Axilla hatte mit vielem gerechnet. Natürlich hatte sie nicht gedacht, dass Seneca einfach so das alles hinnehmen würde – auch wenn sie es sehr stark gehofft hatte. Sie hatte erwartet, dass er sie zur Rede stellen würde. Auch wenn sie nach wie vor nicht wusste, was sie falsches getan haben sollte. Dass er toben, sie vielleicht sogar anschreien würde. All das.
Aber das, was er dann schließlich sagte, war doch sehr viel erschreckender und schrecklicher als alles, was sie sich ausgemalt hatte. Er warf ihr vor, die Familie in Gefahr gebracht zu haben! Und das war etwas, was Axilla persönlich nahm und was sie verletzte. “Was hab ich denn getan?! Du redest von Verschwörung und von Gefahr! Aber was hab ich denn getan? Ich bin LECTRIX bei der Acta. Mir wäre neu, dass das eine verbotene Straftat ist, wegen der man bei irgendwem Betteln muss! Ich LESE TEXTE! Das kann doch die ganze Welt wissen?!“ Axilla verstand wirklich kein Wort von dem, was Seneca da sagte. Aber sie verstand das Gefühl, das sie bei seinen Worten hatte.
Sie hatte Angst. Wie eine kalte Hand legte sie sich um Axillas Herz und drückte immer weiter und weiter zu, je länger Seneca redete. Jeder, der du liebst, geht weg oder stirbt. Jeder verlässt dich, hallte eine gehässige Stimme durch Axillas Geist. Und auch jetzt konnte sie sehen, wie Seneca es tat. Wie er sich von ihr abwandte, sie nicht ansah.
Was sie dann aber zum ersten Mal wirklich traf, tief wie ein Speer in ihre Eingeweide, waren seine folgenden Worte. "Du hast mich belogen Axilla, du die mir von allen am meisten bedeutest, hast mich in eine Lage gebracht die mich in den Abgrund hätte reißen können. Ich habe auf Messersschneide balancieren müssen während du mich scheinbar als deinen Feind betrachtet hast."
Sie stand an einer der Säulen, die die Decke hielten, und taumelte wie getroffan einen Schritt zurück dagegen. Wäre die Säule nicht dagestanden, vermutlich wäre sie gestürzt, als ihre Knie zu zittern anfingen und sie nicht mehr tragen wollten. “Ich hab dich nicht belogen“, kam es hilflos und leise über ihre Lippen, als sie sich immer mehr nach hinten an dem kalten Stein abstützen musste, um nicht zu fallen. Siehst du, er verlässt dich, meinte die Stimme besserwisserisch und trieb Axilla damit die Tränen in die Augen. Ihre Kehle schnürte sich zu, und einen Moment meinte sie, nicht mehr atmen zu können. Eine Hand legte sich um ihren Brustkorb, der mit einem Mal ganz schrecklich zu schmerzen begann. “Ich... du bist nicht mein Feind. Ich liebe dich doch... ich... Die Tränen tropften jetzt, rannen dick aus ihren Augen, und doch merkte Axilla es gar nicht so richtig. Sie verstand nicht, was sie falsch gemacht hatte. Sie hatte doch nichts getan! Sie hatte Seneca doch nie etwas getan, nicht ein Wort gegen ihn. Ihr wäre nie eingefallen, ihre Hand gegen ihn zu erheben.
In ihrem Kopf drehte sich alles, und vor lauter Schwindelgefühl wurde ihr furchtbar schlecht. Am liebsten wollte sie sich übergeben. Und doch konnte sie jetzt nicht weg. Sie wollte nicht, dass Seneca ging. Sie verstand das hier nicht. “Bitte...“, bettelte sie, und wusste nicht einmal, worum sie bettelte. Sie wollte doch nur, dass alles gut war. Sie hatte doch nichts Falsches getan!