Der Cursus Publicus auf Inspektion

  • In Saldae erwartet die Cursus Publicus-Inspektoren eine weitere Mansio. Der zuständige Stationarius stellt sich als recht fähig und vor allem penibel heraus. Seine Tabulae sind vorbildlich geführt und es dauert nicht lange, bis der Legatus und die Praefecta zum Schluss kommen, dass hier nicht viel zu tun ist. Gegen Nachmittag trifft ein Bote des Eques Publius Plocius Piso ein, der am Vormittag selbst durch einen Boten benachrichtigt worden war. Eben jener Plocius hat unweit der Stadt einen Landsitz und verwaltet von dort aus einen nicht gerade kleinen Marmorsteinbruch, jenen Steinbruch nämlich, an dem sich Avarus und Lucilla geschäftlich beteiligen möchten. Plocius Piso lässt ausrichten, dass er die beiden zum Essen erwartet und bietet ihnen gleich eine Übernachtungsmöglichkeit an, da sein Gut sowieso auf der Reiseroute in Richtung Numidia gelegen ist.


    So bricht die Karawane nach getaner Arbeit wieder auf und erreicht nur wenig später den Landsitz der Plocia. Bis die Wägen jedoch vom äußeren Tor bis an der eigentlichen Casa sind, vergeht noch eine Weile. Die Gewinne beim Marmorverkauf scheinen recht gut zu sein, zumindest für den, der am Anfang der Verkaufskette steht, denn der Landsitz zeichnet sich nicht nur durch seine Größe, sondern auch durch seine Eleganz aus. Beinahe alles, was von Menschenhand hier gebaut wurde, besteht aus Marmor, sogar die wenigen Umzäunungen.
    "Extravaganz scheint in diesem Land überall an der Tagesordnung zu sein." murmelt Lucilla.


    Vom Eingang der Casa aus werden sie zuerst in den Gästeflügel geführt, wo ihnen die Möglichkeit gegeben wird, sich frisch zu machen. Natürlich nehmen sie diese auch wahr, denn der Staub der Reise hängt mittlerweile fast überall. Gegen frühen Abend dann findet man sich im marmornen Atrium ein. Publius Plocius Piso stellt sich als Mann mittleren Alters heraus, obwohl Lucilla ihn auf sicherlich über vierzig schätzen würde. Das Vermögen, welches er in den Marmorbau investiert hat, hat er sich in der Legion verdient, wo er bis zum Praefectus Castrorum gedient hatte. An seiner Seite steht eine kleine Frau mit bronzefarbener Haut und arabischen Gesichtszügen, welche er als seine Gemahlin, Plocia, vorstellt. Um den Appetit anzuregen und natürlich auch, um vor den Gästen zu prahlen, schlägt Piso einen kleinen Spaziergang über das Gut vor.


    Seine Gemahlin, die nicht oft Besuch zu empfangen scheint, hängt sich sogleich an Lucilla und während die Männer über Politik und Wirtschaft redend voraus gehen, spaziert diese mit Plocia hinterher und lässt Klagen über die Abarten der neuesten Mode, die genaugenommen in Rom längst nicht mehr neu ist und schon vor Monaten aus Lucillas Schränken geflogen ist, über sich ergehen.
    "Vor den Römern war hier alles besser. Dieses ganze Tamtam um teure Stoffe und noch teureren Schmuck. Das Leben war hier so einfach, doch die Römer haben uns alles genommen, was wir hatten."
    Lucilla schaut skeptisch, enthält sich jedoch eines Kommentars. Sie konnte noch nie verstehen, wie sich jemand über die Vorteile der römischen Vorherrschaft beschweren kann, denn obwohl Lucilla längst Nutznieserin der römischen Kultur ist, sie wäre nichts lieber, als eine echte Römerin.
    "Alles haben sie uns genommen. Und was haben sie dafür als Gegenleistung erbracht, frage ich?"
    Lucilla verdreht die Augen, was Plocia jedoch nicht sehen kann. "Den Aquädukt."
    "Was?"
    "Den Aquädukt."
    "Oh. Jajaja. Den haben sie uns gegeben, das ist wahr."
    "Und die sanitären Einrichtungen."
    "Oh ja. Die sanitären Einrichtungen. Früher stank es ziemlich in der Stadt. Also gut ja, ich gebe zu, der Aquädukt und die sanitären Einrichtungen, das haben die Römer für uns getan."
    "Und die schönen Straßen."
    "Ach ja, selbstverständlich die Straßen. Das mit den Straßen versteht sich ja von selbst, oder? Abgesehen von den sanitären Einrichtungen, dem Aquädukt und den Straßen..."
    "Medizinische Versorgung... Schulwesen..."
    "Naja gut. Das sollte man erwähnen."
    "Und der Wein..."
    "Oh ja. Ja. Das ist wirklich etwas, was wir vermissen würden, wenn die Römer weggingen."
    "Die öffentlichen Bäder... Und jede Frau kann es wagen, nachts die Straße zu überqueren."
    "Jaha, die können Ordnung schaffen, denn wie es hier vorher ausgesehen hat, davon will ich ja gar nicht reden. Also gut. Mal abgesehen von sanitären Einrichtungen, der Medizin, dem Schulwesen, Wein, der öffentlichen Ordnung, der Bewässerung, Straßen, der Wasseraufbereitung und der allgemeinen Krankenkassen, was, frage ich dich, haben die Römer je für uns getan?"
    "Den Frieden gebracht..."
    "Aach! Frieden! Halt die Klappe..."
    Lucilla schaut die Frau entgeistert an. Die Sprachkultur und gute Manieren haben die Römer in diesem Teil der Welt dann wohl doch vergessen.
    "Oh, Verzeihung."
    Lucilla schüttelt den Kopf und beschleunigt ihren Schritt, um zu den beiden Männern aufzuholen, um sich an vielleicht interessanteren Gesprächen beteiligen zu können.

  • So sehr sich Lucilla auch bemüht, vorerst gibt es kein Entrinnen für sie. Schneller, als ihr lieb ist, steckt sie schon wieder in einem Gespräch mit Plocia über Stoffe, Webgarn und Seidenfäden. Nicht, dass Lucilla nicht überaus viel zu diesem Thema beizutragen hätte, doch das provinzielle Gedankengut und das modische Desaster, welches Plocia als Stil bezeichnet, stürzen sie in eine Sinnkrise nach der nächsten. Auch das Essen wird vorerst nicht angenehmer. Während der Gastgeber Plocius Piso summus in imo und Avarus natürlich auf dem locus consularis liegen, nimmt Lucilla den mittleren Platz des lectus medius neben ihm ein, so dass sie sich wunderbar mit Plocia auf dem äußersten Platz der gleichen Kline unterhalten kann. Immer wieder versucht Lucilla dem Gespräch der Männer zu lauschen, doch immer wieder stellt Plocia Fragen über Fragen, die zu beantworten doch recht unhöflich wäre. Nichteinmal das Essen bringt die Frau zum Schweigen, obwohl Lucilla mittlerweile nur noch verneinend den Kopf schüttelt oder zustimmend nickt und darauf achtet, immer etwas zu Essen parat zu haben, um nichts antworten zu müssen.
    'Warum redet sie nur pausenlos?' schießt es Lucilla durch den Sinn.
    "Weil ich eine sein möchte..."
    Lucilla bemerkt, dass sie Plocia nicht mehr zugehört hat und daher auch den Sinn ihrer Aussage nicht mehr versteht. "Was?"
    "Ich möchte eine Frau sein. Ich möchte, dass du... dass du mich von jetzt an Loretta nennst."
    Lucillas Blick gleitet unauffällig nach rechts, doch die beiden Herren sind in eine sicherlich interessante Diskussion über die Vorzüge und Nachteile marmornen Bossenwerks vertieft. Darum schaut sie nur irritiert zurück zu Plocia. "Was?"
    "Das ist mein Recht als Gastgeberin."
    "Ja, aber warum möchtest du Loretta sein, Plocia?"
    "Weil ich so heiße."
    "Ah." Lucilla nickt verständnisvoll und atmet tief durch. Der Griff zu ein paar Trauben ist schnell getan und ihr einziger Trost ist es, so nahe bei Avarus sein zu können.


    Als die letzten Speisereste und das Geschirr abgeräumt werden, kommt das Gespräch endlich auf Marmorverkauf und Transportkosten. Lucilla sieht ihre Chance gekommen und klinkt sich mühelos in die versteckten Verhandlungen ein. Es ist kaum zu glauben, doch ein halber Abend lässt sich mühelos mit Marmor füllen und so schwer das Thema auch sein mag, am Ende sind alle zufrieden. Der ausgehandelte Preis ist für römische Verhältnisse sehr gut, auch wenn Lucilla sicher ist, dass Plocius Piso ebenfall noch einen guten Gewinn einstreicht.


    Doch auch der längste Abend geht irgendwann zu Ende und am folgenden Tag wartet schon der frühe Aufbruch auf die Reisenden des Cursus Publicus. Sie verabschieden sich von ihren Gastgebern, im Gästeflügel bleibt Lucilla noch mit Avarus vor den Zimmern stehen.
    "Ein merkwürdiges Paar. Ob man zwangsläufig so wird, wenn man hier am Ende der Welt, umgeben von Marmor wohnt?" Sie zuckt die Schultern und schmunzelt. "Ich glaube, ich möchte für immer in Rom bleiben." Lucilla tritt näher an Avarus heran, schaut sich schnell um, ob es auch niemand sieht, und haucht ihm dann einen Kuss auf die Lippen. Wenig später liegt sie bereits in dem angenehm weichen Bett und träumt wirr von marmornen Webstoffen und Aquädukten aus Seide.

  • Die folgenden Tage gestalten sich recht eintönig für die Reisenden. Die Karawane zieht weiter gen Osten, Mansiones und Mutationes werden überprüft, in einigen bekommen die Stationarii eine Rüge und Anweisungen zur Verbesserung, in anderen ist nichts zu beanstanden. Die Bequemlichkeit der Übernachtungsmöglichkeiten variieren je nachdem, ob gegen Abend eine Poststation in Reichweite ist, oder ob die Araber die Zelte am Rand des Weges aufschlagen.


    Dass die Karawane die Gegend Numidia erreicht, ist kaum zu merken, nichts ändert sich an der Landschaft, nichts am Wetter oder dem leichten Wind vom Meer. Auch Chullu gleicht den kleinen Städten, die sie bisher gesehen haben. Von dort aus geht es weiter an der Küstenstraße entlang bis nach Hippo Regius, wo noch einmal viel Proviant eingekauft wird, dann verlässt die Karawane die Küste und wendet sich nach Süden in Richtung Thelepte, um bald nach Africa Proconsularis abzubiegen.

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