[Schiff] Stern von Heraklion

  • Sie war tot, verstorben, nicht mehr da. Der wohl einzige Mensch der divitischen Verwandtschaft, der dem Iulier wenigstens ansatzweise hätte die eine oder andere Anekdote über seinen Vater erzählen können, lebte nicht mehr. Unwiederruflich hatte Pluto sie zu sich geholt, Dives doch vergleichsweise noch so junge Tante Livilla.


    Der Quaestor war in der Folge in ein tiefes schwarzes Loch gefallen: Erst hatte er in seinen frühesten Tagen seinen Vater an die Stadtkohorten verloren, später dann hatte das Mare Nostrum seine Mutter verschlungen, anschließend musste der Iulier vom Ableben auch seines ihm kaum bekannten Vaters erfahren. Es folgte seine Zeit in Ostia, wo er neuen Mut und neue Kraft schöpfte aus mehreren innig geglaubten Freundschaften. Doch auch Helvetius Ocella war irgendwann einfach gestorben und hatte den Iulier folglich allein gelassen - just als jener infolge seiner fatalen ersten Begegnung mit einer gewissen Sergierin gerade dessen Unterstützung wohl am dringlichsten benötigt hätte. Und auch Germanicus Aculeo, eine der wenigen Personen, denen sich Dives seine sexuellen Neigungen betreffend dereinst anvertraut hatte, war irgendwann einfach verschwunden und hatte den Iulier allein zurückgelassen. Keinen Abschiedbrief hatte es gegeben. Stattdessen waren sie sich zuletzt auf der iulisch-sergischen Hochzeit begegnet - jener Eheschließung, zu deren Folgen eine Klage Faustas gegen Sedulus genauso gehörte wie die offenkundige Feindschaft Faustas mit der ehemaligen Verlobten Aculeos, Quintilia Valentina.
    Und aller guten wie schlechten Dinge waren bekanntlich drei: So hatte denn folglich auch Decimus Serapio dem Iulier letztlich den Rücken zugekehrt, hatte beinahe für einen handfesten Skandal um die divitische Person gesorgt, hatte niederschlagende Briefe an den Iulier verfasst, hatte ihn verletzt mit seinen Taten, indem er einen nichts ahnenden Dives zu einer Theatervorstellung einlud, wo der sodann unvorbereitet mit diesem Borkan konfrontiert worden war - und wo nicht zu vergessen er keine Gelegenheit ausließ, die Tochter des Iuliers in ein schlechtes Licht zu stellen sowie die divitische Ehefrau eines Auftragsmordes zu bezichtigen. (Dass er dabei unterstützt wurde sowohl von seinem 'tollen' Borkan als auch von der erwähntermaßen alles andere als gut auf Fausta zu sprechenden Quintilia, machte die Sache kaum besser.)


    Wer also war dem Iulier damit überhaupt noch geblieben? Sein Cousin Centho, der sich so sehr in seine Augurentätigkeit und die Erziehung seiner drei Kinder vertiefte, dass er kaum überhaupt noch für Dives zu sprechen war? Sein Großonkel Licinus, der im fernen Mantua als Praefectus Castrorum der Legio Prima diente? Seine Ehefrau von der er erpresst wurde? Wohl kaum. Ein eher steifer und konservativ traditionalistischer Tiberier, gegenüber dem sich Dives sicherlich niemals ganz würde öffnen können? Ein vinicischer Patron, mit dem der amtierende Quaestor wohl ebenfalls nie allzu vertraulich würde reden können, wollte er auch morgen noch dessen Klient sein? Oder aber eine reisefreudige Tante, die den divitischen Vater persönlich kannte und jetzt gestorben war?
    Es sah betrüblich schlecht aus. Denn niemand war da. Niemand war einfach nur da, lieh dem Iulier ein verschwiegenes Ohr und hörte ihm einfach nur zu. - Für etwaige Sorgen um seine Karriere konnte er sich zweifelsohne an seinen Patron Vinicius oder seinen Verbündeten Lepidus wenden, dazu an seinen Cousin Lucius Centho und mit gewissen Abstrichen und unter Vorbehalt sogar an seine Frau Fausta. Hatte er einen finanziellen Engpass, so hatte sich sein Großonkel Licinus bereits mehrfach zu helfen bereiterklärt - und nicht zuletzt durch Taten auch mehr als nur einmal schon unter Beweis gestellt, dass es ihm ernst damit war. Doch wohin sollte er gehen und an wen sollte er sich wenden, wenn sein Herz ihm schmerzte und er einfach nur einen vertraulichen Zuhörer brauchte? Sollte er sich an seinen caelischne Freund Caldus wenden und Gefahr laufen, dass der das so erlangte Wissen zu seinen Gunsten ausnutzte? Sollte er sich an jemand anderen wenden, der ihm später mit derartig vertraulichem Wissen nur selbst noch Schaden zuzufügen versuchen würde? Oder sollte er sein Leid einmal mehr nur einem stummen, kalten Grabstein klagen, wie er es einst am Grabe Ocellas getan hatte? Er wusste es nicht.


    Letztlich jedoch war es der Gedanke an einen attraktiven Callistus, der seinem Namen in der Tat doch mehr als gerecht wurde, mit dem sich Dives nach mehreren schwermütigen Tagen aus seiner eigenen Tristesse zog: So wickelte er dann alle seine Tante Livilla betreffenden Erbschaftsangelegenheiten ab - wobei die Aufteilung ihres Vermögens unter seinem Großonkel Licinus, seinem Cousin Iulius Pacuvius und ihm selbst in der Tat keine ganz einfache Angelegenheit war - und nahm sich hernach einen Nachmittag Zeit für einen kurzen Ausflug nach Ostia. Dort hatte er in Absprache mit seinen beiden Miterben alleinig das Eigentum über die iulische Corbita, die einst von Iulius Numerianuns erworben und an dessen Tochter Livilla vererbt worden war, angetreten.
    "Ohje.", lautete die in der Tat schon geschmeichelte erste Reaktion auf den Anblick des sichtlich in die Jahre gekommenen Seegefährts. Für einen kurzen Moment kam ihm sodann sein Verwandter Iulius Sabinus in den Sinn, der nicht nur als Künstler einst (überaus schmeichelhaft) einen divitischen Apoll in Marmor schlagen wollte, sondern der überdies auch an der Seefahrerei und den Schiffen stets Gefallen gefunden hatte. Doch auch er war lange verschollen und letztlich für tot erklärt worden. "So soll es dann nach Misenum überführt und dort wieder auf Vordermann gebracht werden.", entschied der Iulier nach einem längeren Gespräch mit dem Kapitän dieser Corbita. "Ich verlasse mich auf dich, Kratinos." Der auf Kreta geborene noch eher junge Kratinos, der nach dem Tod des Schiffsjungen Koron einstmals dessen Platz an Bord eingenommen hatte und später dann dem betagten Kapitän als Schiffsführer nachgefolgt war, nickte. Und während sich Dives hernach wieder auf den Rückweg in die ewige Stadt begab, lief noch am Folgetag die Corbita "Stern von Heraklion" aus dem Hafen von Portus aus in Richtung einer misenensischen Schiffswerft, in welcher ein Bekannter des Kratinos hoffentlich für die diversen nötigen Reparaturen am Schiff würde sorgen können, um das Gefährt auch für längere Fahrten wieder seetauglich zu machen.

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    CIVIS
    DECURIO - OSTIA
    INSTITOR - MARCUS IULIUS LICINUS
    IUS LIBERORUM
    VICARIUS DOMINI FACTIONIS - FACTIO VENETA

    Klient - Marcus Vinicius Hungaricus

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