• Seiana war immer noch etwas unschlüssig, ob es nicht besser wäre, wieder zu gehen. Erst recht, als klar wurde, dass ihre Sklaven draußen zu warten hatten, entgegen dem, was üblich war. Nicht dass sie vorhatte, diesen Besuch allzu lange andauern zu lassen... aber dennoch. Es rückte Seiana in die Nähe von irgendwelchen dubiosen Aktivitäten, und obwohl sie mehr als einmal darüber nachgedacht hatte – in diesen empfindsamen Momenten, in denen sie allein war und ihre übliche Maske, die sie sogar sich selbst gegenüber inzwischen häufig trug, fallen lassen konnte –, empörte es sie doch, rein aus Prinzip, dass so etwas von ihr angenommen wurde. Als ob sie sich rächen würde. Als ob sie – nur gesetzt den Fall sie wollte sich rächen – so plump vorgehen würde einfach hierher zu kommen!


    Sie folgte dem Ianitor dennoch, ohne die Tatsache zu kommentieren, dass ihre Sklaven draußen zu bleiben hatten, und ließ sich ins Atrium bringen, wo die Iunia gerade dabei war, Blumen zu arrangieren. Im Verlauf ihres kurzen Weges von der Porta ins Atrium hatte Seiana dafür gesorgt, dass ihre Maske noch besser an ihrem Platz saß als für gewöhnlich. Ihr Gesichtsausdruck war nicht starr, aber völlig ruhig und scheinbar gelassen. Sie wollte sich keinen Ausrutscher leisten, keinen Faux-Pas. Sie wollte hier beherrscht, professionell und kühl auftreten, nicht so wie beim letzten Mal, als sie sich getroffen hatten. Und vor allem anderen wollte sie die Iunia nicht merken lassen, was sie dachte oder von ihr hielt. Und deshalb, weil sie so bedacht darauf war, blieb ihre Miene völlig ruhig, als sie, noch bevor der Ianitor sie vorstellte, ihren Cognomen hörte. Erst als sie den letzten Satz hörte, zuckte eine Augenbraue kurz nach oben – und das war von ihr gewollt. „Salve, Iunia. Um offen zu sein, hätte ich das auch nicht gedacht“, grüßte sie sie, während sich ihre Lippen zu einem schmalen, höflichen Lächeln verzogen, das aber sofort wieder verklang, um einer für die nächsten Worte angemessenen Miene Platz zu machen. „Mein Beileid zu deinem Verlust.“

  • Da stand sie. Einfach so, in ihrem Atrium. Als wäre nichts gewesen. Wie eine Statue, erhaben und resolut, stand sie da. Nichtmal ein Muskel zuckte. Gut, doch, die Augenbraue, aber sonst... nichts. Als wäre nie etwas gewesen. Und das machte Axilla nervöser, als es jeder Wutausbruch je zu tun vermocht hätte. Ihre Hände rangen leicht miteinander, weil sie nicht wusste, wohin damit, ehe sie sie in dem Versuch, sich selbst zu beruhigen und gefälligst sich nicht lächerlich zu machen, gerade herunter nahm. Sie wollte gerade etwas leichtes sagen, etwas unbekümmertes, als Seiana ihr ihr Beileid aussprach und Axillas Versuch damit im Keim erstickte. Kurz konnte man die Unsicherheit auf ihrem Gesicht ablesen, als sie nach einer passenden Antwort suchte. “Danke, wobei ich denke, dass ich dir meines hierbei ebenso aussprechen sollte.“ Axilla war sich ziemlich sicher, dass es eine dumme Idee war, noch einmal darauf zu sprechen zu kommen, dass Seiana ja auch mit Archias verlobt gewesen war, aber es nützte auch nichts, so zu tun, als wisse sie es nicht mehr. Sie wusste es ja, ebenso wie die decima. Und kurz fragte sich Axilla, ob sie vielleicht auch deshalb hier war. Entweder, um der vermeintlich trauernden Witwe noch die eigene Überlegenheit zu demonstrieren, oder aber, um vielleicht doch ihre Entschuldigung nach der langen Zeit anzunehmen. Axilla wusste es nicht, aber es machte sie nervös.
    “Möchtest du vielleicht etwas trinken? Wasser? Wein? Einen Saft?“

  • Seiana bemerkte, wie Axilla ihre Hände knetete, wie sie sie dann hinunter nahm, sah, wie sich auf ihrem Gesicht kurz Unsicherheit breit machte. Ihre Erwiderung dann... Seiana wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte. Wollte die Iunia damit Salz in die Wunde reiben? Ihr, Seiana, in Erinnerung rufen, dass sie gewonnen hatte, dass sie es geschafft hatte, ihr Caius auszuspannen? Seiana musste wieder daran denken, dass die Iunia schon immer so gewesen war, seit sie kennen gelernt hatte – sie war süß, sie war lieblich. Sie war freundlich. Sie wirkte naiv. Und nach allem, was passiert war, konnte Seiana ihr das nicht abnehmen. Wenn sie sie so musterte, nun, nachdem einige Zeit vergangen und sie selbst nicht mehr so aufgewühlt war, fiel es ihr zwar doch etwas schwer, der Iunia zuzutrauen, dass sie so dermaßen durchtrieben war und sie ihre Naivität so perfekt spielte, weil sie damit unglaublich viel erreichen konnte. Aber sie konnte eben auch nicht glauben, dass die Iunia völlig ehrlich war in dieser unschuldigen Aufrichtigkeit, die sie zu zeigen schien. „Ich danke dir, aber das ist nicht nötig. Ich hatte mit Archias keinen Kontakt mehr.“ Seit der Entlobung, oder besser diesem einen Besuch kurz danach, den Caius ihr noch einmal abgestattet hatte. „Wasser, bitte“, antwortete sie dann, während sie kurz das Atrium musterte. „Und, falls es keine Umstände macht, ich wäre dir verbunden wenn meine Sklaven nicht auf der Straße warten müssten, während wir miteinander sprechen.“

  • Axilla wusste, dass Seiana keinen Kontakt mehr gehabt hatte, weil sie das nicht mehr wollte. Archias hätte das wohl sehr gerne gewollt. Und im Grunde war Axilla ja sogar recht froh gewesen, dass die Decima ihn da vor die Tür gesetzt hatte. Welche Frau wollte schon gerne, dass ihr Kerl sich mit der Exfreundin traf? Und das auch noch alleine? Axilla hatte Archias früher zwar getraut, aber es war ein Unterschied zwischen Vertrauen und Vertrauen. Und Axilla wusste auch, wie Männer waren. Ihr hätte es auch nie etwas ausgemacht, wenn er sich eine Sklavin oder eine Lupa ab und zu genommen hätte. Aber eine andere Frau aus einer einflussreichen Familie... das war was anderes. Bei Archias schon zweimal.
    Mittlerweile allerdings, trotz Archias' Abschiedsworten, war sie da nicht mehr so sicher, ob sie wirklich froh sein sollte, dass es so gekommen war. Es hätte ihr wohl viel Kummer erspart, wenn es anders gewesen wäre. Und sie müsste sich nun nicht damit beschäftigen, warum ihr Mann sich vom tarpejischen Felsen geworfen hatte anstatt sich wie ein ordentlicher Römer im Bad die Pulsadern aufzuschneiden. Wenn man denn schon Selbstmord beging. Warum er es überhaupt getan hatte, verstand Axilla ja nach wie vor sowieso nicht. Es war so... so... unlogisch. Selbst emotional war es vollkommen unlogisch. Aber nungut, es brachte auch nichts, darüber nachzudenken.


    Als Seiana meinte, ihre Sklaven würden vor der Casa warten, war Axilla kurz verwundert. Araros hatte weiter gedacht, als sie selber. Sie wusste zwar nicht, warum Seiana hier war, aber an ein Attentat glaubte sie auch nicht so wirklich. Gut, sie wusste auch nicht, mit was für Sklaven sie angekommen war. Dennoch gab sie einem Sklaven einen Wink. “Bitte einmal Wasser für unseren Gast. Und Araros soll die Sklaven bitte in die Küche bringen und ihnen auch etwas zu trinken anbieten.“


    Der Sklave nickte und eilte davon, kurze Zeit später hatte die Decima auch schon ihr gewünschtes Getränk. “Es ehrt dich, dass du wegen der Kondolenz hierher gekommen bist...“ fing Axilla wieder vorsichtig an. Sie wusste nicht so recht, was sie mit der Decima denn nun genau anfangen sollte. Aber wenn die Sklaven hereinkommen sollten, ließ das ja darauf deuten, dass Seiana mit einem längeren Gespräch rechnete.

  • „Du dekorierst um?“ Seiana nickte zu dem einen Sklaven, der noch bei den Blumen herum stand. Die Frage kam nicht aus wirklichem Interesse, sondern diente der Überbrückung, bis der andere Sklave wieder hier war und ihr Getränk gebracht hatte. Seiana hatte nicht vor, mit ihrem Anliegen einfach so herauszurücken, während sie hier herumstand. Lange warten musste sie allerdings nicht, denn der Sklave kam schon bald wieder und reichte ihr einen Becher mit Wasser. Sie nippte bedächtig daran und musterte dann wieder die Iunia. „Ich bin nicht nur wegen der Kondolenz hier“, stellte sie dann klar. Eigentlich war sie überhaupt nicht hier, um zu kondolieren – wäre das der einzige Anlass, sie wäre ganz sicher nicht gekommen. Sie wusste nicht, ob der Iunia das klar war, aber sie ging stark davon aus, dass diese das wusste. Dennoch spielte sie nach außen eine Rolle, folgte den Regeln ihrer Maske. Wie üblich. „Ich habe etwas mit dir zu besprechen.“ Seiana holte aus einem ledernen Umschlag einige Papyri hervor, die sie Axilla aber noch nicht reichte. „Könnten wir uns setzen?“

  • “Nein, nicht direkt. Nur ein wenig herrichten, mehr nicht.“ Axilla war noch immer nervös und unsicher, aber so langsam bekam sie das Gefühl in den Griff. Sie fühlte sich nicht mehr ganz so gelähmt und erinnerte sich wieder an die Dinge, die ihr im Laufe der Jahre beigebracht worden waren. Naja, zumindest, was versucht worden war, ihr beizubringen.


    Dass Seiana nicht nur wegen der Trauer hier war, war nun nicht so überraschend, dass es Axilla die Sprache verschlagen hätte. Vielmehr bestätigte das eigentlich nur ihre Vermutung, dass da doch mehr sein musste. Und dass die Decima sich setzen wollte, unterstrich es nur noch mehr. Es schien wirklich ein längeres Gespräch zu werden, wenn Seiana die Sklaven untergebracht wissen wollte und sich setzen wollte. Ein kleine Welle neuer Panik stieg in Axilla auf, aber sie kämpfte sie tapfer nieder. Nur nicht aus dem Konzept bringen lassen!
    … nun müsste Axilla nur noch wissen, welches Konzept das überhaupt wäre, und alles wäre in Butter...
    “Sicher, gern.“ Axilla war über sich selbst überrascht, wie unbeteiligt ihre Stimme klingen konnte. Sie fühlte sich wie zum zerreißen gespannt und musste sich nach dem Setzen nochmal kurz ein wenig aufrichten, um ihr Kleid in einer nervösen Geste glattzustreichen. Sie hasste es, dass sie nicht wusste, wohin mit ihren Händen! Also legte sie diese einfach gefaltet in den Schoß. “Wenn es um die Beschlagnahmung von Archias Sachen geht, da kann ich dir fürchte ich nicht helfen...“ riet Axilla einfach mal ins Blaue drauflos. Aber das wäre ein Thema, was längerer Erörterung vielleicht bedurft hätte und war damit auf ihrer Liste der möglichen Gesprächspunkte ganz oben.

  • Ein wenig herrichten also. Seiana nickte nur, kommentierte diese Antwort aber nicht weiter, und schon bald war ohnehin der Sklave mit dem Getränk da, so dass es auch nicht großartig weiter auffiel. Sie setzte sich, ohne dabei Axilla aus den Augen zu lassen. Wieder war eine kurze, scheinbar nervöse Geste mit den Händen, aber ansonsten hatte sich auch die Iunia gut im Griff. Seiana beobachtete sie dennoch weiterhin. Sie wollte ihre Reaktion sehen, und sie wollte sie einschätzen können. Sie wollte wissen, woran sie mit der Iunia war.


    Und dann sah sie, zum ersten Mal, ein wenig überrascht drein. „Seine Sachen wurden beschlagnahmt?“ Sie hatte eigentlich nicht über Caius reden wollen, ganz sicher nicht, aber das war eine neue Information für sie, hatte sie doch bisher noch keine Gelegenheit gehabt, sich um die Sache mit Katander zu kümmern, die Caius in seinem Abschiedsbrief an sie hatte verlauten lassen. „Davon wusste ich nichts. Aber selbst wenn, wäre das kein Grund für mich hier aufzutauchen.“ Dann musste sie erneut an Katander denken. Sie hatte ihm die Freiheit schenken wollen, aber er gehörte auch zu Caius' Besitz, und wenn der beschlagnahmt war... So sehr sie sich dagegen sträubte, sie war es Elena schuldig, sich für Katander einzusetzen. „Weißt du wer das veranlasst hat und warum?“ Sie würde Katander wohl kaufen müssen, davon ging sie zumindest aus, aber es konnte nicht schaden zu wissen, wie es überhaupt dazu gekommen war. „Aber wie ich bereits sagte: deswegen bin ich nicht hier.“ Nun reichte sie Axilla die Papyri. Gefunden hatte sie sie in ihrem Büro im Domus der Acta, während sie all die Akten und Unterlagen durchgegangen war, die ihr Patron ihr hinterlassen hatte. Und dort war ihr auch wieder bewusst bemerkt, aus wessen Feder diese Artikel stammten. Ihr war es als Lectrix aufgefallen, aber da hatte sie dem nicht allzu viel Beachtung geschenkt – weil es leichter war, es einfach zu ignorieren. Aber jetzt ging das nicht mehr. „Sind diese von dir?“ Seiana wusste es, aber sie wollte es aus dem Mund der Iunia hören, bevor sie weiter sprach.

  • Ach, Seiana wusste davon noch gar nichts? Das relativierte dann natürlich wieder Axillas Theorie, denn was die Decima nicht wusste, konnte sie auch nicht besprechen wollen. “Ja, der Präfectus Urbi hat Haftbefehl gegen ihn erlassen.“*
    Axilla hielt sich hier knapp, was Informationen anbelangte. Sie wollte über Archias nicht schlecht reden. Sie wollte gar nicht über die Sache so genau reden. Es war ihr auch so schon reichlich unangenehm, dass diese überhaupt stattgefunden hatte, da musste sie nicht noch lange darüber reden.


    Und sie musste es auch gar nicht, denn Seiana reichte an sie ein paar Papyri. Teilweise waren die ganz schön alt, über ein halbes Jahr bei manchen, bei anderen nur wenige Wochen. Axilla bekam mit einem Mal ein ganz flaues Gefühl im Magen. “Ja, das hab ich geschrieben. Was ist damit?“ Hatte sie etwas angestellt? Das konnte sie sich eigentlich nicht vorstellen, ein Teil davon war ja auch abgedruckt und veröffentlicht worden, wenngleich nicht unter ihrem Namen, sondern anonym, wie sie gebeten hatte. Die Acta würde nichts abdrucken, was nicht korrekt war, denn immerhin haftete der Auctor für das Blatt und musste sich vor dem Senat dafür verantworten.



    Sim-Off:

    *Da das aber noch nicht ausgespielt ist und ich nicht weiß, was da noch kommt oder auch nicht, hier nur ganz kurz. Ich nehme an, dass da noch einiges ausgespielt werden wird :D

  • Seiana nickte langsam, sagte aber nichts weiter, während sie ihre Miene wieder völlig unter Kontrolle hatte. Der Praefectus Urbi selbst also, und er hatte nicht nur den Besitz beschlagnahmt, er hatte Haftbefehl erlassen. Gegen ein Mitglied der kaiserlichen Familie. Sie fragte sich, warum er das getan hatte – nicht dass es eine Rolle gespielt hätte was die Sache mit Katander betraf, aber in ihrer Funktion als Auctrix war diese Neuigkeit mehr als nur interessant. Vom Praefectus Urbi war so einiges zu hören an Gerüchten in der Stadt, und ihr lag sogar ein Artikel vor, der sich zu einem Gutteil mit dem Vescularier befasste – so sehr befasste, dass sie ihn in der Tat überarbeiten musste. Aber sie wollte ohnehin einen Termin mit ihm, dann konnte sie ihn gleich fragen, was es mit dieser Sache auf sich hatte. Und nebenbei auch, ob es die Möglichkeit gab, den Sklaven aus Caius' Besitz zu erwerben, der ohnehin an sie hatte gehen sollen. Es hatte nichts mit Caius zu tun, dass sie das tun würde. Es ging ihr allein um Elena. Sie hatte es verdient, so einfach war das, und auch wenn Seiana nicht vorhatte, jemals wieder einen Menschen so nah an sich heran zu lassen wie Elena – oder Faustus, der einzige andere, der ihr so viel bedeutete –, für diese beiden würde sie alles tun. Selbst wenn sie sich auch von diesen beiden entfernen mochte.


    Sie nickte erneut leicht, als Axilla ihr dann bestätigte, dass die Artikel von ihr waren. „Nun, ich weiß nicht, ob es an deine Ohren gedrungen ist, aber der Senat hat mich vor kurzem zur Auctrix gewählt.“ Sie machte eine kleine Pause und trank wieder einen Schluck, musterte die Iunia nebenbei, um festzustellen, wie sie diese Neuigkeit nun aufnahm. „Die Artikel sind gut. Das ist mir schon als Lectrix aufgefallen.“ Es widerstrebte ihr, das einzugestehen – nicht dass sie allgemein ein Problem damit hätte, sie hatte nur ganz konkret ein Problem damit, es der Iunia zu sagen. Der Frau, die ihr ihren Verlobten weggenommen hatte. Aber sie hatte sich Professionalität vorgenommen, und die Artikel waren gut. Die Acta konnte es sich nicht leisten, eine solche Schreiberin zu verlieren, nur weil Animositäten zwischen ihr und der Auctrix herrschen mochten. Und sie musste mit der Iunia ja nicht privat verkehren. Es reichte völlig, ein absolut neutrales, beherrschtes Arbeitsverhältnis aufzubauen, und Seiana war zuversichtlich, dass zumindest ihr das gelingen würde – auch wenn sie vorhatte ihr Misstrauen zu pflegen was diese Frau betraf. „Ich bin hier um mich zu versichern, dass du auch weiterhin für die Acta schreiben wirst. Mehr noch“, sie nickte zu den Papyri hin, die Axilla immer noch in den Händen hielt, und ignorierte diesen Teil in ihr, der nun aufbrüllte und sich dagegen wehrte, der Iunia dieses Zugeständnis zu machen – weil sie wusste, dass es das Richtige war. Objektiv gesehen. „Ich wollte dich fragen, ob du es in Erwägung ziehen würdest, als Subauctrix tätig zu werden.“

  • Axilla hatte noch immer ihre Artiken in den Händen und blätterte diese durch. Das schien alles so lange her zu sein, dass sie diese geschrieben hatte. Als wäre es ein anderer Mensch gewesen, der diese geschrieben hatte. Inzwischen war so vieles passiert, und damit meinte sie nicht nur den Freitod ihres Ehemannes. Auch, wenn sie nie so genau gewusst hatte, was sie tun sollte, es hatte eine Richtung gegeben. Im Moment fühlte sie sich reichlich orientierungslos. Sie hatte noch keine Ahnung, was sie tun sollte, jetzt als Witwe mit nichtmal zwanzig Jahren. Hätte sie sich scheiden lassen, hätte es einen Plan gegeben. Zum Prätor gehen und dafür sorgen, dass sie ihre Mitgift wiederbekam. Für die eigene Sicherheit sorgen. Absicherung bei der Gens einholen, damit alle sie unterstützten. Und jetzt? Sie hatte keinen Plan. Sie wusste ja noch nichtmal, warum Archias sich das Leben genommen hatte.


    Die Decima fing an, zu reden. “Ja, das habe ich bereits gehört. Meine Glückwünsche hierzu.“ Axilla interessierte sich zwar nicht sonderlich dafür, aber wenn der Auctor der Acta wechselte, bekam man das ja nun doch mit.
    Seiana sprach weiter und Axilla sah verwundert auf. Sie war hier, um sie für ihre Artikel zu loben? Axilla saß einen Moment ganz erstarrt da und vergaß sogar, zu atmen. Sie musste sich verhört haben! Aber sie konnte sich nicht verhört haben, denn Seiana sprach noch immer weiter und wollte ihre Versicherung, dass sie auch jetzt noch schreiben würde. Mit Seiana als Auctrix. Axilla hatte ja schon darüber nachgedacht, als sie gehört hatte, wer nun Chef der Acta war. Sie hatte schon überlegt, ob sie vielleicht, wenn sie denn mal die Idee für einen Artikel hatte, diesen ganz anonym abgeben konnte. Einfach bei der Acta durch einen Sklaven abgeben lassen, ohne Namen und alles. Denn eigentlich war sie nach dem Gespräch mit der Decima vor vielen Monaten der Überzeugung, dass Seiana sie nur dann nochmal sehen wollte, wenn sie Axilla erwürgen würde.
    Und es kam noch besser! Sie lobte nicht nur und fragte nach weiteren Artikeln. Nein, sie fragte, ob Axilla bei der Acta arbeiten wollte. Arbeiten. Bei der Acta. Als Subauctrix. So richtig. So richtig richtig. Atmen! kam irgendwo ein Stimmchen in ihrem Geist, und sie merkte, dass Luftholen doch lebensnotwendig sein könnte, ehe man äußerst unvorteilhaft noch in Ohnmacht fiel. “Ähm...“, machte sie erst einmal rhetorisch defizient und ordnete nochmal die Artikel, um sie der Decima zurückzureichen. Sie musste ihre Gedanken erst einmal einen Moment sammeln, ehe sie darauf vernünftig antworten konnte.
    “Das... ist ein großzügiges Angebot. Ich meine... bist du sicher, dass du das möchtest?“ Axilla schaute ein wenig zweifelnd aus der Wäsche. Irgendwie ging das nicht in ihren Kopf, wie die Situation damals und die Situation jetzt zusammenpassten.

  • Seiana nahm die Gratulation mit einem schlichten Nicken entgegen, bevor sie schon weitersprach. Und was sie zu sagen hatte, schien die Iunia vollkommen zu überraschen, wenn Seiana die Zeichen richtig deutete. Nun, in diesem Fall gehörte wohl nicht viel dazu, die Zeichen richtig zu deuten. Die Verwunderung stand Axilla ins Gesicht geschrieben, und auch, als sie dann endlich verbal reagierte, merkte man ihr an, dass sie sich noch nicht gefasst hatte – nicht genug jedenfalls, um etwas Adäquates zu entgegnen. Für einen winzigen Moment schürzte Seiana missbilligend die Lippen, bevor sie sich wieder im Griff hatte. Ein Teil von ihr fühlte sich fast gekränkt, weil die Iunia ihr anscheinend nicht zuzutrauen schien, professionell zu sein. Weil sie ihr nicht zuzutrauen schien, dass sie ihre Arbeit, ihre Aufgabe, ihre Verantwortung als Auctrix über ihre persönlichen Interessen stellte. Glaubte sie denn, es machte ihr Spaß, hier zu sein und Axilla dieses Angebot zu machen? Oder war sie etwa auf noch mehr Lob aus, noch mehr Komplimente über ihre Schreibkunst? Erwartete sie gar, dass Seiana anfing zu bitten? Aber das konnte sie vergessen. „Ich bin mir sicher“, erwiderte sie, und ihr Tonfall wurde um einige Nuancen kühler, wegen ihrer Vermutungen über Axillas Motive und weil sie sich nun gezwungen sah, diese leidige Sache wenigstens andeutungsweise zu erwähnen, was sie lieber vermieden hätte. „Ich weiß, dass wir bei weitem nicht das haben, was man eine ideale Arbeitsbasis nennen könnte. Aber die Acta braucht Schreiber wie dich.“ Und das war mit Sicherheit das letzte Kompliment, dass die Iunia für heute aus ihrem Mund hören würde. Seiana sah überhaupt nicht ein, ihr Honig ums Maul zu schmieren, so weit würde sie dann doch nicht gehen, um eine gute Schreiberin für die Acta zu halten oder gar als Subauctrix zu gewinnen. Nimm an oder lass es bleiben, lag Seiana eigentlich auf der Zunge, und der Tonfall bei diesen Worten wäre deutlich anders aufgefallen als der zwar kühle, aber immer noch zurückhaltende, höfliche, der ihre Stimme färbte in diesem Gespräch. Er wäre pampig gewesen, fauchend. Sie war immerhin hier, das allein bedeutete doch schon, dass sie über ihren Schatten gesprungen war. Die Iunia musste darauf nicht auch noch herumreiten. Aber wie so häufig beherrschte Seiana sich nahezu mustergültig. „Das Angebot ist ernst gemeint. Es liegt an dir, es anzunehmen.“

  • Axilla war sich nichtmal sicher, ob sie beide überhaupt irgendeine Basis miteinander hatten. An eine Arbeitsbasis konnte sie da nicht einmal denken. Sie wusste immer noch nicht, was Seiana damit bezwecken wollte, und ein kleines, warnendes Stimmchen wurde immer lauter. Nicht ganz so laut wie das Atmen-Stimmchen, aber immerhin. Vor allem, da Seiana wieder wütender zu werden schien, denn ihre Stimme war nicht mehr so ruhig und gelassen wie eben, ebensowenig ihre Augen.
    Axilla biss sich kurz auf der Unterlippe herum. Was würde es bedeuten, wenn sie annahm? Was, wenn sie ablehnte? Eigentlich mochte sie es, immer wieder einen Artikel zu schreiben. Wenn ihr denn was brauchbares einfiel. Sie fühlte sich dann wichtig, weil sie etwas zur Information ihrer Mitmenschen beitrug. Wenn sie annahm, dann war das offiziell, nicht mehr so anonym.
    Und wenn sie ablehnte? Vermutlich würde Seiana sie dann auch gar nichts mehr schreiben lassen. Vermutlich wäre das ein Schlag ins Gesicht der Auctrix. Ein weiterer, immerhin hatte Axilla ihr den verlobten ausgespannt, selbst wenn sie das nie beabsichtigt hatte. Es war nunmal passiert, und Axilla konnte es ja sogar verstehen, dass Seiana sie deshalb nicht mochte. Obwohl sie sich entschuldigt hatte. Obwohl es ihr wirklich leid tat. Jetzt sogar fast noch mehr als früher. Wäre sie nicht gewesen, wer weiß, vielleicht wäre Archias mit Seiana glücklicher gewesen und wäre dann nicht vom Felsen gesprungen? Wer wusste das schon zu sagen?


    Axilla überlegte ein wenig und blickte immer wieder unsicher auf. “Wird diese Arbeit auch möglich sein, wenn ich eine andere Stelle annehme? Ich muss dazu nicht ins Domus der Acta, oder?“ Axilla hatte keine Ahnung, wie das genau funktionieren würde. Sie wollte im Grunde annehmen – allein schon, weil sie sich nicht traute, abzulehnen. Aber das wollte sie zumindest noch fragen.

  • Seiana, die sonst die Geduld in Person sein konnte, wenn sie wollte, spürte, wie sie ungeduldig wurde. Und das war eine nicht sonderlich angenehme Erfahrung für sie, ebenso wenig wie die, dass die Iunia es ein ums andere Mal zu schaffen schien, ihr wenigstens einen minimalen Teil ihrer Fassung zu rauben. Aber nicht mit ihr. Sie würde sich nicht gehen lassen, das hatte sie sich fest vorgenommen, gleich was geschehen war, gleich wie die Iunia sich verhielt. Diese Unsicherheit, die ihr ins Gesicht geschrieben stand, würde auch nicht dazu beitragen, dass Seiana sie nun erst recht anfauchte, obwohl es genau das war, was sie eigentlich wollte. Es war doch im Grunde so einfach – sie sollte das Angebot annehmen oder ablehnen. Sie konnte sich auch Bedenkzeit ausbitten, wenn sie das wollte. Aber sie sollte nicht hier sitzen und sie ansehen mit diesem unschuldigen, unsicheren Blick, der zu implizieren schien, dass sie irgendetwas von Seiana erwartete. Aber sie konnte nichts erwarten von ihr. Es wäre dreist von ihr, täte sie es, nach allem was passiert war. Es war doch genug, dass Seiana überhaupt hier war und ihr dieses Angebot machte, das war keineswegs selbstverständlich, fand sie, und da erneut brüllte der Teil in ihr auf, der Iunia tatsächlich am liebsten zerfetzen wollte. Nicht weil sie Caius etwa vermisste, das hatte sie hinter sich gelassen, und es war nicht einmal allzu schwer gewesen, weil es schon länger nicht mehr gestimmt hatte zwischen ihnen. Schon vor ihrer Abreise aus Ägypten nicht mehr, wenn sie genau darüber nachdachte. Nein, das war es nicht. Aber die Iunia hatte ihr dennoch etwas weggenommen, was rechtmäßig ihr zugestanden hätte. Sie hatte sich dazwischen gedrängt. Sie hatte sich einen Aelier geschnappt, und sie war noch dazu jünger als sie und anders, wie Caius so schön betont hatte. Ja, es gab einen Teil in ihr, der der Iunia das nach wie vor übel nahm, mehr als übel, und der sie dafür zerfetzen wollte. Aber sie war stärker als dieser Teil, und sie beherrschte sich. Sie. würde. nicht. die. Fassung. verlieren.


    Wieder nippte sie an ihrem Becher und wartete darauf, dass Axilla erneut das Wort ergriff, dass sie antwortete, und die Zeit, die sich die Iunia nahm zu überlegen, half auch ihr, sich wieder völlig unter Kontrolle zu bekommen. Und auch die nächste Frage trug dazu bei, dass Seiana wieder ruhiger wurde, beherrschter. Es war eine Frage zu den Konditionen, eine Frage, die mehr als gerechtfertigt war und die sie erwartet hatte. Nicht das unsichere Bist du dir sicher von zuvor. „Ja, sie wird auch dann möglich sein. Es gibt einige Subauctoren, die noch anderer Arbeit nachgehen. Ich möchte nur darüber informiert werden, damit ich weiß, mit wem ich wie planen kann. Und du solltest dir dennoch deine Zeit gut einteilen und dir überlegen, ob du – so du eine andere Stelle annimmst – genug für beide investieren kannst. Aber darüber können wir reden, wenn es so weit ist.“ Wieder eine Pause, die sie nutzte, um die Iunia zu mustern, bevor sie fortfuhr: „Du kannst im Domus der Acta arbeiten, musst aber nicht. Wenn du Subauctrix wirst, wird in jedem Fall ein Schreibtisch dort für dich bereit gestellt. Manchmal hilft die Atmosphäre dort, aber wo du schreibst, bleibt letztlich dir überlassen, solange von dir einigermaßen regelmäßig Artikel eingereicht werden. Und solltest du feststellen, dass du es vorziehst Zuhause zu schreiben, dann solltest du in regelmäßigen Abständen im Domus der Acta vorbei sehen. Es kann von Nutzen sein, sich mit den anderen Schreibern auszutauschen, und es werden dort auch interessante Themen zusammen getragen, bei denen du vielleicht fündig wirst.“

  • Axilla merkte nicht wirklich, wie ungeduldig die Decima wurde, während sie überlegte. Und wenn sie es gewusst hätte, hätte sie vermutlich äußerst kontraproduktiv nur umso intensiver überlegt, was sie tun sollte. Und so dauerte es ja schon eine ganze Weile, bis sie endlich etwas gesagt hatte.
    Seiana hingegen antwortete wiederum recht schnell und klärte Axilla darüber auf, wie das ganze geschehen würde. Ein Schreibtisch im Haus, und ab und zu sollte sie vorbeikommen. Sich austauschen mit den anderen Schreibern. Das würde helfen. Axilla erwähnte jetzt besser nicht, dass sie ihre Artikel meist im Garten schrieb, an die Statue eines Satyrn oder aber den großen Baum gelehnt, die barfußen Füße lässig übereinander geschlagen und einen Grashalm im Mundwinkel. Oder aber im Fenster sitzend und auf den Regen starrend, der so nah auf das Dach prasselte, dass sie nur den Arm ausstrecken musste, um ihn zu fühlen. Oder aber, wenn sie richtig wütend war und dann einfach im Atrium die nächstbeste Säule als Schreibstütze missbrauchte und eine Wachstafel malträtierte. Das war in diesem Moment wohl sehr unklug.
    Axilla biss nur weiter auf ihrer Unterlippe herum und nickte dann langsam. “Wenn ich nicht die nötige Zeit aufbringen kann, würde ich kündigen.“ Man machte eine Sache nicht nur halb. Man machte sie ganz oder gar nicht. Halbe Sachen waren nie gut, sie verbrauchten nur zuviele Ressourcen und brachten nichts ein. Nein, wenn, dann würde Axilla es so machen, dass sie entweder für beides Zeit hatte oder aber bei der Acta kündigte. Sofern sie überhaupt eine andere Stelle bekäme.
    “Und die Vergütung bleibt gleich? Pro eingereichtem Artikel, der veröffentlicht wird?“

  • Seiana zwang sich zur Geduld, auch wenn es ihr schwer fiel in diesen Augenblicken. Sie hatte das Gefühl, die Iunia machte das mit Absicht, um sie zu reizen. Aber genau deshalb durfte sie noch weniger als ohnehin schon sich von Ungeduld leiten lassen. Sie wartete einfach, scheinbar ungerührt, nur ihre Miene versteinerte doch ein wenig, und antwortete Axilla, als diese endlich ihre Fragen stellte. Was die Iunia wiederum von dem hielt, was Seiana ihr sagte, vermochte sie nicht so recht zu sagen. Sie wirkte nur weiter unsicher. Sie biss auf ihrer Unterlippe, bemerkte die Decima, und sie fragte sich, warum um alles in der Welt sie das tat. Fast erwartete sie, dass Axilla im nächsten Augenblick ihre Beine unter sich zog und sich darauf setzte, so wie es damals getan hatte, als sie aus Ägypten gekommen war und ihren Onkel Livianus hatte sehen wollen. Es gab hier aber nichts, weswegen sie so unsicher sein könnte. Das Angebot hatte keine Haken und keine Hintergedanken. Und sie, Seiana, war mit Sicherheit nicht so furchteinflößend. Zumindest war sie selbst davon überzeugt – aber sie hatte sich auch selbst noch nie erlebt. Wie sie sein konnte, wie sie wirkte, wenn sie ihr kühles Gebahren derart nach außen trug.


    Seiana nickte nur, als Axilla davon sprach zu kündigen, falls ihre Zeit nicht ausreichte, überlegte aber insgeheim, ob das ein Zeichen dafür war, dass sie einer anderen Arbeit den Vorzug geben würde, so sie eine bekam. Sie fragte allerdings nicht nach. Es reichte ihr, dass die Iunia versicherte, Konsequenzen zu ziehen, sollte ihre Zeit nicht reichen. „Die Vergütung bleibt gleich“, bestätigte sie. „Hast du noch weitere Fragen?“

  • Irgendwie konnte Axilla noch immer nicht fassen, dass das gerade passierte. Saß da wirklich Decima Seiana und bat sie, Subauctor der Acta zu werden? So richtig offiziell. Diese Szene hatte etwas so surreales, dass nur der beginnende Schmerz in Axillas Unterlippe ihr bewusst machte, dass sie wirklich nicht träumte. Von allen Dingen, die sie je vorausgeplant oder vorhergesehen hatte, war von dieser Sache nicht einmal die Möglichkeit in ihrem Kopf gewesen. Nicht nach dem letzten Gespräch, das sie beide gehabt hatten.
    Axilla überlegte, ob dies der passende Zeitpunkt für eine weitere Entschuldigung wäre. Vielleicht, wenn sie schon bereit war, mit ihr zu reden, ja vielleicht war sie dann auch bereit, ihr zu verzeihen? Oder zumindest, ihre Entschuldigung anzunehmen. Archias war tot, der Grund für ihre Differenz würde bald verbrannt sein. Vielleicht... Axilla sah kurz auf, ließ es dann aber bleiben. Fortuna sollte man nicht herausfordern.


    “Nein, keine weiteren Fragen. Erhalte ich dann einen Vertrag, oder genügt dieses mündliche Abkommen?“ Gut, das war doch nochmal eine Frage, aber die letzte, die wichtig war.

  • Endlich schien Axilla sich gefasst zu haben, genug, um das Gespräch vernünftig weiter zu führen. Seianas Befürchtung, sie könnte noch einmal darauf zu sprechen kommen, ob sie sich auch sicher war, ob das gut wäre oder was auch immer wurde geringer. Wahrscheinlich, so vermutete sie, hatte die Iunia einfach gemerkt, dass sie damit nicht weit kam, nicht bei ihr. In jedem Fall brachte sie Seiana dadurch nicht dazu, zu versuchen sie zu überreden oder gar tatsächlich zu bitten. Hätte sie weiter gebohrt, hätte sie sie eher dazu gebracht zu verschwinden. Mochte sie bei anderen damit Erfolg haben, bei Seiana hatte sie keinen, und das musste sie wohl gemerkt haben. „In der Regel genügt das mündliche Abkommen. Wenn du es wünschst, können wir jedoch gern eine schriftliche Vereinbarung aufsetzen.“

  • Axilla schüttelte einfach den Kopf. “Nein, das ist nicht nötig. Ich vertrau deinem Wort.“
    Abgesehen davon, dass es ihr sowieso nicht so wichtig war, den Schreibtisch im Haus der Acta zu haben, sondern viel wichtiger, weiterhin Artikel schreiben zu dürfen. Und das durfte sie. Dafür genügte die mündliche Zusage, dafür brauchte sie nicht extra ein schriftliches Abkommen.
    "Gibt es noch etwas, das du besprechen möchtest?" fragte Axilla schließlich noch mit freundlichem Tonfall, wenngleich ihr ihre Verwunderung doch noch anzumerken war. So richtig fassen konnte sie es nicht, was geschehen war.

  • Vermutlich war es Axillas Glück, dass ihr das mündliche Abkommen genügte. Hätte sie nun auf etwas Schriftlichem bestanden, wäre das zwar ihr gutes Recht gewesen, hätte Seiana aber durch dieses offen gezeigte Misstrauen endgültig und ein für allemal gekränkt. So aber nickte die Decima nur erneut, halbwegs zufrieden diesmal, und brachte sogar ein Verziehen ihrer Mundwinkel zustande, das mit viel gutem Willen als schmales, wenn auch nicht echtes Lächeln durchgehen mochte. Sie ignorierte die Verwunderung, die der Iunia nun wieder anzumerken war, was ihr diesmal leichter fiel, war die Sache doch nun erledigt. Ihre Frage allerdings rührte etwas an in ihr. Einen Moment zögerte Seiana. Nun, wo das mit der Acta geklärt war, konnte sie nicht mehr verhindern, dass ihr die Frage nach Caius auf den Lippen lag. Warum er sich umgebracht hatte. Was geschehen war. Sie... wollte es wissen. Sie hatte Caius lange genug gekannt, um sich trotz des Bruches zwischen ihnen dafür zu interessieren. Sie wollte wissen, ob etwas schief gelaufen war zwischen den beiden, ob es eben doch nicht das gewesen war, für Caius, für Axilla. Sie wollte nicht zurück, das ganz sicher nicht. Caius hatte sie betrogen, und er hatte sie belogen, und das war für Seiana unverzeihlich – hätte er das Bett mit einer Sklavin oder Lupa geteilt, oder wäre er wenigstens ehrlich gewesen, dass er eine Affäre hatte, weil sie sich ihm vor der Hochzeit verweigert hatte, wäre es vermutlich anders gekommen. In jedem Fall hätte Seiana damit leben können. Aber das hatte er nicht. Es war keine Sklavin oder Lupa gewesen, die nur der Lustbefriedigung diente, und er hatte es ihr nicht gesagt. Er hatte es verschwiegen. Er hatte ihr sogar verschwiegen, dass er sich mit der Iunia überhaupt so gut angefreundet hatte. Hierin lag der eigentliche Betrug, hierin lag das, was Seiana nicht verzeihen konnte, ihm nicht, ihr nicht. Und ja, sie wollte wissen, ob Caius' Freitod letztlich das Resultat dieses Betrugs, dieses Fehlers war, den er begangen hatte. Es hätte ihr Genugtuung verschafft, wäre es so. Und obwohl sein Abschiedsbrief an sie bereits darauf hindeutete, hätte sie es gern auch aus dem Mund der Iunia gehört.


    Aber sie sagte nichts, sprach nichts davon aus. Stattdessen schüttelte sie nur leicht den Kopf, so wie die Iunia zuvor. „Nein, das wäre alles von meiner Seite. Komm in den nächsten Tagen bitte zum Domus der Acta, damit du dort vorgestellt und eingewiesen werden kannst. Auch wenn du nicht häufig dort sein solltest, möchte ich dass du die Abläufe dort kennen lernst.“

  • Seiana überlegte etwas. Ihre anderen Antworten kamen schneller, aber für einen Moment zögerte sie. Lange genug, als dass Axilla es bemerkte. Und lange genug, um die gerade etwas abgeflaute Nervosität wieder aufkeimen zu lassen. Vielleicht überlegte sie ja dasselbe wie Axilla? Vielleicht wollte sie ja gerne, dass es zu einer Aussöhnung kam, jetzt, wo er tot war? Vielleicht, ja ganz vielleicht, konnte sie ihr vergeben? Vielleicht war sie ja doch nicht so ein Eisklumpen? Vielleicht...
    Nun, vielleicht aber auch nicht. Seiana sagte, sie habe keine weiteren Fragen und merkte nur an, dass Axilla in den nächsten Tagen in der Acta vorbeisehen sollte. “Sobald die Beerdigung vorbei ist, werde ich es einrichten.“ Davor würde sie sich wohl kaum lange genug frei nehmen können, um das vernünftig durchführen zu können. Vor allem würde es davor auch ein sehr seltsames Licht auf sie werfen. Seltsamer als das, das Archias' Tod schon allein aufwarf.
    “Dann danke ich dir für deinen Besuch, dein Angebot und dein Beileid. Ich denke, wir sehen uns dann bisweilen im Domus der Acta.“ Wenn es sonst nichts mehr zu bereden gab, konnte man sich verabschieden. Axilla komplementierte Seiana zwar bei weitem nicht hinaus, aber sie wollte sie auch nicht aufhalten, wenn sie gehen wollte, und signalisierte so auf freundliche Art, dass eine Verabschiedung jetzt möglich war. Ein wenig hatte sie ja doch gelernt

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