Nicht in Verleumdung, nicht in Ablehnung, in Schuld über sich selbst lag seine Macht, musste er seinen Irrtum erkennen, ehedem noch einmal sie ihm über die Wange strich und versicherte, so er sie würde brauchen, würde sie stets in seiner Nähe sein.


    Und aus der Ferne her sangen vergessene Seelen vom Schmerz des Loslassens.


    Der Nachhall ihrer Worte wurde hinfortgetragen vom leisen Säuseln des Windes, sie löste ihre Berührung und setzte ihren Weg fort in die Unendlichkeit, doch ohnehin wusste er kein Wort mehr zu sagen, blickte nurmehr ihr nach, bis ihr schwarzer Mantel mit den Schatten des Horizontes verschmolz, das Schimmern ihrer dunklen Haare in den milden Strahlen der Sonne unterging. Er wusste, der Schmerz der Vergangenheit würde nicht leichter sein zu tragen, doch war er sich dessen gewahr, er war nicht allein, und so er neuen Mut brauchte, würde er ihn finden in Reminiszenz an jene kostbaren Augenblicke.


    Und aus der Ferne her sangen vergessene Seelen vom Schmerz des Loslassens.


    Und so sie eines Tages zu dir kommt, so sauge ihre weisen Worte tief in dich ein, empfange den Mut als ihr Geschenk und grüße sie von mir.


    Und aus der Ferne her sangen vergessene Seelen von der Erlösung des Loslassens, ihr Tönen umfasste das ganze Land, umschmeichelte es mit seinem Klang ...


    ~~~


    Aus der Ferne her sangen vergessene Seelen von der Erlösung des Loslassen, und Gracchus ließ los, ließ ab von der einhüllenden Dunkelheit des Traumreiches und tauchte empor in die Dämmerung des Morgens. Aus unerfindlichen Gründen musste er an Epicharis denken, doch da ihm dies ein wenig unangenehm war, blinzelte er eifring diese Gedanken hinfort, verwischte ihre Spuren im Rostrot des Traumsandes, und überdeckte sie mit jenen an den bevorstehenden Tag.

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  • II-XV



    Fernab des Bewusstseins, tief gefangen im Reich zwischen Wahn und Wahrheit, zwischen Raum und Realität, inwendig in sich selbst, doch weit fort vom eigenen ich, suchte ein rastloser Geist Halt zu finden in einer Sehnsucht, Trost in einer Reminiszenz, einem Gedanken an fluktuierende Beständigkeit, um nicht verloren zu gehen zwischen Hier und Dort, um nicht die letzten Bande zu durchtrennen zu einem Reich, welches nur Teil der eigenen Imagination, nur Teil einer Scheinwelt im großen Oceanos der Zwischennetze der Unendlichkeit war.


    ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    In zartem Hauch aus Purpur glomm die verzerrte Oberfläche des filigranen Spiegels, verdeutlichte jede noch so marginale Spur im Antlitz der Vergangenheit, brach schlussendlich entzwei in abertausende vergilbte Pergamente, welche vom leisen Winde träge wurden hinfort getragen, mit klandestinem Rascheln sich verabschiedeten aus ihrer Existenz, Blattskelette nurmehr zurück ließen. Langsam umklammerten ihre knöchernen, dürren Finger seinen Leib, schlichen um den Himmel herum einem blassen und kränklichen Kinde gleich, tot, mit dem Leben versöhnt, einen krummen Weg entlang nach Hause suchend. Keine Zeit blieb zu zögern, auserkoren stand längst der Schmerz bereit, wartete geduldig, kroch langsam unter seine Haut, lebte ohne zu sein in ihm, ließ das Fieber empor steigen bis in sein Fleisch, Feuer der Qual, zuckendes Bündel aus Traumgeflecht, nie endend, nie beginnend, stets in Schuld ob des schicksalhaften Fluches wegen, verschlingend hinab auf den dunklen Grunde, das endlos finstere Tal, wo kein Licht den Schatten konnte verdrängen. Obgleich er wusste, dass es nicht den harmonischen Klang der Wahrheit in sich trug, so war er doch sich dessen gewahr, dass nichts würde je zurück finden zu ihm, gleichsam dass nichts blieb denn beständig festzuhalten, für das nie endende Jahr, für das endlose Gelächter, für die zahllosen Tränen, an einem tonlosen Schall für die Gegenwart, einem endlosen Netz aus silbrigfarbenen Fäden, in welchem ihrer beiden Leiber waren gefangen, waren vereint für den Augenblick eines trägen Herzschlages.
    "Weshalb müssen wir stets verlieren, um zu wissen, wie man gewinnt?"
    Sie pochte in ihm, aus seiner Seele heraus, wie auch sie neben ihm war, um ihn herum, durch ihn hindurch, schillernder Regenbogen am tristen, graufarbenen Firmament, elysäisches Flammenmeer. Schimmernd ihre reinen, weißfarbenen Federn gegen den dämmrigen Grund, ihr Schnabel in scharfer Krümmung gebogen der sica eines heimlichen Mörders gleich.
    "Die Götter neiden es den Menschen. Das Glück am Leben. Sie nehmen. Als grausame Strafe."
    Der Sinn blieb ihm verborgen, die Strafe wozu, wofür in dieser Existenz, die kein Maß, keinen Anfang und kein Ende kannte, verborgen in jenem Flügelschlag zum Horizont, an welchen seinen Namen in den Farben der Wolken sie aufmalte, seinen Leib hinfort flog hin zum klaren Wasser des unergründlichen Sees, an dessen Ufer tausende und abertausende Scherben aus diaphanem Glas im gelblichen Lichte ihrer Augen schimmerten.
    "Das Glück besteht darin, zu leben wie alle Welt und doch wie kein anderer zu sein."
    Aus der Ferne her tönte ihre leise, zerbrechliche Stimme, einer klingenden Saite gleich im Hauch der Bitternis zitternd, verloren in einem Wirbel transluzenter Schwere aus süßem Duft, verschlungen von Desperation und Sinnlosigkeit. Nichts würde gereichen ihr zu widersprechen, nichts sie zu erhöhen in agreabler Weise, dass der Gedanke nur Gedanke blieb im Netz dieser unwirklichen Welt zu Worten gesponnen, filigran und zart, angeführt durch eine einzelne, zum Boden hinab gleitende Feder, deren Odeur ein solcher nach gelbfarbenen Narzissen war.
    "So ist mein Glück keines, da niemand lebt wie du, und doch du einzigartig bist."
    Einsam schwebte der süße Hauch der Verzückung hin auf ihre Lippen, liebkoste die zarte Blässe ihrer Haut und legte das filigrane, ephemere Band aus Sinnen um ihren epiphanen Geist, während er die Wogen der Tränen spürte, welche seinen Leib umfingen, ihn schweben ließen zwischen den Wolken aus Konfabulation bis hinab in das trübe Reich zwischen Amentia und Dementia, in Ewigkeit verloren, in endlosem Tanze gefangen, sie in sich tragend, ihre Kaskaden aus Satzpartikeln in sich verschlingend adorierend, nur für die Dauer eines Herzschlages, nur für die Zeit der Unendlichkeit.

    ~~~



    Sim-Off:

    Mit größtem Dank und tiefster Ästimation, suavis Callista.

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  • I-XII


    Als sich langsam seine Augenlider hatten voneinander gelöst, ein schmaler Spalt an Helligkeit zwischen ihnen hindurch in seine Pupillen, in seinen Geist war gefallen, sukzessive der Raum um ihn herum hatte Gestalt angenommen - mit all den Gestalten darin -, an diesem Tage war er ihm seltsam fremd erschienen, vertraut und doch fehl am Platze - doch womöglich war es nicht der Raum, allfällig war es nur er selbst, welcher nicht wollte passen. Es war am Abend nach der Wahl im Senat gewesen - er erinnerte sich nicht, doch Sciurus hatte es mehrmals dargelegt, in allen Details, als würde dies das Geschehen erlebbar, erinnerbar machen -, als Gracchus seine Person, die äußere Person des Manius Flavius Gracchus, in der trüben Spiegelfläche hatte betrachtet, mehrmals die Frage in den Raum hatte gestellt, wie dies konnte sein, zweifelnd an der Entscheidung der patres conscripti, von welchen über achtzig Prozent ihm ihre Stimme hatten gegeben. Er hatte seinen Sklaven gefragt, ohne dabei auf eine Antwort zu warten, ob es etwaig konnte möglich sein, dass Bestechung im Spiel war, ob allfällig sein Vetter Felix auf Sardinia noch immer mehr Macht besaß, als er glaubte, denn wer sonst konnte ein Interesse an solcherlei hegen, wenn nicht Felix? Er hatte indes keine Antwort gefunden, denn mitten im Satze, einer weiteren Frage nach Konsistenz und Viabilität, waren die Worte ihm verlustig gegangen, hatte mit einem Male er das Ziel des Satzes verloren, hatte nebulöse Zerstreuung seine Sinne umhüllt, war seine Rechte, welche eben noch an seiner Unterlippe hatte geknetet, gefühl- und haltlos herabgesunken, gleich dem Gliedmaßen einer Marionette, dessen Faden man hatte gekappt, hatte Gefühl- und Haltlosigkeit seinen Körper überzogen, war sein Bewusstsein im tiefen Meer der Unbewusstheit versunken, und nur der rasch herantretende Sklave hatte verhindern können, dass der geistlose Leib allzu hart zu Boden war gefallen. An nichts von all dem erinnerte sich Gracchus, wie all sein Geist einer endlosen, desperaten Wüste glich, in welcher einzelne Gedanken Oasen gleich die sandige Leere durchbrachen. Sein Körper indes war gespalten, eine Hälfte, die linke, folgte noch immer seinem Gebot, die rechte indes kümmerte nicht im geringsten sich um seinen Willen, und diese Verweigerung des Dienstes war es, welche die größte Oase in seiner Erinnerung schuf, eine farblose Insel gleichsam, ein Tümpel voll brackigem Nass, an schmächtigen, kargen Bäumen faulendes Obst und Schatten so kalt, dass das Blut in den Adern wollte gefrieren. Diese Erinnerung war das einzige, was ihm vertraut schien in diesen Tagen, die ihr inhärente Furcht, das einzige gleichsam, was er suchte zu, doch nicht konnte vergessen. Jeden Tag kam der Medicus - womöglich auch jeden Tag ein anderer, Gracchus war dessen nicht gänzlich sich sicher, beachtete die Männer kaum, zeigte nur Desinteresse an dem Spiel ihrer Profession-, jeden Tag prüfte er Reflexe und Gefühl, jeden Tag stellte er belanglose Fragen, spann seine These und sprach leere Phrasen, jeden Tag suchte er seinem Patienten ein Wort zu entlocken, doch jener schwieg in seinem Beisein, nickte nur oder schüttelte indifferent den Kopf, so dass der Medicus bald vorwiegend mit dem Vilicus sprach, mit gedämpfter Stimme und immer in einigen Schritten Entfernung zum Bett, als wäre Gracchus längst nicht mehr Teil dieser Welt.
    "Er glaubt, dass es dieses Mal viel länger dauern wird, zu deiner vorherigen Konstitution zurück zu finden", berichtete Sciurus seinem Herrn, als der Medicus an diesem Tage den Raum hatte verlassen. "Dass mehr Beeinträchtigungen zurück bleiben werden als bei dem letzten Kollaps. Er glaubt, dass die Bahnen, in welchen die Körpersäfte in deinem Kopf verlaufen, ernsthaften Schaden genommen haben und darob das Gleichgewicht deines Leibes und Geistes gestört ist."
    In seinem Willen hob sich Gracchus' rechte Augenbraue, doch tatsächlich stieg sie nicht einmal um die Höhe eines Sandkornes empor, verharrte reglos in der unbeweglichen Gesichtshälfte.
    "Weiters glaubt er, dass ein Mensch solcherlei Schaden in gewissen Grenzen ausgleichen kann, er vergleicht dies mit der Straßenführung in einer Stadt nach einem Erdbeben. Wenn eine Straße zerstört wird, so bleiben immer noch Umwege, die zwar Zeit kosten, sie zu finden, aber dennoch zum Ziel führen und deren Beschreitung mit der Zeit womöglich nicht viel länger dauern. Wenn jedoch ein neuerliches Erdbeben weitere Straßen zerstört, werden die Alternativstrecken knapp und mit jedem weiteren Beben werden mehr und mehr Ziele nicht mehr erreichbar, werden mehr und mehr Orte für immer vom Leben abgetrennt."
    Mühsam suchte Gracchus den Worten des Sklaven zu folgen, legte eine fließende Karte über seine Person, zeichnete Straßen in seinem Kopfe und zerstörte sie bebend im Fluss der Säfte, konnte gleichsam keinen Sinn darin entdecken, nicht die Quintessenz darin.
    "Wie es Städte gibt, unter welchen immer wieder die Erde bebt, so gibt es auch Menschen, in deren Körper immer wieder diese Bahnen beschädigt werden, obgleich die meisten nicht mehr als ein Ereignis dieser Art überleben. Es gibt einen Medicus, Cadipolos Calimeres, ein Schüler des Apollonius von Samothrake, der überzeugt ist, dass durch die Wiederherstellung des Gleichgewichtes der Säfte dem neuerlichen Kollaps vorgebeugt werden kann. Er hat schon viele Patienten behandelt und der Medicus ist sich sicher, dass er auch dir die Hilfe bieten könnte, die es in Rom nicht gibt. Er weilt nahe Piraeus."
    "'chaia ..."
    Mehr als der Name eines Medicus, mehr als jede Reputation brachte allein die Erinnerung an das ferne Achaia ein feines Leuchten in Gracchus' Augen, eine stille, innere Zufriedenheit, geboren aus tausenden und abertausenden Reminiszenzen, die weitaus bedeutsamer erschienen als jede andere Erinnerung.
    "Wenn du es wünschst, könnte ich sicherlich auch dafür Sorge tragen, dass Cadipolos Calimeres seinen Weg nach Rom findet", bot Sciurus an, der sich dessen gewahr war, dass eine Abwesenheit seines Herrn aus der Hauptstadt auch seine eigene Absenz würde bedingen. Doch Gracchus schüttelte langsam den Kopf und leise quollen seine Worte wie kleine, sterbende Silben ihm über die Lippen.
    "'chaia, ... von ... Brun..''sium ... aus ... mi' ''m ... Schiff."
    Schwer lag seine Zunge in seinem Munde, schwerer noch als der bedrückende Gedanke an eine Schiffsreise, welcher wurde hinfort geweht durch die trügerische Leichtigkeit des Lebens in einer fernen Erinnerung.
    "B'reite all's ... vor. ... Hole Perg'ment, i'h ... werde dir ... Brief' dik..tier'n."
    Honig gleich entwichen ihm später die Sätze, zähflüssig und doch mit fahlem, güldenem Glanze, die kaum konnten fassen, was ihn aus den Tiefen seines Herzens trieb, die in all ihrer Couleur doch niemals konnten genügend sein, auszudrücken, was in seinem Innersten war, so dass zwar Gracchus dem geduldigen Sklaven diktierte bis zur Defatigation seines Geistes, doch letztlich auf den pergamentenen Blättern nur Buchstaben waren aneinander gereiht, nur Worte waren verknüpft und Sätze waren verbunden, ohne doch nur annähernd seine Sehnsucht zu fassen.

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  • Einige Tage später am frühen Morgen war alles getan, was noch zu tun gewesen war, waren sämtliche Angelegenheiten geregelt, die Briefe für Antonia, Aristides und Epicharis durch Sciurus dorthin überbracht worden, wo im Laufe des Tages sie jene würden finden, und Gracchus zur Abreise bereit. Ein Sklave auf der einen und Sciurus auf der anderen Seite halfen ihm, langsam sein kleines Reich zu verlassen, einen letzten, stillen Abschied von seinem Sohne zu nehmen, und sodann die Villa zu verlassen, auf lange Zeit, deren Dauer niemand konnte bestimmen.


    ~~~ finis ~~~

  • ~~~ reviviscere ~~~


    Mit bloßem Leibe, wie die Götter ihn hatten geschaffen, stand Gracchus vor dem Spiegel in seinem Cubiculum, betrachtete überaus skeptisch sein ihm entgegenblickendes Abbild, nachdem er zuvor lange Zeit im Balneum hatte verweilt.
    "Ich fühle mich nackt"
    , kommentierte er schlussendlich den Anblick, woraufhin Sciurus bekräftigte: "Du bist nackt, Herr."
    "Das meine ich ni'ht. Ohne den Bart, es ist, als hätte man die Kleider mir vom Leibe ge..rissen, du weißt schon ..."
    "Nein, Herr," entgegnete Sciurus gelassen. "Ich habe nie einen Bart getragen." Dem missbilligenden Blick seines Herrn wusste der Sklave durch weitere Worte zu entgehen. "Vielleicht solltest du dich erst einmal ankleiden lassen, dann wird es dir gleich viel wohler sein." In unscheinbarem Wink dirigierte er die Sklaven im Raum, dass sie Gracchus, welcher beinahe unbeteiligt dem beiwohnte, ankleideten in eine blaufarbene Tunika, über welche eine dunkle Synthesis wurde geschlagen, zuletzt einen formvollendeten, vergoldeten Armreif über seine Rechte und die Ringe an seine Finger schoben. Kritisch betrachtete er hernach sich erneut im Spiegel, drehte den Kopf ein wenig, hob eine Braue, schlussendlich den Mundwinkel - obgleich Narzissmus ihm fern lag, so musste er doch ein gewisses Wohlgefallen sich zugestehen. Schlussendlich nahm er einige Augenblicke auf einem Hocker platz, so dass ein Sklave die Sandalen ihm konnte schnüren, bevor er endlich bereit war, sich der gierigen Roma entgegen zu stellen.

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  • Und zu guter Letzt folgte der Brief, der an den Menschen ging, der Marcus schon seit langem am Nächsten stand - Gracchus.




    Mein lieber Vetter, Manius, bester Freund und vertrauteste Seele,


    der Brief an Dich fiel mir am Schwersten, aber ich muß Dir mitteilen, daß ich Rom verlaßen werden. Ich denke, da Du mich am Besten kennst, wirst Du Dich darüber nicht wundern. Immer noch nagt der Tod meiner Tochter an mir und ich möchte endlich ihr Grab besuchen und ihr ein Opfer darbringen. Viel zu jung und zu früh ist mein Goldschatz verstorben. Ein Vater sollte nicht seine Kinder überleben und ich hätte mit Freuden mein Leben in Parthien gegeben, wenn ich damit ihr Leben gerettet hätte. Aber die Götter scheinen uns immer wieder verhöhnen zu wollen. Aber auch die letzten Ereignisse haben mir zu schaffen gemacht. Die Flucht der Sklaven, die meine Ehefrau entführt hatten. Ich hätte nie gedacht, daß mich mein eigene Freund und ehemaliger Leibsklave so sehr hinter gehen würde. Und in meinem Zorn habe ich jedoch auch übertrieben. Der Tod von Hannibal zermürbt mich genauso, denn er war dennoch mein Freund und ich ihm einiges schuldig geblieben, selbst wenn er durchaus den Wahn seiner Familie geerbt hat. Dennoch werde ich seine Urne auch nach Baiae bringen und sie zu den Sklaven seiner Linie in unser Familiengrab dazu geben.


    Eines Tages werde auch ich dort mit meinen verblichenen Knochen und meiner Asche aufbewahrt werden und dann hat sich der Kreislauf, der schon seit sieben Generationen in unserer Familie gepflegt wird, dort wieder geschlossen. Doch von dem Tod möchte ich nicht weiter sprechen und Dir das Gemüt mit den Schatten verderben.


    Ich habe Deiner Frau meinen Grundbesitz übereignet und auch einiges an Vermögen. Ich vertraue Deinem Urteil bedingungslos, da auch Du ihr alles in die Hände gegeben hast. Dennoch, einiges an Land habe ich an den Zukünftigen von Bridhe gegeben. Er soll dafür Sorgen, daß unser Neffe – Aquilius Sohn – eines Tages eine gute Zukunft haben wird. Flavius Aquilianus ist zwar der Sohn einer Freigelaßenen, aber er ist ein römischer Bürger und der Sohn eines Flaviers, damit sollten ihm viele Türen offen stehen.


    Mein lieber Manius, ich wünsche, daß Du wieder hier in Rom Fuß faßen kannst. Bitte, höre auf Dich mit Deinen Zweifeln zu zermürben, denn Du, Manius, bist der würdigste Flavier, den die Familie seit Generationen gesehen hat und ich bin mir sicher, daß es keinen Flavier wie Dich mehr geben wird. Wir können alle stolz sein, daß Du unserer Familie diesen Glanz und die Ehre verleihst. Wenn Du eines Tages mal die Lust und Zeit hast, komm mich doch in Baiae besuchen. Wenn ich auf Reisen bin, werde ich Dir natürlich davon berichten. Vielleicht erinnerst Du Dich noch an Decima Lucilla? Sie ist eine unglaublich umwerfende Frau, in die ich mich einst verguckt habe. Ich glaube, ich werde ihr in ihrer Heimat einen Besuch abstatten. Vielleicht gelingt es mir ja, ihre Gunst zu gewinnen. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, Manius. Ich wünsche Dir alles Gute, mein Vetter, und daß die Götter über Dich und Deine Familie wachen werden.


    Dein Vetter
    [Blockierte Grafik: http://img64.imageshack.us/img64/9927/marcusunterschriftlq7.jpg]


    Post Scriptum: Manius, ich überlaße Dir noch Cassim. Ich weiß, es ist eine undankbare Aufgabe, aber er ist dennoch ein wertvoller Sklave, der zwar zu sehr ein Rebell ist, aber Dir vielleicht doch nützlich sein kann.



  • Nichts hat in der Welt Bestand:
    Was da kommt, muss scheiden,
    und so reichen sich die Hand
    immer Freud und Leiden.
    August Heinrich Hoffmann von Fallersleben


    Mit leerem Blicke starrte Gracchus auf die Worte seines Vetters, ohne dass es ihm wäre möglich gewesen, sie in ihrer Aneinanderreihung durch seine Sinne in seinen Geist einzulassen, und dennoch hallten sie laut durch die Leere in ihm, klangen sie dumpf durch den dichten Nebel der Endlosigkeit und trieben in fortwährenden, kaskadesken Spiralen durch seinen Verstand hindurch, schien es doch als hätte jedes einzelne Wort, welches Sciurus hatte vorgelesen, sich in seine Seele eingebrannt. Schwermut und Tristesse waren niemals Aristides' Attitüde gewesen, stets hatte sein Vetter alles so mühelos aufgefasst, hatte niemals seinen Überschwang und Optimismus verloren, hatte stets seine Welt auf einfachen, doch soliden, unerschütterlichen Grundfesten errichtet. Was war aus dieser Welt geworden, in welcher dieser stets so unbeschwerte Marcus tiefsinnig über den Tod grübelte, sich mit Schuldgefühlen belud und der Welt nicht mehr konnte ins Auge blicken, ohne zu erschauern? Sie hatte ihn verdorben, allfällig die Hure namens Roma, allfällig das alte Weib namens aetas, allfällig beide. Nurmehr der letzte Abschnitt des Schreibens ließ erahnen, dass tief unter dem hart gewordenen Panzer noch immer ein Funke jenes lebenslustigen Mannes steckte, ein kleines Flämmchen der Unbeschwertheit, welches womöglich das Feuer des Mensch wieder zum Lodern konnte bringen, wenn er nur sorgsam zu entfachen es suchte. Gracchus hegte keinen Zweifel, dass Baiae hierfür der rechte Ort war, denn mochten auch nur die Hälfte der Geschichten aus dem Seebad, welche der halbstarke Marcus seinen jüngeren Vettern Caius und Manius begleitet von Unmengen von Wein hatte einst in Achaia aufgetischt, der Wahrheit entsprechen, so konnte kaum ein Mann dort gegen Amüsement und Wonne sich erwehren. Aristides' Intention indes, die Decima zu besuchen, derangierte und besorgte Gracchus zugleich, hielt er doch einerseits es nicht für ungefährlich, sich dem Besitz eines doch nicht gänzlich einflusslosen Senators zu bemächtigen, andererseits war die Dame selbst ihm schauderhaft, wusste sie doch um seinen Bruder Quintus - dies Unterfangen sollte er fraglos seinem Vetter noch ausreden bei einem Besuch, welchen unzweifelhaft er würde irgendwann einmal tätigen, schlussendlich war Baiae gänzlich ohne eine Überfahrt zu erreichen und somit nicht fern der Welt. Doch obgleich kein Meer sie trennte, obgleich keine Grenzen zwischen ihnen lagen, kein Reich und kein Horizont, so blieb Gracchus doch zurück mit schwerem Herzen, so misste er seinen Vetter bereits in diesem Augenblicke und wusste, dies würde nie anders sein.

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  • Mit überaus kritischem Blicke betrachtete Gracchus sich im Spiegel, wandte den Kopf ein wenig zur Seite, schlussendlich zur anderen und schüttelte ihn hernach.
    "Wie konnte ich dem nur zustimmen?"
    fragte er halblaut in den Raum hinein, ohne eine Antwort der ihn umgebenden Sklaven zu erwarten. Seine Wangen waren glatt rasiert, seine Augen wurden umrahmt von schwarzfarbenem Kajal, von der linken Schulter herab über die Brust zog sich eine Zeichnug aus Pflanzenfarbe, auf seinem Kopf thronte ein goldenes Diadem, aus welchem Strahlen sich nach außen reckten, um seinen Hals lag eine goldfarbene Kette mit lanzettförmigen Anhängern, um seine Hüften schmiegte sich ein rotbraunfarbener, lederner Rock, welcher knapp bis zu den Knien ihm reichte, über seinen Schultern lag eine seidene Weste in Purpur und Gold, und seine Füße steckten in güldenen Sandalen, welche nur aus einer ledernen Sohle, einem dünnen Riemen quer und einem längs bestanden.
    "Ich sehe vollkommen lä'herlich aus"
    , konstatierte er überzeugt. "Aber nein, Herr, mitnichten!" beeilte sich sogleich der für das Einkleiden zuständige Sklave. "Es steht dir ausgezeichnet!" In diesem Augenblicke öffnete sich die Türe und Sciurus trat ein. "Es ist alles bereit, Herr." Schicksalsergeben drehte Gracchus sich zu ihm, beachtete kaum den Sklaven, welcher seinen Mantel ihm um die Schultern legte.
    "Antonia?"
    "In ihren Gemächern."
    "Minor?"
    "In seinem Spielzimmer."
    "Furianus?"
    "In seinem Arbeitszimmer."
    "Piso?
    "Außer Haus."
    "Wie sehe ich aus?"
    "Wie ein junger Gott, Herr."
    "Ich weiß nicht, was Cornelius dir verspro'hen hat, Sciurus, doch vergiss nicht, wer ... dein Herr ist."
    "Nein, Herr, niemals."
    "Gut, dann los."
    Gracchus nahm das Diadem von seinem Kopfe und schlug den Mantel um sich, seine Erscheinungsform zu verbergen, seufzte noch einmal ausgiebig, um hernach in Bewegung sich zu setzen. Einem Dieb gleich schlich er hinter Sciurus her, welcher voraus um jede Ecke spähte, jede Abbiegung auf zufällige Passanten prüfte, mit unscheinbarem Nicken den Weg frei gab, in einer solchen Art und Weise, dass Gracchus hätte vermuten können, der Sklave tue solcherlei des öfteren - was selbstredend aus seiner Welt heraus betrachtet undenkbar war. Der Weg zum Seiteneingang, welchen sonstig vorwiegend Sklaven und Boten nutzten, schien Gracchus endlos lange, doch alsbald hatten sie ihn erreicht und vor der Türe wartete bereits eine schlichte, schmuck- und wappenlose Sänfte, welche ihn zum mit Cornelius vereinbarten Treffpunkt würde befördern.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Grauschwarzfarben umschwemmten die tosenden Gewitterwolken seinen Leib, barsten über ihm in ohrenbetäubendem Krachen, teilten in gleißenden Blitzen sich, von welchen jeder einzelne in ihn hinab fuhr, ihn selbst bersten ließ in peinigender Agonie, welche nur hinfort wurde geschwemmt durch den kalten Regen, dessen Tropfen scharf gleich eisernen Zapfen auf seine Haut hernieder prasselten, um Raum zu schaffen für neuerliche Qual. Inmitten der tristen Düsternis schwebte er, sein Leib gehalten wie in dornigen Fesseln durch unzählige sich windende Schlangen, deren Haut war überzogen mit ätzender Säure, so dass ihre Spuren sich einbrannten in seinen Leib wie Flüsse durch karges Land, während an seinem Körper kleine Monstren sich machten zu schaffen, dunkle Schatten aus Nebel und Rauch, mit Hämmern und Pickeln bewaffnet, das spitze Werkzeug in sein Fleisch treibend unermüdlich, abertausende scharfe Messer in seinem Leibe, diese drehten und wendeten und bohrten, dass die Qual durch jede seine Adern sich trieb. Von außen her trugen sie ihn ab, von innen heraus höhlten sie ihn aus, bis dass nurmehr ein dünnes Rahmenwerk blieb, eine Facette der Pein, ein Skelett aus reißender Agonie, Schatten und Schimmer zugleich, aus welcher ein Feuer sich entfachte, in sich verschlingende Flammen, hitzige Glut, aus deren Herzen ein Strom aus Lava sich ergoss, durch die letzten Fetzen seines Selbst sich fraß und alles löste, was beständig von ihm war geblieben, bis dass er nurmehr erkaltete Asche war. Befreit vom Leibe, entfesselt von Pein und Qual wurde der graufarbene Staub erfasst von einem warmen Windhauch, trieb empor in das güldene Licht der Sonne, und er breitete aus die gewaltigen fedrigen Schwingen und segelte majestätisch hinweg über das silbrigfarben glitzernde Wasser des Flusses, welches mühelos der Schnabel zerteilte als er eintauchte in die seichte Flut, umfangen wurde vom wohligen Wogen der Strömung. Geschmeidig schlängelte sein Leib durch das Nass, trieb die Flosse seine Bewegung voran, während die Farben des gebrochenen Regens auf seinen Schuppen sich spiegelten, bis dass schlussendlich, am Ende seiner Reise, Trägheit in ihn einkehrte, die silberfarbene Kreatur zerfiel in unzählige Partikel, welche ein wenig noch durch das Wasser tanzten zur Melodie des Vergehens, um schlussendlich jede einzelnen hinab zu sinken in den Grund, zu sterben. Am säumigen Ufer über ihm wankten die Spitzen eines Wachholderbusches im Winde, wie die Finger einer Hand, die zum Abschied winkte.

    ~~~


    Als Gracchus am Morgen erwachte, konnte er die Kälte des Winters in seinem Leibe spüren, eines latenten Schmerzes gleich, der nicht zu greifen, nur zu erdulden war. Längst wurden die Öfen des Hauses befeuert, der heiße Rauch durch die Hypocausthen geleitet, so dass es beständig wohlig warm war in der Villa Flavia, doch selbst in seinem warmen Bett versunken glaubte Gracchus den eisigen Wind inwendig in sich zu tragen, glaubte seinen Körper gefroren. Er hatte den Winter stets gemocht, die zumeist angenehmen kühlen Temperaturen, bei welchen der Geist nicht träge wurde wie im Sommer, die Niederschläge, welche den Unrat von den Straßen wuschen, und den Wind, welcher nicht nur den Gestank der Stadt, sondern gleichsam veraltete, festgefahrene Gedanken hinfort und neue Inspirationen heran wehte, doch dieser Winter war anders - oder er. Er hatte die nördlichen Provinzen nie bereist, doch er kannte Berichte aus den Wintern Nordgalliens und Germanias, und ähnlich deletär schien die Jahreszeit sich nun in ihm auszubreiten. Als Sciurus von einem weiteren Sklaven die Schüssel warmen Wassers zur morgendlichen Reinigung entgegen nahm, rollte Gracchus sich nur tiefer in seine Decke, unwillig in diesem Jahr überhaupt noch einmal aufzustehen.

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