[Stabulum] Factio Veneta

  • "Natürlich möchte ich immernoch ..." meinte sie und ihr Lächeln wurde ein wenig breiter. "Denkst Du ernsthaft, nach dieser Fahrt meines Bruders würde ich auf den ganzen Spaß verzichten wollen?" Damit begann sie schon, an ihrer Palla zu nesteln, um sie abzunehmen, und nach und nach löste sie auch die Hochsteckfrisur, bis ihr Haar ungebändigt über die Schultern herab floss - leicht gelockt, denn die Sklavin, die ihr die Haare richtete, hatte ein großes Vergnügen daran, in das glatte Haar ihrer Herrin Wellen zu zaubern - und reichte sowohl Palla als auch die schlicht goldenen Haarnadeln an ihren Bruder weiter.


    "Der Helm würde ohnehin nicht auf meine Frisur passen," erklärte sie den teilweise etwas verdutzt blickenden Männern, denn es kam nicht allzu oft vor, dass eine Frau aus gutem Haus vor den Augen anderer ihr Haar löste. Dann schlang sie sich kurzerhand ein dünnes Lederband um ihren Haarschopf und band ihn in einem Zopf in den Nacken zurück, vergnügt dabei lächelnd. "Geh voraus und ich folge Dir ... bis vielleicht auf den Weg in den Orcus. Eigentlich wollte ich diesen Tag heute überleben," meinte sie vergnügt und zwinkerte Constantius dabei zu, bevor sie Valerius Victor erwartungsvoll anschaute.

  • Constantius sprang freudestrahlend vom Streitwagen, als dieser zum Stehen kam. Die braunen Augen des jungen Iuliers schienen mit der Sonne um die Wette zu funkeln. Ein wagemutiges, euphorisches Lächeln zierte noch immer sein Gesicht. Das selbst unter der Schicht aus Staub, die ebenfalls sein Gesicht bedeckte. noch gut zu erkennen war.
    Während die beiden anderen Fahrer die Quadrigen verließen, öffnete Constantius den Verschluss seines Helmes und streifte diesen ab. Das warme Licht der goldenen Himmelsscheibe umrahmte den jungen Manne als dieser, den Helm in der linken Hand haltend, mit der rechten Hand eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich. Das Herz schlug voller Inbrunst in seiner Brust und es war scheinbar das Leben pur, dass in diesem Moment durch seine Adern strömte.


    Was für eine Fahrt. Was für ein Gefühl. Welch Nervenkitzel. Die Begeisterung des jungen Mannes war ihm mehr als deutlich anzusehen, als er von den beiden Fahrern flankiert, auf Helena und Victor zuging. Ein großer Feldherr hätte sich wohl nach einem erfolgreichen Feldzug nicht wohler fühlen können, auch wenn Constantius nun nicht einmal siegreich gewesen war. Doch die Last der Niederlage wurde in diesem Moment mit Leichtigkeit von den euphorischen Gefühlen getragen, die in ihm geradezu brodelten.


    Als Helena seine Hand drückte und er ihre Begeisterung in ihren Augen erkannte, wäre er ihr am liebsten um den Hals gefallen. Auch wenn er ihr so viel hätte erzählen wollen, so hätte er außer ein paar gestammelten Worten wohl keine zusammenhängenden Sätze hervor gebracht. Dafür erforderte die Beherrschung seiner Gefühlswelt einfach ein zu hohes Maß an Aufmerksamkeit.


    Als er die lobenden Worte der anwesenden Männer vernahm, richtete Constantius einen kurzen Moment den Blick auf den Boden und sein stolzes, euphorisches Lächeln verwandelte sich fast in das Lächeln eines verlegenen Kindes.


    Er blickte zu Helena. Sie schien keine Furcht zu empfinden. Nein, sie schien sich auf ihre Fahrt zu freuen. Wie ein kleiner Bruder beobachtete er seine große Schwester. Damals als er noch aufgrund seiner Körpergröße zu ihr aufblicken musste, hatte er bereits ihre Tapferkeit und ihre Entschlossenheit bewundert. Es war nie leicht für ihn gewesen, ihren Wagemut noch zu übertreffen. – und Constantius versuchte fast alles um dies zu erreichen, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen – Jetzt, da er sie an Körpergröße überragte, musste Constantius dennoch feststellen, dass er noch immer bewundernd zu ihr aufblickte.


    Der wehmütige Blick in seinen Augen blieb den Beobachtern zum Glück verborgen, als Victor und Helena zu ihrer Fahrt aufbrachen.
    Constantius war sich sicher, dass es ihm das Herz brechen würde, wenn Helena ihn bald wieder verlassen würde. Doch dankte er den Göttern in diesem Moment, dass er ihr noch mal so nah sein durfte.
    Hätte Hermes dem jungen Iulier nicht freundschaftlich auf die Schulter geklopft, wäre das Lächeln vielleicht vom Gesicht Constantius für einen Moment verschwunden. Doch nun galt es einen guten Platz zu finden, um die Fahrt Helenas beobachten zu können. Trauer und Schmerz würden schon früh genug wieder zurückkehren.


    Lachend und losgelöst folgte Constantius dem jungen Hermes hinterher

  • Natürlich bringt es Victor aus der Ruhe, als Helena ihr Haar vor ihnen so unbedarft öffnet und zu einem Zopf zusammen bindet. Um sich nichts anmerken zu lassen, wendet er sich an ihren Bruder. "Ich werde auf sie aufpassen und keine Sorge, den Weg in den Orcus werde ich geschickt umfahren." Während Constantius und Hermes den Weg zur Tribüne einschlagen, führt Victor Helena in die Startboxen. Die einzigen Frauen, die sonst hier zu finden sind, sind die Boxenlupae, aber natürlich nur an großen Renntagen. Vic nimmt von einem Stallburschen einen blauen Helm entgegen und tritt nah an Helena heran. Ungefragt setzt er ihn ihr auf und zieht den Riemen unter ihrem Kinn fest, ohne einen Gedanken an sittliche Einwände zu verschwenden, denn in diesem Fall geht ihm ihre Sicherheit vor. Er geht einen Schritt zurück, betrachtet sie und zieht einen Mundwinkel nach oben. "Passt perfekt."


    Er nimmt einen weiteren Helm entgegen, natürlich hat Victor seinen eigenen Ventahelm, setzt ihn routiniert auf und zieht den Riemen fest. Anschließend reibt er dem Pferd, welches auf der Innenseite der Bahn laufen würde, über den Hals. Der braune Hengst ist einer von den ausgeglichensten Innenpferden der Veneta und gehört meistens zu Diokles Gespann. Mit einigen Griffen prüft Vic den Halt des Zaumzeugs und nickt zufrieden. Die Zügel liegen bereits wartend über den Rand des Wagens und es kann jederzeit losgehen. Mit einem Schritt steht er auf dem Wagen, beugt sich zu Helena hinunter und bietet ihr seine Hand an, um ihr hinauf zu helfen. "Soll ich es langsam angehen lassen, oder möchtest du einen schnellen Start wie bei einem Rennen?" Victor würde so oder so nicht so schnell starten, wie es ihm möglich wäre, doch Spielraum bleibt trotzdem.

  • Sie folgte Valerius Victor mit einem zufriedenen, leichten Schmunzeln auf den Lippen, immerhin war sie dabei, in eine Region der Arena zu gelangen, die normalen Zuschauern nicht offen stand - und sie war unglaublich neugierig darauf wie es in einer solchen Startbox wohl aussah. Sie betrachtete den deutlich dunkleren Korridor sinnierend, doch der Septemvir unterbrach ihre Gedanken mit dem Helm. Dass sie sich unvermittelt so nahe gegenüber standen, er ihr einfach den Helm aufsetzte, ohne zu fragen, ließ sie für einige Momente unsicher werden, schneller atmen - und damit auch ein vages Echo seines Geruchs einatmen, der wacker gegen die olfaktorische Hauptmelodie an Pferd und Pferdedung ankämpfte. Der Ausdruck der Augen mochte einige Momente lang flackern, während er sie betrachtete, doch fand sie schnell zu ihrem Lächeln zurück und nickte. "Etwas ungewohnt, so mit Helm ... man kommt sich vor, als würde man nur die Hälfte von dem wahrnehmen, was wirklich passiert ..." Sie klopfte sich mit den Knöcheln an das blaue Ding und zuckte vor dem dumpfen Echo, das sich innen ergab, ein wenig zurück.


    Als sie vor dem Gespann standen, begann ihr das Herz in den Hals hinauf zu schlagen, aber nicht nur mit einem berechtigten Beiklang an Furcht, immerhin war es ihre erste Streitwagenfahrt - auch vor Aufregung. "Ein normaler Rennstart denke ich," meinte sie und ergriff sanft seine Hand, um auf den Wagen zu steigen und sich dort gleich festzuhalten. "Damit die Pferde sich nicht allzu sehr wundern müssen, was meinst Du?" Auch Valerius Victor kletterte nun auf den Wagen, wärhend einige Sklaven im Inneren der Box interessiert zu ihnen herüber starrten. Frauen neben einem Gespann waren sie ja gewöhnt, aber eine Frau auf einem Gespann war etwas neues ... Hermes indes grinste ziemlich vor sich hin, während er Constantius denselben Weg zur Tribüne hinaufführte wie kurz zuvor der Septemvir die Schwester des Iuliers, nicht nur, weil er wusste, was sie ihm zugebrüllt hatte.

  • Victor greift nach den Zügeln und gibt den Stallburschen ein Zeichen, dass sie sich aus der Box trollen und den Mechanismus für das Tor fertig machen sollen. Er dreht sich leicht grinsend zu Helena um. "Ein schneller Start also, kein Problem. Halte dich gut hier an den Seiten fest, wenns dir zu schnell wird, dann gib einfach Bescheid. Und wenns zu langsam ist auch. In den Kurven lehn dich am besten immer ein bisschen zur spina hin um der Kraft entgegen zu wirken, die dich nach Außen drücken wird."


    "Wir sind soweit." hören sie von der Seite einen Sklaven rufen. Vic geht in Position, wirft nochmal einen kurzen Blick über die Schulter zu seiner Begleiterin, blickt dann angespannt nach vorne und hält die Zügel straff. "Wir auch, es kann losgehen." Bei einem normalen Rennen ist die Wartezeit in den carceres für die aurigae die erste Zerreißprobe. Sobald alle bereit sind, wird der Rennleiter davon unterrichtet. Doch bis dieser sich dann an die richtige Position bequemt, das gelbe Tuch in die Luft hält und es fallen lässt, kann unterschiedlich lange dauern. Den richtigen Moment abzupassen, wenn die Tore sich öffnen und dann im richtigen Moment die Pferde anzutreiben, dies kann bereits über eine gute Position im Rennen entscheiden. Für das heutige Rennen ist das jedoch alles unwichtig, für Vic kommt es nur darauf an, nicht seine wertvolle Fracht zu verlieren.


    Es dauert nur Sekunden, dann öffnet sich der Weg zum Circus hinaus und helles Licht flutet in die Startboxen. Victor kneift die Augen zusammen, reißt an den Zügeln und treibt die Pferde an. Ein Ruck geht durch den Wagen, als die Tiere losdonnern und das Gespann hinaus auf die Bahn ziehen. Da die Kurve noch fern ist, treibt Vic die Pferde weiter an und riskiert nur eine ganz kurzen Blick seitlich über die Schulter, bevor er wieder auf die Bahn vor sich achtet. "Alles in Ordnung?" ruft er gegen das Hufgetrappel an und hofft, dass sich Helena schon melden würde, wenn nicht.

  • Der Wagen ruckte an und mit ihm ihr Magen - es schien für einen Moment, als sei ihr Körper auf dem Gespann, aber der Magen in der Box zurückgeblieben, und so hörte man auf den ersten Metern der Strecke nur ein überraschtes, scharfes Einatmen von der Iulierin. Aber sie gewöhnte sich schnell an die Geschwindigkeit, was wohl auch daran liegen mochte, dass er nicht ganz so sehr raste wie ein Wagenlenker, der auf einen Sieg aus war - sie fühlte ihre Stola um die Beine flattern, der zum Zopf zusammengebundene Haarschopf knatterte hinter ihr im Fahrtwind und für einen Moment schien es, als würden sie gemeinsam fliegen. Sie war vollkommen damit beschäftigt, sich festzuhalten, und dass der Septemvir vor ihr stand, machte ihr das um einiges leichter, musste er mit seinem Körper doch den größeren Teil des Fahrtwindes abfangen, sie konnte sich hingegen in seinem Windschatten recht gut an die Bewegungen des Wagens anpassen.


    "Es ist alles in Ordnung!" rief sie und versuchte gegen das Dröhnen der Hufe anzukommen, die Finger fest um die Haltestange des Wagens gepresst. Dass es so herrlich sein würde, hätte sie nicht gedacht, und sie begann Gefallen am Wagenlenken zu finden - wenngleich sie nicht lenkte, sondern nur stille Nutznießerin des Lenkens war.


    Die Kurve konnte sie gerade so in der Ferne erkennen, und sie würde die erste Herausforderung sein, die sie zu meistern hatte - aber im Gegensatz zu Constantius' Fahrt gab es hier keinen Gegner, der versuchen konnte, sie abzudrängen. "Du kannst ruhig schneller fahren!" rief sie nach vorn, in der Hoffnung, Victor würde es gegen den pfeifenden Wind verstehen. Dass sie ihm so nahe sein würde, hätte sie nicht gedacht, aber sie wäre die Letzte gewesen, die sich über die Nähe eines stattlichen Manns gestemmt hätte - vor allem, wenn diese Haltung direkt hinter ihm ein wohliges Prickeln im Bauch hinterließ. "Das ist fast wie fliegen!"

  • Victor lacht laut und treibt die Pferde an. "Das kann ich nicht beurteilen, ich bin noch nie geflogen!" Ihm kommen ganz andere Assoziationen in den Sinn, vor allem, da er sich Helena hinter sich nur allzu bewusst ist. Es ist nicht das erste mal, dass er mit doppelter Besetzung fährt, doch das erste Mal, dass es eine Frau ist, die hinter ihm steht. Je mehr er darüber nachdenkt, desto mehr wird er sich darüber klar, was für eine außergewöhnliche Frau die junge Iulierin ist und wie anziehend ihr unkonventionelles Verhalten auf ihn wirkt. Er versucht die Gedanken zu verdrängen und sich auf die Bahn zu konzentrieren. Das mit Ambrosiana war eine Sache gewesen, denn sie waren sich beide über die Konsequenzen ihres Handelns bewusst gewesen und hatten sich mit dem Bewusstsein über die Zukunft, die es nicht geben würde, aufeinander eingelassen. Doch eine Witwe aus gutem Haus zu verführen, das liegt nicht nur außerhalb der Legalität, sondern auch außerhalb aller Regeln, an die Victor glaubt.


    Die herannahende Kurve macht es Vic leicht, seine Gedanken auf das Lenken der Quadriga zu konzentrieren. Er zieht die Pferde weiter in die Mitte der Bahn um die Kurve in einem größeren Radius zu nehmen und lässt die Zügel lockerer. "Achtung, Kurve!" Er wagt nicht, den Kopf allzuweit zur Seite zu drehen, um nicht den Moment zu verpassen, in dem er die Pferde zur Kurve hinziehen muss. Das Gespann donnert auf die Südkurve des Circusses zu und Vic reißt an den Zügeln, links etwas stärker, als außen. Der Wagen legt sich in die Kurve hinein und Victor lehnt sich nach Innen, in der Hoffnung, Helena würdes ihm gleich tun, und stemmt sich gegen die Fliehkraft, welche an dem Gespann zerrt. Obwohl Vic sich vorgenommen hatte, etwas langsamer als sonst zu fahren, ist das Gefährt nun doch recht schnell geworden und als sie die meta beinahe umrundet haben, peitscht er die Pferde weiter mit den Zügeln an um den Wagen durch die Geschwindigkeit schnell wieder auf die gerade Bahn zu treiben.

  • Wie lange mochte es her sein, dass sie einem Mann ausser einem Familienmitglied zu greifen nah gewesen war? Fast eine halbe Ewigkeit, und je länger sie hinter dem Septemvir stand, desto deutlicher kam ihr dies zu Bewusstsein. Nicht dass ihr Leben einsam gewesen wäre - durch ihren Bruder hatte sie stets jemanden, mit dem sie sprechen und lachen konnte, und sei es wegen der geringsten Dinge. Aber es war doch etwas anderes als morgens neben einem Mann aufzuwachen und den Körper von der verflogenen Lust der vergangenen Nacht noch schmerzen zu fühlen, den Geruch und Geschmack des anderen auf den Lippen zu haben und mit sich zu tragen. Nach dem Tod ihres Gemahls hatte dieser Wunsch nach Nähe lange Zeit geschwiegen, weil er ihr erster Mann gewesen war, und der erste, der bei ihr gelegen hatte, aber nun, da sie endlich gelernt hatte, wieder alleine zu leben, ohne an jeder Ecke seine Präsenz zu vermissen, kehrten langsam auch die alten Wünsche zurück. Ja, es war wie fliegen, die Rückkehr eines vertrauten, allzu vertrauten Gefühls mitsamt eines Wunschs, aber sie wusste genausogut, dass sie diesen Wunsch nicht würde aussprechen können, ohne ihn höchstwahrscheinlich zu verschrecken.


    Die Kurve riss sie aus den Gedanken, und bevor sie noch irgendeiner Erinnerung hätte nachhängen können, ruckte der Wagen schon in Richtung des Pfostens, die Pferde donnerten in die befohlene und gewohnte Wende, während sie sich verzweifelt bemühte, sich nach innen zu stemmen und gleichzeitig nicht den Halt zu verlieren - so klammerte sie sich mit einer Hand einfach an die innen gelegene Haltestange des Wagens und schlang den anderen Arm um die Tallie Victors - lieber sich kurz ungehörig benehmen als vom Wagen fallen! Und damit glitt der Wagen elegant und gekonnt um die Kurve, beider Gewicht gab genügend Schwung - dann war der berauschende Moment vorüber, in dem sich ihr Körper an seinen Rücken schmiegte und sie die Hand lösen musste, um sich wieder an der Stange festzuhalten. Das Gespann schoss vorwärts, eins der Pferde wieherte unternehmungslustig, und sie lachte laut und befreit auf. Befreit für einige Momente von einem düsteren, dunklen Echo, von der Erinnerung, frei von allem, was sie halten konnte, lebendiger als je zuvor - ja, wie fliegen war es, als das Gespann die Gerade entlang stob, und die beiden Menschen sich im Wagen hielten, ihren Gedanken anheim gegeben. "Dann musst Du es unbedingt einmal tun - fliegen!" rief sie Victor zu und hätte schon bei dem Gedanken, was sie darunter verstand und was er wohl denken mochte, wieder lachen können.

  • Für einen Moment glaubt Victor zu verstehen was sie meint, genau dann, als er plötzlich ihren Arm um seinen Körper spürt. Seine Gedanken setzen aus und Verlangen spült durch jede Ader seines Körpers. Würden die Pferde ihn nicht aus diesem Gefühl herausreißen, Vic würde seiner Lust nachgeben, sich zu ihr umdrehen und ihren Körper an den seinen drücken. Wie lange war es her, dass er eine Frau auf diese Art und Weise begehrt hatte? Nicht einfach nur sein Verlangen an ihr stillen wollte, nicht nur seinen Trieben nachgeben, um sie dann nie wieder zu sehen, nicht nur ihren Körper begehrte? Sein halbes Leben war es her und jene Frau am anderen Ende der Welt.


    Das Donnern der Hufe auf der Bahn, der aufwirbelnde Staub und das Wiehern eines Pferdes bringen Vic zurück in die Gegenwart und zur Vernunft. 'Ououou, Vic, reiß dich zusammen! Da oben steht ihr Bruder und schaut zu!' schießt es ihm durch den Sinn und er treibt die Pferde weiter an. Je schneller die Pferde sind, desto schneller wäre die Fahrt um, und Victor aus dieser brenzligen Situation entlassen. "Ich werd mich bemühen, aber möglichst nich vom Wagen!" ruft er nach hinten zurück, auch wenn er sich nicht sicher ist, wie sie das meint. Sie preschen die Gerade entlang und nähern sich bereits wieder der konkaven Kurve. "Gleiches Spiel nochmal!" Noch als er den Satz ausspricht, verflucht sich Vic dafür und hofft, dass sich Helena in dieser Kurve, die sie direkt unter den Augen ihres Bruders fahren würden, am Wagen festhält.

  • Die Iulier waren vielleicht ein ausgesprochen wagemutiges Geschlecht, aber sie hatten, wenn es drauf ankam, meist eine recht gute Sicht auf die herrschenden Verhältnisse gehabt (den kleinen Fehler des Caius Iulius Caesar, der schließlich zu seiner Ermordung führte, einmal unter die Kline gekehrt) - und so wusste Iulia Helena eine Sache sehr genau: Bei dieser Kurve, bei der ihr Bruder zusehen würde, stand ein Arm-um-Victor-Legen schlichtweg nicht zur Debatte. Nicht nur, weil sie genau wusste, dass er das missbilligt hätte, sondern auch, weil der Semptemvir genau wie sie einen gewissen Ruf zu verlieren hatten - und sie wollte nicht, dass Constantius schlecht von ihm denken würde. Nicht zuletzt war ihre Lust auf ein Bruder-Schwester-Gespräch zum Thema 'Witwen und körperliche Begierden' nicht gerade groß - vor allem, weil sie noch immer nicht wusste, wie weit die Erfahrungen ihres Bruders in diese Richtung gediehen waren. "Ich falle schon nicht herunter!" brüllte sie gegen den Wind zurück und umfasste die Haltestangen an der Seite fester, während die Kurve näher raste. Der Wagen war bedeutend schneller geworden und nun fühlte auch sie die Härte des entgegenklatschenden Windes, während sich das Gespann zur Seite neigte und begann, sich in die Kurve zu begeben.


    Diesmal hatte sie mit der Fliehkraft der Kurve gerechnet und stemmte sich wie es auch ihr Lenker tat, in die innere Richtung - sie war zwar deutlich leichter als ihr trainierter Bruder, aber zwei Körper waren immernoch mehr Gewicht als einer. Ihre Arme spannten sich, als sie etwas in die Hocke ging, um dem Wind nicht mehr so sehr ausgesetzt zu sein, dann ebbte der Zug auf ihren Muskeln deutlich ab, der Wagen krachte zurück auf den Boden und sie liefen die Gerade entlang - überstanden, und das zwar bei weitem nicht so elegant wie bei einem professionellen auriga, aber immerhin. Wenn er vier Runden lief, dann kamen noch drei Kurven in und drei Kurven ausser Sichtweite, überlegte sie. Drei Kurven, in denen sie ihren Arm um seine Tallie legen würde, und drei, in denen sie das nicht tun konnte. Drei Kurven, in denen sie träumen durfte, ohne sich schämen zu müssen, drei Kurven mit einer unschicklichen, aber so brennend prickelnden Nähe - hätte man ihr ins Gesicht blicken können, so wäre ihr allzu breites Lächeln höchst verräterisch gewesen.

  • Der Ausblick, den der junge Constantius von seiner Position in den Ehrenlogen hatte, erfüllte ihn nicht annährend so mit Glück und einem Gefühl der Freiheit, wie es die Fahrt in dem Streitwagen noch getan hatte.
    Dies war auch gerade der fatale Grund, warum das Meer aus euphorischen Gefühlen auszutrocknen begann und stattdessen durch ein kleines aber beständiges Rinnsal aus Zweifeln und Bedenken aufgefüllt wurde.


    Er hatte das Leuchten in den Augen Helenas gesehen als sie Victor betrachtete. Er hatte den hauchzarten Unterton in ihrer Stimme gespürt, als sie mit ihm sprach. Er ahnte, ja bildete sich ein zu wissen, dass sie ihrem Gastgeber und jetzigen Fahrer nicht abgeneigt war.
    Constantius hatte in den Jahren seiner Existenz noch nicht viel über das Konzept der Liebe erfahren. Jedenfalls nicht die Liebe, die sich so grundlegend von der Liebe zu seiner Familie unterscheiden sollte. Er war nie einsam gewesen in Hispania, wenn man die Zahl der Menschen zählte, mit denen er Kontakt hatte. Auch hatte so manches Lächeln, das ein bestimmtes Mädchen ihm zuwarf, ein beschwingtes Gefühl in ihm ausgelöst. Doch war es Liebe gewesen? Im Grunde war es müßig darüber nachzudenken, denn sie wurde verheiratet und ihm genau so entrissen wie Helena einst. Mit dem Unterschied, dass er jene Unbekannte nie angesprochen hatte. Somit beruhte sein gesamtes Wissen auf den Erzählungen von heranwachsenden jungen Männern. Eine Basis, die nicht wirklich ein Fundament für stichhaltige Spekulationen bilden konnte. – Jedenfalls hätte ein erfahrener Mann ihm davon abgeraten. Doch was macht ein Mann der nicht weiß, dass sein Fundament nicht tragfähig ist? Er baut weiter –


    Constantius verschränkte die Arme vor der Brust und spähte in den Circus Maximus. Das euphorische Lächeln entwickelte sich zurück zu einem sachten, nachdenklichen Heben seiner Mundwinkel. Auch die ausführlichen Erzählungen des jungen Hermes und scherzhaften Bemerkungen führten nicht immer dazu, dass er unbefangen lachen oder lächeln musste.


    In diesem Moment schlugen zwei Herzen in der Brust des jungen Mannes. Das eine hätte nicht betrübter sein können, wenn der Streitwagen in die untergehende Sonne gefahren wäre, um ein glückliches Paar von ihm fort zu bringen. Ein Herz, dass sich nichts anderes wünschte, als das sie ihn nicht der Einsamkeit überlassen würde


    Das andere Herz hüpfte vor Freude bei dem Gedanken an seine glückliche Schwester. Die nach Jahren der Trauer, die er ihr hatte nicht ansatzweise nehmen können, wieder Glück in ihrem Leben empfand. Ein Herz, das bereit war seine Existenz für sie aufzugeben.


    Was immer nun geschehen mochte. Er hatte darum gebeten, dass die beiden nun zusammen in einem Streitwagen ihre Runden drehten. Das Schicksal würde zeigen müssen, was er an diesem Tag ins Rollen gebracht hatte. Das Schicksal würde urteilen müssen, zu was er an diesem Tag geworden war.

  • Nachdem er die Besorgungen für seinen Sonderauftrag heute abgeschlossen hat, macht Sev noch einen kleinen Abstecher zu seiner Factio. Seine Equites und den Speculator hat er bereits mit den gesammelten Informationen wieder in die Castra Praetoria zurückgeschickt. Die Rüstung hat er zwar noch an, doch mittlerweile ist der Prätorianer das so gewohnt, dass es ihm garnichts mehr ausmacht. In den Ställen der Veneta herrscht gähnende Leere und der Stallbursche berichtet dem Decurio, dass gerade ein paar Trainingsrunden laufen. 'Umso besser...' denkt sich Sev und geht direkt zum Circus Maximus. Die Aufgänge zu den Tribünen ignoriert er wie immer und läuft durch die dunklen Gänge zu den Startboxen. Auf halbem Weg kommt ihm schon ein Stallbursche entgegen, der ein erschöpftes Pferd hinter sich her zieht und vor dem Prätorianer zum Stehen kommt. Sev klopft dem Tier kurz auf den Hals und lässt seinen fachmännischen Blick die seitliche, schweißbedeckte Flanke hinabgleiten.


    "Ououou... War dat wieder der Hermes? Der Junge lernt es aber auch nie. Dem werd ich was erzählen. Jo, sieh zu, dass de das Tier gut versorgst. Er hat es sich verdient."


    Der Stallbursche macht ein etwas beleidigtes Gesicht. Er ist schon lange in seinem Gewerbe und kennt sich entsprechend gut aus. Das großspurige Gerede von Sev und Vic ist er mittlerweile allerdings gewohnt und lässt es über sich ergehen. Er nickt mit dem Kopf und setzt seinen Weg in Richtung der Stallungen fort.


    Auch Sev geht weiter und kommt schließlich bei einer kleinen Gruppe heftig diskutierender Männer an. Er grinst breit, tritt lautlos näher und legt urplötzlich Dareios und Rothar jeweils eine Hand schwer auf die Schulter. Die beiden und der Trainer Campus Calidus drehen sich überrascht zu ihm um.


    "Hoi! Na, Jungs? Wie siehts aus? Wat steht ihr hier alle so faul rum? Dreht Diokles grad ne Ehrenrunde? Hrhr."
    "Hallo, Sev! Nein. Diokles macht heute blau. Der muss sich erst noch wieder von Germanien erholen."
    "Hrhr. Wird er nu doch langsam alt? Sonst gibt er's doch nie zu. Wat soll's... Wie läuft das Training? Alles in Ordnung, oder gibt's Probleme?"
    "Es hält sich in Grenzen. Heute wird wohl nicht mehr viel dabei herumkommen. Vic blockiert die Bahn mit seiner neuen Freundin."
    grinst Rothar.
    "Wat? Neue Freundin?" fällt Sev erstmal die Kinnlade runter.
    "Sieht ganz so aus, Sev. Er dreht gerade ein paar Runden mit ihr."
    "Wat??? Ein Weib auf der Rennbahn? Ja, dreht der Junge jetzt komplett durch? Das geht doch niemals gut! Mann, Mann, Mann, Mann... Dem werd ich wat erzählen! Wir sind hier doch nich aufm Volksfest..."


    Die anderen drei zucken nur mit den Schultern und grinsen einander an. Sie sehen die Sache offenbar weitaus lockerer als der Decurio. Der zu erwartenden Szene zwischen den beiden Brüdern sehen sie allerdings mit einiger Neugierde entgegen. Sev bleibt vorerst nichts anderes übrig, als hier mit den anderen zu warten, bis das Gespann seine Trainingsrunden beendet hat.

  • Die Kurve war überstanden und Vics Befürchtungen hatten sich nicht bewahrheitet. Natürlich nicht. Helena weiß sicher ebensogut wie er, wo ihr Bruder steht und dass eine Frau auf einer Quadriga schon genug des Guten ist. Trotzdem kommt ihm die Bahn viel länger vor als sonst, wenn er versucht, seinen Bruder von der Bahn abzudrängen. Der Staub wirbelt um die Pferde herum auf, der Wagen schiebt sich vorwärts und die Kurve kommt unaufhaltsam näher und in jeder Sekunde denkt Vic nur daran, was Helena tun würde. Vielleicht war die erste Kurve für sie nur überraschend gekommen und sie hatte den Halt verloren. Das ist sogar wahrscheinlich, immerhin war es ihre erste Kurve bei ihrer ersten Wagenfahrt gewesen.


    Also lässt Vic die Kurve doch wieder etwas lockerer auf sich zukommen. Er geht etwas in die Knie und stemmt die Beine gegen den Boden. Diesmal kündigt der die Umrundung nur mit dem Wort "Kurve!" an, dann zieht die Quadriga auch schon um eben jene. Fast vergisst Victor sich zur Seite zu lehnen, doch bevor die Fliehkraft ihm merklich zu schaffen macht, lehnt er sich zur Innenbahn hin.

  • Die nächste Kurve näherte sich und mit ihr auch der Zwiespalt der Ungewissheit. Entweder sie würde sich brav an den Haltestangen des Gespanns festhalten und die ehrbare Römerin bleiben, die sie sich stets zu sein bemühte, wenn sie sich in der Öffentlichkeit bewegte. Oder aber sie würde die Gelegenheit nutzen und riskieren, dass sie in seinen Augen nichts weiter sein würde als eine Frau, die sich bei der ersten sich bietenden Gelegenheit an ihn heranzumachen versuchte. Und gleichzeitig wusste sie nicht, ob sie ihm jemals wieder so nahe kommen würde wie in diesem Moment, denn mit ziemlicher Sicherheit war er nicht nur vergeben, sondern auch auf seinen Ruf bedacht. Ein Septemvir musste das sein - was, wenn er nicht in einer ähnlichen Weise empfand wie sie? War er vorhin aus Überraschung zusammengezuckt oder weil sie ihn auf für ihn angenehme Weise berührt hatte? Die Kurve rückt erbarmungslos schnell näher, und am liebsten hätte sie ihm zugerufen, langsamer zu fahren, damit sie mehr Zeit zu Überlegen gehabt hätte. Aber auch das kam nicht in Frage, der Wagen ruckte schon zur Seite, sie sah das Innenpferd in die befohlene Richtung schwenken, die anderen folgten dem Zug und der Leitung, dann handelte sie einfach.


    Wieder lagte sich ihr Arm um seine Tallie, diesmal etwas fester, wenngleich nicht fest genug, um sich an ihn zu klammern - mit viel Phantasie hätte man vermuten können, sie traue der Kurve nicht ganz, um die sie nun gerast waren, aber das naheliegendere war, dass sie den Moment nicht verschenken wollte. Wer wusste schon, ob es einen anderen geben würde ... aneinander geschmiegt und auf die Seite geneigt, sich gegen den Zug der Bewegung stemmend gingen sie um die Kurve, und sie roch inmitten des Staubs, der ihr entgegen peitschte, den ganz persönlichen Geruch des Septemvir, fühlte seine sehnige, kräftige Gestalt an der ihren, die Augen für einen Moment schließend, als versuche sie sich diesem Traum hinzugeben - dann ruckte der Wagen wieder, sie hatten die Gerade erreicht, der Rausch war vorüber - und sie umklammerte eilig wieder mit der gelösten Hand die Haltestange, um den Zuschauern nicht ein noch interessanteres Bild zu geben als ohnehin schon ... das Herz wild klopfend, denn sie hätte in diesem Moment einiges darum gegeben, zu wissen, was ihr auriga dachte ...

  • Die Kurve bringt die Gewissheit. Es war keine Ausnahme und kein Versehen gewesen, so, wie sich die Iulierin auch nun an seinen Körper presst, liegt mehr dahinter, als die Angst, vom Wagen zu fallen. Viel mehr. Noch während der Wagen die Kurve nimmt, sinkt Vic immer tiefer in einen Zwiespalt hinein. Er ist ein verheirateter Mann, und auch, wenn seine Frau weit weg ist und er sie seit Jahren nicht mehr gesehen hat, ein Verhältnis mit einer ehrbaren römischen Frau ist und bleibt ein Verbrechen, egal, ob sie es ebenfalls will oder nicht. Schon bei Ambrosiana hat er sich geschworen, dass es eine einmalige Sache sein würde. Aber was nützen all diese Überlegungen, wenn sich eine Frau an seinen Körper presst, wenn das Fleisch willig und der Wille schwach ist? Nichts. Vics Atem geht schneller, der Körper reagiert, die Konzentration sinkt herab. Gerade im richtigen Moment löst sich Helena und der Wagen geht zurück in die Gerade. Der magische Augenblick ist vorbei, und Victor steht im selben Dilemma wie zuvor. Es dauert noch ein paar Sekunden, bis er wieder ganz im Hier und Jetzt ist. Die Zielgerade rückt verlockend näher und er spielt mit dem Gedanken, mit der Runde die ganze Fahrt zu beenden. Es war von Anfang an verkehrt gewesen, eine Frau mit auf die Bahn zu nehmen, so etwas kann nur Unglück bringen.


    Doch die Quadriga rast über das Ziel und verlangsamt nur unmerklich vor der konkaven Kurve. Für einen Augenblick hält Vic die Luft an, doch die Kurve geht vorüber, wie zuvor schon. Die Pferde schnauben und ziehen nach links, der Wagen neigt sich zur Seite, und die beiden Fahrer lehnen sich in die Kurve, ohne, dass sich ihre Körper nahe kommen. Die folgende Gerade erscheint Victor so uninteressant, wie noch nie, die Pferde rasen fast ohne sein Zutun dahin, der Rausch der Geschwindigkeit wird bedeutungslos in Erwartung des Rauschs der in der Kurve folgen würde.

  • Die 'harmlose' Kurve streifte wie eine dünn gewordene Erinnerung an ihr vorbei, und inzwischen hatte sie eine gewisse Übung darin, sich gegen die Fliehkraft zu stemmen, ohne das Gefühl zu bekommen, der Wagen müsse nach innen kippen, wenn sie sich noch weiter hinüberbeugen würde. Aus tiefstem Herzen kann sie die aurigae nun endlich verstehen, die diesen Rausch der Geschwindigkeit immer und immer wieder erleben wollten - sie hätte sofort einen ähnlichen Weg angetreten, wäre nicht ihr Leben gewesen, ihre Familie, ihre Herkunft - und die Tatsache, dass sie eine Frau war und solcherlei für Frauen nicht in Frage kam. Die Gerade lässt ihr kaum Zeit zum Atmen, denn die nächste Kurve kommt und mit ihr unweigerlich die alte Frage, ob sie es nochmal wagen sollte - er hatte diesmal nicht gezuckt, nicht einmal reagiert, nichts gesagt, kein einziges Wort, und letztendlich konnte das nur eines bedeuten ... dass sie es falsch gemacht hatte, sich zu weit vorgewagt, zu viel riskiert. Der Wind fühlte sich trotz des heissen Tages kalt an, riss an ihren Haaren und versuchte, sich unter das ihren Harschopf haltende Lederband zu schleichen wie ein Dieb, aber der Knoten hielt gut genug und würde hoffentlich auch weiterhin halten.


    Sollte sie es noch einmal wagen? Oder ... Iulia Helena presste die Lippen aufeinander und kniff die Augen zusammen, um dem harschen Wind zu entkommen, der ihr die Tränen in die Augen trieb, weil sie zu lange hinein geblickt hatte, als könnte ihr der Wind die Antwort geben, die sie wollte, eine Antwort, von der sie nicht einmal selbst wusste, ob sie sie hören wollte. Die Kurve kam, sie sah den Arm Victors nach hinten gehen, als er die Zügel des Gespanns anzog, das innere Pferd in die Kurve lenkte, und das schon vertraute Rucken des Wagens setzte ein, ließ sie die Kraft des Zugs spüren - innerlich aufschreiend klammerte sie sich mit den Händen eisern an die Haltestange, und diesmal blieb ihr Körper dem seinen fern, sie stemmte sich in die Kurve, als könnte halb Rom ihnen dabei zusehen und würde nichts Anstößiges dabei finden wollen - nur die Haare knatterten im Fahrtwind, und als das Gespann um die Kurve war und auf die sichtbare Gerade bog, war die Chance auf einen magischen Moment vorüber ...

  • Die Pferde ziehen die Quadriga aus der Kurve hinaus auf die Gerade und nichts ist geschehen. Bedauern oder Erleichterung durchströmt Vic, vielleicht auch beides. Am Ende ist doch alles nur Zufall gewesen, nicht Berechnung, und jede Absicht, die er Helena nur zu gerne unterstellt hätte, grenzt an eine Beleidigung ihrer Unschuld. Er treibt die Pferde noch einmal über die Gerade und dreht seinen Kopf für einen Augenblick zur Seite. "Ich lass sie auslaufen!" Das Ziel kommt näher und noch bevor sie in die konkave Kurve einfahren, bremst Vic das Gespann langsam ab. Natürlich hat die Quadriga noch immer genug Geschwindigkeit um sich in die Seite zu legen, doch die Fliehkraft wirkt schon weniger auf die Fahrer ein.


    Auf der Geraden zieht Victor die Zügel an und treibt die Pferde abwechselnd nach rechts und links und bringt so den Wagen zum Schlingern. Bis zur Kurve sind die Tiere bereits in einen leichten Trab gefallen. Vic lässt die Zügel los und dreht sich zu Helena um. Auf seinem Gesicht liegt ein breites Grinsen und nichts an seiner nun wieder ganz lässigen Haltung lässt auf die Gedanken der zurückliegenden Fahrt und den Zwiespalt in Victor schließen. "Veneta Victrix! Die Siegerin des Rennens heißt Iulia Helena!" Nur der Blick seiner Augen, die suchend die Augen seines Gegenübers sondieren, mag darauf schließen lassen, dass mehr in ihm vorgeht, als er zugeben würde. "Ein prickelndes Gefühl, nicht wahr?" Die Pferde traben auch ohne Führung in die Kurve hinein, viel Auswahlmöglichkeiten bieten sich ihnen nicht.

  • Als die Pferde langsamer wurden und der Wagen nach der einfach genommenen (sichtbaren) Kurve zu schlingern begann, wusste sie, dass es vorüber war, und etwas goldglänzendes unmittelbar vor seinem Abschluss stand. Seine Worte klangen so endgültig, aber irgendwie konnte sie es auch verstehen - es war ein wunderbarer Rausch gewesen, und sie hatte die Fahrt genossen, aber dass es für ihn wahrscheinlich nicht dasselbe gewesen war, damit musste sie nun leben. Ob des langsamen Tempos hob sie nun auch eine Hand und winkte ihrem Bruder auf den Rängen zu - er sollte sehen, dass es ihr Spaß machte und auch wissen, dass sie trotz allem noch daran dachte, dass er dort oben stand. Dass ihr seine Position deutlicher bewusst gewesen war, als er es sich vielleicht hatte vorstellen können, lag auf einer ganz anderen Hand. Nun war die Hitze der Sonne auch wieder besser zu fühlen, da sie nicht mehr durch den Fahrtwind abgemildert wurde, und sie wusste, sie hätte in diesem Tempo wahrscheinlich Stunden auf dem Wagen verbringen können, die Gedanken weit fort, dem Wind und dem Schnauben der Pferde lauschend ... aber wie es mit allen Träumen war, irgendwann endeten sie. So auch dieser von einem Moment der brennenden Nähe.


    "Du irrst Dich!" erwiederte sie mit einem Lachen, als er sie zur Siegerin erhob. "Es ist doch immer der auriga, der gewinnt, ich hatte nur das große Vergnügen, zufällig für ein paar Geraden und einige Kurven hinter dir zu stehen ... es muss also heissen 'Vibius Valerius Victor ist der Sieger'!" Und nochmals ruckt das Gespann an, die Pferde biegen schon fast automatisch und deutlich langsamer ab, sodass sie diesmal nicht einmal Mühe hat sich festzuhalten und jeder Gedanke an einen vorgespielten Sturz in seine Arme nach einem ihre Kräfte übersteigenden Abbiegen lächerlich wird. Wie gern hätte sie jetzt doch die schwache Frau gespielt, aber es kam einfach nicht in Frage, immerhin hatte sie das deutlich schnellere Tempo von vorhin gemeistert. Dennoch ließ sein Blick sie inne halten, und für einige Momente lang verblasste die Rennbahn um sie herum, versank vollkommen vor dem vagen Brodeln in seinen Augen, einem Funkeln, das sich in den ihren nicht minder deutlich spiegelte. Es brauchte eigentlich keine Worte, um eine stumme Frage zu beantworten - zu schwach, sich am Wagen festzuhalten, war sie beileibe nicht, es hatte in den anderen Kurven auch geklappt ... "Ein sehr prickelndes Gefühl. Ich kann jeden Mann verstehen, der auriga wird, um das jeden Tag zu erleben .." sagte sie, nun etwas leiser werdend, bevor sie den Blick abwandte und leise einatmete. "Ich danke Dir sehr für dieses Geschenk." Und nun zeigte ihr Gesicht wieder das fast harmlose, freundliche Lächeln von zuvor, als sie ihre Gedanken und Empfindungen in sich verschloss, das Echo des Nachmittags endgültig in eine Welt verschiebend, zu der niemand ausser ihr und ihm Zutritt haben konnte, denn nun kamen die Boxen langsam in Sicht und dort warteten schon einige Männer auf das Gespann, die sicherlich mit einem recht feisten Grinsen auf einen bestimmten Ausdruck reagieren würden ..

  • Vom Namen her ist Victor immer der Sieger. Um die Geburt seines Vaters herum hatte das Imperium einen Sieg errungen und die Kunde davon erreichte Malaca genau am neunten Tag danach. Vics Oppa Saccus hatte es gefallen, seinen Sohn zu Ehren dieses Ereignisses Victor zu nennen, denn es war bereits der achte Sohn gewesen, und Saccus war bis zum Tag der Namensgebung noch kein Name eingefallen, der ihm recht gewesen wäre. Vics Eltern dann hatte es gefallen, den Namen direkt an ihren ersten Sohn weiter zu geben und so steht Vic nun sein Leben lang als victor da, obs passt oder nicht. "Der auriga gewinnt niemals für sich allein. Er erringt den Sieg für seine Factio, für sein Land, für seine Fans oder..." ... für die Gunst einer schönen Frau... "...oder für seinen Mitfahrer."


    Dass sie ihren Blick nicht abwendet, dass sie die nicht ausgesprochene Frage mit dem Glühen in ihren Augen beantwortet, bringt letztendlich doch die Gewissheit, dass nichts, was geschehen ist, dem Zufall überlassen war. Victor drängt es, noch etwas zu sagen, doch die Stimmen der Stallburschen sind schon zu hören, so wendet er sich nur zu den Pferden um, ergreift die Zügel und bringt die Tiere quer vor den carceres zum stehen. Anschließend dreht er sich wieder zu Helena. "Und so hört es auf, ganz unspektakulär." Mit einem Schritt ist er an ihr vorbei und springt vom Wagen hinunter, um ihr unten dann die Hand zu reichen und vom Wagen zu helfen.

  • Die Fahrt schien Helena gefallen zu haben, jedenfalls winkte sie freudig in seine Richtung. Eigentlich hatte er auch nichts anderes erwartet. War sie doch vielleicht noch wagemutiger als er selbst. Es hätte ihn selbst nicht überrascht, wenn er ihre Jubelrufe vernommen hätte, hätte sich der Streitwagen in der Kurve auf nur einem Rad durch selbige bewegt.


    Das Lächeln, dass er Helena in diesem Moment schenkte, verkündete nicht zu leise den Stolz und die Bewunderung, die er stets für sie empfand. Zu seinem Glück war die Entfernung zu dem Gespann, das seine letzten Meter zurücklegte, zu groß, um auch nur einen Hauch der Ahnung davon zu erhaschen. So war es nur sein Winken, dass den beiden Fahrern im Streitwagen auffallen mochte, dass allerdings auch nicht zu lange andauern sollte,


    Hätte Hermes dem jungen Iulier nicht freundschaftlich auf die Schulter geklopft, so wäre Constantius vielleicht noch eine Weile, einer versteinerten Statue gleich, in der Ehrenloge gestanden. Doch so erreichten Hermes’ Worte doch ihren Bestimmungsort und gingen nicht in dem Meer aus Gedanken unten.


    „Sie fahren ein. Wir sollten hinab gehen“, rief Hermes Constantius zu und lief bereits los.


    Im Laufschritt folgte Constantius seinem Führer hinab zu den Stallungen. Ausgelassen liefen sie die Strecke um rechtzeitig zugegen sein zu können, wenn das „Paar“ den Wagen verließ. Einen Moment, den Constantius nicht verpassen wollte. Zum einen wäre es mehr als unhöflich und vielleicht gefährlich gewesen, seine Schwester inmitten der vielen Männer alleine zu lassen. Zum anderen, wollte ein kleiner Teil, der sich tief in seinem Inneren in einer dunklen Nische versteckt hielt, diesen Moment ausgiebig beobachten und auf einer vorbereiteten imaginären Wachstafel festhalten.
    Doch das was sein Herz mit jedem Schritt kräftiger schlagen ließ, war schlichtweg die Freude und die Erleichterung, dass sie unbeschadet und glücklich ihre Fahrt beendet hatte. Auf ihre Geschichten, auf ihre Erzählungen war er nun mehr als gespannt.

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