Sklaveneingewöhnung | Aquilius, Rutger

  • Ich hatte mich in mein Arbeitszimmer zurückgezogen, zu den Schriften, den Wachstafeln und der Stille, in der ich die besten Gedanken zu fassen und zu finden wusste. Es musste etwas geschehen mit meinem Sklaven, so konnte es nicht weitergehen, zumindest nicht mit diesem latenten Geschmack der Auflehnung, den seine Worte mir gegenüber stets besaßen. Auf Dauer würde sich ein solcher Sklave im Haus als Gefahr erweisen und mir lag nichts ferner, als mir einen Wolf in die Schafsherde zu holen. Also musste es irgendeine Basis geben, auf der ich mit ihm umgehen konnte, oder aber es würde eine Entscheidung herausfordern, die ich noch nicht zu treffen bereit war. Er war stark, hatte die Reflexe eines gestählten Kriegers und in den Augen brannte das Echo der Klugheit - einen solchen Mann sollte man sich nicht zum Feind machen, wenn es nicht unbedingt nötig war, als Freund war er mir nützlicher.


    Ich hatte einen der Haussklaven ausgesandt, dass er mir Rutger finden und herbeibringen sollte, weil ich mit ihm sprechen wollte, und erwartete ihn nun, selbst am Schreibtisch sitzend. Es gab noch einige schriftliche Dinge der letzten Wochen aufzuarbeiten und ich zog es vor, keine Zeit zu verschwenden, seit ich im Tempel arbeitete, konnte ich mir allzu viel Säumigkeit nicht mehr erlauben. Und als besondere Verlockung erwartete mich eine neue Ausgabe der Ars Amatoria von Ovid nach meinem Tagwerk, die letzte Acta hatte mich darauf gebracht, dass ich mir jene so skandalumwitterte Schrift des Dichters wieder einmal anschaffen könnte. Ich griff mir den Stilus und begann, mich in die ersten Briefe zu vertiefen, die Nefertiri auf meinem Schreibtisch gestapelt hatte ...

  • Seit kurzem hatte man Rutger aufgetragen, im Stall mitzuhelfen. Und dort fand ihn auch Aquilius' Botengänger: an einem Strohballen lehnend, auf einem Grashalm kauend, und vor sich hinträumend - diesmal nicht vom endgültigen Sieg über die Römer und von einem Freien Germanien, sondern einzig und allein von der atemberaubenden kleinen Ne-fahr-thyrri.
    Ob sein "Herr" seinen Müßiggang irgendwie gerochen hatte? Rutger wischte sich den Stalldreck von den Sandalen, klopfte etwas Stroh von seiner groben Tunika, und machte sich erholt zu Aquilius Arbeitszimmer auf.
    Er klopfte an der Türe, wartete auf ein 'Herein', und trat ein, begleitet von einem leichten Geruch nach Pferd. Seine Haare waren zerzaust, und ein, zwei Strohhalme hatten sich noch darin versteckt. Er wirkte recht gelöst, lächelte kurz, als er über die Stelle ging, an der Syagrius sein Leben ausgehaucht hatte, und blieb dann vor dem Schreibtisch stehen. Fragend sah er Aquilius an.

  • Gemächlich legte ich meinen Brief auf die Schreibtischplatte ab und blickte zu meinem Sklaven auf und nahm fast sofort das ihn umgebende Odeur wahr. In den Stall also hatte man ihn gesteckt, und da er heute deutlich weniger aufsässig wirkte als zuvor, schien es ihm gar nicht so schlecht zu gefallen. Umso besser, irgendwann würde er sich mit dem Leben hier abfinden müssen, ob es ihm gefiel oder nicht.
    "Rutger, ich habe Dir nun einige Tage Zeit gelassen, Dich hier im Haus einzugewöhnen, da Dir das Leben römischer Familien noch fremd gewesen sein dürfte, und soweit ich gehört habe, scheinst Du bisher auch einigermaßen mit allem zurecht zu kommen."


    Sanft klappte ich die beiden Wachstafeln zu, in denen ich gerade gelesen hatte und lehnte mich ein wenig in meinem Stuhl zurück, während mein Blick über seine Gestalt glitt. Er hatte in den letzten Tagen wieder an Gewicht gutgemacht und er wirkte auch, als hätte er zumindest ein wenig Ruhe gefunden - oder täuschte ich mich und wünschte mir zuviel?
    "Es wird Zeit, dass wir uns um Deine zukünftigen Pflichten in diesem Haushalt kümmern und Dir eine Aufgabe verschaffen, die Dir liegt. Setz Dich zu mir, Rutger, und erzähle mir etwas von Dir. Von deinem bisherigen Leben, den Dingen, die Du getan hast, einmal abgesehen davon, uns Römer zu hassen und zu töten, und auch von den Dingen, die Du zu tun vermagst, für die Du ein Talent zu haben glaubst."

  • "Ich bin Krieger."
    Rutger setzte sich auf einen Stuhl, zog ein Bein an, und sah Aquilius an, als wäre das Antwort genug, dann zählte er auf:
    "Ger und Frame führe ich, und das Sax, treffsicher sende ich den Pfeil, ich finde die Fährte des Wildes und weiß so manche Rune zu ritzen. Talent, hmm... " - Rutger runzelte die Stirn, und schien angestrengt nachzudenken - "...hmm..."
    Und lächelte Aquilius vergnügt an, als er ihm anvertraute: "Also, ich denke, mein Talent ist es, Römer zu töten."
    Harmlos fügte er an: "Und mit Pferden kenne ich mich auch aus. Oder was willst du wissen?"


    Er sollte "von sich erzählen"? Rutger zögerte. Der Römer wollte doch sicher nur irgendwelche Schwachpunkte bei ihm finden.
    "Ich komme aus "Germanien", bin Sohn eines Drichten, habe gegen euch gekämpft und wurde gefangen." fasste Rutger sein Leben wortkarg zusammen und verstummte. Mißtrauisch musterte er Aquilius. Worauf wollte der eigentlich hinaus? Und würde er diesmal seine, ihm so unnatürlich erscheinende, Beherrschung verlieren?
    "Und du?" fragte er ihn dann herausfordernd. "Was tust du, abgesehen von..." - Rutgers Blick glitt etwas mitleidig über die Stapel auf dem Schreibtisch - "lesen?"

  • "Ich fürchte, Dein Talent zum töten meiner Mitbürger werde ich nicht allzu oft gebrauchen," sagte ich nach einer Weile des sinnierens und schmunzelte dünn. Er hatte zumindest eine Art von Humor, wie es schien, also war nicht alles verloren. "Ger und Frame sind in dieser Stadt nicht üblich, und das Sax erst recht nicht - in Rom ist es verboten, Waffen zu führen, dieses Recht kommt allein den Stadteinheiten zu, die hier für Ordnung sorgen müssen. Hast Du verstanden? Solltest Du jemals eine Waffe tragen und damit erwischt werden, wirst Du ohne viel Federlesens getötet, da Du kein Bürger, sondern Sklave bist. Was bedeutet, Du wirst Dich im waffenlosen Kampf üben, und zwar gemeinsam mit mir ... es kann nicht schaden, wenn wir beide uns auf den Straßen verteidigen können und daran gewöhnt sind, gemeinsam zu kämpfen. Rom ist gefährlich, deutlich gefährlicher als jeder Eurer Wälder, auch wenn dies für Dich wenig glaubhaft klingen mag. Der Tod kommt hier sehr schnell und an jeder Ecke - und man sieht ihn selten kommen."


    Mein rechter Zeigefinger fuhr langsam an der Wachstafel entlang, tippte einige Male dagegen, während ich nachdachte. "Was das ausreiten anbelangt, und die Stallarbeit .. ich denke, da wirst Du in Zukunft nicht mehr allzu viel Zeit verbringen, ausser bei meinem eigenen Pferd. Du bist zu besserem bestimmt, als den Mist der Tiere wegzuschippen, die meiner Verwandtschaft gehören." Ich legte den Kopf etwas schief und betrachtete meinen Besitz sinnierend. "Ich bin Priester, Rutger, Priester des römischen Kriegsgottes Mars, und mein Segen ist es, der die Götter mit der Welt und jenen, die ihnen dienen, verbindet. Ich vollziehe die blutigen und unblutigen Opfer, die dafür sorgen, dass Mars unseren Soldaten, aber auch allen anderen Bittstellern gewogen ist. Wenn ich nicht irre, steht in Deinem Land Odin für die Schlachten, aber auch die Weisheit ..." Ich hob meine Wachstafel an. "Wissen erlangt man auch, indem man die Worte liest, die uns die Ahnen hinterlassen haben ... und vielleicht wird irgendwann daraus Weisheit."
    Ich atmete leise ein. "Kannst Du lesen oder schreiben? Damit meine ich: die lateinische Sprache."

  • "Natürlich vermag ich auch mit bloßen Händen zu töten." meinte Rutger blasiert, und zupfte sich einen Strohhalm aus den Haaren. "So? Und was ist hier so gefährlich? Die schnellen Fuhrwerke? Der erstickende Gestank?"
    Er lächelte abfällig. "Ich glaube kaum, daß du weißt, wie es bei uns zugeht."
    Abwesend spielte er mit den Strohhalm, flocht ihn sich durch die Finger, und zuckte gleichmütig mit den Schultern. Dann horchte er auf.
    "Gode?" Erstaunen, und mit einem Mal auch eine gewisse Scheu lagen in seinem Blick. "Du bist Gode?" Und das auch noch von dem Gott, der die Legionen immer wieder siegen ließ. Das war nicht gut.
    "Nein, ich kann eure Sprache nicht lesen und nicht schreiben. Wozu auch. Unsere Ahnen gaben uns das Wissen anders weiter, in Liedern, und wir haben ein gutes Gedächtnis. Wir brauchen so Zeug nicht." Rutger wies auf Wachstafeln und Schriften. Schamhaft verschwieg er, daß er - vor langer Zeit - immerhin mal gelernt hatte, seinen Namen zu schreiben, und diesen damals mit Begeisterung in Baumstämme hineingeschnitzt hatte. Zum Beispiel in die große Linde auf dem Marktplatz von Colonia, die noch heute, ganz weit oben, soweit ein waghalsiger Junge nur klettern konnte, in ihrer Rinde den schönen Schriftzug trug: Rutger wa hir. Vor wirklich langer Zeit.
    "Es ist auch schlecht für die Augen, habe ich gehört."

  • "Die gefährlichste Waffe ist immer die, die man nicht sieht, Rutger, und mein Volk ist ausgesprochen geschickt darin, sich solcher Waffen zu bedienen. Wer sagt Dir, dass die Lippen, die Dich küssen, nicht vergiftet sind, dass in Deinem Essen nicht eine langsam wirkende Essenz ist, die Dich zuerst schwach macht und dann entkräftet, um Dich dann zu töten? Du befindest Dich im Haushalt einer hoch stehenden Familie, und je höher man hier steht, desto größer werden die Gefahren, denen man sich aussetzt, jeden Tag." Fast ein wenig müde lächelte ich bei diesen Worten, war dies doch etwas, was ich schon als Kind hatte lernen müssen, und erst in meiner Jugend verstanden hatte - auch das war ein Grund gewesen, Rom hinter mir zu lassen und nach Athen zu flüchten, als mein Vater mir eine Ausbildungsmöglichkeit arrangiert hatte. Und nun stand dieser Halbwilde im Glauben seiner naiven Überlegenheit vor mir und glaubte, seine germanischen Wälder seien gefährlicher als Rom ... ein Trugschluß, dem auch schon Caesar unterlegen war.


    "Nun, ich kann keinen Sklaven gebrauchen, der nicht zumindest fähig ist, Worte auf lateinisch zu lesen - man wird versuchen, Dich zu täuschen, und je mehr Du weisst, desto eher bist Du in der Lage, Schwindeleien und Betrüger zu entlarven. Wissen ist immer Macht. Je mehr Wissen, desto mehr wirst Du verstehen. Die Dinge, die Dir Deine Eltern oder Großeltern mündlich überliefern können, sind immer von begrenzter Menge - das Wissen hunderter, tausender guter und kluger Männer, gesammelt in Büchern, Schriftrollen, Wachstafeln, das ist es, was Rom groß machte und groß erhalten wird. Weil wir bereit sind zu lernen, zu beobachten und zu verbessern. Einen Gegner auf dem Schlachtfeld erschlägst Du auch nicht, indem Du wild mit der Waffe fuchtelnd auf ihn zurennst und nach ihm schlägst - erst wenn Du ihn studierst und seine Schwächen und Stärken erkennst, tötest Du kraftsparend." Seine Worte über die Folgen des Lesens entlockten mir ein amüsiertes Heben der Mundwinkel. "Wenn man mit ausreichend Licht liest, nicht."

  • Vergiftete Lippen! Was für eine infame Idee. Da konnten wirklich nur die Römer draufkommen.
    "Du meinst, ich soll lesen lernen?" Rutger sah nachdenklich auf die Wachstafel in Aquilius Hand. "Gut."
    Kenne den Feind. Wenn in den Schriften wirklich das Geheimnis der römischen Stärke lag, dann wollte Rutger sie auch studieren. Bei ausreichend Licht. Ja, er würde die Römer kennenlernen, vielleicht verstehen, und später, mit diesem Wissen gewappnet, leichter besiegen. Das hatte der große Befreier vom Stamm der Cherusker doch auch so gemacht.
    "Und trainieren, mit dir? Sicher, gern." Rutger streckte die Beine lang aus, und nickte bereitwillig. Er konnte ja nicht ahnen, daß sich für ihn sehr bald eine unwiderstehliche Gelegenheit zur Flucht ergeben würde, und das seine jetzigen Entscheidungen dann mit einem Schlag hinfällig sein würden.
    "Was soll ich denn eigentlich für dich tun? Ich meine - wie stellst du dir das so vor? Ach, und kannst du mir sagen, wie weit das Meer von hier entfernt ist?"

  • Still betrachtete ich meine Neuerwerbung, auch das kurze Aufleuchten seiner Augen war mir nicht entgangen, zumindest glaubte ich ein solches erblickt zu haben. Ich zweifelte nicht daran, dass er längst nicht davon überzeugt war, mit seinem Leben hier zufrieden zu sein, ich an seiner Stelle wäre dies wohl auch nicht, aber es gab nun einmal keine Wahl mehr. Entweder er ordnete sich unter oder aber er würde untergehen. "Nefertiri wird Dich das Lesen und Schreiben lehren, sie ist in diesen Dingen sehr geschickt," sagte ich und schob ihm eine leere Wachstafel und einen stilus zu. "Das ist Dein Schreibmaterial, pass darauf gut auf - ich schätze es nicht, wenn man mit wichtigen Dingen nachlässig umgeht." Auch wenn der Gedanke, ihn schreiben zu sehen, mit dem recht kleinen stilus in der Hand anstatt irgendwelcher brutaler und bluttriefender Waffen fast etwas groteskes hatte.


    "Wie ich mir das vorstelle? Nun, Du wirst mein Leben teilen, Rutger, so ist es zumindest gedacht. Gehe ich zum Tempel, begleitest Du mich, gehe ich in Rom irgendwohin, werde ich Dich mit mir nehmen, Du wirst, wenn ich erkenne, dass Du neben dem Willen dazu auch mein Vertrauen in Dich gewachsen sein sollte, mein Helfer, Begleiter und Vertrauter sein ... wohlgemerkt, sollte ich in Dir etwas finden, das mich glauben lässt, dass Du diese Position auch so ausfüllen kannst, wie ich mir das vorstelle." Ich ließ eine Pause entstehen und fügte dann an: "Einen halben Tagesritt etwa - der Hafen von Ostia ist nicht zu weit von hier entfernt. Dorthin wollte ich in der nächsten Zeit eigentlich einen Ausflug mit Dir machen."

  • Jetzt leuchteten Rutgers Augen aber ganz deutlich auf. Ans Meer! Seit sein Bruder Sigmar damals von der großen Fahrt zurückgekehrt war, hatte er sich sehnlich gewünscht, es auch mal zu sehen. Er hatte soviel davon gehört! Die Pläne, die er damals gemacht hatte: auf einem Schiff übers Nordmeer zu fahren, die fremden Völker an seinen Gestaden zu unterwerfen, und sich die Eisige Herrin von Thule zu rauben, hatte Rutger allerdings inzwischen begraben.
    Vergeblich versuchte er nun, sich seine Begeisterung nicht zu sehr anmerken zu lassen. Sein Blick hatte etwas jungenhaftes, als er geradezu verträumt sagte: "Das wäre schön. Ich habe es noch nie gesehen. Also, ich meine, nie richtig, nur mal von ganz weit weg, auf der Reise." Und da war er gerade sehr mit Überleben beschäftigt gewesen, und hatte den Anblick nicht zu schätzen gewußt.


    Er riss sich zusammen, und griff nach der Wachstafel und dem Stilus. Das kleine Ding sah in seiner Hand tatsächlich etwas deplaziert aus. Auch die Vorstellung, von der verlockenden Ne-fahr-thyrri unterrichtet zu werden, behagte Rutger sehr.
    Was das andere anging - er nahm sich vor, es als Chance zu sehen, den Feind kennenzulernen. Auch wenn das nicht leicht sein würde. Zu Dienen war und blieb nun mal eine Beleidigung für ihn.
    So nickte er recht fügsam, und meinte freundlich, wenn auch noch immer mit hochmütigen Unterton, zu seinem "Herrn":
    "Gut, dann sehen wir mal."

  • Ich hielt ihn in meinem Blick, die Stirn ein wenig gerunzelt dabei, aber das Überraschende geschah wirklich: Zum ersten Mal gab er seine Miene des Misstrauens auf und schien sich für ein Thema zu erwärmen, das nicht mit 'Römer töten' oder 'Römer verabscheuen' zu tun hatte. Das Meer schien ihm zu gefallen und vielleicht würde sich da die Gelegenheit bieten, ihn ein klein wenig besser kennenzulernen und herauszufinden, ob er sich für meine Zwecke eignete - ob er das war und werden konnte, was mir derzeitig in meinem Leben fehlte. Aber es musste eines nach dem anderen geschehen, auch wenn es mir wenig lag, Geduld zu haben, es würde sich hoffentlich irgendwann als gerechtfertigt erweisen.
    "Wir werden nach Ostia reiten - ein Pferd für Dich finden wir hier sicher - und dort den Hafen ansehen, er wird nicht umsonst einer der größten der Welt genannt. Und natürlich das Meer, vielleicht findet sich auch ein Fischer, der uns mit hinaus nimmt. Ich habe mir sagen lassen, dass die Landschaft dort sehr reizvoll sein soll und man eine gute Landpartie machen kann."


    Rutger mit dem stilus in de Hand sah wirklich eigentümlich aus, eigentlich konnte man erwarten, dass der Griffel in seinen kräftigen Fingern sofort zerbrechen würde, aber noch hatte ich die Hoffnung, dass er nicht alles verweigern würde, was die römische Zivilisation zu bieten hatte. Vor allem von den Lippen meiner kleinen Nefertiri, von denen die meisten Männer sehr viel akzeptieren würden, da war ich mir ziemlich sicher. Es ging mir schließlich nicht anders. "Heute werden wir gemeinsam auf das Forum gehen und ich zeige Dir den Weg zum templum martialis, in dem ich arbeite - damit Du ihn Dir einprägen kannst und in Zukunft selbst findest. Und wir werden über die Verhaltensregeln in diesem Haushalt sprechen, die Cena Liber hat mir gezeigt, dass es da noch Nachholbedarf gibt."

  • "Lanth-par-thi? Was ist denn das?"
    Rutger grub probeweise die Spitze des Stilus in das Wachs und zog ein paar Linien - gerade, geschwungene, verschnörkelte - aus denen sich dann vage der Umriss der Zypresse vor dem Fenster herausschälte.
    Irgend etwas war doch seltsam hier. Er konnte sein Gegenüber überhaupt nicht einschätzen. Der Neiding hatte gesagt, Rutger würde wie Dreck unter der Schuhsohle behandelt werden, aber das war in diesem Haus nicht passiert - abgesehen davon, daß man in ihm eben als unfrei ansah. Niemand hatte ihn gequält oder gepeitscht. War das Berechnung, wollte man ihn einlullen, seinen Kampfgeist einschläfern, um ihn später um so grausamer niederzuschmettern, oder war das... vielleicht... Freundlichkeit? Ach, Unsinn! Trotzig hob Rutger das Kinn.


    "Regeln? Ich mag es nun mal nicht, herumgescheucht zu werden wie ein Tier, denn das bin ich nicht. Ich stamme aus einer edlen Familie und zähle viele Helden zu meinen Ahnen. Letztendlich, Flavius Aquilius, unterscheidet uns, abgesehen von der Herkunft, vor allem ein kleines Detail: Ich hatte Pech! Ich wurde gefangen. Mein Schicksalslos ist so gefallen, und es scheint, daß ich dir eine Zeitlang..." - nur mühsam kam es ihm über die Lippen - "...dienen muß. Aber demütige mich nicht. Das würde ich dir nachtragen."
    Mit Stolz, und einer gewissen Würde sprach Rutger diese Worte, dabei richtete er seinen Blick auf Aquilius, und sah ihm ruhig direkt in die Augen.

  • "Landpartie. Eine Reise auf das Land hinaus, zum Zweck, sich zu entspannen, ein bisschen frische Luft zu bekommen und dem Moloch Rom zu entkommen, zumindest für ein paar Stunden oder Tage, je nachdem." Ich lehnte mich sinnierend in meinem Stuhl zurück und betrachtete meine Neuerwerbung nachdenklich. Die Gedanken dieses Mannes würden mir wohl immer ein Rätsel bleiben, selbst jetzt, in der kultivierten und durch und durch römischen Umgebung meines Arbeitszimmers, das wie kaum ein anderer Raum verriet, was das Reich neben den Legionen wirklich groß gemacht hatte. Er wirkte wie ein fremdes Objekt aus einer Welt, in der alles einfacher und schlichter war, das Leben, die Leidenschaften, aber auch die Sehnsüchte und Wünsche der Menschen. Wahrscheinlich malte er sich nachts auf seinem Lager aus, wie er mich töten sollte und meinen Vetter Aristides mit dazu, und gleichzeitig sollte er lesen und schreiben lernen. Es war so absurd, eine amüsante kleine Melodie im großen Allklang des Lebens.


    "Regeln. In diesem Haushalt wohnen mehrere Familienmitglieder und noch mehr Sklaven, und wenn das alles funktionieren soll, müssen sich alle an bestimmte Regeln halten, ob Sklaven oder Bürger des Reiches. Im Augenblick bist Du mein Eigentum, und alles, was Du tust, wird auf mich zurückfallen - was bedeutet, wenn Du Familienmitglieder beleidigst, verletzt oder tötest, wird es auf mich zurückfallen, und dann auf Dich, weil ich Dich strafen muss. Gib mir keinen Grund dazu, und Du wirst hier ein ruhiges Leben haben. Jede Handlung wider meine Familie werde ich sanktionieren, verhältst Du Dich wohl, wird Dir eine angemessene Belohnung zuteil - nach diesem Prinzip funktioniert das Zusammenleben hier. Es ist Deine Entscheidung, wie weit Du Dich unterordnest, und was Dir daraus erwächst, Rutger Thidriksson. Ich habe nicht vor, Dich zu demütigen, ausser Du blamierst mich öffentlich und vor anderen. Ich werde nicht zulassen, dass Du meinem Namen oder meinem Ansehen schadest, und glaube mir, ich bin weder geduldig noch über Gebühr nachsichtig mit jemandem, der meine Wrte nicht befolgt. Das römische Gesetz lässt einem Mann immer die Freiheit, einen Sklaven wieder aus seinem Stand zu befreien - und wenn Du Dich bewährst, werde ich Dir dieses sicher nicht auf ewig vorenthalten."

  • Rutgers Unmut wuchs während er zuhörte, und als Aquilius endete, kochte er innerlich schon wieder. Jeder Gedanke sich zu arrangieren, wurde von einer Woge von Zorn hinweggespült. Er krallte die Finger fest um die Wachstafel, und stand langsam auf.
    "Du erzählst mir doch das Blaue vom Himmel herunter! Ich habe gelernt, euch keinen Glauben zu schenken, aus Erfahrung! Schon Flavius Aristides hat mich heimtückisch belogen, versprach mir mich gehen zu lassen und lieferte mich dann dem Händler aus! Also versprich mir nicht irgendwas, das du nicht gedenkst einzuhalten - ich glaube dir kein Wort!"


    Rutgers Worte wurden immer lauter, als der erbitterte Groll unaufhaltsam aus ihm hervorbrach. Die Wachstafel zerbrach in seinen Händen, und die Bruchstücke landeten mit einem Knall auf dem Boden.
    "Du fürchtest, ich könnte deinem Namen schaden, deinem Ansehen? Wie furchtbar! Dann lass mich eben frei, wenn dir das solche Angst macht! Ich bin niemandes Eigentum, wie fest auch immer du dir einredest, mich zu besitzen. Was denkt ihr euch eigentlich? Ihr überzieht uns mit Krieg, giert nach unserem Land, verachtet und beschimpft uns, nur Tiere sind wir in euren Augen! Und du denkst wirklich, daß ich, nachdem ihr mich gefangen habt, durch einen Betrug, und nachdem ich auf dem Weg hierher durch die Hölle gegangen bin, daß ich mich da jetzt fügen werde, glücklich und zufrieden ein 'ruhiges Leben' zu haben, und dir deine römischen Füße küsse, nur für - vielleicht, je nach Laune - weniger Schläge? Für noch mehr Lügen? Oder damit du mich auch mal an deine Metze ranlässt?! Glaubst du das wirklich?!"
    Rutger starrte Aquilius bebend vor Zorn an, stützte die Hände auf die Tischplatte, und beugte sich ganz nah an ihn heran.
    "Es gibt eine einfache Lösung für uns beide. Gib mir die Freiheit zurück. Jetzt. Und wir ersparen uns beide viel Ärger."

  • Ich blickte der Wachstafel nach, die sich in kleinen Stücken auf dem Boden verteilte, ließ ihn brüllen, ohne eine Regung zu zeigen, denn diese Art Ausbruch hatte mein Vater früher öfter einmal gezeigt, in sofern hatte ich Übung, sowohl Lautstärke als auch Inhalt seiner Worte an mir abprallen zu lassen. Stattdessen erhob ich mich, trat zum Wandschrank und öffnete die hölzernen Türen geruhsam, nahm die Reitgerte hervor, die eigentlich für Nefertiri und unsere gemeinsamen genüsslichen Spiele gedacht war, schloss die Türen des Schrankes wieder mit dem dafür vorgesehenen Schlüssen und wandte mich ihm zu, das Gesicht eine stoische Maske. Nun machte alles, was ich im Haus meines Vaters mühsam eingeprügelt bekommen hatte, wenigstens endlich Sinn.
    "Du hast Dir also den schweren Weg ausgesucht, was ich wirklich bedaure. Es wird Zeit, dass Du einen wichtigen Grundsatz unserer Ordnung endlich verstehst: Wo Dein Platz ist. Du sprichst wie der Herr, der Du nicht bist. Gewöhn es Dir ein für allemal ab." Damit hob ich die Hand und versetzte ihm mit eben jener Gerte zwei heftige Hiebe, geradewegs ins Gesicht.


    "Jede Aufsässigkeit bringt Dich einen Schritt näher zur Knochemühle, an die ich Dich verkaufen werde, wenn Du mir weiterhin in dieser Form gegenübertrittst, jedes freche Wort bringt Dich Deinem vorzeitigen Tode näher. Es ist nicht mein Wunsch, ein Leben zu verschwenden, diese Entscheidung liegt ganz alleine bei Dir." Meine Augen blitzten nun eisig, meinen Zorn hielt ich noch so weit zurück, wie er mir nützen würde - eine Blöße hatte ich mir vor diesem Sklaven nicht vor zu geben. Gleichzeitig machte ich mich darauf gefasst, dass er mich körperlich angreifen würde, wohl wissend, dass hier im Haushalt der ein oder andere zur Hilfe kommen würde, wäre es notwendig - und das wäre dann sein Todesurteil.

  • Rutger wurde weiß vor Zorn - um so deutlicher zeichneten sich die roten Striemen ab. Mörderische Wut flammte in seinen Augen auf, er packte die Gerte, entriss sie Aquilius' Händen, und brach sie krachend entzwei. Ein roter Nebel war um ihn, und alles in ihm schrie danach, dem Römer die Kehle mit den Zähnen herauszureißen, koste es was es wolle - jede Faser in ihm war bis zum Bersten gespannt, und wie ein Raubtier setzte er an, sich tobsüchtig auf den Feind zu stürzen - und beherrschte sich.


    Der blinde, rasende Zorn in seinen Zügen wich dem kalten Hass. Ganz langsam entkrampfte er die zu Fäusten geballten Hände, stand einen Moment so da, wie versteinert, und blickte Aquilius unverwandt an.
    "Bei Ziu. Das hättest du nicht tun sollen."
    Seine Stimme war schneidend kalt. Jäh wandte er sich um und verließ den Raum.

  • Zumindest diese Lektion hatte er gelernt, gut für ihn. Ich kommentierte seine Worte nicht, ließ ihn einfach gehen - was ebenso gut für ihn gewesen wäre, denn in diesem Augenblick hätte es mir wirklich Vergnügen bereitet, ihm sein Gesicht mit einer neuen Gerte blutig zu schlagen. Dafür, dass er es wagte, sich so aufzuführen, dafür, dass er überhaupt widersprach ... an Mut schien es ihm nicht zu mangeln und an Dummheit ebensowenig. Sachte schüttelte ich den Kopf, bevor ich mich wieder hinter meinen Schreibtisch setzte, das Chaos auf dem Boden nicht weiter beachtend. Vorerst würde er meinetwegen weiter im Stall den Mist schaufeln dürfen, er hatte mehr als deutlich gemacht, nicht lernen zu wollen, also würde er nicht lernen. Meine Entscheidung, ihm nicht weiter zu trauen, als ich spucken konnte, hatte ich in diesem Moment vorerst gefasst und es würde an ihm liegen, sich dieses Vertrauen selbst zu verdienen.


    Langsam klappte ich die Wachstafel wieder auf und versuchte mich mit tiefem, regelmäßigem Atmen wieder zu beruhigen. Wahrscheinlich stimmte es wirklich, diese Germanen waren Wilde, unfähig zu erkennen, wo sie wirklich standen - was mochte Aristides nur bewogen haben, mir dieses mordlüsterne Etwas zu schicken? Irgendein alter Groll? Dennoch, es fiel mir schwer, mich auf meine Schreibarbeit zu konzentrieren, nicht zuletzt, weil es einfach nichts weiter war als eine große Enttäuschung. Manchmal hätte ich mir einen Gefährten wirklich gewünscht, aber in ihm schien ich diesen nicht finden zu können, zumindest jetzt nicht. So blieb ich in meinem Arbeitstimmer sitzen und verbrachte eine ganze Zeit damit, die Wand anzublicken und meine Gedanken schweifen zu lassen, in die Vergangenheit, in der so manches deutlich sonniger gewesen war.

  • Mit gemessenen Schritten überquerte Rutger den Hof und kehrte zum Stall zurück. Sein Gesicht war wie eine Maske aus Stein, und auch in ihm fühlte sich alles hart und kalt an. Er griff nach einer Schaufel und begann mechanisch zu arbeiten. Irgendwann fiel ihm auf, daß er schon blutige Blasen an den Händen hatte. Er hatte es gar nicht bemerkt.


    Er hielt inne, und sah über den Hof hinweg. Es wurde schon dunkel. In der Villa entzündeten sie die ersten Lichter. Die Erstarrung löste sich langsam, und eine dumpfe Traurigkeit stieg in ihm auf. Er spürte die Spuren der Gerte in seinem Gesicht brennen, und noch viel tiefer hatte sie natürlich seinen Stolz verletzt. Er dachte daran, daß er sich an Flavius Aquilius rächen würde, rächen mußte - so wie an Flavius Aristides und an Finn - aber dieser Gedanke hatte nichts tröstliches.
    Seit der Mann ihm die Ketten abgenommen hatte, hatte Rutger, ohne es sich wirklich selbst einzugestehen, das vage Gefühl gehabt, er wäre vielleicht nicht so wie die anderen Römer - vielleicht jemand, den man nicht hassen mußte - vielleicht sogar jemand mit dem man sich, unter völlig anderen Umständen natürlich, hätte anfreunden können.
    'Unsinn!' sagte er sich dann - es war doch klar, daß ihm jeder andere, der ihn von den furchtbaren Eisen erlöst hätte, ebenso als Lichtgestalt erschienen wäre. Das war kein Grund in irgendeiner Form sentimental zu werden.


    Und Rutger schwor sich, sich nicht zu beugen, und wenn er auch in der Knochenmühle enden würde. Es gab wichtigeres, als nur zu überleben - wenn er eigentlich auch sehr gerne lebte. Knochen-Mühle... ein häßliches Wort. Aber ein Hallvardunge unterwarf sich nicht. Niemals.
    "Niemals." flüsterte Rutger rau, und erntete einen kopfschüttelnden Blick von einer älteren Sklavin, die gerade mit einem Korb voll dampfender Wäsche quer über den Hof an ihm vorbei ging.
    Ohne sie zu beachten legte er den Kopf in den Nacken und hielt nach Sternen Ausschau. Die Stadt war so hell, daß sie nur ganz blass erschienen, aber er entdeckte doch Freyas Spinnrocken und Wodans Wagen - und daneben den Nordstern.

  • Als ich meinen Kopf wieder erhob und aus dem Fenster hinaus blickte, war es dunkel geworden. Der Schreibarbeit war es also gelungen, mich über einige Stunden hinweg zu führen, ohne dass ich das Verstreichen der Zeit gemerkt hätte. Dennoch fühlte ich mich weder beruhigt noch ruhiger, der schale Nachgeschmack des Gesprächs mit meinem widerspenstigen Neubesitz hatte sich nicht gelegt. Auch nicht das Wissen, dass es eine schwere Zeit mit ihm werden würde, einen so aufsässigen Sklaven hatte ich sehr lange nicht besessen. Während im anderen Teil der Villa sich die Sklaven für das Abendessen rüsteten, klappte ich meine Wachstafeln zu, schob den Griffel beiseite und erhob mich, um einen kurzen Abstecher in mein cubiculum zu machen und dort etwas zu holen, von dem ich mich weder in Athen noch hier in Rom getrennt hatte. Einem freien Mann stand immer eine Waffe zu, und in den Provinzen war ich nie ohne mein gladius gereist, es war sicherer so. Einer einst flüchtigen Laune meines Vaters folgend, hatte ich auch einige Stunden der Unterweisung mit der Waffe einst erhalten, aber sehr vieles vergessen, und den Ruf zur Legion hatte ich nie so gespürt, wie ihn wohl Aristides vernommen haben musste.


    Dennoch, als ich mit dem gladius in der Lederscheide in beiden Händen durch die Villa Flavia Felix schritt, gingen mir die Sklaven, die mir entgegen kamen, aus dem Weg. Vielleicht lag es auch an meiner bitterernsten Miene, ich weiss es nicht, und im Grunde war es mir ziemlich egal. Ich betrat den Hof, an dem bei Tags die Pferde geschrubbt wurden oder ihnen ein wenig Auslauf gegönnt wurde, fand ihn still und leer vor, dass sich dort tatsächlich jemand befand, bemerkte ich nicht, denn ich konzentrierte mich alleine auf die Ecke des Hofes, in der ich meine Waffe zog und begann, die Übungsschwünge zu machen, die man mich einst gelehrt hatte. Eine Waffe in der Hand zu halten, tat seltsam gut und ich konnte in diesem Moment jeden Mann verstehen, der mit Waffen übte. Es war einfach etwas ganz anderes als zu ringen, es kostete Kraft, denn ein gladius hatte ein bestimmtes Gewicht, es strengte sofort an. Ich hätte mich wohl aufwärmen sollen, aber innerlich gesehen war ich warm genug, geradezu heiss - und ich folgte den eingeübten Abläufen aus meiner Übung. Schritt, Schwung, Hieb, Schritt zurück, Schritt, Schwung, Hieb ... die Monotonie der Übung begann, Leben in meine vom Schreiben steif gewordenen Muskeln zu pumpen, und als ich mir vorstellte, ich könnte hier Rutger fachgerecht zerteilen, wie es einem aufsässigen Sklaven zukam, fühlte ich mich zumindest für den Moment ein wenig besser.

  • Der Nordstern. Rutger seufzte, setzte sich im Schatten eines Oleanderbusches auf den Boden, lehnte sich zurück und versank schwermütig in der Betrachtung des Himmelszeltes. Aus der Sklavenküche drang das Klappern von Geschirr, er würde wohl das Abendessen versäumen, aber Rutger wollte gerade einfach nur alleine sein. Das war schwer hier, immer war jemand um einen herum.
    Mit Macht wallte nun das Heimweh in ihm auf, und er träumte sich nach Hause zurück. Jorun war sicher inzwischen mit Erengist vermählt. Ob er gut zu ihr war? Vielleicht würde sein Vater beschließen, im Winter mit den Sivichungen zu lagern, und dann im Frühjahr mit ihnen gemeinsam in den Kampf zu ziehen, um endlich diese Fehde mit den elenden Hermunduren von Salte zu klären... ohne ihn. Aber er hatte ja Lingwe, und sogar Starkad hatte er immer mehr zugetraut als Rutger... Sicher hielten sie ihn alle für tot. Und das war auch gut so. Wenn sie wüßten, daß er in römische Knechtschaft geraten war, daß er sich nicht bis zum Tod dagegen gewehrt hatte - sie würden sich in Grund und Boden schämen.
    Rutger schämte sich auch. Sein "Niemals" kam ihm immer halbherziger vor, immer lächerlicher. Er fuhr sich über die Striemen im Gesicht, die noch etwas brannten, und starrte verzweifelt in den Nachhimmel.
    Ein Bild erschien vor seinem inneren Auge, penetrant, es blendete die Sterne aus und ließ sich nicht verscheuchen: ein riesiger Mahlstein, der sich unaufhaltsam drehte, Knochen und Schädel zermalmte, auch ganze Gliedmaßen zerquetschte er gnadenlos, es blieben nur blutige Splitter, und am Ende rann ein ganz feines rötliches Mehl heraus... Knochenmühle...


    Das scharfe Sausen einer Klinge, die die Luft zerschnitt, riss Rutger aus diesen trüben Gedanken. Aufgeschreckt wandte er den Kopf in diese Richtung, und sah Aquilius mit dem Schwert. Suchte der ihn? Wollte er ihn für seinen Ausbruch vorhin in Stücke hacken? Man konnte es meinen, so erbittert, wie der das Gladius schwang. Rutger rutschte noch etwas tiefer in den Schatten des Oleanders, verhielt sich ruhig, und behielt seinen "Herrn" mißtrauisch im Auge.
    So mit der Zeit gewann er doch den Eindruck, daß der Flavier nur am üben war. Neugierig beobachtete Rutger ihn, zog dabei die Beine an, umschlang sie mit den Armen, und stützte das Kinn auf dem Knien ab. Aufmerksam verfolgte er Aquilius Bewegungen, und versuchte ihn als Kämpfer einzuschätzen. Wäre sicher interessant, gegen ihn anzutreten, dachte sich Rutger, lehnte sich bequem zurück, stützte sich mit der Hand irgendwo ab, und zuckte zusammen, als unter seinem Handballen ein trockener Ast zerbrach. Wie ein Peitschenhieb schallte das laute Knacken über den Hof.

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