Bibliotheca

  • 'Am Besten keines von beidem' schoss es ihr durch den Kopf und auch in ihren Augen war dieser Unwille für den Bruchteil vo Sekunden zu erkennen. Sie hatte nie lernen müssen ihre Ungeduld zu zügeln und tat dies nur deshalb so gut sie es konnte, da sie einem älteren Manne gegenüber saß, der zudem Senator war.
    >Latein.< erwiderte sie knapp und etwas durch sein Grinsen verunsichert. War die Frage rhetorischer Natur? Musste man griechisch gar nicht unbedingt beherrschen und er hatte ohnehin nur Latein für sie vorgesehen? Oder erkannte er ihre Hilflosigkeit und spöttelte darüber? Als er ihr die Schriftrolle reichte rollte sie diese vollständig auf und ließ ein resigniertes Seufzen erkennen. Sie hatte ihr Leben lang vielleicht drei verschiedene Schriften lesen müssen und dieser Autor hatte wieder einen völlig anderen Scjreibstil. Die Schrift war stark kursiv und ließ hin und wieder wichtige Satzzeichen aus. Und doch machte sie sich ans 'Übersetzen', während sie leise vor sich hinmurmelt.
    >Ich haben... habe... Leben beginnt...< Verwirrt runzelte sie die Stirn, ehe sie die Worte endlich in einen sinnvollen Kontext bringen kann.
    >Mein Leben hat begonnen im Jahre...< und derlei häufig berichtigte sie sich. Auch in dieser Schrift war wieder von einem Bruder die Rede, der Solinus hieß. Er ehelichte recht früh seine 'wunderschöne Frau Urbica mit den mandelförmigen, braunen Augen' die Aquilia auch an sich wiederfinden konnte.

  • Commodus hatte ihr die Schriftrolle gereicht und beobachtete sie einen Moment lang bei ihren anfänglichen Leseübungen. Dann wandte er sich selbst einer anderen Schriftrolle zu. Die in Griechischer Sprache verfassten Erinnerungen seiner Tante Leontia, die sie bereits in jungen Jahren aufgeschrieben hatte.


    Er las sich durch die Erzählungen ihrer Jugend und ihrer Erziehung bei einer Tante Gabriella in einem kleinen attischen Dorf und war recht enttäuscht.


    Ein Sklave brachte derweil einige kleine Speisen sowie Getränke für die beiden, die er auf den kleinen Tisch zwischen den Korbsesseln unter dem Fenster abstellte.


    Commodus hatte einige Ausführungen über einen Liebhaber seiner Tante übersprungen und war am Tag einer Hochzeit angekommen. Wessen Hochzeit konnte er jedoch ersteinmal nicht rausfinden, aber es war unter anderem auch die Rede von ihren beiden Brüdern und deren Verlobten. Leider wurden keine Namen genannt.

  • Während sie las, oder besser gesagt, sich durch die Zeilen quälte, wurden ihre Augen für einen kurzen Moment feucht. Nicht etwa, weil die Lebensgeschichte der Prudentia Helena so spannend war, sondern weil es sie deprimierte. Es deprimierte sie, dass niemand ihren Vater und selbst den Großvater nur selten nannte. Ihre dürftigen Lesekenntnisse deprimierten sie mindestens ebenso sehr. Ganz zu schweigen von dem Aufwand, den sie hier betrieb um hinter ihre Vergangenheit zu gelangen. Aber tapfer wie sie war presste sie die Tränenflüssigkeit wieder in die Tiefen ihres Körpers zurück und setzte sich mit geschwellter Brust an die nächste Zeile.
    >... und Aussehen so gut ihn hatte.<
    > und er hat ein sehr gutes Aussehen...<
    >Sein Lächeln...<
    Je weiter sie die Zeilen durchging, je steiler zogen sich die Falten durch ihr Gesicht. Es war nicht so, dass sie faul war. Aber die hier verrichtete Arbeit machte für sie zunehmend weniger Sinn. Das Lesen strengte sie sehr an, doch sie wollte sich keine Blöße geben und kämpfte sich immer weiter durch die Liebeserklärungen ihrer Großtante. Dankbar betrachtete sie Speis und Trank, die ihr nun wie ein heller Lichtstrahl inmitten der finstren von Schwertern und Blut durchsähten Nacht erschienen. Wenn man betrachtete, dass Schwerter Männer und Blut Liebeskummer darstellten. Mit weit geöffneter Hand griff sie sich eine ordentliche Portion Trauben und achtete nicht weiter auf gute Manieren, während sie sich hungrig eine nach der anderen in den Mund schob. Hauptsache sie musste nicht mehr lesen.

  • Während er sich weiter durch die Worte seiner Tante arbeitete, schaute er immer wieder zu ihr hinüber. Wie sie dort sass und sich durch die Texte quälte und dann eine kleine Stärkung gönnte, wie sie bereits während ihres ganzen Aufenthaltes hier zwischen scheinbarer Verzückung und einer Art Angst pendelte, erinnerte ihn an eine seiner Töchter. Sein Blick zeigte eine gewisse Zuneigung und er fühlte sich ihr verbunden, obwohl er sie kaum kannte.


    Er legte seiner Tante Erinnerungen auf die Seite und nahm sich ein anderes Schriftstück. Geschrieben von Valeria, einer anderen Tante.

  • Hin und wieder warf sie Seitenblicke zu Commodus. Schließlich musste sie abwägen, wie weit er mit seiner Arbeit fortgeschritten war um abzumessen, ob sie noch langsamer Essen musste. Aber nach einigen Minuten empfand sie sich selbst als unverschämt und griff sich widerwillig wieder die Pergamentrolle. Schon nach weiteren zwei Zeilen stauten sich Wut und Langeweile in ihr, die sie beide am liebsten laut hinausgeschriehen hätte.
    >Glaubst du wir werden wirklich fündig?< fragte sie resigniert während sie ihre Schriftrolle sinken ließ und ihr Blick jenen von Commodus suchte. Deutlich war zu erkennen, dass sie weniger daran glaubte und ihre Frage einer eher rethorischen Natur entstammte.
    >Bislang las ich nur wie hübsch doch soviele Männer waren und wie sehr sie die und die Frau um ihr schönes Aussehen beneidete. Ich glaube ich hätte noch lieber eine erheiternde Kindheit gelesen.< Bei diesen Worten ließ sie doch wieder ein schläfrig-munteres Lächeln erkennen.

  • Commodus liess seine Schriftrolle ein Stück weit sinken und schaute sie direkt an.
    "Ich denke, dass wir gute Chancen haben."


    Er musste grinsen. "Das klingt sehr nach Tante Helena. Eine herzensgute Frau und eine meiner liebsten Tanten, aber sie konnte einem mit ihrem Geplapper sehr auf die Nerven gehen."


    Er deutete auf das Bündel. "Versuch es einmal in einem der anderen Schriften."

  • Das ließ sie sich nicht zweimal sagen. Sorgsam rollte sie das Pergament wieder zusammen. Schließlich mochte es schon wirklich alt sein - sowas weiß sie ja nicht. Behutsam legte sie es zurück und suchte per Zufallsprinzip rein zufällig die dünnste Rolle heraus. Natürlich wurde dieses glückliche Geschick nicht ein bisschen von ihr beeinflusst. Der wahre Zufall schien ihr allerdings nicht hold zu sein. Erst gab sie sich so viel Mühe bei der Suche nach dem geringsten Maß an Arbeit und dann schrieb die Person in eine winzigen Schrift. Vermutlich heißt: Kleine Rolle - kleine Schrift und große Rolle - große Schrift. Nun, dafür war es wenigstens sauber geschrieben. Mit einer weiteren handvoll Trauben machte sie sich erneut an die Arbeit.

  • Commodus las sich in der Zwischenzeit immer weiter durch Valerias Erinnerungen. An einigen Stellen fand er Hinweise auf Solinus und Urbica und an ein oder zwei Stellen konnte er lesen, dass sie scheinbar ein gemeinsames Kind hatten. Er erzählte Aquilia davon, während er sich einige Trauben nahm.

  • Sie hatte sich recht leicht in die Lektüre vertieft, die dort in ihren Händen lag. Sie hatte ihr längst etwas bedeutendes offenbart, aber es fiel ihr schwer sich von dem Text zu lösen. Die saubere Schrift entstammte der Feder des Solinus. An sich kam ihr der Name kaum bekannt vor, und doch...


    ...
    Über meinen Sohn darf man nicht sprechen. Ich schäme mich seiner. Nicht nur, dass Vinianus dieses dreiste Mädchen erwählte, obwohl Urbica und ich dagegen sprachen, nein, seine Bande zu den Germanen wurden stärker als ein Römer von wahrem Blute es sich denken darf....


    >Commodus! Hier!< stammelte sie aufgebracht und mit glühend roten Wangen. Die Familienbande zu dem Senator ausrechnen, das konnte sie nicht. Sie wusste nicht wie sich ein Cousin ergab - sie hatte ja nie irgendeine nähere Verwandtschaft, weshalb dies immer sehr unrelevant war. Laut las sie die auf dem Pergament befindlichen Worte vor und sah dann abwartend zu dem Älteren.
    >Dies sind Aufschriften des Solinus, der von meiner Großmutter spricht. Und ich weiß genau, dass Mutter anfangs nicht erwünscht war, denn mein Vater erklärte mir stets dass Rang und Namen nicht wichtig seien und dass sie viel zu sehr daran gemessen wurde.<

  • Commodus schaute auf die Schrift und hörte sich die Worte an. Dann nickte er. "In der Tat. Es sieht so aus, als hast du da etwas gefunden."


    "Junge Aquilia, meine Glückwünsche zu deiner neuen Familie." sagte er scherzend.

  • Dann allerdings runzelte sie die Stirn und seufzte leise. Sie empfand es als traurig, dass die Familie sich in den Ehewunsch ihres Vaters eingemischt hat. An sich empfand sie es als recht pietätlos. Aber möglicherweise hing dies einer Tradition an, die altrömisch war und ihr somit unbekannt. Was wusste sie schon viel über Römer? Mit einem etwas ermunterten Lächeln, aber offensichtlich noch immer nicht ganz beisammen hob sie wieder ihren Blick.
    >Vielen Dank. Wer wohnt denn noch hier, den ich kennen sollte? Schließlich muss ich meine... Familie ja noch kennenlernen.< gab sie mit leichtem Humor in der Stimme zurück und lehnte sich entspannt nach hinten. Auf dem Pergament stand Vergangenes, fasste sie rational denkend zusammen. Und Vergangenes betrifft sie nicht. Commodus hieß sie offensichtlich willkommen, das sollte reichen. Außerdem musste sie nun nicht mehr lesen.

  • Commodus schaute etwas wehmütig als er erwiderte: "Von der Familie lebt hier ausser mir leider niemand mehr. So wie generell nur wenige von uns noch am leben sind."


    Er legte das Schriftstück, dass er noch immer in der Hand hielt, auf den Tisch und fügte hinzu: "Wenn du willst, kannst du mich demnächst einmal nach Rom begleiten, dort kannst du meinen Sohn kennenlernen."

  • In ihren Zügen lag nun ehrliche Betroffenheit. Hatte sie sich gerade noch gefreut, nicht mehr allein auf der Welt zu sein, schien er zu befürchten, dass die Familie aussterben konnte. Sie erhob sich aus ihrem Korbsessel und ging langsam auf ihn zu, um ihre Hand auf die Seine zu legen. Es war eine sehr schüchterne und unsichere Bewegung, doch sie diente ihm des Trostes. Dass sie dies überhaupt wagte gebar der letzten und neusten Entwicklungen ihres Standes zueinander.
    >Das tut mir ehrlich leid.< sagte sie mit leiser und bedauernder Stimme, während sie an seiner Seite niederkauerte und freundlich zu ihm aufblickte. Sie hatte schon immer großeren Respekt vor älteren Menschen gehabt. Auch Commodus verkörperte diese Weisheit und wirkte zugleich doch nicht gebrechlich. Nur in diesem einen Moment, da seine Züge von Trauer gezeichnet waren, sah sie, wie alt er doch eigentlich war.
    >Gerne würde ich dich einmal nach Rom begleiten. Vielleicht sehe ich dort ja das Tabula. Und auf deinen Sohn wäre ich natürlich auch sehr gespannt.< beteuerte sie mit einem aufmunternden Lächeln und tätschelte seine Hand kurz, während sie noch immer zu ihm aufblickte. Ihr Vater hatte von Rom immer als eine 'Hure' gesprochen was sie natürlich nicht sehr erfreut dem Besuche dort entgegenblicken ließ. Doch die jugendliche Neugierde ließ sich nicht leugnen.

  • Sie war immer sehr feinfühlig und sie ahnte, dass sein Lächeln zur Übertünchung der Gefühle diente. Aber sie hatte auch gelernt, die Entscheidungen anderer Menschen zu respektieren, ganz besonders bei älteren Menschen. Und jene des Prudentius Commodus in diesem Falle auch. So hielt sie nur weiterhin seine Hand während sie mit einem etwas beklommenen Lächeln nach einer Antwort suchte.
    >Sagen wir... zwischen der Colonia und Mogontiacum, welches ich zurückließ. Momentan habe ich leider gar nichts.< Sie kam sich schäbig vor. Es musste auf ihn wirken, als habe sie eine Bleibe von vornherein erwartet.

  • Man sah ihr an, dass sie unangenehm berührt war, doch auch sie versuchte dies mit einem Lächeln zu überspielen.
    >Das wäre sehr freundlich. Verzeih, aber darum habe ich mir bei meinem Ausbruch von Mogontiacum aus keinerlei Gedanken gemacht. Aber vermutlich hätte ich in der Stadt auch eine Bleibe gefunden. Vielen Dank.< erwiderte sie aufrichtig.

  • "Du brauchst mir nicht zu danken, schliesslich sind wir eine Familie." sagte er mit einem freundlichen Lächeln. Er ging zur Tür und rief nach einer Sklavin, der er einige Anweisungen gab. Dann wandte er sich wieder Aquilia zu: "Hast du irgendwelche Habseligkeiten mitgebracht oder in Mogontiacum zurückgelassen?"

  • Als er sich umwandte fühlte sie bei seinen Worten ein warmes Gefühl in ihrem Herzen. 'Eine Familie' - und das von einem Herrn den sie bislang kaum kannte. Das Lächeln, das nun auf ihren Lippen ruhte, entsprang ehrlicher Natur.
    >Leider nicht viel. Nur das, was in einen Beutel passt. Den Rest verkaufte ich um die Reise finanzieren zu können. Vielleicht auch noch, gegebenenfalls, ein Zimmer für eine Nacht. Aber auch als ich schon in Mogontiacum einzog hatte ich nicht mehr viel Habe.< lächelte sie.

  • "Mach dir keine Sorgen, ich werde dir einige Kleider bereitlegen lassen. Und in den nächsten Tagen wirst du Gelegenheit haben auf dem Markt in der Stadt einkaufen zu gehen." sagte er und rief noch eine Anweisung hinter der Sklavin her.

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