Lucilla hat ebenfalls wieder Platz genommen und hört Avarus aufmerksam zu. Als er schließlich endet, lächelt sie sanft. "Ein germanischer Junge, der es weit gebracht hat. Du solltest dir Neider nicht so zu Herzen nehmen. Es wird immer jemanden geben, der auf das, was ein anderer geschafft hat, voll Neid und Missgunst hinabblickt. Und trotzdem schmälert es nicht die erbrachte Leistung, denn die Götter lassen sich nicht beirren. Und die, die dich lieben, auch nicht."
Sie stärkt sich mit einem kleinen Schluck Wein und einer Traube und beginnt dann ebenfalls zu erzählen.
"Ich wurde in Tarraco geboren, damals war die Gens Decima ebenfalls noch nicht Teil der römischen Bürgerschaft. Auch wir waren nicht arm, und doch ist mein Vater zu den Hilfstruppen um für seine Familie das Bürgerrecht zu erkämpfen. Das hat er auch geschafft, doch er hat es mit seinem Leben bezahlt. Ich war damals zwei Jahre alt. Meridius hat die Leitung über unsere neue römische Familie übernommen, ist jedoch bald selbst ins Militär eingetreten. Als ich sieben Jahre alt war, starb dann meine Mutter, nachdem sie lange Zeit krank gewesen war. Eine Weile hielt sich der Familienverbund, meine Onkels Mercator und Proximus standen dem Haus vor. Nach und nach sind alle Kinder ausgeflogen. Einige zum Militär, andere zu Studien in die Welt hinaus. Ich selbst bin zur Erziehung zu meiner Großtante Drusilla nach Rom gekommen. Sie hatte sich einen reichen, alten Mann geangelt und war zu dieser Zeit voll im römischen Stadtleben integriert." Lucilla verdeht die Augen. "Naja, nicht wirklich, aber sie hat es gerne so hingestellt. Von ihr habe ich gelernt, wie man auf den traianischen Märkten einkauft, wie man ein Bankett hinter sich bringt ohne sich vollends zu blamieren und dass die römische Frau von heute getrost den Webstuhl in der Ecke stehen lassen kann." Sie schmunzelt. "Manchmal war sie ein Drachen, aber man muss ihr wohl zugestehen, dass ihre Erziehung tatsächlich ganz passabel war. Trotzdem, nachdem sie mich aus ihren Fängen entlassen hat, konnte ich mir nichts Schöneres vorstellen, als das ganze Mare Nostrum zwischen sie und mich zu bringen und nach Tarraco zu meiner Familie zurückzukehren. Allerdings nahm ich ihren Rat an, ließ den Webstuhl in der Ecke stehen und habe mit ein bisschen familiärer Hilfe einen Posten als Scriba in der Stadtverwaltung bekommen. Anschließend wurde ich Magistrata, in dieser Zeit habe ich den Bau der Bibliothek zu Tarraco mitgeplant. Dann kam es, dass der Posten des Praefectus Vehiculorum frei wurde und obwohl ich nebenbei weiterhin für das Bibliothek-Projekt zuständig war, habe ich die Chance ergriffen und dich als meinen Cheffe erwählt. Meine Cursus Publicus-Karriere dürfte dir bekannt sein, viel hat sich ja auch nicht geändert, außer, dass ich nun in Italia bin. Nebenbei hatte ich angefangen, für die Acta zu schreiben und weil sich anscheinend kein anderer dafür gefunden hat, bin ich dort mittlerweile Lectrix."
Sie überlegt kurz und greift dann zu ihrem Weinbecher. "Ja, mhm, ich denke, das ist alles. Nicht viel, aber mir reicht es soweit."