• Die ersten Strahlen der Sonne strichen über das gewaltige Amphiteather. Kurze Zeit später war die ganze Tempelanlage von Epidaurus in morgentliches Licht getaucht.


    Die ganze Stätte war ein riesiges Heiligtum des Asklepios. Tempel, Gästehäusser, Bäder, Behandlungszentren.
    Nicht nur aus Griechenland, aus dem ganzen Imperium kamen die Kranken hierher, um sich hier, an der Heimstätte des Heilens behandeln zu lassen.


    Dioskurides, ein älterer Mann, Arzt und Priester beugte sich zu seinem Patienten herunter.
    Dieser hatte am frühen Abend wieder einen Anfall gehabt und sie hatten die Nacht über schon sein Leben fliehen sehen. Doch jetzt im Lichte des Morgens hatten sich die Krämpfe aufgelöst und Farbe kehrte in das blasse Gesicht zurück.
    Sein Atem ging ruhiger und der Körper hatte sich entpannt, war übergegangen in erholenden Schlaf.


    Dioskurides war mit seinem Wissen am Ende. Erst hatte es so vielversprechend ausgesehen, als der Mann hier angekommen war. In den ersten Wochen war es ihm stetig besser gegangen, doch dann ...
    Von einem Tag auf den anderen hatten die Anfälle eingesetzt. Erst selten und nun immer öffters. Und jedesmal schwerer. Keine der Behandlungen hatte angeschlagen, kein Opfer Besserung gebracht.


    Dioskurides seufzte schwer. Nicht das er sowas zum ersten Mal erlebet. Nein gewiss nicht. Schon oft, viel zu oft, hatten sie nichts mehr ausser dem Lindern der Schmerzen tun, dem Tod nur Stunden abringen können.
    Doch es war immer viel schwerer, wenn man den Patienten gut kannte. Und seine Familie. Seinem Vater hatte er viel zu verdanken und den Mann selbst kannte er seit dieser der Brust seinen Mutter entwöhnt worden war. Er hatte ihn heranwachsen sehen. Damals bevor er hierherkam um sein Wissem und seine Kraft in den alleinigen Dienste Asklepios zu stellen.


    Wie ruhig er nun da lag. Fast so als würde er jeden Augenblick aufwachen, aufspringen. Doch Dioskurides wusste es besser.
    Im Moment konnte niemand mehr etwas tun. Mit einem Wink entlies er seine Gehilfen.
    Müde war er, doch bevor er sich einige Stunden Schlaf gönnen wollte, würde er nochmal das Allerheiligste aufsuchen um zu Opfern.
    Auch wenn er eigentlich keine Hoffnung mehr hatte. Irgendwann, irgendwann bald, würde ein Anfall kommen, der es ihnen verwehren würde den Mann auf dieser Seite des Styx zu halten.
    Es war nur eine Frage der Zeit, wahrscheinlich viel zu kurzer Zeit.

  • Die Kunde drang zu mir, schnell war mein Entschluss gefasst. Ich begab mich auf eine Reise nach Epidaurus.


    Die kalte Wintersonne beleuchtete den idyllischen Ort und er hätte mir gefallen, wenn nicht der Grund meines Besuches ein wenig amüsanter wäre. Leise betrat ich in Begleitung meines Sklaven die Tempelstätte. Ich ließ mich von irgendjemanden, der mir als erstes über den Weg lief, an das Krankenbett führen und gab durch einen Wink zu verstehen, dass ich ungestört sein wollte. Mein Sklave stellte mir einen der spartanischen Stühle neben das Krankenlager und ich nahm Platz. Minutenlang saß ich schweigend, betrachtete den Mann vor mir und schweifte in vergangene und zukünftige Zeiten ab.


    In vergangen Zeiten sah ich einen stolzen und klugen Mann, der hohe Ämter bekleidete. Vor etwa einem Jahr musste es gewesen sein, als ich erstmals erfuhr, dass seine Ideale sich nicht mehr mit denen der Gesellschaft deckten. Damals wusste ich nicht, dass er kein Einzelfall war. Damals war ich jung und unbekümmert. Politik interessierte mich nicht. Heute war ich noch immer jung, aber die Unbekümmertheit war fort - zu Grabe getragen von neumodischen Strömungen, die mehr und mehr Einzug in das Leben hielten - zu Grabe getragen vom Verfall der Sitten, der Tugenden und der Religion.


    Vor meinem geistigen Auge blickte ich in die Zukunft und sah den Untergang des römischen Reiches. Nichts würde ihn aufhalten können. Die Stimmen der Männer, die es vermocht hätten, das Ruder herumzureißen, wurden nicht gehört. Der traditionsbewusste und von Tugenden gekennzeichnete Römer, die Patrizier, sie starben aus. Einen nach dem anderen hatte ich gehen sehen. Männer, die das Reich, die der Senat gebraucht hätte. Übrig blieb eine Welt voll Dekadenz, die diejenigen, die nicht durch die Götter gerufen wurden, selbst zur Aufgabe ihres Lebens nötigte.


    Meine Gedanken fanden in die Wirklichkeit, die traurige Gegenwart zurück. Ein Lidschlag löste den Schleier vor meinen Augen. Langsam rollten die Tränen hinab. Es war nicht der Mann an sich - wir hatten uns oft nicht verstanden - es war das greifbare Aussterben der wahren Römer, was mich bestürzte. Die Welt hatte sich gewandelt und für uns Patrizier gab es hier keinen Platz.


    „Mögen die Götter mit dir sein, Flavius Catus. Vielleicht gehst du in eine bessere Welt. Viele sind dir vorausgegangen, nicht mehr viele sind übrig, um dir zu folgen. Doch vielleicht weisen dich die Götter zu diesem Zeitpunkt noch zurück. Wenn dem so ist, dann gehe dorthin, wo du gebraucht wirst. Trete ein in den Senat und kämpfe für unser Recht.“


    Letztmalig atmete ich den Zitronenduft der mitgebrachten Lilie ein, bevor ich sie vorsichtig auf den Körper des Kranken legte. Ich hatte eine rote gewählt, als Sinnbild für Kraft und Leben. Es war Hoffnung, die mich noch am Leben hielt. Hoffnung auf irgendeine unvermutete Wende, Hoffnung auf ein Zeichen der Götter, Hoffnung auf ein Licht inmitten all der Dunkelheit.


    Lautlos erhob ich mich und winkte meinem Sklaven. Ich wollte gehen.

  • Gedanken wirbelten durch meine Kopf. Wie gefangen war ich in mir selbst.
    Die letzte Nacht war schlimm gewesen. Von den Anfällen an sich bekam ich eigentlich fast nichts mit. Doch Bilder blieben in meinem Kopf zurück. Visionen, Illusionen. Waren sie von den Göttern geschickt, oder nur Phantasien eines kranken Geistes ?
    Ich wusste es nicht.
    Doch die Anfälle häuften sich. Der alte Dioskurides wollte mich immer beruhigen. Das wären Zeichen der Besserung. Der gute Dioskurides. Er war noch nie ein guter Lügner gewesen.
    Ich merkte wie ich von mal zu mal verfiel. Ich konnte mich immer weniger auf meinen Körper verlassen und nun fing auch mein Geist an verrücktzuspielen.
    Ich sah mich schon sabbernd und brabbelnd dahinvegitieren.
    Kaltes Graussen packte mich bei der Vorstellung.
    Nein, das durfte nicht geschehen.
    Ich war Catus.


    Und ich fasste einen Entschluß.


    Und mit dem Entschluß durchbrach ich das bunter Wabern meines Gefängnisses.
    Es war Morgen. Alle Glieder schmerzten als wäre ich die Nacht hindurch gelaufen. Mein Schädel brummt als hätte ich die Nacht hindurch gesoffen.
    Doch in mir war etwas. Ein Entschluß. Es war an der Zeit.



    Auf einmal bemerkte ich, das ich nicht allein war.
    Leichter Zitronenduft drang an meine Nase.
    Ein Frau .. überrascht erkannte ich Deandra.
    Sie wendete sich gerade der Tür zu.


    Ich konzentrierte mich ... auf wundersame Weise waren mit dem Entschluß meine Kräfte zurückgekehrt. Ich wusste nun was zu tun war.


    Ich richtete mich gerade auf. Ich musste furchtbar aussehen. Aber egal. Ich war Catus.
    Ich kannte meinen Weg. Und ich würde ihn stolz gehen.
    Mit erhobenem Haupt.



    "Salve Deandra"


    "Verzeih mein Erscheinungsbild und das ich dich nicht angemessen begrüsst habe. Es ist mir eine Freude nocheinmal ein bekanntes Gesicht zu sehen."


    "Du verbreitest Licht und Freude an diesem manchmal so düsteren Ort und einen angenehmen Duft."


    Ich nahm die Lilie auf und atmete ihren Duft ein.


    "Ich bin überrascht dich hier zu sehen.
    Was hat dich nach Achaea geführt ?
    Kann ich irgendwas für dich tun ?"

  • Groß wurden meine Augen, als ich seine Stimme hörte und erneut gaben sie den Weg für eine Tränensturzflut frei. Mein Schritt stockte, ich hielt den Atem an. Mit allem hatte ich gerechnet, damit nicht. Verstohlen wischte ich die Tränenspur von meiner Wange, bevor ich mich umdrehte.


    „Sei gegrüßt, Catus. Es ist wunderbar, deine Stimme zu hören.“ Leise kamen die Worte, doch ich war sicher, er hatte sie gehört. Mein dem Anflug eines Lächelns, näherte ich mich seinem Krankenlager, betrachtete ihn kurz und setzte mich erneut.


    „Es sei dir verziehen, dass du mich nicht anmessen begrüßt hast. Niemals habe ich Zweifel an deiner guten Erziehung gehegt.“ Ich lächelte warm. „Ich verbreite Licht und Freude? Oft höre ich das, dabei empfinde ich selbst oft Trauer. Du wirst verstehen, was ich meine.“ Nachdenklich wiegte ich den Kopf. „Vielleicht liegt es daran, weil ich mich nie mit den gegebenen Umständen abfinden möchte, weil ich für meine Ideale eintrete, weil ich bereit bin, meine Kraft anderen anzubieten - dann, wenn sie diese nötig haben. Du fragst, was mich nach Achaea geführt hat? Ist es so undenkbar, dass es dein Krankenlager war?“


    Ganz waren die Tränen nicht versiegt. Die Augen schimmerten verdächtig, aber ich lächelte tapfer.

  • "Wegen mir. Ich fühle mich geehrt und geschmeichelt. Aber nun ist es Zeit das Krankenlager zu verlassen."


    Ich richtete mich auf. Zwar schmerzete alles, aber aus irgendeinem Grund gehorchte mein Körper mir ohne grossen Protest.


    Ich ging zu der Truhe und öffnete sie.


    "Ich muss mich nur schnell angemessen ankleiden."


    Ich zog mir eine frische Tunika an.


    "Deine Worte weissen dich als wahre Römerin aus, Deandra. Und sie ehren dich."


    Da unten am Boden lag er. Mein Harnisch aus Zeiten der Cohortes. Ich wickelte ihn aus und legte ihn an. Irgendwie ging alles ganz einfach. Ich wusste was zu tun war.


    "Behalte deine Art nur bei und höre nicht auf zu kämpfen."


    Ich legte das Gladius an, schnürte die Stiefel und stezte den Helm mit den Federbusch auf .. hmm ... der Busch hatte auch schon besssere Tage gesehen.


    Dann wendete ich mich wieder Deandra zu.


    "Ich glaube ich könnte eine Rasur vertragen", sagte ich während ich mit meiner Hand über mein Kinn fuhr. Der Schweiß ran mir herunter, bemerkte ich .. wahrscheinlich war ich leichenblass. Es spielte keine Rolle mehr.


    "Bist du so nett zu einem Barbier zu begleiten. Es wäre nett noch das Neueste aus Rom zu erfahren, bevor ich aufbreche."


    "Und lass die Tränen sein. Es gibt keinen Grund mehr dafür. Das ist heute ein wahrlich guter Tag."

  • Mit Freude bemerkte ich Catus’ Wandlung. „Bei den Göttern...“ Erstaunt blickte ich zwischen meiner Lilie und dem geschäftig hantierenden Mann hin und her. Es musste sich um eine ganz besondere Unterart dieses Knollengewächses handeln. Glücklich stellte ich fest, dass sich in meinem Atrium noch weitere Exemplare befanden. Warum bin ich nicht schon früher darauf gekommen, die mir wichtigen Menschen auf diese Weise ...


    Unfassbar! Ich strahlte über das ganze Gesicht, meine Tränen versiegten.


    „Täuscht mich der Anblick oder kehrst du eventuell zu deiner alten Stammeinheit zurück“, fragte ich ungläubig, als er die Ausrüstung der Cohortes Urbanae anlegte. „Wahrlich, der Tag ist heute ein besonders guter!“


    Alles ging kreuz und quer in meinem Kopf. Zunächst erhob ich mich, um nicht weiterhin wie festgenagelt Catus anzustarren.


    „Natürlich begleite ich dich hier zu einem Barbier...“ Obwohl Rom über einen ganz besonderen Meister verfügte, den Catus wohl noch nicht kannte. „... und gern würde ich gemeinsam mit dir die Heimreise antreten.


    Neues aus Rom? Oje! Catus, bist du stabil genug, dass ich dir die Wahrheit sagen kann?“


    Besorgt lag mein Blick aus dem blassen schweißgebadeten Mann.

  • Lächelnd blickte ich Deandra an und nahm ihren Arm, hinaus in das grosse Areal.


    "Nein, Deandra, wir werden nicht gemeinsam nach Rom reisen. Ich werde nicht nach Rom zurückkehren. Meine Reise wird mich an ein anderes Gestade führen. Auch werde ich nicht zu den Cohortes zurückkehren."


    Wir gingen über den Platz.


    "Meine Anfälle werden von Nacht zu Nacht schlimmer. Ich merke wie ich zunehmend die Kontrolle über meinen Körper und Geist verliere.
    Die Ärtze wissen keine Rat mehr. Und die Götter schweigen.
    Dies ist mein Schicksal.
    Ich bin Catus.
    In mir fliesst das edelste Römerblut.
    Ich werde nicht sabbernd und brabbelnd in einem Bett dahinvegitieren und in völliger Hilflosigkeit auf den Tod warten.


    Ich werde ihm entgegehen, aufrecht, mit erhobenem Haupt und dem Gladius an meiner Seite.
    Wie es sich für einen edlen Römer geziemt.


    Das ist der Weg und die Reise die vor mir liegt. Und diesen Weg muss ich allein gehen.
    Stolz und aufrecht."


    Wir waren bei einem Barbier angekommen. Ich gab ihm einen Wink und setzte mich.


    "Und nun Deandra, erzähl was gibt es Neues in Rom. Du kannst mir ruhig die Wahrheit sagen, denn glaube mir, nie war ich stärker als jetzt."

  • Abrupt brach die Erkenntnis in mir durch, dass seine scheinbare Gesundung nicht gleichzeitig sein Weiterleben bedeutete. Ich war wie gelähmt, dabei hätte ich es ahnen können. Bereits meinen Bruder Titus Aurelius Antoninus verlor ich auf gleiche Art. Schreckgeweitet waren meine Augen, als ich mir den Freitod meines Bruders in Erinnerung rief. Würde Catus etwa dieselbe Hilfestellung erwarten? Warum waren Männer so gefühllos? Sollten sie nicht vielmehr Halt für uns Frauen sein?


    Keines Wortes fähig ließ ich mich am Arm nehmen und fortführen. Ohne Catus hätte ich mich keinen Digitus von der Stelle gerührt. Mechanisch setzte ich einen Fuß vor den anderen.
    Beim Barbier angelangt nahm Catus sofort Platz. Ich verlor die Stütze und ließ mich auf den erstbesten Hocker fallen. Bei seiner Frage nach den Neuigkeiten schüttelte ich den Kopf.


    „Warum sollte ich dir dein Bild vom alten Rom zerstören?“, fragte ich leise. „Wenn du dies deinen und meinen Vorfahren berichtest, sie würden für immer ihre Ruhe verlieren. Es ist eine Schande für jeden noch lebenden Römer, was aus unserem Erbe geworden ist - dass wir zugelassen haben, was daraus geworden ist.“

  • Ich musste lächeln bei den Worten Deandras.
    Alles schmerzte, doch spürte ich es nicht.
    Grosser Frieden war in mir.


    "Wenn Du es meinst, dann soll es so sein."


    Schweigend lies ich mich rassieren.


    Nachdem der Barbier fertig war, erhob ich mich und deutete nach Norden.


    "Siehst du dort den Berg. Die weiße Kuppe. Kaum erkennbar im Dunst. Weit im Norden."


    Majestätisch."


    "Das ist der Olymp."


    "Dorthin werde ich gehen. Ich weiß nicht ob ich es überhaupt schaffen werde auch nur annähernd dorthin zu gelangen, bevor Hades seine Hand nach mir ausstreckt. Weite Teile der Strecke sind Wildniss und ich werde die wenigen zivilisierten Plätze meiden. Nicht die Menschen sind es die ich Suche."


    "Nein, ich werde nicht selbst Hand an mich legen. Aber ich werde auch nicht versuchen mein Leben durch die Kunst der Ärzte künstlich zu verlängern. Ich werde nicht tatenlos hier warten, bis die Götter mich abberufen. Und wer weiß, vielleicht vergönnen sie mir einen letzten Gruß mit dem Schwert im Schnee des Olymp."


    "Und nun wisch die Tränen hinweg.
    Es gibt keinen Grund zu trauern.
    Hier geht ein Römer edlen Geschlechtes seiner Bestimmung entgegen. Kein Sterblicher wird diesen Weg stören. Nur die Götter werden Einfluss nehmen.
    Kannst du dir einen edlern letzten Gang vorstellen.
    Freue dich mit mir an diesem wahrhaft guten Tag.


    Nein, ich werde nicht warten bis die Krankheit mich zerbrochen hat.
    Nein, ich werde mich nicht von ihr beherrschen lassen. Ich berherrsche sie."


    Ich streckte mich. Zog die Schultern zurück. Warf die Brust nach vorne. Hob dan Kopf. Zog das Schwert und richtete es gen Himmel.



    "Götter, ich der dem Tode geweihte, grüsse euch.
    Wisset, ich werde nicht warten bis mich der Krankheit feiger Mob neiderringt.
    Ich bin Catus.
    In mir fliesst das Blut der Edelsten.
    Ich akzeptiere was ihr mir auferlegt, aber ich werde nicht wimmernd und zitternd auf mein Schicksal warten.
    Nicht wie ein Schaf auf dem Weg zur Schlachtbank.
    Ich bin Catus.
    Ich bin ein Sohn der Wölfin.
    Ich werde ihm entgegengehen.
    Ich werde euch entgegengehen.
    Aufrecht und Stolz.
    Wie es sich für einen Römer edler Herkunft geziemt.
    Und wenn der Schnee des Olymp unter meinen Füssen knirscht, dann werdet ihr wissen, Catus ist gekommen."



    Langsam senkte ich das Schwert, lies es in die Scheide gleiten und drehte mich zu Deandra um.


    "Du siehst es gibt keinen Grund zu trauern."


    "Doch noch eine Bitte habe ich an Dich.


    Kehre nach Rom zurück. Sag meiner geliebten Messalina, das ich sie freigebe, sie nicht länger auf mich warten soll. Sag ihr das ich sie liebe, immer geliebt habe und immer leiben werde. Hier und am anderen Ufer des Styx.
    Geh zu Secundus Flavius Felix und berichte ihm. Sag ihm das mein Testament bei den Vestalien hinterlegt ist und er sich bitte darum kümmern soll.
    Sag ihnen das sie nicht nach mir oder meinem sterblichen Körper suchen sollen. Ich habe meinen Weg gefunden und der Rest ist nicht für Sterbliche gedacht.
    Sag allen das ein Römer gegangen ist. Sich nicht niederringen hat lassen, sondern sein Schicksal selbst in die Hand genommen hat.
    Sag ihnen sie sollen nicht trauern, denn dazu gibt es keinen Grund.
    Ich habe meinen Frieden gefunden. Mit mir, der Welt, den Unsterblichen und Sterblichen."


    "Möge der Wille der Götter geschehen, doch wie er geschieht, darüber entscheide ich, Catus, selbst."

  • Als ob die Tränen darauf hören würden, wenn jemand sagt, sie sollen versiegen. Im Gegenteil, meist fließen sie dann noch mehr. Mein Blick folgte seinem Hinweis, aber ich nahm die weiße Bergkuppe des Olymps nicht wahr. Der Kopf war unfähig, auch nur einen Teil seiner Worte aufzunehmen, geschweige denn zu verstehen. Ich verstand mich selbst im Moment nicht mehr.


    Wieso traf mich sein Entschluss so hart? Es musste daran liegen, weil im zurückliegenden Jahr etliche Menschen und ebenso viele Hoffnungen gestorben waren ... Antoninus, Vibullius, mein Briefkontakt Caesarion, nun Catus … Das Zittern um Sophus’ Verbleib auf dieser Seite des Styx hatte mich reichlich Nerven gekostet. So viele, dass mich selbst Macers Umzug nach Germania von den Beinen gerissen hatte. Alles in allem sehr viel für eine stark erscheinende, aber im Grunde schwache Frau. Weitere, mir nicht näher bekannte Persönlichkeiten, zogen sich aus dem gesellschaftlichen Leben zurück. Es waren allesamt Streiter für ein besseres, ein römischeres Rom.


    Wen außer mir kümmerten diese Verluste? Niemanden. Sie wurden dem Willen der breiten verkommenen Masse untergeordnet. Geopfert auf einem Altar den Gelüsten neumodischer Römer, die Sitten und Anstand mit Füßen traten. Und wieder ging ein edler Römer von uns …


    Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als sich Catus umdrehte.


    „Kein Grund zum Trauern?“, wiederholte ich ungläubig. Mein Lachen klang bitter.


    Nachdem Catus seine Bitte geäußert hatte, holte ich tief Luft. Etwas konnte ich noch für ihn tun.


    „Zu Messalina und Felix werde ich gehen und das ausrichten, was du wünschst.“


    Wieder traten Tränen in meine Augen.


    „Richte Crassus, wenn du ihn triffst, einen lieben Gruß von mir aus und ebenso meinem Bruder. Sag ihnen, auch ich werde eines Tages bei ihnen weilen. Allerdings, auch wenn ich schwach bin, wird meine Kraft ausreichen, meine Füße noch sehr weit zu tragen. Fast scheint mir, als wäre ich belastbarer als manch stattlicher Mann.“

  • Sanft streichelte ich Deandra über die Wange.


    "Ich danke dir. Und ich werde deine Grüsse ausrichten."


    "Du bist eine starke Frau und hast noch viel vor dir. Richte den Blick nach Westen .. nach Rom .. dort liegt deine Zukunft .. und höre nicht auf so zu sein wie du bist."


    "Der Morgen weicht dem Mittag. Es ist Zeit für mich zu gehen."


    Ich trat einen Schritt zurück und entrichtete Deandra nocheinmal einen militärischen Gruß.


    "Jetzt wo es so weit ist, fällt mir der erste Schritt nicht leicht. Doch es gibt keinen anderen Weg. Ich muss tun, was ich tun muss."


    Ich rückte meinen Harnisch und meinen Schwertgurt zurecht, zog an dem Umhang.


    "Leb wohl Deandra, leb wohl ... und grüsse Rom von mir."


    Ein Klos hatte sich in meinem Hals gebildet. Meine Stimme zitterte.


    Ich drehte mich um und machte meinen ersten Schritt meines letzten Weges.

  • Nichts ist schlimmer, als sich hilflos zu fühlen. Dieses Gefühl entzieht uns die Kraft, es nimmt uns das Licht und das Lachen, reißt abgrundtiefe Löcher in unseren Weg oder baut unüberwindbare Mauern auf.


    Ich hatte gelernt, die Entscheidungen von Männern zu akzeptieren. Sie hatten ihren eigenen Kopf, auch wenn ich ihre Denkweise oft nicht verstand. Und doch … ich konnte nicht anders.


    „Catus?“ Ich schluckte. „Gibt es wirklich gar nichts, was dich aufhalten kann?“ Mir war klar, ich machte dadurch alles nur noch schlimmer. Für mich, für ihn, für diesen Augenblick … Es sollte mein letztes Aufbäumen gegen das Unvermeidliche sein.

  • Ein letztes Mal drehte ich mich um .. lächelte Deandra beruhigend an.


    "Nein ... ich muss meinem Weg folgen .. Leb wohl, Deandra."


    Dann setzte ich einen Fuß vor den andern und zwang mich ruhig und gelassen auszuschreiten.


    Und die Furcht, der Schmerz, die Trauer .. mit jedem Schritt liessen sie etwas nach und verschwanden langsam ... bald war da nur noch ein schneebedeckter Berg .. das Ziel und Ende.

  • Einen Schritt vor den anderen setzend, ging der Mann, der römische Soldat, nach Norden, durch das Heiligtum, den Hang hinauf und verschwand im Wald ohne sich nocheinmal umzuschauen.


    War sein Schritt bisdahin noch fest und zielstrebig gewesen, so wurde er immer unkontrollierter und schwankender. Manchmal musste der Mann sich an Bäumen stützen um nicht zusammenzubrechen, doch auch wenn er immer öfters einhalten musste, setzte er seinen Weg fort.


    Schritt um Schritt ...

  • Mit leerem Blick schaute ich Catus hinterher. Wieder jemand, der einen Teil meiner Kraft mit sich nahm. Wie weit würde sie noch reichen? Wo gab es Halt?


    Mit einer müden Bewegung strich ich über die schmerzende Stirn. Ich zitterte, fühlte mich leer. Längst nicht so aufrecht wie sonst ging ich der Reisekutsche entgegen. Ich spürte Sehnsucht nach Reinheit, nach Geborgenheit, nach einer unversehrten Welt. Sofort nach dem Besuch der Flavier würde ich nach Mantua reisen. Der einzige Ort im gesamten Reich, der mir das bieten konnte. Warum wurde ich nicht 500 Jahre früher geboren?!

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!