Wenn Lucilla eine Reise tut ...

  • Von der Casa Decima kommend zieht die kleine Reisegesellschaft durch die Hauptstraßen Roms, überquert den Tiber an der Pons Neronianus, und gelangt so bis vor die Tore der Stadt, bis Nahe der Horti Agrippinae, wo der Reisewagen mit dem Gepäck wartet. Es nicht nicht wenig Gepäck - obwohl Lucilla immer dafür sorgt, dass die Einzelteile sehr platzsparend verpackt werden, gelingt es ihr nicht, mit wenig zu reisen. Wer weiß schon, was sie in Germania erwartet? Möglicherweise würde sie ihren Bruder zu irgendeinem offiziellen Anlass oder einem Gastmahl begleiten, dafür bräuchte sie angemessene Kleidung. Dann ist die Frage nach der Witterung - von Sturm über Regen bis hin zu Schnee rechnet Lucilla mit jedem Wetter, daher ist sie für alle Fälle gerüstet. Außerdem bezweifelt sie, dass man in dieser rückständigen Provinz im Notfall auf die Märkte zugreifen könnte, also bleibt ihr nichts übrig, als alles aus Rom mitzunehmen.


    Nachdem sie die Sänfte verlassen hat, steigt Lucilla in den Reisewagen um. Ambrosius ist der einzige, der mit in den Wagen darf, die übrigen Sklaven werden ihn zu Fuß begleiten. Lucilla hat darauf geachtet, dass es kräftige Männer sind, die nun außerhalb des Pomerium mit Waffen ausgerüstet werden. Bis Mantua wäre dies auf jeden Fall Schutz genug und dort würde sie Livianus nach seiner Meinung fragen. Er war immerhin lange genug in Germania um die Situation dort zu kennen.


    Auf der Via Triumphalis entlang fährt der Wagen los und die Reise beginnt. Erstes Ziel: Mantua - Stadt der Konservativen und Standort der Legio I. Über die guten gepflasterten römischen Straßen fährt es sich vorerst recht gemütlich und Lucilla freut sich schon auf den Zeitpunkt, wenn sie die Westküste Italias erreichen und der Weg sie entlang des Mare Nostrums nach Norden führen wird.



    /edit: die Punkte, die Punkte ... :D

  • Der Reisewagen rumpelt langsam die Straße entlang. Aus der Stadt heraus herrscht zu dieser frühen Stünde kaum Verkehr, nur in die andere Richtung - nach Rom hinein - stauen sich die Wägen. Doch bald werden auch die entgegenkommenden Reisenden weniger, der Wagen erreicht die Küstenstraße nach Norden und Lucilla kann ihren Blick nicht vom Meer wenden. Ein frischer Wind weht heran, löst einige Strähnen aus ihren zusammengebundenen Haaren und lässt sie in der Luft tanzen.


    "Eines Tages werden wir wieder am Meer wohnen, Ambrosius. Das hat überhaupt auch praktische Gründe - nirgends ist der Fisch so frisch wie in einer Stadt mit Hafen und auch die Exportwaren kommen viel direkter an." Sie zieht den Duft nach Meeresluft tief ein. "Vielleicht hätten wir doch ein Schiff bis Pisae nehmen sollen, schau, dort hinten segelt eines, das hätte uns sicher mitgenommen."


    Sie seufzt zufrieden. "Früher habe ich manchmal die Söhne der Fischer beneidet, die mit ihren Vätern aufs Meer hinaus fahren durften. Mein Vater dagegen ist nur Soldat gewesen, weshalb ich ihn noch nichteinmal richtig kennengelernt habe." Sie lacht und lehnt sich wieder zurück. "Heute ist mir klar, dass die Söhne ihre Väter nicht begleiten dürfen, sondern müssen, während die Töchter der Fischer ihren Müttern beim Ausnehmen der Fische helfen. So gesehen bin ich doch ganz froh, dass mein Vater bei den Truppen war und so auch noch für das Bürgerrecht unserer Familie gesorgt hat. Obwohl das Ausnehmen von Fischen manchmal sicher spaßiger gewesen wäre, als diese elende Weberei und Stickerei."


    Auf der dem Meer gegenüberliegenden Seite des Wagens zieht flaches Land vorbei. Auf einigen Feldern wird noch die Ernte eingebracht, dazwischen ziehen ab und zu Schafherden umher, immer wieder aufgehalten durch große Olivenhaine.

  • Mit der Landschaft zieht sich auch die Zeit dahin, und einen Tag später verlässt der Wagen den Küstenverlauf bei Pisae, um zwischen dem nördlichen und südlichen Apuani die Mitte Italias zu erreichen und dort hinauf nach Norden zu ziehen. Die Straße ist etwas schlechter, als diejenige an der Küste und natürlich geht es nicht mehr auf flacher Ebene voran. Von der Mehrbelastung der Pferde und der Anstrengung der Fußsklaven bekommt Lucilla jedoch nicht viel mit. Sie hat die letzte Nacht ausgesprochen gut in einer Mansio verbracht - seit langer Zeit hatte sie die Übernachtung bezahlen müssen - und erfreut sich wieder an der Landschaft um sie herum, während sie Ambrosius einen Schwank nach dem anderen aus ihrem Leben erzählt.


    Gesprächsfetzen und Lachen wabern durch die warme Septemberluft. "... weißt du, eine Zeit lang wollte ich auch mal Vestalin werden. Kannst du dir das vorstellen, ich hätte ... " Ein Hügel später. "... und dann hat sich Meridius tatsächlich die Kuh genommen und ..." Um die nächste Biegung herum. "... weil Großtante Drusilla in ganz Rom keine Goldbrosche gefunden hat ..." Eine Furt, wo sie einen kleinen Fluss durchqueren. "... hat Mattiacus die Farbe genommen und die Wand im Triclinium ..." Bald ist die Straße nach Norden erreicht. "... meine Güte, ich habe vielleicht einen Hunger. In der nächsten Mansio machen wir Rast! Das erinnert mich an die Fahrt, als Martinus und Magnus mich mitgenommen haben nach ..." Der Tag scheint kein Ende zu nehmen, ebensowenig wie Lucillas Gesprächstehmen - oder eher Monologthemen. :]

  • Tjaha, es war wieder soweit. Wieder einmal eine Reise und wieder einmal geht es an den A.... der Welt. X( Ich frage mich wirklich, warum wir nicht in Rom bleiben können, hier haben wir doch alles! Ich wette, dass dort in der Wildnis sicher kaum etwas zum einkaufen gibt. :fad:


    *seufz*


    Na gut, ändern kann ich es ohnehin nicht.


    "Nein, wirklich?" *prust* "Ihr Götter, wer hat dir das denn eingeredet..." Etwas später. "Wieso macht er denn das?..." Wieder etwas später. "... hat er dann Schelte bekommen?" *rofl* "... aber sie hätte doch ganz einfach nur etwas Purpur nehmen müssen..." Hups, da war jetzt ein Stein auf der Strasse. "... nein, wenn ich es dir doch sage, mit ein wenig Wasser und Bimsstein..." Und zweimal Schaukeln danach. "... ganz genauso wie der Adoptivsohn meines vorigen Herrn, der hat stääändig den armen Hund drangsaliert, das arme Vieh, ich sags dir, keine Ruhe hatte man..." Nanu! So schaukelig ist die Strasse ja gar nicht! "... und so hässlich war die, dass ich mich noch heute frage, wie die einen Mann an Land ziehen konnte, aber anscheinend hat sie andere Qualitäten, und ich rede nicht vom Geld ihres Vaters, das wirklich nicht..." *tratsch* "Ohja unbedingt, ich habe auch schon Hunger..." *schnatter*


    Monologthemen? Pah! Wenn ich mal in Fahrt bin... ;)

  • Nachdem Ambrosius dann doch noch kurz vor Mittag endlich aus seinem Halbschlaf erwacht, geht die Fahrt noch schneller vorbei. Lucilla hat schon bemerkt, dass ihr Sklave Frühs manchmal etwas letschert ist, er bräuchte auch eine Getränk, das seinen Genius in Gang bringt - auch wenn sich Lucilla nicht sicher ist, dass Sklaven soetwas übrhaupt haben. ;)


    Aus diesem Umstand heraus zieht sich dann auch das Mittagessen etwas länger hin, als geplant - während des Redens lässt sich einfach so schlecht kauen - und die zurückgelegte Wegstrecke würde bis zum Abend nicht so groß sein wie geplant. Daher würden sie Mantua wohl nicht wie ursprünglich geplant am nächsten Tag vor Mittag erreichen, sondern erst gegen Nachmittag. Aber da sich Lucilla eh nicht an einem speziellen Tag angekündigt hat, ist das nicht so wichtig.


    Die Fahrt geht weiter und bald hängt Lucillas Blick wieder fasziniert an der Landschaft, dieses Mal an den Bergen, die sich um sie herum erstrecken. "Die Alpen, unglaublich! Weißt du, Ambrosius, vielleicht werden wir irgendwann auch in den Bergen leben. Nirgends gibt es immer Eis, außer am Fuß der Alpen. Außerdem habe ich gehört, dass die Kühe dort viel bessere Milch geben. Mit Praetorianus war ich mal in den Pyrenaei, also nicht richtig in den Bergen, sondern eher außen drum herum, aber es war trotzdem beeindruckend. Aber ich glaube nicht, dass sie so hoch sind wie die Alpen."
    Ein fröhliches Funkeln liegt in ihren Augen, der Blick ist noch immer auf die Berge gerichtet, als sich einer von den Fußsklaven räuspert. "Herrin, ich glaube, dies sind noch nicht die Alpen."
    "Ach nein?"
    "Nein."
    "Naja, aber trotzdem beeindruckende Berge, nicht wahr?"
    "Ich glaube, man bezeichnet sie noch nicht als Berge, Herrin, sondern als Hügel."
    "Oh, aber sie sind trotzdem ziemlich hoch? Oder nicht?" Ein Blitzen in ihren Augen und ihr Tonfall überzeugen den Sklaven davon, dass es besser wäre, ihr zuzustimmen.
    "Natürlich, Herrin."
    "Gut." Lucilla lehnt sich grummelnd zurück und hat für den Rest des Tages schlechte Laune. Die Hügel um sie herum findet sie jetzt auch doof, man sieht überhaupt nicht, wo man hinfährt, außer ständig zwischen Hügeln und Bergen hindurch, und das Meer ist überhaupt nicht zu sehen.


    Die Nacht verbringen sie wieder in einer Mansio irgendwo zwischen Bononia und ihrem Ziel. Am nächsten Morgen dann geht die Fahrt mit guter Laune weiter, denn Mantua, das Ziel, ist nicht mehr weit.

  • Von Bononia aus führt die Reise nach Brixillum und weiter nach Norden. Sie überqueren den Padus an einer Furt und nähern sich unaufhaltsam Mantua, bis sie die Stadt nach Mittag dann sehen können.


    "Das ist es?" fragt Lucilla mit skeptischem Blick.
    "Ja, Herrin, das ist Mantua. Wusstest du, dass es von den Etruskern nach ihrer Unterweltsgöttin Mantus benannt ist?"
    "Tatsächlich?" Lucilla kichert. "Na hoffentlich ist es nicht heute noch ein Teil der Unterwelt. Ich war ja schonmal kurz hier, aber irgendwie hatte ich es größer in Erinnderung. Merkwürdig, na egal. Lasst uns zuerst zum Castellum der Legio und Livianus unsere Ankunft melden."

  • Von Mantua aus zieht der nun nicht mehr ganz so kleine Reisetross in Richtung Norden. Livianus will tatsächlich quer durch die Alpen reisen, es wäre zu dieser Jahreszeit immerhin völlig ungefährlich, und was bleibt Lucilla schon übrig als ihm zu vertrauen. Außerdem reisen viele Tabellarii über die Alpen und zurück, also würde sie das schon auch noch schaffen.


    "Sind wir bald da?"
    "Nein."
    Lucilla grummelt.


    Etwas später.
    "Sind wir bald da?"
    "Nein."
    Lucilla verdreht die Augen.


    Noch etwas später, aber nicht viel.
    "Sind wir bald da?"
    "Ja."
    "Tatsächlich?"
    "Nein."
    Lucilla seufzt.


    Irgendwann gibt sie es auf. Sie sitzt im Reisewagen, zieht sich ihre Palla über den Kopf und tief in die Stirn und versucht ein wenig zu schlafen.


    Eine ganze Weile später bleibt der Wagen mit einem Ruck stehen. Lucilla schreckt aus dem Dämmerschlaf hoch und hängt ihren Kopf aus dem Fenster. "Bei den Göttern! Wir sind ja schon mittendrin! Warum weckt mich denn keiner?!" Mit großen Augen schaut sie in die Landschaft, von der jedoch nicht viel zu sehen ist. Denn die Landschaft hört in einigen hundert Passus einfach auf wo sie an einem gewaltigen Berg endet. Auch voraus versperrt ein Berg den Weg und auf der anderen Seite sieht es nicht besser aus. "Atemberaubend!" Lucilla starrt immer noch nach draußen auf die Berge der Alpen, als die etwas trägen Pferde den Wagen wieder anziehen und die Fahrt weitergeht. "Aber wohnen wollte ich hier nicht, man ist ja völlig eingeengt. Sicher schlägt das aufs Gemüt."

  • Obwohl es immer wieder so aussieht, als würde der Weg zwischen den Bergen enden ist dies natürlich nicht der Fall. Die Reise mit den Legionären jedoch ist auch so anstrengend genug, denn im Gegensatz zu Lucilla, die gerne gemütlich mit vielen Pausen reist, können die Soldaten fast in einem fort den ganzen Tag durchreiten. Irgendwann erwischt sich Lucilla dabei, wie sie sich Gedanken darüber macht, dass diese Reiter alle ziemlich knackige Hinterteile haben müssen und dass sie bei der nächsten Rast mal darauf achten muss. Sobald sie sich des Gedankens bewusst wird, schießt ihr sofort die Röte in die Wangen und sie zieht ihren Kopf schnell aus dem Fenster zurück in den Reisewagen, wo sie keiner sehen kann.


    Auch in der Nacht müssen Abstriche gemacht werden. Natürlich bauen die Legionäre direkt ein kleines Lager auf, aber im Gegensatz zu ihren abenteuerlustigen Brüdern und Cousins, welche dieses Leben reizen mag, findet Lucilla nichts an einem Feuer, über dem in einem kleinen Topf, der gleichzeitig Trinkgefäß ist (natürlich nicht dann, wenn er zum Kochen verwendet wird), ein matschiger Brei für das Abendessen zubereitet wird. Das war unter anderem auch einer der Gründe, weshalb Lucilla über Gallien reisen wollte, denn dort ist die Strecke besser mit Mutationes bestückt, welche man in den Alpen nur selten findet.


    Zumindest jedoch kann sie mit der Bewachung durch die Legionäre beruhigt schlafen und so geht die Reise am nächsten Tag einigermaßen ausgeschlafen weiter in Richtung Curia. Bald würden sie die Provinz Germania erreichen.


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  • Einige Tage vor den Parentalia in Ancona:


    Die Tempel in Ancona sind lange nicht mit denen in Rom vergleichbar. Genau genommen sind eigentlich keine Tempel auf der Welt mit denen in Rom vergleichbar. Höchstens vielleicht die Tempelanlagen Ägyptens oder die der alten Götter in Athena, aber beide hat Lucilla in ihrem Leben noch nicht gesehen um einen Vergleich ziehen zu können. Allerdings hat sie gelernt, dass die Größe eines Tempels am Stiftungstag wichtig ist und dahingehend, was durch diesen Tempel gedankt werden soll, für die später darin Opfernden allerdings macht es keinen Unterschied, wie groß das Gebäude ist. Im Grunde bedarf es eigentlich gar keines Tempelgebäudes um den Göttern zu danken, ein Altar reicht völlig aus - wie ja auch die vielen Altäre überall in den Städten beweisen. Außerdem kann man schon ziemlich schnell vergessen, dass die Tempel Anconas nicht so groß wie die in Rom sind, wenn man erst einmal davor steht. Tempel haben es so an sich, dass sie groß wirken, sie werden auf Größe hin ausgerichtet und gebaut. Mag eine Casa oder Villa in ihrer Grundfläche einem Tempel gleichkommen, die verschwenderische Höhe wird sie nie erreichen. Mehrere Stockwerke sind es mindestens, die da ungenutzt über dem kleinen opfernden Menschen thronen - zumindest scheinen sie ungenutzt, denn für die Götter sind sie es natürlich nicht, die sind immerhin etwas größer als die Menschen. Doch dieser weite, leere Raum ist es, der das Gebäude in jedem Fall überdimensional und den Menschen darin winzig erscheinen lässt - ähnlich wie in der Aula Regia beim Kaiser.


    All das registriert Lucilla aber nur nebenbei, im Vergleich zu den Göttern wird sie immer winzig sein, egal ob in einem Tempel oder sonstwo. Sie betritt ehrfürchtig den Neptuntempel Anconas und zieht ihre Palla über das zum Opfern offene Haar. In der Hafenstadt ist der Tempel des Meeresgottes einer der prächtigsten, genau genommen einer der wenigen Tempel überhaupt. Vor dem Altar stellt Lucilla den mit einem Tuch bedeckten Korb ab und holt behutsam etwas Weihrauch hervor. Sie fragt sich - nicht zum ersten Mal in ihrem Leben - ob die Priester im Tempel eigentlich den lieben langen Tag nichts anderes machen, als darauf zu achten, dass die Räucherkohle immer glimmt, denn sie glimmt immer, wenn Lucilla für ein Opfer kommt, ganz egal in welchem Tempel. Diesen Gedanken abschüttelnd verteilt Lucila den Weihrauch auf der Kohle und wartet ein wenig, bis der wohlriechende Rauch in die Höhe emporsteigt, bevor sie mit ihrem Dank beginnt.


    "Großer Neptunus, Herrscher des Meeres, diese Gaben bringe ich Dir heute aus Dank, dass Du mir den langen Weg über Dein Reich gewährt und mich nicht zu Dir geholt hast. Gleichzeitig bitte ich Dich um Milde für diejenigen, die in Dein Reich hinabgesunken sind, für all diejenigen Unschuldigen, denen Dein Sturm und Dein endloses Meer das Leben nahm." Natürlich meint Lucilla damit nicht alle Menschen, die jemals auf dem Mare Internum untergegangen sind, sondern diejenigen des gallischen Handelsschiffes und sogar ein paar Piraten, denn einige von ihnen waren vielleicht gar nicht so schlecht, und natürlich Tetischeri. Doch das muss nicht ausgesprochen werden, denn Neptun würde das wissen, er ist immerhin dabei gewesen. Lucilla greift unter das Tuch und holt einen großen Opferkuchen aus dem Korb. Er ist noch etwas warm, denn sie hat ihn auf dem Weg erst frisch gekauft. Sie legt ihn auf den Altar und verharrt einen Moment lang in Stille in Gedenken an die verganene Zeit. Noch immer liegt die Erinnerung schwer auf ihrer Seele, doch langsam sackt sie tiefer und tiefer in ihr Bewusstsein hinab.

  • Nach dem Opfer an Neptun durchquert Lucilla die halbe Stadt zu Fuß. Sie genießt die vielen Menschen auf der Straße, die Händler in ihren kleinen Geschäften, die wie überall anders im Imperium ihre Waren anpreisen, und die Garküchen am Wegesrand, aus denen der verlockende Duft nach dicker Suppe in halben Brotlaiben strömt. Vipsania hat ihr genau erklärt, wo sie in Ancona was findet und es ist nicht schwer, diesen Weisungen zu folgen. Wer sich in Rom auskennt und zurechtfindet, der schafft das auch in jeder anderen italischen Stadt. Das Heiligtum der Mater Magna lässt sich kaum als Tempel bezeichnen. Zwar bestehen viele Tempel nur aus einem einzigen Raum, doch dieses Heiligtum gleicht eher einem kleinen Haus und vermutlich war es das irgendwann einmal. Nachdem Lucilla ihre Sandalen ausgezogen hat, durch die Eingangstür tritt und der schwere Vorhang der diese verdeckt hinter ihr zu fällt, scheint es ihr, als betrete sie eine andere Welt. Dicke Rauchschwaden hängen schwer unter der niedrigen Decke, hüllen den Raum in einen süßlichen Duft, der Boden vor den seitlichen Wänden steht über und über voll von brennenden Talgkerzen und kleinen Öllampen und auf dem Altar stehen mehrere Schälchen mit Räucherungen, von denen der Rauch aufsteigt. Anders als in ihrem großen Tempel auf dem Palatin gibt es in diesem kleinen Tempel auch eine Darstellung der Mater Magna. Es ist eine Kybele-Statue auf deren Kopf eine Krone aus Türmen sitzt, in der Hand hält sie eine Ähre und ein Zepter, in der anderen ein kurzes Stück Zügel, doch der untere Teil der Statue - vermutlich war es einst ein Wagen, der von Löwen gezogen wird - fehlt.


    Lucilla verzichtet darauf ihr Haar mit der Palla zu bedecken, denn es gibt niemanden hier, der sie stören könnte. Ihre nackten Füße bewegen sich langsam über den mit Teppichen ausgelegten Boden zum Altar hin, vor dem sie sich niederkniet. Den Korb stellt sie wieder neben sich ab, holt dieses mal keinen Weihrauch heraus - wozu auch in diesem eh schon Rauchgeschwängerten Raum - sondern ein Bündel Blumen.


    "Mater Magna, Du hast in den letzen Wochen über mich gewacht, und dafür danke ich Dir. Auch wenn mein Lebensfaden manches mal dünn war, Du hast ihn zusammengehalten, hast mich sicher in Deinem Schoß bewahrt und mich zurück in mein Leben geführt." Sie nimmt einen Opferkuchen aus dem Korb und legt ihn neben die Blumen. "Für mein Leben danke ich Dir, doch ich bin heute hier, um für ein anderes um Deine Gunst zu bitten." Sie blickt flehend zu dem Kultbild auf, das steinern über sie hinweg blickt. "Ich weiß, er verdient Deinen Schutz nicht, nicht nur, weil er ein Mann ist, sondern auch, weil er ein schlechter Mensch ist, aber was soll ich denn tun?" Der steinerne Blick bleibt, Kybele zeigt keine Regung. Lucilla senkt ihren Blick wieder und holt noch einen weiteren Opferkuchen aus ihrem Korb. "Ich weiß nicht, wo er ist, aber Du weißt es sicher. Bitte denke einfach daran, dass mit seinem Leben auch meines sicher ist, eigentlich ist es also doch eher die Bitte um mein Wohl." Irgendwie ist das alles sehr verwirrend. Einen Mann zu Hassen und gleichzeitig für sein Leben Opfer zu bringen, das scheint Lucilla wie ein Fluch. Genau genommen scheint es ihr nicht nur so, denn es ist ein Fluch. "Auf jeden Fall," sie legt den Kuchen auf den Altar, "bitte pass auf Quintus Tullius Leben auf. Leiden soll er, soviel er es verdient, aber am Leben soll er bleiben."


    Ein feiner Windhauch bewegt den Vorhang an der Eingangstür, findet eine Lücke und lässt die Flammen im Inneren des Kultraumes ein wenig flackern. Ein erleichtertes, aber zaghaftes Lächeln findet auf Lucillas Gesicht und sie verharrt noch eine Weile schweigend. Im warmen Licht der Kerzen und mit dem süßlichen Duft der Räucherung hat der Raum etwas beruhigendes an sich, und es fällt Lucilla nicht schwer, noch ein wenig im Schutz der großen Mutter zu verweilen.

  • Feine, weiße Wolkenfetzen ziehen langsam und gemächlich über den Himmel. Der leichte Wind, der vom Meer einwärts aufs italische Festland weht, legt sie in langen Steifen quer zum Strand über das helle Blau. Der Blick auf das Wasser hinaus ist hier in Ancona beinahe wie in Tarraco. Denn obwohl man in Hispania Richtung Rom blickt, so schaut man darüberhinaus ebenso auch weiter bis nach Illyricum. Nack Rom blickt man in Ancona nicht wenn man auf die See schaut, denn Rom liegt dann eher im Rücken, aber nach Illyricum könnte man sehen, wenn man soweit sehen könnte.


    Das Meer - unendliche Weiten. Einst ist es Lucilla vorgekommen wie ein Abenteuer. Das Mare Internum könnte nicht groß genug sein, so hatte sie geglaubt, denn immer wieder könnte man darauf hinaus in die endlose Welt fahren und Neues entdecken. Vom Entdecken hat Lucilla genug und auch vom Mare Internum. Sie hat in den letzten Monaten für ihr gesamtes Leben genug gesehen. Trotzdem zieht das Meer sie an, kaum ein Tag vergeht in Ancona, ohne dass Lucilla am Strand entlang spaziert. Auf den sanft dahinschaukelnden Wellen spiegeln sich die Strahlen der Nachmittagssonne, beleuchten die weißen Schaumkronen und lassen das Meer in einem Blau-Grün-Ton schimmern. Früher einmal hatte Lucilla davon geträumt irgendwann einfach ins Wasser hinein zu waten, immer weiter über den sandigen Grund zu laufen, nicht an der Oberfläche zu Schwimmen, sondern hinab in das Reich des Neptun zu wandeln. Häuser, Paläste, ganze Städte soll der König des Meeres dort unten regieren. Der Traum ist in den letzten Wochen für immer vergangen, als sich Lucilla nichts sehnlicher wünschte, als nicht in das Reich des Neptunus hinab gezogen zu werden. Tullius' Schätze liegen nun dort unten und vermehren den Reichtum des Neptun, ebenso wie ihre eigenen. Mit leeren Händen würde sie nach Rom zurück kehren, dafür mit einem Herzen voller Furcht. Langsam setzt Lucilla einen Fuß vor den anderen in den weichen Sand. Mit bedächtigen Schritten watet sie in das kalte, eisige Wasser hinein. In Rom gibt es kein Meer, nur das kleine Rinnsal namens Tiber. In Rom würde Avarus warten, ihr Leben würde auf sie warten.


    Als Lucilla das Gefühl hat, ihre Füße vor Kälte bald nicht mehr zu spüren, watet sie aus dem kalten Wasser hinaus. Trotz allem ist sie noch nicht wieder bereit für Rom.

  • Es kann sich vermutlich niemand vorstellen, welches Glücksgefühl in mir herrschte, als ich endlich festen Boden unter den Füßen hatte. Es war zwar nur ein dreckiger Hafendock, aber mir kam er vor wie das schönste Bauwerk... zumindest in den ersten paar Momenten, weil so hübsch war der Dock auf lange Zeit wirklich nicht. Aber ich hätte fast den Boden knutschen können, als ich aber die Käsequanten von einem Händler dort gesehen hatte, verging es mir ordentlich. Uäh, ich mag gar nicht wissen, wann der Typ sich das letzte Mal ordentlich gebadet hatte. Und außerdem hatte ich eigentlich gar keine Zeit zum freuen und auf-dem-Boden-wälzen, denn die Arbeit wartete, es ging Richtung Ancona.


    Als wir dann nach einiger Zeit bei irgendwelchen Leuten ankamen, wie lange wir brauchten, weiß ich nicht, zwischendurch war ich eingeschlafen, gabs zwar zuerst ein Halali, aber mich ließ man in Ruhe. Allerdings schickte man mich baden. Ja gut, natürlich gibt es einen unglaublichen Unterschied zwischen dem Wasser in einem Badezuber und dem im Meer, klar. Aber ich musste mich wahnsinnig überwinden, und wenn das Wasser nicht ohnehin kalt gewesen wäre (obwohl, kühl trifft es wohl eher), es wäre kalt geworden, weil ich ständig in das Wasser sah, welches mein Gesicht projizierte. Ich war auch schon mal schöner. Ich dachte dann noch an andere Dinge oder Personen, wie etwa Zeuxis oder dem abartig hässlichen Krüppel da oder an das Schiff, als es unterging und es kam mir so vor, als wäre das alles schon Jahre vorbei und nicht nur ein paar Wochen. Ich habe mich dann nach vorgetastet und erstmal meine rechte Hand in das Wasser gesteckt, dann die linke, ließ die beiden sich gegenseitig waschen und anspritzen, bevor ich meine Oberarme und dann den Kopf mit dem Wasser benetzte. Erst dann fühlte ich mich bereit, in den Zuber hineinzusteigen. Es war nicht unangenehm, obwohl das Wasser durchaus wärmer hätte sein können, aber besonders wohl fühlte ich mich trotzdem nicht, mal abgesehen von der Wassertemperatur. Dennoch blieb ich eine Weile darin sitzen, solange bis die Haut an meinen Fingern schrumpelte und noch weit darüber hinaus. Als ich dann aus dem Zuber hinaus stieg, war ich gesäubert und stank nicht mehr, lediglich eine ordentliche Rasur fehlte noch, die ich dann gleich nachholte und dann konnte man mich zumindest optisch als einen zivilisierten Menschen bezeichnen. Sogar eine passende Tunika hatte man mir gegeben, und langsam, wirklich langsam fühlte ich, wie die Ereignisse der letzten Wochen von mir abfielen. Später ging ich in die Küche, ich hatte nun Hunger und wollte etwas zum Futtern auftreiben und die erste goldene Sklavenregel befolgen. Ich bekam tatsächlich etwas, etwas Brot und Käse, sogar Wein, und ein wenig von diesem gepressten Fischabfall, den die Sklaven nach der Filtrierung des Garums bekamen. Ihr könnt es nicht glauben, aber dieses wirklich einfache Essen trieb mir fast die Tränen in die Augen, so gut schmeckte es mir.


    Was meine Herrin angeht... ich sah sie in Ancona nur selten. Sie benötigte kaum meine Dienste, ging ständig spazieren und nahm mich nie mit. So hing ich in der Küche herum, half dort aus und ließ es mir auf meine Weise gut gehen. Nicht nur einmal hatte ich das Gefühl, als würde sie mich nicht mehr wollen und ich hatte auch nachgedacht, wann sie mich verkaufen würde. Aber ich schob diese Gedanken dann weg, es hatte ja ohnehin keinen Sinn, groß darüber nachzudenken. Also verrichtete ich meine Arbeit, und wenn ich entbehrlich war, zog ich mich irgendwohin zurück, wo ich nicht gestört wurde.

  • Tage sind in Ancona verstrichen, Wochen sicherlich schon, Lucilla hat sie nicht gezählt. Tag um Tag hat sie gewartet, ohne zu wissen worauf. Sie spazierte am Strand auf, sie spazierte am Strand ab, sie saß im Peristylium der Casa Vipsania und beobachtete den Sonnenaufgang, sie saß im Peristylium der Casa Vipsania und beobachtet den Sonnenuntergang, sie verbrachte belanglose Tage in belangloser Gesellschaft. Doch obwohl Lucilla immer ein wenig abwesend schien, lauschte sie sehr aufmerksam den Tischgesprächen, besonders, wenn es um Rom ging.


    Nun ist der Martius schon bald zur Hälfte vorüber, der dem Mars geweihte Monat, voller Festtage die in Rom groß gefeiert werden: die Equirria, die Annae Perennae, die Liberalia, daneben auch die Quinquatrus und das Tubilustrium - Tage, an denen sich Rom endgültig aus seinem Winterschlaf erheben würde und in ein Meer aus buntem Treiben verwandeln würde. Ein wogendes Meer ...


    Es ist ein Brief, der Lucillas Herz endgültig in Sehnsucht aufflammen lässt, Sehnsucht nach Rom, aber auch nach dem Verfasser des Briefes. Sie sitzt auf einer Liege im Peristyl und je weiter sie die Zeilen ließt, desto breiter wird das Lächeln auf ihren Lippen.

    Liebste Lucilla,


    voller Sehnsucht hab ich mich nach Rom aufgemacht, um in Deinen Armen zu liegen. Voller Bürde hab ich Dein Verschwinden getragen und voller Hoffnung sehne ich Deine Wiederkehr herbei. Was immer in den letzten Monaten geschehen sei, ich kann es für Dich nicht ungeschehen machen, aber ich kann Dir helfen, meine Lucilla, es vergessen zu machen. Bitte komm zurück nach Rom und fülle Deine Zeit mit der Meinigen aus. Strebe in die ewige Stadt und lass Dir helfen, Dich von dem zu befreien, was Dich bedrückt.


    In unendlicher Liebe,
    Dein


    Medicus


    "Hach, Medicus..." seufzt sie zufrieden. Sie blinzelt glücklich zur Sonne hinauf. Es ist Zeit aufzubrechen.

  • Am Mittag schon herrscht reges Treiben in der Casa Vipsania. Mit wenig, beinahe nichts ist Lucilla angekommen, doch natürlich hat sich ihr Habe während der letzten Wochen vermehrt. Sie hat genügend wirklich preisgünstige Schnäppchen auf dem Markt abgreifen können, dass eine Reisekiste damit gefüllt werden kann. Vipsania schwirrt durch das Haus wie eine aufgescheuchte Henne, sie stellt ihren eigenen kleinen Reisewagen zur Verfügung, der zwar nur bescheiden ist, aber doch ein Luxus um den Lucilla sie ein bisschen beneidet. Wenn sie erst einmal verheiratet ist, dann würde sie Avarus auch davon überzeugen, dass er unbedingt so einen kleinen Reisewagen braucht.


    Zum Abschied reiht sich der halbe Hausstaat auf. Vipsania macht noch immer alle mit ihrer Hektik verrückt. "Habt ihr auch alles? Möchtest du noch mehr Obst für die Reise? Vielleicht noch ein paar gefüllte Pasteten? Macht genügend Pausen, ja, Kind? Ich brauche den Wagen wirklich nicht dringend, also lasst euch alle Zeit, die ihr wollt." Dann gibt sie Ambrosius einen Klapps auf den Hintern. "Hach wie schade, dass du ihn mir nicht hierlassen willst. So ein süßes Kerlchen, wirklich! Pass gut auf ihn auf, ja, und wenn du ihn doch irgendwann nicht mehr brauchst, dann denke an mich." Sie zwinkert Ambrosius kokett zu und drückt Lucilla zum Abschied. "Machs gut, Kleines, und grüße deine Tante Drusilla, wenn du sie siehst. Hach, es war so schön, dass du hier warst. Junge Menschen sind immer so eine Bereicherung für Herz und Haus. Wenn du verheiratet bist, musst du unbedingt mit deinem Ehemann wiederkommen. Ich liebe skandalöse Politiker!"
    "Er ist nicht ..." setzt Lucilla an, doch Vipsania winkt nur schallend lachend ab. "Ja doch, ich weiß, ich weiß. Besucht mich trotzdem!"


    Nachdem Lucilla sich verabschiedet und es endlich geschafft hat, in den Wagen zu klettern, winkt sie Ambrosius zu sich hinein. Während der Kutscher die Pferde antreibt, winkt Lucilla aus dem Wagen zu Vipsania und lehnt sich erst entspannt zurück, als sie die Mauern des Anwesens passiert haben. Sie grinst ein wenig verschämt zu ihrem Sklaven. "Sie ist wie Großtante Drusilla. Unglaublich fürsorglich und gutmütig, aber auch irgendwie anstrengend. Ob wohl alle Frauen im Alter so werden? Magna Mater, ich hoffe es nicht!"


    So rumpelt der Wagen nach Rom, mit einer aus Vorfreude vergnügten Lucilla drin, die nie und nimmer ihren Ambrosius an eine andere Frau abtreten würde. :D


    /edit: Link

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