• Sabina schien tatsächlich nicht ansatzweise so ängstlich zu sein wie sie selbst in diesem Alter, und das, obwohl sie bereits ganz ähnliches durchgemacht hatte. Ob das einfach nur ein Zeichen dafür war, dass sie, Serrana, von Natur aus schwach war, wie ihre Großmutter es immer mal wieder behauptet hatte? Besonders mutig war sie wirklich nie gewesen, aber war das gleichbedeutend mit schwach?
    Serrana schob diesen Gedanken nach kurzem Grübeln zur Seite und lächelte auf Sabinas und auch Sedulus' Beteuerungen hin.


    "Ja, das mag sein. Ich hab bislang leider erst einmal reiten können, aber ich fand es auch sehr spannnend. Vielleicht können wir ja irgendwann später mal zusammen ausreiten, wenn wir es beide richtig gelernt haben."


    Die kleinen Holztierchen waren eigentlich nur ein Schuss ins Blaue gewesen, und Serrana war selbst erstaunt, wie gut sie bei Sedulus' Tochter ankamen. Eigentlich würde sie sie mit dem Rest ihres Spielzeugs am Vorabend ihrer Hochzeit opfern müssen, aber schon bei dem Gedanken daran krampfte sich Serranas Magen zusammen. Es gab ohnehin nur noch so wenig, was sie mit ihrem Vater verband, und diese Tiere hatte er mit seinen eigenen Händen geschnitzt und das für sie! Vielleicht war das ja ein Wink des Schicksals, wie sie Sabina eine Freude machen und sich selbst vor einem schmerzhaften Verlust bewahren konnte.


    "Ja, natürlich kannst du sie dir ausleihen. Ich würde mich freuen, wenn endlich mal wieder ein Kind mit ihnen spielt. Du musst mir nur versprechen, dass der Esel nie von der Kuh getrennt wird, das würde ihm nämlich gar nicht gefallen."

  • Leicht wackelte Sabina mit den Beinen und gab sich alle Mühe nett zu Serrana zu sein. Dennoch war sie sich ganz schön unsicher, was sie nun von der Iunia halten sollte. Es war alles so neu für sie und auch einfach anders wie sie erwartet hatte. Außerdem hatte sie ja versprochen brav zu sein. Ein Ausflug zu Pferde jedenfalls war da schon der richtige Vorschlag für das Mädchen um sich für Serrana noch ein wenig mehr zu erwärmen. Trotzdem sie nahm sich immer noch vor Serrana nicht zu mögen.


    „Reiten ist gar nicht schwer“, erklärte sie und fragte sich, wann es denn soweit sein würde und wann sie endlich ihr eigenes Pferd bekommen würde.


    Sabinas Augen leuchteten, als Serrana ihr die Holztiere lieh. Sie gab sich alle Mühe die Tiere nicht alzu hastig zu sich herüber zu ziehen und dann einzustecken. „Esel und Kuh werden nicht getrennt“, versprach sie.

  • Bis jetzt lief das sich gegenseitig ein wenig kennenlernen widererwarten gut befand Sedulus und schmunzelte als sich Sabina die Holztierchen aneignete.
    Er blickte hinüber zu Serrana und lächelte ihr zu.
    So stellete er sich ein Familie vor, harmonisch und mit der Welt im Einklang. Sicherlich würde es auch einmal schlechte Tage geben so etwas blieb natürlich nicht aus, aber er hoffte doch, dass es so werden würde wie jetzt.


    Stimmt ist es nicht. Man muß sich eben nur gut am Pferd festhalten. Wenn nicht, so landet man schneller auf dem Boden der Tatsachen als es einem lieb ist. Ich kann euch davon ein Lied singen.


    Lächelte Sedulus seine beiden Frauen an. :]

  • Wie so häufig kam Axilla auch an diesem Tag in die Casa Iunia. Levi, der sie begleitet hatte, verschwand wie immer gleich in Richtung Küche. Nicht, dass er Hunger hatte. Aber die Tochter der Köchin, die dort ebenfalls als Sklavin arbeitete, war ebenfalls 14 und ein wirklich hübsches Mädel. Axilla konnte es Levi nicht verdenken, dass er sein Glück bei ihr versuchte – auch wenn er immer häufiger mit einer Beule von einem mütterlichen Kochlöffel wieder zurück mit ihr in den Palast marschierte.


    Axilla erkundigte sich gerade bei den Sklaven, ob denn alles in Ordnung sei oder ob von ihr noch bei irgendwas eine Entscheidung ausstand, als ihr Araros ein Päckchen und einen Brief brachte. “Ist gestern für dich abgegeben worden, Domina.“ erklärte der Ianitor.
    Neugierig nahm Axilla beides entgegen und ließ sich erst einmal auf einer der Sitzbänke am Rand des Atriums damit nieder. Schnell war das Siegel gebrochen – und krümelte sein Wachs sehr zum Missgefallen der Sklaven fröhlich auf den Fußboden – und Axilla überflog die Zeilen. Cleonymus hatte ihr zurückgeschrieben. Nikolaos ging es wieder gut. Ein Glück. Aber der Rest... kein Wort mehr von Urgulania. Nichts zu dem Mordfall. Der Terentier ging nach Syrene? Aber kein Wort darüber, dass ihm etwas fehlte. Vielleicht hatte ihr Fluch keine Wirkung erzielt? Vielleicht sollte sie Pluto erneut ein Opfer bringen?


    Eine Weile saß Axilla nur über den Zeilen und kaute auf ihrer Unterlippe herum. Sie wusste nicht so recht, was sie mit den Informationen anfangen sollte. Dann schließlich fiel ihr Blick auf das Päckchen. Hmmmm.... Überraschung... was könnte er ihr wohl mitgeschickt haben? Vorsichtig öffnete Axilla das Band um das Paket und machte es dann auf. Ein heller Jauchzer gellte kurz durchs Atrium, als sie den Stoff herauszog, der zum Vorschein kam. Sofort war sie auf den Beinen und hielt die schöne Seidentunika an sich. Von der Länge her war diese herrlich. Und die Seide schimmerte im Licht!
    “Einen Spiegel! Bitte, schnell einen Spiegel!“ jauchzte sie dem nächstbesten Sklaven entgegen, der mit einem breiten Grinsen sich sofort daran machte, der Herrin einen Spiegel zu beschaffen. Zusammen mit einem anderen schob er also einen bestimmt einen passus hohen Bronzespiegel herein, in dessen spiegelnder Oberfläche Axilla sich sicher eine viertel Stunde ausgiebig betrachtete, das neue Kleid an sich haltend.
    “Hübsch, nicht?“ forderte sie die Sklaven zur Abgabe einer Meinung auf. Diese grinsten nur und nickten in stummer Ergebenheit. Aber Axilla machte das nichts. Sie fand das Geschenk wundervoll. Und es war lange her, dass sie neue, ägyptische Seide in den Händen gehalten hatte.


    “Bringt mir noch jemand Feder und Tinte? Ich muss unbedingt zurückschreiben“, verkündete sie noch immer freudestrahlend. Da musste sie zurückschrieben. Und am besten auch an Nikolaos. Und überhaupt.

  • Seit ihrem Besuch im Atrium Vestae war gerade mal ein Tag vergangen, doch Serrana war jede einzelne Minute, nachdem sie sich von Romana getrennt hatte, wie eine Stunde erschienen. Kaum hatte den Vesta-Tempel verlassen, hatte sie sich in hektischen Aktionismus geflüchtet. Ihr erster Weg hatte sie zum Forum Boiarum geführt, wo sie ein Lamm für die bevorstehende Leberschau erstanden hatte. Danach war sie, das Tier im Schlepptau, direkt zur Casa Iunia geeilt und hatte dort mit Hilfe der Sklaven alle Räume von oben bis unten gereinigt. Strenggenommen wäre dies zwar nicht nötig gewesen, da das Anwesen ohnehin tadellos in Schuss war, aber Serrana wollte in diesem Fall nichts dem Zufall überlassen. Und abgesehen davon, dass bei Romanas Eintreffen alles tadellos sein sollte, lenkte die Räumerei und Putzerei Serrana auch von ihrer immer übermächtiger werdenden Nervosität ab. Zur ausgemachten Stunde stand das ob seines nahenden Schicksals noch arglose Lamm friedlich grasend im Garten, während eine deutlich unentspanntere Serrana im Atrium immer und immer wieder das Impluvium umkreiste und dabei ständig Richtung Ausgang linste, um Romanas Ankunft unter keinen Umständen zu verpassen.

  • Romana trat, nachdem sie an die Porta angeklopft hatte und vom sie bereits erwartet habenden Sklaven in die richtige Richtung gewiesen worden war, ins Atrium ein. Sie wurde begleitet von der hübschen, aber leicht lebensunfähigen Sklavin Parthenope, die einen Korb trug, worin diverse Instrumente lagen, die man für die Leberschau brauchte. Vor allen Dingen lag eine Modellleber und ein Schlachtmesser drinnen, aber auch eine Schriftrolle mit Verzeichnis, nur so für alle Fälle.


    Romana trat auf Serrana zu, grinste breit und breitete ihre Arme aus, um ihre Freundin in einer ziemlich festen, wenn auch kurzen Umarmung zu würgen. “Salve, Serrana! Schön habt ihr es hier. Ist das das Lamm?“ Sie deutete auf das putzige kleine Tierchen, dem Romana einmal nicht zu nahe treten wollte, wusste sie doch, das es, sobald jemand ihm zu nahe kommen würde, nach seiner Mama blökend hinforthüpfen würde. Ja, Romana mochte die kleinen Lämmchen. Sie waren putzig. Aber schlussendlich war es doch ihr Schicksal, geopfert oder verspeist zu werden. Oder als Leberschauobjekt herzuhalten.


    Parthenope im Hintergrund verhielt sich nur ruhig und stellte den Korb ab. Das Schlachtmesser schien ziemlich bedrohlich, dachte sich die Epriotin. Ihre Herrin mit so einer Klinge würde enorm martialisch aussehen... so martialisch wie einst der große Pyrrhus, der fast Rom bezwungen hätte... oder wie die Spartaner, die gegen Xerxes fielen... oder wie ein Elefant. Wenn sie gerade an Elefanten dachte, sie hatte einmal ein Bild gesehen von einem. Apropos Bild, vielleicht sollte man... “Parthenope!“ Die Sklavin wurde in die Realität zurückgerissen. “Kannst du mal die Modellleber rausholen?“ Die Griechin nickte und tat wie geheißen. “Hier, Herrin.“ Romana nahm das Bronzemodell dankbar an und wendete es ihn ihren Händen herum.


    “Das hier wird vergewissern, dass ich die Zukunft richtig lese. Keine Sorge, ich mache das nciht zum ersten Mal.“ Sie lachte fröhlich, bevor sie wieder zum Tier schaute. “Wir beginnen, wann immer du willst.“

  • Nach gefühlten hundert Runden ums Impluvium, von denen jede einzelne Serranas Nervosität noch erhöhte, betrat schließlich ein Lichtblick in Gestalt der weißgewandeten Romana das Atrium, und die Iunia versank in einer Umarmung, die ihr zwar den Brustkorb zusammen- und damit die Luft aus den Lungen quetschte, ihre Stimmung aber trotzdem sofort hob.


    "Salve, Romana." brachte sie nach einem kleinen Huster heraus und erwiderte deren Lächeln, auch wenn das ihre nicht ganz so breit ausfiel. "Schön, dass es dir gefällt, und ja, das ist das Lamm. Ich hoffen, ich habe die richtige Wahl getroffen." Kurz sah sie zu dem nach wie vor arglosen Tier hinüber, dann wurde ihr Blick von dem Korb, den Romanas Sklavin trug und dessen Inhalt angezogen. Eine Modellleber? Was es nicht alles gab...
    Mit einer Mischung aus Neugier, Faszination und der nach wie vor präsenten Nervosität und Angst beobachtete Serrana die Vorbereitungen und schüttelte dann vehement den Kopf. "Oh nein, ich mache mir keine Sorgen. Zumindest deshalb nicht..." Für einen kurzen Moment fühlte sie das starke Bedürfnis, einfach nach Hause zu rennen und sich in ihrem Cubiculum die Decke über den Kopf zu ziehen, doch dann hatte sie sich wieder halbwegs im Griff. "Nun, wenn du nichts dagegen hast, können wir sofort anfangen." Desto schneller würde sie es auch hinter sich haben, mit welchem Ergebnis auch immer.

  • Romana bemerkte gar nicht, dass sie Serrana richtiggehend weh tat – bei Calvena waren die Umarmungen der zumeist sanften Riesin sachter gewesen, aber Serrana war ja größer als Calvena. Also konnte die sicher auch mehr aushalten.


    Die Claudia blickte, durch die weit geöffnete Türe vom Atrium hinaus in den Garten, zum Lamm hin, welches – selbstverständlich angebunden, es musste angebunden sein, welcher Narr würde ein Lamm frei im Garten grasen lassen? – auf dem Rasen weidete und nickte dann. “Warum nicht? Sicherlich ist es in Ordnung. Aber...“ Sie blickte genauer darauf. Warum weidete das Lamm? Natürlich, weil es nicht betäubt worden war. Das wäre Romana natürlich um vieles lieber gewesen. “Nicht betäubt, oder?“ Sie seuftze leise.


    “Nun gut. Dann bin ich ja beruhigt, wenn du dich nicht sorgst. Äh...“ Sie ging durch die Tür und hielt dann inne. Dann machte die Claudia ein paar Schritte auf das Lamm zu. Es hopste natürlich verängstigt weg, wurde aber durch das Seil aufgehalten. Romana schritt ruhig auf das Tier zu, nahm es in ihre Hände und ließ es dort wie wahnsinnig strampeln. Ein Blick des Vorwurfes traf Serrana.


    “Das nächste Mal bei so etwas betäuben, Serrana.“ Sie seufzte resigniert – die Iunia hatte ja keine Ahnung von der Haruspizin, und hatte wohl in ihrer beträchtlichen Naivität geglaubt, das Lamm würde ganz ruhig sich an Romanas mütterlichen Busen schmiegen – und wandte sich an Parthenope. “Eisenkugel!“, erklang herb der Befehl. Die Epriotin nickte, holte eine schwer aussehende Eisenkugel aus dem Korb heraus und schleppte sie zu ihrer Herrin. Diese nahm die Kugel, drückte das noch immer strampelnde Tier in Parthenopes Hände, holte aus und ließ die Kugel auf den Kopf des Tieres sausen. Klock. Das Tier war sofort außer Gefecht gesetzt, jedoch nicht tot. Parthenope durchschnitt das Seil und nahm die Kugel wieder entgegen, und Romana trat mit dem nunmehr bewusstlosen Lamm wieder ins Atrium. So einfach und unbürokratisch wurde so was bei den Vestalinnen gemacht.


    “Also. Soll ich das einfach hier, am Boden, machen? Es wird eine Sauerei geben, das sage ich dir jetzt nur einmal“, erklärte sie, wieder relativ unbekümmert, und blickte ihre Freundin fragend an.

  • Stimmte etwas mit dem Lamm nicht? Warum sah Romana denn nur mit einem derartigen Gesichtsaudruck hinaus in den Garten? Serranas Nervosität stieg allmählich in eine neue Dimension empor und mischte sich dann mit großer Verlegenheit angesichts des eigenen Versäumnisses. Natürlich hätte sie dafür sorgen müssen, dass das Lamm betäubt wurde, aber sie war ja so damit beschäftigt gewesen, jedes einzelne Staubkorn aus dem Atrium zu wischen. Und vielleicht hatte sie wirklich unbewusst angenommen, das Tier würde sich in den Armen der Vestalin absolut ruhig verhalten, warum auch sollte Romana eine andere Wirkung auf das Lamm haben als auf sie selbst? Was, wenn das nun der entscheidende Fehler gewesen war? Serrana wich Romanas strafendem Blick aus und brachte ein zerknirschtes "Ja, natürlich, tut mir wirklich leid." hervor, bevor sie bei dem dumpfen Geräusch, mit dem die Eisenkugel auf dem flauschigen weißen Kopf aufschlug, erschreckt zusammenfuhr. Was war denn nur los mit ihr, schließlich war das doch nicht die erste Leberschau, bei der sie anwesend war. Allerdings durchaus die erste, bei der das Ergebnis derartig wichtig für ihre eigene Zukunft war. Ob sie das Ganze vielleicht doch noch abblasen und einfach die nächsten Monate abwarten sollte? Nein, so konnte und wollte sie Romanas Großzügigkeit nicht vergelten, ganz abgesehen davon, dass sie jetzt endlich Gewissheit haben wollte.


    Serranas Blick ging von dem bewusstlosen Lamm in Romanas Armen hinunter auf den Boden und wieder zurück, dann nickte sie.


    "Ja, ist schon gut. Die Sklaven werden mir helfen, danach wieder alles in Ordnung zu bringen. Es sei denn, du möchtest lieber woanders...." Ja, eine Sauerei würde es ganz sicher werden, jede Menge Blut... Eigentlich sehr passend, wenn man sich den Anlass dieser Leberschau vor Augen führte, dachte Serrana mit neu aufkommender Verbitterung, bevor sie Romana noch einmal bekräftigend zunickte.

  • Romana winkte ab. “Schon gut“, machte sie großzügig und strich sich ihre langen lockigen Haare nach hinten, um nicht in ihrem Blickfeld behindert zu sein. “Gut, dann wird es direkt am Boden sein.“ Sie ließ das Lamm ebendort hinunter, wo es am Boden, noch immer betäubt von Romanas kräftigem Stoß, rumlag wie eine fallen gelassene Puppe. Die Claudia schluckte ein aufkeimendes Gefühl des endlosen Mitleids für das Tierchen herunter, und winkte Parthenope zu sich. Die Sklavin stellte den Korb mit all den benötigten Sachen neben Romana ab. Diese warf ihre Hände hinauf und begann ein kurzes Gebet zu beten, ein kurzes etruskisches, wie ihre Großmutter es ihr beigebracht hatte.


    “Aplu, Gott der Leberschau, blicke gnädig auf mich. Ich rufe dich, der du die Hände der Haruspices leitest, ich, die dich stets ehrte. Leite auch meine Hände, und meine Augen, damit ich die Vorzeichen richtig erkennen kann, dass ich sehen kann, was die Zukunft für Iunia Serrana bereit hält. Weiterhin werde ich dir Opfer bringen, wenn du mir hilfst, zu sehen.“


    Sie senkte ihre Arme, ging dann in die Hocke und nahm den mächtigen Culter, das Opfermesser, aus dem Korb. Sie ergriff den Kopf des benommenen Lammes, und zog dann mit einem professionell wirkenden Handgriff das Messer über die Kehle des Lammes. Das Blut spritzt heraus und bekleckerte den Boden. Die Claudia hielt, mit scheinbar ganz unbeteiligtem Gesichtsausdruck, den Hals des Lammes so hin, dass weder Romana noch Serrana etwas vom Blut abbekamen. Erst, als das Bluten aufgehört hatte, nahm sie das Opfermesser und schnitt den Bauch des Lammes auf. Es war nicht lange, bis sie die Leber gefunden hatte, und sie vorsichtig mit einem etwas kleineren Messer, welches praktischerweise auch im Korb lag, heraustrennte. Ihre Hände waren nun blutig, gut, dass sie ärmellos unterwegs war – was sonst sollte man auch machen bei dieser Hitze?


    Romana fingerte im Korb nach der Modellleber, holte sie hinaus und verglich mit einem flüchtigen Blick Modell und Original. Ja, das passte. Sie legte das Modell wieder hin, jederzeit griffbereit, und platzierte dann die Leber in ihrer linken Hand. Mit der rechten Hand begann sie dann ganz vorsichtig, bei der Fläche, die Tins Thufltha, Iuppiter in seiner Position als Herr der Furien, zugeordnet war, und ließ ihren Zeigefinger dann den Rand der Leber entlang wandern. Ihrem konzentrierten Gesicht war nicht anzusehen, was sie in der Leber erkannte. Das würde wohl nun ein wenig dauern...

  • Gebannt lauschte Serrana Romanas Gebet, und bei der Erwähnung ihres eigenen Namens lief ein leichtes Kribbeln ihre Wirbelsäule entlang und die feinen Härchen in ihrem Nacken stellten sich auf. Ohne den Blick von dem Geschehen auf dem Boden abzuwenden, ließ sie sich neben ihrer Freundin auf die Knie sinken und zuckte erneut zusammen, als das große Opfermesser durch die kleine Kehle des Lammes fuhr. Wenn ein so kleines Tier schon soviel Blut besaß, wieviel davon würde dann erst in ihrem eigenen Körper sein und darauf warten hervorzuströmen... Eine Welle der Panik überdeckte kurz sogar Serranas Aufregung und Nervosität, und während ihr ein kaum hörbares Wimmern entrutschte, verschränkte sie die Hände in ihrem Schoss und ihre Finger krallten sich im Stoff ihrer Tunika fest. Ihre Augen waren jetzt auf die Leber des Tieres gerichtet, die Romana in ihren Händen hielt. Unglaublich, dass dieses kleine unscheinbare Organ die Entscheidung über ihr eigenes Leben und Sterben in sich trug...
    Serrana hätte nicht sagen können, wie lange Romana mit absolut unbewegtem Gesicht die Leber und deren Beschaffenheit untersuchte. Sekunden, Minuten, Stunden?


    'Nun sag doch endlich was, bitte, bitte, bitte....' wurde die innere Stimme in Serrana immer lauter, während ihr Blick hektisch zwischen Romanas Gesicht und deren blutigen Händen hin und her ging.

  • Die Leber war interessant anzuschauen. Garantiert verschlossen sich die Götter nicht Romanas Bitte, sie lesen zu können. Als sie, die Serranas Wimmern gar nicht mehr bemerkte, mit ihren langen schlanken Uhrmacherfingern die Leber entlangfuhr, entstand ein Bild in ihrem Kopf.


    Iuppiter gibt keine negativen Vorzeichen. Doch was ist das? Ein goldener Schimmer. Iuno lächelt. Sie hat Serranas Gebete erhört. Auch Maias Vorzeichen sind glücklich. Die Göttinnen würden Serranas Wunsch gewähren. Ein Kind würde kommen. Catha, die Göttin der Sonne, aber wandte sich ab. Fufluns, der Gott der Gesundheit, hatte Serrana den Rücken zugekehrt. Kein Wachstum sollte geschehen, kein Glück! Und dann – Letham. Mortus. Der Gott des Todes. Sein wildes, wüstes Antlitz hatte er Serrana zugewandt. Seine Fänge streckte er nach ihr aus. Tluscva, die Erde, würde Serrana empfangen. Und Culsu, die schöne, aber böse Dämonin des Todes, wetzte bereits ihre Klingen, um Serrana und ihr Kind herabzureißen. Vetis, Veiovis, wie die Römer ihn nannten, stand bereit, um den Tod zu bringen.


    Hektischer wurde der Finger der Claudia, als er die Leber umrundet hatte und sich nun durch die innerern Sektionen wühlte.


    Letham, der Tod, ließ keine Freude mehr zu. Er war allgegenwärtig. Er bereitete sich vor, er war imminent. Die Fruchtbarkeit war groß, doch niemand kann das Schicksal aufhalten, auch nicht Hercules oder die Liebe. Es blieb nur die Tatsache, dass die Würde und die Ehre bleiben würde im Tod.


    Romana ließ die Leber sinken. Sie atmete schwer und blickte Serrana durchdringend an. Sie hatte deutlich die Leber gelesen. Es war deutlich darauf gestanden. Der Lebensfaden, den die Parzen Serrana zugestanden hatten, war fast zu Ende. Sie würde sterben. So oder so. Serranas Leben würde enden, und das Elysium oder der Tartarus sie empfangen. Sie schluckte.


    “Serrana, du bist schwanger, und du wirst gebären. Ein Kind von Sedulus wirst du gebären.“ Aber, wollte sie hinzusetzen, du wirst es nicht überleben. Das Kind vielleicht schon, aber du wirst sterben bei der Geburt. Romanas Atem wurde ungleichmäßig. Sie konnte es nicht. Sie konnte das ihrer Freundin nicht sagen. Es war ihr unmöglich. Sie würde Apolls Zorn auf sich ziehen, doch sie konnte einfach nicht. Serrana sollte ihre letzten Monate nicht mit der Gewissheit des Todes verbringen. Nein, sie würde es ihr verheimlichen müssen, etwas anderes konnte sich nicht im Rahmen der Ethik befinden.


    Sie zwang sich ein krampfhaftes Lächeln ab. “Die Geburt wird leicht und glücklich werden. Gesundheit, Wachstum und Frieden werden dein Leben begleiten. Du wirst überleben, und deinem Kind eine Mutter sein können. Das sagt die Leber“, log sie, während sie sich innerlich fühlte, als ob sie sich gleich erbrechen müsste.


    Dunkelheit. Bitterste, schwärzeste Dunkelheit.

  • Im ersten Augenblick war da nur Freude. Freude und eine unendliche Erleichterung, dass das Schicksal es offenbar doch gut mit ihr meinte. Ein glückliches Strahlen breitete sich über Serranas Gesicht aus, doch dann betrachtete sie ihre Freundin genauer, und plötzlich war sie wieder da, die Angst, und schloss sich mit kaltem Griff um ihre Eingeweide. Irgendetwas stimmte nicht. Die Worte waren wundervoll, ja, aber das, was Romana sagte, spiegelte sich irgendwie nicht in ihrem Gesicht wider, auch wenn sie ein wenig lächelte.
    'Bohr bloß nicht nach!' zischte die Stimme in Serranas Inneren.'Nimm das Urteil hin und freu dich daran. Und leb einfach das lange und glückliche Leben, dass sie dir vorrausgesagt hat. Solange nichts anderes ausgesprochen wird, ist es auch nicht wahr..'


    "Oh, das hört sich ja wundervoll an." sagte sie dann, und auch Serranas Lächeln fiel nicht ganz so überschwänglich aus, wie man es bei einem derart positiven Omen eigentlich hätte erwarten können. "Und du bist dir ganz sicher, dass du....ähm...nichts übersehen hast?"

  • Romana lächeln angestrengt Serrana an. Würde sie schlucken, was Romana ihr vorgesetzt hatte? Hmm, sie sagte zuerst, das wäre wundervoll. Dennoch, leichte Ungläubigkeit schwang mit. Ob sie denn etwas übersehen hätte? Romana musste sich beherrschen, dass ihre Kinnlade oben blieb, an ihrem angestammten Platz. Nein. Und das sagte sie auch.


    “Nein, ich habe nichts übersehen. Gar nichts, sei dir sicher.“ Irgendwie sagte sie dies mit einem bitteren Tonfall, der gar nicht intendiert war, aber trotzdem zu hören. “Und jetzt, du entschuldigst mich, ich muss gehen.“ Sie wollte einfach nur noch raus aus diesem Haus, mit ihren blutigen Händen, einfach weg, um sich irgendwo draußen in den Wieten von Rom einen Platz zu suchen, wo sie sich die Augen ausheulen konnte über das tragische Schicksal, das, so wie sie es vorhergesehen hatte, ihrer Freundin bevorstand. Doch bis sie die Türe überschritten hatte, musste sie stark sein! Sie durfte Serrana nicht den Eindruck vermitteln, dass sie etwas Schlimmes in der Leber gesehen hatte. Ihr eingefrorenes Grinsen war jetzt nur noch mehr gequält. “Und zwar sofort, ich habe noch Aufgaben heute. Meine Feuerwacht fängt gleich an“, mogelte sie.

  • "Natürlich nicht. Entschuldige bitte, die Frage war wirklich dumm." Serranas Stimme wurde immer tonloser, während die Kälte in ihrem Innern allmählich von von ihrem ganzen Körper Besitz ergriff, und sie jetzt wieder auf das tote Lamm starrte, das wie eine zerbrochene Puppe in seinem Blut lag. Das, was zuvor nur eine dunkle Vorahnung gewesen war, wurde jetzt immer mehr zur Gewissheit und drückte ihr die Brust zusammen und die Luft ab, und Serrana schaffte es einfach nicht, erneut nachzuhaken und sich damit das letzte bisschen Hoffnung, Romanas Benehmen vielleicht doch misszuverstehen, endgültig und unwiederbringlich zu zerstören.


    "Ich danke dir, dass du mir geholfen hast." sagte sie in dem nichtssagend freundlichen Tonfall, den sie dank der eisernen Erziehungsarbeit ihrer Großmutter selbst in diesem Augenblick noch hinbekam, auch wenn sie Mühe hatte, ihre eigene Stimme durch das anwachsende Rauschen in ihren Ohren noch zu hören. "Und natürlich werde ich dich nicht länger aufhalten, du hast mir ohnehin schon Zeit genug geopfert. Aber du willst dich doch sicher noch waschen, bevor du gehst, nicht wahr?"

  • “Nein, nein, nein, keine Sorge“, versuchte Romana mit ein bisschen zu vielen Neins zu kalmieren. Ihre Worte waren zwar viel versprechend gewesen, aber ihre nervöse Körperhaltung strafte diesen Worten Lügen. Das Lamm, das Unheilvolle, beachtete sie gar nicht mehr. “Bitte, bitte. Und... äh... ah ja, meine Hände. Hmm. Ja. Weißt du was, ich mache es einfach so.“ Sie beugte sich nieder, zum Impluvium hin, tauchte ihre Hände ein und rubbelte sich das Blut ab. Sie versuchte dabei möglich, ihre dem Tod geweihte Freundin, die sie so schandhaft belogen hatte, nicht anzuschauen. Das Blut war schnell weggewischt, auch wenn dort und dann kleine Rückstände zurückblieben, denen Romana aber keine sonderliche Beachtung mehr schenkte.


    “Nichts zu danken... so, ich gehe jetzt“, kündigte die Vestalin an. “Wir sehen uns. Vale.“ Sie wandte sich schnell ab, um zu gehen, und Parthenope, die die Szene nicht mitbekommen hatte, da sie dabei gewesen war, das Werkzeug einzusammeln, beeilte sich, ihrer Herrin hinterherzukommen.

  • Sie hätte nicht rationell erklären können warum es so war, aber der Anblick von Romanas blutigen Händen, die in das klare und saubere Wassser des iunischen Impluviums tauchten, erschreckte Serrana mindestens ebenso sehr wie das seltsame Gebaren der Vestalin. Am liebsten hätte sie sie davon abgehalten, blieb dann aber doch wie versteinert auf dem Boden neben dem Lamm knien und nickte nur kaum merklich, als Romana sich zum gehen wandte und gefolgt von ihrer Sklavin das Atrium verließ. Ihr eigenes "Vale" fiel so leise aus, dass Romana es vermutlich kaum noch hatte hören können, doch das war Serrana gar nicht bewusst. Minuten vergingen, in denen sie einfach sitzen blieb, bis sie plötzlich die hünenhafte Gestalt von Adula neben sich wahr nahm, die ihrer Herrin die Hand entgegenstreckte, um ihr aufzuhelfen.
    Als sie schließlich wieder auf den Beinen stand, schüttelte Serrana kurz den Kopf, um das unwirkliche Taubheitsgefühl in ihrem Innern loszuwerden und wieder einen klaren Gedanken fassen zu können.


    "Schaff das hier weg." sagte sie mit nach wie vor monotoner Stimme und wies dabei auf das tote Lamm. "Und sorg dafür, dass niemand auf die Idee kommt, sich etwas davon zu nehmen. Dann sagst du den anderen Sklaven Bescheid, damit sie dir helfen, den Boden zu säubern. Es darf nicht der kleinste Fleck zurückbleiben, verstehst du mich?" Auf Adulas stummes Nicken hin hatte Serrana sich bereits zum Ausgang gewandt, drehte sich dann jedoch noch einmal um. "Achja, und das Wasser im Impluvium muss ausgewechselt werden. Wenn es leer ist, reinigt es gründlich und füllt sauberes Wassser nach. Ich bin für eine Weile in meinem alten Cubiculum und möchte unter keinen Umständen gestört werden." Ohne auf weitere Antwort zu warten oder sich noch einmal umzudrehen, verließ Serrana das Atrium und ging hinüber in das Zimmer, in dem sie vor ihrer Heirat etliche Monate geschlafen hatte.

  • Man konnte nicht wirklich sagen, Axilla hätte sich beeilt, herzukommen. Im Grunde hatte sie sich ausführlich viel Zeit gelassen, sich fertig zu machen, als ihr Levi den Brief gebracht hatte. Natürlich war sie neugierig und fragte sich, was es denn so dringendes geben würde, dass Serrana sie zu sich bestellte. Noch dazu in die Casa Iunia, nicht Germanica. Aber Axilla war eben alles andere als erpicht darauf, häufiger als notwendig mit ihrer Cousine zusammenzutreffen und hatte daher erst in Ruhe ein Kleid gewählt und sich die Haare machen lassen, noch einmal die Abrechnungen ihrer Betriebe geprüft und erst, als es wirklich nichts mehr zu tun gab, sich auf den Weg gemacht.


    Und jetzt war sie hier, es waren bereits die frühen Abendstunden, und betrat das Haus ihrer Gens. Sie war sowieso jeden zweiten oder dritten Tag hier, auch ohne vorherige Einladung, aber dennoch fühlte sie sich heute reichlich seltsam. Es war, als hänge ein Damokles-Schwert über ihr, und sie wusste nicht einmal, wieso. Hatte sie irgendwas angestellt? Eigentlich konnte es nichts geben, es sei denn Archias hätte sich bei Serrana darüber ausgeheult, dass Axilla so streitlustig sei. Was sie ja auch ganz anders sah, aber das war noch das einzige, was sie sich vorstellen konnte.


    Sie betrat also das Atrium, wo ein paar Sklaven gerade damit beschäftigt waren, das Impluvium zu füllen. Vielleicht war wegen der sommerlichen Hitze etwas Wasser verdampft? Wobei es zwei Tage zuvor noch gut ausgesehen hatte.
    “Ist Serrana irgendwo?“ fragte Axilla, die einfach im Raum stehen geblieben war, mit etwas unsicherer Stimme. Sie konnte sich einfach keinen Reim darauf machen, was hier vorging.

  • Ob Axilla noch kommen würde? Vermutlich eher nicht, der Tag neigte sich schließlich schon fast dem Ende zu. Natürlich hatte sie den Brief auch sehr kurzfristig geschrieben, kein Wunder also, wenn ihre Cousine keine Zeit hatte oder vielleicht gar nicht in Rom war. Oder, was genauso im Bereich des möglichen lag, schlichtweg keine Lust hatte, mit ihr, Serrana, zu sprechen, denn schließlich waren die letzten Gespräche im besten Falle zäh und im schlimmsten mehr als unerfreulich gewesen. Unter normalen Umständen hätte sie selbst sich vermutlich auch davor gedrückt, aber die Entwicklungden der letzten Tage und Wochen hatten ihr deutlich gezeigt, dass es weitaus Schlimmeres gab als Streitereien zwischen Cousinen.
    Gerade hatte sie eine letzte Runde durch den Garten gedreht und sich entschieden, vorerst wieder nach Hause zurückzukehren, da hörte sie bei ihrer Rückkehr ins Atrium doch noch eine bekannte Stimme, die nach ihr fragte. "Ich bin hier, Axillla." sagte sie schnell mit einem kaum wahrnehmbaren Seitenblick auf das Impluvium und legte die letzten Meter bis zu ihrer Cousine zurück. "Danke, dass du hergekommen bist. Geht es dir gut?"

  • Von der Tür her, die zum Garten führte, hörte Axilla die wohlbekannte Stimme. Beinahe wünschte sie sich, die Sklaven hätten geantwortet, dass Serrana schon wieder weg wäre, aber dem war nicht so. Etwas unsicher drehte sie sich also herum und betrachtete Serrana, die zu ihr herüber kam.
    “Gut, alles gut“, log Axilla auf die Frage nach ihrem Befinden. In Wahrheit war gar nichts gut bei ihr. Sie und Archias zankten sich nur noch, weil er sich in ihren Augen total verrückt benahm und ihr jegliche Freiheit nehmen wollte. Sie war schon immer sehr selbständig gewesen und hatte das getan, was sie tun wollte, und jetzt auf einmal schien das ein Problem zu sein. Eines, an dem sie nichts ändern konnte. Aber sie würde Serrana da nicht ihr Herz ausschütten. Sie würde niemandem ihr Herz ausschütten, Axilla war sehr gut darin, ihren Kummer in sich hineinzufressen, bis er in einem Ausbruch von Tränen und Wut hervorplatzte und ein Trümmerfeld hinterließ.
    “Und warum wolltest du mich so dringend sprechen?“ Sicher, sie hätte sich erst auf ein wenig müßiges Palaver einlassen können und ablenken können, aber sie wollte wissen, was es denn so dringendes gab, was dieses Gespräch unausweichlich gemacht hatte. Vor allem, da ihr Verdacht, Archias könne damit zu tun haben, noch immer am drängendsten war.

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